Agarplatte, Objektträger, Kunst am Bau?

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07.11.2008
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KA R R IE R E , KÖP FE & KON Z EPTE
Virologie Marburg
Agarplatte, Objektträger, Kunst am Bau?
HARTMUT FOLLMANN
MARBURG
ó Wer auf dem Campus Lahnberge der Universität Marburg auf dem Weg zur Mensa ein
neues Gebäude abseits am Wald bemerkt,
wird vielleicht an nichts Besonderes denken.
Erkennt man aber bei näherem Hinsehen,
dass der Bau kein Eingangsportal und praktisch keine Fenster hat, von gewaltigen Schloten gekrönt ist und eine völlig geschlossene,
seltsam aussätzig anmutende Außenhaut aufweist, dämmert einem doch Besonderes: Vielleicht herrschen drinnen Hochsicherheitsbedingungen? Aber gegen was?
Die Rede ist von dem vor einem Jahr eingeweihten BSL 4-Labor des Instituts für Virologie zum Arbeiten mit hochpathogenen
Viren. In Deutschland hat nur das neue Labor
des Tropen-Instituts in Hamburg denselben
Sicherheitsstandard und in Europa gibt es
noch vergleichbare in London, Lyon und
Stockholm. Nach Marburg kam der HightechNeubau nicht von ungefähr: Hier starben im
Sommer 1967 fünf Menschen an hämorrhagischem Fieber nach Infektion mit einem bis
dahin unbekannten Virus – dem „MarburgVirus“. In der Stadt brach beinahe Panik aus,
denn die Opfer waren weder Forscher noch
leichtsinnige Afrika-Touristen, sondern Mitarbeiter der Marburger Behring-Werke, die
mit Blut von aus Uganda importierten Meerkatzen Kontakt gehabt hatten, und es dauerte Wochen bis Hans-Dieter Klenk und Werner Slenzka, erfahrene Virologen, mit damaligen Methoden die Affen als Überträger identifizieren und den tödlichen Erreger sichtbar
machen konnten.
Nun ziert das Marburg-Virus fast metergroß alle Seiten des BSL 4-Labors. In natura
sind die fadenförmigen, oft umgebogenen Partikel etwa 800 nm lang und 80 nm im Durchmesser. Es sind ssRNA-Viren (Filoviridae),
deren Genom für sieben Proteine codiert. Als
ihr Wirtstier gilt der in Höhlen lebende Nilflughund. In Europa sind keine weiteren
Infektionen aufgetreten, aber in Afrika sterben immer wieder Menschen daran: Ein Medikament oder Impfstoffe dagegen gibt es bis
heute nicht!
Ziel der Arbeit in Hochsicherheitslaboratorien ist es unter anderem, die Vermehrung
von zoonotischen Viren wie Ebola, Lassa,
SARS, Vogelgrippe und gegebenenfalls neu
auftretenden Erregern (emerging viruses) zu
verstehen und Strategien zur Therapie zu entwickeln. Kein Wunder, dass in der Arbeitsgruppe des neuen Institutsdirektors Stefan
Becker das Marburg-Virus ein wichtiges Forschungsobjekt bleibt: Auch mit gentechnisch
veränderten Varianten kann hier sicher experimentiert werden, was im Vorgänger-Labor
der 1980er-Jahre nicht möglich war. Die Virologie Marburg ist jetzt ein nationales und
internationales Kompetenzzentrum für Diagnostik und Erforschung hochinfektiöser
Erkrankungen und arbeitet dabei mit dem
Kompetenzzentrum für importierte lebensbedrohliche ansteckende Krankheiten im Klinikum der Uni Frankfurt eng zusammen.
„Killerviren“ als Kunst am Bau sind wahrscheinlich einmalig und waren bestimmt
nicht billig zu haben; bei fast 12 Millionen
Euro Baukosten (finanziert von Bund und
Land) für das Gebäude von 20 m × 20 m
Grundfläche und 500.000 Euro jährlichen
Betriebskosten fällt die Dekoration mit
bedruckten Alukubond-Platten allerdings
wenig ins Gewicht. Schade eigentlich, dass
Orts- und Fachfremde, die hier vorbeikommen und die ungewöhnliche Ansicht nicht
deuten können auch nirgends erfahren, welch
ebenso gefährlichen wie interessanten Objekten sie sich gegenüber sehen – ganz gefahrlos, denn die 500.000fach hypertrophiert
abgebildeten Viren werden bestimmt keine
menschliche Zelle infizieren. Sie wollen sich
bei Gelegenheit den Bau ansehen? Benutzen
Sie an der Einfahrt zum Fachbereich Chemie
und Biomedizinischem Forschungszentrum
rechter Hand den obersten Parkplatz am
Wald. Da Sie ohnehin keinen Zugang zu den
Arbeitsräumen erhalten, müssen Sie anschließend auch keine Dekontamination in Peroxyessigsäure befürchten!
ó
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Hartmut Follmann
Universität GH Kassel
FB 19, Biochemie
Heinrich-Plett-Straße 40
D-34109 Kassel
Tel.: 0561-8044511
Fax: 0561-8044466
[email protected]
BIOspektrum | 07.08 | 14. Jahrgang
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