Auf den Geschmack gekommen

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01.10.2008
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Englischer Wein
Auf den Geschmack gekommen
Vorbei sind die Zeiten, als verspottet wurde, was aus Englands Weinkellern kam.
Im Süden der Insel werden inzwischen Tropfen gekeltert, die auch Gourmets überzeugen.
D
Foto: Denbies Wine Estate
as English Wine Museum befindet sich in einem ehemaligen Viehstall und entspricht den Erwartungen: vier Vitrinen, darin einige Texttafeln, verstaubte Flaschen
und eine Sammlung Korkenzieher. So viel zur Geschichte
des englischen Weins.
Die Gegenwart ist ergiebiger. Nur wenige Schritte sind es
vom Museum hinüber in den Laden des English Wine Centre. Hier stapeln sich die Flaschen, türmen sich die Kisten,
drängen sich die Besucher. Seit 30 Jahren lockt das English
Wine Centre auf einem Bauernhof in East Sussex mit dem
bestsortierten Angebot an englischem Rebensaft. Anfangs
gab es wenig zu sortieren. Mittlerweile aber führen sie
hier 60 verschiedene Weine – weiße und rote, trockene
und süße, stille und schäumende. „Früher kamen die
Leute aus Neugier“, erzählt Mitarbeiterin Jan Smith, „inzwischen haben wir jede Menge Stammkunden“.
England wird Weinland. Nirgends ist es augenfälliger
als in Dorking, einer beschaulichen Kleinstadt in der hügeligen Grafschaft Surrey, 40 Kilometer südlich von
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Supplement zum Deutschen Ärzteblatt Heft 41/2008
London. Hier verfängt sich der Blick in den Südhängen der
North Downs, in den dichten Reihen der Rebstöcke, die hinabreichen bis ins Tal, wo sie einen feudalen Gutshof umschließen.
Wein, soweit das Auge reicht – Wein von Denbies, Englands
größtem Weingut mit rund 100 Hektar Anbaufläche und einer
Jahresproduktion von etwa 400 000 Flaschen.
Auch dank Denbies ist englischer Wein auf der Insel mittlerweile in aller Munde. In Supermärkten steht er in den Regalen, in Londoner Restaurants auf der Karte und bei manchem Gourmetkritiker hoch im Kurs. Das war vor Jahren
noch anders: Da wurde, was aus Englands Weinkellern
kam, verspottet oder schamvoll verschwiegen. Vielen
Winzern fehlte es schlicht an handwerklicher Erfahrung.
Zwar hatte der Weinbau in England bis ins späte Mittelalter eine große Tradition, doch ungünstige klimatische und
wirtschaftliche Umstände führten zum Niedergang und
im späten 19. Jahrhundert zum Ende des kommerziellen
Weinanbaus auf der Insel. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurden wieder einige Rebstöcke gepflanzt.
Foto: britainonview/John Miller
Bacchus oder Müller-Thurgau: Angebaut werden vor
allem deutsche Rebsorten, weil diese robust genug sind
für die durchwachsenen englischen Sommer.
Seither sind viele Engländer zum Weinberg gekommen wie
die Jungfrau zum Kind. Denbies etwa war vormals ein schlecht
laufender Schweinemastbetrieb. 1986 wandelte der Besitzer
den Hof auf Anraten eines ortsansässigen Geologen in ein Weingut um. Dem Mann war aufgefallen, wie ähnlich die kalkhaltigen Böden der North Downs denen der Champagne sind. Also
wurde umgebaut und angebaut – vor allem Wein deutscher Herkunft, da dieser robust genug war, um in den durchwachsenen
südenglischen Sommern zu gedeihen. Noch heute überwiegen
bei Denbies und den meisten anderen Weingütern in England
Rebsorten wie Bacchus oder Müller-Thurgau.
Mit dem Wein und der Erfahrung reiften in Dorking große
Pläne. Inzwischen ist Denbies eine Art önologischer Freizeitpark. Die Besucher kommen in Bussen und lösen Tickets für ein
üppiges Programm: den Weinkundefilm im Rundkino, die Kellereibesichtigung im Schienenfahrzeug, die Weinbergerkundung im Geländewagen. Die Rechnung geht auf: Zwei Drittel
seiner Weinproduktion verkauft Denbies an Ort und Stelle. Ein
solcher Rummel aber ist die Ausnahme. Die meisten der rund
400 Weingüter in England sind Familienbetriebe mit weniger
als drei Hektar Rebfläche – und mitunter schwer zu finden. Nutbourne Vineyards zum Beispiel. Von Dorking aus geht es nach
Süden, durch wellige Wald- und Wiesenlandschaft, auf kurvigen Straßen, vorbei an weißgetünchten Cottages, an Männern
mit Tweedjacketts und Backenbärten. Englischer wird es nicht.
Und irgendwo mittendrin, erreichbar nur über bucklige Feldwege: ein paar Weinberge rund um eine radlose Windmühle. Etwa
zehn Besucher kämen pro Tag, erzählt Bridget Gladwin. Vor
fünfzehn Jahren haben sie und ihr Mann das Weingut von einem
britischen Fabrikanten übernommen. Der hatte sich als Hobbywinzer versucht und unterschätzt, wie aufwendig die Bewirtschaftung eines Weinguts ist. Bridget aber belegte einen Collegekurs in „Vineyard Management“ und ist nun vollzeitbeschäftigte Weinbauerin. Dass sich Nutbourne trotz bescheidener
Besucherzahlen trägt, liegt an einem effizienten Vertriebssystem. Denn die Gladwins besitzen in London eine Catering-Firma und mehrere Restaurants. So gelangen der „Nutbourne Sussex Reserve“ und der „Nutbourne Windmill Selection“ direkt an
die Endverbraucher. Aber auch der Vorortverkauf in der Windmühle entwickelt sich gut. „Von unserem Schaumwein haben
wir oft nicht genug“, sagt Bridget. Letztes Jahr hat sie deshalb
neue Rebstöcke gepflanzt.
Vor allem wegen der Nachfrage nach Schaumwein erweitern
immer mehr englische Weingüter ihre Rebflächen. Auch im
English Wine Centre sei „Sparkling Wine“ der Verkaufsschlager,
erzählt Jan Smith. Erst recht, seit die britischen Medien immer
wieder von Blindverkostungen berichten, bei denen „Sparkling
Wines“ sogar renommierten Champagner hinter sich lassen. Selbst
im Buckingham Palace wird mittlerweile mit englischem Sekt angestoßen. Denn der Weinbau in Südengland profitiert nicht nur von
guten geologischen Bedingungen, sondern auch von steigenden
mittleren Temperaturen. Aufgrund der globalen Erwärmung, so
glauben Forscher, könnte Südengland die Champagne mittelfristig
gar als ideales Anbaugebiet der typischen Rebsorten Pinot Noir und
Chardonnay ablösen. Schon gibt es Gerüchte, einige Champagnerfirmen wollten ihre Produktion teilweise nach Sussex verlagern. So
könnte letztlich auch dem English Wine Museum eine bessere
Zukunft beschieden sein – mit weiteren Vitrinen, Flaschen und
Korkenziehern. Denn der englische Wein, so scheint es, hat seine große Vergangenheit erst noch vor sich. Dominik Fehrmann
Informationen:
Unterkunft: In Dorking zum Beispiel im urigen „Mercure
White Horse Hotel“ oder direkt im „Farmhouse“ von Denbies;
in Alfriston zum Beispiel im altehrwürdigen „The George Inn“.
Besichtigungen: Denbies Wine Estate, London Road, Dorking,
Surrey RH5 6AA, Telefon: 00 44/(0)13 06/87 66 16, www.den
biesvineyard.co.uk.
Nutbourne Vineyards, Gay Street, bei Pulborough, West Sussex
RH20 2HE, Telefon: 00 44/(0)17 98/81 51 96; www.nutbourne
vineyards.com.
The Englisch Wine Centre, Alfriston Roundabout, East Sussex
BN26 5QS, Telefon: 00 44/(0)13 23/87 01 64, www.english
wine.co.uk.
Auskünfte: Informationen über Wein und Weingüter in England
gibt es beim Verband „The English Wine Producers“, Telefon:
00 44/(0)15 36/77 22 64, www.englishwineproducers.com.
Supplement zum Deutschen Ärzteblatt Heft 41/2008
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