Vortrag von Sepp Riedener "Sozialarbeit und Spiritualität" Ich möchte euch kurz sagen, wo ich zu Hause bin, auf welchem Hintergrund ich argumentiere: Ich arbeite im Verein Kirchliche Gassenarbeit Luzern. Dieser ist vor 20 Jahren gegründet worden, auf ökumenischer Basis. Die ev.-ref., die christkath. und die kath. Kirchgemeinde und die beiden Landeskirchen sind Mitglieder dieses Vereins. Wir möchten auf dem Hintergrund des Evangeliums sagen, was Resozialisierung bedeutet, was die Würde des Menschen besagt etc. Folgende Projekte gehören zu diesem Verein: die eigentliche Gassenarbeit, das Ambulatiorium mit medizinischer Betreuung unserer Leute auf der Gasse, die Gassechuchi (die wurde vor 3 Jahren durch die Stadt Luzern für 1 Million neu gebaut), die Aids-Prävention Luzern mit Spritzentausch und Präventionsarbeit für HIV-Infizierte, das Projekt Paradiesgässli für drogenkonsumierende Mütter mit Kindern, wo zurzeit 65 Familien mit gegen 100 Kindern betreut werden und die Seelsorge auf der Gasse. Ich bin zu 70 % bei der kath. Kirche angestellt als Geschäftsleiter und 30 % bin ich ökumenischer Seelsorger auf der Gasse. Die Ziele meines Vortrages sind folgende: Ich möchte die konkrete Situation bezüglich Diakonie in der Kirche anschauen. Wir kennen die 3 Wesenselemente der Kirche: die Liturgie, die Verkündigung und die Diakonie. Ich möchte schauen, wo wir heute in der Entwicklung bei diesen Wesenselementen stehen. Dann möchte ich das Leitbild von Jesus abfragen. "Wie sieht er denn die Theologie der Diakonie". Und dann daraus meine Spiritualität ableiten. 1. Wo stehen wir in der Diakonie? Wenn ich die Frage stelle, was macht die Kirche aus, kommt unweigerlich als Erstes "Liturgie und Verkündigung". Die beiden Wesenselemente waren (und sind es immer noch) so wichtig in der Geschichte, dass sie sogar unter "Sünde" gestellt worden sind, d.h., wenn ich am Sonntag nicht in den Gottesdienst ging, habe ich eine Sünde begangen. Das Wesenselement "Diakonie" war weit davon entfernt obwohl die Synode 72 damals den sozialen Auftrag als Wesenselement beschrieb und sagte :“Viele Zeichen deuten darauf hin, dass die Kirche , weltweit gesehen, heute den Hauptakzent ihrer Tätigkeit in der Diakonie zu sehen hat“ (SaKo 8, S. VIII/14) Und weiter: “Die Glaubwürdigkeit jeglichen Redens und Tuns der Kirche hängt wesentlich von ihrem sozialen Engagement ab“(SaKo 8, VIII/16). Ich möchte nicht verschweigen, dass die Diakonievergessenheit langsam überwunden wird. Es ist ein Aufbruch festzustellen: ich denke an die Professionalisierung der sozialen Arbeit in grösseren Stadtpfarreien, neue Stellen werden geschaffen, die Integration der Diakonie in die Liturgie und Verkündigung wird gefördert… Kleiner Exkurs in die Geschichte der Diakonie -1- Wenn ich in die Kirchengeschichte rein schaue, dann waren es vor allem die Orden und die Kongregationen, die das Element „Diakonie“ konkretisierten. Ich denke z.B. an Franz von Assisi, einen Bettelorden im 13. Jahrhundert. Durch die Kriegswirren ist damals das Element Diakonie wichtig geworden in der Kirche, und man hat es ernst genommen. Die Kapuziner/Innen und Franziskaner/Innen haben sich in diesem Sektor ganz klar engagiert. Ich gehe ins 15. Jahrhundert und denke an das Hotel Dieu in Beaune (Burgund). Es ist das schönste Haus in der ganzen Stadt. 1430 liess es der Kanzler des Burgunderkönigs für die völlig verarmten Menschen bauen, welche in den Gassen von Beaune lebten und nach jahrelangen Kriegswirren keine Lebenschancen mehr hatten. Das Hotel Dieu - das Hotel Gottes - hat diese Menschen aufgenommen. „Nur das Beste ist gut genug für die Armen“, hat Monsieur Rolin, der Gründer, gesagt. Er hat damals schon den Sozial- und den Sakralbereich zusammengenommen und das miteinander verbunden. Im grossen Raum des Hotel Dieu gibt es vorne den Altarraum als Sakralraum und anschliessend ist der Sozialraum. Dort wurde miteinander gegessen, geschlafen und einige sind gestorben und zugleich wurde Eucharistie gefeiert. Diese Theologie, dieser Ansatz von Diakonie fasziniert mich und das spricht etwas an in mir, was ich heute noch leben möchte: Die Kombination von Liturgie, Verkündigung und Diakonie. Wir haben hier in Luzern diesen interessanten Ansatz wieder ausgegraben, zusammen mit Spital-Schwestern (die ja von Beaune her stammen) und St.AnnaSchwestern und haben miteinander den Stutzegg in der Stadt Luzern aufgebaut. Mit einer Beiz - ein Gasthaus der besonderen Art - und einem Meditationsraum, also ein Haus für die Ärmsten in der Baselstrasse. Ein Ort, wo sie zu Hause sein können. Auch im 19. Jahrhundert hat es immer wieder Leute in der Kirche gegeben, die neben der Gemeindepastoral Soziainstitutionen aufgebaut haben. Ich denke z.B. an die Unterstützungsgesellschaft in der Stadt Luzern. Ein Kaplan in einer Pfarrei hat gesehen, dass die Mägde der Reichen, wenn sie ein Kind bekamen oder krank waren, fortgejagt wurden, und fristeten so ein jämmerliches Dasein. Dieser Kaplan gründete die Unterstützungsgesellschaft mit dem Ziel, dass die jungen Frauen mit den Kindern aufgenommen wurden. Diese Unterstützungsgesellschaft existiert auch heute noch mit einem eigenen Haus in der Stadt Luzern und die resultierende Rendite von Fr. 40 000.-- bis Fr. 50 000.--jährlich wird an Sozialinstitutionen verteilt. Es sind vor allem Einzelpersonen gewesen, die das "Wesenselement Diakonie" aufgegriffen und umgesetzt haben. Vor ungefähr 100 Jahren wurde dann die Caritas gegründet. Die Kirche hat gespürt, dass die Diakonie, das soziale Engagement, dringend nötig ist. Neben der Gemeindepastoral wurde die Caritas aufgebaut. Diese wurde dann als zuständige Stelle von Diakonie in der Kirche verstanden. Vielfach fühlte man sich entlastet im Klerus und man konnte „das Soziale“ der Caritas überlassen… Als Jugendlicher und Gymnasiast hatte ich folgende Erfahrung mit meinem damaligen Pfarrer gemacht: Ich kam aus armen Verhältnissen und wollte Priester werden. Ich habe mich beim Pfarrer erkundigt, wie ich das Studium finanzieren könne. Ich solle ihm mein Zeugnis bringen mit einem Notendurchschnitt über 5.0. Er würde dann seine Unterschrift geben, und ich könne betteln gehen. Das war das -2- damalige Verständnis von Diakonie in der Pfarrei. So ging ich betteln von Haustür zu Haustür, damit ich studieren konnte… Heute besteht eine grosse Vielfalt, um in der Gemeindepastoral „Diakonie“ aufbauen zu können. Wir sind alle in einer Gemeindepastoral tätig. Und doch bleibt noch einige Aufbauarbeit zu tun. Ich möchte dazu Fridolin Wyss und Odo Camponovo zitieren. Ich zitiere aus einem Vorschlag der Fachkommission Diakonie des Bistums Basel, September 2004: "Sowohl in der Fachliteratur, als auch in der Praxis der Pfarreien wird eine Diakonie-Vergessenheit diagnostiziert. Im Bewusstsein jener Menschen, die aktiv in der Pfarrei mitarbeiten, sind Liturgie und Verkündigung vorrangig. Fallen Gottesdienst oder Religionsunterricht aus, werden die entsprechenden Mittel eingesetzt, um dieses Defizit zu beheben; wird die Diakonie geschmälert, kann man damit gut leben“. usw." Diese Feststellung entspricht der Wirklichkeit: die Vorrangigkeit der Liturgie und der Verkündigung. Ich muss nur die Ausbildung der Theologen und Theologinnen anschauen, die 5 Jahre Theologie studieren. In dieser Zeit haben sie ungefähr 2 Wochen Weiterbildung zum Thema Diakonie und wenn es hochkommt noch ein diakonisches Seminar. Eine Woche findet im Priesterseminar statt, dort darf ich sie begleiten in Fragen der Diakonie im konkreten Schaffen in einer Pfarrei. Wir müssen – wenn wir die Vorrangigkeit der Liturgie und der Verkündigung konkret wahrnehmen wollen – die Geldverteilung in unseren Kirchgemeinden anschauen. Wie viel wird z.B. für die Kirchenmusik ausgegeben, für den liturgischen Bereich, für die Katechese und wie viel für die Diakonie usw. Ich habe 10 Jahre in der Pfarrei St. Johannes im Würzenbach in Luzern gearbeitet, und wir haben dort den „Energiekuchen“ gemacht. Wir haben unsere Energien „verteilt“. Wir kamen zum Schluss, dass das Wesenselement "Liturgie und Verkündigung" über ¾ unserer Kräfte beansprucht hat und die Diakonie an einem ganz kleinen Ort Platz hatte. Es gibt in der ganzen Schweiz keinen Lehrstuhl für Diakonie in der ganzen theologischen Ausbildung mit 3 Fakultäten. Ich möchte nicht sagen, dass Liturgie und Verkündigung nicht wichtig sind, aber ich möchte einfach auf ihre Vorrangigkeit in unserer Kirche hinweisen. 2. Leitbild Jesu Oder seine Geisteshaltung dem Diakonischen gegenüber Ich gehe auf Spurensuche. Lukas 4. Erstes öffentliches Auftreten Jesu in der Synagoge: "Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe, damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht. Damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe." Das ist die erste Botschaft, die er in der Öffentlichkeit mitteilt. Professor Hermann Venetz, Exeget, ergänzt und sagt: Wenn hier steht, heute hat sich das Schriftwort erfüllt, hat das heute nicht nur einen Bezug auf die damalige Zeit, sondern das heute gilt auch jetzt. Wir sind aufgerufen, die gute Nachricht den Armen zu verkünden, das ist der eigentlichste Auftrag, den Jesus bringt. Dies ist etwas, das mich ganz besonders fasziniert und herausfordert, dass wir als -3- Sozialarbeitende das Leitbild von Jesus, das er uns hier gibt, heute verwirklichen müssen und dementsprechend auch ganz klar eine Theologie der Diakonie entwickeln müssen; d.h. die Botschaft von Jesus muss aktualisiert werden in die heutige Zeit hinein: Wer sind die Blinden, wer sind die Gefangenen etc.? Hermann Venetz sagt: "Bitte, tut dies nicht einfach nur vergeistigen, dass alle blind sind, sondern hier geht es um die reellen Sorgen und Nöte in unserer Gesellschaft und diese müssen wir ernst nehmen“. Demzufolge müssen wir alles daran setzen, dass die Verschuldeten und die Gescheiterten zu Wort kommen in unserer Kirche. Dies ist nichts Anderes als die Konsequenz aus dem Leitbild von Jesus. Diese Dienstleistung steht nicht in der Beliebigkeit eines Pfarreirates oder eines Kirchenrates, sondern das ist eine Botschaft, ein Auftrag, den wir erhalten haben. Matthäus 25: Eintrittskriterien in den Himmel. "Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos, ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen. Was ihr dem Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan." Hier stehen 7 Tätigkeitswörter. Prof. Kirchschläger von der theologischen Fakultät in Luzern, sagt: Sieben, das ist die Zahl der Vollkommenheit, d.h. es sind alle Nöte angesprochen in dieser Aussage, in diesem Bild, das Jesus bringt. Stärker kann man es nicht mehr sagen. Hier geht es um das „Eintrittsbillett“ in den Himmel. Es sind alles Tätigkeitswörter. Ich sage es jetzt mal ganz frech! Hier spricht Jesus nicht von Kirchenbesuch, beten, Gottesdienst etc. Wir sind aufgerufen, etwas zu tun. Das ist ein wesentlicher Teil der Botschaft Jesu. Lukas 4 ist der Anfang des Auftretens Jesu und bei Matthäus 25 haben wir es mit einem vermächtnisähnlichen Schluss des Auftretens Jesu zu tun, wo er nochmals sein Leitbild bekräftigt. Das ist für mich eine griffige und überzeugende Theologie der Diakonie nach Jesus. Im Klartext heisst das, dass wir wagen müssen, das zu tun, was er hier von uns verlangt und zwar mit Compassion – wie es Professor Metz umschreibt. Dies hat nichts zu tun mit Mitleid, sondern mit der Mitleidenschaftlichkeit. Leidenschaftlich sein Leitbild verwirklichen, das ist unsere Aufgabe, das ist Diakonie. Mir geht gerade an diesem Text auf, wie Jesus sich identifiziert mit den Menschen, die in Not sind. "Was ihr dem Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan", d.h. für mich, dass wenn ich einem Menschen in Not begegne, dass ich dann Jesus selber begegne, also wir haben eine Gegenwart Gottes in unserem Gegenüber. Für mich gibt es, als ehemaliger Priester, eine doppelte Gegenwart Gottes: Einerseits in der Eucharistie im Brot und Wein - und daran glaube ich; und auf der anderen Seite in der Gegenwart der Ausgegrenzten, Notsuchenden, Abgeschriebenen und Randständigen. Das sind zwei Möglichkeiten, Gott zu begegnen. Wenn wir dies ernst nehmen, dann hat dies Konsequenzen für unser Bewusstsein, für unsere Verkündigung und für unsere Arbeit, d.h. wenn ich Sozialarbeit leiste, dann mache ich etwas, das dem Gottesdienst gleichgestellt werden sollte. Wenn unsere Jugendlichen im Sommer Lager durchführen, dann feiern sie praktisch Gottesdienst, weil sie in grosser Verantwortung da sind für andere usw. -4- Prof. Kirchschläger sagt in diesem Zusammenhang: Dass hier vermutlich ein Sakrament verlorengegangen sei: die Begegnung mit Gott im Menschen in Not. Das finde ich auch. Das sind Texte – und es gibt deren noch sehr viele -, die mich als Theologe und Sozialarbeiter sehr prägen. Das ist mein Leitbild für die Gassenarbeit. Wie setzt Jesus nun dieses Leitbild um? Dazu kurz ein paar Punkte: Markus 3.1 Der Mann mit der verunstalteten Hand Dieser Mann sitzt vor der Synagoge, hat keine Chance in die Synagoge reinzukommen. Er darf nicht beten gehen, weil er behindert ist. Dazumal war die Behinderung eine Strafe Gottes gewesen. Jesus sieht ihn, alle anderen haben ihn nicht beachtet. Er schaut ihn an und nimmt ihn mit in die Synagoge und stellt ihn in die Mitte. Er stellt den Menschen vom Rand, den Menschen in der Armut, in die Mitte der Kirche. Er macht den Rand zur Mitte. Noch mehr, er heilt ihn, d.h. er macht seine Hand gesund und gibt ihm dadurch seine Würde wieder zurück. Er kann wieder arbeiten, Beziehungen aufnehmen und er darf wieder in die Kirche beten gehen, er wird wieder ganz Mensch. Das ist Resozialisierung in feinster Form. Das ist Jesus, das ist die Umsetzung seines Leitbildes. Das ist eine neue Form der Diakonie. Es wäre verboten gewesen, einen Behinderten mitzunehmen in die Kirche und erst noch am Sabbat. Der Arme ist Jesus wichtiger, als die Gesetze! Die Pharisäer sind erbost und überlegen, wie sie ihn beiseite schaffen könnten. Nach seinem ersten öffentlichen Auftritt ist schon Feuer im Dach. Er wollte nicht einfach so ein Wunder vollbringen, sondern er wollte etwas aussagen, das Reich Gottes ansagen. Dafür hatte er auch Bilder. Ein kurzes Beispiel: "Das Hochzeitsmahl": Lukas 14 Der König lädt seine Gäste ein und diese kommen nicht. Er sagt, holt die Armen, die Blinden, die Kaputten und Krüppel und lädt sie ein zum Mahl. Sie haben das Recht, an meinen Tisch zu sitzen. Ohne jede Rangordnung lädt er diese Menschen ein. Das ist Jesus, das sind Bilder vom Reich Gottes! Das ist die Solidarität mit den Ärmsten. Ich denke an das wunderbare Gleichnis mit dem Barmherzigen Samariter. Dies ist für mich höchste Sozialarbeit und höchste Theologie. Ich brauche dieses wunderbare Beispiel auch für den Unterricht bei Theologinnen und Theologen, wo ich einfach ganz kurz das Gleichnis auseinander nehme: Der Mensch in der Not, der am Strassenrand liegt wird vom Samariter beachtet. Der Priester und der Diakon gehen vorbei und sehen ihn nicht. Nur der Samariter sieht ihn und macht das, was in seinen Möglichkeiten steht. Dann beginnt die Triage. Wir müssen uns überlegen: was kann ich leisten und was ist nicht möglich. Wo bin ich überfordert? Der Samariter hat ihn mitgenommen und in eine Herberge gebracht, weil er persönlich völlig überfordert gewesen wäre. So müssen auch wir uns überlegen, wie weit kann ich persönlich helfen, oder wo muss ich delegieren, z.B. an eine spezialisierte, kirchliche Sozialstelle oder wenn es um eine strukturelle Not geht, wo und wie kann ich es weitergeben an die Caritas, an die Gesamtkirche oder an den Staat. Es ist spannend, wie aus einem Gleichnis sozialarbeiterische Konsequenzen gezogen werden können. Johannes-Evangelium: Hier kommt nie das Wort "Abendmahl" vor. Es ist keine Beschreibung da zum Abendmahl, zur Eucharistiefeier, sondern anstelle des Abend-5- mahls steht die Fusswaschung. Vermutlich ist bereits im 1. Jahrhundert die Entwicklung so gelaufen, dass man viel lieber Abendmahl gefeiert hat, als das gelebt, was Jesus eigentlich in den Leitbildern uns vorgegeben hat. Man hat sich „spezialisiert“ auf die Abendmahlsfeiern, die ganz sicher schöne Feiern gewesen sind. Johannes bringt einen neuen Ansatz. Anstelle der Eucharistiefeier bringt er die Fusswaschung. "Tut dies zu meinem Gedächtnis". Bei der Fusswaschung steht analog zu den Abendmahlsberichten der Synoptiker: "Tut dies…", also praktisch fast die gleiche Aussage. Macht so weiter, wie ich es getan habe mit dem Dienst am Menschen. Ich denke, dass wir das nicht gegeneinander ausspielen dürfen: "Eucharistiefeier versus Fusswaschung". Für mich ist dies ein klarer Hinweis aus den biblischen Schriften, dass. Eucharistiefeier und Diakonie gleichberechtigt nebeneinander stehen sollten. Das Wirkungsziel Jesu ist für mich auch klar, das ist das Reich Gottes. Das darf ich nicht aus dem Auge verlieren. Als Sozialarbeiter ist dies gleichzeitig für mich eine Motivation. Man spricht auch von einem Unterschied zwischen Sozialarbeit und Diakonie. In der Sozialarbeit mache ich meine Arbeit hochprofessionell, und in der Sozialarbeit mache ich die gleiche Arbeit, auch hochprofessionell, aber auf das Ziel hin, Reich Gottes aufzubauen. Also zusammenfassend: Jesus gibt mir ein Leitbild und sagt klar: "Den Armen eine frohe Nachricht verkünden" und die 7 Tätigkeitswörter im MatthäusEvangelium in die Tat umsetzen. Übrigens: Jesus hat immer zuerst das Leiden und die Not der Menschen gesehen und nicht die Sünde. In unseren Kirchen ist dies eigentlich umgekehrt. Zuerst haben wir ein Sündenbewusstsein geschaffen (siehe den alten ichtspiegel) und nachher das Leidensbewusstsein. 3. Was ist nun meine Spiritualität? Ich gehe aus von der Tatsache: "Christus ist in mir und ich in ihm"! Ich muss nicht irgendwo Gott suchen gehen, sondern er ist in mir, er lebt in mir. Wir haben einen göttlichen Funken in uns (vergleiche Meister Ekkehart) und das ist Christus. Das ist für mich eine ganz wichtige Quelle geworden für mein kirchliches Engagement. Vor 8 Jahren habe ich eine Frau getroffen, die heute 87 Jahre alt ist, und immer noch als Atemtherapeutin arbeitet. Sie hat zu mir gesagt, wie wichtig das Atmen sei, der Odem. Drei Atemvorgänge sind ihr wichtig. Ich muss zuerst mal Ja sagen zu mir, ich muss mich akzeptieren können. Wenn ich mich nicht akzeptieren kann, kann ich auch niemand anders akzeptieren. Ich muss mich so annehmen, wie mich der Schöpfer geschaffen hat. Wir sind alle hoch begabt und reich beschenkt! So viele Menschen leiden an mangelndem Selbstwertgefühl. Aus der Kraftquelle, die ich habe, die Christus-Kraft, muss ich Kraft schöpfen für mich und Ja sagen zu mir und sagen: "Ich kann meine Arbeit leisten aus seinem Geist, aus seiner Kraft heraus"! Zweitens muss ich im tiefen Atmen "Danke sagen". Danken, für das, was ich erfahren und erleben darf. Angefangen bei meiner Arbeit bis hin zur Schöpfung. Danken für meine Einzigartigkeit! Danke sagen auch am Abend für alles, was ich erfahren durfte während des Tages. Die Frau hat mir noch gesagt: "Danken schützt vor Wanken!" Ich danke jemandem, meinem Gegenüber, und für mich ist das Gott. Der dritte Punkt – und der ist für mich sehr wichtig – da soll ich bei diesem Atmen die Christuskraft einfliessen lassen. Wenn ich diese Christuskraft in den ganzen Körper -6- einfliessen lasse, habe ich oft das Gefühl, dass ich die Kraft bis in meine Fingerspitzen spüre. Diese Kraft ist in mir und ich darf daraus leben. Wenn ich nur aus meiner Kraft meine Arbeit erledigen müsste, ich wäre schon längst ausgepumpt und irgendwo in eine Burn-out-Situation gefallen. Ich brauche eine „BasisSpiritualität“, eine „alltagstaugliche“ Spiritualität, die nicht Rückzug in die Stille bedeuten muss sondern ich jederzeit nutzen kann, sei dies beim Warten vor einem Rotlicht oder auf der Bushaltestelle. Die "weise Frau" hat zu mir noch gesagt: Alles, was du machst und tust, übergebe es Christus, du musst nicht alles selber machen. Für mich ist dies etwas ganz Wesentliches geworden: Wenn ich ein Gespräch habe, übergebe ich als erstes meinen Gesprächspartner Christus. Auch bei meiner täglichen Gassenarbeit, wo ich es dauernd mit massiver Not, Sterbenden, HIVPositiven, Vergewaltigung usw. zu tun habe, ist das Übergeben an Gott lebenswichtig. Das ist für mich ein wichtiger Punkt in meiner Spiritualität, dass ich alles weitergeben kann. Das ist meine Spiritualität. So soll jede und jeder heute sich Zeit nehmen um sich Gedanken zu machen, wo stehe ich bezüglich Spiritualität, aus was heraus hole ich meine tägliche Motivation, wie gehe ich um mit der ganzen Schwere der sozialen Arbeit und wie bringe ich meine Arbeit in einen Zusammenhang mit dem Evangelium oder mit Jesus Christus. Dazu wünsche ich Euch viel Einsicht. -7-