747_784_BIOsp_0708.qxd 766 07.11.2008 10:02 Uhr Seite 766 KA R R IE R E , KÖP FE & KON Z EPTE Virologie Marburg Agarplatte, Objektträger, Kunst am Bau? HARTMUT FOLLMANN MARBURG ó Wer auf dem Campus Lahnberge der Universität Marburg auf dem Weg zur Mensa ein neues Gebäude abseits am Wald bemerkt, wird vielleicht an nichts Besonderes denken. Erkennt man aber bei näherem Hinsehen, dass der Bau kein Eingangsportal und praktisch keine Fenster hat, von gewaltigen Schloten gekrönt ist und eine völlig geschlossene, seltsam aussätzig anmutende Außenhaut aufweist, dämmert einem doch Besonderes: Vielleicht herrschen drinnen Hochsicherheitsbedingungen? Aber gegen was? Die Rede ist von dem vor einem Jahr eingeweihten BSL 4-Labor des Instituts für Virologie zum Arbeiten mit hochpathogenen Viren. In Deutschland hat nur das neue Labor des Tropen-Instituts in Hamburg denselben Sicherheitsstandard und in Europa gibt es noch vergleichbare in London, Lyon und Stockholm. Nach Marburg kam der HightechNeubau nicht von ungefähr: Hier starben im Sommer 1967 fünf Menschen an hämorrhagischem Fieber nach Infektion mit einem bis dahin unbekannten Virus – dem „MarburgVirus“. In der Stadt brach beinahe Panik aus, denn die Opfer waren weder Forscher noch leichtsinnige Afrika-Touristen, sondern Mitarbeiter der Marburger Behring-Werke, die mit Blut von aus Uganda importierten Meerkatzen Kontakt gehabt hatten, und es dauerte Wochen bis Hans-Dieter Klenk und Werner Slenzka, erfahrene Virologen, mit damaligen Methoden die Affen als Überträger identifizieren und den tödlichen Erreger sichtbar machen konnten. Nun ziert das Marburg-Virus fast metergroß alle Seiten des BSL 4-Labors. In natura sind die fadenförmigen, oft umgebogenen Partikel etwa 800 nm lang und 80 nm im Durchmesser. Es sind ssRNA-Viren (Filoviridae), deren Genom für sieben Proteine codiert. Als ihr Wirtstier gilt der in Höhlen lebende Nilflughund. In Europa sind keine weiteren Infektionen aufgetreten, aber in Afrika sterben immer wieder Menschen daran: Ein Medikament oder Impfstoffe dagegen gibt es bis heute nicht! Ziel der Arbeit in Hochsicherheitslaboratorien ist es unter anderem, die Vermehrung von zoonotischen Viren wie Ebola, Lassa, SARS, Vogelgrippe und gegebenenfalls neu auftretenden Erregern (emerging viruses) zu verstehen und Strategien zur Therapie zu entwickeln. Kein Wunder, dass in der Arbeitsgruppe des neuen Institutsdirektors Stefan Becker das Marburg-Virus ein wichtiges Forschungsobjekt bleibt: Auch mit gentechnisch veränderten Varianten kann hier sicher experimentiert werden, was im Vorgänger-Labor der 1980er-Jahre nicht möglich war. Die Virologie Marburg ist jetzt ein nationales und internationales Kompetenzzentrum für Diagnostik und Erforschung hochinfektiöser Erkrankungen und arbeitet dabei mit dem Kompetenzzentrum für importierte lebensbedrohliche ansteckende Krankheiten im Klinikum der Uni Frankfurt eng zusammen. „Killerviren“ als Kunst am Bau sind wahrscheinlich einmalig und waren bestimmt nicht billig zu haben; bei fast 12 Millionen Euro Baukosten (finanziert von Bund und Land) für das Gebäude von 20 m × 20 m Grundfläche und 500.000 Euro jährlichen Betriebskosten fällt die Dekoration mit bedruckten Alukubond-Platten allerdings wenig ins Gewicht. Schade eigentlich, dass Orts- und Fachfremde, die hier vorbeikommen und die ungewöhnliche Ansicht nicht deuten können auch nirgends erfahren, welch ebenso gefährlichen wie interessanten Objekten sie sich gegenüber sehen – ganz gefahrlos, denn die 500.000fach hypertrophiert abgebildeten Viren werden bestimmt keine menschliche Zelle infizieren. Sie wollen sich bei Gelegenheit den Bau ansehen? Benutzen Sie an der Einfahrt zum Fachbereich Chemie und Biomedizinischem Forschungszentrum rechter Hand den obersten Parkplatz am Wald. Da Sie ohnehin keinen Zugang zu den Arbeitsräumen erhalten, müssen Sie anschließend auch keine Dekontamination in Peroxyessigsäure befürchten! ó Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Hartmut Follmann Universität GH Kassel FB 19, Biochemie Heinrich-Plett-Straße 40 D-34109 Kassel Tel.: 0561-8044511 Fax: 0561-8044466 [email protected] BIOspektrum | 07.08 | 14. Jahrgang