„ Voneinander lernen“ #2* f/W/ Fachstelle Gender NRW Geschlechtergerechtigkeit in der Kinder- und Jugendhilfe Rathenaustr. 2-4 • 45127 Essen Telefon 0201.18 50 88-0 Fax 0201.18 50 88-9 e-mail: [email protected] www.gender-nrw.de 071203-vonLernen-Umschlag.indd 1 #2* f/W/ Fachstelle Gender NRW Geschlechtergerechtigkeit in der Kinder- und Jugendhilfe Bildungsorte und Lernwelten von Kindern und Jugendlichen aus der Genderperspektive Dokumentation Landesweite Fachtagung der FUMA Fachstelle Gender NRW in Dortmund, Reinoldinum 12. Juni 2007 03.12.2007 15:03:23 Uhr „Voneinander lernen“ Bildungsorte und Lernwelten von Kindern und Jugendlichen aus der Genderperspektive Team der FUMA Fachstelle Gender NRW, Essen Impressum Herausgeberin: FUMA Fachstelle Gender NRW, Essen Redaktion: Cäcilia Debbing, Essen Text: Marlies Hendriks, Bochum Gestaltung: Fehrenberg-Design, Essen Druck: Basis-Druck, Duisburg 071203-vonLernen-Umschlag.indd 2 07.12.2007 16:54:17 Uhr Inhaltsverzeichnis Einleitung ................................................................................................................... Seite 2 Begrüßung ................................................................................................................. Seite 3 Berti Kamps, Vorstandsvorsitzende FUMA e.V. Grußwort ................................................................................................................... Seite 4 Alberta Großmann-Rath, Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration Begrüßung ................................................................................................................. Seite 7 Cäcilia Debbing, Leiterin FUMA Fachstelle Gender NRW Vortrag ...................................................................................................................... Seite 10 Ohne souveräne Vorbilder bleibt alles beim Alten – Genderperspektiven in der frühkindlichen Entwicklung und Bildung, Melitta Walter, Fachberatung für geschlechtergerechte Pädagogik, München Vortrag ...................................................................................................................... Seite 22 „Jungen ins Gespräch bringen“ – Zum Modell der Jungenkonferenzen Ulrich Boldt, Dozent für geschlechtergerechte Pädagogik, Uni Bielefeld Workshop 1 ................................................................................................................. Seite 30 Geschlechtergerechtigkeit als Herausforderung im KiTa- Alltag Workshop 2 ................................................................................................................ Seite 35 Medien und Geschlecht – Mediensozialisation von Mädchen und Jungen Workshop 3 ................................................................................................................ Seite 38 Geschlechtsspezifische Aspekte in Jugendkulturen – Mädchen und Jungen in ihren Peergroups Workshop 4 ................................................................................................................ Seite 45 Geschlechtersensibilität als Normalfall – gerade in einer Einrichtung mit multikultureller Besucherschaft Workshop 5 ................................................................................................................ Seite 50 Praktische Ansätze und Methoden in der Berufsorientierung und Lebensplanung Landesinitiative Jungenarbeit NRW ............................................................................... Seite 56 Auswertung Feedback ................................................................................................. Seite 60 Teilnehmende und Mitwirkende .................................................................................... Seite 61 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:1 1 03.12.2007 15:30:57 Uhr „Voneinander lernen“ Einleitung 2 Die Geschlechterthematik wird in den aktuellen Jugendstudien (z.B. 15. Shell Jugendstudie, 12. Kinder- und Jugendbericht des Bundes) als wichtige Querschnittsaufgabe für die soziale Arbeit mit Kindern und Jugendlichen betont. Die Studien heben einerseits hervor, dass verallgemeinernde Aussagen zu „den Mädchen“ und „den Jungen“ immer weniger Relevanz haben. Beispielsweise werden die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen oft stärker von Faktoren wie der sozialen und ethnischen Herkunft beeinflusst als von der Zugehörigkeit zur Kategorie Geschlecht. Andererseits werden auch „klassische“ Unterschiede zwischen den Geschlechtern beschrieben, so stehen beispielsweise für Mädchen Wertvorstellungen wie soziales Engagement und Gesundheitsbewusstsein hoch im Kurs, während bei Jungen hier eher Macht und Durchsetzungsvermögen zählen. Eine konkrete Analyse der Bedeutung und Wirkung für die Praxis vor Ort bleiben allerdings diese Studien weitestgehend schuldig. Dieser Lücke soll die Fachtagung „Voneinander lernen – Bildungsorte und Lernwelten von Kindern und Jugendlichen aus der Gender Perspektive“ und die vorliegende Dokumentation Rechnung tragen. Anhand folgender Fragestellungen wurde die Bedeutung geschlechtsspezifischer Sozialisation für die praktische Arbeit in verschiedenen Lernwelten 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:2 und Bildungsorten konkretisiert: 쐌 Welche Schritte und Standards sind für eine geschlechtergerechte Erziehung und Betreuung notwenig? 쐌 Welche Akzente kann die außerschulische Bildungsarbeit zur Flexibilisierung der Rollenbilder bei Mädchen und Jungen setzen? 쐌 Wie muss Jugendhilfe Mädchen und Jungen in ihrer geschlechtsspezifischen Lebens- und Berufsplanung unterstützen? 쐌 Ist gegengeschlechtliches Arbeiten eine Antwort auf die Feminisierung der Erziehung? 쐌 Wie können geschlechts-spezifische Aspekte bei der Kooperation von Jugendhilfe und Schule besser gewährleistet und berücksichtigt werden? Am Vormittag gab es Vorträge von ExpertInnen und Diskussionen im Plenum, die diese Fragen und Themen aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchteten. Am Nachmittag luden fünf Foren zu einer vertiefenden Auseinandersetzung mit der geschlechtsbewussten Erziehung und Bildung in verschiedenen Feldern der Kinder- und Jugendhilfe ein. Den Abschluss der Fachtagung bildete eine Präsentation der Ziele und Maßnahmen der Landesinitiative Jungenarbeit, mit der das Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration die FUMA Fachstelle Gender NRW beauftragt hat. 03.12.2007 15:30:58 Uhr Begrüßung Begrüßung Berti Kamps Vorstandsvorsitzende FUMA e. V. Sehr geehrte Damen und Herren, ich begrüße Sie recht herzlich zur FUMA Fachtagung „Voneinander lernen“ – Bildungsorte und Lernwelten von Kindern und Jugendlichen aus der Genderperspektive. Erlauben Sie mir, Sie zu Beginn der Tagung auf einen Geburtstag aufmerksam zu machen: FUMA e.V. feiert in diesem Jahr seinen Elften. Elf Jahre FUMA e.V. bedeuten für mich: 쐌 elf Jahre Engagement für die Mädchenarbeit – und nun auch für die Jungenarbeit, 쐌 elf Jahre intensive Fachberatung und vielfältige Angebote zur Qualifizierung, 쐌 elf Jahre lebendige Mädchenpolitik, 쐌 elf Jahre nah dran zu sein an den Themen der Kinder- und Jugendhilfe – jetzt auch mit der Gender Perspektive und nicht zuletzt auch 쐌 elf Jahre besonders engagierte und tragfähige Zusammenarbeit der ehrenamtlich Aktiven des Vereins und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fachstelle, bei denen ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bedanken möchte. In einem Team ist immer auch Bewegung, daher möchte ich Sie auf die aktuellen personellen Veränderungen aufmerksam machen. Neu im Team ist mit einer 50 % Stelle seit Februar dieses Jahres Doris Schulte. Sie bringt Erfahrungen aus der Jugendverbandsarbeit mit und verbindet die Genderperspektive u.a. mit spezifischen Kenntnissen aus der Sexualpädagogik. Ebenfalls seit Februar 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:3 2007 ist Birol Mertol als Koordinator für die Landesinitiative Jungenarbeit in der Fachstelle beschäftigt. Er hat Erfahrungen in der Offenen Arbeit und interkulturellen Jugendarbeit. Seine Diplomarbeit hat er zum Thema „Männlichkeitsbilder von Jungen mit türkischem Migrationshintergrund sowie die Möglichkeiten und Grenzen interkultureller Jungenarbeit“ geschrieben. Weitere Informationen zur Landesinitiative erhalten Sie im Verlauf des Tages. „Voneinander lernen“ ist der Titel unserer Tagung. Das ist – wie ich finde – ein besonders passendes Motto, auch für die vermehrte Kooperation von Mädchen- und Jungenarbeit. In der zurzeit öffentlich geführten „Gewinner/Verlierer“-Debatte sollten sich die beiden Bereiche nicht gegeneinander ausspielen lassen, sondern vielmehr in den gegenseitigen Austausch gehen, um voneinander zu lernen. Ich wünsche Ihnen eine spannende und erkenntnisreiche Tagung und darf das Wort weiter geben an Alberta Großmann-Rath, MGFFI des Landes NRW, dort Ansprechpartnerin für Gender Mainstreaming in der KJH, für Mädchen- und Jungenarbeit. Sie begleitet die Arbeit der Fachstelle und von FUMA e. V. seit Beginn. 3 03.12.2007 15:30:58 Uhr „Voneinander lernen“ Grußwort Alberta Großmann-Rath Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration Sehr geehrte Frau Kamps, sehr geehrte Damen und Herren, zunächst möchte ich Ihnen die Grüße der Landesregierung, die Grüße von Herrn Minister Armin Laschet übermitteln. Dies tue ich sehr gern, da ich in der geschlechtsspezifischen Jugendarbeit im Rahmen des Kinder- und Jugendförderplans meinen fachlichen Schwerpunkt habe. Die Querschnittsthemen Mädchen- und Jungenarbeit sowie das Thema Gender-Mainstreaming sind Aufgabenfelder, die in allen Handlungsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe behandelt werden. Gender-Mainstreaming wirkt in alle übrigen Handlungsbereiche hinein und unterstützt letztlich auch die Querschnittsaufgabe „Kinder- und Jugendpolitik“. I. Einleitung 4 Da es heute darum geht, die Rolle der geschlechtsspezifischen Arbeit mit Mädchen und mit Jungen in den Kontexten von Sozialisation, Bildungsorten und Lernwelten zu betrachten, möchte ich die Gelegenheit nutzen, noch einmal kurz auf die grundlegenden Zielsetzungen der geschlechtsbezogenen Kinder- und Jugendpolitik, wie sie inzwischen durch Gesetz und Kinder- und Jugendförderplan des Landes NRW festgeschrieben sind, einzugehen. Denn hierbei werden sowohl die au- 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:4 ßerschulischen Bildungsorte als auch die Lernwelten, wie z.B. das informelle Lernen in Peergroups, berücksichtigt. Bei der Kinder- und Jugendförderung des Landes wird generell davon ausgegangen, dass die geschlechtergerechte Erziehung und Betreuung für die Entwicklung eines Kindes wichtige Bausteine sind. Das Kennenlernen verschiedener Rollenbilder öffnet ein breites Spektrum möglicher Verhaltensweisen und zeigt Beispiele für Lebensperspektiven, Beruforientierungen und Möglichkeiten der Lebensplanung auf. Ebenso bieten das Kennenlernen der eigenen Potenziale und die Reflexion der eigenen Wertvorstellungen sowie das Kennenlernen der Pozentiale und Wertvorstellungen des anderen Geschlechts die Möglichkeit, in der Persönlichkeitsentwicklung die eigenen Ziele selbstbewusst zu verfolgen und gleichzeitig mit dem Verständnis um die Werte des anderen dessen Verhalten besser einschätzen zu können und für die eigene Erfahrung etwas hinzuzulernen. Voneinander lernen ist also sehr wichtig für den respektvollen Umgang miteinander und für die Erweiterung der eigenen Potenziale. Das betrifft 03.12.2007 15:31:00 Uhr Begrüßung den Umgang der Geschlechter miteinander und auch den interkulturellen Umgang. III. Fachstelle Gender NRW – Landesinitiative Jungenarbeit Nordrhein-Westfalen II. Bildungsauftrag der Kinderund Jugendhilfe Zur Unterstützung der Träger bei der Entwicklung geschlechtergerechter Angebote und Strukturen fördert das Land daher die Fachstelle Gender NRW, die bei der Implementierung von Gender-Mainstreaming beratend und begleitend tätig sein soll, aber auch – in Kooperation mit weiteren landesweit tätigen Trägern der geschlechtsspezifischen Jugendarbeit – Impulse für die geschlechtergerechte Weiterentwicklung der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit geben soll. Der Bildungsauftrag der Kinder- und Jugendhilfe geht daher heute von der Subjektstellung der jungen Menschen aus. Lebenslauforientierte und auf die Biographie abgestellte pädagogische Konzepte gewinnen an Bedeutung. Der neue Kinderund Jugendförderplan sieht die Handlungsfelder der Kinder- und Jugendhilfe in einem eigenständigen, die familiäre und schulische Bildung ergänzenden Bildungs- und Erziehungsauftrag. Die Bildungs- und Erziehungsleistung erfolgt hier vor allem durch die Vermittlung zentraler Schlüsselkompetenzen wie soziale, kulturelle und demokratische Kompetenzen. Dabei ist Gender-Mainstreaming als durchgehendes Handlungsprinzip festgeschrieben. Die geschlechterdifferenzierte Kinder- und Jugendarbeit ist gesetzlich verankert und verfolgt als Hauptziel dabei die Förderung der Chancengleichheit und Überwindung von Geschlechterstereotypen. Dabei gilt es, 쐌 die jeweilsgeschlechtsspezifischen Belange von Mädchen und von Jungen zu berücksichtigen, 쐌 durch den Abbau von geschlechtsspezifischen Benachteiligungen und das Aufbrechen von Rollenzuschreibungen zur Verbesserung der Lebenslagen von Jungen und Mädchen beizutragen, 쐌 eine gleichberechtigte Teilhabe und Ansprache zu ermöglichen sowie 쐌 konstruktive Konfliktlösungen und 쐌 die Anerkennung unterschiedlicher Lebensentwürfe zu fördern. 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:5 Daher wird die „Landesinitiative Jungenarbeit Nordrhein-Westfalen“, die Herr Minister Laschet im März diesen Jahres ins Leben gerufen hat, geschäftsführend und in vielen Kooperationen mit Trägern der Jugendhilfe – insbesondere der LAG Jungenarbeit NRW e.V. – von der Fachstelle Gender NRW unterstützt. Hierzu werden Herr Ihlau und Herr Mertol ja heute Nachmittag noch Näheres zu Zielen und Handlungskonzept erläutern. 5 03.12.2007 15:31:00 Uhr „Voneinander lernen“ IV. Schluss Zusammenfassend möchte ich sagen, dass in NRW eine geschlechtergerechte Kinder- und Jugendarbeit und die Berücksichtigung der Prinzipien des Gender-Mainstreamings Leitprinzipien einer Kinder- und Jugendhilfe sind, die der individuellen, sozialen und kulturellen Entwicklung junger Menschen dienen. Sie ist somit auch Grundlage für die Erziehung zu solidarischem Miteinander, selbstbestimmter Lebensführung, eigenverantwortlichem Handeln, gesellschaftlicher Mitwirkung und nicht zuletzt demokratischer Teilhabe. Die Befähigung zur Auseinandersetzung mit friedlichen Mitteln und die Toleranz gegenüber verschiedenen Weltanschauungen, Kulturen und Lebensformen sind auch geprägt vom Verständnis für ein geschlechtergerechtes und geschlechterdemokratisches Leben in unserer Gesellschaft. Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Weiterentwicklung und Bedarfe (z.B. im Bereich des Arbeitsmarktes), aber auch um demokratische Strukturen zu vertiefen, zeigt sich, dass es zukünftig immer wichtiger wird, dass Männer und Frauen einen anderen Umgang der Geschlechter in ihren gesellschaftlichen Rollen miteinander leben, als dies heute noch üblicherweise der Fall ist. Hierzu müssen die Verantwortlichen in Erziehung und Bildung auch in Form von Rollenvorbildern ihren Beitrag leisten. Die Kinder- und Jugendförderung in Nordrhein-Westfalen nimmt diese Herausforderung an und wird ihren Erziehungs- und Bildungsauftrag mit den Trägern der freien und öffentlichen Jugendhilfe kontinuierlich fortentwickeln. Ich wünsche Ihnen in der heute geplanten handlungsfeldbezogenen fachlichen Auseinandersetzung anregende Diskussionen und Hinweise für die Praxis. Ich danke für ihre Aufmerksamkeit. 6 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:6 03.12.2007 15:31:01 Uhr Begrüßung Begrüßung Cäcilia Debbing Fachstelle Gender NRW Das Thema der Tagung haben wir gewählt, ... ... als wir uns im Team der Fachstelle darüber austauschten, dass in Berichten und Untersuchungen, wie dem 12. Kinder- und Jugendbericht und der 15. Shell Jugendstudie die Geschlechterthematik benannt und als wichtige Querschnittsaufgabe erachtet wird, die Studien aber weitergehende konkrete Hinweise auf Umsetzungen und Konsequenzen für die pädagogische Praxis schuldig bleiben. Mit der Tagung wollen wir Raum für vertiefende Einblicke, Aufschlüsse und Impulse für eine genderbewusste Praxis geben. Besonders wichtig ist es uns, mit allen Teilnehmenden der Tagung ins Gespräch zu kommen, denn Sie sind die Experten und Expertinnen, die Genderaspekte für Ihre jeweiligen Praxisfelder genauer erarbeiten und beschreiben können. In pädagogischer und sozialer Arbeit ist nahezu unumstritten, dass Mädchen und Jungen Chancengleichheit und Rollenflexibilität in Lern- und Bildungskontexten eröffnet und angeboten werden sollen – gleichzeitig lernen und erleben Mädchen und Jungen unterschiedliche Realitäten. Sie werden mit unterschiedlichen geschlechtsspezifischen Erwartungen konfrontiert. Lernen, Bildung und geschlechtsspezifische Sozialisation sind eng miteinander verknüpft. Die Tagung heute soll Gelegenheit bieten dieses Geflecht in Genderkontexten fachlich näher und differenzierter zu beleuchten. 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:7 Was liegt momentan oben auf in der Arbeit der Fachstelle Gender NRW? – Impulse aus Arbeit: Gender Mainstreaming ist meistens nicht im Mainstream – oftmals gibt es andere Themen, die für wichtiger erachtet werden. Und doch, Geschlechterfragen sind überall präsent: In den Medien sind Fragen danach, ob etwas und was typisch weiblich oder männlich ist seit einigen Jahren ein anhaltendes Thema. Es gibt z.B. TV-Shows, Belletristik, Sachberichte und Artikel zum sozialen Geschlecht, zu biologischen Grundlagen, zu geschlechtsspezifischen Erwartungen u.v.m. In Eltern- und Partygesprächen sind Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Mädchen und Jungen Thema. Aktueller Tenor ist, dass Mädchen heute insgesamt besser, insbesondere mit schulischen Anforderungen klar kommen und Jungen nicht mehr wie gewohnt mitkommen. Der aktuelle Spiegel titelt: „Die Alpha Mädchen kommen – wie eine neue Generation von Frauen die Männer überholt“ (Heft 24/2007). Der Titel nimmt die Mädchen und Frauen als Überho- 7 03.12.2007 15:31:02 Uhr „Voneinander lernen“ lende und Konkurrentinnen in den Blick, und lässt damit einen großen Teil der realen Lebenslagen von Mädchen und Frauen in Deutschland ebenso außer acht wie die Lebenslagen der Jungen und Männer. Eine aufmerksame Zuwendung zu Jungen und ihren Themen, die dringend erforderlich ist, wird so nicht eingeleitet. Einerseits werden Gender Mainstreaming und geschlechtsdifferenzierte Arbeit als förderlich für Chancengleichheit und Geschlechtergerechtigkeit in den Feldern der Kinder- und Jugendhilfe zunehmend anerkannt, andererseits gibt es in den Medien immer mal wieder Stimmen, die gerade im Gender Mainstreaming und den Ansätzen der Mädchen- und Jungenarbeit die Gefahr des Identitätsverlustes und der Desorientierung sehen, wie z.B. im Spiegel in einem Artikel von Rene Pfister (Heft 1/2007) dies polemisierend beschrieben wurde. 8 Gender Mainstreaming, Mädchenarbeit und Jungenarbeit zielen alle gleichermaßen gerade auf die Stärkung einer individuellen Identität und einer gesellschaftlichen Realität, in der Chancengleichheit und Vielfalt lebbar sind. Vor dem Hintergrund der beschriebenen gesellschaftlichen Stimmung will ich drei inhaltliche Punkte aus der 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:8 Fachstellenarbeit als Impulse mit in die Tagung geben, die uns in unserer Fachberatung z.Zt. quasi oben auf liegen: 1] In der Fachberatung der Fachstelle zu den drei Säulen Mädchenarbeit, Jungenarbeit und Gender Mainstreaming wird immer wieder deutlich, dass in der Auseinandersetzung und Reflektion von Genderthemen sowohl Ideen, Impulse und Ahnungen für neue Chancen und Zugewinn offenbar werden aber auch Skepsis, z.B. Ängste vor Verlust von Sicherheit und Privilegien. Für die Fachberatung zu Genderthemen heißt das, Veränderungen und Entwicklungen brauchen Zeit, Vertrauen und Kontinuität. Für den Herbst 2007 bereiten wir gerade ein Vernetzungstreffen von Trägern der Kinder- und Jugendhilfe in NRW vor, die Gender Mainstreaming mit unserem Bausteinangebot implementieren. Zur Evaluation und zur Anregung des Fachaustausches fragen wir derzeit den Stand der Umsetzung bei den Trägern ab. Erfreulicherweise sind die ersten Rückmeldungen durchaus positiv – die Träger sind in der Umsetzung auch nach Abschluss der Bausteine weiter aktiv. 2] Insgesamt ist die Anzahl der Anfragen an die Fachstelle gerade auch zu Beginn diesen Jahres weiter deutlich angestiegen. Es gibt Bedarf nach Fachberatung, Ideen und Impulsen um Genderbewusstsein zu verankern. Besonders gefragt sind derzeit Themen der Jungenarbeit. Anfragen an die Fachstelle zur Jungenarbeit haben vorwiegend den Aufbau und die Weiterentwicklung von Jungenarbeit zum Inhalt. Als einen Programmpunkt werden wir heute später die bereits erwähnte Landesinitiative Jungenarbeit mit ihren Zielen und Inhalten vorstellen. Eine Reihe von Anfragen zielen auf die Koope- 03.12.2007 15:31:02 Uhr Begrüßung ration zwischen Mädchen- und Jungenarbeit. In der Fachberatung ist es wichtig, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen der Mädchenarbeit und der Jungenarbeit anzuerkennen und den jeweiligen Träger, die Kommune oder den Kreis mit den jeweiligen strukturellen und gewachsenen Besonderheiten wahrzunehmen. Deutlich wird auch, dass auch die Mädchenarbeit weiterhin Unterstützung braucht. Die Kooperation zwischen Jungenund Mädchenarbeit kann sehr erfolgreich und fruchtbar sein, wenn sie nicht in Konkurrenz oder Zwangsgemeinschaft gesetzt werden. Gerade in der gegenseitigen Anerkennung liegen die Chancen für den Gender Dialog. 3] Aussagen zu „den Jungen“ und „den Mädchen“ haben immer weniger Relevanz für die Praxis vor Ort. Ethnische wie soziale Herkunft beeinflussen gerade Bildungschancen in Deutschland stärker als das Geschlecht. Eine Verknüpfung der Querschnittsthemen Geschlechterdifferenzierung und Interkulturalität ist erforderlich um vielfältige Bildungschancen zu schaffen. Nötig ist ergänzend zum Gender Mainstreaming ein Culture Mainstreaming, um für alle Mädchen und Jungen in ihrer Verschiedenheit angemessene und erfolgversprechende Entwicklungs- und Bildungsmöglichkeiten aufzubauen. Jungen und Mädchen brauchen Lernund Bildungsangebote in denen sie Rollenvielfalt und Eigensinn erleben können und ent- sprechende Unterstützung finden. Z.B. gilt soziales Verhalten unter Jungen eher als uncool, obwohl z.B. auf dem Arbeitsmarkt die Anerkennung sozialer Kompetenzen als wichtige Ressource zunimmt. Für Mädchen ist Durchsetzungskraft das entsprechende Pendant, welches zwar Erfolg in Schule und Job fördert aber nicht in der Peergroup. Ob in der Offenen Arbeit, der Jugendberufshilfe, der Jugendverbandsarbeit, der Jugendbildungsarbeit, in KITA`s , in Familienzentren, in Schule usw. – es bleibt noch viel zu tun, bis interkulturelle und Gender Kompetenz zum Standard dieser Arbeitsfelder zählen. Ich wünsche allen Teilnehmenden heute Spaß und Freude an der Tagung und an den Beiträgen zur Förderung der o.g. Kompetenzen. 9 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:9 03.12.2007 15:31:03 Uhr „Voneinander lernen“ Ohne souveräne Vorbilder bleibt alles beim Alten: Genderperspektiven in der frühkindlichen Erziehung und Bildung Vortrag: Melitta Walter Fachberatung für geschlechtergerechte Pädagogik, München Zu Beginn ein Ausflug in die Rahmenbedingungen, inmitten derer sich der Auftrag „geschlechtergerecht, geschlechtssensibel, geschlechtsdifferent ...“ zu pädagogisieren, umsetzen lassen soll. Gibt es einen gesamtgesellschaftlichen Konsens? Oder ist es hier, wie in vielen Themenbereichen: In Leitlinien und Bildungsplänen tauchen die Begriffe auf, wird theoretisch zugestimmt, im Alltagsleben als Grundlage aber nicht berücksichtigt? Schließlich kann pädagogisches Bemühen nur dort gedeihen, wo der Samen der Erkenntnis aufgegangen ist. Kann die Frage: Ist unsere Gesellschaft als Ganzes bereit, dieses Erziehungs- und Bildungsziel mit zu tragen, eindeutig mit JA beantwortet werden? Geschlechterpädagogik gibt es schon so lang, wie es Geschlechtsrollenzuschreibungen gibt. 10 Erziehung hatte schon immer das Ziel, ein Kind von Geburt an zu sozial verträglichen Bürgern oder Bürgerinnen heranzuziehen. Bildung hatte schon immer den Auftrag beide Geschlechter zu formen, indem Bildungsinhalte ermöglicht oder verhindert wurden. Je nach Stand, Status, Religion und kulturellen Gepflogenheiten wurden Jungen 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:10 und Mädchen den gesellschaftlichen Rollenerwartungen entsprechend `erziehend´ beeinflusst. Diese Lenkung fand mehr oder weniger bewusst durch Mütter, Väter, Gouvernanten, Hauslehrer, Lehrmeistern und die familiäre Umgebung statt. In welche Lebensbedingungen hinein ein Kind auch immer geboren wurde, oberstes Gebot pädagogischer Bemühungen war es, den reibungslosen Ablauf der Gesellschafts- und Geschlechterhierarchie zu sichern. Dies bedeutete für beide Geschlechter eine mehr oder weniger schmerzhafte Anpassung an geforderte `geschlechtstypische´ Ge- und Verbote, vorgelebt von den jeweiligen Vorbildern der eigenen Familien. Das Verhältnis der Geschlechter zueinander hat sich im Laufe der Jahrhunderte ständig gewandelt. Konfliktstoff gibt es seit jeher genügend. Radikale und traditionsbewusste Ansichten streiten um den richtigen Weg, was verändert werden soll oder auch nicht. Genau Beobachtende fanden schnell heraus, weshalb manche Zukunftsentscheidungen geschlechtsbedingt erfolgten. Prof. Wieth-Knudsen 03.12.2007 15:31:04 Uhr „Ohne souveräne Vorbilder bleibt alles beim Alten“ schilderte diese Beobachtung 1927 sehr anschaulich: „Aus dem Umstand, daß z.B. eine Klasse Handelsschülerinnen nach beendigtem Kurs schneller Maschinenschreiben kann als die Männerklasse, läßt sich nur schließen, daß diese Beschäftigung für die Mädchen meist das Endziel darstellt, während sie für die Männer doch nur ein Nebenfach ist, in dem sie sich in der Praxis kaum noch sonderlich zu betätigen brauchen.“(1) Jungen und Mädchen fanden immer schnell heraus, wo die Grenzen des Machbaren für ihr Geschlecht sind. Statistisch gesehen, beklagten durch die Jahrhunderte hinweg in Briefwechseln oder Autobiographien wesentlich mehr Mädchen und Frauen diese Verhinderung sie selbst sein zu dürfen als Männer. 1941, zwei Jahre vor ihrem Tod schrieb die damals 73jiährige deutsche Frauenrechtlerin Lydia Heymann in ihren Memoiren: „Unter völliger Gleichberechtigung beider Geschlechter ist alles und jedes, Erziehung in Haus und Schule, Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst, Technik, soziale und politische Maßnahmen in allen Ländern der Welt einer vernunftgemäßen Aufbauarbeit dienstbar zu machen.“(2) Übertragen auf die Bildungspläne heißt das heute: Geschlechterpädagogik als Querschnittsaufgabe aller Bildungs- und Erziehungsfelder. 24 Jahre später, 1965, also vor mehr als 40 Jahren führte das Familiengesetzbuch der DDR in § 10 aus: „Beide Ehegatten tragen ihren Anteil bei der Erziehung und Pflege der Kinder und der Führung des Haushalts. Die Beziehungen der Ehegatten zueinander sind so zu gestalten, daß die Frau ihre berufliche und gesellschaftliche Tätigkeit mit der Mutterschaft vereinbaren kann. Ergreift ein bisher nicht berufstätiger Ehegatte einen Beruf oder entschließt sich ein Ehegatte, sich weiterzubilden oder gesellschaftliche Arbeit zu leisten, unterstützt der andere in kameradschaftlicher Rücksichtnahme und Hilfe das Vorhaben seines Ehegatten“.(3) In Deutschland haben wir es mit einem spannenden Blickwinkel zu tun: West- und Ostdeutschland mit sehr unterschiedlichen geschlechtsformenden Sozialisationsprozessen soll nun auf einer Welle schwimmen. Vordergründig wuchsen Mädchen und Jungen in der DDR gleichberechtigter auf, war Kinderbetreuung selbstverständlich, brauchte es keinen „Girls Day“, um Mädchen mit technischen Berufsfeldern vertraut zu machen. Kinder konnten dort differenziertere weibliche Berufsvorbilder erleben. Doch weder hüben noch drüben veränderte das männlichen Geschlechts deutlich messbar die eigene Geschlechtsrolle, von `kameradschaftlicher Rücksichtnahme´, der Alltagsaufteilung von unattraktiven Notwendigkeiten kann bis heute nicht wirklich die Rede sein. Und so wundert es nicht, dass 2007 wieder einmal statistisch nachgewiesen wird, wie ungleich die Möglichkeiten zwischen den Geschlechtern immer noch verteilt sind. Claudia Luz zählt in ihrem Buch „Die Hälfte der Familie für die Männer, die Hälfte der Berufswelt für die Frauen“ Fakten auf und fordert „eine wirkliche Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Lebensmodellen.“(4) Auch hier kann einfach eine Verknüpfung mit den Bildungsplänen hergestellt werden. Werden kleine Jungen in Kinderbetreuungsein- (1) Prof.. Wieth-Knudsen: Kulturgeschichte der europäischen Frauenwelt, 1927, S. 4 (2) Lydia Heymann, Memoiren (Erlebtes -Erschautes) 1941 in Zusammenarbeit mit Anita Augsburg (3) Gisela Helwig: Frau und Familie. S. 110 / 1987);: (4) Claudia Luz: Die Hälfte der Familie für die Männer, die Hälfte der Berufswelt für die Frauen. Kunstanstifter Verlag, Mannheim 2007, S. 90; 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:11 11 03.12.2007 15:31:05 Uhr „Voneinander lernen“ 12 richtungen selbstverständlich in Alltagsabläufe, die lästig sind, eingebunden oder helfen immer noch die Mädchen, die sich nicht so schnell der Aufforderung, den Tisch abzuwischen, den Raum auszufegen, den Müll wegzubringen ... entziehen? Was früher fast ausschließlich als feministische Unbelehrbarkeit gegenüber den nun mal vorgegebenen Geschlechterhierarchien abgetan wurde, nennt sich heute forsch „Gender Mainstraming“ und soll EU-weit in allen öffentlichen Wirkungsfeldern umgesetzt werden. Doch dort haben Männer – als öffentliche Vorbilder – das Sagen. Denn die gesellschaftspolitische Landschaft besteht auf der Ebene der Entscheidungstragenden im Gegensatz zu den die nachkommende Generation Betreuenden, überwiegend aus Männern. Die Bundestagswahl im September 2005 ergab 613 Abgeordnete, davon 193 Frauen. Dies ist ein weiblicher Anteil von 31,5 %. Im internationalen Vergleich liegt die Bundesrepublik damit auf dem 17.Platz. Nicht gerade vorbildlich. Diese Männer, die wir als gemischtgeschlechtliche Bevölkerung gewählt haben, sind die „Bestimmer“ wie Kinder sagen. Wie aber bestimmen sie über das, was den kleinen Mädchen und Jungen gut tut? Sie bestimmen, dass Kindergruppen 25 Kinder zählen müssen. Sie bestimmen, dass Frauen sehr häufig weniger Geld für die gleiche Arbeit bekommen. Sie verhindern als Chefs nicht, dass Väter Probleme am Arbeitsplatz befürchten müssen, wenn sie Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen wollen. Große Worte wie „Selbstverpflichtung“ oder „Leitbild“ werden öffentlich dort platziert, wo die Vortragenden sich einen Vorteil erhoffen, weil sie `frauen-´ oder `familienfreundlich´ argumentieren. Haben die so Sprechenden nicht verstanden, dass „Gender Mainstreaming“ immer 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:12 Auswirkungen auf das Sein und Handeln beider Geschlechter haben muss, um zu funktionieren?. Aber wir haben nun eine Chefin im Land und damit ein weibliches Vorbild der Machtausübung. Fazit: In unserer Gesellschaft konkurrieren unterschiedliche Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder miteinander. Alte Stereotype verlieren an Realitätsgehalt, die Zukunft braucht ein Miteinander beider Geschlechter. Woran können Kinder sich heute überhaupt orientieren? Wir leben im Zeitalter der Widersprüche und Mehrdeutigkeiten. Geschlechtergerechte Pädagogik ist zwar schicklich auf dem Papier, im Alltagsgeschehen noch weit entfernt von wirklicher Auswirkungskraft, an souveränen Vorbildern für die kleinen Mädchen und Jungen fehlt es. Wer sich dieser `Gender´-Aufgabe stellt, muss sich klar darüber sein, dass sich das kollektive Unterbewusstsein, um es mal ganz hochtrabend auszudrücken, noch in der guten alten Zeit der überschaubaren Geschlechtsrollenbilder tummelt. Doch lassen wir uns davon nicht entmutigen, analysieren wir, weshalb es nicht wirklich zügig mit der Genderpraxis voran geht. Vom Ich zum Du, vom Wir zum Ihr Ganz gleich, ob wir Single sind, in fester Partnerschaft leben, ob wir Kinder haben oder keine – die Geschlechtsrollenerwartung anderer an uns selbst, aber auch unsere eigenen gegenüber Anderen, überrumpelt uns immer wieder. Unsere Toleranz gegenüber Menschen des eigenen oder Gegengeschlechtes steht und fällt mit den Emotionen, die wir ihnen entgegenbringen. In diesem Berufsfeld, das zu über 90 % der Gestaltenden aus Frauen besteht, ist es eine besondere Herausforderung, dem 03.12.2007 15:31:05 Uhr „Ohne souveräne Vorbilder bleibt alles beim Alten“ Gegengeschlecht gerecht zu werden und dem eigenen nicht mit weiblicher Rollenstereotype zuzusetzen. Im Wahlpflichtfach „Geschlechterpädagogik“ an der Münchner städtischen Fachakademie für Sozialpädagogik bitte ich angehende Erzieherinnen oft sich zu erinnern: Wie war es, als sie kleine Mädchen waren? Womit haben sie am liebsten gespielt? Das Ergebnis erstaunt die jungen Frauen selbst: Sie spielten mit Playmobil, Legosteinen, Bällen, Stöcken und Steinen, Töpfen und Kannen am Wasserhahn und alle liebten es im Matsch zu buddeln. Puppen oder Barbipuppen tauchten nur in Ausnahmen als Lieblingsspielzeug auf. Alle erinnern sich, wie gern sie mit Größeren draußen herum tobten, wie gern sie am Boden saßen oder Höhlen bauten. Die Realität der Mädchen in Kindertagesstätten sieht allerdings anders aus: Sie sitzen an Tischen, sie hocken in der von den Erzieherinnen mit viel Leidenschaft ausgeschmückten Puppenecke, „verkleiden sich“ mit abgelegten Blusen und Schürzen der Erzieherinnen als Prinzessin. Sie machen das Beste aus dem Verfügbaren.(5) Jede Erzieherin ist automatisch eine Spiegelung des eigenen Geschlechtes – ein Vorbild, ob sie will oder nicht. Für die Jungen heißt dies, sie sehen weibliche Personen, kleine und große um sich herum. Wenn sie ohne Vater oder andere private männliche Bezugsperson aufwachsen, sind sie ausschließlich umringt von „Weibern“, wie Jungen das andere Geschlecht gern bezeichnen, wenn „die nerven ...“ Erzieherinnen können nichts dafür, dass sie als Frauen, als Hauptakteurinnen allein über gut und böse, rich- tig und falsch entscheiden; die Verantwortung für Mädchen und eben auch Jungen tragen.(6) Professionelles Arbeiten erfordert Distance. Gelingt es, im tagtäglichen Agieren, souverän mit der Aufgabe umzugehen? Übertragen auf die Berufspraxis der pädagogischen Fachkräfte können wir also fragen: 쐌 Aufgrund welcher Erfahrungen mit dem männlichen Geschlecht blickt eine Frau Mitte 30, die die Leitung einer Kinderbetreuungseinrichtung inne hat, und damit als Chefin ein weibliches Vorbild ist, auf die kleinen Jungen und deren Väter? 쐌 Aufgrund welcher individuellen Erinnerungen an Mütter, Schwestern, Spielkameradinnen oder Konkurrentinnen um die Gunst eines Jungen oder Mannes werden Kolleginnen im Team gemocht oder abgelehnt. Wie viel geschlechtsneutralen Freiraum gestatten Erzieherinnen, Sozialpädagoginnen und Mütter den kleinen Mädchen, wenn sie sich selbst wenig Abenteuerlust einräumen? 쐌 Und nicht zu vergessen: Wie viel Mann hält ein Frauenteam aus, das es gewohnt ist, immer weiblich sozialisiert auf die kleinen Kinder einzuwirken, in dem Glauben aufgewachsen, dass Frauen Kraft ihres Geschlechtes `besser wissen was Kinder brauchen´? 쐌 Welche Teamunterstützung benötigen Erzieherinnen und Mütter, um von dieser Allmacht einen Teil an das andere Geschlecht ohne Bevormundung abgeben zu können? (5) Melitta Walter: Warst du auch mal ein Mädchen? Mädchenarbeit und geschlechtergerechte Pädagogik in Kindertagesstätten. In: Betrifft Mädchen: Gender Prickeln! Frühkindliche Bildung und Geschlecht. H. 3, Juli 2006, S. 119-123 (6) Melitta Walter: „Jedes Kind hat das Recht auf ein aufgeschlagenes Knie ...“ oder Können Frauen in der Kita die Männer ersetzen?. In: TPS. Theorie und Praxis der Sozialpädagogik. 8/2006, S. 18-22; 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:13 13 03.12.2007 15:31:06 Uhr „Voneinander lernen“ Noch einmal: Wir agieren und reagieren impulsiv, intuitiv und meist entscheidet der erste Eindruck darüber, wie wir eine Frau, einen Mann zuordnen. Um dies aber in so kurzer Zeit auch zuwege zu bringen, orientieren wir uns an Normen, an Rollenmustern. Schon im Umgang mit Eltern und Kindern anderer Herkunftskulturen haben wir oftmals geschlechtsbedingte Kommunikationsschwierigkeiten. Wenn sich Menschen in ihrem Habitus von den uns vertrauten Klischees entfernen, müssen wir genauer hinsehen, um uns zu orientieren. Und das ist anstrengend. Und tief innen flüstert immer noch die Vergangenheit: Ein Mann muss hinaus ins Leben, denn drinnen waltet die fleißige Hausfrau und Mutter. Christine Büttner, seit 30 Jahren forschend im Feld der Kindertageseinrichtungen tätig, bestätigt diese Einflüsterungen. Sie sieht derzeit kein wirkliches Vorankommen in der Geschlechterdebatte: „Auch wenn in den letzten 20 Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen worden sind, sich in der Auseinandersetzung um eine geschlechtsbewusste Erziehung auf eine Gleichstellung von Mädchen und Jungen zu zubewegen, so scheint doch heute davon nicht viel in der aktuellen gesellschaftlichen Debatte angekommen zu sein. Nach neueren Untersuchungen an der Universität Bamberg (vgl. Blossfeld 2006) befinden wir uns offenbar – gemessen an Forderungen von vor etwa 20 Jahren – auf dem Weg zu wieder eher traditionellen Vorstellungen von der Männer- und Frauenrolle, auf die hin zu erziehen wäre..“(7) Liegt der Grund hierfür an den familienfeindlichen 14 Rahmenbedingungen des Berufslebens, am Mangel männlicher Vorbilder oder einfach daran, dass Männer bei Freunden nicht damit punkten können, wenn sie abends die Wäsche machen, statt mit in die Kneipe zu gehen? Kollektive Geschlechternormen wirken immer noch stark und werden tagtäglich reproduziert. Und dies ganz besonders auch in den Medienangeboten für Kinder. Vor einigen Tagen kaufte ich an der Tankstelle die Kinderzeitschrift: Kleiner Roter Traktor.(8) Die darin enthaltenen Geschichten laufen auch auf dem KiGa-Kanal und sind im Internet als animierte Zeitschrift verfügbar. Das Heft kostet 2,70 €. Aha, dachte ich, eine Zeitung für kleine Jungen inmitten der schreiend rosaroten Mädchenzeitschriften. Auf dem Titelbild ist aber auch das Mädchen Emma abgebildet. Sie ist 9 Jahre alt, ihr Bruder Max ist zehn. Auf Seite 5 lese ich folgende Sätze: „Emma kann die erste Frage beantworten und hüpft ein Stück nach vorne. Max gibt die nächste Antwort und macht einen großen Schritt.“ Reiner Zufall? Einige Seiten später gibt es eine Fotogeschichte von „Wölkchen Weideglück“ einem Hausschafmädchen. Wölkchen hat einen Zwillingsbruder. Ich zitiere: „Aber Schnuck ist viel neugieriger als ich und immer unterwegs.“ Auf einem Foto kämpfen sie miteinander und dazu steht geschrieben: „Es ist nur Spaß. Meistens gewinnt Schnuck, weil er stärker ist als ich. Schließlich ist er ein Junge.“ Als Vorbild wird hier wieder eine klare Geschlechtertypisierung vorgenommen. Unterschwellig wirken diese Texte trotz bunten Bilder traditionell wie eh und je. (7) Christian Büttner: Berufsrolle und -auftrag von Erzieher/innen. In: http://www.kindergartenpaedagogik.de/838.html (8) Blue Ocean Entertainment AG: Kleiner Roter Traktor., München Nr. 2/2007 (9) Ute Gerhard: <Unrechtserfahrungen> – Über das Aussprechen einer Erfahrung mit Recht, das 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:14 03.12.2007 15:31:06 Uhr „Ohne souveräne Vorbilder bleibt alles beim Alten“ Und doch soll im pädagogischen Handeln plötzlich die Individualität die tradierten Geschlechternormen ablösen. Begriffe wie Freiheit, Gleichheit und Unabhängigkeit werden inflationär gebraucht. Natürlich sollen die Kinder eingebunden werden, selbstverständlich dürfen Mädchen und Jungen sich entfalten ... Von jetzt auf gleich sollen aus klassisch sozialisierten Frauen und Männern begeisterte Gleichstellungsexpertinnen und -Experten werden. So einfach gelingt dies nicht. Es liegt doch auf der Hand, dass eine Meinung zwar im Kopf kritisch hinterfragt, sogar aufgegeben werden kann, die praktische Umsetzung im wirklichen Leben aber erst langsam gelingt. Denn, treffend formuliert es Ute Gerhard in einem Artikel über `Unrechtserfahrungen´: „Es müssen viele gesell- schaftliche Faktoren und unterschiedliche Erfahrungen zusammenkommen, um Menschen gegen tradierte Gewohnheiten und herrschende Autoritäten, gegen Ungerechtigkeit und für das gemeinsame Ziel einer Veränderung zu mobilisieren.“ (9) Formen durch das alltägliche Handeln der Akteurinnen und Akteure immer wieder kopiert wird. Lange beschäftigte sich die Geschlechterforschung mit Fragen der biologischen Anlagen von Frau und Mann – den Genen. Grundlagenwerke und Statistiken versuchen, wissenschaftliche Ordnung in das Geschlechterchaos zu bringen. Je nach Ausgangsstandpunkt werden Unterschiedlichkeiten belegt oder widerlegt. Besonders feministisch geprägten Soziologinnen kommt der Verdienst zu, auf die rollenspezifische Vorbildfunktion für beide Geschlechter durch die Erwachsenen hinzuweisen. Meinungen prallen aufeinander und – nicht zu unterschätzen – spielt die individuelle Sozialisation all derer, die Kinder begleiten, betreuen, erziehen der wissenschaftlichen Erkenntnis im Alltag einen Streich. Zusammengefasst muss also festgestellt werden: Die Idee der Gleichheit der Geschlechter ist im Alltag nicht wirklich angekommen. Das WIR-Geschlecht äugt immer noch misstrauisch auf das IHR-Geschlecht. Wirklich souveräne Vorbilder für die Kleinen kommen dabei nicht heraus. Ausbildung pädagogischer Fachkräfte Kindertageseinrichtungen sind nicht nur äußerlich Teil der gesellschaftlichen Geschlechterordnung, sondern auch bis in ihre innersten Strukturen von dem Regelwerk dieser Ordnung durchzogen. Sie sind ein institutioneller Ort, an dem die Geschlechterstrukturen in ihren althergebrachten 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:15 So ist vorhersehbar, dass sich ohne unterstützende Reflexionsmöglichkeiten nichts bewegen wird. Albert Scherr bringt dies auf den Punkt, wenn er in seinem Artikel: Gender Mainstreaming – eine Her- ausforderung für Kinder- und Jugendhilfe? schreibt: „Die Aufgabe einer emanzipatorischen Gender-Pädagogik liegt darauf bezogen, Jungen und Mädchen Erfahrungsmöglichkeiten sowie Reflexionsmöglichkeiten zu eröffnen, durch die of- 15 03.12.2007 15:31:06 Uhr „Voneinander lernen“ fene und subtile Varianten alter und neuer Geschlechterstereotype ihre Alternativlosigkeit und Selbstverständlichkeit verlieren. Die für Pädagogik und Sozialarbeit entscheidende Frage lautet also nicht, ob in geschlechtshomogenen Gruppen gearbeitet wird, sondern ob und wie durch geschlechtshomogene und geschlechtsheterogene Arrangements Möglichkeiten eröffnet werden, aus geschlechtsbezogenen Festlegungen auszubrechen.“ (10) . Es ist eben nicht damit getan, kleine Mädchen einmal die Woche einen Bauteppichvormittag zu schenken, Jungen in den Putzdienstplan einzutragen. Deshalb hier einige Fragestellungen, die es wert sind im pädagogischen Team angesprochen zu werden: 쐌 Welche unterstützenden Informationen und Angebote brauchen Pädagoginnen und Pädagogen, Mütter und Väter, um bewusst und überzeugt bei der Umsetzung des Bildungs- und Erziehungszieles „Geschlechtergerechte Pädagogik“ mit zu gehen? 쐌 Welcher organisatorischen Rahmenbedingungen, welcher politischen Strategien bedarf es, um eine Veränderung der geschlechtlichen Rollen- und Ressourcenverteilung vehement voranzutreiben? 쐌 Welche gesellschaftlich relevanten Aufgaben muss eine zeitgemäße Elementar- und Hortpädagogik grundsätzlich übernehmen, um Mädchen und Jungen auf eine Lebensrealität vorzubereiten, die Arbeitsteilung auch in der Kindererziehung, Konfliktfähigkeit, Toleranz und Durchhaltevermögen verlangt und zwar von beiden Geschlechtern? 16 Bisher fehlt an vielen pädagogischen Ausbildungsstätten die Sensibilisierung für die Geschlechterfrage, es wird versäumt, die individuelle Lebenserfahrung durch eine grundsätzliche historisch nachvollziehbare Auseinandersetzung mit der Geschlechtsrollenbildung zu ergänzen. In den Ausbildungsstätten, so die pädagogischen Fachkräfte aus allen Bundesländern, die mich um Unterstützung bitten, hing es vom Zufall ab, ob eine Lehrkraft die Geschlechterfrage in den Unterricht einbaute oder eben nicht. Die Aufgaben der heutigen Erzieherinnen sind anspruchsvoller und umfangreicher, als es an vielen Ausbildungsstätten gelehrt wird. Erzieherinnen fungieren als Sozialarbeiterinnen, vermitteln zwischen Kindern vieler Kulturen, zwischen Kind und Eltern, zwischen Kind, Eltern und Sozialamtsstellen, halten den Kontakt zu Kinderschutzzentren, der Kinder- und Jugendpolizei. Das Anforderungsprofil an erzieherische Kompetenz, organisatorisches Talent und Fähigkeit zur Erwachsenenbildung platzt aus allen Nähten, denn wir leben im Zeitalter der „Qualitätssicherung“. Die umfangreiche Analyse des Tätigkeitsprofils der Erzieherin macht deutlich, wie entscheidend für das zukünftige Leben der uns anvertrauten Kinder unsere Umsicht, Kompetenz und Handlungsfähigkeit ist. Nun gibt es an Fachhochschulen und Universitäten den Studiengang „Erziehung und Bildung im Kindesalter“ mit dem Bachelor of Arts (B.A.) Abschluss Die Qualität der Erziehungsarbeit soll wissenschaftlicher fundiert ausgeübt werden und einem europaweiten Standard entsprechen. Es sei die Anmerkung gestattet: Was hat eine im Beruf ste- (10) Albert Scherr: Gender Mainstreaming – eine Herausforderung für Kinder- und Jugendhilfe? In: Jansen / Röming / Rohde (Hrsg.): Gender Mainstreaming. Herausforderung für den Dialog der Geschlechter. Olzog, München 2003(S. 248f) 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:16 03.12.2007 15:31:07 Uhr „Ohne souveräne Vorbilder bleibt alles beim Alten“ hende Fachkraft davon, wenn sich dieser zusätzliche Aufwand nicht automatisch auch auf dem Gehaltszettel positiv auswirkt? Diese Berufsausbildung ist bisher nicht wirklich attraktiv und auf der Karriereleiter hier in Deutschland können eine Erzieherin, ein Erzieher dadurch bisher nicht weit aufsteigen. Sei‘s drum: Die GEW stellte sieben aktuellen Angebote zusammen. Bei der Durchsicht wird deutlich, wie unterschiedlich die Eingangsvoraussetzungen, der Kosten- und Zeitfaktur bemessen sind. Für hier interessant ist die Frage: Wird die Geschlechtersozialisation – und Pädagogik in den inhaltlichen Schwerpunkten ausdrücklich benannt? Der Stand vom 30. Mai 2007 sieht folgendermaßen aus: An der Alice-Salomon-FH in Berlin ist die Rede von „Integration von Diversity Studies in allen Studienbereichen und Modulen“, der Geschlechteraspekt fällt ungenannt darunter. In der ev. FH Freiburg wird Gender-Kompetenz als Schwerpunkt benannt, die ev. FH Hannover spricht von „Genderthemen – geschlechterbewusste Erziehung“, in der FH Hildesheim sind die Schwerpunktbereiche noch in der Entwicklung, Gender taucht bisher nicht auf. Auch nicht bei der FH Oldenburg, der FH Potsdam, der Universität Oldenburg. Die FH Koblenz bereitet auf Leitungsfunktionen vor ohne Genderstichwort. In der Selbstdarstellung der FH Neubrandenburg werden drei Stichworte zusammengefasst: „Fremdheit, Differenzierung, Gender Studies“. Die Universität Bremen bietet zwei Stichworte: Im Grundlagenbereich als „Jungen und Mädchen“, im Wahlpflichtbereich „Geschlechterspezifische Sozialisation“. Nach so viel Analyse der gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen folgt nun ein praktisch-strategischer Teil. Wie wird Gender Mainstreaming und Geschlechterpädagogik selbstverständlich verfügbar? Um die Umsetzung des Arbeitsauftrages „Geschlechtergerechte Pädagogik als Querschnittsaufgabe pädagogischen Handelns“ strategisch anzugehen, braucht es eine überprüfbare Struktur und Unterstützung vor Ort. Im Folgenden berichte ich Ihnen, welcher Weg sich als erfolgreich herausgestellt hat. 1998 ermöglichte mir das Münchner Schulreferat, in einigen städt. Kitas, Horten und Tagesheimen den Ist-Zustand des Geschlechterbewusstseins zu analysieren. Das Ergebnis: Die meisten Kolleginnen (Erzieher gab es kaum) waren der festen Überzeugung, dass sie beide Geschlechter gleich behandeln. Doch bei genauerer Betrachtung, unterstützt durch Teamberatungen, Klausurtage, Elternabende und Projektbegleitungen erkannten die Fachkräfte ihre `blinden Flecken´. Meine aus diesen Monaten zusammengetragenen Erfahrungsberichte und Anregungen fasste ich in einer Publikation zusammen, die ein pädagogisches Rahmenkonzept zur geschlechterdifferenzierenden Pädagogik enthielt. Ausführlich legte ich Inhalte und Strategien zur Qualitätssicherung dar, die als Vorgabe und damit Orientierungshilfe dienen sollten. (11) Der Münchner Stadtrat beschloss im Anschluss an eine Anhörung, in der ich darlegen konnte, weshalb hier dringender Handlungsbedarf besteht, eine eigene Fachstelle (11) Landeshauptstadt München. Schul- und Kultusreferat (Hg.): Melitta Walter: Qualität für Kinder. Lebenswelten von Mädchen und Buben in Kindertagesstätten. Pädagogisches Rahmenkonzept der geschlechterdifferenzierenden Pädagogik zur Weiterentwicklung der Kindergarten-, Hort- und Tagesheimpädagogik. Erfahrungen – Theorie – Praxis – Ausblicke. München 2000. 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:17 17 03.12.2007 15:31:07 Uhr „Voneinander lernen“ für die Umsetzung zu schaffen. Seit Januar 2000 übe ich diese Tätigkeit der Fachbeauftragten für Geschlechtergerechte Pädagogik und Gewaltprävention aus. Hinzu kommt das Feld der Sexualerziehung. Diese Koppelung hat sich bewährt, denn die spontanen Bitten um Unterstützung kommen aus der Praxis meist, wenn Jungen sich unangemessen aggressiv verhalten, wenn Mädchen und Jungen ihre sexuelle Neugierde befriedigen oder übergriffig miteinander umgehen. Hier wird der rote Knopf gedrückt, da steht das biologische Geschlecht der Kinder im Mittelpunkt – als die sichtbarsten Schnittstellen der Geschlechterkonflikte im Kita-Alltag. Dem städtischen Leitbild entsprechend beauftragte die Stadtspitze die Abteilungsleitung mit der Umsetzung des Genderpädagogik-Auftrages, den ich übernahm. Organisatorische Netzwerke zu schaffen, ist die erste Aufgabe. Ohne Unterstützung im Verwaltungsapparat dauert der Prozess wesentlich länger. Die Umsetzung geht klassisch „top down“ immer weiter hinunter, bis die Dienstund Fachaufsichten aller Stadtbezirke für 400 städt. Kinderbetreuungseinrichtungen nach und nach eingebunden werden können. Schulrätin beauftragt Abteilungsleitung Kindertageseinrichtungen mit der Realisierung der Geschlechterpädagogik Abteilungsleitung benennt Fachbeauftragte für geschlechtergerechte Pädagogik für Personal, Kinder und Eltern mit folgenden Aufgaben Personalschulung für Bezirksleitungen und Fachbereichsleitungen, Fachberatungen und regionale Qualitätsbera- Initiieren und Implementieren von Arbeitskreisen, Fortbildungen, Projekten, Mitarbeit in Gremien Unterstützung des pädagogischen Personals bei der Umsetzung vor Ort Kontaktaufnahme, Kontaktpflege, Einmischung, Vernetzung 18 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:18 03.12.2007 15:31:08 Uhr „Ohne souveräne Vorbilder bleibt alles beim Alten“ Dies war der Einstieg, erst einmal auf freiwilliger Basis für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich zu Fortbildungen anmelden. Die Unterstützung des pädagogischen Personals bedeutet die Vermittlung historischer Zusammenhänge bis hin zur alltagstauglichen Darstellung des umfangreichen Gender Mainstreaming-Auftrages. Und nun folgt die nächste Ebene, um das gesamte Team vor Ort mit den gleichen Hintergrundinformationen, den Möglichkeiten der Auseinandersetzung und Vernetzung zu versorgen. In der Praxis heißt dies: Begleitung von sowieso geplanten pädagogischen Angeboten mit dem unterstützenden Gender-Blick. Die Geschlechterpädagogik wird so zum lebendigen Themenfeld, das sowohl die Dienststellenleitungen, die Gruppenerzieherinnen und Fachberatungen in den Einrichtungen erreicht. Da Fortbildungsaktivitäten im Dienstplan eingebaut werden müssen, geht es hier nicht ohne die Unterstützung der Dienstaufsicht. Elternabende gehören selbstverständlich in dieses Konzept und werden von Müttern und Vätern zahlreich dazu genutzt, eigene Irritationen zu formulieren. Manchmal ist es erst mit klaren Dienstanweisungen möglich, `uneinsichtige´ Vorgesetzte, die der Meinung sind: `Wir haben schon genug zu tun´ dazu zu bewegen, das Personal für GenderFortbildungen freizustellen. Als Argumentationshilfe kam mir der ab 2005 verfügbare Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan sehr recht. Denn dort konnte die Geschlechterpädagogik ausführlich platziert werden. In den ersten zwei Jahren meiner Tätigkeit für die Kindertagesstätten wurde ich als `Feministin´ misstrauisch beäugt. Das in den Köpfen der Pädagoginnen spukende Klischee ging davon aus, dass `so eine´ keinen Spaß versteht, dass sie `ständig an allem rummeckert´ und diverse wei- 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:19 tere Zuschreibungen machten die Runde. Alle, die beruflich mit der Geschlechterfrage zu tun haben, kennen diese Voreingenommenheit. Doch wo steht geschrieben, dass dieses Thema nicht mit Lust und Leidenschaft transportiert werden darf? Der Trick ist ganz einfach: Zuhören, nachfragen, wirkliches Interesse am Gegenüber und die Vermeidung von bevormundenden Botschaften. Erfolgreich wird diese Aufgabe gemeistert, wenn wir da ansetzten, wo das Gegenüber zu begeistern ist. Interessiert sich eine Person für Sport, eine andere für Pflanzen, die nächste für‘s Kochen ... dann gibt es ein Geschlechterprojekt auf dieser Grundlage. Welche Geschlechtervorbilder aus Vergangenheit und Gegenwart können den Kindern zum Thema präsentiert werden? Nicht nur Männer, auch Frauen haben in allen Wirkungsbereichen Erstaunliches vollbracht. Mundpropaganda ist immer hilfreich, um eine Idee weiter zu tragen. Nach und nach sprach es sich in den Dienststellen herum, das ein Klausurtag fürs ganze Team, dass die Teilnahme an einem Projekt zwar anstrengend, aber auch befriedigend ist. Und Kolleginnen, die aneinander vorbei arbeiteten, isoliert in ihrer Kindergruppe, lernten sich plötzlich als Frauen mit ihrer ganz eigenen Geschichte kennen. Unausgesprochene Konflikte, weibliche Vermeidungsstrategien konnten so plötzlich thematisiert werden. Wichtig ist dabei, dass es in den Fortbildungen nicht um die Aufarbeitung biographischer Dramen gehen kann. Der nächste Schritt gilt der Verankerung der Idee vor Ort, unabhängig von der „Fachfrau“ aus der Zentrale. Mehrtätige Fortbildungen für die Kolleginnen, die für die regionale Qualitätssicherung zuständig sind (RQB) sorgen für Verbreitung. Der letzte Schritt, nämlich die selbstverständliche Präsens vor Ort durch ein genderbeauftragtes Teammitglied ist noch nicht in alle Dienststellen 19 03.12.2007 15:31:08 Uhr „Voneinander lernen“ realisiert. Doch je häufiger sich die schon aktiven Kolleginnen oder Kollegen zu Wort melden, desto lauter wird die Forderung aus bisher `ungegenderten´ Kitas auch in den Genuss eines entsprechenden Klausurtages zu kommen. All diese Bestrebungen sind langfristig angelegt. Verlässt eine engagierte Fachkraft die Dienststelle muss vielleicht wieder von vorn begonnen werden. Immer geht es darum, kleine Lernschritte anzuerkennen und eine Kommunikationsform gelebter Liberalität einzuüben. Es gilt der Vielfalt ohne Vorurteile ausreichende Möglichkeiten zu eröffnen. Wenn Frauen und Männer als Mütter und Väter oder als pädagogische Fachkräfte erleben, dass die eigene Sozialisation nicht allgemeingültig ist, dass die Auseinandersetzung mit den geschlechtstypischen Rollenzuschreibung zu mehr individueller Freiheit führt, hat Geschlechterpädagogik eine Chance. Und was haben die Kinder nun davon? (12) All diese Aktivitäten haben als Zielgruppe natürlich die Mädchen und Jungen im Auge. Geschlechtersensibilisiertes Personal geht mit geschärftem Blick an die Gestaltung der Rahmenbedingungen heran. Da die Altersspanne der Kinder von 8 Wochen bis 12 Jahre reicht, müssen für jede Altersgruppe durchdachte Umstrukturierungen vorgenommen werden. Dann kann in allen Bildungs- und Erziehungsbereichen darauf geachtet werden, dass beide Geschlechter gleiche Betätigungsmöglichkeiten erhalten, dass Raum und Material, das 20 Sehen, Hören, Lernen und Erobern immer dem individuellen Bedürfnis, nicht dem biologischen Geschlecht entsprechend gestaltet wird. Beleuchtet werden folgende Teilbereiche und dann mit folgenden Zielen verändert: 쐌 Breit gestreute Bewegungsangebote ermöglichen beiden Geschlechtern die Vielfalt des eigenen Körperempfindens 쐌 Sprachförderung und Kommunikationsformen wenden sich beide Geschlechtern so klischeefrei als möglich zu 쐌 Innen- und Außenraumgestaltung lässt vielfältige Nutzungsmöglichkeiten zu und dient der Raumeroberung beider Geschlechter 쐌 Spiel- und Beschäftigungsmaterialien werden unter dem Stichwort “Gender Budgeting“ aus dem Finanzrahmen heraus gerecht und bewusst angeschafft 쐌 Bilder-/Lesebücher, jedwede Form der Medienerziehung werden auf die Geschlechtsrollenaussagen hin überprüft 쐌 Ästhetik, Kunst und Kultur werden beiden Geschlechtern anhand von Künstlerinnen und Künstlern aus Vergangenheit und Gegenwart nahe gebracht 쐌 Naturwissenschaft und Technik interessieren Mädchen ebenso wie Jungen Vergnügen am Umgang mit Stoffen und Dekorationsmaterialien entwickeln können. Und nicht unwichtig: Selbstverständliche Beteiligung beider Geschlechter an Alltagsnotwendigkeiten ist die Regel, nicht die Ausnahme. Praktische Projektbeispiele werde ich heute Nachmittag im Workshop präsentieren. Als Stichworte einige Projektideen: Seilspringen für Jungen, Dreiradfüh- (12) Dieser Abschnitt wurde entnommen aus: Melitta Walter: Geschlechtergerechte Pädagogik als Querschnittsaufgabe. In: GiP – Gleichstellung in der Praxis, 2/2007 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:20 03.12.2007 15:31:08 Uhr „Ohne souveräne Vorbilder bleibt alles beim Alten“ rerschein für türkische Mädchen, Wechselrahmen präsentieren monatlich wechselnde Kunstwerke beider Geschlechter oder Mädchen- und Jungenabbildungen früherer Jahrhunderte. Hortjungen lesen Kindergartenjungen vor. Themengebundenes Briefmarkensammeln ... Wofür lohnt sich diese Mühe – Zukunftsaussichten Immer weniger Menschen interessieren sich für die Lebensrealitäten von Kindern. Dies ist fatal, denn nur durch den Kontakt zu ihnen erfahren wir, wie sich ihr Denken, Verstehen und Handeln in unserer vorgegebenen Umgebung, durch unser Vorbildsein entwickelt. Sie sprechen aus, was sie denken und damit charakterisieren sie unser kollektives Verhalten. Kinder sind ein gesellschaftliches Stimmungsbarometer, keine Statistik, sondern die Gestalterinnen und Gestalter unser aller Zukunft. So wie wir alle erwachsen wurden, werden auch sie Erwachsene. Und dies nach den Vorlagen, die wir ihnen als Vorbilder anbieten. Daraus schreiben sie später die Drehbücher für beide Geschlechterrollen weiter. Dann gestalten sie den gesellschaftlichen Rahmen und entscheiden darüber, ob wir als alte Frauen und Männer von Tragödie zu Tragödie stolpern, oder uns zurück lehnen können, um den vielen Wirrnisse der Geschlechterkommunikation gelassen und vergnügt zuzuschauen.(13) Ich hoffe, Sie auf der Suche nach alltagstauglichen Möglichkeiten zur Umsetzung des Auftrages „geschlechtergerecht“ zu bilden, mit diesen Anregungen als Unterstützung Ihres sowieso schon vorhandenen Wissens ergänzend unterstützen zu können. Mit der einfachen Aussage, dass sich traditionelle Geschlechterrollen nur mit unserer eigenen lebenslangen Bereitschaft der Weiterentwicklung verändern können, ende ich meine Ausführungen. (13) Melitta Walter: Jungen sind anders, Mädchen auch. Den Blick schärfen für eine geschlechtergerechte Erziehung. Kösel, München 2005. 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:21 21 03.12.2007 15:31:09 Uhr „Voneinander lernen“ „Neue Wege (nicht nur) für Jungen – auf der Suche nach neuen Rollenbildern“ Vortrag: Ulrich Boldt Dozent für geschlechtergerechte Pädagogik, Uni Bielefeld Der Vortrag von Ulrich Boldt liegt nicht in ausgearbeiteter schriftlicher Form vor, stattdessen verdeutlicht der folgende Artikel zum Thema „Jungen ins Gespräch bringen“ den Arbeitsansatz und die pädagogische Grundhaltung des Referenten. „Jungen ins Gespräch bringen“ Zum Modell der Jungenkonferenzen 22 Jungen sind in den letzten Jahren in den Mittelpunkt des pädagogischen Interesses gerückt. Eine der Ursachen hierfür ist sicherlich in den schlechten Leistungen der Jungen in den weiterführenden Schulen zu sehen. Die Pisa-Studie hat insbesondere festgestellt, dass die Jungen vor allem in den sprachlichen Bereichen große Defizite aufweisen. Hinzu kommt, dass viele Jungen in den Schulen auch immer wieder durch grenzüberschreitendes Verhalten auffallen: Gegenüber den LehrerInnen, gegenüber den Mitschülerinnen, aber auch gegenüber den eigenen Geschlechtsgenossen. Die Erkenntnis, dass man sich mit Jungen beschäftigen sollte, bevor sie durch Probleme auffallen, bevor sie negativ auffällig geworden sind, bevor „das Kind in den Brunnen gefallen ist“, bestimmt zunehmend die Diskussionen in pädagogischen Fachkreisen. LehrerInnen, WissenschaftlerInnen und die Eltern setzen sich intensiver als je zuvor mit 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:22 der Frage auseinander, ob mit neuen Methoden und mit neuen schulischen Organisationsformen Zielsetzungen wie die Kompetenzerweiterung und die Persönlichkeitsstärkung der Jungen in der Schule erreicht werden können. Dabei wird die Diskussion auch von der Überlegung bestimmt, dass eine Stärkung der Jungen im Verhaltensbereich vielleicht dazu führen kann, die Jungen auch auf die Lernherausforderungen in der Schule besser als bisher vorzubereiten. Jungenkonferenzen – ein Modell zur Arbeit mit Jungen Bei Jungenkonferenzen handelt es sich um geschlechtshomogene Gesprächskreise, die (regelmäßig z.B. alle vierzehn Tage oder einmal monatlich) – von einem Lehrer geleitet – in der Schule durchgeführt werden. Entstanden ist die Idee der Trennung von Jungen und Mädchen innerhalb 03.12.2007 15:31:10 Uhr „Neue Wege (nicht nur) für Jungen – auf der Suche nach neuen Rollenbildern“ des Projektes „Mädchen- und Jungensozialisation an der Laborschule“, das Anfang der 90er Jahre initiiert und durchgeführt wurde. Die Grundidee besteht darin, dass man alle Jungen (und parallel dazu auch alle Mädchen) einer Klasse erreicht. Da diese Form der Arbeit mit Jungen und Mädchen regelmäßig stattfindet, kann davon ausgegangen werden, dass sie nachhaltig die Einstellungen der Jugendlichen beeinflusst. In der Regelmäßigkeit der Treffen ist ein großer Vorteil gegenüber einmal stattfinden Projekttagen zu sehen. Im Unterschied zu freiwillig gewählten Arbeitsgemeinschaften erreicht man mit diesem Konzept alle Jugendlichen einer Klasse, so dass spezielle in der Klasse auftauchende Probleme (auch „geschlechtsspezifische“ zwischen beiden Geschlechtern, aber auch innerhalb der einzelnen Geschlechtergruppe) aufgegriffen und bearbeitet werden können. Jungenkonferenzen bieten Intimität, die die Möglichkeit schafft, Themen anzusprechen, die in der gemischten Gruppe so nicht zur Sprache kommen. Sie legen Jungen nahe einander Empathie zu zeigen, denn kein Mädchen springt ein, um zu trösten, Anteilnahme zu zeigen, Lösungen für Probleme zu finden. Dabei müssen sie nicht befürchten, von den Mädchen ausgelacht zu werden. Sie geben einen geschützten Raum für Rollenüberschreitungen, lassen das Verhaltensrepertoire – und die Jungen verfügen über ein größeres als sie im gemischten Verbund zeigen – zur Oberfläche kommen bzw. wachsen. Sie erlauben den Jungen, die „Show-Ebene“ zu verlassen und zu ihrer eigenen Authentizität zu finden. Sie erlauben, ernsthaft an Problemen innerhalb der Jungengruppe zu arbeiten. Die eingrenzende Geschlechterspannung entfällt, Jungen (wie auch Mädchen) können auch ihre inneren Differenzen artikulieren, eigene 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:23 Interessen vertreten und aushandeln. Sie schärfen den Blick auf das eigene Geschlecht, bieten gerade im Dissens innerhalb der homogenen Gruppe die Möglichkeit, sich näher kennen zu lernen, Unterschiedlichkeiten zu benennen und zu schätzen. Sie lassen deutlich werden, wann der Austausch in der eigenen Gruppe genügt und wann es wichtig ist, das gemeinsame Gespräch, gemeinsame Erfahrungen zu suchen. Insbesondere für die Jungen bedeutet die Erweiterung ihres Verhaltensrepertoires und damit ihrer Sozialkompetenzen immer auch, Emotionalität und Schwäche zuzulassen und damit eine für sie positive Veränderung des männlichen Werte- und Normensystems zu erreichen. Wenn sie nicht weiterhin immer unter dem Druck stehen, dominantes Verhalten zeigen zu müssen – und nach unseren Erfahrungen können sie dies innerhalb der homogenen Gruppe nach einiger Gewöhnungs- und Annäherungszeit am ehesten ablegen – haben sie einen wichtigen Entwicklungsschritt getan. Mit Jungen jeder Altersstufe über die immer wieder von ihnen und ihrer Umgebung hergestellte Geschlechtlichkeit – dem „doing gender“ – zu reden, die Hierarchisierung – selbst schlechte Jungen sind noch besser als Mädchen – in Frage zu stellen, ihr Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen zu stärken und sie in ihren Unsicherheiten zu begleiten, verschafft auch den Lehrkräften einen deutlich anderen Blick auf das männliche Geschlecht, denn Jungen machen nicht nur Probleme – sie haben auch welche und müssen damit ernst genommen werden. Ein konkretes methodisches Beispiel Es empfiehlt sich, den einzelnen Treffen einen immer wiederkehrenden Rhythmus zu geben. Der Ablauf der Treffen kann dann wie folgt aussehen: 23 03.12.2007 15:31:10 Uhr „Voneinander lernen“ Phase 1: Einstiegsspiel/Einstiegsaktion Diese Phase ist wichtig, um eine deutliche Trennung zu den anderen Aktivitäten des Tages zu erreichen. Die Jungen müssen sich von den „Antiken Griechen“ oder der „Umwandlung von Größen“ verabschieden können und in der Jungengruppe ankommen. Phase 2: Gespräch Hier wird in erster Linie miteinander gesprochen. Alle kommen zu Wort. Standardthemen bei der Arbeit mit Jungen sind immer wieder: „Meine Stärken“ ... „Umgang mit Sprichwörtern“ ... „Wie soll mein bester Freund sein?“ ... „Wie zeige ich einem Mädchen, dass ich es toll finde?“ Phase 3: Praktische Übung Hier geht es um eine Übung zu dem vorher besprochenen Thema (einschließlich der Reflektion der Übung). Ist über Freundschaften gesprochen geworden, so kann man Schattenrisse mit positiven Eigenschaften von Personen, von Freunden beschriften lassen. Wollen die Jungen Tipps zum Thema „Wie bekomme ich eine Freundin“ erhalten, so kann man ein Flirtspiel durchführen. Phase 4: Reflektion und Ausblick Hier geht es um das Reflektieren der Stunde und darum, die Frage zu klären, welche Wünsche die Jungen für das nächste Treffen haben. Der Ausblick auf das nächste Treffen beendet also die Konferenz. 24 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:24 Prinzipien und Regeln Bei der Arbeit in den Jungengruppen sollte man natürlich auch einige wichtige Grundprinzipien beachten. Hierzu gehören u.a. die im folgenden kurz beschriebenen Regeln, die im Einzelfall (Prinzip der Verschwiegenheit; Prinzip der Freiwilligkeit) den Jugendlichen immer wieder erklärt werden sollten. Werden diese Regeln nicht beachtet, dann gefährdet man die erfolgreiche Arbeit in der Jungengruppe. Jungenarbeit wird umso erfolgreicher sein, wie man diese Prinzipien für sich selber, aber auch den Jungen gegenüber immer wieder thematisiert. Das Prinzip des geschützten Raumes Jungenarbeit sollte im „geschützten Raum“ stattfinden. In ihm fehlen die Mädchen. Im geschützten Raum entfällt der Druck zur übertriebenen Selbstdarstellung. Dieser „geschützte Raum“, in dem sich die Jungen untereinander solidarisch vergewissern können, hilft den Jungen, Dinge zu erfahren und zu lernen, die danach im Umgang zwischen den beiden Geschlechtern angewandt und überprüft werden können. Prinzip der Verschwiegenheit Die Arbeit im „geschützten Raum“ bietet auch die Möglichkeit, das Prinzip der Verschwiegenheit zu realisieren. Bei der Arbeit mit Jungengruppen sollte auf jeden Fall Verabredungen in der Richtung getroffen werden, dass einzelne Äußerungen nicht an andere Personen weitergegeben werden. Die Mitschülerinnen, Eltern, Lehrerinnen und Lehrer sowie Freundinnen und Freunde sollen von dem, was in der Gruppe von einzelnen Jungen gesagt worden ist, nichts erfahren. Werden diese Absprachen nicht getroffen, wird diese Vertrauensebene 03.12.2007 15:31:11 Uhr „Neue Wege (nicht nur) für Jungen – auf der Suche nach neuen Rollenbildern“ nicht thematisiert, wächst die Gefahr der Verunsicherung auf Seiten der Jungen. Die Thematisierung vieler Fragestellungen wird nicht gelingen, wenn man dieses Prinzip nicht beachtet. Prinzip der männlichen Leitung Jungenarbeit sollte von Männern durchgeführt werden. Nimmt man die Ergebnisse der Sozialisationsforschung ernst, dann sollte es der Normalfall sein, dass die Jungenarbeit von Männern durchgeführt wird. In der Jungenerziehung braucht es „mehr Mann“ und „weniger Frau“. Frauen, die mit Jungen arbeiten, müssen sich der Rolle, die sie einnehmen, bewusst sein. Wenn Frauen mit Jungen arbeiten, werden einzelne Inhalte (z.B der Bereich der Sexualerziehung) ausgeklammert werden müssen. Prinzip der Klarheit Moralische Vorwürfe in Richtung der heranwachsenden Jungen sollten weitestgehend vermieden werden. Die Jungenarbeiter haben deshalb den Jungen mit einer fürsorglichen, solidarischen Haltung entgegenzutreten, ohne in eine unkritische Haltung zu verfallen. In Bereichen, wo einzelne Jungen eindeutig Grenzen übertreten (z.B. sexuelle Belästigung), gilt es allerdings, diese Überschreitungen zu hinterfragen und zu thematisieren. Prinzip der Subjektorientierung Jungen darf nicht das Gefühl vermittelt werden, dass lediglich über sie und nicht mit ihnen diskutiert wird. Zwingt man ihnen Themen auf, könnte dies eher zu ablehnendem Verhalten und zu Verweigerungen führen. Wenn Geschlechterfragen allzu „missionarisch“ in der Schule thematisiert werden, besteht oftmals die Gefahr der Ableh- 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:25 nung auf Seiten der Jugendlichen. Intendierte Ziele würden damit schwerer erreicht werden. Prinzip der Freiwilligkeit Jungen sind nicht gleich – Jungen sind vielfältig! Diese Aussage bezieht sich nicht nur auf das von den einzelnen Jungen gezeigte Verhalten, sondern ebenso auf die Bereitschaft, das Interesse und die Fähigkeiten der Jungen, sich auf bestimmte Methoden einzulassen. Einige Jungen werden gar keine Schwierigkeiten haben, sich allen Methoden zu öffnen, andere werden durch den Zwang „Mitmachen zu müssen“ eher eine Abwehrhaltung entwickeln, wiederum andere werden das Prinzip der Freiwilligkeit eher zum Ausprobieren nutzen, und es wird auch Jungen geben, die erst einmal nur beobachten wollen, was im Raum passiert. Auch hierdurch werden diese Jungen für ihre eigene Weiterentwicklung wichtige Dinge beobachten und sich dabei Fragen zu ihrer Person stellen. Grundsätzliche Positionierungen – zur Vermeidung von Stolpersteinen Für die Entwicklung und Umsetzung der Jungenarbeit in der Schule ist es hilfreich, sich vorher mit einigen Grundpositionen auseinander zu setzen. Hierzu gehört unter anderem, dass die eigene persönliche Sichtweise, der eigene Zugang zur Jungenarbeit geklärt werden sollte. Sichtweise klären Wer davon ausgeht, dass Jungenarbeit vor allem eine Frage neuer Methoden ist, liegt leider falsch. Es geht bei der Planung und Umsetzung von Jungenarbeit in erster Linie um die Klärung der Sichtweise. Erst wenn die Sichtweise ansatzwei- 25 03.12.2007 15:31:11 Uhr „Voneinander lernen“ se geklärt ist, kann man sich an die Erarbeitung schulischer Konzepte begeben. Für die Arbeit mit den Jungen haben die Methoden immer nur eine unterstützende Funktion. Es kommt stärker darauf an, dass die Lehrer ein Gefühl für die Situation der Jungen und für die eigenen Handlungsmöglichkeiten entwickeln. Die Pädagogen, die mit Jungen arbeiten, müssen so z.B. die Frage klären, ob es ihnen auf der Grundlage bestimmter zu beobachtender Verhaltensweise der Jungen darauf ankommt, lediglich das Gewaltverhalten zu reduzieren und dabei eventuell auch präventiv zu arbeiten oder ob es auch darum geht, die einzelnen Persönlichkeiten umfassend zu stärken. Dabei sollte auch immer wieder die Frage gestellt werden, worin denn die persönlichen Gewinne der Jungen bestehen können. 26 Fortbildungen anbieten Die Klärung dieser persönlichen Sichtweise ist sicherlich leichter möglich, wenn zu diesem Themenbereich umfassend Fortbildungen angeboten werden und diese auch von den Männern besucht werden. Inhalte dieser Fortbildungen sollten die 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:26 Vermittlung von allgemeinen Genderkompetenzen, die Auseinandersetzung mit Fragen des Geschlechterverhältnisses, die Beschäftigung mit Fragen der Konstruktion von Geschlecht (des „doing gender“) usw. sein. Fortbildungen sollten die Kollegen vor allem dazu befähigen, die sicherlich schwierige und notwendige Selbstreflexion der eigenen Person zu unterstützen. Diese notwendige persönliche Verortung innerhalb des Geschlechterverhältnisses ist sicherlich leichter möglich, wenn den Männern hierfür Hilfe angeboten wird. Die Reflexion der eigenen Person, das Nachdenken über die eigene Biografie, die Zielsetzungen der Gender Mainstreaming-Politik, das Kennenlernen von Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Konzept der „Reflexiven Koedukation“ und die Analyse bereits bestehender Konzepte geschlechterbewusster Bildungsarbeit sollten Bestandteile dieser Fortbildungsangebote sein. Zur Erhöhung der Genderkompetenz gehört dabei auch, dass eine reduzierte und verkürzte Sichtweise auf die Geschlechter, die von Hannelore Faulstich-Wieland genannte Dramatisierung der Geschlechter vermieden wird. 03.12.2007 15:31:11 Uhr „Neue Wege (nicht nur) für Jungen – auf der Suche nach neuen Rollenbildern“ Vermeidung der Verfestigung von Stereotypen Die Kollegen sollten sich folglich auch mit der Frage beschäftigen, ob nicht bestimmte schulische Konzepte eher die vorhandenen Geschlechterstereotype aufgreifen und verstärken. Das folgende Zitat einer Studentin mag verdeutlichen, was mit Verstärkung der vorhandenen Geschlechterstereotype gemeint ist: „Meiner Meinung nach wird die Rollen-Trennung (Mädchen – Jungen) teilweise von der Gesellschaft geprägt. Ich hatte in der Orientierungsstufe (5./6. Klasse) einen Sportlehrer, der darauf bestanden hat, dass Jungen und Mädchen getrennt Sport machen. Die Mädchen mussten solche Sportarten wie Bodenturnen usw. machen und die Jungen durften das machen, was sie wollten: Z.B. Fußball, Basketball, Hockey ... (Mannschaftssportarten). Wir Mädchen machten beim Sport die `feineren´ Sachen und die Jungen die `grobmotorisierten´. Wir waren damit gar nicht einverstanden und wollten zusammen Sport machen. Aber der Lehrer war strikt dagegen und hat auf der Trennung von Jungen und Mädchen bestanden.“ Diese Studentin macht in dem Rückblick auf ihre eigenen Schulerfahrungen deutlich, dass der in diesem Fall erfolgten Trennung der Geschlechter einige Fehlannahmen zu Grunde liegen und die sicherlich gut gemeinten Intentionen des Kollegen nicht bei den Jugendlichen angekommen sind: 쐌 Der Kollege geht von starren geschlechtsstereotypen Wünschen und Vorstellungen 쐌 in den Köpfen der Jugendlichen aus. 쐌 Er lässt scheinbar die Jungen gewähren, greift die sicherlich vorhandenen unter -schiedlichen Interessen der Jungen nicht auf und wird so den Jungen nicht gerecht. 쐌 Der Kollege hat ebenfalls Vorstellungen von dem im Kopf, was Mädchen sich an Sportarten 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:27 wünschen und berücksichtigt dabei ebenfalls nicht, dass es natürlich Differenzen bezüglich der Einstellungen innerhalb der Gruppe der Mädchen gibt und wird so auch den Mädchen nicht gerecht. 쐌 Der Kollege scheint die Gründe für die Trennung nicht vermittelt zu haben. 쐌 Und er setzt sich scheinbar nicht mit der Kritik der Mädchen an dieser Trennung auseinander. Lehrkräfte sollten u.a. durch den schon erwähnten Fortbildungsbereich dafür kompetent gemacht werden, begründete und (auch für die SchülerInnen) nachvollziehbare Antworten auf die Frage zu treffen, wann die Trennung in einem Fach sinnvoll ist. Vielfalt beachten Für das Gelingen der Arbeit mit Jungen ist es wichtig, die Differenzen innerhalb der Jungen zu beachten. Nur wenn man die Vielfalt der Jungen beachtet und diese in pädagogische, didaktischmethodische Konzepte umsetzt, kann die Jungenarbeit erfolgreich sein. Liest man Artikel zum Verhalten und Auftreten der Jungen in der Schule dann ist schnell die Rede von dem „verdächtigen Geschlecht“, von Problemfällen, von den armen Jungs, von den „bösen Buben“ und „kranken Knaben“, vom „schwachen Geschlecht“ und den „Bildungsverlierern“. Jungen sollen das Leben versäumt haben, sie traktieren und quälen andere Schüler, sie belästigen Mädchen, behaupten von sich, dass gute Noten uncool sind und provozieren ihre schulische Umwelt häufig trotz schlechter Schulleistungen mit einer großen Klappe. Diese Beschreibungen mögen durchaus im Einzelfall zutreffen. Beispiele sind hierfür sicherlich in fast jeder bundesdeutschen Schule anzutreffen. Ich erinnere 27 03.12.2007 15:31:12 Uhr „Voneinander lernen“ in diesem Zusammenhang nur an die Ereignisse in Hildesheim. Die Arbeit mit Jungen kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn man die Vielfalt der von Jungen gezeigten Verhaltensweisen und ihre Stärken erkennt und diese pädagogisch nutzt. Vermeidung des Defizitansatzes Nur diese Sichtweise wird es ermöglichen, in der Arbeit mit Jungen Konzepte zu entwickeln, die sich endgültig von dem so genannten Defizitansatz verabschieden. Es gilt, nicht nur immer wieder die Defizite zu thematisieren, sondern es kommt darauf an, zusammen mit den Jungen Gesprächsanlässe zu schaffen, ihnen Denkanstöße zu geben, ihnen neue Sichtweisen zu vermitteln. Und wenn dann ein Junge irgendwann mal äußert „Darüber habe ich noch nicht nachgedacht!“, dann hat er vielleicht auch schon angefangen, sich ein wenig zu öffnen, nachzudenken, sich preiszugeben, über sich zu reden. Der „Männlichkeitspanzer“, den sich viele Jungen angelegt haben, ist damit vielleicht von ihnen selber ein kleines Stück weit aufgebrochen worden. 28 Jungenarbeit als Element eines Konzepts zur „Reflexiven Koedukation“ Jungenarbeit in der Schule wird nur dann erfolgreich sein, wenn sie sich als Bestandteil des nach dem von Marianne Horstkämper und Marianne Faulstich-Wieland geprägten Begriffes und Konzeptes der `Reflexiven Koedukation´ versteht. Die beiden Wissenschaftlerinnen verstehen unter diesem Begriff folgendes: „Reflexive Koedukation heißt für uns, dass wir alle pädagogischen Gestaltungen daraufhin durchleuchten wollen, ob sie die bestehenden Geschlechterverhältnisse eher stabilisieren, oder ob sie eine kritische Auseinandersetzung und damit ihre Veränderungen fördern.“ 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:28 Es ist also notwendig, die koedukative Praxis zu reflektieren, weiter zu entwickeln und neu zu gestalten. Diesem Reflexionsprozess sollten die folgenden schulischen Handlungsebenen unterzogen werden: 쐌 die Ebene des „Bewusstsein der Lehrkräfte“, 쐌 die Ebene des „Alltäglichen Umgangs“ miteinander, 쐌 die Ebene des „Curricularen Angebotes aller Fächer“ und 쐌 die Ebene der „Institutionellen, organisatorischen und strukturellen Rahmenbedingungen der Schule“. Alle KollegInnen sollten die Inhalte einzelner Fächer, die angewandten Methoden, die außerunterrichtlichen Vorhaben, aber auch die Interaktionsstrukturen an den Schulen einem permanenten Reflektionsprozess unterwerfen und die Frage prüfen, ob einzelne Maßnahmen beiden Geschlechtern gut tun oder vielleicht eher den Mädchen oder eher den Jungen. Und stellt man dabei zum Beispiel fest, dass die positiven Ergebnisse und Erkenntnisse eines Sexualerziehungsunterrichts unter koedukativen Bedingungen eher gering sind, dann stellt sich die Frage, ob man nicht einen Teil dieses Unterrichts eher auf der Basis der Trennung von Mädchen und Jungen durchführen sollte. Und stellt man zum Beispiel fest, dass Jungen ein Mitglied ihrer Jungengemeinschaft ausgrenzen, dann kann man mit dem Ziel einer Verhaltensänderung zu dieser Thematik wahrscheinlich eher in einer reinen Jungengruppe arbeiten. Ziele der Jungenarbeit Die Frage, welche Ziele man in der Arbeit mit den Jungen erreichen möchte, muss natürlich auch 03.12.2007 15:31:12 Uhr „Neue Wege (nicht nur) für Jungen – auf der Suche nach neuen Rollenbildern“ geklärt werden. Es darf nicht darum gehen, Jungen ihre Unzulänglichkeiten widerzuspiegeln. Defizite der Jungen müssen erkannt werden und in einigen Punkten wie zum Beispiel beim übergriffigen Verhalten muss von Seiten des Jungenarbeiters eine deutliche Positionierung erfolgen. Darüber hinaus geht es aber in erster Linie um eine Förderung der sozialen und der sprachlichen Kompetenzen. Dabei zielt die Arbeit auch darauf ab, dass Jungen sich in koedukativen Zusammenhängen nicht so häufig auf der Performanceebene bewegen, seltener ihre Auftritte als Clowns erleben müssen und als Konsequenz einer möglichen Verhaltensänderung sich selber, aber auch die MitschülerInnen weniger beim Lernen stören und hindern. Startet man mit der Jungenarbeit erst dann, wenn die Jungen schon in der Pubertät sind und ihr Rollenverhalten schon stärker festgelegt ist, dann wird man beobachten, dass diese Arbeit auf viele Vorbehalte und Widerstände stößt. Wenn man nachhaltige Verhaltensänderungen erreichen will und das Ziel des präventiven Arbeitens verfolgt, dann sollte in den weiterführenden Schulen spätestens in den Jahrgangsstufen 5 und 6 mit dieser Arbeit begonnen werden. Zwei Schlussbemerkungen Methodische Beispiele zu kennen, ein Repertoire an Übungen zu entwickeln und möglichst viele praktische Spiele zu kennen ... das alles gehört sicherlich zum Handwerkszeug eines jeden Mannes, der sich mit Jungen aktiv auseinandersetzt. In der täglichen Arbeit mit den Jungen wird man sicherlich feststellen, wie hilfreich es sein kann, wenn man auf einen „Methodenkoffer“ zurückgreifen kann. Allerdings schließe ich mich ausdrücklich der Sichtweise an, die H. Karl schon im Jahre 1994 formuliert hat: „Würde von mir verlangt, nur eine einzige These zum Thema Jungenarbeit zu formulieren, so wäre es immer die, dass Jungenarbeit keine Frage der Methode ist, sondern eine Frage der Sichtweise“. „Nimmt man die besorgniserregenden Ergebnisse von Schulleistungen und Unterrichtsforschung zur Hand, so muss klar werden, dass wir an einer gezielten Förderung auch für Jungen nicht vorbeikommen ... Viel Zeit zum Weiter so bleibt nicht mehr“ (M. Böhmann). Weiterführende Literatur des Autors: Boldt, Ulrich: „Ich bin froh, dass ich ein Junge bin“ Schneider Verlag, ISBN: 3-89676-806-9 Boldt, Ulrich: „Jungen stärken“: Schneider Verlag, ISBN: 3-89676-935-9 Wer mit dem Autor in Kontakt treten möchte, kann sich wenden an: [email protected] 29 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:29 03.12.2007 15:31:13 Uhr „Voneinander lernen“ Workshop 1 Geschlechtergerechtigkeit als Herausforderung im KiTa-Alltag Melitta Walter Fachbeauftragte für geschlechtergerechte Pädagogik Der Workshop startete mit einer Vorstellungsrunde, in der die Anwesenden kurz ihr Arbeitsfeld und ihre Erwartungen und Fragen an den Workshop darstellten: 쐌 Wie kann man als Pädagogin mit Jungen, die mit ihren Müttern in Frauenhäusern sind, geschlechtersensibel arbeiten und ihnen positive männliche Rollenvorbilder geben (viele kennen schlagende Väter)? 쐌 Was kann man im Arbeitsalltag zur Stärkung von Jungen tun? 쐌 Wie können Bedürfnisse von Jungen besser erkannt und berücksichtigt werden? 쐌 Wie ist der aktuelle fachliche Stand im Hinblick auf das Thema Geschlechtergerechtigkeit? 쐌 Wie kann ich Geschlechtergerechtigkeit bei meinen eigenen Kindern umsetzen? 쐌 Wie können wir die Individualität, Stärken, Entwicklungspotentiale der Kinder stärken? 쐌 Welche Raumausstattung zur Förderung und Verwirklichung von Geschlechtergerechtigkeit ist angebracht? 30 Frau Walter griff als erstes die Arbeit in Frauenhäusern auf. Kinder wie Erwachsene haben eine große Sehnsucht nach Liebe und lieben ihre Eltern, auch wenn sie gewalttätig sind. Für Jungen ist es so- 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:30 mit sehr schwer, vor dem Hintergrund möglicher Gewalterfahrungen ein positives Männerbild zu entwickeln. Auch können Frauen nie männliche Vorbilder für Jungen ersetzen. Somit ist es für Jungen in Frauenhäusern hilfreich und wichtig, Kontaktmöglichkeiten und positive männliche Vorbilder außerhalb der Frauenhäuser angeboten zu bekommen und nutzen zu können. Dies gilt auch für KiTa´s, in denen vorwiegend oder ausschließlich Frauen arbeiten. Gibt es Möglichkeiten, ältere Jungen z.B. aus Schulen ehrenamtlich, in Form eines Praktikums oder für ein geringes Taschengeld (z.B. 30 € für 15 Stunden) einzubinden? Hierdurch können sowohl die Jungen (wie Mädchen) männliche Bezugspersonen erleben, und die älteren Jungen lernen an Erfahrung hinzu und bekommen hierdurch häufig auch mehr Respekt vor der „Reproduktionsarbeit“. Für die Pädagoginnen ist es hilfreich, die Kinder „auf Augenhöhe“ zu betrachten, ihnen gleiche Unterstützungsmöglichkeiten zu bieten und sich des eigenen Zugangs zu den Mädchen und Jungen bewusst zu sein. „Bin ich fröhlich, liebevoll, neugierig? Womit erreiche ich die Kinder und wie kann ich individuelle Begegnungen möglich machen?“ Aufgrund der eigenen biographischen 03.12.2007 15:31:13 Uhr Workshop 1 Erfahrungen werden Mädchen von Frauen meist kritischer wahrgenommen als Jungen. Auch ist es wichtig, sich bewusst zu sein, dass Kinder bereits im Alter von drei Jahren genau wissen, ob sie ein Mädchen oder Junge sind, die Geschlechtsidentität ist abgeschlossen. Kleine Kinder suchen nun nach erwachsenen geschlechtshomogenen Vorbildern. Dies bedeutet, dass PädagogInnen und Eltern für die Kinder immer eine Identifikationsperson sind: Was immer sie auch tun oder lassen, sie geben entscheidende Impulse bei der Entwicklung kindlicher Geschlechteridentität. Im Hinblick auf die Bedürfnisse einiger Anwesenden, bei ihren Kindern und in der KiTa das Thema voranzubringen wurde Unsicherheit sichtbar, in wie weit Eltern sich in die KiTa Arbeit und deren Konzepte einmischen können und dürfen. Hierzu erläuterte Frau Walter, dass Eltern das Recht haben, über die Bildung ihrer Kinder mit zu entscheiden und es ein Konfliktpotential in sich birgt, wenn private und öffentliche Erziehungs- und Bildungspläne sich unterscheiden und aufeinanderprallen. Sie ermutigte die Anwesenden, sich aktiv zu engagieren, Anregungen zu geben und die Geschlechterfrage einzubringen. Der pädagogische Auftrag der „Geschlechtergerechtigkeit“ gehört in die KiTa-Konzepte selbstverständlich hinein. Eltern haben das Recht, dies hier anzuregen, ja sogar einzufordern. Einen ihr sehr wichtigen Aspekt der Genderpädagogik hob Frau Walter hervor: Sie forderte ausreichende Bewegungsangebote für Kinder und bezeichnete sie als „Dreh- und Angelpunkt“ für die Entwicklung, denn über die Raumaneignung und abwechselungsreiche Bewegung wird die „Ich“Entwicklung und das Gefühl bzw. der Schritt hin 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:31 zur Unabhängigkeit von Bezugspersonen gefördert. Das gilt sowohl für die Grob- als auch für die Feinmotorik. Das Schaukeln z.B. ist wichtig für die Entwicklung von Synapsenverbindungen, die für räumliches und mathematisches Denken benötigt werden. Frau Walter ging noch einmal speziell auf die in der Eingangsrunde mehrfach gestellte Jungenfrage ein. Sie kritisierte, dass kleine Jungen in der Medienberichterstattung seit geraumer Zeit ständig als aggressiv und gewalttätig beschrieben werden – die große Gruppe der fröhlichen, friedfertigen Jungen scheint nicht wahrgenommen zu werden. Sie wies darauf hin, dass Jungen im Alter von ca. vier Jahren vom ersten geschlechtsspezifischen Hormonschub „heimgesucht“ werden. Was leider viele Eltern und pädagogische Fachkräfte nicht wissen ist, dass Jungen in dieser Zeit ausreichend Bewegung brauchen, damit das Testosteron in die Muskulatur gelangen kann. Gelingt das aufgrund von Bewegungsmangel nicht, so bleibt ein Spannungszustand, der z.B. Hyperaktivität und Aggressivität zur Folge haben kann. Dieser Standard ausreichender Bewegungsangebote für Kinder ist jedoch aus unterschiedlichen Gründen nicht in jeder KiTa gewährleistet. Ängste vor Unfällen und Verletzungen der Kinder, Überforderung, Lustlosigkeit oder Burnout der ErzieherInnen spielen oftmals eine wesentliche Rolle. Und gerade in kleinen Wohnungen sitzen die Kinder mehr vor dem Fernseher, als ihnen gut tut. Auch gehen Erwachsene häufig mit dem Bewegungsdrang der Mädchen und Jungen geschlechtsspezifisch unterschiedlich um. Bei Mädchen wird z.B. viel schneller eingegriffen, wenn sie „rüpeln“, auf Bäume klettern o.ä. als bei Jungen. Auch hier gilt es, den geschlechtsbewussten Blick für das eigene 31 03.12.2007 15:31:14 Uhr „Voneinander lernen“ Verhalten und die Angebote zu schärfen und die Angebotspalette auszuweiten bzw. zu verändern. 32 Bewegungspädagogik ist ein wichtiger Teil der Präventionsarbeit. Kinder müssen dauerhaft und spielerisch lernen, sich in Notsituationen zu helfen zu wissen und Fluchtverhalten zu erproben. Einmalige Präventionsveranstaltungen durch externe Trainerinnen oder Trainer sind hier wenig sinnvoll bzw. oftmals viel zu kurz gegriffen. Denn nur wenn Kinder dauerhaft, spielerisch und lustvoll ihren Körper kennen lernen und einen sensiblen Blick für ihre körperlichen Fähigkeiten entwickeln, können sie in Notsituationen möglicherweise schnell flüchten. Dazu ist es wichtig, sie in der Einschätzung ihrer eigenen Fähigkeiten zu unterstützen und fördern: „Wie hoch kann eine Mauer sein, von der ich herunterspringen kann? Wie schnell kann ich laufen?“ usw. Und nicht zu vergessen: Wenn wir Kinder auffordern, zu Fremden NEIN zu sagen, dass müssen wir auch fördern, dass sie erst einmal uns als primären Bezugspersonen gegenüber eine eigene Meinung und Wahrnehmung äußern dürfen. Kinder wollen das Leben ausprobieren und dabei unterstützt werden. Jedes Mädchen, jeder Junge wird in ein Familiensystem hineingeboren, dies wird erst einmal als das einzig mögliche erlebt: Sind die Eltern sportlich oder sitzen sie nur vorm Fernseher? Ernähren sie sich gesund? Welche Rollenbilder herrschen im sozialen Umfeld vor? Gibt es Gewalt in der Familie oder Umwelt?... Ein kleines Kind hinterfragt nicht! Der KiTA-Alltag kann hier ausgleichend und unterstützend wirken. Mit einfachen Schritten kann begonnen werden. Gemeinsam mit Müttern und Vätern können z.B. die Spielmaterialien angesehen werden: 쐌 Welche Geschlechtsrollenbilder werden in Bil- 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:32 derbüchern, Filmen, Materialien vermittelt? 쐌 Für welches Geschlecht sind welche Angebote vorgesehen? 쐌 Wie ist unsere KiTa eingerichtet, gibt es eine geschlechtergerechte Raumgestaltung und Rückzugsmöglichkeiten? 쐌 Welches Geschlecht übernimmt bei uns welche Hilfsaufgaben? Förderlich für einen geschlechtergerechten KiTa Alltag kann es sein: 쐌 als PädagogIn und im Team das Thema Geschlechtergerechtigkeit zu besprechen, sich regelmäßig fort- und weiterzubilden und die „Geschlechterbrille“ aufzusetzen 쐌 Eltern in die Diskussion und Weiterentwicklung mit einzubeziehen 쐌 Kinder geschlechtergerecht zu fördern und ihnen Verantwortung zu übergeben (ältere Kindergartenkinder zeigen neuen, wo sie was finden etc.) 쐌 die Kommunikation der Geschlechter untereinander zu fördern und sie neugierig auf das andere Geschlecht zu machen, einander Geschichten zu erzählen und voneinander zu lernen: Was mögen z.B. sowohl Jungen als auch Mädchen? Was mag man daran, ein Mädchen bzw. ein Junge zu sein? Was mag man am anderen Geschlecht? 쐌 grundsätzlich die Individualität der Kinder zu respektieren und zu fördern, egal ob sie Junge oder Mädchen sind 쐌 den Wunsch von Jungen nach männlichen Vorbildern ernst nehmen und so gut es geht umsetzen. Ein wichtiges Fazit des Workshops ist, dass der Gender Mainstreaming-Auftrag nicht als zusätz- 03.12.2007 15:31:14 Uhr Workshop 1 liche lästige Aufgabe betrachtet werden sollte. Statt dessen kann die Chance darin gesehen werden, Neugierde auf die Unterschiedlichkeit beider Geschlechter zu entwickeln und dadurch die Freude und den Spaß an der geschlechtergerechten Arbeit zu erkennen. Denn als Mensch ganz zu werden bedeutet in Einklang mit beiden Geschlechtern zu sein. Weitere Anregungen zur geschlechtergerechten Erziehung finden Sie im Buch von Melitta Walter „Jungen sind anders, Mädchen auch: Den Blick schärfen für eine geschlechtergerechte Erziehung“ (2005); ISBN: 9783466306893. Anhand so unterschiedlicher Themen wie Spielzeug, Geldverdienen, Stadtplanung oder Sport wird gezeigt, wie eng unsere Geschlechterrollen oft sind – und wie wir schon früh im Leben von Kindern die Weichen für mehr Chancengleichheit stellen können. Weitere Infos zur Referentin finden Sie unter www. melittawalter.de. Als Anregung für die eigene Arbeit hat Melitta Walter folgenden Beobachtungsbogen zur Verfügung gestellt, mit dem sie Projekte in Kitas beginnt. Geschlechtsrollen – Beobachtungshilfen für Kindergarten und Hort Wie verhalten sich Mädchen und Jungen im Alltag? Sind schon bei Kindergartenkindern „geschlechtstypische“ Unterschiede sichtbar? 1. Selbständigkeit beim An- und Ausziehen: Sind Mädchen und Jungen gleichermaßen selbständig im selber An- und Ausziehen – Wann helfen Mütter/Väter? 2. Toilettennutzung – Hygiene: Wie verhalten sich Mädchen/Jungen, wenn sie auf die Toilette müssen? Können sie sich den Po abputzen? Waschen sie sich von selbst die Hände? Gibt es Konflikte zwischen Mädchen und Jungen im Toilettenbereich? 3. Freispielverhalten: Lieblingsspiele der Mädchen, der Jungen: Welche Spielmaterialien nutzen Mädchen/Jungen? 33 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:33 03.12.2007 15:31:15 Uhr „Voneinander lernen“ 4. Konzentrationsbereitschaft bei Spielangeboten Wie lange halten Mädchen/Jungen bei gezielten Gestaltungs- oder Malangeboten aus? Welche Angeboten nutzen die Mädchen, die Jungen gerne? 5. Umgang der Mütter mit Mädchen/Jungen – Umgang der Väter mit Mädchen/Jungen: Wie verhalten sich Mütter/Väter in der Bring- und Abholsituation ihren Kindern gegenüber? Gibt es Unterschiede im Umgang mit Töchtern oder Söhnen? 6. Gemeinsames Freispiel von Mädchen und Jungen Spielen Mädchen und Jungen von sich aus zusammen? Was spielen sie zusammen? Verändert sich das gemeinsame Spielverhalten im Laufe des Alters zwischen 3 und 6 Jahren? 7. Raumnutzung: Welche Plätze besetzen Mädchen, welche Jungen von sich aus? Gibt es Konflikte zwischen Jungen und Mädchen um Spielecken in der Einrichtung? Wenn ja, wie werden sie von den Kindern gelöst? 8. Essensituationen: Setzen sich die Mädchen und Jungen zueinander, oder an getrennte Tische, wenn sie frei entscheiden können? Was schmeckt Mädchen oder Jungen besonders gut? Beobachten Sie Essstörungen bei Mädchen oder Jungen? 9. Vorlesen: Verhalten sich Mädchen und Jungen bei der Buchauswahl, beim Vorlesen gleich oder unterschiedlich. (Aufmerksamkeit, still sitzen, Ausdauer ...) Welche Lieblingsbilderbücher haben Mädchen und/oder Jungen? 10. Bewegungsspiel-Angebote: Spielen Jungen und Mädchen die gleichen Turn-/ oder Bewegungsspiele gern? Gibt es Turngeräte, die Mädchen, Jungen besonders mögen oder die von einem Geschlecht selbstverständlich als „unseres“ beschlagnahmt wird ? 11. Hilfe beim Tischdecken – Abräumen – Aufräumen: Zu welchen Hilfstätigkeiten sind Mädchen/Jungen von sich aus bereit? Gibt es Unterschiede? 12. Emotionen: Wenn Kinder traurig sind, verhalten sich Jungen und Mädchen gleich (z.B.: Weinen, Rückzug, Anlehnungsbedürfnis ...) oder unterschiedlich? Wenn Kinder nicht bekommen, was sie gerne haben möchten (z.B. Spielgerät, Aufmerksamkeit ...) wie verhalten sich Mädchen/Jungen. Gibt es Unterschiede, den Frust zu zeigen? Quelle: Walter, Melitta: Qualität für Kinder. Lebenswelten von Mädchen und Jungen in Kindertagesstätten. München 2000, S. 76 34 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:34 03.12.2007 15:31:15 Uhr Workshop 2 Workshop 2 „Medien und Geschlecht – Mediensozialisation von Mädchen und Jungen“ Input: Prof. Dr. Renate Luca Universität Hamburg Nach der Begrüßung durch Diana Emberger und einer Vorstellungsrunde wurden folgende Fragen und Erwartungen an das Forum gesammelt: 쐌 Welchen Einfluss haben Medien auf Jugendliche? 쐌 Der Einfluss der Medien auf Mädchen ist groß – warum? 쐌 Wie sehr prägen Vorbilder in den Medien Mädchen bei der Berufswahl? 쐌 Hilfestellungen zum Einsatz bestimmter Medien im pädagogischen Arbeitsalltag 쐌 Anregungen für LehrerInnenfortbildungen Es folgte ein Input von Frau Prof. Dr. Luca mit vier Schwerpunkten. 1. Adolenz und Geschlecht Das Spiel der Jugendlichen mit ihren Kräften und Grenzen manifestiert sich auf der „Bühne des Körpers“ – auf dieser Bühne inszenieren sich die mit dem Körper verbundenen Ängste, Wünsche, Sehnsüchte und Konflikte einschließlich der ambivalenten Bedeutungen der herrschenden Geschlechterordnungen. Konflikthaft zu sehen sind 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:35 sowohl Größenphantasien einerseits als auch Entwertungsphantasien andererseits. Bei Mädchen und jungen Frauen beispielsweise drückt sich der Drang zur Beherrschung des Körpers eher darin aus, Kontrolle auszuüben über das, was in den Körper hineinkommt. Männliche Jugendliche neigen eher dazu, mittels des eigenen Körpers Kontrolle nach außen hin ausüben zu können. Neueste Untersuchungen der BZgA (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung) von 2006 zeigen ausschnitthaft folgende Aussagen von Mädchen und Jungen zu ihrem eigenen Körper: 쐌 13 % der Jungen und 7 % der Mädchen fühlen sich zu dünn. 쐌 12 % der Jungen und 25 % der Mädchen fühlen sich zu dick. 쐌 62 % der Jungen und 46 % der Mädchen fühlen sich wohl in ihrem Körper. 쐌 43 % der Jungen und 35 % der Mädchen finden ihren Körper schön. 2. Körper und Sexualität in den Medien a) Schönheitsideal Weibliche Medienfiguren unterliegen im Hinblick 35 03.12.2007 15:31:16 Uhr „Voneinander lernen“ auf Schlankheit und körperliche Attraktivität einer strengeren Normierung als männliche Figuren. Attraktiven Medienpersonen werden per se positive Eigenschaften zugeschrieben. Die massenhafte Inszenierung des weiblichen Schlankheitsideals kann nach dem bisherigen Forschungsstand einen negativen Einfluss auf die Körperbilder des Publikums haben, dies kann z.B. zu einer verzehrten Wahrnehmung des eigenen Körpers („Ich bin zu dick!“), zu einer geringen Einschätzung der eigenen Attraktivität oder zu einem ausgeprägten Schlankheitsbedürfnis führen. b) Sexualität und Sexualisierung Der „dramaturgische Treibstoff“ bei der Sexualisierung von Frauen im Fernsehen ist sowohl auf einer verbalen Ebenen (z.B. in Talkshows) als auch auf einer visuellen Ebene (z.B. in Serien im Abendprogramm) zu finden. Dies reicht von Bezugnehmen auf sexuelle Eigenschaften bis zur Reduzierung auf den Körper und seine Funktion als sexuelles Objekt. Kameraführung und Schnittmontage spielen bei der Sexualisierung eine große Rolle. Es gibt Geschlechterdifferenzen in der Computernutzung der 12- bis 19-Jährigen: 쐌 50 % der Mädchen und 67 % der Jungen hören mit dem PC Musik 쐌 15 % der Mädchen und 61 % der Jungen spielen Computerspiele am PC 쐌 37 % der Mädchen und 38 % der Jungen arbeiten für die Schule am PC 쐌 35 % der Mädchen und 30 % der Jungen schreiben Texte am PC 쐌 10 % der Mädchen und 17 % der Jungen erstellen Musik-CD`s am PC 쐌 14 % der Mädchen und 13 % der Jungen nutzen ihren PC für Bild-, Foto-Videobearbeitung Die Computernutzung zeigt in den letzten Jahren eine Angleichung der Mädchen an die Jungen bezogen auf die Quantität. Mädchen und Jungen unterscheiden sich in den Präferenzen, besonders im Bereich von Computerspielen: Mädchen 15 %, Jungen 61 %. 4. Medienpädagogische Bildungsarbeit: Aktive Medienarbeit/Medienkritik 3. Mediensozialisation: Theorie und Empirie a) Theorie Bilder in den Medien bieten Attribute für die Konstitution von Identität an und können zu Vorbildern werden, an denen modellhaft gelernt wird. Dieses Modelllernen ist mitbestimmt durch kognitive und sozial-emotionale Vorgänge und findet teilweise unbewusst statt. 36 b) Empirie: Ausschnitt zur (Off-line) Computernutzung 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:36 Am Beispiel „Medienprojekt Wuppertal“ wurde eine aktive Medienarbeit vorgestellt. Im Rahmen dieses Projektes drehte eine Mädchengruppe einer Wuppertaler Hauptschule einen Film „Horrortrip in der Schule“. Dieser Film zeigt Gewaltszenen von Jungen gegenüber einem Mädchen in der Schule. Die Mädchen wehren sich dann zusammen auch mit Gewalt gegen die Jungen. Nach dem Input von Fr. Prof. Dr. Luca wurde dieser Film gezeigt. In einem anschließenden Austausch wurden folgende Resonanz gesammelt: 쐌 Gefühle wie Angst wurden gut umgesetzt. 03.12.2007 15:31:16 Uhr Workshop 2 쐌 Es ist erschreckend, wie realistisch der Film den Schulalltag widerspiegelt. 쐌 Es sind angstmachende, keine antörnenden Bilder. 쐌 Gewalterfahrung wird durch Bilder transportiert. 쐌 Gewalt wird deutlich und nicht sexualisiert. Es folgte ein weiterer Blick auf Geschlechterbilder in den Medien am Beispiel der Songtexte von „Bushido“ unter der Fragestellung „Wie kommt die Begeisterung vieler Mädchen zustande?“. Hierzu einige Statements: 쐌 Er greift Tabus in der Gesellschaft auf. 쐌 Er vermittelt Stärke. 쐌 Er hat in seinem Habitus eine Kompetenz, wird z.B. als der große Bruder erlebt. 쐌 Er thematisiert etwas, was von Pädagogen u.a. ausgeblendet wird. Damit hat er eine Meinungshoheit. 쐌 Er setzt an jugendlichen Lebenswelten an. 쐌 Medien verbreiten einen Starkult. 쐌 Im pädagogischen Kontext können einzelne Elemente aus Texten von Bushido ausgewählt werden, um darüber mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:37 Zum Abschluss des Forums wurden folgende Thesen festgehalten: 쐌 Stereotypisierungen können so stark wirken, dass eine Auseinandersetzung damit unumgänglich ist. 쐌 Medien können als Medium genutzt werden, um Geschlechterstereotypisierungen aufzubereiten und sich damit auseinanderzusetzen. 쐌 Genderorientierte Arbeit bzw. jede pädagogische Arbeit ist heutzutage ohne Medien nicht mehr möglich. Weiterführende Literaturtipps: Frau Prof. Dr. Luca hat zu dem Themenbereich einen aktuellen Artikel geschrieben, der im November in einer Veröffentlichung der GMK-Bielefeld erscheinen wird. Es handelt sich dabei um einen Reader über eine Tagung im Nov. 06 in Dresden. Vorher wird noch im Oktober 07 die Studie „Mediennutzung und Medienkompetenz von Mädchen und Jungen sowie medienpädagogische Handlungsmöglichkeiten“, Autoren: Luca, Renate/ Aufenanger, Stefan im Vistas Verlag, Berlin erscheinen. Die Studie wird finanziert von der Landesanstalt für Medien Nordrhein Westfalen. 37 03.12.2007 15:31:16 Uhr „Voneinander lernen“ Workshop 3 Geschlechtsspezifische Aspekte in Jugendkulturen Mädchen und Jungen in ihren Peergroups Inputvortrag: Klaus Farin Fachautor, Dozent und Leiter des Berliner Archiv der Jugendkulturen e.V. 38 Zu Beginn möchte ich kurz das Archiv der Jugendkulturen vorstellen und damit einerseits meine Arbeitsweise und Forschungsquellen, andererseits eine Einrichtung, die Euch und Ihnen vielleicht auch in Zukunft als Informationsquelle und Projektanbieter zum Thema Jugendkulturen nützlich sein kann. Das Archiv der Jugendkulturen ist formal ein gemeinnütziger eingetragener Verein, 1998 von Medienschaffenden wie ich selbst, von PädagogInnen, WissenschaftlerInnen, aber auch Szene-Angehörigen – DJs, MusikerInnen, Fanzine-HerausgeberInnen etc. – gegründet mit dem Ziel, die extremen Defizite in der fast nicht vorhandenen bundesdeutschen Jugendkulturforschung und die einseitige, an negativen Exzessen orientierte und dazu noch von wenig Sachkenntnis getrübte Medienbericht-erstattung ein wenig durch die Ermittlung und Verbreitung differenzierterer Informationen über Jugendliche und ihre Kulturen und Freizeitszenen auszugleichen. Zu diesem Zweck betreibt das Archiv der Jugendkulturen in BerlinKreuzberg eine öffentliche Bibliothek, in der jedermann/frau auf derzeit 200 m2 alles rund um Jugendkulturen kostenlos studieren kann, sowie 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:38 eine eigene Publikationsreihe mit bisher 52 Titeln, deren thematisches Spektrum von Skinheads, Punks oder Böhse-Onkelz-Fans über Swing-Jugendliche im Dritten Reich und Jugendkulturen in Mexiko oder Brasilien bis zu „Schmetterlinge im Bauch“ und „50 Jahre BRAVO“ reicht. Bei Bedarf informieren Sie sich gerne auf unserer Homepage www.jugendkulturen.de. Ausgangspunkt und Mittelpunkt unserer Arbeit sind zunächst die Jugendlichen selbst, und zwar jene Lebensbereiche, die von der traditionellen Jugendforschung zumeist als kaum zugänglich ausgeklammert werden, für Jugendliche selbst aber im Zentrum ihrer Interessen stehen: Ihre Freizeitwelten, Musik, Medien, Kleidung, die Peergroups der Cliquen, Szenen und Jugendkulturen. Wir gehen also zunächst dorthin, wo Jugendliche zusammentreffen, besuchen Punk- und Neonazi-Konzerte, HipHop-Jams und Techno-Partys, gehen in Fußballstadien, Jugendklubs etc.; wir suchen den Kontakt zu den kreativen AktivistInnen der Szenen, beobachten und interviewen Fans, Mitläufer und Kernszene-Angehörige. Aber wir befragen auch – sozusagen als „repräsentative Kontrollgruppe“ – Jahr für Jahr Hunderte von 03.12.2007 15:31:17 Uhr Workshop 3 „normalen“ Jugendlichen in Schulklassen aller Schulformen in Ost- und Westdeutschland, führen – vor allem im Rahmen unseres Projektes „Culture on the Road“ – jährlich etwa 80 Projekttage mit rund 2.500 SchülerInnenkontakten bundesweit an Schulen durch. Und natürlich werten wir auch die von und für Jugendliche/n entstandenen Produkte aus: Tonträger, Fanzines, Flyer, Mode. Aus all diesen Beobachtungen und Analysen wächst so im Verlauf unserer Arbeit eine Art Theorie und Geschichtsschreibung über die jeweiligen Szenen heran, mit der wir uns gerade beschäftigen, die natürlich immer wieder mit Medienberichten, anderen Studien etc. abgeglichen wird. Selbstverständlich arbeiten auch wir nicht theorie- und vorurteilsfrei. Doch die heterogene Zusammensetzung unserer Forschungsteams und Archiv-MitarbeiterInnen garantiert eine möglichst genaue Annäherung an die Realität und verhindert die Monopolisierung von Deutungsansätzen: Im Archiv der Jugendkulturen arbeiten und engagieren sich nicht nur JournalistInnen und WissenschaftlerInnen verschiedenster Disziplinen, sondern auch (ehemalige) Angehörige von Jugendkulturen, Techno-, Gothic- und Heavy-Metal-DJs, Punk-MusikerInnen und FanzineHerausgeber, Sprayer und Rollenspieler, Fußballund Science-Fiction-Fans mit jeweils individuellen Zugängen und Weltsichten. 40 Prozent der MitarbeiterInnen sind weiblich, jede/r Vierte stammt aus den neuen Bundesländern und drei aus Österreich; die Jüngste ist 21 Jahre, der Älteste 57 Jahre alt. Szene-freundliche Interpretatoren der Daten müssen sich mit SkeptikerInnen auseinandersetzen, langjährige Forschungsprofis profitieren vom erstaunten Blick der ErstbeobachterInnen. Unserer Meinung nach ist dieser innovative, die gängigen Grenzen des etablierten Wissenschaftsbetriebes sprengende Forschungsansatz der einzig Mögliche, will man über subjektiv verortete Teilgruppen der Gesellschaft wie Szenen Erkenntnisse gewinnen – auch wenn die Resultate vor allem systemisch theoretisierenden Wissenschaftlern, Medien und PolitikerInnen, die es gerne widerspruchsfrei und in Prozentangaben hätten, nicht immer gefallen. Denn, so unser Vereinsmotto: „Wer sich auf die Realität einlässt, muss die beruhigende Eindeutigkeit aufgeben.“ Unser Forschungsansatz ist also ein ethnographischer, kein soziologischer oder pädagogischer. Dennoch arbeiten wir natürlich auch als Träger verschiedenster Projekte für die pädagogische und (kultur- bzw. bildungs)politische Praxis. Mit diesem interdisziplinären Ansatz aus Forschung, Publizistik und politischer Bildung ist das Archiv der Jugendkulturen selbst ein bisher in Europa einmaliges Modellprojekt, was uns allerdings nicht nur freut, weil wir der Meinung sind, Einrichtungen wie unsere, in der sich Menschen realitätsgerecht über Jugendliche und ihre Lebenswelten informieren können, sollte es eigentlich in jeder Region geben. Konstante Faktoren unserer Forschung und Praxis, so verschiedenartig die Themen und Szenen im Einzelnen auch seien, sind die Inszenierung der Geschlechterrollen, Homophobie und Rassismus/ die Einstellung zu und Präsenz von MigrantInnen in Jugendkulturen. Und damit sind wir schon beim eigentlichen Thema: 39 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:39 03.12.2007 15:31:18 Uhr „Voneinander lernen“ 40 Jugendkulturen = Jungenkulturen Der Genderaspekt wird in Medien, Politik und Forschung meist übersehen oder bewusst ausgeklammert. Dabei ist doch auf den ersten Blick auffällig, dass nicht nur über 90 Prozent aller Gewalttäter männlich sind, sondern auch fast alle Jugendkulturen eigentlich Jungenkulturen sind, in denen Frauen nur einen marginalen Anteil stellen. Bei den Skinheads beträgt die Geschlechterrelation ungefähr 5:1 zugunsten (oder ungunsten) der Männer, und das gilt sowohl für die rechte Fraktion als auch für die anderen, nicht rechtsradikalen, „unpolitischen“ oder sogar antirassistisch engagierten Skinheads. Bei den Neonazis herrscht das gleiche Zahlenverhältnis vor (und nebenbei: Sensationsheischende Medienberichte, nach denen der Frauenanteil in der militanten Neonazi-Szene derzeit sprunghaft ansteigt, vermelden das, was sich verkauft – mit der Realität hat das nichts zu tun: Eines der größten Probleme der Angehörigen der jungen rechtsextremen Szene ist es, dass sie keine „artgerechten“ Frauen bekommen.). Bei der radikalen Linken – Antifa, Autonome, Antideutsche usw. – sieht es nicht wesentlich besser aus. Die Hooligans bilden zu 100 Prozent eine frauenfreie Zone. Auch die großen Musikkulturen (Punk, Techno/House, HipHop, Heavy Metal, Reggae/ Dancehall), die Sportszenen (Fußballfankulturen, Streetballer, Snow- und Skateboarder, BMXler) und die Computer(spieler)szenen sind männlich dominiert. Dagegen existiert heute keine einzige reine Frauen- oder Mädchenkultur, zumindest nicht im deutschsprachigen Raum; die in den USA kleine, aber existente Szene der Riot Girls hat sich hierzulande nie etablieren können bzw. ist inzwischen unter dem neuen Logo der „Ladypartys“ ins mittlere Alterssegment gereift. Die „Girlies“ stellen eher eine Medienschöpfung ohne reale all- 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:40 tagskulturelle Basis dar. Als einzige traditionelle Ausnahme wäre hier die Fan-Szene der Boygroups zu benennen; ihr gehören quasi ausschließlich Mädchen an, die interessanterweise aber wiederum ausschließlich männliche Idole haben. Erst ab etwa 2000 bildeten sich mit den Szenen der „Girlie-Hexen“, der Visual-Key-Fans und der MangaFans/Ottakus weitere überwiegend von Mädchen frequentierte Jugendkulturen heraus. Und dann gibt es natürlich noch die Gothics bzw. „Grufties“, wie sie früher genannt wurden, die als einzige „große“ Jugendkultur von Anfang an weiblich dominiert waren. Die Szene der „Schwarzen“ – Ausnahme von der Regel Die Gothics, auch Grufties, Dark Waver, New Romantics oder schlicht „die Schwarzen“ genannt, entstammen ursprünglich der Punk-Kultur. Es waren vor allem Jugendliche aus gutbürgerlichen Familien, (bis heute) fast ausnahmslos GymnasiastInnen, die im Punk die Möglichkeit gesehen hatten, dem gesicherten, aber fürchterlich biederlangweiligen Alltag ihres Lebens und der Gleichgültigkeit ihrer Eltern zu entfliehen, aber dann doch bald merkten, dass sie mit der exzessiven Körperlichkeit bzw. -vernachlässigung (Prügeln, Saufen/Drogen, Leben auf der Straße) und der Extrovertiertheit der rüden Arbeiterkinder innerhalb der Punk-Szene nicht klarkamen. So zogen sie sich ab 1980 nach und nach aus der Straßenkultur zurück und bauten ihre eigene Szene auf, mit Bands, die nicht nur die Schlechtigkeit der Welt geißelten, sondern auch die dunklen Seiten in ihnen selbst anklingen ließen, und bei denen es sich lohnte, zweimal ins Textheft zu sehen: Siouxsie & 03.12.2007 15:31:18 Uhr Workshop 3 the Banshees, Christian Death, Depeche Mode, Bauhaus, Joy Division, Fields of the Nephilim, Sisters of Mercy – und vor allem die Kultband Nr. eins der Szene: The Cure, deren Sänger Robert Smith auch wesentlich den Style der „Grufties“ prägte. Oder heute: Umbra et Imago, Lacrimosa, Wolfsheim, Goethes Erben, Das Ich, die Untoten ... Die Bandnamen weisen schon deutlich darauf hin, dass es sich bei den Kindern der Nacht um recht belesene Geschöpfe handelt, die ihren bildungsbürgerlichen Hintergrund sehr wohl zu schätzen wissen. Und in der Tat spielt die Literatur – neben der Musik und dem Outfit – eine tragende Rolle in der Kultur der Schwarzen, bietet sie den introvertierten Szene-Angehörigen doch nicht nur die Möglichkeit des Rückzugs vom Alltagslärm der Gesellschaft, sondern auch Anlässe und Anregungen für die Beschäftigung mit grundlegenden Fragen des menschlichen Daseins. AutorInnen wie Hermann Hesse („Siddharta“), Friedrich Nietzsche („Also sprach Zarathustra“), H. P. Lovecraft, der misanthrope Schöpfer düsterer Horrorgeschichten, Feodor Dostojewskij und Nikolai Gogol, die gemütsschweren Russen, die in ihren Werken immer wieder das menschliche Seelen- und Triebleben untersuchten, Existentialisten wie Jean-Paul Sartre und Albert Camus und die schwarzen Romantiker Novalis („Ariel“) und Charles Baudelaire („Die Blumen des Bösen“), Mary Shelley („Frankenstein“), Bram Stoker („Dracula“), Sheridan le Fanu („Carmilla“) und andere SchöpferInnen von Gothic Novels (daher auch der Szene-Name) bevölkern die Bücherregale der Schwarzen und beeinflussen neben (Vampir-) Filmen sogar ihren Kleidungsstil. Neben Romanen und Lyrik (Gothics produzieren selbst erstaunlich viel Lyrik, siehe etwa die entsprechenden Seiten in einschlägigen Magazinen wie Gothic, Sonic Seducer, Orkus usw.) 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:41 findet sich auch Sachliteratur, die häufig um zentrale Themen kreist: Der Tod und mögliche Welten und Reinkarnationen danach, mittelalterliche und (kirchenkritische) Religionsgeschichte(n), nordische Mythen, Runenkunde und Esoterik, Magie und (Neo-)Satanismus (Aleister Crowley, Anton Szandor la Vey). Wenn Gothics sich so intensiv mit dem Tod beschäftigen, steckt dahinter nicht nur die Faszination für alles Extreme, Tabuisierte, im Besonderen für extreme psychische Situationen, sondern auch das Ziel, den Tod wieder – wie zu vorchristlichen Zeiten – zu entdämonisieren, als unweigerlich eintretenden Alltagsfall zu akzeptieren. Die Gothics sind keine „Subkultur des Todes“, die ihre Mitglieder in den Suizid treibt, wie es sensationsheischende Medienreportagen gerne behaupten. Ihre Beschäftigung mit dem Tod entwickelt sich nicht aus eigener Todessehnsucht, sondern führt – über die ästhetische Verarbeitung und Stilisierung – zur Todesakzeptanz. Das ist ein Unterschied. [Natürlich gilt auch hier: Ausnahmen bestätigen die Regel. Ich beschreibe Ihnen hier die für die Mehrheit der Szene-Angehörigen verbindliche kulturelle Identität der Gothics; das bedeutet nicht, dass Einzelne sich nicht aus ganz anderen Motiven der Szene anschlossen, die Regeln und Rituale ihrer Kultur anders interpretieren oder in bestimmten Punkten die ungeschriebenen Regeln ihrer Szene verletzen (so wie es auch Nazi-Punks und rassistische HipHopper gibt).] Ebenso ist es entgegen der (ver)öffentlich(t)en Wahrnehmung falsch, aus dem intensiven Interesse der Gothics an christlicher und antichristlicher Literatur, der intensiven Nutzung von Kreuzen (sowohl in üblicher Weise als auch auf den Kopf gestellt ge- 41 03.12.2007 15:31:18 Uhr „Voneinander lernen“ tragen) und anderen Symbolen Rückschlüsse auf tatsächliche Glaubensrichtungen zu treffen. In der Tat findet man wenige überzeugte Christen (unter 5 % der Szene) und Satanisten (etwa 10 %) in dieser Szene, und Letztere gehören wiederum nicht zu jener gewaltsamen „Fraktion“ innerhalb der Satansjünger wie jenes, vor einigen Jahren Aufsehen erregendes Gruftie-Pärchen aus Witten, das glaubte, von Satan zu einer Mordtat aufgerufen worden zu sein. Im Gegenteil: Kaum jemand ist innerhalb der Gothic-Szene verhasster als Gewalttäter im Gothic-Outfit. In der Tat existiert heute wohl keine andere Jugend(sub)kultur, die Gewalt prinzipiell derart massiv ablehnt wie die Schwarzen. Für Gothics sind Menschen, die sich prügeln, verachtenswerte Dummköpfe, „Prolls“, die unfähig sind, ihre Konflikte verbal zu klären. Wer sich bei einer Gothic-Party prügelt oder auch nur verbal extrem aggressiv auffällt, wird zumeist sofort sozial isoliert. Dies ist sicherlich eine zentrale Ursache für den sehr hohen Frauenanteil in der Szene der Schwarzen. 42 Und diese können ohne Zweifel als dominanter Part der Gothics bezeichnet werden, deren gesamter Stil – Kleidung und andere Körperaccessoires, Umgangsformen, Sprache – zumindest androgyn ausfällt, eigentlich aber „weiblichen“ Vorstellungen entspricht, denen die „Jungs“ in der Szene nacheifern müssen: Beide Geschlechter schminken sich, tragen Röcke und Kleider, lesen und schreiben Lyrik und Tagebücher. Feindschaften und Animositäten innerhalb der Szene werden nicht durch „männliche“ Konfliktbewältigungsstrategien ausgetragen (Prügeln, offene Drohgebärden), sondern durch das Verbreiten von Gerüchten, die soziale Ächtung. Wer unangenehm auffällt, ist für die anderen Gothics plötzlich 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:42 dünner als Luft. Das männliche Schönheitsideal in der Szene ist nicht wie in der Mehrheitsgesellschaft der bodygebuildete kräftige, sportliche Typ, sondern der blasse, schmächtige, kleine Vampir, der sich mindestens so gut zu schminken weiß wie die weiblichen Szene-Angehörigen – was diese allerdings auf ungewohnte Art erneut in Konkurrenz zu männlichen Vorbildern setzt ... Ursachen der Männerdominanz in Jugendkulturen Die Gründe für die weibliche Abstinenz in Jugendkulturen sind vielfältig. Neonazis haben ein derart reaktionäres Frauenbild, das diese Szene auch für ansonsten ideologisch ähnlich denkende Frauen schwer erträglich macht. Bei den Computerszenen, die an sich keine sexistische Orientierung haben, liegt es an der Technik selbst, die von Frauen bisher im Allgemeinen weniger genutzt wird. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Erziehung sind auch für das Fehlen von jungen Frauen in den meisten anderen Kulturen verantwortlich. So wissen wir, dass Mädchen generell ihre Freizeit wesentlich stärker in den eigenen vier Wänden verbringen, nicht auf der Straße wie die Jungen. Sie haben zwar ebenfalls eine eigenständige Freizeit- und Kommunikationskultur entwickelt, die der der gleichaltrigen Jungen an Kreativität und verbaler Kompetenz bei weitem überlegen ist, doch es handelt sich dabei im Vergleich zu den männlichen Gesellungsformen um eine deutlich individualisiertere Freundinnen-Kultur, nicht um eine Szene oder thematisch gebundene (Sport-, Musik-)Kultur. Trotz und post `68: Der erzieherische Druck auf Mädchen, sich von der Straße fernzuhalten und auch in Aussehen und Verhal- 03.12.2007 15:31:19 Uhr Workshop 3 ten dem traditionellen role model zu entsprechen, ist immer noch um ein Vielfaches höher als bei Jungen. Ein Mädchen, das sich entschließt, als Punkerin oder Skinhead-Girl gestylt aufzutreten, hat wesentlich höhere Widerstände in Elternhaus, Schule etc. zu überwinden als ihr gleichaltriger Bruder, dem in der Regel eine kurze Phase der „Selbstfindung“ durch rüdes Benehmen, „über die Stränge schlagen“ und extremes Outfit durchaus zugestanden wird. Ein pubertierender Junge, der sich nie prügelt, erregt in nicht wenigen Elternhäusern immer noch ebenso viel Aufsehen wie ein Mädchen, das es tut. Es gibt allerdings noch zwei bedeutende szeneeigene Faktoren, die – vor allem, wenn sie wie üblich Hand in Hand auftreten – dazu führen, dass Jugendkulturen zu frauenfreien Zonen werden: 1] exzessiver Drogen-, und hier vor allem Alkoholkonsum; 2] exzessive körperliche Gewalt als quasi identitätsstiftende Beschäftigung der Szene/Clique. 2] Jugendkulturen schaffen Freundschaften – das Einstiegsmotiv Nr. 1 (neben der Musik). 3] Jugendkulturen machen ihre Angehörigen öffentlich sichtbar. Eine Form der öffentlichen Sichtbarmachung, vermutlich sogar die wirkungsvollste, ist Gewalt. Gewalt macht also durchaus Sinn. Sie ist keine biologische Konstante, durch den geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Hormonspiegel bedingt, sondern ein Resultat von Sozialisation und aktuellem Effektivitätsdenken – eine mehr oder weniger selbstbestimmte, bewusste Entscheidung. Jugendkulturen boomen. Jede/r fünfte unter 21Jährige gehört bereits einer oder mehreren Szenen an, bis zu drei Viertel aller Jugendlichen sympathisieren mit einer oder mehreren der mindestens 60 - 80 allein in Deutschland existenten Jugendkulturen. Die große Mehrzahl der Jugendlichen in diesem Land lebt gewaltabstinent. (Auch hier gilt: Die immer wieder kolportierten Behauptungen über steigende Gewalt an Schulen sind durch nichts zu belegen; auch der vermeintliche Anstieg der allgemeinen Jugend(gewalt)kriminalität wird in der neueren kriminologischen Fachliteratur vor allem auf Änderungen in der Bevölkerungsstruktur/Alterspyramide sowie die Erhellung des bisherigen Dunkelfeldes zurückgeführt, sprich: Größere Sensibilität der Bevölkerung, verstärkte Anzeigen/ eingreifende Maßnahmen, erhöhte Aufklärung). Skinheads, Hooligans, Neonazis und Satanisten gehören zu den von Jugendlichen am meisten gehassten Jugendkulturen dieser Tage. Und dennoch macht Gewalt Sinn. Zumindest für (bestimmte) Männer. Was macht Jugendkulturen eigentlich so attraktiv? 1] Jugendkulturen liefern Orientierung in einer orientierungslosen Welt, sie setzen Grenzen in einer als immer grenzenloser empfundenen Gesellschaft, sie bieten Sinn und Spaß. Denn die Männer des 21. Jahrhunderts haben es wirklich schwer. Das Einzige, was sie Tausende von Jahren über die Frauen gestellt hat – ihre Körperkraft – ist nicht mehr gefragt. In Zeiten, in denen die Mehrzahl aller zu verrichtenden Arbeiten von computergesteuerten, vollautomatischen Maschi- Gewalt & Geschlecht 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:43 43 03.12.2007 15:31:19 Uhr „Voneinander lernen“ nen erledigt werden und bereits zwei Drittel aller Arbeitnehmer in Dienstleistungs- und anderen „Weiße-Kragen“-Branchen beschäftigt sind, wird der „kleine Unterschied“ bedeutungslos. Selbst die letzten Bastionen der Männer – das Militär und der Fußball – sind gefallen. Das Gesellschaftssystem, in dem wir leben, bietet einem Großteil der Männer einen Ersatz für die unnütz gewordene Körperkraft: Macht. Doch nicht alle können daran partizipieren. Die Machtlosen haben verschiedene Möglichkeiten, die Gefährdung ihrer Männerrolle (Ernährer, Beschützer) zu kompensieren. Eine Variante ist die demonstrative Inszenierung von Männlichkeit. Gewalt, aber auch andere risikobehaftete Lebensweisen, zum Beispiel der Besitz/Diebstahl eines PKWs, extrem gefährliches Fahren, exzessiver Drogenkonsum sind „Beweise“ für Männlichkeit. Je knapper die ökonomischen, sozialen und Bildungsressourcen, desto mehr reduziert sich die Installation von Männlichkeit auf Risiko- und Kampfbereitschaft, Gewalt- und andere Kriminalität. 44 Gewalt existiert überall. Doch die Waffen sind ungleich verteilt. Vor allem Jugendlichen und Angehörigen bildungsferner und unterer sozialer Schichten bleibt häufig nur die illegale Gewalt und die Kraft ihrer Körper. Körperliche Gewalt(kriminalität) ist die Waffe der in ihrem Wert bedrängten schwachen Männer, die über keine reale Macht, keine „maskierten Machtdurchsetzungsmittel“ (Joachim Kersten) verfügen – Geld, Status, Rechtsanwälte. Gewalt, auch und gerade in Jugendkulturen, ist nach wie vor vor allem eine Geschlechterfrage. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass auch Frauen Gewalttäterinnen sind und werden können. Oder künst- 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:44 lerische Gewaltdarstellungen (aktuell vor allem im deutschen Battle-Rap à la Bushido, Frauenarzt u.a. aggro-Berlin-Produkten) positiv rezipieren. Doch dies ist wieder ein völlig anderes Thema. Literatur: Farin, Klaus: Jugendkulturen in Deutschland. Band 1: 1950-1989, Band 2: 1990-2005. Bundeszentrale für politische Bildung (www.bpb.de/publikationen/UC1KFJ,0,0,Zeitbilder.html), Bonn 2006. Farin, Klaus/Wallraff, Kirsten: Die Gothics. Tilsner, Bad Tölz/Berlin 2001. Rohmann, Gabriele (Hrsg.): Krasse Töchter. Mädchen in Jugendkulturen. Archiv der Jugendkulturen, Berlin (September) 2007. Mit Beiträgen von Michaela Köttig, Susanne El-Nawab, Nadja Madlener, Dunja Brill, Barbara Stauber, Elke Josties, Melanie Groß, Claudia Wallner u.a. Der Autor: Klaus Farin, Jahrgang 1958, ist Fachautor, Dozent und Leiter des Berliner Archiv der Jugendkulturen e.V. (www.jugendkulturen.de; www.klaus-farin. de). Kontakt: [email protected]. Das Archiv der Jugendkulturen bietet zum Thema Jugendkulturen bundesweit Fortbildungsveranstaltungen für LehrerInnen, JugendarbeiterInnen u.a. mit dem Autor dieses Beitrages sowie komplette Projekttage für Schulen mit authentischen Szene-Angehörigen an. Weitere Informationen unter: www.culture-on-the-road.de. 03.12.2007 15:31:19 Uhr Workshop 4 Workshop 4 Geschlechtersensibilität als Normalfall – gerade in einer Einrichtung mit multikultureller Besucherschaft Barbara Hiebsch und Oliver Schulz AWO-Jugendeinrichtung, Gießener Straße, Köln-Deutz Vorstellungsrunde Präsentation der Einrichtung Der Workshop begann mit einer Vorstellungsrunde, in der sich die Teilnehmenden vorstellten und ihre thematischen Interessen, Erwartungen und Fragen äußerten: 쐌 Anknüpfungspunkte zur genderpädagogischen Arbeit in einer Einrichtung mit verschiedenen kulturellen Hintergründen bei den Jugendlichen 쐌 Schnittmenge Gender Mainstreaming und Interkulturalität 쐌 Konzeptanregung/ Impulse für eine Verzahnung dieser beiden Querschnittsaufgaben 쐌 Was bedeutet gendergerechte Arbeit mit Jungen mit muslimischen Hintergrund? Welches Frauen-/Mädchenbild liegt vor? 쐌 Welches ist das vorherrschende Männlichkeits/Weiblichkeitsbild bei einer multikulturellen Gruppe? 쐌 Wo liegen die Grenzen, vor allem für die Mädchen? Die AWO-Jugendeinrichtung Gießener Straße ist eine Einrichtung für Kinder und Jugendliche aus einem Stadtteil mit erhöhtem Jugendhilfebedarf. 70 % der Kinder und Jugendlichen stammen aus Familien mit Migrationshintergrund. Die multikulturelle Arbeit hat einen hohen Stellenwert, da bei der Besucherschaft der Jugendeinrichtung viele Nationalitäten zusammen kommen, wobei afrikanische Jugendliche ungefähr 40 % ausmachen. In der Jugendeinrichtung herrscht überwiegend eine positive Atmosphäre mit einem sehr geringem Gewaltpotential. Ein kurzer geschichtlicher Abriss: Die Einrichtung wurde 1980 eröffnet, eine paritätische Besetzung der zwei hauptamtlichen Stellen wird seit 1985 durchgeführt. 1981 wurde mit der parteilichen Mädchenarbeit begonnen, 1991 dann der Mädchenarbeitskreis Köln e.V. mitgegründet. 1995 fand der Einstieg in die Jungenarbeit statt. Es hat also schon sehr früh eine Auseinandersetzung mit dem Thema Mädchenarbeit und geschlechtsbewusste Pädagogik in der Jugendeinrichtung stattgefunden. 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:45 45 03.12.2007 15:31:20 Uhr „Voneinander lernen“ Zielgruppe der Einrichtung 쐌 Mädchen und Jungen von 8 bis 20 Jahren jeglicher ethnischer/kultureller Herkunft 쐌 Sozial benachteiligte Mädchen und Jungen 쐌 Mädchen und Jungen mit erhöhtem Jugendhilfebedarf 쐌 Mädchen und Jungen aus dem Sozialraum der Einrichtung Arbeitsschwerpunkte 쐌 Geschlechtsbezogene Kinder- und Jugendarbeit, d.h. parteiliche Mädchenarbeit und reflektierte Jungenarbeit 쐌 Förderung interkulturellen Lernens, um rassistischen und anderen diskriminierenden Tendenzen entgegenzuwirken 쐌 Förderung der Identitätsentwicklung und des Selbstbewusstseins 쐌 Partizipation von Jugendlichen an der Organisation von Arbeitsabläufen 쐌 Primärprävention/Suchtprophylaxe 쐌 Ausbau/Festigung der Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule 쐌 Unterstützung der Jugendlichen beim Übergang von der Schule in den Beruf Angebotsstruktur In der Woche wird in der Jugendeinrichtung täglich für drei Stunden eine Übermittagsbetreuung angeboten. Daneben findet täglich ein offener Treff mit einem Wochenvolumen von 26 Stunden statt. Dienstags findet ab 17 Uhr ausschließlich ein Mädchentreff statt, donnerstags ab 17 Uhr ein Jungentreff. Außerhalb der Übermittagsbetreuung und des offenen Treffs finden u.a. Mädchen-/ Jungenfahrten, koedukative Ferienfahrten, Workshops, Ferienangebote und Projektarbeit statt. 46 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:46 Die Bedeutung von Gender Mainstreaming in der offenen Kinder- und Jugendarbeit Seit 2003 bilden sich die MitarbeiterInnen im Bereich des Gender Mainstreaming-Konzepts fortlaufend weiter. Parallel dazu ist Gender Mainstreaming explizit als Querschnittsaufgabe in der schriftlichen Einrichtungskonzeption aufgeführt. In unserer Praxis der alltäglichen Arbeit wird deutlich, dass sich die Lebenswirklichkeiten von Mädchen/ Frauen und Jungen/ Männern in vielen Bereichen unterscheiden. Entsprechend dem TopDown-Prinzip des Gender Mainstreaming ergibt sich somit als basale Verpflichtung für die Kinderund Jugendarbeit, diese Lebenswirklichkeiten zu überprüfen, damit die Unterschiede nicht unentdeckt bleiben. Hilfestellung leisten dabei auch die Leitlinien der Arbeiterwohlfahrt, die, inhaltlich analog zu den Anforderungen des Gender Mainstreaming-Konzepts, u.a. folgende Appelle enthalten: „Gleichheit gründet in der gleichen Würde aller Menschen. Sie verlangt gleiche Rechte vor dem Gesetz, gleiche Chancen, am politischen und sozialen Geschehen teilzunehmen, das Recht auf soziale Sicherung und die gesellschaftliche Gleichstellung von Frau und Mann“ . Dies bedeutet für die offene Jugendarbeit, Benachteiligungen abzubauen und gleichzeitig die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen zu fördern. Dies kann nicht nur innerhalb der sozialpädagogischen Arbeit mit Jugendlichen stattfinden, sondern geht darüber hinaus. Neben einer parteilichen Mädchenarbeit und einer reflektierten Jungendarbeit ist auch die Lobbyarbeit für Mädchen z.B. durch Arbeitskreise von besonderer Bedeutung für den Abbau von Benachteiligungen. 03.12.2007 15:31:20 Uhr Workshop 4 „Gerechtigkeit fordert einen Ausgleich in der Verteilung von Arbeit und Einkommen, Eigentum und Macht, aber auch im Zugang zu Bildung, Ausbildung und Kultur“. Dies bedeutet für die offene Jugendarbeit, benachteiligte Kinder und Jugendliche in ihrer schulischen und beruflichen Laufbahn zu unterstützen. Darüber hinaus sollen sie erfahren, dass sie durch Engagement und das Einbringen ihrer Fähigkeiten, ihre Chancen für den Zugang zu Bildung, Ausbildung und Arbeit vergrößern können. Diese Leitbildgedanken des Trägers sind mit ausschlaggebend für die Arbeit. In Verbindung mit der Gender Mainstreaming- Richtlinie der EU und den Bestimmungen des Kinder- und Jugendförderungsgesetz NRW ergibt sich somit für die Kinder- und Jugendarbeit die Implikation, dass alle Entscheidungen und Maßnahmen darauf hin überprüft werden müssen, ob sie der Herstellung der Chancengleichheit dienen. Es geht also um die Bewertung geschlechtsspezifischer Auswirkungen von Angeboten und Maßnahmen. Diese müssen verglichen und beurteilt werden. Darauf hin müssen alle Bereiche des Arbeitsfeldes organisiert, evaluiert und verbessert werden. Dies kann nur gelingen durch das Einbeziehen von Anliegen und Erfahrungen aus der Mädchen- und Jungenarbeit sowie aus der koedukativen Arbeit. Mädchen-, Jungen- und koedukative Arbeit können sich dabei nicht gegenseitig ersetzen, sondern müssen sich ergänzen. Eine geschlechtergerechte Konzeption aller Maßnahmen ist dabei zwingend, und die Umsetzung in der Praxis bedarf einer laufenden Überprüfung, damit Gender Mainstreaming nicht zu einer rein schematischen Komponente der Arbeit in der Jugendeinrichtung degradiert wird. 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:47 Was heißt „gendern“ in der praktischen Umsetzung? Personelle Struktur 쐌 Paritätische Besetzung der zwei hauptamtlichen Vollzeitstellen 쐌 Möglichst immer paritätische Besetzung des Offenen Treffs und der Übermittagsbetreuung im Tagesbetrieb 쐌 Besetzung des Mädchentreff durch zwei Mitarbeiterinnen und des Jungentreffs durch zwei Mitarbeiter 쐌 Anforderungsprofil an die MitarbeiterInnen: 쐌 Gegenseitiger Austausch/Kooperation 쐌 Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischer Pädagogik und mit koedukativen Ansätzen 쐌 Bereitschaft zur Eigenreflexion und zu kontinuierlicher Fortbildung 쐌 Entwicklung der koedukativen Angebote durch ein geschlechtsheterogenes Team Finanzierung Durch gemeinsame Situationsanalysen werden die Bedarfe der Klientel erörtert im Hinblick auf 쐌 soziale, 쐌 ethnische, 쐌 kulturelle und 쐌 religiöse Faktoren. Bei jedem dieser Faktoren ist das Gender Mainstreaming-Prinzip zu beachten, aus dieser Synthese ergibt sich dann die Verteilung der finanziellen Ressourcen. 47 03.12.2007 15:31:21 Uhr „Voneinander lernen“ Angebotsstruktur am Beispiel von 2006 쐌 Der Mädchen-/Jungentreff besitzen den gleichen zeitlichen Umfang sowie quantitativ und qualitativ ein vergleichbares personelles Betreuungskontingent. 쐌 Die Verteilung der Angebote im Kalenderjahr: 61 % koedukative Angebote, 16 % für Jungen, 23 % für Mädchen Organisationsablauf/Konzeptionell Teamsitzung Gemeinsame Situationsanalyse Fragestellung nach geschlechterspezifischen, sozialen, ethnischen und anderen für uns relevante Aspekte Ziele festlegen Ziele zur Verbesserung der Chancengleichheit 23 % für Mädchen Umsetzung von Maßnahmen zur Zielerreichung 61 % für Jungen und Mädchen 16 % für Jungen Evaluation Nach Abschluss der teaminternen Evaluation beginnt die Ablauforganisation wieder unter Einfluss der Evaluationsergebnisse bei der gemeinsamen Situationsanalyse. Dieses Prozessschema zieht sich durch alle Arbeitsbereiche: 쐌 Mädchenarbeit/Jungenarbeit 쐌 Koedukative Gruppenarbeit 쐌 Konzeption der Ferienprogramme 쐌 Konzeption des offenen Treffs 쐌 Gestaltung der Übermittagsbetreuung 쐌 Sportangebote 쐌 Teambesetzung 쐌 Strukturierung von Fortbildungsmaßnahmen 쐌 Entwicklung der Gesamtkonzeption 쐌 Projektentwicklung 쐌 Arbeitsorganisation 쐌 Arbeitsbereich Übergang Schule/Beruf 48 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:48 03.12.2007 15:31:21 Uhr Workshop 4 Diskussion: Gender Mainstreaming und Multikulturalität – Gemeinsam stärker? Als zusätzlicher externer Input und Anregung wurden hier die Thesen der Soziologin Neval Gültekin, Dozentin für die Fachbereiche Gender und Migration an der Fachhochschule Frankfurt/Main vorgestellt, welche diese anlässlich eines Kongresses der Bundeszentrale für politische Bildung (Thema: Implementation of Gender Mainstreaming in Europe) im September 2002 in Leipzig formuliert hatte. In ihrem Vortrag beklagte sie, dass die Diskussion auf der politischen Ebene zu wenig auf ethnische Diskriminierungsprozesse fokussiert sei und für den ganzheitlichen Erfolg der Gender Mainstreaming-Strategie die Implementierung einer Ethnicity Mainstreaming-Strategie notwendig sei (vgl. www.bpb.de/veranstaltungen/ Z61TK2,0,0,Forum4 %3A_Multikulturelle_Gesellschaft.html). Die wesentlichen Aspekte der Kritik umfassen folgende Aspekte: 쐌 Auf der politisch-verwaltungstechnischen Ebene in der EU fokussiert die Diskussion von Diskriminierung überwiegend auf der Betrachtung der Geschlechterkategorien. 쐌 Das Phänomen der ethnischen Diskriminierung hat bisher zu keinen substanziellen poltischen oder edukativen Prozessen in den westlichen Gesellschaften geführt. 쐌 Die Realität unserer multiethnischen Gesellschaft hat bisher nicht ausreichend ihre Berücksichtigung in der strategischen Ausrichtung des Gender Mainstreaming gefunden. 쐌 Nur wenn eine Ethnizitäts Mainstreaming-Stra- 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:49 tegie installiert wird, kann GM auch in unserer multikulturellen Gesellschaft erfolgreich sein. Die Diskussion dieser Aspekte warf folgende Fragen auf: Rückt der Ansatz der Interkulturalität aus dem Fokus, weil „alles Gender ruft“? Wo legt die Kinder- und Jugendhilfe ihre Schwerpunkte? Wie sieht die Schnittstellenarbeit aus? Diskussionsergebnisse 쐌 Gender Mainstreaming ist eine Strategie, die in allen Sektoren grundlegend mitgedacht werden sollte, dies betrifft natürlich auch die Migrations-/Multikulturalitätsperspektive. 쐌 In der Praxis der Jugendeinrichtung werden Gender Mainstreaming und Multikulturalität aber oft als eigenständige Arbeitsansätze wahrgenommen und eine gemeinsame Vernetzung als konzeptionelle Überfrachtung für das Team empfunden. 쐌 Gender Mainstreaming ist auch auf politischer Ebene als Top-Down-Prinzip inhaltlich etabliert, während die gesetzlichen Regelungen respektive der politische Gestaltungswillen hinsichtlich der Migrationsthematik weder auf internationaler noch nationaler Ebene ein einheitliches edukatives Konzept, welches hier Diskriminierungen entgegenwirken soll, erkennen lassen. 쐌 Die Kategorie Geschlecht bzw. die daraus abgeleiteten Bedürfnisse lassen sich auch nicht immer eindeutig kategorisieren, hier sind oft in der offenen Kinder- und Jugendarbeit kulturelle Divergenzen in der Zielgruppe der Jugendlichen zu konstatieren, so dass die Ansprüche nicht immer geschlechtshomogen sind. 49 03.12.2007 15:31:22 Uhr „Voneinander lernen“ Workshop 5 Praktische Ansätze und Methoden in der Berufsorientierung und Lebensplanung Ulrich Boldt Dozent für geschlechtergerechte Pädagogik, Uni Bielefeld Nach einem einleitenden Impuls von Uwe Ihlau als Moderator des Workshops erfolgte eine Vorstellungsrunde des TeilnehmerInnenkreises. Aufgrund der praxisnahen Herangehensweise von Uli Boldt werden im Folgenden die Methoden beschrieben, die in diesem Workshop vorgestellt und diskutiert wurden. Die Methoden sind modifiziert mit allen Altersgruppen durchführbar. Methode 1: Rendezvous Als Input werden Beispiele möglicher Stärken auf Zetteln an die Teilnehmenden verteilt, im Raum auslegt oder über Powerpoint auf die Wand präsentiert. Jede/r überlegt sich sechs eigene Stärken/Eigenschaften und stellt diese in einem „Rendezvous“ einem/einer Partner/in vor. Ziel dieser Übung ist das Erkennen eigener Stärken bei Jungen und die Förderung bzw. Steigerung des Selbstbewusstseins. Als Steigerung dieser Übung kann jede/r eine Stärke und eine Schwäche nennen, die ihm/ihr als Herausforderung erscheint. 50 Hinweis: Für diese Übung ist ein geschützter und vertrauter Rahmen wichtig. Besonders Jungen fin- 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:50 den es gut, von anderen positive Rückmeldungen zu bekommen und ihre Stärken benennen zu können. Ebenfalls wichtig ist es, mit eingestandenen Schwächen nicht alleine zu sein, nicht abgewertet zu werden, sondern diesen Bereich als herausfordernd und ausbaufähig (nicht als defizitär) zu betrachten. Rückmeldungen aus der Diskussion: 쐌 Dia Train versucht positiven Ansatz herauszuarbeiten und Herausforderungen mit Hilfestellung zu bearbeiten 쐌 Das herkömmliche Schulsystem baut auf häufig negative Rückmeldungen auf, es wird wenig positiv bestärk. 쐌 Schwächen zu haben ist „uncool“. Schwächen zuzugeben, kann für Jungen entlastend sein. In Bewerbungstrainings stellen viele Jungen eher ihre Stärken dar, weil unmännlich ist, Schwächen zu haben. 쐌 Der wertschätzenden Vergleich ist besser als die „normale“ Konkurrenz unter Männern ( „Ich bin der Größte“). Wenn die jungen Männern durch das Projekt „BUS-Klassen“ gehen, kommen sie „einen Kopf größer“ zurück. 03.12.2007 15:31:22 Uhr Workshop 5 Methode 2: Beziehungskisten Dabei handelt es sich um ein Kartenspiel mit Reaktionsfragen ähnlich dem bekannten TherapySpiel: Die Gruppe schätzt ein, wie der Protagonist in der vorgegebenen Situation reagieren wird. Danach zieht der nächste eine Karte und das Spiel geht reihum so weiter. Dabei gibt keine „richtigen“ oder „falschen“ Antworten, sondern subjektive Einschätzungen. Es wird darauf hingewiesen, dass es vertraulich und fair zugeht. Das Spiel kann auch ohne Anleitung in Kleingruppen gespielt werden. Rückmeldungen aus der Diskussion: 쐌 Es ist gut für Schüler, ein Feedback zu erhalten. 쐌 Solche Spiele sind gut geeignet, um aneinander zu lernen, toleranter zu werden. 쐌 Wichtig ist auch, spielerisch etwas über die anderen Mitschüler zu erfahren. Spielerische Methoden sind oft besser zum Austausch geeignet als Diskussionsformen – und als Lehrende muss man auch nicht alles mitkriegen. 쐌 Motivationsarbeit sollte die Grundlage der Arbeit in der Jungen-Bildungsarbeit sein. Methode 3: Film „Alles klar- nichts ist klar“ Der Film eignet sich gut, um ihn in drei Etappen mit den Jungen zu gucken und Impulsfragen zur Anregung einer Diskussion zu stellen mit dem Ziel, ein Weiterdenken anzuregen. Rückmeldungen aus der Diskussion: 쐌 Man kann in Rollen reinschnuppern und Beziehungsgefüge betrachten – „man erkennt sich wieder!“ 쐌 Ähnliche Methoden sind „Bennis Beziehungskiste“ als Karten-/Methodenspiel. 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:51 쐌 Filme eignen sich häufig als gutes niederschwelliges Medium und ermöglichen eine gute Weiterarbeit. Eine ausführliche Transkription dieser Methoden kann unter [email protected] angefordert werden. Im Folgenden werden noch zwei weitere Methoden des Referenten aus der weiterführenden Literatur dargestellt. Schatzkiste (Eine weitere Beschreibung zum Einsatz dieser Methode in der Arbeit von Vätern mit Söhnen befindet sich in dem Buch: Boldt, Uli: Buben unterstützen. Männer bringen sich in die Erziehung ein. Wien 2007) In einer Schatzkiste befinden sich auf Kärtchen circa 200 verschiedene einzelne Sätze („Ich bin ausgeglichen“ ... „Ich bin voller Energie“ ... „Ich kann gut Fußball spielen“ ... „Ich kann mit einer Bohrmaschine umgehen“ ... „Ich kann meine Meinung vertreten“ ... „Ich kann gut malen“ ...), von denen sich jeder Junge sechs verschiedene aussuchen soll. Bevor die Suche beginnt, verabreden sich die Jungen mit jeweils einer anderen Person, mit der sie zusammen über die Schätze (ihre Stärken) sprechen möchten. Zwei solcher Treffen sollen durchgeführt werden, sie dauern jeweils circa 5 Minuten, so dass sich jeder Junge mit jeweils zwei anderen Jungen über seine Stärken unterhalten kann. Man sieht im Raum kleine Partnergrüppchen, die sich wieder auflösen und sich neu zusammensetzen. Die Inhalte der Gespräche – das wissen die Jungen – werden nicht automatisch in der Großgruppe „veröffentlicht“. Zum Schluss versammeln sich die Jungen alle wieder im Kreis. Wieder nach dem Prinzip der Freiwilligkeit, kön- 51 03.12.2007 15:31:23 Uhr „Voneinander lernen“ nen sie nun, angeregt durch dieses Spiel eine ihrer Stärken vor der gesamten Gruppe beschreiben. Zugleich haben sie die Gelegenheit, eine persönliche Eigenschaft, eine Tätigkeit, eine Verhaltensweise zu benennen, bei der sie das Gefühl haben, sich noch verbessern zu können. Auf diese Weise wird das Thema „Meine persönlichen Stärken“ um das Thema „Meine persönlichen Schwächen, an denen ich arbeiten möchte“ erweitert. Waren es zunächst drei Jungen, die sich zutrauten, ihre Stärken zu benennen, so sind jetzt sechs dazu gekommen. Nach wie vor fällt es einigen Jungen schwer über sich zu reden. Das Thema kann deshalb gut in einigen Monaten wiederholt werden. entscheiden wird und legen deutlich sichtbar eine der Karten („A“, „B“ oder „C“) verdeckt auf den Tisch. Zugleich entscheidet sich der andere Junge, indem er ebenfalls eine der Entscheidungskarten verdeckt auf den Tisch legt. Danach werden alle Karten aufgedeckt. Haben sich mehr als drei Mitspieler richtig entschieden, enthält der Junge drei Bonbons als Belohnung. Die Jungen, die sich auf die richtige Meinung festgelegt hatten, erhalten jeweils ein Bonbon zur Belohnung. Alle anderen müssen einen Bonbon in die Kasse geben. Nachfragen zu den Gründen für die Entscheidung wie auch die Ursachen für Fehleinschätzungen können in einem kurzen, sich anschließenden Gespräch besprochen werden. Arbeit mit Entscheidungsund Meinungskarten Kannst Du Dir vorstellen, Deinen Chef zu duzen? A] Nein, ich würde den Respekt vor ihm verlieren. B] Das ist mir egal, ich mache meine Arbeit, das ist wichtig. C. Ja, ich finde es cool, wenn man persönlichen Kontakt hat. Auszug aus: Uli Boldt: Jungen stärken. Materialien zur Lebensplanung (nicht nur) für Jungen. Baltmannsweiler 2005 52 Ähnlich wie in dem Material „Traum Berufe Und Mehr“ geht es darum, dass die Jungen sich in spielerischer Art und Weise über ihre zukünftigen Vorstellungen austauschen. Denkanstöße werden gegeben, über die die einzelnen Jungen vielleicht nicht in der konkreten Situation intensiv nachdenken werden, die aber eventuell die zukünftige Lebensplanung mit beeinflussen werden. Zur Vorbereitung des Spieles erhält jeder Mitspieler aus der Kasse drei Bonbons. Danach erklärt der Spielleiter die für das Spiel wichtigsten Regeln: Während des Spieles wird der Stapel der Karten verdeckt reihum weitergegeben. Der Junge, der an der Reihe ist, deckt die Karte auf und liest den Text vor. Die anderen Jungen entscheiden sich einzeln dafür, ob der Junge sich für die Lösung „A“, „B“ oder „C“ 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:52 Kannst Du Dir vorstellen, einen Kunden anzuschnauzen, weil er Dir auf die Nerven geht? A] Der Kunde ist König, also kann ich es mir nicht erlauben. B] Ich lasse mir nicht gefallen und mich auch nicht beleidigen. Solche Kunden fliegen raus. C] Das kann mal passieren, wenn man Stress hat. Ist Dir Karriere wichtig? A] Na logisch, Geld und Macht sind das einzig Wahre. B] Ist mir relativ gleich. Ich will Spaß im Job haben. C] Ich weiß gar nicht wozu. Ich bin eh lieber zu Hause. 03.12.2007 15:31:24 Uhr Workshop 5 Welche Dinge sind in Deiner späteren Arbeit wichtig? A] Geld verdienen, Macht haben, Karriere machen.... B] Gesicherte Arbeit, egal wie. C] Spaß, Interesse und eventuell gute Bezahlung. Wärst Du bereit Überstunden zu machen, wenn Dein Chef Dich darum bittet? A] Das ist doch selbstverständlich. B] Nur wenn es die Ausnahme bleibt. C] Ich versuche mich auf alle Fälle zu drücken, schließlich will ich meinen Feierabend genießen. Welches Auftreten wirkt beim Vorstellungsgespräch am ehesten? A] Ganz locker bleiben. Man zeigt sich, wie man ist. B] Höflich, zurückhaltend aber bestimmt. C] Ich lobe mich in den höchsten Tönen und sage, was der Chef hören will. Darf ich bei einem Vorstellungsgespräch eine Krankheit verschweigen? A] Ja, das geht niemanden etwas an. B] Ich weiß es nicht. C] Nein, ich darf doch nicht lügen. 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:53 Wie finde ich Schulausflüge? A] Nicht besonders, aber sie sind besser als Unterricht. B] Ich finde sie grässlich. C] Sie machen Spaß. Es arbeiten so wenige Männer im Kindergarten oder im Pflegedienst. Warum eigentlich? A] Es liegt an der schlechten Bezahlung. B] Männer sind nicht emotional genug. C] Männer kümmern sich weniger um andere Menschen. Kannst Du Dir vorstellen, das ganze Leben in ein und derselben Firma zu arbeiten? A] Warum nicht, wenn die KollegInnen nett sind. B] Bloß nicht, da würde ich ja verblöden. C] Wenn ich dabei Karriere mache und nicht ewig der niedrigste Trottel bleibe, dann ja. Was ist Dir wichtiger? Ein Job, der Spaß macht, aber wenig Geld bringt. Oder: Ein Job, der keinen Spaß macht, aber wo Du das Doppelte verdienst. A] Ein Job muss hauptsächlich Geld bringen. B] Arbeit muss vor allem Spaß machen, sonst ist es mir zu öde. C] Das kann man sich doch nicht aussuchen. 53 03.12.2007 15:31:24 Uhr „Voneinander lernen“ Du hast 18 Bewerbungen geschrieben und nur Ablehnungen erhalten. Was machst Du? A] Ich habe die Schnauze voll. Ich suche mir einen Job als Ungelernter. B] Ich mache weiter. Man darf die Hoffnung nie aufgeben. C] Wenn ich auf die nächsten 10 Bewerbungen wieder nur Absagen bekomme, melde ich mich bei einer Berufsschule an. Hälst Du es für richtig, dass ein Geschäftsführer mehr verdient als ein einfacher Arbeiter? A] Ich finde das mehr als gerecht, denn er hat ja auch mehr Verantwortung und kann ruhig das Doppelte verdienen. B] Ich finde, dass alle Menschen das gleiche verdienen sollten. C] Ja, aber die Unterschiede sollten nur sehr gering sein. Wie verhälst Du Dich beim Vorstellungsgespräch, wenn Dir Zigaretten angeboten werden? A] Weil ich das richtig nett finde, nehme ich dankend an. B] Ich lehne natürlich ab und werde auf das Teufelszeug schimpfen. C] Ich werde freundlich ablehnen, denn das ist ungünstig im Vorstellungsgespräch. Lohnt sich eine Weiterbildung? A] Also, einmal die Schulbank drücken, das reicht doch wohl. B] Wenn ich Karriere machen will, dann muss ich mich wohl weiterbilden. C] Weiterbildung ist wichtig. Bei den ganzen Entwicklungen verliere ich sonst noch meinen Job. Was hälst Du von Zeitungsannoncen, die einen Verdienst von bis zu 3000 EUR monatlich versprechen? A] Klingt gut. Ich bewerbe mich sofort. B] Wirkt etwas übertrieben. Aber warum nicht mal anrufen. C] Kann man voll vergessen, ist bestimmt so ein Vertreterjob oder ein unseriöses Geschäft. Würdest Du Dich als Chef streng gegenüber den MitarbeiterInnen verhalten? A] Natürlich, sie sollen merken, dass ich der Chef bin. Dazu gehört auch Strenge. B] Ein Chef kann sich auch anders Autorität verschaffen. C] Ein Chef sollte vor allem auf die Interessen der einzelnen MitarbeiterInnen eingehen. Während der Ausbildung wirst Du öfter zum Brötchenholen geschickt und zum Fegen der Werkstatt eingesetzt. Wie findest Du das? A] Das würde mich ganz schön anstinken, aber da muss man wohl durch. B] Ich mache doch nicht ständig für andere den Butler. Jeder soll mal rankommen. C] Wenn ich mich weigere, habe ich ganz schlechte Karten bei meinem Chef. Stimmt es, dass arbeitslose Jugendliche selbst daran schuld sind, wenn sie keine Stelle finden? A] Ja, denn „jeder ist seines Glückes Schmied“. B] Nein, die Politiker sind daran schuld. C] Für einige Jugendliche stimmt das. Die kümmern sich einfach zu wenig. Du hast keinen Job bekommen. 54 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:54 03.12.2007 15:31:24 Uhr Workshop 5 Schämst Du Dich, nun zum Sozialamt zu gehen? A] Nein, echt nicht, das kann doch jedem passieren. B] Finde ich zwar nicht gut, aber von irgendetwas muss ich ja leben. C] Da pumpe ich lieber meine Eltern an. Würdest Du Dich an einem Streik in deinem Betrieb beteiligen? A] Nein, damit gefährde ich nur meinen Arbeitsplatz. B] Nur für den Fall, dass ganz viele mitmachen. C] Ja auf jeden Fall, denn man muss sich ja auch wehren. Würdest Du bei Gefahr einer Pleite der Firma, in der Du arbeitest, für ein paar Wochen auf Deinen Lohn verzichten? A] Ich arbeite doch nicht umsonst. B] In Krisensituationen müssen einfach alle zusammenhalten. C] Es kommt darauf an, welches Verhältnis ich zu meinem Chef habe. Würdest Du als Chef Deinen Mitarbeitern gegenüber eigene Fehler zugeben? A] Auf gar keinen Fall, das untergräbt meine Autorität. B] Vielleicht, aber nur, wenn keine Zeugen anwesend sind. C] Damit habe ich gar keine Probleme. Irren ist menschlich. Was tust Du, wenn Du beim Vorstellungsgespräch nach Deinen Lohnvorstellungen gefragt wirst? A] Bloß nicht zu viel fordern, sonst bekomme ich den Job nicht. B] Ich informiere mich vorher und weiß, was ich fordern kann. C] Erst mal ne richtig ordentliche Summe nennen. „Runtergehen“ kann ich ja immer noch. Das Arbeitsamt ist verpflichtet, Dir einen Job zu besorgen. Stimmt das? A] Na klar, das ist doch ihre Aufgabe. B] Ob sie das tun müssen, weiß ich nicht. Mal abwarten. C] Bevor die was tun, ergreife ich lieber die Initiative. Glaubst Du, dass jeder, der eine Ausbildung beginnen möchte, eine Stelle bekommt, wenn er sich genügend darum bemüht? A] Nein, denn es gibt zu wenig Ausbildungsplätze. B] Manche sind einfach zu faul und kümmern sich nicht genug. C] Wenn man etwas richtig will, bekommt man es auch. Wenn mir ein Ausbilder komisch kommt, knalle ich ihm die Klamotten vor die Füße. A] Das ist das wenigste, was ich machen würde. B] Ich würde erst einmal in Ruhe mit ihm reden. C] Ich spreche erst einmal mit einem Freund über die Sache. 55 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:55 03.12.2007 15:31:25 Uhr „Voneinander lernen“ Vorstellung der Landesinitiative Jungenarbeit NRW Uwe Ihlau und Birol Mertol FUMA Fachstelle Gender NRW Gesellschaftlicher Hintergrund In der öffentlichen Wahrnehmung wird häufig ein defizitärer Blick auf Jungen wiedergeben. So sind Themen wie „Jungen als neue Bildungsverlierer“ oder „Jungen als Auslöser von Gewalt z.B. an Schulen“ häufig in den Medien zu finden. Ein ressourcenorientierter Blick auf Jungen, der sich im fachlichen Diskurs durchgesetzt hat, findet sich in der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion nur selten wieder. 56 Eines der zentralen Probleme von Jungen ist die Auseinandersetzung mit teilweise konträren Rollenvorstellungen von Männlichkeit(en). Im Rahmen ihrer Lebens- und Berufsplanung sehen sich Jungen mit der Aufgabe konfrontiert, Beruf und Familie in gleichem Maße verwirklichen zu wollen. Dies stellt für einige Jungen eine Überforderung dar, weil sie im Rahmen ihrer eigenen rollenspezifischen Sozialisation noch das Bild des Alleinernährers der Familie verinnerlicht haben, das schwer vereinbar ist mit einer gleichberechtigten Auseinandersetzung mit Haushalt und Kindern. Deshalb brauchen diese Jungen eine Unterstützung in der Erlaubnis zu mehr Rollenvielfalt und Rollenflexibilität. 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:56 Einerseits werden häufig noch „klassische“ männliche Rollenerwartungen an die Jungen herangetragen wie z.B. Durchsetzungsfähigkeit oder Zielstrebigkeit und andererseits werden neuere Erwartungen gestellt: So genannte „softskills“ wie Empathie, Teamfähigkeit und Fürsorge. Gleichzeitig fehlen jedoch reale Männer, die ihnen bei dieser Aufgabe als positive Vorbilder (role models) dienen. Die Folge ist eine Verunsicherung im Hinblick auf die eigene männliche Identitätsentwicklung. Gerade Jungen aus sozial schwachen Schichten haben mit den sich verändernden Rollenbildern von Männlichkeit(en) oft Schwierigkeiten. Ihnen fehlen vielfach die Möglichkeiten und die Unterstützung, um ihr Junge- und Mannsein erweitert zu gestalten. Deshalb orientieren sich manche Jungen an klassischen, klaren und eindeutigen traditionellen Männlichkeitsmustern, die sie in ihrer Sozialisation in der Familie, der Clique oder in Film und Fernsehen kennengelernt haben. Beim Zugriff auf diese klassischen männlichen Rollenmuster 03.12.2007 15:31:25 Uhr Vorstellung der Landesinitiative Jungenarbeit NRW merken sie jedoch, dass es zunehmend schwieriger wird, damit gesellschaftliche Anerkennung zu finden. Probleme, die u.a. dadurch auf verschiedenen Ebenen entstehen, können schwieriger emotional verarbeitet werden. Das liegt auch daran, dass Jungen zwar über viele soziale Kontakte verfügen, doch fehlen ihnen häufig enge Bindungen zu Eltern oder Freunden, denen sie ihre Probleme anvertrauen könnten. Deshalb reagieren im Gegensatz zu Mädchen Jungen bei Belastungen eher mit einem nach Außen orientierten Verhalten, das häufig durch erhöhtem Aktivismus oder Aggressivität signalisiert wird. Dies ist ebenfalls eine Reaktion auf die traditionelle Männerrolle, die es Jungen verbietet, Gefühle wie Überforderung, Unsicherheit und Hilflosigkeit zu zeigen. Fragt man Jungen, was für sie Männlichkeit beinhaltet, so wird meistens eine negative Definition in Form einer betonten Abgrenzung bis hin zur Abwertung von Weiblichkeit herangezogen, die scheinbar automatisch mit einer Aufwertung des Männlichen einhergeht. Innerhalb der Peergroup herrscht bei Jungen ein erhöhter Anpassungsdruck: Jungen wollen nach Außen hin „so cool wie möglich“ auftreten, um ja nicht Schwächen zu zeigen. Die Angst als „Weichei“ abgestempelt zu werden führt dazu, dass Gewaltstrategien für viele Jungen als sozial sinnvoll erscheinen, um ihre „männliche Normalität“ zu beweisen. Vor diesem Hintergrund hat das Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration die Landesinitiative Jungenarbeit entwickelt, die sich unter Beteiligung verschiedener Handlungsfelder (z.B. Kindergarten, Schule, Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit, Migrationssozialarbeit) den geschlechtsspezifischen Belangen von Jungen widmen, entsprechende Konzeptionen in den pädagogischen Einrichtungen verankern und 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:57 gleichzeitig die Öffentlichkeit für diese Themen sensibilisieren soll. Ziele der Landesinitiative Jungenarbeit Initiierung eines öffentlichen Diskurses zu jungenspezifischen Themenfeldern Die Vorstellungen von dem, was als „typisch männlich“ gilt, haben sich über viele Generationen entwickelt und sie verändern sich stetig weiter. Trotzdem ist häufig noch von dem klassischen „Männerbild in Deutschland“ die Rede, wenn männlich konnotierte Verhaltensweisen abgefragt werden. Deshalb ist ein breit angelegter öffentlicher Diskurs notwendig, um diese Bilder von Männlichkeit (und Weiblichkeit) – gerade in einer immer mehr Pluralen gesellschaftlichen Realität, in der Menschen mit unterschiedlichem Migrationshintergrund zusätzliche Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder mitbringen und/oder produzieren – neu zu bedenken. Hierzu wäre ein verstärkter Austausch z.B. der pädagogischen Fachkräfte und Kulturschaffenden oder prominenten männlichen Vorbildern (auch mit Migrationshintergrund) wünschenswert, die als „role models“ neu wahrgenommen werden könnten. In der Elternarbeit ist es wichtig, Ängste abzubauen, dass es bei Söhnen als Zeichen der „Verweichlichung der Jungen“ gedeutet werden könnte, wenn sie neben Eigenschaften wie Wut beispielsweise auch Trauer offen zeigen dürfen. 57 03.12.2007 15:31:26 Uhr „Voneinander lernen“ Verbesserung des Verständnisses für die besonderen Lebenslagen von Jungen Bei der Verbesserung des Verständnisses für die besonderen Lebenslagen von Jungen geht es darum, nicht nur Probleme in den Blick zu nehmen, die Jungen machen, sondern auch Probleme zu berücksichtigen, die Jungen haben. Dazu müssen wir uns im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung die Lebensumstände genauer anschauen, zu denen auch die Wahrnehmung von Ressourcen zählt. Auffällig ist, dass viele Jungen in Familien ohne Vater aufwachsen. Das bedeutet, dass es kaum männliche Vorbilder gibt, an denen sie sich orientieren könnten. Auch treffen Jungen in den frühen Sozialisationsinstanzen wie Kindergärten und Grundschulen fast ausschließlich auf Frauen. Deshalb wollen wir auch auf die wachsende Bedeutung und Notwendigkeit des geschlechtsreflektierten gegengeschlechtlichen Arbeitens hinweisen, weil es in absehbarer Zeit nicht gelingen wird, ausreichend Männer für diese Bereiche zu gewinnen. 58 Entwicklung, Recherche, Bündelung und Dokumentation entsprechender pädagogischer Angebote Zur fachlichen Weiterentwicklung der Jungenarbeit in NRW sollen im Rahmen der Landesinitiative bestehende erfolgreiche Projekte der Jungenarbeit gebündelt, thematisch sortiert und inhaltlich aufbereitet und dokumentiert werden. Außerdem sollen Anreize gegeben und konzeptionelle Unterstützung geleistet werden, um neue Projekte zu initiieren und zu realisieren. Diese Projekte sollen aus den unterschiedlichsten Handlungsfeldern der Jugendhilfe mit einer Reihe verschiedener Themen und Methoden realisiert werden. 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:58 Geplante Maßnahmen Bestandsaufnahme der vorhandenen Ansätze Im Rahmen der Landesinitiative Jungenarbeit sollen bereits durchführte aber auch geplante Projekte aus den Jahren 2006 bis 2008 abgefragt und in eine Projektdatenbank aufgenommen werden. Ziel ist es, Projekte mit Modellcharakter so zu dokumentieren, dass sie zur Inspiration für eigene Projektplanungen dienen können. Die Projektdatenbank sortiert die Projekte nach verschiedenen Themenbereichen (wie beispielsweise Liebe, Sexualität, Gesundheit u.a.), nach Altersgruppen und nach Postleitzahlen in NRW und wird auf der Homepage der Landesinitiative Jungenarbeit veröffentlicht. Zusätzlich sollen die ermittelten Inhalte in die bereits existierende Landkarte auf der Homepage der LAG Jungenarbeit NRW einfließen und die Landschaft der geschlechtsreflektierten Jungenarbeit erweitern. Erarbeitung neuer Praxisprojekte Im Rahmen der Landesinitiative Jungenarbeit sollen fünf neue Praxisprojekte initiiert und koordiniert werden, die möglichst aus verschiedenen Handlungsfeldern der Jugendhilfe ausgewählt werden und als Modelle dienen sollen. Seit dem Startschuss der Landesinitiative Jungenarbeit gibt es erste Überlegungen seitens des MGFFI und der beiden Fachstellen Jungenarbeit und Gender bezüglich möglicher Kooperationspartner, Themen und Inhalte in den Projekten. Hierzu stehen folgende Partner bereits fest: 쐌 drei Kooperationspartner der LAG Jungenarbeit: Dortmund (Jugendhilfekontor Dortmund e.V.), Hagen (Evangelische Schülerinnen- und Schü- 03.12.2007 15:31:27 Uhr Vorstellung der Landesinitiative Jungenarbeit NRW lerarbeit in Westfalen (BK) e.V. und Marl (Drogenberatung Westvest) 쐌 zwei landesweite Verbände: LAG lokale Medienarbeit NRW e.V. und Pro Familia Landesverband NRW Mögliche Themen der Praxisprojekte sind: 쐌 Mobbing und Jungen 쐌 Entwicklung und Veränderung von Männlichkeitsbildern am Beispiel des Vater-Sohn-Verhältnisses 쐌 Ressourcenorientierte und gewaltpräventive Aufarbeitung männlich dominierter medienund musikgestützter Sprachjargons, Ehrbegriffe und Werte in Jungencliquen (migranten- sowie auch einheimische Jungen) – in Abgrenzung z.B. zur kommerzialisierten, gewaltorientierten Berliner „Hip Hop Schule“. 쐌 Sexualität und Männlichkeit * Sozialtraining für Jungen Das Ansprechen von Werbeträgern und Paten für diese Projekte ist geplant. Es sollen regionale oder kommunale bekannte Persönlichkeiten, also männliche „role models“ gefunden werden, die die mögliche Rollenvielfalt des Mannseins verdeutlichen und so eine Art Vorbildfunktion für die Jungen übernehmen können. Hier hat ein erstes Brainstorming Namen wie Yves Eigenrauch (Ex-Fußballprofi bei Schalke 04), Gandhi Chahine (Frontmann von „sons of gastarbeita“), Stephen Georg Ritchie (Schlagzeuger von den „Toten Hosen“) oder Stefan Laak (WDR) ergeben. Durchführung einer landesweiten Fachveranstaltung Mitte 2008 sollen die bereits begonnen Projekte im Rahmen einer landesweiten Fachtagung der FUMA 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:59 Fachstelle Gender NRW vorgestellt werden und die Ergebnisse und Erfahrungen aus der Landesinitiative Jungenarbeit gebündelt, präsentiert und eine Zwischenauswertung vollzogen werden. Entwicklung einer Internetplattform Es soll eine Internetplattform www.initiative-jungenarbeit.nrw.de aufgebaut werden, die neben Grundlageninformationen eine Datenbank mit aktuellen Projekten der Jungenarbeit in NRW enthalten soll. Sie kann zur zentralen Dokumentation der gesamten Initiative, der Teilprojekte wie auch zur Vernetzung der einzelnen Projektbausteine genutzt werden. Umsetzung Mit der Durchführung dieser Maßnahmen hat das Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration die FUMA Fachstelle Gender NRW beauftragt. Die Landesarbeitsgemeinschaft Jungenarbeit NRW wird die Umsetzung der Landesinitiative fachlich unterstützen. 59 03.12.2007 15:31:27 Uhr „Voneinander lernen“ Auswertung Fachtagung der FUMA Fachstelle Gender NRW „Voneinander lernen“ Zur Auswertung gab es einen Fragebogen, in dem die TeilnehmerInnen um Rückmeldung und Bewertung der Fachtagung gebeten wurden: Qualitätsabfrage Diese Rückmeldung soll dazu dienen, unsere Qualitäten zu sichern und weiterzuentwickeln. Die Bewertungsskala reicht von 1 bis 5, wobei 1 den besten und 5 den schlechtesten Bewertungsmaßstab ausmacht. 1] Gesamtbewertung der Veranstaltung Was war gut/schlecht? 2] Inhaltliche Bewertung der Veranstaltung • Bedeutung der vermittelten Inhalte für die eigene berufliche Praxis • Inwieweit wurden neue Erkenntnisse vermittelt? Was war gut/schlecht? 3] Methodische Bewertung der Veranstaltung • Wie beurteilen Sie das methodische Vorgehen der Fortbildung? • Wurden Sie genügend eingebunden, bzw. Ihre Wünsche berücksichtigt • Was war gut/schlecht? 4] Bewertung der Organisation und Moderation der Veranstaltung? • Wie beurteilen Sie die Leitung/Organisation der Veranstaltung? • Wie beurteilen Sie die Moderation der Veranstaltung? • Was war gut/schlecht? 60 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:60 5] Bewertung der Ergebnisse der Veranstaltung • Wie schätzen Sie Ihren Lerneffekt ein? • Wie schätzen Sie die Umsetzung der gelernten Inhalte in Ihrer täglichen Praxis ein? • Was war gut/schlecht? 6] Welche inhaltlichen und methodischen Anregungen und Wünsche haben Sie für künftige Veranstaltungen? Da nur 13 ausgefüllte Rückmeldebögen abgegeben wurden, ist die Auswertung möglicherweise nicht repräsentativ für alle TeilnehmerInnen – trotzdem sollen an dieser Stelle einige Stichpunkte genannt werden. Besonders gut beurteilt wurden die Leitung, Organisation, Struktur, Zeitmanagement und vor allem die Moderation der Veranstaltung. Als Highlights hoben einige Rückmeldungen die Vorträge von Melitta Walter und Jürgen Boldt hervor. Die Bedeutung der vermittelten Inhalte für die eigene berufliche Praxis wurde sehr hoch bewertet – wenn auch deutlich wurde, dass die Auseinandersetzung mit den Inhalten für das Fachpublikum zwar spannend war, aber nicht unbedingt neue Erkenntnisse gebracht hat. Auch wurde darauf hingewiesen, dass noch offen sei, inwieweit die theoretische Auseinandersetzung in die Praxis vor Ort einfließen wird. Die Workshops wurden in ihrer Qualität unterschiedlich beurteilt. Als Anregung für die künftige Veranstaltungen wurde ein Büchertisch (insbesondere mit Büchern der Vortragenden) angeführt. Für alle Rückmeldungen an dieser Stelle herzlichen Dank! 03.12.2007 15:31:28 Uhr Teilnehmende und Mitwirkende Fachtagung der FUMA Fachstelle Gender NRW „Voneinander lernen“ Name Vorname Einrichtung Stadt 1 Herr Aksen Yasar AIDS-Hilfe Essen e.V. Essen 2 Frau Aktar Noreen-Maria Uni Essen Essen 3 Frau Appelhoff Bärbel Feldenkrais-Lehrerin Bochum 4 Frau Beckmann Gaby Bündnis 90/Die Grünen NRW Düsseldorf 5 Herr Beinhauer Markus Outlaw gGmbH Rheine 6 Frau Blumenthal Sabine Essen 7 Herr Boldt Ulrich 8 Frau 9 Frau Burg-Ahrendt Claudia 10 Frau Buschermöhle Andrea FUMA Fachstelle Gender NRW Dozent für geschlechtergerechte Pädagogik, Uni Bielefeld Internationales Mädchenzentrum Gladbeck eSw Ev. Schülerinnen- und Schülerarbeit e.V. Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg 11 Nele PSG Genderbildungsstätte JaM Dortmund 12 Herr Czerwinski Norbert Bündnis 90/Die Grünen NRW Düsseldorf 13 Frau Debbing Cäcilia Essen 14 Herr Dell‘Anna Sandro 15 Frau Demant Manuela 16 Frau Dicken Sabrina 17 Frau Diewell Loreen FUMA Fachstelle Gender NRW Fachstelle Jungenarbeit/Landesarbeitsgemeinschaft Jungenarbeit in NW e.V. Stiftung Partner für Schule NRW Bund der Pfanderfinderinnen und Pfadfinder LV NRW Stadt Bielefeld, Gleichstellungsstelle 18 Frau Emberger Diana FUMA Fachstelle Gender NRW Essen 19 Herr Farin Klaus Archiv der Jugendkulturen Berlin 20 Herr Felling Matthias Medienpädagoge, Journalist Köln 21 Frau Gießelmann Helga SPD-Landtagsfraktion Düsseldorf Breuker-Gerbig Frau Cölsch Ute Bielefeld Gladbeck Hagen Essen Dortmund Düsseldorf Dortmund Bielefeld 61 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:61 03.12.2007 15:31:28 Uhr „Voneinander lernen“ GroßmannRath 23 Herr Hamdorf 22 Frau Alberta Karsten Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration NRW PSG Genderbildungsstätte JaM Düsseldorf Dortmund 24 Frau Hansjürgen Jana Katharina Youth Work / Jugendzentrum The Point Hanster-Rein25 Frau Ulrike Vorstand FUMA e.V. hardt 26 Frau Heinzen-Voß Doris Landeskoordination Integration NRW Essen 27 Herr Helmke Thomas Bielefeld 28 Herr Herking Ingo 29 Frau Hiebsch Barbara Stadt Bielefeld, Dienstleistungszentrum VIF-Beratungsstelle für Jugendliche im Übergang zwischen Schule und Beruf AWO-Jugendzentrum Gießener Straße 30 Herr Ihlau Herr 31 Ikeya Uwe FUMA Fachstelle Gender NRW Essen Hisao Universität Nihonfukushi Japan 32 Frau Kamps Berti Vorstand FUMA e.V., Jugendamt Düsseldorf 33 Frau Kitzmann Marianne Landesjugendamt W.-L. Münster 34 Frau Klein-Senge Barbara PSG Genderbildungsstätte JaM Dortmund 35 Frau Konings Daniela 36 Herr Le Bihan Ekkehard Essen Rhein-ErftKreis 37 Frau Leschinsky Anne 38 Herr Lorscheider Werner Ev. Kirchengemeinde Stoppenberg Fachstelle für Aids- und Suchtprävention der AWO-Rhein-Erft-Kreis VIF-Beratungsstelle für Jugendliche im Übergang zwischen Schule und Beruf AWO-Jugendzentrum Gießener Straße 39 Frau Luca Renate Universität Hamburg Hamburg 40 Frau Lück Silvia Mädchentreff Bielefeld e.V. Bielefeld 41 Frau Ludwig Karola Landeskoordination Integration NRW Köln 42 Herr Mertol Birol Essen 43 Frau Neumann Gudrun FUMA Fachstelle Gender NRW Sportjugend NRW im Landessportbund NRW Prof. 62 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:62 Gelsenkirchen Köln Hagen Köln Hagen Köln Duisburg 03.12.2007 15:31:29 Uhr 44 Frau Nieswand Jennifer PSG Genderbildungsstätte JaM Dortmund 45 Frau Nigro Carmela Frauenhaus Essen (Kinderbereich) Essen 46 Frau Overkott Birgit Stadt Hagen, Gleichstellungsstelle Hagen 47 Frau Paul Phyllis Regionales Bildungsbüro Dortmund Dortmund 48 Herr Pauly Andreas Kath. Fachhochschule Köln 49 Frau Peters Jennifer KITA-Zauberland, Kinderschutzbund Essen 50 Frau Plonski Ramona 51 Herr Reuter Lothar 52 Frau Richter Nicole PSG Genderbildungsstätte JaM Dortmund Paritätisches Bildungswerk Landesverband Saarbrücken Rheinland-Pfalz/Saarland e.V. Evangelische Jugend Dortmund 53 Herr Riedel Carsten 54 Frau Sahle Dorota 55 Herr Schick Dortmund Bernd PSG Genderbildungsstätte JaM Sportjugend NRW im Landessportbund NRW AWO-Fulda 56 Frau Schlünder Andrea Frauenhaus Hagen Hagen 57 Frau Schmidt Schmiedes58 Herr kamp 59 Frau Schneider Kristina PSG Genderbildungsstätte JaM Dortmund Dirk Evangelische Jugend Dortmund Angela Frauenhaus Essen (Kinderbereich) Essen 60 Frau Schulte Doris FUMA Fachstelle Gender NRW Essen 61 Frau Schumann Barbara Vorstand FUMA e.V. Essen 62 Frau Schütte Angelika Euroschulen Wesseling Köln 63 Frau Sparka Andrea Stiftung Partner für Schule NRW Düsseldorf 64 Frau Strickhausen Marion 65 Herr Tiaden Michael 66 Frau van Suntum Susanne Psychologische Beratungsstelle Remscheid Stadt Osnabrück, Fachbereich für Kinder Jugend und Familien, Gemeinschaftszent- Osnabrück rum Ziegenbrink FUMA e.V. Essen 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:63 Duisburg Fulda 63 03.12.2007 15:31:29 Uhr „Voneinander lernen“ 67 Frau vom Berg Frau 68 Wallner Dr. Antje Landesanstalt für Medien NRW Düsseldorf Claudia Referentin, Praxisforscherin, Autorin Münster 69 Frau Walter Melitta 70 Herr Wanielik Reiner Frau Weber Dr. 72 Frau Wingels 71 Fachberatung für geschlechtergerechte München Pädagogik Paritätisches Bildungswerk Landesverband Saarbrücken Rheinland-Pfalz/Saarland e.V. Monika Stadt Bielefeld, Gleichstellungsstelle Bielefeld Petra Jugendamt Märkischer Kreis Lüdenscheid 64 071203-vonLernen-Innen.indd Abs1:64 03.12.2007 15:31:29 Uhr „Voneinander lernen“ Bildungsorte und Lernwelten von Kindern und Jugendlichen aus der Genderperspektive Team der FUMA Fachstelle Gender NRW, Essen Impressum Herausgeberin: FUMA Fachstelle Gender NRW, Essen Redaktion: Cäcilia Debbing, Essen Text: Marlies Hendriks, Bochum Gestaltung: Fehrenberg-Design, Essen Druck: Basis-Druck, Duisburg 071203-vonLernen-Umschlag.indd 2 07.12.2007 16:54:17 Uhr „ Voneinander lernen“ #2* f/W/ Fachstelle Gender NRW Geschlechtergerechtigkeit in der Kinder- und Jugendhilfe Rathenaustr. 2-4 • 45127 Essen Telefon 0201.18 50 88-0 Fax 0201.18 50 88-9 e-mail: [email protected] www.gender-nrw.de 071203-vonLernen-Umschlag.indd 1 #2* f/W/ Fachstelle Gender NRW Geschlechtergerechtigkeit in der Kinder- und Jugendhilfe Bildungsorte und Lernwelten von Kindern und Jugendlichen aus der Genderperspektive Dokumentation Landesweite Fachtagung der FUMA Fachstelle Gender NRW in Dortmund, Reinoldinum 12. Juni 2007 03.12.2007 15:03:23 Uhr