Gottesdienst Brüninghausen 06.11.2016 „Domini sumus“ Röm.14,7-9 Lieder: Mosaik 115,1-5; 178.10; 181.6; 527,1-4.8-10; O Wunder der Barmherzigkeit; 575,1-3 Luther – der zutiefst im Umgang mit der Heiligen Schrift gelebt hat und für den der Römerbrief eine hervorragende Rolle gespielt hat – kannte den Predigttext für heute. Er trug ihm in Herzen. Und gewiss haben die Worte, die wir jetzt hören, seinen seelsorgerlichen Rat an seinen angefochtenen Freund inspiriert. Lies: Röm.14,7-9 1. „Domini sumus!“ 2. Königlich frei? In Gottes Hand ein Leben mit Werten Vermutlich haben Sie es ja schon mitbekommen: Das Jahr des Gedenkens an die Reformation, die vor 500 Jahren ihren Anfang nahm, hat begonnen. Nicht nur deswegen sei es erlaubt, dass ich mit einem lateinischen Wortspiel Martin Luthers starte. Einer der engsten Freunde Luthers war Philipp Melanchthon. In einer Zeit, in der Luther vogelfrei war und – erst recht außerhalb Kursachsens – an Leib und Leben bedroht, musste Melanchthon oft Aufträge erfüllen, die ihn auch ins Ausland führten. Auch für ihn war das mit erheblichem Risiko verbunden. Und Melanchthon war in einer solchen Situation sehr angefochten und voller Angst. Da hat Luther in einem persönlichen Brief an seinen Freund zwei lateinische Worte geschrieben: „Domini sumus!“ – Dieser Kurzsatz lässt zwei Übersetzungen zu. Und Melanchthon als hervorragender Kenner der alten Sprachen wusste das genau. Erstens kann man übersetzen: „Wir sind des Herrn, wir gehören ihm und sind in seiner Hand.“ Und die andere Bedeutung: „Wir sind Herren.“ – Und genau diesen Zusammenhang wollte der Seelsorger seinem bedrängten Freund ins Herz schreiben: „Weil wir dem Herrn gehören, sind wir Herren.“ In seiner Hand können wir auch den Herausforderungen und Gefahren gegenüber treten, die auf uns warten. Als kleiner Zwischenschritt stellt sich die Frage: Vom wem redet Paulus eigentlich, wenn er „wir“ sagt? Erst einmal ganz einfach: Er meint die Christen in Rom, an die er schreibt, und sich selbst. Was er da schreibt, ist nicht zuerst eine allgemeine Feststellung, dass alle Menschen in der Hand eines seltsamen Herrgotts sind. Sein „Wir“ ist exklusiv. Christen sind gemeint, noch deutlicher: Menschen, die ihr Herz tatsächlich für Jesus geöffnet haben. Denn nur für diesen Personen-Kreis gilt: „Keiner von uns lebt nur für sich selbst… Denn wenn wir leben, leben wir für den Herrn.“ Für Paulus ist klar: Christen sind Menschen, bei denen ein Herrschaftswechsel stattgefunden hat. Sie sind „des Herrn“. Also Paulus verbreitet hier keine allgemein philosophische Erkenntnis, dass wir alle in den Händen eines Gottes aufgehoben sind oder bei einer Kraft irgendwo über dem Sternenzelt, nein, ihm geht es um ein Grundgesetz des Lebens für Menschen, die mit Jesus leben. Und da gilt als Überschrift: „Wir sind in der Hand Gottes – ganz gleich, was passiert.“ – Das darf uns trösten und in unserem Alltag begleiten. Auch in der Situation einer belächelten und angefochtenen Minderheit soll uns das den Blick schärfen für die wirklichen Machtverhältnisse. Und es soll unseren Alltag prägen – draußen und in der Gemeinde. Christen wissen: Gott ist drin in meinem Leben, er sieht mich. Er weiß um alles. Und er will seinen guten heiligen Einfluss auf mein Leben erweitern. Die Bibel nennt das „Heiligung“. Also Gott und seine Art gewinnen mehr und mehr Einfluss auf mein Leben. Ich halte ihm alle Sektoren hin und werde hellhörig für das, was er mit mir vorhat. Ich werde mich in meinem Lebensstil unterscheiden von anderen, weil ich das wichtig finde, was Gott wichtig findet. Ich werde mich von ihm verändern lassen. Dazu gehört auch, dass er mich sensibel macht für das, was sich ändern muss. Denn: wenn wir leben, dann leben wir für den Herrn. Und auch in unserem Umgang als Gemeinde hat das Konsequenzen. Paulus bearbeitet einen Konflikt in der Gemeinde. Da haben sich die Einen für die Starken angesehen – mit den besseren Einsichten, freier, heiliger als andere. Und da gibt es auch „Schwache“, die da nicht mitkönnen. Kann durchaus sein, dass die einen in ihrem Glauben weiter waren als die anderen. Das ist gar nicht das Problem für Paulus. Das wird ja auch immer wieder vorkommen. Aber, was es will: Er will dazu mahnen, dass Menschen in einer Gemeinde Rücksicht aufeinander nehmen und sich gegenseitig achten. Unsere Beziehung zu Jesus prägt unseren Lebensstil oder sie ist noch gar nicht unter die Haut gegangen. Manchmal macht es mir Sorge, wie viel Groll und alte Verletzungen unter der Oberfläche einer Gemeinde ihr unheiliges Werk tun. Oder da sind Ängste voreinander. Was werden wohl die anderen denken, wenn ich so lebe oder diese Meinung äußere. Wie mancher bleibt stecken in dieser Angst vor anderen und wird nicht wirklich frei zur Nachfolge Jesu. Was Paulus schreibt, ist ja ein Angebot königlicher Freiheit. Wir dürfen anders leben. Wir müssen uns nicht dem Druck einer gottlosen Gesellschaft beugen. Wir können befreit sein von der Diktatur dessen, was alle tun und denken. Christsein kann bedeuten: Ich lebe aufrecht, und ich halte mein tägliches Leben ganz offen und ehrlich Gott hin. Möglicherweise halten die anderen mich für bescheuert, für vorgestrig, für prüde und abgedreht. Mag sein. Aber mein Leben wird nicht unter dem Urteil der vielen gelebt, sondern es ruht in der Hand Gottes, der mich mehr und mehr prägen will und zu einem freien Leben an seiner Hand reifen lassen will. Und wenn ich mich auf diesen Weg begebe, dann bekommt mein Leben Profil, dann unterscheidet es sich, dann eckt es auch in einer stromlinienförmigen Gesellschaft an. Aber: Jesus ist mein Herr, und zuletzt kommt es darauf an, wie er mein Leben sieht. Das macht unabhängiger von den Meinungen der Menschen und schenkt Mut, zu einem anderen Leben. 3. Punkt oder Doppelpunkt? – Unser Ende ist Gottes Anfang Wir alle hier haben den Tod noch vor uns. Diese Wochen im November lassen die Gedanken auch in diese Richtung gehen. Um uns in der Natur sehen wir Sterben und Vergehen. Die Schwerpunkte unserer Sonntage kreisen um die letzten Dinge. Frage: Was bestimmt uns da? Der November-Blues? Schwermütige Gedanken, Flucht? Vielleicht irgendwohin in die Sonne, um diesen Empfindungen zu entkommen. Der Tod ist ja eines der großen Tabu-Themen unserer Zeit. Unangenehm ist es, daran erinnert zu werden. Peinlich und zu nah, wenn in einem Gottesdienst daran erinnert wird. Ist doch komisch, dass wir alle wissen, dass wir sterben müssen und viele sich so wenig darauf vorbereiten. Unsere Vorfahren haben da noch anders gelebt. Im AT betet Mose (Ps.90,12): Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. Aus früheren Zeiten kennt man sogenannte „Toten-Tänze“. Das sind Bildergalerien, in denen deutlich wird, dass uns der Tod jederzeit treffen kann. Ich kenne die Gepflogenheit, dass Menschen an dem Platz, an dem sie persönlich mit Gott reden, einen Totenkopf liegen haben, weil sie sich an ihre Vergänglichkeit erinnern lassen wollen, wenn sie vor Gott erscheinen. Ist das zu schräg? Paulus schreibt es so: Und wenn wir sterben, dann sterben wir für den Herrn! Auch unser letztes Ende in dieser Welt ist für Christen keine Frage des Zufalls. Sondern wir sind in Gottes Hand – mit unserem Leben und unserem Sterben. Ja, auch mit unserem Sterben. Gewiss, die Bibel ist da äußerst realistisch. Paulus selbst kann im 1.Kor. formulieren, dass der Tod „der letzte Feind“ ist. Kann sein, dass es nicht einfach wird. Kann sein, dass wir Angst haben. Aber Jesus Christus ist auch der Herr unseres Todes. In meinem persönlichen Gebet spielt dieser Gedanke schon eine Rolle. Wissen Sie für unseren Umgang mit dem eigenen Ende können viele Lieder unseres Gesangbuches eine Fundgrube sein. Da gibt es eine Abteilung „Sterben und ewiges Leben“. Sie sollten mal drin blättern. Mir wird für mich persönlich eine Formulierung aus einem dieser Lieder immer wichtiger: „Mein Gott, mein Gott, ich bitt durch Christi Blut: mach’s nur mit meinem Ende gut.“ Christen sterben an der Hand und in die Hand Gottes. Er ist Fachmann in Sachen Leben – und Sterben. Jesus ist da schon hindurchgegangen. Er hat die unheimliche Macht des letzten Feindes an sich selbst erlitten. Einsam und von Gott verlassen – gerade damit wir eine Hoffnung haben. Jesus ist der Sieger von Ostern! Er ist der Herr über den Tod. Hört sich das zu statisch an, zu richtig, zu dogmatisch? Im vergangenen Jahrhundert war der Schweizer Karl Barth einer der wichtigsten deutschsprachigen evangelischen Theologen. Er hat das Nachdenken über Gott im 20. Jahrhundert und auch viele Theologen nachhaltig geprägt. „Es wird regiert“, sagte er am Vorabend seines Todes seinem Freund Eduard Thurneysen am Telefon. Und fuhr fort: „Nur ja die Ohren nicht hängen lassen.“ Das darf für Christen über dem Leben und Sterben stehen. Gegen allen Augenschein, gegen unsere unzuverlässigen Gefühle. Es wird regiert. Wissen Sie, Paulus lädt ein in ein freies, souveränes Leben. Wir dürfen hier vor Gott als seine Kinder leben – frei und unabhängig von dem, was alle tun und gut finden. Wir dürfen seine guten Gaben genießen, und wir dürfen uns von seinem Lebensstil anstecken lassen. Wir leben dem Herrn. Und wenn unser letztes Stündlein kommt, dann sind wir auch in seiner Hand. Seine Hand ist die einzige, die an dieser letzten Grenze noch hält. Aber in ihr dürfen Christen getragene Leute sein. Einer der Präsidenten unserer Republik war der Christ Gustav Heinemann. Von ihm stammt der Satz: „Die Herren dieser Welt gehen, unser Herr kommt.“ Und diesem kommenden Herrn gehören wir als Christen. Für Paulus ist es klar. Unser Tod ist kein Punkt, sondern ein Doppelpunkt. Gerade diese letzten Sonntage im Kirchenjahr leisten uns den wichtigen Dienst, dass wir neu nach unserer Hoffnung fragen. Und die ist konkret. Christen haben eine Hoffnung auf ein neues Leben an seiner Hand. Ich habe hier schon öfter an die Narnia-Chroniken von C.S. Lewis erinnert. In der Rahmengeschichte geraten vier Kinder immer wieder in eine Parallelwelt, in der sie Jesus finden. Immer wieder müssen sie zurück. Im letzten Band ändert sich das. Die Kinder sind bei einem Eisenbahnunglück ums Leben gekommen. Ängstlich fragen sie die Jesus-Figur: Müssen wir wieder zurück in unsere Alltagswelt? – Nein, ist die Antwort. „Alles, was ihr bisher gelebt habt, war nur der Klappentext. Jetzt beginnt die eigentliche Geschichte. Und jedes Kapitel dieser Geschichte wird besser und größer als das Vorherige.“ Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.