Hören und Bauen - Forum

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Forum Holz│Bau│Frau Meran 09
Hören und Bauen | Peter Androsch
Hören und Bauen
Peter Androsch
Komponist, z.Z. Musikalischer Leiter
Linz 2009 Kulturhauptstadt Europas
Linz, Österreich
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Hören und Bauen | Peter Androsch
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Hören und Bauen | Peter Androsch
Hören und Bauen
Der Mensch: eine Person
Wer bauen will, muss hören, denn nur die Ohren nehmen Raum wahr. Nur sie ermöglichen dem Menschen, Raum zu erfassen. Menschengerechtes Bauen bedingt, den Menschen ins Zentrum zu stellen, ihn als Person zu respektieren. Die Person ist die Durchklingende, die - also einer Membran gleich - Schall abgibt und Schall aufnimmt. Nicht
ohne Grund wurde dieses Wort, das ursprünglich die Maske im etruskischen Theater bezeichnete, zum Synonym des Menschen schlechthin. Mensch ist, wer per-soniert, wer
schwingt.
Die Gründe liegen im Dunkeln, weshalb die Architektur in der Moderne zu einer tauben
Disziplin verkommen ist. Sie hat ihr Innerstes, die Verantwortung für die Gestaltung und
die Gestalt des Raumes verloren. Und seitdem schlingert sie auf wackeligem Grunde, ohne die von ihr geschaffenen Räume wahrnehmen und beurteilen zu können.
Die Basis liegt im Ohr
Die Basis aller Raumwahrnehmung liegt im Ohr. In ihm verbinden sich quasi zu einer Trinität die drei Sinnesapparaturen für Gleichgewicht, Orientierung und Gehör. Den meisten
ist das Ohr nach wie vor ein Rätsel, entzieht es sich doch der eigenen Aufmerksamkeit
durch die Unbewusstheit seiner Funktionsweise. Alle drei in ihm angesiedelten Sinne bedürfen jedoch dieser Unbewusstheit. Aber auch für Fachleute ist so manche Funktion und
Leistung des Ohres noch ungeklärt. Physiologisch lassen sich Außen-, Mittel- und Innenohr unterscheiden.
Der Gleichgewichtssinn legt im wahrsten Sinne des Wortes die Basis. Erst durch ihn können wir liegen, sitzen, gehen, spielen, bauen, planen, vor-stellen. Er verankert uns in der
Welt, gibt uns das Bezugssystem für alle Räume und Bewegungen. Sein Wirken ist unserer Kontrolle entzogen.
Das Gleichgewichtsorgan liegt eng verschränkt, ja nahezu verwoben im Innenohr. Seine
Teile, die beiden Vorhofssäckchen (Utriculus und Sacculus) und die drei Bogengänge,
funktionieren im Grunde durch die Wahrnehmung von Flüssigkeiten oder flüssigkeitsähnlichen Substanzen in ihrem Inneren durch induzierte Bewegungen. Sinneszellen innerhalb
der Organe senden Impulse über ihre Wahrnehmungen an den Hirnstamm. (Wahrscheinlich unzulässig vereinfacht, aber wohl plastisch vorstellbar, ist der Vergleich mit einem
halb gefüllten Gefäß. Die Oberfläche der Flüssigkeit tendiert auch bei Bewegung dazu,
wieder waagrecht einzupendeln. Sinneszellen im Inneren des Gefäßes könnten dies
wahrnehmen.)
Jedenfalls gelangen wir dadurch zur Grundlage unserer Existenz und zum Bemühen ihrer
Bewahrung durch komplexe Rückkopplungs- und Steuerungsmechanismen. Denken wir
an alltägliches Stolpern. Es ist erstaunlich, wie schnell, wie automatisiert und wie meist
erfolgreich die Wiedererlangung des Gleichgewichts erreicht wird, und wie wenig uns diese Tätigkeit in Anspruch nimmt. Die Sinnesinformationen werden im Hirnstamm, dem
ältesten Teil des Hirns, verarbeitet. Der Hirnstamm koordiniert neben dem Gleichgewicht
auch andere allgemeine Lebensfunktionen wie Herzschlag, Atmung und Stoffwechsel,
aber auch Reflexe. Würden diese Schutzreflexe nicht über das Rückenmark, sondern das
Großhirn erfolgen, wären sie um vieles zu langsam.
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Der Orientierungssinn
Der zweite in dieser Dreifaltigkeit ist der Orientierungssinn bzw. die Raumwahrnehmung.
Dadurch werden uns Informationen über die Beschaffenheit unseres Lebensraumes und
unserer Position in ihm geliefert. Vielleicht liegt ein tieferer Grund dahinter, dass der zur
Wahrnehmung notwendige Vorgang, sowohl im Geistigen, als auch im Körperlichen Reflexion heißt. Denn auch hier werden die grundlegenden Informationen aus Reflexion gewonnen, und zwar aus der Reflexion von Schallwellen in geschlossenen oder offenen
Räumen. Schon der erste Schritt in einen neuen Raum löst in uns einen Prozess der
"Raumeinschätzung" aus, der zuerst durch die Laufzeitdifferenz des Schalls möglich wird.
Jeder Schall, der uns erreicht, braucht von seiner Quelle bis zu den Ohren jeweils verschieden lang. Er weist somit verschieden lange Laufzeit auf zum linken und zum rechten
Ohr. Diese Laufzeit-Differenz, die in Sekundenbruchteilen meßbar ist, ermöglicht dem
Gehirn die Berechnung des Ortes der Quelle. (Der Vollständigkeit halber sei angemerkt,
daß auch die Form der Ohrmuscheln in diesem Prozess das ihre beiträgt.)
Gleichzeitig entziffern wir durch die Beschaffenheit der Schallreflexionen die Qualität des
Raumes. Es erschließt sich dadurch Größe, Form und Materialität. Wenn der simple Vergleich erlaubt ist, dann kann man sich Schallreflexion genauso vorstellen wie die Flugbahn von Sqashbällen. Wenn wir beim Beispiel des ersten Schrittes beim Eintritt in einen
Raum bleiben, dann wird der dadurch ausgelöste Schall von den Raumbegrenzungen zurückgeworfen. Einfallswinkel ist im allgemeinen Ausfallswinkel. Die für die Reflexion notwendige Zeitdauer erschließt die Raumgröße, die Anzahl von nacheinander stattfindenden Reflexionen noch dazu die Raumform und der reflektierte Frequenzbereich die
Raummaterialität. Intuitiv kennt diesen Vorgang jeder Mensch, - zum Beispiel immer
wieder beeindruckend vom Innenraumerlebnis in Kirchen. Daß diese raumwahrnehmende Leistung, also raum-ästhetische Leistung rätselhaft erscheint, macht sie
nur noch grandioser.
Form, Material, Reflektion
Form und Materialität eines Raumes determinieren die reflektierten Frequenzen. Es ist
nämlich nicht so, daß jeder Schall, der auf eine Wand o.ä. auftrifft, zur Gänze reflektiert
wird. Form und Material entscheiden, ob eher hohe, mittlere oder tiefe Anteile des ursprünglichen Schalls zurückgeschleudert werden. Weiches, hartes, oberflächlich heteromorph oder homomorph gestaltetes Material weist auch unterschiedliche Reflektionseigenschaften auf.
Gleichzeitig ist die Raumform gebaute Schallformung. Dies ist besonders klar, wenn parallel gestellte Wände Räume für Arbeit, Gespräch, Unterricht, kurz für alles, was mit
Sprache zu tun hat, unbrauchbar machen. Die Parallelität gefährdet in hohem Maße die
Sprachverständlichkeit. Der Sprachschall wird so rasch zu den Hörenden zurückgeschleudert, daß Doppel- und Dreifachinformation rasch ermüden oder sogar Unverständlichkeit
zur Folge haben. Sehr oft entwickeln sich zwischen den parallelen Flächen auch sogenannte "stehende Wellen". Das sind Wellen, die quasi ad infinitum reflektiert werden,
weil sie nicht abgelenkt werden und daher keine Energie abgeben können.
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Hören - unbewußt und ununterbrochen
Damit zum dritten im Bunde, zum Hörsinn: Er ist der Fluchtsinn schlechthin. Bis heute
funktioniert die schnelle Datenleitung in die ältesten Teile unseres Hirnes, die uns zur
Flucht oder Abwehrreaktion treiben. Auch das Hören kennzeichnet die Unbewußtheit der
Wahrnehmung. Wir wissen nicht, daß wir hören. Wir hören. Und wir wissen nicht, was wir
hören. Wir hören. Ein gesunder junger Mensch hört in einer Bandbreite von ungefähr 20
bis 20.000 Hertz. Diese Bandbreite reduziert sich quasi natürlich im Laufe des Lebens.
Geräusche, die auf Gefahren hinweisen, liegen tendenziell an den Rändern des menschlichen Hörvermögens, also sehr hoch oder sehr tief. Denken wir an die quietschenden Reifen im Straßenverkehr und den folgenden Schweißausbruch. Oder denken wir an die beängstigende Wirkung von tiefen Klängen im Kino. Beide Enden unseres Hörvermögens
sind eher den Gefahren zugeordnet. Gleichzeitig setzt uns eine akustische Umgebung in
Alarmstimmung, die von großen Gegensätzen in puncto Lautstärke, Frequenz, Tempo
gekennzeichnet ist.
Deshalb ist auch das Reflektionsverhalten eines Raumes von existenzieller gesundheitlicher Bedeutung. Formen und Materialitäten, die überwiegend die Frequenzanteile reflektieren, die die Warnfunktion unseres Gehörs aktivieren, setzen uns in Dauerstreß und
können massive gesundheitliche Schäden zur Folge haben. Monotone Materialwahl führt
zur Verzerrung der Raum- und Orientierungswahrnehmung und zu profunder Überlastung
des Sinnesapparates. Homomorphe Oberflächen, besonders bei harten Materialien, und
parallele Flächengestaltung führen zu eklatanter Verminderung der Sprachverständlichkeit, können wie akustische Verstärker wirken und somit zu gesundheitsschädlichen
Lautstärkepegeln führen. Dies ist im übrigen in österreichischen Schulen beängstigend
oft der Fall.
Materialitäten, die Reflektionsmuster erzeugen, die mit den visuellen Raumeindrücken
nicht in Übereinstimmung zu bringen sind, erzeugen Orientierungsprobleme, Streß, Konzentrationsschwäche.
Sowohl über die ontogenetische als auch phylogenetische Disposition des Ohres wäre
noch viel anzuführen, zu verfeinern, zu ergänzen, zu vertiefen. Auch wäre besonders die
Instrumentalität jedes Baus darzustellen. Unabhängig um welche Art von Bau es sich
handelt, sei es im Wohn-, Industrie-, Straßen-, Schienenbau oder anderswo. Jeder Bau
ist als Instrument, ja gegebenenfalls als Waffe zu begreifen. Als etwas Aktives, das in
jedem Falle gestaltend nach innen und nach außen wirkt. Offensichtlich ist also, daß bauliches Gestalten zwangsläufig akustisches Gestalten ist, unabhängig davon, ob dies bewußt oder unbewußt geschieht.
Hören ist Raumwahrnehmen
Umgekehrt ist Raumwahrnehmung ist eine Leistung des Hörapparates. Nur das Ohr beschert uns dreidimensionale Wahrnehmung, und keine Vor-Stellung wie das Auge. Deshalb heißt Bauen Hören.
Jede elementare akustische Gestaltung hat elementaren Einfluß auf den menschlichen
Körper. Gesundheit, Leistungsfähigkeit, Wohlbefinden, Entwicklungspotential werden
durch unsere akustische Umgebung existenziell geprägt. Die Architektur täte gut daran,
sich dieser Verantwortung zu stellen.
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