Antisense- Oligonukleotide

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M E D I Z I N
AKTUELL
AntisenseOligonukleotide
Gunther Hartmann
Martin Bidlingmaier
Katharina Tschöp
Andreas Eigler
Ulrich Hacker Nukleinsäuren zur gezielten Synthesehemmung
Stefan Endres krankheitsfördernder Proteine
ZUSAMMENFASSUNG
Stichwörter: Antisense, therapeutisches
Oligonukleotid, Pharmakotherapie
Molekularbiologische Techniken ermöglichen die Charakterisierung molekularer Mechanismen als Ursache von
Krankheiten. Die Kenntnis molekularer Grundlagen von
Erkrankungen ermöglicht nun die Entwicklung neuer Therapieformen auf genetischer Ebene. Während bei der
Gentherapie zusätzliche genetische Information in die Zelle
eingefügt wird, zielt die Anwendung von Antisense-Oligonukleotiden auf eine spezifische Hemmung der Bildung von
Zielproteinen. Obwohl das Wirkprinzip von Antisense-Oli-
gonukleotiden erstmals 1978 gezeigt
werden konnte, ist es bis heute nicht
vollständig gelungen, die methodischen Hürden hinsichtlich einer therapeutischen Anwendung zu überwinden.
Dennoch zeigen erste klinische Studien mit Antisense-Oligonukleotiden therapeutische Effekte bei weitgehend guter
Verträglichkeit. Obwohl diese Studienergebnisse mit
Zurückhaltung interpretiert werden müssen, ist anzunehmen, daß Antisense-Oligonukleotide längerfristig die Pharmakotherapie um ein grundsätzlich neues Wirkprinzip bereichern werden.
Key words: Antisense, therapeutic
oligonucleotide, pharmacotherapy
The rationale of the antisense strategy is to inhibit synthesis
of deleterious proteins by blocking the function of their corresponding mRNA. Antisense oligonucleotides are short
strands of synthetic nucleic acid which bind target RNA by
complementary base pairing. Oncogenic, proinflammatory
and viral proteins can form targets of this approach. Once established as a new pharmacologic principle, the development of antisense oligonucleotides is
expected to yield a number of valuable new drugs. Recently,
antisense drugs have entered clinical trials. In the present
overview, we summarize methodological aspects as well as
current therapeutic concepts and clinical studies.
W
ährend dem Wirkmechanismus zahlreicher Arzneimittel die Hemmung der Funktion von Proteinen zugrunde liegt,
greift das Prinzip der Antisense-Technik an der Bildung dieser Proteine an.
Ein Antisense-Oligonukleotid ist eine
kurzkettige synthetische Nukleinsäure
mit einer frei wählbaren Abfolge von
Basen. Ein Antisense-Oligonukleotid
bindet über komplementäre Basenpaarung an eine Nukleinsäure, deren
Basenabfolge dazu exakt paßt (SenseNukleinsäure). In dem entstehenden Nukleinsäure-Doppelstrang stehen sich immer die Basen Adenin und
Thymidin sowie Cytidin und Guanidin
gegenüber. Durch die spezifische Bindung des Antisense-Oligonukleotids
an die komplementäre Sequenz der
RNA des Zielproteins wird letztlich die
Bildung des Zielproteins verhindert
(Grafik 1). Antisense-Oligonukleotide
können synthetisch hergestellt und so
modifiziert werden, daß eine ausreichende Stabilität gegenüber abbauenden Enzymen gewährleistet ist (Grafik
2). Die wichtigste dieser Modifikationen ist die sogenannte Phosphorothio-
Unter folgender Internet-Adresse sind weitere
Informationen über Oligonukleotide abrufbar:
http://mki.medinn.med.uni-muenchen.de/klin-pharm
at-Modifikation. Dabei wird ein Sauerstoffatom im Phosphat durch ein
Schwefelatom ersetzt. AntisenseOligonukleotide werden von Zellen in
geringer Menge spontan aufgenommen. Zudem kann durch Verwendung
bestimmter Träger-Lipide eine Verbesserung der Aufnahme (Transfektion)
und eine für die Wirkung der Oligonukleotide günstigere intrazelluläre Verteilung erreicht werden (9).
Die Wirksamkeit von AntisenseOligonukleotiden in Zellkultur und in
vivo in Tiermodellen ist gut belegt (1,
12). Allerdings wurden neben der gezielten antisensevermittelten Hemmung des Zielproteins zusätzlich weitere Wirkungen von Antisense-Oligonukleotiden nachgewiesen, die unabAbteilung für Klinische Pharmakologie
(Leiter: Prof. Dr. med. Stefan Endres), Medizinische Klinik (Direktor: Prof. Dr. med. Dr.
h. c. Peter C. Scriba), Ludwig-MaximiliansUniversität München
A-1524 (40) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 24, 12. Juni 1998
SUMMARY
hängig von dem Antisense-Effekt auftreten. Diese sogenannten nicht antisensevermittelten Wirkungen von Oligonukleotiden beruhen auf deren Bindung an Proteine (2, 6). Die Bindung
von Antisense-Oligonukleotiden an
einzelne Proteine kann abhängig oder
unabhängig von der Basenabfolge
des Oligonukleotids auftreten. Die dadurch entstehenden nicht antisensevermittelten Effekte werden von der
Art der chemischen Modifikation des
Oligonukleotids beeinflußt. In verschiedenen experimentellen Systemen
konnten als solche nicht antisensevermittelten Effekte antivirale, antiadhäsive und immunstimulierende Wirkungen sowie eine Hemmung der Gefäßneubildung identifiziert werden (Grafik 3).
Die Gesamtwirkung eines Oligonukleotids setzt sich aus beiden Komponenten, antisense- und nicht antisensevermittelten Effekten, zusammen. Die Charakterisierung von nicht
antisensevermittelten Effekten ermöglicht einerseits das Vermeiden von Basenabfolgen und Modifikationen, die
unerwünschte Wirkungen von Oligo-
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AKTUELL
Grafik 1
AntisenseOligonukleotide
DNA
RNA
(1)
(3)
(6)
(4)
der DNA von Wirbeltieren ist diese
Zweiersequenz weniger häufig und
durch Anlagerung einer Methylgruppe
an der Base Cytidin verändert (im Gegensatz zu nicht methylierter bakterieller DNA). Wirbeltiere erkennen
über einen bislang nicht geklärten Mechanismus diesen Unterschied in der
Basenzusammensetzung von DNA.
Bei Wirbeltieren führt die Erkennung
von bakterieller DNA zu der Aktivierung einer unspezifischen Immunantwort. Die immunstimulierende Eigenschaft bakterieller DNA kann von synthetischen Oligonukleotiden imitiert
werden, die CpG-Dinukleotide enthalten und deren Basen nicht methyliert
sind. Eine Phosphorothioat-Modifikation dieser Oligonukleotide verstärkt
deren immunstimulierende Wirkung
(8). Bakterielle DNA oder Oligonukleotide mit CpG-Dinukleotiden aktivieren B-Lymphozyten zur Proliferation und zu erhöhter ImmunglobulinSynthese. Auch Monozyten, Makrophagen und dendritische Zellen werden direkt aktiviert. In
diesen Zellen kommt es zu einer verstärkten Synthese der
Zytokine
Tumor-NekroseFaktor-a und Interleukin-12.
Bakterielle DNA oder Oligonukleotide mit CpG-Dinukleotiden üben jedoch keinen
direkten Einfluß auf T-Lymphozyten aus.
Ribosom
(2)
(5)
Hemmung der
Protein-Synthese
Wirkmechanismus von Antisense-Oligonukleotiden. Unter physiologischen Bedingungen (linke Seite) binden Ribosomen an eine
mRNA (1) und vermitteln die Bildung einer Polypeptidkette (2).
Antisense-Oligonukleotide (rechte Seite) hemmen die Bildung eines einzelnen Zielproteins. Antisense-Oligonukleotide werden von
der Zelle aufgenommen (3) und binden sequenzspezifisch an die
komplementäre Ziel-RNA. Es entsteht ein Doppelstrang aus Oligonukleotid und der RNA (Heteroduplex) (4). Das zelleigene Enzym
RNAse H erkennt diesen Heteroduplex und spaltet den RNA-Anteil
(5). Das Oligonukleotid wird dadurch wieder frei, um an eine weitere Ziel-RNA zu binden. Zusätzlich führt die Hybridisierung des
Oligonukleotids mit der Ziel-RNA zu einer sterischen Hemmung der
Bindung von Ribosomen an die RNA (6).
Therapeutische
Konzepte
Auf dem Gebiet der therapeutischen Oligonukleotide zeichnen sich zwei Richtungen ab: die antisensevermittelte gezielte Hemmung
der Bildung von Zielproteinen und die Nutzung des
immunstimulierenden CpGvermittelten Effektes bestimmter Oligonukleotid-Sequenzen.
Bei inflammatorischen,
onkologischen und viralen
Erkrankungen sind Proteine
bekannt, die wesentlich zur
Pathogenese der jeweiligen
Erkrankung beitragen. So
führt bei inflammatorischen
Erkrankungen die Hemmung
A-1526 (42) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 24, 12. Juni 1998
der Bildung proinflammatorischer Zytokine und leukozytärer/ endothelialer
Adhäsionsmoleküle zu einer Verminderung der unerwünschten Entzündungsreaktion. Beispielsweise wurde
für das proinflammatorische Zytokin
Tumor-Nekrose-Faktor-a (TNFa) eine zentrale Mediatorfunktion bei akuGrafik 2
...
O
CH2
Base
Zucker
H
Phosphat
A
H
H
O
B
P
O
O
CH2
H
O
Base
Zucker
H
H
H
O
B
...
nukleotiden verursachen. Andererseits können nicht antisensevermittelte Effekte von Oligonukleotiden bei
bestimmten Indikationen auch erwünscht sein und die spezifische Antisense-Wirkung positiv ergänzen. So
können beispielsweise die oben erwähnten Effekte wie die Hemmung
der Adhäsion, die Immunstimulation
und die Hemmung der Gefäßneubildung in Verbindung mit einem Antisense-Effekt gegen ein Tumorprotein
synergistisch bei der Suppression des
Tumorwachstums wirken.
In therapeutischer Hinsicht ist die
nicht antisensevermittelte Immunstimulation durch Oligonukleotide von
besonderem Interesse (8, 10). Dieser
Effekt geht auf generelle Unterschiede
in der Basenzusammensetzung bakterieller DNA und der DNA von Wirbeltieren zurück. In bakterieller DNA
kommt die Zweiersequenz CytidinBase mit darauffolgender GuanidinBase (CpG-Dinukleotid) häufig vor. In
A
-O
-S
H
Modifikationen an der Phosphat-Gruppe:
Phosphodiester (unmodifiziert)
Phosphorothioat
B
– H Desoxyribonukleinsäure
– OH Ribonukleinsäure
Aufbau von Antisense-Oligonukleotiden. Ein Oligonukleotid besteht aus einer Kette von Zuckerringen, die
über eine Phosphatgruppe miteinander verbunden
sind. An den Zuckerringen hängt jeweils eine Base
(Adenin, Thymidin, Guanidin, Cytidin). Die Reihenfolge der Basen bestimmt die Sequenz einer Nukleinsäure, der Zucker die Art der Nukleinsäure (B:
Deoxyribose: DNA; Ribose: RNA). Bei einem Phosphorothioat-Oligonukleotid ist ein nicht bindendes
Sauerstoffatom der Phosphatgruppe durch ein
Schwefelatom ersetzt (A).
ten und chronisch entzündlichen Erkrankungen nachgewiesen (5). Die
Synthese von TNFa kann mit Antisense-Oligonukleotiden in Zellkultur spezifisch gehemmt werden (7). Unter den
leukozytären
Adhäsionsmolekülen
besitzt ICAM-1 (intercellular adhesion
molecule-1) eine zentrale Bedeutung
bei der Bindung verschiedener Entzündungszellen untereinander und an
das Gefäßendothel. Mit der Hemmung
der Expression von ICAM-1 durch
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Antisense-Oligonukleotide ist daher Hemmung der bcl2-Expression be- nellen Impfung gegen Infektionen.
ein entzündungshemmender Effekt zu sonders erfolgversprechend.
Weiterhin wurde nachgewiesen, daß
erwarten.
Auch die Bildung viraler Prote- das Funktionieren einer neuen, in
Bei Tumorerkrankungen tragen ine kann in experimentellen Studien Entwicklung befindlichen Impftechin der Regel mehrere proliferations- durch Antisense-Oligonukleotide ge- nik, der Immunisierung mit „nackter“
fördernde Proteine (Onkogene) par- hemmt werden. Antisense-Oligonu- DNA (DNA-Vakzinierung), abhänallel zum Wachstum eines Tumors bei. kleotide, die gegen bestimmte Gene gig ist von der Anwesenheit immunDeshalb ist die Hemmung einzelner des HIV (Humanes Immundefizienz- stimulierender Nukleinsäure-Sequenonkogener Proteine wenig erfolgver- virus), des HPV (Humanes Papillo- zen in der applizierten DNA (13).
sprechend. Bestimmte Proteinkinasen mavirus) und des CMV (Zytomega- Auch haben immunstimulierende
spielen jedoch eine übergeordnete lievirus) gerichtet sind, inhibieren die Oligonukleotide in Kombination mit
Rolle in der Regulation von Prolifera- Virus-Replikation. Punktmutationen tumorspezifischen Antikörpern bei
tion und Differenzierung von Zel- im viralen Genom schränken die lang- der Immuntherapie von experimenlen. Bei Leukämie-Zellinien führt die fristige Wirksamkeit von Antisense- tellen Tumoren positive Effekte geHemmung der Proteinkinase A1 Oligonukleotiden bei Viren jedoch zeigt.
(PKA1) mit einem Antisense-Oligo- ein.
nukleotid zu einer GleichgewichtsverNeben der antisensevermittelten
schiebung zugunsten der Expression Hemmung von Zielproteinen läßt sich
Klinische Studien
der Proteinkinase A2 (PKA2). Damit auch die CpG-vermittelte, immunstiDie wichtigsten klinischen Studiverbunden ist eine Hemmung der Pro- mulierende Wirkung von bestimmten
liferation und eine zunehmende Diffe- Oligonukleotid-Sequenzen therapeu- en sind in der Tabelle zusammengerenzierung der Tumorzellen. Auch für tisch nutzen (11). Immunstimulieren- faßt. Die systemische Applikation von
die Hemmung der Expression der Pro- de Oligonukleotide zeigten sich in Antisense-Oligonukleotiden in therateinkinasen Ca (PKCa) mit Antisen- tierexperimentellen Studien als po- peutischer Dosierung wird gut vertra!
se-Oligonukleotiden konnte eine Ver- tente Adjuvantien bei der konventio- gen.
minderung des Wachstums
Grafik 3
von verschiedenen tierexperimentellen Tumoren nachgewiesen werden.
Neben Proteinkinasen
Antisense-Oligonukleotide
bietet die Apoptose, der programmierte Zelltod, einen
wichtigen
übergeordneten
Angriffspunkt bei Tumoren.
In einem intakten ZellverBindung an Proteine
Bindung an RNA
band wird in einer Zelle mit
einem irreparablen Schaden
am Erbgut die Apoptose ausgelöst. Das Apoptose-Schutzprotein bcl2 (B-cell leukeNicht sequenzspezifisch
Sequenzspezifisch
Ziel RNA
Ziel RNA
mia/lymphoma 2) erhöht die
Vermittelt über
Vollständige SequenzVermittelt über
Partielle SequenzSchwelle, ab der die Apoptoelektrische Ladung
Komplementarität
Aptamer-Bindung
Komplementarität
se in Gang gesetzt wird. Tumorzellen weisen ausgeprägte Veränderungen im Erbgut
auf und schützen sich gegenüber dem programmierten
Nicht antisensevermittelt
Antisensevermittelt
Zelltod durch eine verstärkte
Immunstimulation,
Expression des ApoptoseHemmung der Adhäsion,
Spezifische Synthesehemmung
Schutzproteins bcl2. Die theHemmung der Gefäßneubildung
des Zielproteins
rapeutische Hemmung der
Bildung von bcl2 durch Antisense-Oligonukleotide zielt
auf eine Senkung der Schwel- Antisense- und nicht antisensevermittelte Wirkungen von Oligonukleotiden. Oligonukleotide binden an Nukleinsäuren und
le von Tumorzellen für die Proteine. Diese Bindung ist abhängig von der Sequenz und der chemischen Modifikation des Oligonukleotids. Die sequenzApoptose. Da viele Chemo- spezifische Bindung eines Antisense-Oligonukleotids an die komplementäre Ziel-RNA führt zu einer antisensevermittelten
therapeutika über eine In- Hemmung der Synthese des Zielproteins (rechte Seite, rot). Im Gegensatz dazu führt die Bindung eines Oligonukleotids an
duktion der Apoptose wir- partiell komplementäre RNA oder an Proteine zu nicht antisensevermittelten Effekten (linke Seite, grün). Ist die Bindung
ken, ist die Kombination von eines Oligonukleotids an ein Protein abhängig von der Sequenz des Oligonukleotids, so spricht man von einer Aptamer-BinChemotherapeutika mit einer dung (lateinisch: aptus = passend).
Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 24, 12. Juni 1998 (43) A-1527
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Nach positiven Ergebnissen von
Phase-II-Studien wurde das AntisenseOligonukleotid ISIS 2922 (Fomivirsen: phosphorothioatmodifiziertes Oligodeoxyribonukleotid, 20mer)
in klinischen Studien zur Behandlung
von virostatikarefraktärer Cytomegalie-Virus(CMV-)-Retinitis bei Patienten mit AIDS untersucht. Im März
(60 Patienten) zeigte sich bei 30 Prozent der behandelten Patienten eine
Rückbildung der Retinitis (Dauer bis
zu 100 Tage). Weitere Studienprotokolle untersuchen die optimale Dosierung in Abhängigkeit vom Stadium der Erkrankung und die Möglichkeit einer Kombination mit Ganciclovir.
II-Studie (40 Zentren) soll nun diese
positiven Effekte bestätigen.
Die Hemmung des ApoptoseSchutzproteins bcl2 mit einem Antisense-Oligonukleotid (Grafik 4) hat
in einer nicht kontrollierten Studie
an einer kleinen Gruppe von Patienten (n = 9) mit therapierefraktärem
Non-Hodgkin-Lymphom bei einem
Tabelle
Glossar
Klinische Studien mit Antisense-Oligonukleotiden
Stadium
Indikation
Zielprotein
Name
Firma
Phase III
CMV-Retinitis
bei AIDS
CMV-Protein1
ISIS 2922
(Fomivirsen)
ISIS/Novartis
Phase II
Morbus Crohn,
Colitis ulcerosa,
Rheumatoide
Arthritis,
Psoriasis,
NierentransplantatAbstoßung
Solide Tumuoren
Solide Tumoren
CMV-Infektion
ICAM-12
IIS 2302
ISIS/
Boehringer
Ingelheim
PKC a3
c-raf Kinase4
CMV-Protein
ISIS 3521
ISIS 5132
GEM 132*
ISIS/Novartis
ISIS/Novartis
Hybridon
bcl-25
G3139
Genta
Ha-ras6
HIV-Protein
HIV-Protein
HIV-Protein
HIV-Protein
–
–
ISIS 2503
ISIS 5320
GPs0193
AR177
GEM 92* +
–
–
ISIS
ISIS/NCI8
Chugai
Aronex
Hybridon
Lynx
Lynx
Phase I
Non-HodgkinLymphom
Solide Tumoren
HIV7-Infektion
HIV-Infektion
HIV-Infektion
HIV-Infektion
CML9
AML10
Abkürzungen: 1CMV, Zytomegalievirus; 2ICAM-1, intercellular adhesion molecule-1 (Adhäsions-Molekül); 3PKC a, Protein-Kinasen C a; 4c-raf Kinase (Protein-Kinase im mapKinase [mitogen activated protein kinase] Signaltransduktionsweg), 5bcl-2, B-cell leukemia /
lymphoma 2 (Anti-Apoptose-Gen); 6Ha-ras (Regulation von Proliferation und Differenzierung); 7HIV, humanes Immundefizienzvirus; 8NCI, National Cancer Institute; 9CML,
chronische myeloische Leukämie; 10AML, akute myeloische Leukämie. * 2. Generation
Oligonukleotid. + Orale Verabreichung.
1998 wurden die Phase-III-Studien
hierzu mit positivem Resultat abgeschlossen.
Die halbmaximale Hemmkonzentration (IC50) der CMV-Replikation in vitro beträgt für Fomivirsen
0,06 µM, für das Nukleosid-Analogon Ganciclovir (Cymeven) 30fach
höher (2 µM). Fomivirsen wird über
eine schmerzfreie Injektion in den
Glaskörper verabreicht, in den ersten drei Wochen je einmal wöchentlich, danach alle zwei Wochen. In einer Zwischenauswertung der Studie
Bei Patienten mit Morbus Crohn
wird die Wirksamkeit des AntisenseOligonukleotids ISIS 2302 gegen das
Adhäsionsmolekül ICAM-1 untersucht. In einer plazebokontrollierten
Phase-II-Studie an Patienten mit
therapierefraktärem Morbus Crohn
(Therapiegruppe 15 Patienten, Plazebogruppe fünf Patienten) wurde ISIS
2302 einen Monat lang jeden zweiten
Tag als Infusion gegeben (4). Es zeigte sich eine signifikante Einsparung
an Steroiden in der behandelten
Gruppe. Eine multizentrische Phase-
A-1528 (44) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 24, 12. Juni 1998
Antisense-Oligonukleotid: Einzelsträngige kurzkettige Nukleinsäure
mit einer Abfolge von Basen, die
genau komplementär (Antisense)
gegenüber einer Basenabfolge der
Ribonukleinsäure des Zielproteins
ist
Apoptose: Programmierter
Zelltod
Aptamer-Bindung: Sequenzspezifische Bindung eines Oligonukleotids an ein Protein
DNA: Deoxyribonukleinsäure
Heteroduplex: Nukleinsäure-Doppelstrang bestehend aus einem
Deoxyribonukleinsäure-Einzelstrang und einem Ribonukleinsäure-Einzelstrang
Hybridisierung: Bildung eines
Nukleinsäure-Doppelstranges aus
zwei komplementären Nukleinsäure-Einzelsträngen
Nukleasen: Enzyme, die Nukleinsäuren abbauen
Oligonukleotid: Kurzkettige einzelsträngige Nukleinsäure
Phosphorothioat-Modifikation:
Ein Sauerstoffatom der Phosphatgruppe der Nukleinsäure ist durch
ein Schwefelatom ersetzt. Die Nukleinsäure ist damit gegenüber
Abbau geschützt
Proteinkinasen: Enzyme, die an
bestimmten Aminosäuren von
Proteinen gezielt ein Phosphatatom ankoppeln und damit deren
Funktion beeinflussen
RNA: Ribonukleinsäure
mRNA: Messenger Ribonukleinsäure
RNAse H: Enzym, das den RNAStrang eines RNA/DNA-Doppelstranges abbaut
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Patienten zu einer kompletten Remission geführt (14). Bei einem weiteren
Patienten zeigte sich eine Verringerung des Tumorvolumens. Zur Dokumentation des Wirkmechanismus
konnte bei zwei von neun Patienten
eine Verminderung der bcl2-Expression nachgewiesen werden.
Perspektiven
rung des zugrundeliegenden Mechanismus wird derzeit intensiv untersucht.
Insgesamt ist zu erwarten, daß
therapeutische Oligonukleotide für
ausgewählte Indikationen in absehbarer Zeit Eingang in die Klinik finden
werden. International, mit Schwerpunkt in den USA, Kanada und der
Grafik 4
Antisense-Oligonukleotid gegen bcl-2
Das Konzept einer ziel5'
3'
T C T C CC AGCG TGCGC CA T
gerichteten Hemmung der
Bildung krankheitsverursaX X X A G A G G G T C G C A C G C G G T A X X X ...
chender Proteine mit Anti3'...
5'
sense-Oligonukleotiden zeigt
mRNA von bcl-2
in klinischen Studien bei viralen, inflammatorischen und
A Adenin
C Cytidin
Tumor-Erkrankungen erste
+
+
positive Ergebnisse. Die
T Thymidin
G Guanidin
Wirksamkeit eines Antisense-Oligonukleotids gegen
Antisense-Oligonukleotid gegen bcl2-Tumorzellen schützen sich
die CMV-Retinitis bei AIDS- durch eine vermehrte Bildung von bcl2 vor dem programmierten
Patienten ist nachgewiesen. Zelltod. Die Abfolge (Sequenz) der 18 Basen des Antisense-OligonuDie Untersuchungen bei Pa- kleotids ist komplementär („gegensinnig“) zu einem Abschnitt der
tienten mit Morbus Crohn mRNA von bcl2. Dabei stehen sich jeweils die Basen Adenin und Thyund mit Non-Hodgkin-Lym- midin sowie Guanidin und Cytidin gegenüber. Mit dem Antisense-Oliphom wurden bisher an gonukleotid wird eine spezifische Hemmung der Bildung von bcl2 erkleinen Patientenkollektiven reicht. Damit sinkt bei Tumorzellen die Schwelle zum programmierdurchgeführt und müssen ten Zelltod. Dieses Antisense-Oligonukleotid wurde in einer Studie
noch in größeren Studien be- bei Patienten mit Non-Hodgkin-Lymphom eingesetzt. A = Adenin;
T = Thymidin; C = Cytidin; G = Guanidin
stätigt werden.
Oligonukleotide
mit
verbesserten Eigenschaften sind in Schweiz arbeiten zahlreiche biotechder Entwicklung. Die chemischen nologische Unternehmen an der EntModifikationen dieser Oligonukleoti- wicklung von Oligonukleotiden als
de gewährleisten sowohl eine höhere neuen Therapeutika. In Deutschland
Affinität an die Ziel-RNA als auch ei- zählen dazu die Forschungsabteilunne höhere Stabilität gegenüber Nu- gen der Unternehmen Byk Gulden,
kleasen. Damit verbunden ist eine Hoechst und Boehringer Ingelheim.
Verstärkung der spezifischen Anti- Allerdings werden erst weitere klinisense-Wirkung und eine Verminde- sche Studien zeigen, ob bestimmte
rung von begleitenden unerwünsch- Antisense-Oligonukleotide den heute
ten Nicht-Antisense-Effekten. Einzel- etablierten Therapieformen tatsächne dieser Verbindungen zeigen auch lich überlegen sind.
nach oraler Applikation eine ausreichende Bioverfügbarkeit. Die orale
Die experimentellen Projekte der Abteilung
Gabe wird derzeit in einer klinischen
werden unterstützt durch die Wilhelm-SanderPhase-I-Studie getestet (Tabelle).
Stiftung (93.042.3), die German Israeli
Unter den nicht antisensevermitFoundation, die Deutsche Forschungsgemeintelten Effekten sind insbesondere die
schaft (En 169/3) und die Ernst- und BertaGrimmke-Stiftung. Dr. Martin Bidlingmaier
immunstimulierenden Eigenschaften
(Arbeitsgruppe Neuroendokrinologie, Priv.definierter Nukleinsäure-Sequenzen
Doz. Dr. Christian Strasburger) wird untervon therapeutischem Interesse. Vielstützt durch die Deutsche Agentur für Raumfahrtangelegenheiten. Wir bedanken uns bei
versprechend ist die Anwendung imDr. med. Matthias Tschöp für die Durchsicht
munstimulierender Oligonukleotide
des Manuskripts und Dr. rer. nat. Jochen Moelals Adjuvans bei Impfungen und im
ler, Felix Kratzer, Anne Krug, Bernd Jahrsdörfer und Angela Sonner für die Mitarbeit.
Rahmen der Immuntherapie von Tumoren. Die weitere CharakterisieA-1530 (46) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 24, 12. Juni 1998
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1998; 95: A-1524–1530
[Heft 24]
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Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Stefan Endres
Abteilung für Klinische Pharmakologie
Medizinische Klinik
Klinikum Innenstadt der LudwigMaximilians-Universität München
Ziemssenstraße 1 · 80336 München
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