Jahrbuch 2013/2014 | Storchova, Zuzana; Hintringer, W olfgang | Aneuploidie - W enn Zellen ihr Gleichgew icht verlieren Aneuploidie - Wenn Zellen ihr Gleichgewicht verlieren Aneuploidy – cells out of their balance Storchova, Zuzana; Hintringer, W olfgang Max-Planck-Institut für Biochemie, Martinsried Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Wenn Chromosomen w ährend der Zellteilung fehlerhaft vererbt w erden, bringt das die Zellen aus dem Gleichgew icht. Die neuen Zellen sind aneuploid, sie beinhalten eine andere Anzahl an Chromosomen als üblich. Aneuploidie ist für die meisten Zellen schädlich und charakteristisch für pathologische Erscheinungen w ie etw a dem Dow n Syndrom oder Krebs. Forscher untersuchen derzeit, w arum Aneuploidie eigentlich so schädlich ist. Vermutlich spielt dabei ein Ungleichgew icht von Proteinen eine entscheidende Rolle. Dennoch bleiben w ichtige Fragen zur Aneuploidie w eiterhin unbeantw ortet. Summary W hen chromosomes mis-segregate during cell division, cells lose their balance. The resulting cells are aneuploid, they contain few er or more chromosomes than usual. Aneuploidy is generally harmful for the cell and characteristic for pathological conditions such as Dow n syndrome or cancer. Scientists are currently investigating w hy aneuploidy is so harmful. Presumably, an imbalance of proteins present in aneuploid cells plays an important role in the process. Nevertheless, many questions regarding the origin of aneuploidy and its consequences still remain unansw ered. Die Bedeutung des Gleichgewichts für die Gesundheit der Zelle Chromosomen sind die Träger der genetischen Information eines Organismus. Auf ihnen befinden sich die Baupläne für alle Proteine, zelluläre Bausteine, die benötigt w erden, um das Überleben und Vervielfältigen der Zelle sicherzustellen. Eukaryotische Zellen, w ie die des Menschen, sind meist diploid, das heißt, sie besitzen je zw ei Versionen eines jeden Chromosoms - beim Menschen sind es genau 23 Chromosomenpaare. Die Chromosomen w erden w ährend der Zellteilung w eitergegeben. Dazu w erden sie zuerst dupliziert und anschließend zu gleichen Teilen in die "Mutter" und die "Tochter"-Zelle w eitergegeben, sodass danach beide Zellen w ieder über einen kompletten Chromosomensatz verfügen. Um das Weiterleben der Zellen zu gew ährleisten, ist es besonders w ichtig, mögliche Fehler w ährend der Zellteilung zu vermeiden. Mehrere Jahrzehnte der Forschung haben unser Verständnis über diejenigen Prozesse, die die korrekte Aufteilung der Chromosomen in der Zellteilung gew ährleisten, maßgeblich © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/6 Jahrbuch 2013/2014 | Storchova, Zuzana; Hintringer, W olfgang | Aneuploidie - W enn Zellen ihr Gleichgew icht verlieren verbessert. Die Ergebnisse zeigen, w ie Zellen Fehler im Verlauf der Zellteilung erkennen und w ie sie diese korrigieren. Dennoch können gelegentlich Fehler auftreten, die dazu führen, dass sich nach der Zellteilung zu viele oder zu w enige Chromosomen in den Zellen befinden (Abb. 1). Zellen mit einer von der Norm abw eichenden Anzahl an Chromosomen bezeichnet man als aneuploid. A bb. 1: Fe hle r wä hre nd de r Mitose führe n zu Ve rä nde runge n in de r C hrom osom e na nza hl. A , Tre nnung de r C hrom osom e npa a re in e ine r sich te ile nde n Ze lle . Die C hrom osom e n we rde n zu gle iche n Ante ile n a uf zwe i Ze lle n ve rte ilt. B, Fe hle rha fte Tre nnung de r C hrom osom e npa a re . Mitunte r ble ibe n e inze lne C hrom osom e n (roter Pfeil) wä hre nd de r Aufte ilung hinte r de n übrige n C hrom osom e n zurück . Die s k a nn da zu führe n, da ss a m Ende de r Ze llte ilung e ine de r Tochte rze lle n e in C hrom osom zu we nig, wä hre nd die a nde re e in C hrom osom zuvie l be sitzt. C, Ka ryogra m m e ine r ge sunde n Fra u m it vollstä ndige m C hrom osom e nsa tz. Alle C hrom a tide n lie ge n in P a a re n vor. D, Ka ryogra m m e ine r a ne uploide n Ze lle m it pa rtie lle r Trisom ie de s C hrom osom s 1 und vollstä ndige n Trisom ie n de r C hrom osom e n 11 und 21. © Ma x -P la nck -Institut für Bioche m ie /Storchova , Hintringe r Aneuploidie ist die Ausnahme von der Regel - solche Anomalitäten treten in einem gesunden Organismus nur selten auf. Man findet sie allerdings gehäuft unter pathologischen Bedingungen. Die meisten Zellen mit abw eichender Chromosomenanzahl sterben rasch, insbesondere diejenigen, die Chromosomen verloren haben. Auch Zellen mit zusätzlichen Chromosomen überleben selten und w enn, dann meist nur mit schw eren Folgeschäden. Ein menschlicher aneuploider Fötus überlebt die Schw angerschaft meist nicht. Eine seltene Ausnahme davon stellen Patienten dar, die am Dow n Syndrom leiden und drei Kopien des Chromosoms 21 besitzen. Bei diesen Patienten führt das überschüssige Chromosom zu einer Vielzahl unterschiedlicher Beeinträchtigen, unter anderem zu schw eren Entw icklungsstörungen. Alle diese Fakten belegen deutlich, dass Aneuploidie beim Menschen genau w ie bei den meisten anderen eukaryotischen Lebensformen gar nicht oder kaum toleriert w ird. Jedoch stellt sich die Frage: W arum ist Aneuploidie eigentlich so schädlich? Wie kann Aneuploidie untersucht werden? © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/6 Jahrbuch 2013/2014 | Storchova, Zuzana; Hintringer, W olfgang | Aneuploidie - W enn Zellen ihr Gleichgew icht verlieren Das Hauptproblem bei der Erforschung von Aneuploidie liegt darin, dass natürlich vorkommende Aneuploidie oft mit chromosomaler Instabilität einhergeht. Hierbei handelt es sich um einen Defekt der Zelle, der dazu führt, dass die Chromosomen w ährend der Zellteilung ungleichmäßig verteilt w erden. Entsprechend ändert sich die Chromosomenanzahl in den Zellen bei fast jeder Zellteilung. Um spezifisch die Ausw irkungen der Aneuploidie zu untersuchen, manipulieren Forscher gesunde menschliche Zellen, indem sie ein zusätzliches Chromosom einbringen (Abb. 2). Dadurch erhalten sie aneuploide Zellen mit einer genau definierten Anzahl an Chromosomen und können diese direkt mit gesunden Zellen, also Zellen mit einem normalen Chromosomensatz, vergleichen. Es zeigte sich, dass die Anw esenheit eines zusätzlichen Chromosoms beispielsw eise ausreicht, um die Zellteilungsrate zu verringern. Daraus schließt man, dass Aneuploidie sow ohl unter natürlich vorkommenden Bedingungen als auch in den künstlich erschaffenen Zellen von Nachteil ist. A bb. 2: Stra te gie zur He rste llung a ne uploide r Ze lle n m it de finie rte n Ve rä nde runge n de r C hrom osom e na nza hl. A , C hrom osom e n e ine r norm a le n diploide n Ze lle . Alle C hrom osom e n sind bla u ge fä rbt. Zusä tzlich wurde n die C hrom osom e n 2 und 5 m it e ine m für die se C hrom osom e n spe zifische n Fa rbstoff m a rk ie rt. Zusä tzliche C hrom osom e n k önne n m it Hilfe von Ve sik e ln in die Em pfä nge rze lle e inge bra cht we rde n. B, Ze lle m it Trisom ie de s C hrom osom s Num m e r 5. De r e rfolgre iche C hrom osom e ntra nsfe r k a nn unte r de m Mik rosk op da nk se le k tive r Ma rk ie rung be oba chte t we rde n. Die se Tra nsfe rstra te gie k a nn für je de s be lie bige C hrom osom ve rwe nde t we rde n. Da durch we rde n Ze lle n m it unte rschie dliche n, a be r ge na u de finie rte n C hrom osom e nzusa m m e nse tzunge n e rze ugt. © Ma x -P la nck -Institut für Bioche m ie /Storchova , Hintringe r Die Rolle der Proteine: Zu viele oder zu wenige sind ungesund Man kann sich leicht vorstellen, dass der Verlust eines Chromosoms zu Problemen für die Zelle führen kann: Obw ohl Chromosomen in Paaren vorliegen, sind beide w ichtig für das Überleben. Denn die sich auf den Chromosomen befindenden Gene kodieren mRNAs, die w iederum die lebensw ichtigen Proteine kodieren. W enn beide Versionen eines Chromosomenpaars verloren gehen, können grundlegende biochemische Prozesse überhaupt nicht mehr erfolgreich ablaufen und die betroffenen Zellen sterben. Wenn nur eine Version des Chromosoms vorliegt, w ird nur die Hälfte der darauf kodierten Proteine produziert. In manchen Fällen reicht dies zw ar aus, um die benötigten Funktionen aufrechtzuerhalten, in zahlreichen Fällen führt dies jedoch auch zu Schäden. Zellen mit einem zusätzlichen Chromosom zeigen ebenfalls oft schw ere Schäden und sterben häufiger. Eine mögliche Erklärung dafür w äre, dass nicht nur zu w enige, sondern auch zu viele Proteine schädlich für die Zelle sind (Abb. 3). Um diese Annahme zu überprüfen, untersuchten Forscher, ob die Menge der mRNAs und der Proteine mit der Anzahl an zusätzlichen Chromosomen ansteigt. Genaue Messmethoden © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/6 Jahrbuch 2013/2014 | Storchova, Zuzana; Hintringer, W olfgang | Aneuploidie - W enn Zellen ihr Gleichgew icht verlieren unter Anw endung modernster Technik auf dem Gebiet der mRNA Analyse und der Massenspektrometrie zur Bestimmung der Proteinmengen zeigten, dass tatsächlich die Anw esenheit eines zusätzlichen Chromosoms zum Anstieg der darauf kodierten mRNA und den entsprechenden Proteinen führt. So erw ies sich, dass die Proteinproduktion in aneuploiden Zellen tatsächlich aus dem Gleichgew icht gebracht w ird [1]. A bb. 3: Ve rä nde runge n de r C hrom osom e na nza hl führe n zu Ve rä nde runge n de r P rote inm e nge - sche m a tische Da rste llung m ögliche r Konse que nze n in Ze lle n m it norm a le r und ve rä nde rte r C hrom osom e na nza hl. O be n: Eine norm a le , diploide C hrom osom e na nza hl sorgt für Gle ichge wicht in de r m R NA- und P rote inproduk tion. Da durch k önne n die P rote ine ihre Funk tion fe hle rfre i a usführe n. Fe hlt e in C hrom osom , we rde n we nige r P rote ine produzie rt (Mitte ). Unzure iche nde P rote inm e nge n k önne n da zu führe n, da ss die P rote ine ihre Aufga be n in de r Ze lle nicht m e hr vollstä ndig e rfülle n. Ein zusä tzliche s C hrom osom (unte n) be de ute t e ine e rhöhte P rote inm e nge . Die Funk tione n k önne n da nn zwa r a usge führt we rde n, je doch k önnte n die übe rschüssige n P rote ine zu a nde re n Na chte ile n führe n. Könnte die s für die Schä de n in a ne uploide n Ze lle n ve ra ntwortlich se in? © Ma x -P la nck -Institut für Bioche m ie /Storchova , Hintringe r Doch überraschenderw eise w aren nicht alle Proteine, die durch das zusätzliche Chromosom kodiert w urden, in erhöhter Anzahl in der Zelle vorhanden. Einige Proteine lagen tatsächlich in den gleichen Mengen w ie in den gesunden, diploiden Zellen vor. Die Forscher untersuchten daraufhin die Vorgänge, die für den Abbau überschüssiger Proteine in den Zellen verantw ortlich sind [2]. Für den Proteinabbau gibt es in der Zelle zw ei unterschiedliche Mechanismen. Entw eder w erden unbrauchbare Proteine für einen Abbau im sogenannten Proteasom mit einem kleinen Molekül namens Ubiquitin markiert oder die Proteine w erden zum Lysosom transportiert, einer Art zellulärer Magen, der ebenfalls überschüssige oder beschädigte Proteine und Zellbestandteile entfernt. Dieser Prozess des "Sich-selbst-Essens" der Zelle w ird auch als Autophagie bezeichnet. Bemerkensw erterw eise ist in aneuploiden Zellen der Pfad in den zellulären Magen besonders aktiv, w orauf eine stark erhöhte Lysosomenanzahl hinw eist. Er erfordert das Protein p62, um den Abbau bestimmer Proteine im Lysosom zu ermöglichen (Abb. 4). Zuviel Protein zu produzieren, um es nachfolgend gleich w ieder abzubauen, ist energetisch betrachtet nicht sinnvoll - es erfordert zusätzliche Energie, die die Zelle opfern muss. Dieser erhöhte Energieaufw and könnte zu den schädlichen Ausw irkungen der Aneuploidie auf menschliche Zellen beitragen. © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/6 Jahrbuch 2013/2014 | Storchova, Zuzana; Hintringer, W olfgang | Aneuploidie - W enn Zellen ihr Gleichgew icht verlieren A bb. 4: Ane uploide Ze lle n a k tivie re n Autopha gie . Mik rosk opische Ana lyse n ze ige n, da ss a ne uploide Ze lle n ve rm e hrt p62 P rote in a nhä ufe n, da s be nötigt wird, um übe rschüssige P rote ine a bzuba ue n. De r Unte rschie d zwische n a ne uploide n und diploide n Ze lle n wird noch de utliche r, we nn die Ze lle n m it Ba filom ycin A1 be ha nde lt we rde n (unte re Bildre ihe ). Ba filom ycin A1 block ie rt die Autopha gie und p62 wird da he r in de n be ha nde lte n Ze lle n in noch größe re r Me nge a k k um ulie rt. © Ma x -P la nck -Institut für Bioche m ie /Storchova , Hintringe r Aneuploidie tritt besonders häufig in Krebszellen auf, bemerkensw erterw eise besteht der Großteil eines Tumors aus aneuploiden Zellen. Anders als bei Dow n Syndrom oder den oben genannten künstlich hergestellten aneuploiden Zellen, bei denen nur ein Chromosom zusätzlich vorliegt, beinhalten Krebszellen meist eine ganze Bandbreite an chromosomalen Veränderungen: Chromosomen können mehrfach hinzugekommen oder verlorengegangen sein. Ebenso w urden Chromosomenarme vervielfältigt oder sind fälschlicherw eise mit anderen Chromosomen verbunden. Erstaunlicherw eise scheint es aber, dass diese Veränderungen die Zellteilungsraten der Krebszellen nicht verringern. Außerdem ist die Autophagie in Krebszellen besonders aktiv und aneuploide Krebszellen reagieren sensibel auf Stoffe, die die Autophagie inhibieren [3]. Ein genaueres Verständnis der Aneuploidie könnte demnach auch zur Entw icklung w irksamer Medikamente gegen Krebs beitragen. Ausblick Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass Aneuploidie negative Ausw irkungen auf Zellen hat, dennoch bleiben die genauen Ursachen dafür w eiterhin unklar. Die Verw endung von Zellen mit exakt definierten Änderungen in der Chromosomenanzahl scheint derzeit ein vielversprechender Weg zu sein, um die Konsequenzen der Aneuploidie zu untersuchen. In Zukunft w ird die Klärung dreier Fragen für die Forschung besonders w ichtig sein: W ie steuern aneuploide Zellen, w elche Proteine entfernt w erden sollen? W ie w ird die Autophagie in diesen Zellen aktiviert? Und zu guter Letzt: Welche adaptiven Veränderungen ermöglichen es Krebszellen, trotz massiver Aneuploidie so schnell zu w achsen? Literaturhinweise [1] Stingele, S.; Stoehr, G.; Peplowska, K.; Cox, J.; Mann, M.; Storchova, Z. Global analysis of genome, transcriptome and proteome reveals cellular response to aneuploidy Molecular Systems Biology 8: 608 (2012) [2] Stingele, S.; Stoehr, G.; Storchova, Z. Activation of autophagy in cells with abnormal karyotype Autophagy 9, 246-248 (2013) © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/6 Jahrbuch 2013/2014 | Storchova, Zuzana; Hintringer, W olfgang | Aneuploidie - W enn Zellen ihr Gleichgew icht verlieren [3] Donnelly, N.; Storchova, Z. Dynamic karyotype, dynamic proteome: Buffering the effects of aneuploidy Biochimica et Biophysica Acta 1843, 473-481 (2014) © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 6/6