Männliche Orgasmushemmungen

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Männliche Orgasmushemmungen
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Ein verkanntes Problem?
Uwe Hartmann, Andreas Herter
Verglichen mit den Erektionsstörungen, bei denen wir in den vergangenen zwei Jahrzehnten Zeuge einer
dynamischen Entwicklung in Grundlagenforschung, Diagnostik und Therapie werden konnten, stehen die
Orgasmusstörungen des Mannes bislang im Schatten der erektilen Dysfunktionen und unser Kenntnisstand
zu Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten ist deutlich geringer. Das trifft für den vorzeitigen Orgasmus zu
– immerhin das häufigste Sexualproblem des Mannes - mehr aber noch für den gehemmten Orgasmus, der
bislang als seltenes Störungsbild mit eher schlechter Prognose gilt. Dieser Beitrag möchte die
Orgasmushemmung des Mannes anhand einiger Fallvignetten aus der sexualmedizinischen Praxis in ihren
Kernmerkmalen und möglichen Therapieansätzen vorstellen und dabei vor allem auf einen Bereich
verweisen, in dem dieses Problembild eine besondere Bedeutung hat: den unerfüllten Kinderwunsch. Da hier
nur intrapsychische und partnerbezogene Aspekte fokussiert werden, sei der Leser, der sich für organische
Aspekte von Ejakulationsstörungen interessiert auf die Darstellungen in Krause und Weidner (1998) sowie
Beier et al. (2001) verwiesen.
Merkmale und Ursachen
In Anlehnung an das DSM-IV lässt sich die männliche Orgasmushemmung definieren als: Eine
anhaltende oder wiederkehrende Verzögerung oder ein Fehlen des Orgasmus nach einer normalen
sexuellen Erregungsphase, während einer sexuellen Aktivität, die der Untersucher unter
Berücksichtigung des Lebensalters hinsichtlich Intensität, Dauer und Art für adäquat hält. Die mit
Abstand häufigste Form der Orgasmushemmung ist die koitale Orgasmushemmung. Dabei ist der
Mann sowohl bei der Masturbation als auch durch manuelle oder orale Stimulation durch die
Partnerin in der Lage, zum Höhepunkt zu kommen, nicht aber beim Geschlechtsverkehr. In der Praxis
findet man die verschiedensten Abstufungen dieser Symptomatik: Männer, die auch bei der
Selbstbefriedigung und nicht-koitalen Stimulation Schwierigkeiten mit dem Orgasmus haben;
Männer, die nur bei der Selbstbefriedigung orgastisch sein können; Männer, die nach einem sehr
langen und intensiven Koitus manchmal den Orgasmus erreichen können; Männer, die auch beim
Koitus oft das Gefühl haben, kurz vor der Orgasmusschwelle zu stehen, diese aber dann doch nicht
erreichen, während andere von vornherein das Gefühl haben, die Orgasmusschwelle nicht erreichen
zu können. Weder die sexuelle Appetenz noch die Erektionsfähigkeit sind in der Regel beeinträchtigt,
wenngleich es wie üblich bei lange bestehenden sexuellen Funktionsstörungen auch zu
Beeinträchtigungen dieser Dimensionen kommen kann. Zwei verbreitete Irrtümer umranken die
männliche Orgasmushemmung: (1) Die Annahme, dass nur die völlige koitale Orgasmushemmung
ein ernsthaftes Problem in der sexuellen Partnerschaft darstellt. (2) Der Mythos, dass eine koitale
Orgasmushemmung ihre Vorzüge hat, da der Mann (anders als viele andere Männer) zu einem lang
andauernden Geschlechtsverkehr in der Lage ist und deshalb seine Partnerin in besonderem Maße
befriedigen kann. Beide Annahmen sind irrig, da sie über eine oberflächliche, von den Sexualmythen
geprägte Sicht nicht hinauskommen. Tatsächlich wird schon die Orgasmushemmung, bei der der
Mann nach ausgedehntem Koitus bisweilen einen Orgasmus erreichen kann, von beiden Partnern als
belastend und wenig genussvoll erlebt. Die sexuelle Aktion ist dabei nicht von Lust und Leidenschaft
getragen, sondern vom Willen, den Orgasmus unbedingt zu erreichen. Viele Patienten erleben das
eher als „harte Arbeit“ denn als ausgedehnte lustvolle sexuelle Interaktion. Auch für die Partnerin ist
sowohl der ausgedehnte Koitus, bei dem meist die Lubrikation nachlässt und es zu unangenehmen
Empfindungen oder Schmerzen kommen kann, als auch die danach alternativ ausgeführte manuelle
oder orale Stimulation des Partners kaum lustvoll. Viele Frauen erleben sich als nicht in der Lage,
den Partner zum Orgasmus zu bringen, was zu Zweifeln und Selbstvorwürfen führen kann, die die
Sexualität weiter belasten. Andere Frauen vermissen vor allem den gemeinsamen (nicht unbedingt
gleichzeitigen) Höhepunkt der sexuellen Erregung, sie empfinden die übermäßige Kontrolle des
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Partners, seine Unfähigkeit, „loszulassen“ und sich ganz gehen zu lassen, als deutliche
Einschränkung des sexuellen Erlebens. Lehnt der Mann mit einer koitalen Orgasmushemmung auch
die manuelle oder orale Stimulation durch die Partnerin ab und ist nur in der Lage, durch
Selbststimulation (in Gegenwart der Partnerin oder allein) zum Orgasmus zu kommen, fühlt die
Partnerin sich häufig „überflüssig“ (vgl. Fallvignette 1) und abgelehnt. Die Orgasmushemmung kann
so bei beiden Partnern zu einem Rückgang der sexuellen Motivation und des sexuellen Interesses
und zu einer starken Belastung der Paarbeziehung führen. Die wenigen vorliegenden Daten zur
Häufigkeit des gehemmten männlichen Orgasmus deuten darauf hin, dass diese Problematik nicht so
selten ist wie gemeinhin angenommen wird. So gaben in einer großen US-amerikanischen Studie
(Laumann et al. 1994) ca. 8 % der befragten Männer an, innerhalb des zurückliegenden Jahres über
einen Zeitraum von mehreren Monaten unter einer „Unfähigkeit, zum Orgasmus zu kommen“ gelitten
zu haben. Auch in anderen Studien liegen die Prozentsätze zwischen 4 und 8 %, so dass dieses
Problem auch in der sexualmedizinischen Praxis mehr Beachtung verdient. Bevor wir das
gegenwärtige Wissen zu den psychischen und partnerbezogenen Ursachen betrachten, soll
Fallvignette 1 einige Kernmerkmale dieses Störungsbilds verdeutlichen.
Fallvignette 1:
Der 55jährige Patient beklagt eine sekundäre koitale Orgasmushemmung. In der über 25 Jahre dauernden
ersten Ehe mit einer gegenüber Sexualität sehr ablehnenden Frau habe es bei den seltenen sexuellen
Kontakten keine Probleme gegeben. Ein Jahr nach dem Tod der Ehefrau lebte der Pat. sexuell völlig
abstinent und lernte dann seine jetzige Ehefrau kennen, die sexuell viel offener und interessierter ist. Bei den
allerersten sexuellen Kontakten war der Pat. noch in der Lage, koital zum Höhepunkt zu kommen, seitdem ist
das nicht mehr möglich. Die Erregung und Erektion breche immer ein, nachdem die Frau ihren Höhepunkt
erlebt hat. Danach könne er manchmal durch intensive manuelle Stimulation durch die Frau einen Orgasmus
erreichen. Der Pat. ist zusammen mit einer älteren Schwester in materiell bescheidenen Verhältnissen
aufgewachsen. Die Mutter stammte aus großbürgerlichem Hause, ihr wurde als Mädchen jedoch keine
adäquate Ausbildung zuteil und sie musste als Hauswirtschafterin arbeiten. Der Vater war Diplom-Ingenieur.
Die Mutter sei die Beziehung zu dem älteren, eher unsteten Mann in erster Linie eingegangen, um dem
Elternhaus zu entfliehen. Die Eltern „mussten“ heiraten, als die ältere Schwester des Pat. unterwegs war.
Schon bald musste die Mutter aber feststellen, dass der Vater ein „Hallodri“ war, der permanent Beziehungen
zu anderen Frauen unterhielt und sie schließlich verlassen hat, als der Pat. 4 Jahre alt war. Der Vater sei zur
„Unperson“ geworden, und die Mutter sei aus Groll gegen Männer nie wieder eine Beziehung eingegangen.
Der Pat. sei der „Augenstern“ der Mutter gewesen, die ihn der Schwester, zu der nie eine engere Beziehung
bestand, vorgezogen habe. Andererseits sei er zur Mutter immer eher auf Distanz gegangen, da diese ihn zu
früh in die Rolle des Mannes im Hause gedrängt habe. In der Schule sei er eher ein Außenseiter gewesen,
habe nicht gern Sport gemacht, sich früh für Literatur interessiert und nur wenige Freunde gehabt. Darüber
hinaus ist der Pat. schon früh im religiösen Bereich sehr engagiert gewesen, zunächst in kirchlichen
Jugendgruppen, später (und bis heute) bei einer Glaubensgemeinschaft mit sehr strengen Regeln. Die
Sexualanamnese zeigte, dass Sexualität seitens des Elternhauses völlig tabuisiert gewesen ist. Frühkindliche
sexuelle Erfahrungen können nicht erinnert werden, erste schwärmerische Verliebtheiten gab es in der
Vorpubertät. Das Bild von Sexualität war und ist stark von religiösen Vorstellungen geprägt, nach denen
Sexualität nur eingebunden in verantwortungsvoller Partnerschaft und Ehe stattfinden darf und aus diesen
Bezügen nicht freistellbar ist. Dementsprechend fand die erste heterosexuelle Erfahrung erst in der ersten
Ehe des Pat. statt. Der Pat. musste jedoch rasch feststellen, dass seine Ehefrau der Sexualität sehr
ablehnend gegenüber stand, keine Appetenz hatte und ihm seine „Ungeduld“ vorwarf. Der Pat. verarbeitete
die Erfahrung, dass seine Frau nie sexuelles Begehren hatte und auch nicht sexuell von ihm erregt werden
konnte und sich lediglich ab und an „zur Verfügung“ stellte, schuldhaft und in einem depressiven Modus. Sein
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männliches Selbstwertgefühl nahm erheblichen Schaden und es kam immer wieder zu depressiven
Episoden. Der Pat. lernte in dieser Zeit, seine sexuellen Impulse und Bedürfnisse zu verstecken und
möglichst zu unterdrücken, da nur dann die ihm sehr wichtige harmonische Partnerbeziehung möglich war.
Sexuelle Spannungen wurden gelegentlich in der Masturbation abgeführt, was aber wieder zu religiösen und
Gewissenskonflikten führte. In den Jahren, in denen seine erste Ehefrau krebskrank war, fanden keinerlei
sexuelle Kontakte mehr statt. Nach dem Tod der ersten Ehefrau lebte der Pat. über ein Jahr sexuell völlig
abstinent und lernte dann über seine Glaubensgemeinschaft seine jetzige, zweite Ehefrau kennen. Obwohl
ebenfalls streng religiös gebunden, ist diese (eine Dänin) in vielem das Gegenteil seiner ersten Frau: sinnlich,
sexuell freizügiger und erlebnisfähig, mit relativ ausgeprägter sexueller Appetenz. Während bei den ersten
beiden sexuellen Kontakten noch ein koitaler Orgasmus möglich war, gelingt es dem Pat. seitdem trotz
ausreichender Erektion nicht mehr, beim Verkehr einen Höhepunkt zu erreichen. Extravaginal ist dies
manuell (mit viel Mühegabe) möglich. Beide sind über diese „mangelnde Erfüllung“ sehr enttäuscht, was bei
dem Pat. wieder zu Selbstvorwürfen und depressiven Reaktionen führt. Die Partnersexualität ist mehr und
mehr verkrampft und „orgasmuszentriert“, was wiederum zu Beziehungsschwierigkeiten führt.
Ähnlich wie bei anderen sexuellen Funktionsstörungen existieren auch bei der Orgasmushemmung eine
Reihe verschiedener psychologischer Erklärungsansätze. Helen Kaplan (1995) vergleicht die Pathogenese
der Orgasmushemmung mit der Obstipation oder dem Miktionsverhalt, bei denen vegetative Reflexe, die
normalerweise der willkürlichen Kontrolle unterliegen, durch emotionale Erregung oder seelische Konflikte
gehemmt werden können. Es kommt dabei zu einer unwillkürlichen Abwehrreaktion, zu einer
überschießenden Kontrolle und der Unfähigkeit, den Reflex freizusetzen. Der Mann mit einer
Orgasmushemmung neigt unbewusst zu einem Zurückhalten und versucht, das Aufkommen von Angst durch
Kontrolle zu verhindern. Andere Autoren haben versucht, aus ihren klinischen Erfahrungen spezifischere
Ursachen der Orgasmushemmung abzuleiten. Ein Teil der Annahmen bezieht sich auf negative Erfahrungen
wie die Verursachung einer ungewollten Schwangerschaft, traumatische Erfahrungen im Zusammenhang mit
Sexualität oder Angst vor sexuell übertragbaren Krankheiten. Andere Hypothesen stellen eher aktuelle und
konkrete Faktoren in den Vordergrund wie ein Mangel an effektiver sexueller Stimulation, Hemmungen
bezüglich dem Einfordern eigener sexueller Wünsche und Bedürfnisse, die Angst, bei sexuellen Aktivitäten
entdeckt zu werden oder verzerrte Vorstellungen und Lerndefizite. Anders als bei den anderen sexuellen
Funktionsstörungen, bei denen Versagensängste und unmittelbare Ursachen als vorrangig betrachtet
werden, gehen die meisten Überlegungen zur Verursachung davon aus, dass den männlichen
Orgasmushemmungen tiefer verwurzelte Konflikte und unbewusste Ängste und Phantasien zugrunde liegen.
Diese führen wiederum zu einer irrationalen Furcht davor, in der Vagina zum Orgasmus zu kommen. Eine
ganze Reihe möglicher Konflikte und Phantasien sind namhaft gemacht worden, die hier nur kurz benannt
werden sollen: Inzest- oder Kastrationsängste, durch die der Koitus zu einer „bedrohlichen“, mit Tabus und
Verboten belegten Aktion wird; Ängste, die Frau zu verletzen, die Spiegelbild oder Abwehr der
Kastrationsängste sein können; Ängste vor Kontrollverlust, durch die das mit dem Orgasmus verbundene
Loslassen gefürchtet wird; paraphile Impulse, durch die die auf ganz bestimmte Reize festgelegte Erregung
zwar zum Erreichen einer Erektion (meist unter Nutzung entsprechender Phantasien), nicht aber zum
(koitalen) Orgasmus ausreicht. Ein von den skizzierten Annahmen zur Verursachung deutlich abweichendes,
originelles Konzept der männlichen Orgasmushemmung mit wichtigen Implikationen für die Behandlung
dieses Störungsbildes vertritt der amerikanische Sexualtherapeut Apfelbaum (1989). Apfelbaum geht davon
aus, dass sich hinter dem Funktionsproblem Orgasmushemmung tatsächlich eine subtile Appetenz- und
Erregungsproblematik des Mannes verbirgt. Die häufigste Form der koitalen Orgasmushemmung betrachtet
Apfelbaum als „Partner-Anorgasmie“, da der Mann zumeist Schwierigkeiten hat, im Beisein der Partnerin
zum Höhepunkt zu kommen. Dafür verantwortlich ist nach Apfelbaum eine „autosexuelle“ Orientierung des
Mannes, bei der nur die eigene, masturbatorische sexuelle Aktivität zugelassen und genossen werden kann.
Die partnerbezogene Erregungs- und Appetenzstörung wird dabei quasi „maskiert“ durch die robusten,
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schnell vorhandenen und lange anhaltenden, gleichsam automatischen Erektionen des Patienten. Diese
Erektionen sind kein Ausdruck sexuellen Verlangens und sexueller Erregung, sondern "desynchronisiert" und
werden vom Mann letztlich nur zum Gefallen der Partnerin und um die Erwartungen zu erfüllen eingesetzt.
Danach handelt es sich bei diesen Männern um Personen, die nicht nehmen können, nicht egoistisch sein
und die eigene Befriedigung nicht einfordern können. Stattdessen stehen sie unter dem Joch der
Gewissenhaftigkeit, Pflichterfüllung und Selbstkontrolle und unter dem fortwährenden Druck, die Partnerin zu
befriedigen und es ihr recht zu machen. In dem chronischen Gefühl, selbst nicht genug zu geben, vermittelt
der Mann durch das Symptom der Partnerin das Gefühl, dass sie nichts Gutes für ihn tun kann, wodurch sich
der Kreis der Autosexualität schließt.
Praktische Aspekte der Diagnostik und Therapie
Die Diagnostik psychologischer Faktoren beim gehemmten Orgasmus weist kaum Besonderheiten oder
Abweichungen vom üblichen Vorgehen der sexualmedizinischen Evaluation auf (vgl. Langer und Hartmann
1992, Beier et al. 2001). Die diagnostische Feinarbeit bezieht sich schwerpunktmäßig auf die Bedingungen,
unter denen Orgasmen möglich bzw. nicht möglich sind. Wie üblich sollten die Gedanken und Gefühle des
Patienten während der sexuellen Interaktion detailliert besprochen werden. Wie sind seine
„Startbedingungen“, setzt er sich von Beginn an unter Erfolgsdruck oder setzt dieser erst während des Koitus
ein? Wie stark ist die Selbstbeobachtung? Wie ausgeprägt ist die subjektive sexuelle Erregung im Vergleich
zur Erektion? Wünscht er sich und erhält er sexuelle Stimulation durch die Partnerin? Gibt es sexuelle
Phantasien und können diese ohne Schuldgefühle eingesetzt werden? Hat der Patient im Zusammensein mit
seiner Partnerin überhaupt einen Monitor für seine Gefühle und Empfindungen oder ist er vollständig auf die
Befriedigung seiner Partnerin konzentriert? Hat er das Gefühl, dass seine Partnerin während eines länger
dauernden Koitus frustriert, gelangweilt, verärgert ist bzw. es nur seinetwillen „über sich ergehen lässt“? Gibt
es Befürchtungen im Zusammenhang mit dem Orgasmus/Samenerguss bzw. dem Kontrollverlust, die dem
Patienten bewusst sind? Ist die Partnerin koital orgasmusfähig und wenn ja, wie rasch? Ein weiterer Fokus
der Evaluation ist auf die Masturbation zu richten, bei der die meisten Patienten orgasmusfähig sind. An die
Klärung der unmittelbaren Ursachen schließt sich die Untersuchung tiefer liegender intrapsychischer und
paardynmischer Faktoren an. Meist ergeben sich aus der Sexualanamnese Hypothesen, die durch gezielte
Nachfragen überprüft werden sollten. Oftmals erschließen sich diese komplexeren, dem Patienten nicht
bewusst zugänglichen Vorgänge aber erst im Verlauf einer längeren therapeutischen Beziehung. Der Arzt
sollte daher weder vom Patienten noch von sich selbst eine kurzfristige Klärung erwarten.
Differentialdiagnostisch bereitet die männliche Orgasmushemmung keine besonderen Probleme. Zu achten
ist auf die Abgrenzung zur Erektionsstörung, da manche Patienten mit einer erektilen Dysfunktion, die ihre
Erektion während des Koitus verlieren und deshalb nicht zum Orgasmus kommen, mit der Hauptbeschwerde
eines fehlenden oder nicht erreichbaren sexuellen Höhepunkts Behandlung suchen. Wie bei allen
Funktionsstörungen ist auch bei den Orgasmushemmungen zu klären, ob die sexuelle Problematik Folge
einer psychiatrischen Erkrankung ist, wobei besonders an Depressionen, Angststörungen, aber auch an
Medikamenten- oder Drogen-induzierte Hemmungen des Orgasmus zu denken ist. Die Therapiestrategie bei
männlichen Orgasmushemmungen wird im Rahmen des sexualtherapeutischen Grundvorgehens meist von
zwei Prinzipien geleitet (Kaplan 1995):
Desensibilisierung in Richtung auf die Fähigkeit zum intravaginalen Orgasmus.
Maximierung der sexuellen Stimulation bei gleichzeitiger Ablenkung.
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Durch eine Maximierung der körperlichen Stimulation und unter Zuhilfenahme erotischer Phantasien soll
das Erregungsniveau erhöht und der Patient gleichzeitig von seinem Kontrollbedürfnis und der krampfhaften
Ausrichtung auf das Erreichen eines Orgasmus abgelenkt werden. Die Desensibilisierung in Richtung auf
eine koitale Orgasmusfähigkeit orientiert sich am klassischen verhaltenstherapeutischen Vorgehen, bei dem
in kleinen Schritten und durch aufeinander aufbauende Verhaltensanweisungen eine fortschreitende
Annäherung an das therapeutische Ziel versucht wird. Ausgangspunkt sind die Bedingungen, unter denen
dem Patienten ein Erreichen des Orgasmus möglich ist. Ist das beispielsweise nur in Abwesenheit der
Partnerin möglich, wird - nach Absprache mit beiden Partnern und nach genauer Erläuterung der
therapeutischen Zielrichtung – der Patient gebeten, sich selbst zu stimulieren, wenn die Partnerin in der Nähe
ist. Gelingt das, werden individuelle Zwischenschritte überlegt, bis ein Orgasmus im Beisein der Partnerin
und schließlich auch beim Koitus möglich ist. Wichtig ist, dass dem Patienten in der Therapie „die Erlaubnis“
gegeben wird, seine eigene sexuelle Erregung zu genießen und dafür mit seiner Partnerin zusammen die
optimalen Bedingungen zu schaffen. Dafür kann eine gezielte Übung sinnvoll sein, bei der der Mann
angewiesen wird, einmal ganz „egoistisch“ bei seiner Lust zu sein und die Partnerin nur dafür „einzusetzen“.
Dabei soll der Patient auch besonders auf „seine“ Orgasmustrigger achten, um diese später bewusst
einsetzen zu können. Nach Kaplan (1995) kann das sexualtherapeutische Vorgehen in vielen Fällen zu einer
deutlichen Verbesserung der Symptomatik führen, in einer Reihe von Fällen müssen aber intrapsychische
Grundkonflikte oder unbewusste Beziehungskonflikte klargestellt und aufgearbeitet werden, um die
orgasmushemmende Angstabwehr lockern zu können. Nach den Erfahrungen von Kaplan handelt es sich
meist um Ängste vor einer engen und intimen Bindung an eine Frau sowie (damit verknüpft) um Impulse von
Feindseligkeit und Wut gegen Frauen generell. Derartige Impulse sind jedoch hinter ausgeformten und
massiven Abwehrmechanismen (darunter die Orgasmushemmung selbst) verborgen und mit starken
Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen belegt. Jenseits aller Verhaltensanweisungen und
sexualtherapeutischer Techniken muß die Behandlung diese Formationen durch Konfrontation und Deutung
klären und dem Paar verstehbar machen, bevor das Symptom quasi nicht mehr „benötigt“ wird. Dafür sind
vertiefte psychotherapeutische Kompetenzen erforderlich. Aufbauend auf seinen oben beschriebenen
alternativen Erklärungsansätzen männlicher Orgasmushemmungen plädiert Apfelbaum (1989) für ein
modifiziertes Vorgehen bei männlichen Orgasmushemmungen, bei dem Patienten das Symptom von der
(üblicherweise so interpretierten) Unfähigkeit zu geben umgedeutet wird zu der tatsächlich bei den meisten
Patienten vorfindbaren Unfähigkeit zu nehmen, mit der damit verbundenen starken Gewissenhaftigkeit, dem
Perfektionismus und der übermäßigen Kontrolle. Die Interpretation, dass der Patient „zu sehr“ versuche, für
seine Partnerin zum Orgasmus zu kommen, führt zu einer Entlastung des Patienten und seiner Partnerin und
eröffnet so wichtige therapeutische Freiräume. Durch ein Erregungsmonitoring kann dem Paar dann
verdeutlicht werden, dass die subjektive Erregung des Patienten (trotz guter Erektionen) nicht ausreichend ist
und die Möglichkeiten zur Erhöhung der Stimulation besser und stimmiger in die Therapie integriert werden.
Die durch die Orgasmushemmung maskierte Erregungs- und Luststörung des Patienten darf nach dieser
Auffassung also nicht durch Therapietechniken „umgangen“, sondern muss sichtbar und verständlich
gemacht werden, um zu wirklichen therapeutischen Fortschritten zu kommen. Die folgende Fallvignette soll
Ursachen und Behandlungsansätze bei einem Patienten mit ausgeprägter Orgasmushemmung verdeutlichen
und überleiten zur Bedeutung dieser Problematik im Rahmen des unerfüllten Kinderwunsches.
Fallvignette 2:
Der 29jährige Handwerksmeister wird aus der urologischen Ambulanz überwiesen, in der eine andrologische
Basisdiagnostik ohne Befund geblieben war. Beklagt werden Erektionsprobleme bei den sexuellen Kontakten
mit seiner gleichaltrigen Ehefrau, mit der er seit einem Jahr verheiratet ist. Von dieser werden im
gemeinsamen Gespräch die sexuellen Probleme des Mannes bestätigt, zusätzlich wird aber ein intensiver,
bislang unerfüllter Kinderwunsch angegeben. Die Sexualanamnese weist ihn als „sexuellen Spätstarter“ aus.
Die Ehefrau ist die erste „richtige“ Sexualpartnerin, vorher hat es lediglich einige frustrierende Versuche als
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junger Mann gegeben, bei denen es aber immer zu massiven Ängsten mit Erektionsversagen gekommen
war. Der Pat. hat danach lange Jahre keine Partnerkontakte mehr angestrebt und sich schon auf ein Leben
als Single eingerichtet, bevor seine Frau, mit der er schon lange bekannt war, die Initiative ergriff. Sie
berichtet, dass er anfangs regelrecht Angst vor Berührungen hatte und besonders im Genitalbereich eine
schmerzhafte Überempfindlichkeit verspürte. Diese habe sich jetzt langsam verbessert. Sie stelle bei ihm
allerdings eine offenbar tief verwurzelte Abneigung gegen die weiblichen Geschlechtsteile fest, die er weder
manuell noch gar oral stimulieren könne. Zudem könne er nur Erektionen aufbauen, wenn die sexuellen
Kontakte nach einem bestimmten Ritual ablaufen, bei dem sie bestimmte Kleidungsstücke anziehen müsse,
die ihn sehr erregen, während ihr unbekleideter Körper für ihn anscheinend keinen Reiz darstelle. Er
bestätigt, dass seine sexuelle Erregung seit der Pubertät an bestimmte Reize gebunden ist, ohne die
Erektionen (die er bei der häufig praktizierten Masturbation mühelos bekommt) nicht möglich sind. Das
Bewusstsein um diese fetischistische Fixierung habe im übrigen entscheidenden Anteil daran, dass er sich in
seiner Sexualität als „abweichend“ und „krank“ erlebt habe und schon früh die Gewissheit verspürt habe,
dass es mit einer Frau „gar nicht gehen könne“. In der Therapie ist es durch die Mitarbeit der ihm sehr
zugewandten und kooperativen Partnerin möglich, seine Ängste und Versagensgefühle zu reduzieren, seine
Abneigung gegen die weiblichen Geschlechtsteile zu bearbeiten und die Fixierung an die Kleidungsstücke
abzubauen. Nach einiger Zeit und durch die vorübergehende Unterstützung durch Viagra sind Erektionen
und Geschlechtsverkehr möglich. Erst jetzt wird ein weiteres Hauptproblem von ihm deutlich: eine
ausgeprägte koitale Orgasmushemmung, die damit erklärt wird, dass es „peinlich“ sei, sich vor den Augen
der Partnerin fallen zu lassen bzw. einen Kontrollverlust zu erleben. Die Partnerin setzt ihn mit ihrem starken
Kinderwunsch gerade bei diesem Problem sehr unter Druck, während er schließlich einräumen kann, dass er
selbst ihren Kinderwunsch als überzogen und verfrüht betrachtet.
Orgasmushemmungen und unerfüllter Kinderwunsch in der sexualmedizinischen Praxis Abschließend
sollen an einem weiteren Fall aus dem klinischen Alltag der Sterilitäts- und Infertilitätsbehandlung die
praktischen Möglichkeiten des Umgangs mit diesem Problem aus sexualpsychologischer Sicht reflektiert
werden. Einer der Verfasser (A.H.) konnte seit 6 Jahren durch die Kooperation mit einer
reproduktionsmedizinischen Praxis umfangreiche Erfahrungen mit Patienten dieses Problemkreises
sammeln. Dabei ist es gut und hilfreich, eine umfassende Einsicht in sexualmedizinische Problematiken zu
haben, denn der klinische Alltag zeigt, dass ungewollte Kinderlosigkeit zu einem sexuellen
Rückzugsverhalten oder anderen Problemen führen kann, die das gesamte Spektrum sexueller Funktionsund dynamischer Störungen umfassen können und oftmals bereits vorher (zumindest in Vorläufern)
vorhanden waren. Dabei ist der Appetenzverlust und die häufig daraus resultierende Ersatzbefriedigung kein
Einzel- sondern eher der Regelfall. Leider werden diese Aspekte zu wenig berücksichtigt, was im besonderen
für die Problematik der männlichen Orgasmushemmung zutrifft. Gerade eine minutiöse Sexualanamnese und
Erfassung der aktuellen Symptomatik sind unverzichtbar, wie das Beispiel des folgenden Patienten zeigt, bei
dem zwar keine klassische Orgasmushemmung vorlag, wohl aber eine versteckte und zu diesem Kreis
gehörende Problematik. Der Patient ist 60 Jahre alt, vor 2 1/2 Jahren verwitwet, nach einem Jahr der Trauer
neu liiert, seit einem halben Jahr verheiratet mit einer 34jährigen Frau. Es bestehe Kinderwunsch seit Beginn
der Partnerschaft. Ob seines Alters habe er keine Zeit zu verlieren, er sei in exponierter Stellung einer
Krankenkasse tätig und wisse von daher um die Möglichkeiten der Behandlungen. Auch bei seiner Frau
seien die biologischen Voraussetzungen nicht optimal. Hier stehe auch eine Erstschwangerschaft zur
Debatte. Man habe sich aus diesen Gründen zur ICSI-Behandlung entschlossen, wobei sich das Problem
ergeben habe, dass die hormonellen Behandlungen bei der Frau gut angeschlagen hätten. Es sei auch zur
Punktion von Eizellen (jeweils 8 bzw. 9) gekommen. Er habe jedoch bei der Samenspende „versagt“ (Zitat
des Patienten). Der Leidensdruck des Patienten wird kongruent erlebt. Die Darstellungen wirken in keiner
Weise aufgesetzt. Das Verhältnis zwischen den Eheleuten macht einen ausgewogenen Eindruck: „Das Kind
wäre die Krone ihrer Zweisamkeit“ (Zitat des Patienten). Wenn es nicht zur Schwangerschaft käme, müsse
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man sich damit arrangieren, andererseits wolle man sich nicht den Vorwurf machen, eine Chance unversucht
gelassen zu haben. Und nach 3 fehlgeschlagenen ICSI-Behandlungen, bei denen es jeweils zum „Versagen
des Mannes“ gekommen sei, habe man sich nun entschlossen, eine Hodenbiopsie zum Zwecke des
Spermengewinnes machen zu lassen. Die Termine seien insoweit bereits gemacht. Allerdings auf Anraten
des Reproduktionsmediziners sollte hier noch psychologisch abgeklärt werden, inwieweit sich aus der
Hodenbiopsie weitere Probleme ergeben könnten. Aus der weiteren Exploration und Anamnese stellte sich
durchaus reger Geschlechtsverkehr dar, der mit einer intakten Beziehungs- und Tragfähigkeit zwischen den
Partnern sehr wohl nachvollziehbar dargestellt wurde und auch glaubhaft so erlebt zu sein scheint, so dass
das Versagen des Mannes kaum nachvollziehbar erscheint. Dennoch ergaben sich Fragen, die ein
erstaunliches Ergebnis zu Tage brachten, weswegen dieser Teil aus der Therapie wörtlich transkribiert wird:
TH: Haben Sie auch sonst schon einmal Schwierigkeiten gehabt, einen Orgasmus zu bekommen?
Pat: Nun beim Verkehr klappt es ‘mal besser und ‘mal schlechter. Es kommt durchaus vor, dass ich schon
vorzeitigen Samenerguss hatte oder das Schwänzchen nicht so wollte wie ich. Meine verstorbene Frau und
ich haben es – genau wie meine jetzige Frau – immer mit Humor betrachtet. Ich habe meine Frau auf andere
Weise befriedigt (lächelnd). Ich denke, Sie können sich denken, was ich meine.
TH: Könnten Sie es mir trotzdem bitte beschreiben.
Pat: Na, ich meine oral, mit den Fingern oder auch schon ‘mal mit so ‘nem Beate-Uhse-Stab.
TH: Haben Sie auch schon einmal Schwierigkeiten beim Onanieren gehabt?
Pat: Ich habe so ausreichenden Geschlechtsverkehr mein Leben lang gehabt, dass ich dafür kein Bedürfnis
verspürt habe. Aber vielleicht lag es ja diesmal daran, dass ich wusste, was alles daran hing. Mit der
Hormonverseuchung meiner Frau und so – und das schon zum 3.mal.
TH: Kann es sein, dass der Leistungsdruck das so aufgepuscht hat, dass Sie eigentlich gar keine Chance
mehr hatten?
Pat: Ja, das denke ich schon. Darum habe ich mich auch zur Biopsie entschlossen.
Der Patient wirkt hierbei soweit differenziert, und abgeklärt, dass die Versuchung bestand, es dabei zu
belassen. Verhaltenstherapeutisch stellte sich jedoch die Frage, ob man eventuell noch ein paar Tipps zum
erfolgreichen Onanieren geben könnte, so dass das Gespräch fortgesetzt wurde:
TH: Wie war das beim Onanieren?
Pat: Ganz normal.
TH: Was heißt „ganz normal“?
Pat: Na, wie man das eben so macht.
TH: Nämlich wie?
Pat: (Verlegenes Lächeln) Naja, eben so, also ganz normal.
TH: Ich möchte es mir bitte genauer vorstellen können, ich bitte Sie, es mir so genau wie möglich zu
beschreiben.
Pat: (Verlegenes Lächeln, die ersten Tränen) Das ist mir jetzt unangenehm, das ist sehr intim.
TH: Ich weiß, ich möchte Ihnen aber bei einem noch intimeren Problem behilflich sein.
Pat: Ich kann nicht.
TH: (Nach einer Pause) Ich beginne zu erzählen und Sie berichten, was Sie gemacht haben.
Pat: (Nickt schweigend)
TH: Sie haben die Tür zum Onanierraum der Praxis geöffnet, sind eingetreten, haben die Tür hinter sich
geschlossen, (Pat: nickt), haben sie abgeschlossen, (Pat: nickt), und dann
Pat: Ich habe meine Hose heruntergelassen.
TH: Sie haben die Hose geöffnet, den Gürtel
Pat: Ich trage Hosenträger.
TH: die Hosenträger heruntergelassen (Pat nickt) und dann
Pat: Ich habe meine Unterhose ausgezogen und mich mit diesem kleinen Behälter beschäftigt.
TH: mit der U-Box?
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Pat: (nickt) Das ist so ein enges Röhrchen, da habe ich schon Angst gehabt: wie kriege ich das
Schwänzchen da nur wieder ‘raus, wenn es dick ist?!
TH: Haben Sie versucht, den Penis in das Röhrchen zu stecken?
Pat: Ja, aber das ging nicht.
TH: Was haben Sie dann gemacht?
Pat: Naja, ganz normal.
TH: Bitte erklären Sie mir das genau.
Pat: Wie man das so macht.
TH: Nämlich wie?
Pat: Ich habe in der linken Hand das Röhrchen gehalten, in der rechten den Penis, die Augen zugemacht und
mir meine Frau versucht, nackt vorzustellen.
TH: Und dann?
Pat: Dann ist nichts passiert. Ich hab’ immer gedacht, die liegt da jetzt drüben – und alles wartet!
TH: Wie ging es mit dem Onanieren weiter?
Pat: Naja, so, wie beschrieben.
TH: D. h., Sie haben Ihren Penis in der Hand gehalten, das Röhrchen davor, die Augengeschlossen und auf
ein Steifwerden gewartet.
Pat: Ja, aber es hat nicht geklappt.
TH: Haben Sie Ihren Penis immer gleich fest gehalten? Oder geschüttelt? Gerieben?
Pat: (Erstauntes Aufschauen, verwunderter fragender Blick) Wie meinen Sie das?
Aus der weiteren Exploration wurde deutlich, dass der Patient in seinem ganzen Leben noch nie onaniert
hatte, auch nicht wusste, „wie es geht“. Als Pubertierender hatte er erste sexuelle Kontakte mit seiner
Freundin, die er später auch heiratete. Es sei nach den ersten körperlichen Begegnungen oft zum
„klassischen“ Geschlechtsverkehr gekommen. Er stamme aus einer sehr religiösen Familie. Es stand fest,
dass er dieses Mädchen heiraten werde, was dann auch eingetreten war. Aufklärung im eigentlichen Sinne
hat nie stattgefunden. Onanieren sei ihm als Sünde vermittelt worden, und daran hätte er sich auch immer
gehalten. Als seine Frau an Krebs erkrankte, hatte er so unter Stress gestanden, dass er keine sexuellen
Gelüste verspürt hätte. Auch im Trauerjahr habe er an andere Dinge gedacht. Sexualität sei erst wieder mit
seiner jetzigen Frau „aufgeflammt“. Nachdem dem Patienten eine Anleitung zur Masturbation gegeben
wurde, wurde besprochen, dass das gewonnene Ejakulat kryokonserviert werde, um ihm so am Tag der
Punktion den Leistungsdruck etwas zu nehmen. Es wurde weiter vereinbart, dass er dennoch eine
Zweitsamenspende am Tag der Punktion abgeben könne (jeweils in unserer Praxis) und dass erst nach
entsprechendem Erfolg die Anästhesie bei der Frau eingeleitet würde, was für den Patienten eine
unübersehbare Erleichterung bedeutete. Die sofort nach der Masturbationsanleitung durchgeführte
In-Vivo-Übung in ein einem speziell ausgestattetem Raum verlief so erfolgreich, dass nach wenigen Minuten
ein gebrauchsfähiges Ejakulat gewonnen wurde, das auch wirklich kryokonserviert werden konnte. Die
gleiche Übung am Tage der Punktion wiederholt, klappte ebenso problemlos. Die ICSI verlief ebenso
erfolgreich. Eine gesunde Tochter ist inzwischen vor mehr als 4 Jahren geboren worden. Dieser Fall ist hier
deswegen genauer beschrieben, weil er zwar exotisch klingen mag und als Spitze herausragt, aber durchaus
kein Einzelfall ist. Wir haben in unserer Sprechstunde etwa jeden 20. männlichen Patienten in dieser Hinsicht
zu unterstützen gehabt. Wir haben auch festgestellt, dass die beschriebene Strategie (therapeutisches
Gespräch, Masturbation ungestört in speziell ausgestattetem Raum in unserer Praxis, dann die Anästhesie
der Frau, bei räumlicher Trennung) sich auf die Ergebnisse in der reproduktionsmedizinischen Praxis
durchweg positiv ausgewirkt haben. Gerade bei den Patienten mit der Tendenz zu Orgasmushemmungen ist
in der Retrospektive des Therapeuten eigentlich immer auffällig, dass neben einem fokussierten
Kinderwunsch, der „entkrampft“ werden sollte, auch ein Hang zum Perfektionismus – meist bei beiden
Partnern – vorherrscht, so dass versuchsweise vereinbart wird, zunächst einmal den Kinderwunsch ganz
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nach hinten anzustellen, um so einen konstruktiven Weg zu bereiten. Paare, die hier bereits blockieren,
erscheinen aus gegenwärtiger Sicht eher ungünstiger im Hinblick auf eine erfolgreiche Therapie, als jene, die
sich diese Zeit lassen und sich darauf einlassen, mit dem Therapeuten erst einmal das Umfeld abzusuchen.
Hinweise zum weiteren Vorgehen in der Praxis findet der Leser in Beier et al. (2001). Insgesamt sollte hier
gezeigt werden, dass es sich bei den männlichen Orgasmushemmungen um bislang unzureichend erforschte
und in der klinischen Praxis ungenügend berücksichtigte Problembilder handelt. Da sie häufiger vorkommen
als gemeinhin angenommen sollte vor allem im Zusammenhang mit einem unerfüllten Kinderwunsch diesen
Störungen verstärkte Beachtung geschenkt werden.
Literatur:
Beier KM, Bosinski HAG, Hartmann U, Loewit K: Sexualmedizin. München: Urban & Fischer 2001.
Krause W, Weidner W (Hrsg.): Andrologie. Stuttgart: Enke, 3. Aufl. 1998. Langer D, Hartmann U:
Psychosomatik der Impotenz. Stuttgart: Enke 1992.
Verfasser:
Prof. Dr. Uwe Hartmann, Dipl.-Psych. Klinische Psychologie Abt. Klinische Psychiatrie und Psychotherapie
Medizinische Hochschule Hannover 30623 Hannover
Dr. Andreas Herter, Dipl.-Psych. Leiter der Initiative für ungewollte Kinderlosigkeit Psychotherapeut und
Supervisor für Verhaltenstherapie Pasemannweg 8 30659 Hannover
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