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LEBENSRAUM KIRCHE
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Am Ende: Alles richtig gemacht oder andere lebendig?
Dr. Matthias Walter, 02.11.2014
Predigttext: 2. Korinther 3,3-9
Liebe Gemeinde,
der Konflikt zwischen Geist und Buchstabe, zwischen Freiheit und Regel. Wonach wollen wir
leben? Wonach wollen wir beurteilen? Und beurteilt werden? Und wem gegenüber uns
verantworten? Das ist alles auf die eine oder andere Weise auch wieder sehr aktuell geworden.
Gestern im Kino eine Werbung: Da wird ein junger Mann vorgestellt, der hat alles richtig
gemacht, der ist in allem richtig. Er ist pünktlich, genau, höflich, in allem der Beste, immer der
Erste. Aber leider nicht einer, wie ihn die Firma sucht. Denn er ist mit all diesen tollen
Eigenschaften eben auch ein wenig langweilig. Die Firma will aber junge, kreative, individuelle,
unkonventionelle Bewerber. Was sagt das? Diese Werbung spielt mit Konflikt zwischen dem
Wunsch danach, wirklich Ich sein zu dürfen, und der Erfahrung, dann aber auch
stromlinienförmig reinpassen zu müssen. Oder wird es vielleicht zum neuen Standard, zur
Regel, zum Muss, einen Eindruck von Individualität hinterlassen zu müssen? Kompliziert für die
jungen Leute. Eine Welt, in der es immer wichtiger wird, sich richtig zu präsentieren. Kann man
davon jetzt auch wieder eine Freiheit gewinnen? Dazu Worte von Paulus an die Gemeinde in
Korinth:
Es ist offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid, durch unseren Dienst zubereitet,
geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf
steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln, nämlich eure Herzen.
Solches Vertrauen aber haben wir durch Christus zu Gott. Nicht dass wir tüchtig sind
von uns selber, uns etwas zuzurechnen als von uns selber. Sondern dass wir tüchtig
sind, ist von Gott, der uns auch tüchtig gemacht hat zu Dienern des neuen Bundes, nicht
des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht
lebendig.
Wenn aber schon der Dienst, der den Tod bringt und der mit Buchstaben in Stein
gehauen war, Herrlichkeit hatte, so dass die Israeliten das Angesicht des Mose nicht
ansehen konnten wegen der Herrlichkeit auf seinem Angesicht, die doch aufhörte, wie
sollte nicht viel mehr der Dienst, der den Geist gibt, Herrlichkeit haben? Denn wenn der
Dienst, der zur Verdammnis führt, Herrlichkeit hatte, wieviel mehr der Dienst, der zur
Gerechtigkeit führt, überschwängliche Herrlichkeit.
Liebe Gemeinde,
20. und damit letzter Sonntag nach Trinitatis. Die Trinitatiszeit, das ist die Zeit, in der wir fragen,
wie denn zu leben sei aus all dem, was wir an den großen Festen zwischen Weihnachten und
Pfingsten feiern, wie unser Leben die Jesus-Geschichte weitererzählt im Alltag unserer Welt
heute. Und heute also nun: letzter Sonntag der Trinitatiszeit und eben die Frage: Wozu das
alles, was soll am Ende herauskommen, worauf soll alles hinauslaufen – all unser Leben, all
unser Reden?
Paulus meint: dass es Leben schafft, Leben gibt, Leben weckt, lebendig macht! So sollen wir
verkündigen durch unser ganzes Leben, dass aus Buchstabe Geist wird, der Geist, der als
Geist Gottes lebenschaffend Welt und Mensch durchdringt. Dann hätten wir unser Ziel erreicht,
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Christi Ziel mit uns, dann, wenn wir vor dem Thron Gottes als Empfehlungsschreiben all die
vorweisen können, die durch uns ein wenig lebendiger, ein wenig vertrauensvoller geworden,
ein wenig Gott nähergekommen sind. Vielleicht ja hier einer den anderen aus der Gemeinde.
Oder auch darüber hinaus.
Die Menschen, wegen denen Paulus das hier schreibt, seine Konkurrenten um die Seelen der
Korinther, die interessiert das nicht. Die wollen’s schriftlich haben. Die verlangen von ihm
Empfehlungsschreiben der klassischen Art. Empfehlungsschreiben, in denen der eine dem
anderen bestätigt – ja, was? Was die Empfänger hören wollen? Was die Absender wichtig
finden? Lauter Richtigkeiten vielleicht bloß, Glaubensbekenntnisse, „ein guter Vertreter unserer
Theologie“, ein rechtgläubiger Katholik, Evangelischer, Evangelikaler, Bibeltreuer, Liberaler,
erfolgreicher Missionar? Zeugniszeit! Lass sehen, Paulus! Gehörst du zu den Guten? Gehörst
du zu uns?
Und vielleicht spüren sogar wir, in der Ferne von Zeit und Raum, wie da das Klima kälter wird,
der Ton rauer, die Schlinge sich zuzieht um den Apostel. Und meine Gedanken springen, ich
denke, neben dem, wovon wir es am Anfang hatten, auch an die Richtigglauber unserer Tage,
glaub oder stirb, heißt es bei der IS, wenn du die Gebetszeiten nicht im Kopf hast, dann muss
er runter, der Kopf! Der Buchstäbe tötet, geistlose Tyrannen und ihre Gesetze, steinerne Tafeln,
mit denen sich gut erschlagen lässt.
Dass der Buchstabe tötet, das ist in unserer Welt viel zu oft zu besichtigen, und auf diese
Beispiele zu sehen, das kann vielleicht den heilsamen Schecken bedeuten, der uns gar nicht
erst anfangen lässt, einander nach Richtigkeiten zu beurteilen. Nach theologischen oder
anderen Richtigkeiten. Denn keinen Fehler zu machen, das scheint ja auch heute oft die
Maxime zu sein.
Es gibt da einen Spruch, seit einigen Jahren, gab’s vorher so nicht. Und so Sprüche sagen ja
auch was aus über die Zeit, in der sie entstehen. Der Spruch heißt: „Alles richtig gemacht!“
Wenn einer gewollt oder zufällig Erfolg hat. Ist Erfolg haben unsere neue Sicherheit, bestehen
vor – jetzt nicht mehr vor Gott, sondern: ja, vor was? 20. Sonntag nach Trinitatis – und, wie
war’s, alles richtig gemacht? Falsche Frage! Falscher Ansatz schon! Fragt mich lieber, wer in
meiner Nähe lebendiger geworden ist! Wer in meiner Nähe durch den Geist aus mir lebendiger
geworden ist!
Der Geist macht lebendig! Ja, das würden wir gerne besichtigen, das würden wir gerne erleben!
Den Geist, der das Leben durchdringt, es lebendig macht! Was ist das für ein Geist! Der Geist,
der über den Chaoswassern schwebt am Anfang der Zeiten und schafft, was gar nicht da sein
müsste, aber aus der Liebe Gottes hervorgehen sollte durch sein Wort! Der Geist Gottes in
Jesus, der auch durch den Tod nicht totzukriegen ist, nicht durch den einen großen und auch
nicht durch die vielen kleinen, sondern Auferstehung bewirkt, bei ihm, bei mir, einmal am Ende
und vorher schon immer wieder! Der Heilige Geist in mir, aus dem ich lebe, der mich Christus
ähnlicher macht, seine Frucht aus mir wachsen lässt und mich in die Freiheit des Glaubens
führt! Ein Glaube, der nicht darin besteht, ein religiöses System auswendigzulernen, sondern
ein Glaube, der ein Sich-Anvertrauen ist, ein Sich-Anvertrauen in jeder Situation neu, ein Sichdem-Geist-Anvertrauen, dass der Geist Christi Frucht in mir und aus mir leben lässt in jedem
Augenblick.
Der Geist macht lebendig, unbändig lebendig! Ja, vielleicht können wir sogar sagen: Und lässt
den Buchstaben auch schon mal hinter sich! Wie wenn einer eine Sprache spricht, deren Geist
er vielleicht mehr erfasst hat als ihre Grammatik, die er vielleicht immer wieder auch mal
fehlerhaft spricht, aber macht nichts, denn er spricht sie lebendig, und ein anderer dagegen
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weiß alles, aber bringt kein Wort heraus. Weil er fürchtet, nicht alles richtig zu machen. Die
Sprache des Glaubens, gesprochen durch unser Leben, da sind richtig und falsch nicht die
wichtigsten Kriterien, sondern dieses eine zählt: Merkt der andere, dass ich Christus liebe, und
merkt er, dass ich ihn liebe, in Jesu Namen liebe? Macht meine Lebendigkeit aus dem Geist
auch ihn lebendig?
Denn wie herrlich wäre das! Das wäre die Herrlichkeit, die Paulus vom Dienst im neuen Bund
erhofft und erwartet, die „überschwängliche Herrlichkeit“, wie er sagt. Und dabei war die alte
Herrlichkeit auch schon nicht schlecht, die Paulus ja selber früher auch gesucht hatte, die
Herrlichkeit des Bundes, der dann für ihn der alte Bund wurde, aber nur, weil völlig
überraschenderweise etwas noch viel Herrlicheres kam, als er Christus kennenlernte. Und weil
das, was dem Volk Israel ja doch das Leben gebracht hatte, für Paulus nun regelrecht tot
erscheint, den „Dienst des Todes“ nennt er es nun, weil hier in Christus ein lebendiges und
lebendigmachendes Leben auf den Plan trat, das alles bisher Dagewesene noch übersteigt.
Nicht an sich ohne Herrlichkeit also ist der alte Bund, Zeichen dafür das Angesicht Mose, seht
den Glanz! Aber dann geht eine Sonne auf, die noch viel heller strahlt, da kann der arme Mose
nichts dafür. Womit lassen wir uns überraschen? Können wir die Welt um uns herum
überraschen mit solch herrlicher Freiheit?
Und so hell geht diese neue Sonne für Paulus auf, dass auch der arme Paulus seine Bibel nicht
mehr genau lesen kann! Denn wo 2. Mose 34 nur von der Furcht der Israeliten, Mose ins
Gesicht voller Gottesherrlichkeit zu sehen, erzählt, da macht Paulus daraus, dass sie das
überhaupt nicht gekonnt hätten, selbst wenn sie ihre Furcht überwunden hätten! Nicht wollen,
nicht können – das ist ein Unterschied. Und aus der Erzählung, dass Mose sein Haupt wieder
bedeckt nach einer Weile, macht der Apostel, dass der Glanz auf Mose verschwand. Aber keine
Red‘ davon im Alten Testament, so steht’s nicht geschrieben, die Buchstaben sind andere! Die
überschwängliche Herrlichkeit Christi macht Paulus zum überschwänglichen Bibelausleger, der
den Buchstaben hinter sich lässt und voll des Geistes mehr sagt, als dasteht, und damit genau
das, was in Wahrheit ist!
So lässt Paulus zum zweiten Mal den Buchstaben hinter sich: hier den Bibelbuchstaben der
Mose-Erzählung und vorher schon den Buchstaben der Empfehlungsschreiben, die er nicht
braucht, denn er hat ja die Korinther selbst, ihre Herzen, vom Geist lebendig gemacht in der
Liebe zu Christus, von der Frucht des Geistes erfrischt, die sie von Paulus empfangen haben.
Ganz verlässt er sich auf den Geist und dessen Wirkung. Setzt nicht auf seine Treue, sondern
auf die seines Gottes. „Tüchtig gemacht hat mich Gott“, „hinreichend geeignet“, so wörtlich im
Griechischen. Und darauf verlasse ich mich lieber als auf die Zeugnisse von Menschen.
Auch wenn es riskant ist. Aber er ist so frei. Denn zu jedem Risiko gehört die Freiheit, es
einzugehen, und zu jeder Freiheit gehört ein Risiko. Paulus geht nicht auf Nummer sicher,
sondern auf Nummer frei. Etwas später sagt er: „Wo der Geist des Herrn ist, das ist Freiheit!“
Der uralte Gegensatz von Freiheit und Sicherheit – auch so können wir den von Geist und
Buchstabe beschreiben. Worin eine Gesellschaft wurzelt, das lässt sich auch daraus ablesen,
wie schnell sie bereit ist, ihre Freiheit aufzugeben, wenn sie ihre Sicherheit bedroht sieht. Für
manche das große Thema unserer Zeit heute.
Paulus sagt: Meine Freiheit wird geschützt durch die einzige Sicherheit, die ich habe, und das
ist nicht die immer größere Zahl von Buchstaben und deren immer engere Auslegung, sondern
die einzige Sicherheit, die ich habe, das ist die Treue Gottes; das ist, dass er den Bund nicht
aufkündigen wird, niemals! Den Bund, der Gott die tiefsten Schmerzen hat durchleiden lassen.
Den Bund, in dem meine Freiheit, mein Leben geborgen sind. Den Bund, in dem sein Geist
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meinem Geist immer wieder bestätigt, dass ich Gottes Kind bin und mich so immer wieder
lebendig macht!
Und das besonders dann, wenn ich in der Gefahr stehe, mich auf den Buchstaben
zurückziehen zu wollen. Immer dann nämlich, wenn ich sage „So ist das halt!“, und das
Gespräch mit dem Leben beende. Wenn ich mich in meine Buchstaben-Burg zurückziehe und
mich nicht mehr in Freiheit auf dem Heiliggeist-Feld unter all den anderen bewegen mag. Wenn
mir der neue Bund zu anstrengend wird und ich müde geworden in den alten Bund
zurückkehren will.
Um in solchen Momenten nicht den Geist los und geistlos werden, nicht aus meinem Leben und
meinem Glauben ein Kreuzworträtsel oder Scrabble-Spiel zu machen, Hauptsache, die
Buchstaben passen zueinander – dann brauche ich einen, der mir Mut macht und mich an die
Hand nimmt und mich aus meiner Buchstaben-Burg hinausführt aufs freie Feld des Heiligen
Geistes. Der mir neu zeigt, wie überschwänglich herrlich das Leben, der Glauben, das
Glaubensleben dort ist. Der mir suchen hilft nach den Zeichen des neuen Bundes und der
Treue Gottes in meinem Leben und in dieser Welt. Einen, der mich staunen macht und
dankbar. Einen, der mir zum Brief Christi wird, in dem ich von Christus lese: Ich liebe dich und
diese Welt! Vertrau dich mir an und wage das freie Leben mit mir!
20. Sonntag nach Trinitatis, worauf lief das jetzt alles hinaus, mein Leben als Christin, als
Christ? Darauf hoffentlich, dass andere in mir die Liebe Christi lesen. Und aufatmen und frei
werden und mich anstrahlen und sagen: „Wie herrlich!“ Diesen Wunsch lasse der Geist in uns
wachsen! Diese Erfahrung schenke er uns! Amen.
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