Dr. Margarete Wiest Neue Autoritarismus in Osteuropa Vortrag in Hamburg 10. Mai 2006, 16-18 Uhr Forschungsstand und Begrifflichkeit Lange Zeit dominierte in der Forschung - v.a. der sog. Staatsformenlehre – die Ansicht, man könne die politischen Systeme zweiteilen: in Demokratien auf der einen Seite und NichtDemokratien auf der anderen Seite, wobei für Letztere unterschiedliche Begriffe benutzt wurden: Autokratien oder Diktaturen. Diese Autokratien bzw. Diktaturen wurden wiederum oftmals in autoritäre und totalitäre Subtypen unterteilt. Dabei herrschte die Vorstellung vor, die wichtigste Trennlinie verlaufe zwischen Demokratien und Nicht-Demokratien und sei dort relativ klar zu ziehen. Dagegen sei die Grenze zwischen den autoritären und totalitären Subtypen der Diktatur eher eine fließende. Es handelt sich dabei also mehr oder weniger um ein Kontinuum innerhalb der Nicht-Demokratien. Diese Zweiteilung machte erst langsam in den 60er und 70er Jahren einer Dreiteilung Platz: Als die zweite Demokratisierungswelle in den ehemaligen Kolonien und die demokratischen Hoffnungen in Lateinamerika vorerst gescheitert waren, reifte die Erkenntnis, dass die Mehrzahl der Staaten der Erde über politische Systeme verfügten, die sich qualitativ nicht nur von demokratischen, sondern auch von totalitären Systemen unterscheiden. Dies führte zur Idee, einen eigenen politischen Systemtypus einzuführen, der nicht einfach als Subtyp der Diktatur oder Autokratie anzusehen sei: einen Systemtypus sui generis – wie Juan Linz schrieb, der auf der Folie des Franco-Regimes in Spanien die Kennzeichnen des autoritären Systems herausarbeitete. Gegenüber der Zweiteilung weist die Dreiteilung der politischen Systeme zwei Vorteile auf: • Zum einen betont sie die qualitativen Unterschiede innerhalb der nichtdemokratischen Systeme. Die Vorstellung, dass sich autoritäre und totalitäre Systeme auf einem Kontinuum mit fließenden Übergängen befinden, verwässert diese Unterschiede dagegen . • Zweitens erscheint der Begriff des autoritären Systems klarer und eindeutiger als die Begriffe Diktatur und Autokratie. o Autokratie bedeutet eigentlich „Selbstherrschaft“ in dem Sinne, dass ein Herrscher (Individuum oder Gruppe) alle Staatsgewalt kontrolliert und dabei an keine Rechtsnormen gebunden ist (willkürliche Auslegung). Unter diese Definition würden viele Varianten autoritärer Systeme nicht passen, in denen sich die Regierenden entweder ganz oder teils an das Recht halten, z.b. rechstaatliche Autoritarismen (wie in den konstitutionellen Monarchien des 19. Jhds) oder solche mit einem nominalistischen Verfassungsverständnis (teilweise halten sich die Herrschenden an das Recht, teilweise nicht). Auch würden unter diesen Begriff keinerlei Aspekte der Gewaltenteilung oder – kontrolle fallen, die aber in beschränktem Maße sehr wohl in autoritären Systemen zu finden sind. o Der Begriff der Diktatur wiederum beschreibt im ursprünglichen Sinn eine Art Notstands- oder Krisenregierung: im antiken Rom konnte in solchen Situationen die Herrschaftsgewalt zeitweise auf eine einzelne Person übertragen werden, die diese nach der Frist von sechs Monaten wieder abzugeben hatte. Der Sinn der Diktatur bestand also darin, gerade die rechtmäßige Ordnung zu schützen. Noch bis ins 19. Jhd wies der Begriff der Diktatur daher durchaus eine positive Bewertung auf. Erst danach entwickelte sich der Begriff der Diktatur zu einer großzügige ausgelegten und negativ konnotierten Bezeichnung für politischer Herrschaft, die auf Zwang und Unterdrückung beruht. Wegen dieser unklaren Bedeutung erscheint es sinnvoll, den Terminus Diktatur für Situationen zu reservieren, die den ursprünglichen Wortsinn betreffen: also für Notstands- und Krisenregierungen und nicht als Oberbegriff für autoritäre und totalitäre Systeme. Aus den Diktaturen können natürlich autoritäre oder totalitäre Systeme hervorgehen, wenn die Notstandsmacht am Ende der vorgesehenen Zeit nicht wieder abgegeben wird. Aber Diktaturen unterscheiden sich von autoritären oder totalitären Systemen – wie Juan Linz ausführt – durch die temporäre Begrenzung und den geringen Institutionalisierungsgrad. Auch wenn die Mehrzahl der politischen System der Gegenwart als autoritär eingestuft werden können, ist es doch genau der Autoritarismus, der in der Forschung bislang am wenigsten Aufmerksamkeit auf sich zog. Dies liegt zum einen daran, dass sich die westliche Forschung auf die Erforschung des eigenen politischen Systems – der Demokratie – konzentrierte. Zum anderen trat mit dem Aufkommen faschistischer und kommunistischer Regime seit den 20er/30er Jahren neben die Diskussion um die Demokratie die Diskussion um den Totalitarismus - den unmittelbaren Gegner der westlichen Demokratien. Diese Diskussion hielt bis zum Zerfall des kommunistischen Herrschaftsbereich an. Die Erforschung der politischen Systeme, die zwischen Demokratie und Totalitarismus liegen, rückte dadurch lange Zeit in den Hintergrund. Die Vernachlässigung des Autoritarismus setzte sich dann nach dem Zerfall des kommunistischen Herrschaftsbereichs auch in der sog. Transformationsforschung fort. In Bezug auf die Transformationsstaaten Mittel- und Osteuropas stand dabei lange Zeit die „transition to democracy“ im Vordergrund, also die Annahme, dass sich diese Länder in Richtung Demokratie bewegten. Spätestens Mitte der 90er Jahre zeichnete sich aber ab, dass sich die Demokratie nicht in allen Transformationsstaaten „konsolidierte“, sondern die Demokratisierung scheiterte oder stecken blieb (z.B. in Russland, Ukraine, Belarus, den kaukasischen Staaten). Als Reaktion darauf entwickelte die Transformationsforschung zwei Konzepte, die explizit darauf gerichtet waren, diese Systeme der gescheiterten Demokratisierung nicht als autoritär zu begreifen. o Zum einen wurden sogenannte „verminderte Subtypen“ der Demokratie gebildet: dabei handelt es sich nicht um klassische Subtypen solche, die alle Kern-Kriterien einer Demokratie erfüllen), sondern um solche, die wichtige Definitionsmerkmale der Demokratie nicht erfüllen. Mittlerweile sind diese „Demokratien mit Adjektiven“ kaum mehr zu überschauen: „begrenzte Demokratie“, „kontrollierte Demokratie“, „delegative Demokratie“, „Wahldemokratie“, „autoritäre Demokratie“ oder „defekte Demokratie. Mit dieser Begriffswahl geht die Annahme einher, dass es sich bei diesen Systemen sehr wohl um Demokratien (bzw. Polyarchien) und nicht um autoritäre Systeme handelte; dass diese Demokratien aber spezifische Defizite aufwiesen. o Mit dem Konzept der „Demokratien mit Adjektiven“ sind zwei Probleme verbunden: ein konzeptionelles und eine politisches. Konzeptionell insoweit, als dadurch die saubere Unterscheidung zwischen demokratischen und autoritären Systemen verwischt und im Gefolge v.a. der Demokratiebegriff verwässert wird. Schließlich müssen diese „verminderten Subtypen“ nicht mehr alle Kernmerkmale einer Demokratie erfüllen. Konzeptionell ist es ein „logisches Problem“, wie Friedbert Rüb schreibt, wenn von den Kernprinzipien der Demokratie ein Subtyp gebildet wird, der genau diese Kernprinzipien verletzt, wie z.B. freie und faire Wahlen oder Rechtstaatlichkeit. „Kernprinzipien sind Kernprinzipien und ein Minimum ist ein Minimum, von dem nichts mehr subtrahiert werden kann“, so Rüb. Mit den „Demokratien mit Adjektiven“ ist darüber hinaus ein politisches Problem verbunden. Staaten, deren Transformation zur Demokratie gescheitert sind, als Demokratie zu bezeichnen, hilft den dortigen Regierenden, ihre Systeme nach außen und innen zu legitimieren. Besonders gut lässt sich dies am russischen Fall beobachten, wo der Begriff der „gelenkten Demokratie“, der von Putins Spin Doctors erfunden wurde, den autoritären Charakter des Systems verschleiert. o Neben den „Demokratien mit Adjektiven“ wurde von der Transformationsforschung das Konzept der „hybriden Regime“ entwickelt, um Systeme gescheiterter Demokratisierung zu beschreiben. Darunter werden Systeme verstanden, die Merkmale der Demokratie mit denen des Autoritarismus verbinden und damit weder als das eine, noch als das andere darstellen. Manche Forscher bezogen diesen Begriff des hybriden Regimes nur auf politische Systeme in der unmittelbaren Übergangszeit („Übergangsregime“, „Regime im Übergang“). Damit wird an der Trias festgehalten. Dagegen bezeichnen andere mit dem Begriff der „hybriden Regime“ auch konsolidierte Systeme. Das würde bedeuten, dass ein vierter gleichberechtigter Systemtypus zwischen Demokratie und Autoritarismus zu schalten sei. Versuche, hybride Regime als eigenständigen Systemtypus in der Forschung zu etablieren, stehen aber erst am Anfang. Es stellt sich aber insgesamt die Frage, ob dieses Vorhaben sinnvoll ist. Zum einen besteht die Gefahr, dass dieser vierte Systemtyp nur eine „Residualkategorie“ (Krennerich) darstellt, die alle sog. „Grauzonenregime“ aufsaugt. Zum anderen lässt sich argumentieren, dass Länder wie Russland, Belarus oder die kaukasischen Staaten sehr wohl mit dem Begriff des „autoritären Systems“ gefasst werden können, so dass keine Notwendigkeit besteht, einen vierten Systemtypus zu etablieren. Mittlerweile lässt sich in der Transformations-, v.a. aber in der Osteuropaforschung ein Umdenkprozess beobachten. Seit einiger Zeit werden sowohl „Demokratien mit Adjektiven“, als auch „hybride Regime“ verstärkt kritisiert. Zunehmend wird der Begriff des autoritären Systems benutzt. Dahinter steht die Feststellung, dass sich die Systeme der gescheiterten Demokratisierung nicht mehr länger als Übergangssysteme begreifen lassen. In der Zwischenzeit findet sich eine ganze Reihe von Arbeiten, die Russland, Belarus, die Ukraine oder die kaukasischen Staaten als autoritäre Systeme einordnen. Mittlerweile scheint fast das „in“ zu sein, was früher bei Demokratien Mode war: Autoritarismen mit Adjektiven zu bilden, wobei manchmal nicht klar ist, ob es sich dabei um verminderte oder klassische Subtypen autoritärer Systeme handelt: isolationärer Autoritarismus, bürokratischer Autoritarismus, kompetetiver Autoritarismus, softer Autoritarismus, inklusiver Autoritarismus. Meist handelt es sich bei den Adjektiven vor den Autoritarismen um beschreibende Begriffe, die auf der Basis einer Analyse von Einzelfällen entwickelt wurden. Was bisher fehlt, ist eine systematische Beschäftigung mit dem Autoritarismus – über die Einzelfälle hinaus. Was ist nun ein autoritäres System und wie kann dieser Systemtyp von Demokratien und totalitären Systemen abgegrenzt werden? In der Forschung wurden dazu unterschiedliche Kriterienkataloge entwickelt, auf die hier nicht eingegangen werden soll. Stattdessen möchte ich eine knappe Definition des Autoritarismus liefern, die den beschränkten Pluralismus als zentrales Merkmal dieses Systems in den Vordergrund stellt. Damit soll die Perspektive von der vorrangigen Fixierung auf demokratische Verfahren – also Wahlen und Referenda – verschoben werden: Zwar stellen Wahlen ein unverzichtbares Kriterium einer jeden Demokratie dar; aber mit diesem Kriterium allein wird es manchmal schwer, demokratische von autoritären Systemen zu unterscheiden. Denn auch in autoritären Systemen werden Wahlen und Referenda zur Herrschaftslegitimierung benutzt. In vielen postkommunistischen autoritären Systemen finden regelmäßig Wahlgänge statt, die nicht unbedingt dreist gefälscht sind, sondern die die Kriterien der allgemeinen, kompetetiven und freien Wahlen durchaus erfüllen können; allerdings wird das Kriterium der Fairness verletzt, da die Meinungsbildung im Vorfeld nicht frei stattfinden konnte: das verweist auf den eingeschränkten Meinungspluralismus, weniger auf den Wahlprozess selbst. == das alles soll nicht bedeuten, dass Wahlen keine große Bedeutung haben; aber es soll dafür sensibilisieren, dass Wahlen nicht den alleinigen Kern der Demokratie ausmachen. Auf diese Weise würde allein die Input-Seite der Demokratie betrachtet; der entscheidende Test für ein demokratisches System besteht aber darin, wie nach der Wahl mit der Macht umgegangen wird. Aussagekräftiger in dieser Hinsicht das Kriterium des Pluralismus. Ein pluralistisches System zeichnet sich dadurch aus, dass es autonome gesellschaftliche und damit auch politische Akteure gibt, die eigenständig ihre Interessen bestimmen und miteinander um gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Einfluss konkurrieren. Der Pluralismus lässt sich in drei Untergruppen einteilen: o politischen Pluralismus: o politische Opposition o politische Parteien o Verbände o Meinungspluralismus o Informations- und Meinungsfreiheit o Unabhängige Medien o Gesellschaftlicher Pluralismus o NGOs o Autonomie von Wirtschaft und Politik Anhand dieses Kriteriums – des Pluralismus – lässt sich der Autoritarismus als beschränkter Pluralismus definieren, im Vergleich zum weitgehend unbeschränkten Pluralismus der Demokratie und dem abgeschafften Pluralismus im totalitären System (bzw. Streben zum Aufheben). Dabei ist zu bedenken, dass der Pluralismus auch in demokratischen Systemen nicht völlig unbeschränkt ist. Damit der Wettbewerb der politischen Akteure um Einfluss nicht in Chaos ausartet und damit die Demokratie vor denjenigen geschützt wird, die sie aushebeln will, muss auch hier der Pluralismus eingeschränkt werden (Parteienverbote): in der Demokratie geschieht die Beschränkung aber durch den Ordnungsrahmen, den der Verfassungs- und Rechtsstaat setzt und diese Beschränkungen berühren das Prinzip der politischen Gleichheit nicht: Verfassungs- und Rechtsstaat sowie Prinzip der politischen Gleichheit also als weitere Kriterien der Demokratie. In autoritären Systemen wird der Pluralismus dagegen nicht eingeschränkt, um sein Funktionieren zu schützen, sondern um die Macht der Herrschenden auszuweiten. Die Beschränkungen des Pluralismus im autoritären System verletzen daher das Prinzip der politischen Gleichheit. Beschränkung des Pluralismus in den autoritären Systemen Osteuropas Anhand einiger Beispiele auf Georgien und Russland soll nun aufgezeigt werden, wie in den autoritären Systemen Osteuropas der Pluralismus eingeschränkt wird. Die Einschränkungen können dabei sowohl de jure – als auf dem Gesetzesweg - , als auch de facto stattfinden. Zum einen kann die Gründung von Parteien an so hohe Hürden gebunden werden, dass es für viele oppositionelle Gruppen schwer wird, diese zu nehmen: so fordert das neue russische Parteiengesetz, dass Parteien, um registriert zu werden, mindestens 50.000 Mitglieder in der Hälfte der Regionen nachweisen müssen: dies macht es gerade regional basierten Parteien fast unmöglich, zugelassen zu werden. Die Chancengleichheit der Parteien kann auch dadurch beschränkt werden, dass die Zentrale Wahlkommission einseitig besetzt wird. So brachte der neue georgische Staatspräsident Michail Saakaschwili nach der „Rosenrevolution“ ein Gesetz durch das Parlament, wonach nur mehr er allein die Mitglieder der Zentralen Wahlkommission besetzen darf. Das Parlament kann diesen Vorschlägen nur mehr zustimmen oder sie ablehnen, aber keine eigenständigen Kandidatenvorschläge formulieren. Der Einfluss des Präsidenten auf den Wahlprozess steigt damit deutlich. Eine weitere Möglichkeit, den politischen Pluralismus zu beschränken, besteht darin, Wahlgesetze so zu gestalten, dass oppositionelle Parteien deutlich benachteiligt werden. Beispielsweise sieht das neue Wahlgesetz zur russischen Staatsduma vor, dass künftig nur mehr Parteien in die Duma einziehen können, die mindestens 7% der Wählerstimmen auf sich vereinigen. Bisher lag die Grenze bei 5%. Betrachtet man, dass die beiden liberalen Parteien – Jabloko und SPS – bereits bei der letzten Dumawahl an der 5%-Hüde scheiterten, so dass heute keine liberale Opposition im russischen Parlament mehr vertreten wird, so wird es ihnen um so schwerer fallen, die 7%-Hürde zu überwinden. Auf ähnlichem Wege wird in Georgien die Opposition marginalisiert. Nach der siegreichen „Rosenrevolution“ vom November 2003 weigerten sich die „Revolutionäre“, die bisherige 7%-Hürde bei den anstehenden Parlamentswahlen vom März 2004 zu senken. Insbesondere OSZE und Europarat hatten darauf gedrängt, um der ohnehin „paralysierten“ Opposition überhaupt Chancen auf einen Einzug ins Parlament zu gewähren. Saakaschwili und seine Mitrevolutionäre gingen auf diese Bedenken aber nicht ein. Im Ergebnis gelangte nur ein einziges Oppositionsbündnis ins Parlament. Sowohl in Russland als auch in Georgien gelang es den dortigen „Parteien der Macht“ („Nationale Bewegung“ bzw. „Einheitliches Russland“), eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament zu erreichen. Sie verfügen damit über eine verfassungsändernde Mehrheit. Auch in einer weiteren Hinsicht weisen beide Parlament Ähnlichkeiten auf: in beiden wurde der innerparlamentarische Pluralismus beschränkt, indem alle Vorsitzendenposten in den Ausschüssen ausschließlich mit Mitgliedern der Regierungs-Fraktionen besetzt wurden. Die Möglichkeiten oppositioneller Abgeordneten, die Arbeit der Kammer zu beeinflussen, sind dadurch stark beschränkt. Neben dem politischen Pluralismus wird in den autoritären Systemen Osteuropas auch der gesellschaftliche und der Meinungspluralismus eingeschränkt. Auch hier lassen sich Fälle aus Russland und Georgien beispielhaft anführen. Seit dem Machtantritt Vladimir Putins wurde die Medienlandschaft Russland, die unter seinem Vorgänger El´cin durchaus noch lebendig und vielschichtig war, stark geschwächt. Mittels Strafverfahren gegen die Eigner großer unabhängiger TV-Sender wurden diese zum Verkauf ihrer Sender an staatliche oder halbstaatliche Stellen gezwungen. Vor der Dumawahl 2003 wurde der letzte unabhängige landesweite Fernsehsender TVS abgeschaltet. Lediglich im Bereich der Printmedien gibt es noch eine gewisse Vielfalt, die sich aber weitgehend auf die großen Städte Moskau und St. Petersburg beschränkt. Auch im neuen Georgien wird der Anti-Korruptions-Kampf instrumentalisiert, um die Eigner unabhängiger Medien gefügig zu machen. Das illustriert das Schicksal des bis dahin unabhängigen privaten TV-Senders „Rustawi-2“ anschaulich. Sein Eigner, Erosi Kitsmarischwili, hatte den Machtwechsel zunächst unterstützt, sich danach aber mit den „Rosenrevolutionären“ überworfen. Als der Sender begann, die Regierung zu kritisieren, warf die Steuerbehörde „Rustawi-2“ plötzlich vor, dem Staat und privaten Gläubigern 4,5 Millionen US$ zu schulden. Kitsmiraschwili musste daraufhin den Bankrott des Senders erklären, dessen Kontrollmehrheit sich in der Folge hochrangige Regierungsmitglieder sichern konnten. Es wird daher bereits von der „Putinisierung der georgischen Medien“ gesprochen. In der „Gleichschaltung“ von „Rustawi2“ manifestiert sich das defizitäre Demokratieverständnis der neuen georgischen Machthaber um so anschaulicher, als es genau dieser Fernsehsender war, zu dessen Verteidigung Saakaschwili Ende 2002 eine Protestbewegung angeführt hatte. Die Beschränkung des gesellschaftlichen Pluralismus manifestiert sich beispielsweise im neuen „NGO-Gesetz“ in Russland. Es schränkt die Finanzieruing russischer NGOs durch ausländische Kräfte massiv ein. Dahinter steht der Wunsch des Kreml, eine „farbige Revolution“ wie in Georgien oder der Ukraine auszuschließen. Denn bei diesen hatten die Träger der dortigen Protestbewegungen – die Jugendorganisationen Kmara und Otpor – Unterstützung durch die internationale Zivilgesellschaft erhalten. Unterschiede und Gemeinsamkeiten der autoritären Systeme Wie bei der Definition des Autoritarismus angeklungen ist, umfasst dieser eine große Bandbreite möglicher Ausprägungen. Die neuen autoritären Systeme in Osteuropa können sich daher in einer ganzen Reihe von Faktoren unterscheiden. Hier soll nun auf drei wichtige Unterschiede eingegangen werden. • Ein Unterschied besteht im Grad, zu dem der Pluralismus beschränkt wird. In manchen Ländern - wie Russland, Georgien oder der Ukraine unter Kutschma - sind die Beschränkungen noch relativ gering ausgeprägt. Dort existieren mehrere Oppositionsparteien, die zumindest ihre Kritikfunktion relativ offen ausüben können: über die Medien, im Parlament. Zumeist zeichnen sich autoritäre Systeme, in denen der politische Pluralismus nur mäßig beschränkt wird, auch durch einen wesentlich geringeren Repressionsgrad aus, als autoritäre Systeme, die den Pluralismus viel stärker beschränkten. Erstere versuchen meist, potentielle Opponenten in die Führungsriege zu kooptieren, anstatt sie ins Gefängnis zu werfen. Im Ergebnis stellt die sog. „Partei der Macht“ oftmals ein sehr schwammiges Konglomerat unterschiedlicher Gruppierungen dar: In Russland gehören zur obersten Führungsclique Bürokraten, die sog. Siloviki, also Personen aus dem Geheimdienst und Militär, die sog. St. Petersburger Juristen sowie einzelne Oligarchen. Diese Gruppen vertreten teils äußerst widersprüchliche Positionen – im Bereich der Wirtschafts- oder Außenpolitik. Diese Vielfalt an Meinungen ändert aber nichts an der Einordnung als autoritäre Systeme. Denn dieser „informelle Pluralismus“ an der Spitze der Macht ist nicht an den Wählerwillen rückgebunden: weder durch Wahlen (vertikale Gewaltenteilung), noch durch andere autonome politische Institutionen (Parlament, Verfassungsgericht). • Im Vergleich zu diesen eher „soften“ autoritären Systemen wird der Pluralismus in anderen Ländern Osteuropas wesentlich stärker eingeschränkt: Die politische Opposition in Aserbaidschan, Belarus, oder den zentralasiatischen Republiken wird soweit eingeschränkt, dass sie selbst ihre Kritikfunktion nur mehr rudimentär ausüben kann. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Medienlandschaft in diesen Ländern wesentlich stärker kontrolliert wird. In manchen dieser Staaten wird sogar versucht, auch die letzten Nischen des Meinungspluralismus zu kontrollieren. So wird in Turkmenistan der Internetzugang staatlich überwacht. In diesen Ländern ist auch der Repressionsgrad wesentlich höher ist als in den eher „softeren“ autoritären Systemen. Hier gehen Polizei, Geheimdienste und Militär wesentlich härter gegen Oppositionspolitiker und oppositionelle Bewegungen vor: die Zahl politisch motivierter Verhaftungen - teils ohne Gerichtsverfahren über Jahre hinweg - ist höher, staatliche Folter und das Verschwindenlassen der Gegner an der Tagesordnung. In diesen Systemen versuchen die Herrscher zwar teilweise auch, ihre Gegner in ihr System zu kooptieren; das vorherrschende Mittel der Herrschaftssicherung besteht aber in der Repression. Es verwundert daher nicht, dass in solchen Ländern die Sicherheitsdienste zumeist eine wichtigere Stütze der Macht darstellen, als in den eher softeren autoritären Systemen: Zwar stellen die „siloviki“ auch in Russland eine wichtige Stütze der Putinschen Macht dar; daneben existieren aber wie bereits erwähnt noch andere Stützen, allen voran die Bürokratie. In Belarus beruht dagegen die Macht des Präsidenten in herausgehobener Weise auf dem Geheimdienst, der dort immer noch den Namen KGB trägt. Stabilität autoritärer Systeme Sowohl die softeren, als auch die repressiveren autoritären Systeme weisen spezifische Instabilitäten auf: o Zum einen erweisen sich gerade die eher softeren autoritären Systeme als anfällig für „Revolutionen“, also von unten erzwungene Machtwechsel. Dies hat zum einen damit zu tun, dass die Medienfreiheit hier wesentlich weniger eingeschränkt ist als in Belarus, Aserbaidschan oder den zentralasiatischen Staaten. Dass Demonstranten auch aus weit entfernten Gebieten zu den Massendemonstrationen nach Tiflis und Kiev strömten, hat auch mit der Existenz unabhängiger Fernsehsender zu tun, die über diese Ereignisse berichteten. In Belarus war dies nicht der Fall, wodurch die Mobilisierungskraft der Opposition geschwächt wurde. Zum anderen konnten sich in Georgien und der Ukraine überhaupt Oppositionsparteien entwickeln, die nicht nur eine thematische und personelle Alternative zur Regierung aufstellten, sondern auch über eine gewisse Stärke verfügten. Ein Kennzeichen der „farbigen Revolutionen“ stellt sicherlich die Tatsache dar, dass die politischen Träger dieser Revolutionen zumeist Politiker waren, die aus dem alten Regime stammten, zu einem bestimmten Zeitpunkt aber mit diesem gebrochen hatten: Viktor Juschenko war einst Ministerpräsident unter Kutschma gewesen, Michail Saakaschwili Justizminister unter Schewardnadse. Der Mechanismus der Kooptation stellt also ein ambivalentes Herrschaftsinstrument dar, das sich auch gegen die Herrschenden richten kann: denn die Politiker, die dem alten Regime einst angehört, dann aber mit diesem gebrochen hatten, verfügen über ein wichtiges Machtpotential: Verbindungen in den obersten Machtkreisen und v.a. landesweiten Bekanntheitsgrad. o Aber auch äußerst repressive autoritäre Systeme können instabil sein: Indem sie der Opposition kaum Bewegungsspielraum zugestehen, fördern sie das Entstehen einer radikalen Anti-System-Opposition. Dieser Opposition, die zumeist illegal ist, geht es dann nicht mehr um die Machtbeteiligung, sondern um den vollständigen Sturz des Regimes. So ließ der usbekische Präsident Islam Karimov fast alle oppositionellen politischen Parteien verbieten, was zur Radikalisierung der Opposition führte. Die wichtigste Alternative zum Regime stellen heute islamistische Kräfte dar. Vor diesem Hintergrund ist eine Spaltung der Gesellschaft nicht ausgeschlossen. Dies wiederum könnte dazu führen, dass ein Machtwechsel in Usbekistan weniger einen friedlichen, sondern eher einen gewaltsamen Charakter annehmen kann. Die Radikalisierung der Opposition stellt daher immer auch ein Gefährdungspotential für die autoritären Systeme dar. Hindernisse auf dem Weg zu einer erfolgreichen Demokratisierung Das wichtigste Hindernis stellt die fehlende Existenz eines funktionierenden Verfassungsund Rechtstaats dar. Das zeigt sich zum einen an zahlreichen Verfassungsänderungen, durch die die grundlegenden formalen Rechte den jeweiligen Interessenlagen der Regierenden angepasst werden. In diesem Sinne aufschlussreich ist, dass sich die „Rosenrevolutionäre“ in Georgien nach ihrem Sieg als erstes daran machten, die Verfassung zu ändern: zugunsten des Präsidenten. Dabei warteten sie nicht, bis das Parlament neu gewählt worden war, sondern boxten die Änderungen durch das alte - in Auflösung und Chaos begriffene und damit delegitimierte – Parlament. Die Machthaber in den autoritären Systemen scheuen darüber hinaus auch nicht vor offenem Verfassungs- und Rechtsbruch zurück, wenn es ihnen nützlich scheint. Zwar verfügen alle postkommunistischen autoritären Systeme– mit der Ausnahme Turkmenistans – über ein Verfassungsgericht. Ihre Existenz garantiert aber nicht, dass sie für einen effektiven Rechtsschutz sorgen. Denn sie bestehen, sind aber nicht unabhängig. Die mangelnde Unabhängigkeit hat unterschiedliche Ursachen: In manchen Ländern wie Russland oder Aserbaidschan wurde das Verfassungsgericht erst spät eingerichtet bzw. arbeitsfähig. Es musste seine Arbeit daher in einem Umfeld aufnehmen, das sich bereits durch eine ausufernde Exekutive auszeichnete. In manchen Ländern sicherte sich der Präsident zudem einen übermäßigen Einfluss auf die Besetzung der Verfassungsgerichte: In Russland gelang es Putin mittels einer Reform des Oberhauses, die Besetzung des Verfassungsgerichts de facto in seine Hände zu legen. Nach der Verfassung besitzt er lediglich das Vorschlagsrecht für die Verfassungsrichter; der Föderationsrat kann den Vorschlägen zustimmen, oder sie ablehnen. Unter Präsident El´cin kam es dabei nicht selten zu heftigen Machtkämpfen zwischen den beiden Staatsorganen. Indem Putin die mächtigen Gouverneure aus dem Föderationsrat entließ und dort größtenteils nun pro-präsidentielle Senatoren sitzen, segnet die zweite Kammer die Kandidatenvorschläge des Präsidenten ab. Eine ähnliche Aushebelung der Gewaltenteilung findet sich in Belarus oder Tadschikistan. So ernennt zwar das Oberhaus in Tadschikistan die Verfassungsrichter, aber dieses selbst wird zu einem Viertel vom Präsidenten ernannt. Die Ursache für die mangelnde Rechtstaatlichkeit in den autoritären Systemen zaristischen Osteuropas Erbe. liegt Denn zudem am kommunistischen diese Systeme kannten und keine Rechtstaatlichkeit. Die Ursache für mangelnde Rechtstaatlichkeit muss darüber hinaus auch in mangelnder Finanzierung und Ausbildung der Richter gesehen werden. Die mangelnde Rechtstaatlichkeit kann als ein wichtiges Hindernis für die Demokratisierung der autoritären Systeme angesehen werden. Solange die Rechtsorgane ihre Arbeit nicht effizient erfüllen bzw. erfüllen können, solange die Herrschenden das Recht nicht als verbindlich achten und solange sich keine entsprechende Rechtskultur herausbildet, solange wird sich weder der Pluralismus entfalten können, noch die Wahlen demokratischen Standards entsprechen noch die bürgerlichen Freiheitsrechte unumschränkt Geltung entfalten. Zweitens stellt eine effiziente Staatlichkeit eine Vorbedingung für eine erfolgreiche Demokratisierung dar. Darunter sind eine funktionierende staatliche Infrastruktur sowie eine effiziente Bürokratie, Militär und Polizei zu verstehen. Nur mit ihrer Hilfe kann der Staat sein Gewaltmonopol durchsetzen. Dieses wiederum ist wichtig, um die demokratischen Grundprinzipien durchzusetzen.. o In allen osteuropäischen autoritären Systemen ist der Staat – auch wenn er teilweise nach außen den Eindruck der Stärke vermittelt – schwach: Das ist Folge v.a. folgender Faktoren: Erbe der Sowjetzeit, als der Staat nur ein Instrument der Partei war: Zum anderen Folge ethno-territorialer Konflikte, die in vielen der Staaten während oder nach dem Zusammenbruch des Kommunismus ausbrachen: Ex-Jugoslawien, Kaukasus, Tadschikistan. unter der Kontrolle des Zentrums. Drittens dürfen die gesellschaftlichen Voraussetzungen nicht übersehen werden. Bis heute zeichnen sich die autoritären Systeme in Osteuropa durch eine schwache gesellschaftliche Selbstorganisation aus.. Zwar liegt die schwache Rolle der politischen Opposition in diesen Ländern zu einem großen Teil an der Unterdrückung durch die Herrschenden; Zugleich spielt hierbei aber auch die Schwäche der Gesellschaft eine Rolle. Die Entstehung von „Programmparteien“ wiederum stellt eine Voraussetzung dafür dar, dass das Parlament zu einer autonomen Institution werden kann und damit den „exzessiven Exekutionalismus“ (Rüb) überwinden kann.