MGFA Widerstand in Uniform Festung Wülzburg Kampf um Tsingtau

Werbung
Zeitschrift für historische Bildung
C 21234
ISSN 0940 – 4163
Heft 2/2004
Militärgeschichte
Militärgeschichte im Bild: Truppenfahnen für die Bundeswehr
Widerstand in Uniform
Festung Wülzburg
Kampf um Tsingtau 1914
Militärgeschichtliches Forschungsamt
MGFA
IMPRESSUM
Zeitschrift für historische Bildung
Herausgegeben
vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt
durch Kapitän z.S. Dr. Jörg Duppler und
Oberst i.G. Dr. Hans Ehlert (V.i.S.d.P.)
Produktionsredakteur der
aktuellen Ausgabe:
Major Heiner Bröckermann M.A.
Redaktion:
Major Heiner Bröckermann M.A. (hb)
Oberleutnant Agilolf Keßelring M.A. (aak)
Bildredaktion:
Dipl.-Phil. Marina Sandig
Redaktionsassistenz:
Richard Göbelt, Stud. Phil.
Lektorat:
Dr. Aleksandar-S. Vuletić
Layout/Grafik:
Maurice Woynoski
Karten:
Dipl.-Ing. Bernd Nogli
Anschrift der Redaktion:
Redaktion »Militärgeschichte«
Militärgeschichtliches Forschungsamt
Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam
Telefon: (03 31) 97 14 -569
Telefax: (03 31) 97 14 -507
Homepage: www. mgfa.de
Technische Herstellung:
MGFA, Schriftleitung
Editorial
W
as nützt uns die Tradition des 20. Juli
1944? Müssen wir sie heute noch pflegen, wo doch aktuelle Krisen unsere
Aufmerksamkeit in andere Regionen lenken?
Foto: MGFA, Modell und Foto der »Wolfsschanze« 1944
Militärgeschichte
Der erste Bundespräsident Theodor Heuss hatte
1954 anlässlich des 10. Jahrestages des Staatsstreichs von 1944 in seiner Rede »Dank und
Bekenntnis« mahnend festgestellt: »Das Vermächtnis ist noch in Wirksamkeit, die Verpflichtung noch nicht eingelöst.« Im
Fußball war man damals gerade Weltmeister geworden, im Bewältigen der
Vergangenheit tat man sich schwerer.
Die vielfältigen Lasten von Wiederaufbau, Vertreibung und Besatzung lenkten das Interesse der Bevölkerung lange Zeit verstärkt auf das eigene Schicksal und Leiden hin. Die Mehrheit der Gesellschaft hatte bekanntlich keinen
Widerstand geleistet. Und die Angst stand im Raum, durch die Pflege einer
Tradition des 20. Juli 1944 die Erinnerung an den »ehrenvoll kämpfenden Soldaten« abwertend in den Hintergrund zu rücken.
Bundespräsident Heuss schaffte die Gratwanderung und verband auch mit
Blick auf seine eigene Biografie die damals scheinbar unvereinbaren Seiten.
Die weitere Geschichte der Bundesrepublik bewies, dass man tatsächlich den
festen Willen hatte, aus der Vergangenheit zu lernen und deren Fehler in einer
modernen Demokratie nicht zu wiederholen.
Manuskripte für die Militärgeschichte werden
an diese Anschrift erbeten. Für unverlangt
eingesandte Manuskripte wird nicht gehaftet.
Durch Annahme eines Manuskriptes erwirkt
der Herausgeber auch das Recht zur Veröffentlichung, Übersetzung usw. Honorarabrechnung erfolgt jeweils nach Veröffentlichung. Die
Redaktion behält sich Kürzungen eingereichter Beiträge vor. Nachdrucke, auch auszugsweise, fotomechanische Wiedergabe und Übersetzung sind nur nach vorheriger schriftlicher
Zustimmung durch die Redaktion und mit Quellenangaben erlaubt. Dies gilt auch für die Aufnahme in elektronische Datenbanken und Vervielfältigungen auf CD-ROM. Die Redaktion hat
keinerlei Einfluss auf die Gestaltung und die
Inhalte derjenigen Seiten, auf die in dieser Zeitschrift durch Angabe eines Link verwiesen wird.
Deshalb übernimmt die Redaktion keine Verantwortung für die Inhalte aller durch Angabe
einer Linkadresse in dieser Zeitschrift genannten Seiten und deren Unterseiten. Dieses gilt
für alle ausgewählten und angebotenen Links
und für alle Seiteninhalte, zu denen Links oder
Banner führen.
Das Beispiel des Widerstandes vom 20. Juli 1944 hält für uns kein Patentrezept zur Bekämpfung von Terrorismus und gegen internationale Krisen parat.
Es bietet uns jedoch eine Orientierung, die in einem Feldlager in Afghanistan ebenso gültig ist wie in einer Kaserne in Deutschland. Denn unser soldatischer Gehorsam ist an das Recht, die Menschenwürde und das persönliche
Gewissen gebunden. Wer Freiheit verteidigt, muss auch in Freiheit dienen
können. Als Bürger und Soldat Zivilcourage zu zeigen, heißt schließlich, seine
eigene Meinung auch in Anbetracht persönlicher Nachteile zu vertreten und
damit die Konsequenzen seines Handelns zu tragen.
© 2004 für alle Beiträge beim
Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA)
Eine interessante Lektüre wünscht Ihnen
Insofern sind Stauffenberg, Tresckow und andere Widerstandskämpfer keine
fernen Helden, sondern Vorbilder für unser heutiges rechtsstaatliches Denken
und Handeln in Uniform, dem Vermächtnis des deutschen Widerstandes.
Ein Symbol dieser Rechtstaatlichkeit in den Streitkräften ist auch unsere Truppenfahne, die unsere aktuelle Zeitschrift als Titelbild und Schlussartikel quasi
einrahmt. Diese Ausgabe der Militärgeschichte zeigt Facetten des Widerstandes in Uniform an Personen wie Caesar von Hofacker und den Brüdern
von Boeselager auf. Der geplante Artikel zur Atombewaffnung ist zugunsten
eines Beitrages zur Festungsgeschichte entfallen und wird später nachgeholt.
Unsere Serie zum Ersten Weltkrieg setzen wir mit einem Artikel zum Kampf
um Tsingtau 1914 fort.
Sollten nicht in allen Fällen die Rechteinhaber ermittelt
worden sein, bitten wir ggf. um Mitteilung.
Druck:
SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden
ISSN 0940-4163
Heiner Bröckermann M.A.
Major
D i e
A u t o r e n
Inhalt
• Soldaten für den Staatsstreich
4
• Caesar von Hofacker und der
militärische Widerstand
8
Die Heeresgruppe Mitte und der 20. Juli 1944
Thomas Reuther M.A.,
geboren 1973 in Mannheim,
Oberleutnant und
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
am MGFA, Potsdam
• Die Festung Wülzburg
12
• Auf verlorenem Posten
Der Kampf um das deutsche Pachtgebiet
Kiautschou im Ersten Weltkrieg
Dr. Eberhard Birk,
geboren 1967 in Heilbronn,
Dozent für Militärgeschichte
an der Offizierschule der
Luftwaffe, Fürstenfeldbruck
Dr. Dorothee Reimann,
geboren 1947 in Jena,
Redakteurin bei MONUMENTE,
dem Förderermagazin der
Deutschen Stiftung
Denkmalschutz
Lars Nebelung M.A.,
geboren 1971 in Bonn-Bad
Godesberg, Archivreferendar
beim Landesarchiv Berlin
• Service
16
22
Das historische Stichwort:
Vor 60 Jahren: Die alliierte Invasion in der
Normandie am 6. Juni 1944
22
Medien online / digital
24
Lesetipp
26
Ausstellungen
28
Geschichte kompakt
30
• Militärgeschichte im Bild
Truppenfahnen für die Bundeswehr
Fahnenübergabe am
7. Januar 1965 an das
Wachbatallion durch
Bundespräsident
Heinrich Lübke.
Foto: bpa/Ludwig Wegmann
Weitere Mitarbeiter dieser Ausgabe: Oberstleutnant Dr. Gerhard P. Groß, MGFA; Oberst Dr. Winfried Heinemann, MGFA; Hauptmann
Clemens Heitmann M.A., MGFA; Oberstleutnant Dr. Burkhard Köster, BMVg Bonn; Fregattenkapitän Herbert Kraus M.A., MHM Dresden;
Dr. Andreas Kunz M.A., Bundesarchiv/Außenstelle Ludwigsburg; Dr. Gerhard Wiechmann, Oldenburg
31
Widerstand in Uniform
Soldaten
für den
Staatsstreich
Die Heeresgruppe Mitte
und der 20. Juli 1944
O
berst i.G. (im Generalstab)
Henning von Tresckow arbeitete im Spätsommer 1943 zusammen mit Oberstleutnant i.G. Claus
Schenk Graf von Stauffenberg und
Major i.G. Hans-Ulrich von Oertzen die
Pläne für den Sturz des NS-Regimes
aus. Zwei Phasen lassen sich unterscheiden: Zunächst sollte das Militär
zeitgleich mit der Verhaftung von Gestapobeamten und Parteifunktionären
die vollziehende Gewalt übernehmen.
Unabdingbare Voraussetzung und somit Auftakt der gesamten Erhebung
war die Tötung Hitlers durch ein Attentat. Zuverlässige Truppen mit gewachsenem Zusammenhalt, die unter der
Führung eingeweihter Offiziere eingesetzt werden konnten, gab es im Großraum Berlin nicht. Die Planung des
Staatsstreiches beruhte auf der möglichst lange aufrecht zu erhaltenden
Fiktion eines Putsches von SS und
Parteikreisen, den es niederzuschlagen
galt. In der zweiten Phase sollte eine
neue politische Führung die Regierungsgeschäfte übernehmen. Dabei
sollte Tresckow als neuer »Chef der
Deutschen Polizei« den Staatsstreich
mit vollenden und die neue Regierung
absichern. Abgesehen vom Scheitern
sahen die Verschwörer in einem Bürgerkrieg gegen regimetreue Truppen
oder im Zusammenbruch von Frontabschnitten im Osten die größten Gefahren des Unternehmens. Als designierter »Chef der deutschen Polizei« und
seit dem 1. Dezember als Generalstabschef der 2. Armee sah sich Tresckow
im Falle des Staatsstreiches mit beiden
Gefahren konfrontiert.
Die 2. Armee gehörte zur Heeresgruppe
Mitte, in deren Stab Tresckow bereits
4
1941 als 1. Generalstabsoffizier einen Verschwörerkreis um sich gebildet
hatte. Im Februar 1943
hatte er zudem die Organisation der Aufstellung des
»Reiterverbandes Boeselager«, dem späteren Kavallerieregiment Mitte unter
der Führung von Oberstleutnant Georg Freiherr
von Boeselager, übernommen. Die Schwadronen [Kompanien
der Kavallerie] dieser Neuaufstellung
waren einsatzerfahren, und ein kleiner
Teil des Offizierkorps wurde in die
Verschwörung eingeweiht. Aber noch
im selben Jahr verlor die Verschwörung innerhalb der Heeresgruppe Mitte
durch Personalveränderungen ihre
aktive Rolle im Widerstand. Im Stab
der 2. Armee hatte Tresckow geringere
Wirkungsmöglichkeiten für den Widerstand als im Stab der Heeresgruppe.
Als Vertrauter war dort anfangs nur
Oberleutnant der Reserve Fabian von
Schlabrendorff. Es gelang Tresckow
aber, dass die durch Kämpfe aufgeriebene Kavallerie bei der 2. Armee neu
und in größerem Umfang aufgestellt
wurde. Aus dem Kavallerieregiment
Mitte wurde so die 3. Kavalleriebrigade, die mit neuer Bewaffnung und
einer Stärke von 16 348 Mann zum
1. Juli 1944 ihre Einsatzbereitschaft
meldete. Tresckow holte außerdem
zwei enge Vertraute und Freunde zu
sich, Oertzen und Georg von Boeselager. Letzterer war verwundet worden
und befand sich ohne Kommando im
Armeestab. Es war beabsichtigt, ihn
später mit der Führung der 3. Kav.Brigade zu beauftragen.
Ab dem 22. Juni 1944 zerschlugen die
sowjetischen Streitkräfte drei der vier
Armeen der Heeresgruppe Mitte. Die
2. Armee war nicht angegriffen worden.
Sie musste eine neue Front aufbauen,
an der sie verlustreich nach Westen
gedrängt wurde. Die Armeeführung
befand sich dabei in einem sich zuspitzenden Gegensatz zur Heeresgruppenführung, die möglichst bald eine
Haltelinie gegen den weit überlegenen Angreifer erzwingen wollte. Der
Gestaltungsraum des Armeeoberkommandos wurde eingeengt. Dies war im
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
Juli 1944 der Handlungsrahmen des
zum Generalmajor beförderten Tresckow bei der 2. Armee, der seine
Maßnahmen im Sinne der Verschwörung grundsätzlich mit militärfachlichen Argumenten verschleiern musste.
Am 14. Juni hatte er Stauffenberg
seinen dringenden Rat zum Staatsstreich übermitteln lassen. Am 1. Juli
erhielt er eine Antwort des frisch beförderten Oberst i.G., die baldiges Handeln ankündigte. Unabhängig davon
entsandte Tresckow Georg von Boeselager nach Paris, um den Sturz des
NS-Regimes möglicherweise durch ein
Zusammenwirken mit den Westalliierten zu erreichen. Boeselager fand
jedoch am 7. Juli beim Oberbefehlshaber West, Generalfeldmarschall Günther von Kluge, keine Bereitschaft zum
Handeln und kehrte an die Ostfront
zurück. Am 8. Juli ließ Tresckow Oertzen von der Front holen. Mit einem
Flugzeug wurde er nach Warschau
geflogen, um von dort in einem Nachtzug nach Berlin zu fahren. Ab dem
folgenden Tag stand er der Verschwörung dort zur Verfügung. Tresckow
informierte zudem die Verschwörer
in seinem Umfeld über den bevorstehenden Staatsstreich, so zum Beispiel den Generalstabschef der südlich
benachbarten 4. Panzerarmee, Oberst
i.G. Georg Schulze-Büttger, am 10. Juli.
Ein Anruf aus Berlin am 12. Juli orientierte ihn über das unmittelbare Bevorstehen des Attentats. Zu dieser Zeit
teilte er auch Major Philipp Freiherr
von Boeselager bei einem Frontbesuch
mit: »Passen Sie auf sich auf! Wir brauchen Sie bald!« Dem Abteilungskommandeur in der 3. Kav.Brigade war klar,
was gemeint war, denn sein Bruder
Georg hatte ihn Wochen zuvor über
den beabsichtigen Einsatz von Fronteinheiten in Berlin informiert.
akg-images
akg-images
ullstein-bild
Der militärische Widerstand
W
ar es ein »Aufstand des Gewissens« oder ein Militärputsch?
Oberst i.G. Claus Graf von
Stauffenberg war einer der brillantesten Generalstabsoffiziere seiner Generation – können
es da nur ethisch-moralische Antriebe gewesen sein, die ihn dazu trieben, den Umsturz
des NS-Regimes zu planen?
Am Anfang des militärischen Widerstandes,
schon 1938, standen durchaus militärischfachliche Überlegungen. General Ludwig
Beck, der Chef des Generalstabs des Heeres,
lehnte Hitlers Kriegspolitik nicht etwa deshalb ab, weil ihm Krieg an sich zuwider war,
sondern weil nach seiner Lagebeurteilung ein
Krieg gegen die Tschechoslowakei ein Eingreifen Frankreichs und damit unausweichlich die deutsche Niederlage nach sich ziehen
musste. In diesen Zusammenhang gehören
seine Sätze: »Es stehen hier letzte Entscheidungen für den Bestand der Nation auf dem
Spiel; die Geschichte wird diese Führer mit
einer Blutschuld belasten, wenn sie nicht
nach ihrem fachlichen und staatspolitischen
Wissen und Gewissen handeln. Ihr soldatischer Gehorsam hat dort eine Grenze, wo
ihr Wissen, ihr Gewissen und ihre Verantwortung die Ausführung eines Befehls verbietet.« Als Hitler nicht einlenkte, zog Beck
die letzte ihm damals denkbar erscheinende
Konsequenz – er trat zurück.
Die Widerstandsgruppe an der Ostfront, die
sich im Kern bereits 1941 gebildet hatte,
bezog ihre Motivation vor allem aus den
vielen Verbrechen, deren Zeuge die Offiziere
geworden waren. Das zentrale Verbrechen
aber beging für sie Hitler an der Wehrmacht,
vor allem am Heer: Die dilettantische Kriegführung, etwa die unsinnige Aufsplitterung
der Angriffsrichtung 1941, oder, ebenfalls im
Winter 1941/42, der Transport der europäischen Juden in Ghettos im Bereich der Heeresgruppe Mitte statt der dringend benötigten Munition an die Front: das alles kostete
in den Augen dieser Offiziere unnötig deutsche Menschenleben. Dass Hitler verboten
hatte, jenen Russen entgegen zu kommen,
die in den Deutschen zunächst die Befreier
vom Bolschewismus gesehen hatte, trieb die
Menschen in den verwüsteten Landschaften
ohne Not den Partisanen in die Arme –
auch hierin sahen der Kopf der Verschwörer, Oberst i.G. Henning von Tresckow, und
andere ein Verbrechen. Der Feindlageoffizier
schrieb ins Kriegstagebuch: »Die Erschießungen werden als eine Verletzung der Ehre
5Henning von Tresckow
5Ludwig Beck
der Deutschen Armee, in Sonderheit des
Deutschen Offizierkorps betrachtet.« – verletzt war vor allem die »Ehre« !
Aber zunehmend wurde solchen traditionell,
auch streng religiös erzogenen Offizieren die
moralische Dimension ihres Tuns bewusst;
Hauptmann Axel von dem Bussche etwa
schloss sich der Opposition an, nachdem
er Zeuge eines Massakers in der Ukraine
geworden war. Generalmajor Helmuth Stieff
schrieb an seine Frau: »Wir alle haben so viel
Schuld auf uns geladen – denn wir sind ja
mitverantwortlich –, daß ich in diesem angehenden Strafgericht nur eine gerechte Sühne
für alle die Schandtaten sehe, die wir Deutschen in den letzten Jahren begangen bzw.
geduldet haben.«
Der Major i.G. Claus Graf von Stauffenberg
von der Organisationsabteilung des Oberkommandos des Heeres pflegte Vorträge über
die Kriegsspitzengliederung des Reiches mit
der Bemerkung einzuleiten: »die Kriegsspitzengliederung der deutschen Wehrmacht sei
noch blöder, als die befähigsten Generalstabsoffiziere sie erfinden könnten, wenn
sie den Auftrag bekämen, die unsinnigste
Kriegsspitzengliederung zu erfinden« . Hinter
dieser flapsigen Formulierung steckte durchaus Sprengstoff, ging es doch darum, dass
Hitler zugleich Staatsoberhaupt, Regierungschef, Oberbefehlshaber der Wehrmacht und
seit 1941 auch Oberbefehlshaber des Heeres
war, ohne vom Geschäft des militärischen
Führers Ahnung zu haben. Hitlers wahnwitzige, unverantwortliche Führung kritisierten
auch andere. Sarkastisch beginnt das letzte
Flugblatt der Münchener Studenten, die sich
unter dem Namen »Weiße Rose« zusammengefunden hatten: »Dreihundertdreißigtausend deutsche Männer hat die geniale
Strategie des Weltkriegsgefreiten sinn- und
verantwortungslos in Tod und Verderben gehetzt. Führer, wir danken dir!«
Und der Kopf des zivilen Widerstands, Carl
Goerdeler, hatte sich für seinen ersten Aufruf
5 Claus Schenk Graf von
Stauffenberg
– fast wortgleich – notiert: »Wer einen Stiefel
besohlen will, muß es gelernt haben. Wer ein
Millionenheer führen will, muß die Fähigkeit dazu auf den verschiedenen Stufenleitern harten militärischen Dienstes erlernt
und bewiesen haben. [...] Hunderttausende
braver Soldaten büßten für Vermessenheit
und Eitelkeit eines einzelnen mit Leben,
Gesundheit oder Verlust der Freiheit.«
Das Ziel militärischen Widerstandes war es,
diesem sinnlosen Morden ein Ende zu setzen
und den aussichtslos gewordenen Krieg zu
beenden. Je mehr aber mit dem Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte und dem
bevorstehenden Ausbruch der Westalliierten
aus den Brückenköpfen in der Normandie
die vollständige deutsche Niederlage unausweichlich schien, je geringer der Spielraum
für eine Umsturzregierung wurde, um so
deutlicher trat die grundsätzlich moralische
Begründung für den Aufstand hervor. In
diese Zeit fällt der Satz Tresckows: »Das
Attentat auf Hitler muß erfolgen, coûte que
coûte [koste es, was es wolle]. Sollte es nicht
gelingen, so muß trotzdem der Staatsstreich
versucht werden. Denn es kommt nicht
mehr auf den praktischen Zweck an, sondern
darauf, daß die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte
unter Einsatz des Lebens den entscheidenden
Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben
gleichgültig.« Und, ebenfalls kurz vor dem
20. Juli, Berthold Graf von Stauffenberg, der
Bruder des Attentäters: »Das Furchtbarste
ist, zu wissen, daß es nicht gelingen kann
und daß man es dennoch für unser Land
und unsere Kinder tun muß.«
Der 20. Juli 1944 ist zunächst der Aufstand
des militärischen Sachverstandes gegen den
verbrecherischen Wahnsinn des nationalsozialistischen Krieges. Dahinter aber wird jener
Aufstand des Gewissens sichtbar, der auch
dann noch zum Handeln anspornte, als konkrete Vorteile kaum mehr zu erwarten waren.
Winfried Heinemann
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
5
Widerstand in Uniform
Im südlichen Teil der Armeefront, im
Raum Pinsk, war im Rahmen des
XX. Armeekorps die 3. Kav.Brigade
eingesetzt. Es war Tresckow darauf
angekommen, eine Abgabe oder einen
frühzeitigen Einsatz gegen die vorrückenden sowjetischen Verbände zu verhindern. Dies war gelungen. Dem XX.
Armeekorps hatte er bereits am 6. Juli
den beabsichtigten Einsatz mitgeteilt:
»Die Kav.Brigade soll vorn verzögern
und dann durch die Front nach hinten
durchgezogen werden.« Dort sollte sie,
ihrer Eignung als bewegliche Reserve
entsprechend, der Armee unmittelbar
unterstellt werden, was aber zugleich
auch die Verfügbarkeit für den Staatsstreich sicherstellte. Am 11. Juli begannen im Raum Pinsk die sowjetischen
Angriffe. Die Ausweichbewegung des
XX. Armeekorps wurde hauptsächlich
durch die 3. Kav.Brigade gedeckt.
Georg von Boeselager erkundete am
15. Juli an der mittleren Armeefront
den voraussichtlichen Einsatzraum der
Kav.Brigade. Wie sich sein Bruder erinnert, eröffnete Georg ihm kurz zuvor
den Auftrag für den Staatsstreich. Da
das Attentat unmittelbar bevorstünde,
sollte Philipp aus dem Reiterregiment
31 sechs Schwadronen mit etwa 1200
Mann zu einem Sammelpunkt führen.
Die Soldaten sollten von dort nach
gelungenem Attentat per Lkw zu einem
Feldflugplatz transportiert und anschließend nach Berlin geflogen werden. Am Flughafen Berlin-Tempelhof
wollte Georg mit anderen eingeflogenen Einheiten warten, um die Führung
zu übernehmen. Philipp von Boeselager erhielt Karten von Berlin, auf denen
6
die ersten Ziele eingezeichnet waren.
Falls er seinen Bruder mit dessen
Truppen in Berlin nicht antraf, sollte er
selbständig mit seinen Einheiten zwei
Standorte des Reichssicherheitshauptamtes und das Propagandaministerium besetzen und Propagandaminister Joseph Goebbels sowie Pressechef
Otto Dietrich verhaften. Weitere Informationen, etwa über eine Verbindungsaufnahme mit den Berliner Verschwörern, erhielt er nicht. Am 15. Juli zog
er bereits eine Schwadron aus dem
unmittelbaren Kampfgeschehen.
Es lässt sich nicht mehr feststellen, ob
Stauffenberg über all dies nähere Informationen durch Oertzen erhalten hatte
oder ob er diesen Einsatz in Berlin einplante. Es ist allerdings anzunehmen,
dass Tresckow als neuer »Chef der
Deutschen Polizei« mit dem Einsatz
dieser Soldaten in der Reichshauptstadt gerechnet hat. Eine offene Frage
ist dabei, wie er sich die Bereitstellung
des Transportraums vorstellte. Im Normalfall wäre die Anforderung der
Transportmaschinen durch die Heeresgruppe Mitte erfolgt. Eine Aussage
darüber, ob dieser Hintergrund bei
Tresckows Absicht, am 13. und am
20. Juli zur Heeresgruppe zu fliegen,
eine Rolle spielte, ist nicht möglich.
Transportkapazität war jedenfalls vorhanden. Allein die Luftflotte 6 verfügte am 20. Juli über 77 einsatzbereite
Transportmaschinen. Unter den gegebenen Umständen war mit einem
Lufttransport frühestens in der zweiten Phase des Staatsstreiches zu rechnen – also etwa 24 Stunden nach dem
Attentat.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
Am 17. Juli ließ Oertzen in Berlin Tresckow informieren, dass nach zwei Versuchen (11. und 15. Juli) ein dritter
Anlauf zum Attentat vorgesehen sei;
einen Tag nannte er nicht. Am selben
Tage besprach Tresckow mit dem
XX. Armeekorps die Aufnahme der
Kav.Brigade für den 18. Juli in der »C«Linie, in der zeitlich begrenzt verteidigt werden sollte. Der Armeeoberbefehlshaber Generaloberst Walter Weiß
hatte dem Korps bereits am Tage zuvor
die Abgabe der Brigade angekündigt.
Deren Aufnahme und Marsch zum Verfügungsraum südlich Kobryn erfolgten planmäßig am 18. Juli. Trotz erster
Anzeichen von Erschöpfung begann
noch am selben Tage die Vorbereitung
für den Folgeauftrag. Ein gegnerischer
Durchbruch bot Tresckow die Gelegenheit, der 3. Kav.Brigade einen Auftrag
westlich von Brest-Litovsk zu erteilen,
der gleichermaßen für die Gefechtsführung und die Verschwörung zweckmäßig erschien. Die Brigade wurde dem
Festungskommandanten von Brest unterstellt, obwohl der künftige Einsatzraum mit Masse außerhalb des Festungsbereiches lag. Diese Unterstellung
bedeutete, dass die Kav.Brigade mit
Eintreffen im Einsatzraum am 20. Juli
auf sich allein gestellt war, ohne jedoch im Sinne einer Armeereserve für
die übergeordnete Führung verfügbar
zu sein. Je nach Gesprächspartner in
seinem militärischen Umfeld stellte
Tresckow den Sachverhalt unterschiedlich dar. Damit wurden die Rahmenbedingungen für die Verfügbarkeit von
Teilen der 3. Kav.Brigade für den Staatsstreich geschaffen.
Philipp von Boeselager verfügte weder
über das eben skizzierte Lagebild, noch
kannte er die von Tresckow und vermutlich auch seinem Bruder geschaffenen Rahmenbedingungen. Aus seiner
Sicht fand die beabsichtigte Marschbewegung der sechs Schwadronen – weg
von der Front nach Westen – außerhalb
der militärischen Normalität als Teil
des Staatsstreiches statt. Er weihte nur
die Rittmeister d.R. Wilhelm König,
Chef der 1. Schwadron, und Jan Hidding, Chef der 3. Schwadron, ein.
Beide erhielten jeweils eine Berlin-Karte
mit Einzeichnungen. Die Schwadronen
waren unter dem Gesichtspunkt der
Befähigung der Chefs und des Zusammenhaltes ausgewählt. Bei der Ausgabe des Marschbefehls begründete
Philipp von Boeselager die Bewegung
mit einem dringenden Einsatz gegen
Partisanen. Das Marschziel befand sich
auf halber Strecke zwischen den Feldflughäfen Biała-Podlaska und Terespol.
Am 19. Juli rückten die sechs Schwadronen nach Westen ab. Die übrigen Teile
der Brigade marschierten am selben
Tage ebenfalls westlich zum Einsatzraum am Bug.
Bei der Marschüberwachung der in
zwei Marschgruppen weit auseinandergezogenen sechs Schwadronen war
Philipp von Boeselager auf sich allein
gestellt. Bei Brest, das als Festung unbedingt zu verteidigen war, rechnete er
mit dem Versuch, die Schwadronen zur
Verteidigung festzuhalten. Aufgrund
der genannten Rahmenbedingungen
gab es aber keinen derartigen Versuch,
und Georg von Boeselager kontrollierte
dort die Marschbewegung. Hinter Brest
ritt Hidding auf eine von Partisanen
verlegte Mine und war auf der Stelle
tot. Philipp von Boeselager konnte dem
befreundeten Rittmeister noch rechtzeitig vor Entdeckung die Karte von
Berlin abnehmen. Die ersten Schwadronen erreichten am 20. Juli früh den
Verfügungsraum. Die restlichen Teile
trafen dort im Verlauf des Tages ein. In
Vorbereitung auf den Lkw-Transport
wurden die Pferde gesammelt, und die
Soldaten erwarteten mit persönlicher
Ausrüstung und Handwaffen das Weitere.
Am 19. Juli hatte Tresckow Major i.G.
Joachim Kuhn, 1. Generalstabsoffizier
einer Division an der schwer angeschlagenen nördlichen Armeefront, als
Letzten der Verschwörer informiert. An
der Front sollte auf das Ergebnis des
Attentats und auf neue Befehle der Verschwörer aus Berlin gewartet werden.
Am 19. Juli hatte er auch für den folgenden Tag einen Flug zur Heeresgruppe geplant. Der Gegensatz zur
Heeresgruppenführung über die Art
der Gefechtsführung hatte sich weiter
zugespitzt. Nach einem Gespräch mit
seinem Oberbefehlshaber wurde das
Vorhaben jedoch bis auf weiteres
zurückgestellt. Tresckow schickte am
20. Juli Schlabrendorff als Überbringer
einer militärischen Lagebeurteilung zur
Heeresgruppenführung. Jener tauschte
sich mit den dortigen Verschwörern
aus, ohne etwas von der Bereitschaft
der sechs Schwadronen zu wissen.
Am Nachmittag des 20. Juli befand
sich Schlabrendorff wieder bei der
2. Armee, als Oberst i.G. Albrecht Ritter
Mertz von Quirnheim aus Berlin bei
den Verschwörern im Stab der Heeresgruppe anrief. Er teilte mit, das Attentat auf Hitler sei geglückt und Schlabrendorff solle unverzüglich nach Berlin
kommen – wohl in seiner Eigenschaft
als Ordonnanzoffizier Tresckows. Bald
danach, um 17:42 Uhr, gab der Rundfunk bekannt, auf Hitler sei ein Attentat verübt worden, er sei aber nur
leicht verletzt. Georg von Boeselager
schickte daraufhin einen Melder zu
seinem Bruder. Die Worte »Alles in die
alten Löcher« galten als Nachricht für
»Attentat nicht ausgeführt«. Alle Maßnahmen im Verfügungsraum wurden
rückgängig gemacht, und Philipp von
Boeselager führte die sechs Schwadronen in der Nacht zum Einsatzraum der
3. Kav.Brigade.
Georg und Philipp von Boeselager
rechneten nach dem 20. Juli mit ihrer
Verhaftung, blieben jedoch unentdeckt.
Am 21. Juli wurde die 3. Kav.Brigade
wieder dem XX. Armeekorps unterstellt. Am Vormittag desselben Tages
fuhr Tresckow abermals zu Kuhn an
die Front. In Erwartung seiner Verhaftung durch die Gestapo wollte er sich
dort selbst das Leben nehmen, und
Kuhn sollte den Tod als Folge eines Partisanenüberfalls darstellen. Tresckow
tötete sich mit einer Gewehrgranate,
genau wie Oertzen einen Tag später
in Berlin. Georg von Boeselager fiel
am 27. August 1944 als Kommandeur
der 3. Kav.Brigade an der Ostfront.
Sein Bruder Philipp war bei Kriegsende Kommandeur des Reiterregimentes 31. Er lebt heute im Ahrtal.
n Thomas Reuther
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
7
»Ein gefährlicher Staatsfeind,
aber ein ganzer Kerl«
Caesar von Hofacker
und der militärische
Widerstand
E
inige Offiziere des Attentats auf
Hitler vom 20. Juli 1944, wie
Oberst Claus Graf von Stauffenberg, Generaloberst Ludwig Beck oder
Generalmajor Henning von Tresckow,
sind jedem militärgeschichtlich Interessierten wohl bekannt. Selbst die
Mehrzahl der zivilen Widerstandskreise in allen ihren Facetten (Weiße
Rose, Kreisauer Kreis, Goerdeler-Kreis
u.a.) können auf einen großen Grad
an Bekanntheit verweisen, was Personen, Motive und Taten anbelangt.
Merkwürdig ausgegrenzt – da nahezu
unbekannt – bleibt Caesar von Hofacker, der im Zusammenhang mit
Stauffenberg genannt und als dessen
»Mann in Paris« tituliert wird.
So wie der NS-Staat und der Zweite
Weltkrieg ohne die Wehrmacht undenkbar sind, so war umgekehrt kein
Erfolg der Gesamtheit des deutschen
Widerstandes gegen Hitler und das NSRegime ohne militärischen Widerstand
möglich. Auch wenn die Widerstandskämpfer aufgrund ihrer unterschiedlichen gesellschaftlichen und beruflichen Hintergründe verschiedene Ziele
verfolgten, stimmten die militärischen
und zivilen Verschwörer des 20. Juli
1944 im Sturz der verbrecherischen
Hitler-Diktatur, der Beendigung des
Krieges, der Ermöglichung von Politik
und der »Wiederherstellung der Majestät des Rechts« überein.
Durch die Erfahrungen des »RöhmPutsches« (1934), den damit zusammenhängenden Aufstieg der SS, vor
allem aber durch die Vereidigung der
Soldaten der Wehrmacht auf Adolf
8
Gedenkstätte Deutscher Widerstand
Widerstand in Uniform
Hitler war es unbedingt
notwendig geworden, den
Diktator zu beseitigen, um
das NS-Regime insgesamt
zu stürzen. Der Erfolg des
zum Staatsstreich umgearbeiteten »Walküre«-Plans,
der die Übernahme der Staatsgewalt
durch die Wehrmacht vorsah, hing
entscheidend hiervon ab. Andererseits
erschien den Befürwortern des militärischen Widerstandes, der sich bereits
lange vor dem 20. Juli 1944 formiert
hatte, ein Attentat auf Hitler ohne einen
darauf folgenden Staatsstreich sowohl
sinnlos als auch unmoralisch.
Wenn auch in diesem Jahr zum 60. Jahrestag des Attentats auf Hitler wieder
die herausragenden zivilen und militärischen Repräsentanten des Widerstandes geehrt werden, gilt es den Blick
auch auf die oft zu Unrecht in die
zweite Reihe geratenen Personen des
Widerstandes zu richten.
Caesar von Hofacker wurde am 11.
März 1896 in Ludwigsburg geboren.
Sein Vater war der württembergische
Generalleutnant Eberhard von Hofacker – Rommel hatte unter ihm im
Ersten Weltkrieg gedient. Caesar von
Hofackers Mutter war eine geborene
Gräfin von Üxküll-Gyllenband – eine
Urenkelin des preußischen Heeresreformers August Neidhardt von Gneisenau; genauso wie ihre Schwester, die
1904 den württembergischen Hofmarschall Graf von Stauffenberg heiratete:
Caesar von Hofacker und Claus Graf
von Stauffenberg waren Cousins und
Nachkommen Gneisenaus.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
5
Caesar von Hofacker
(1896–1944)
Nach Abitur und Studienaufenthalten
in Frankreich und Großbritannien meldete sich Hofacker im August 1914 freiwillig zum Militärdienst beim württembergischen Ulanen-Regiment Nr. 20, in
dem sein Vater Kommandeur gewesen
war. Seine ersten Feldverwendungen
waren die Durchführung von Spähtrupps und Kampfeinsätzen an der
Westfront, wo sein Bruder Alfred am
10. März 1917 vor Verdun fiel. Nach
der Beförderung zum Reserveoffizier
im März 1916 und Dienst in einem
Divisionsstab meldete sich Caesar von
Hofacker aufgrund eingeschränkter Verwendungs- und Einsatzmöglichkeiten
der Kavallerie zur Fliegertruppe, wo
er ab Mai 1916 als Flugzeugführer u.a.
auch in Mazedonien in Aufklärungsund Jagdstaffeln eingesetzt war. Nach
kurzer Verwendung beim Ulanen-Regiment König Wilhelm I. (2. Württembergisches) Nr. 20 erfolgte noch im
Juni 1918 eine Versetzung zur Fliegertruppe der deutschen Militärmission
im Osmanischen Reich. Ende Oktober
1918 geriet Hofacker in Bulgarien in
französische Gefangenschaft, aus der
er erst am 14. März 1920 entlassen
wurde, als in Berlin der Kapp-Lüttwitz-Putsch an den Grundfesten der
3
Attentat auf Hitler
Me 110 über Paris,
akg-images
Foto, um 1940.
neuen, von großen Teilen der Reichswehr abgelehnten Republik rüttelte.
Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft nahm Hofacker sein
juristisches und staatswissenschaftliches Studium auf, das ihn an die
Universitäten Tübingen und Göttingen
führte; 1924 beendete er sein Studium
mit der Promotion. Sein Einstieg in
das Berufsleben nahm allerdings eine
andere Richtung. Nach Tätigkeiten bei
der Handelskammer Reutlingen und
beim Verein Deutscher Seidenwebereien in Krefeld wechselte er 1927
zu den Vereinigten Stahlwerken, dem
größten Montan-Konzern Europas in
der Zwischenkriegszeit, in dem er
bis zum Prokuristen aufstieg. Dennoch war Hofacker kein »WirtschaftsMann«, im Gegenteil: Er interessierte
sich mehr für das öffentliche Leben
und die Außenpolitik. Mehrmals unternahm er den Versuch, in diplomatische Dienste zu gelangen, was jedoch
abgelehnt wurde. Seine Bindung an die
Streitkräfte verlor er hingegen nicht.
Von 1934 bis 1938 absolvierte Hofacker mehrere Wehrübungen bei Fliegerschulen und Aufklärungstruppen
und wurde 1937 zum Hauptmann der
Reserve befördert.
Bei Kriegsbeginn 1939 wurde Hofacker
deshalb als erfahrener Flieger reaktiviert und im Polen-Feldzug als FliegerVerbindungsoffizier eingesetzt. Während des »Sitzkrieges« im Westen gegen
Frankreich, dem »drôle de guerre«, von
Oktober 1939 bis Mitte Februar 1940,
war Hofacker Staffelkapitän, und nach
dem Erfolg des »Blitzkrieges« im Juni
1940 kam er zum Stab des Militärbefehlshabers von Frankreich, der in Paris
im Hotel Majestic residierte. Aufgrund
seiner leitenden Funktion in den Ver-
einigten Stahlwerken lag es nahe, ihn
mit der Führung des Referates »Eisenschaffende Industrie und Gießereien«
zu betrauen.
Während seiner Studentenzeit hatte
Hofacker zu den Gründern des Deutschen Hochschulrings gehört, unter
dessen Dach sich verschiedene nationalkonservative und völkische Organisationen verbanden. In seinen ersten
Reden als Studentenführer konzentrierte er sich auf die damals aktuellen
innenpolitischen Themenfelder. Wie so
viele kam er mit der Niederlage des
Kaiserreiches und deren politischen
Folgen nicht zurecht. Auch antisemitische Reflexe waren in einer Rede Ende
April 1921 an der österreichischen Universität Graz unüberhörbar.
Hofacker war in jenen Jahren ein bekennender Gegner der Weimarer Republik.
Sie verstand er als eine feindliche Herrschaftsform, deren angeblich formaldemokratische Verfassung er genauso
ablehnte wie eine Anlehnung an die
Bewegungen und Parteien der politischen Rechten.
Von seinen innenpolitischen Ordnungsvorstellungen der frühen 20er Jahre
verabschiedete er sich nach und nach.
Außenpolitische Erwägungen drängten die emotionsgeladenen Reden der
Studentenzeit ins Abseits. Bereits im
Juni 1929 plädierte Hofacker in einem
Brief an einen Pariser Professor für
einen Nationalismus der »weisen Mäßigung« – dabei lag er auf der Linie
des deutschen Außenministers Gustav
Stresemann (1923–1929).
Hofackers Motivation zum Widerstand
entwickelte sich wie bei vielen Vertretern der Militäropposition sukzessive von einer die Realitäten der Besatzung in Kauf nehmenden Mitarbeit,
wenn auch aus einer anderen Perspektive, über die systemimmanenten
Handlungsoptionen der Verweigerung
und Umsteuerung hin zu einem systemsprengenden Bestreben. Seine Auf-
Viele Angehörige des nationalkonservativen Widerstands konnten sich nur schwer
dazu durchringen, dass der Umsturz,
eben die Wiedererrichtung der »Majestäts
des Rechts«, mit einem »Mord« beginnen sollte. Lange favorisierte etwa Carl
Goerdeler, der zivile Kopf des Widerstands, die Verhaftung und Aburteilung
Hitlers statt eines Attentats.
4
Claus Schenk
akg-images
Messerschmitt
Graf von
Stauffenberg,
Porträt um
1930
Bei realistischer Betrachtung, und Stauffenberg, Tresckow und Hofacker waren
Realisten, musste aber deutlich werden,
dass ein Vorgehen des Heeres gegen einen
lebenden Hitler nicht zu erwarten war.
Zu sehr würden sich Offiziere und Soldaten durch den auf die Person des »Führers« geleisteten Eid gebunden fühlen.
Zu lange waren vor allem die jüngeren
Offiziere im Führerkult erzogen worden.
Ein militärischer Umsturz setzte zwingend das erfolgreiche Attentat voraus –
das Attentat wiederum ließ sich nur aus
dieser Notwendigkeit heraus moralisch
rechtfertigen. Wie sehr Stauffenberg und
seine Mitverschworenen mit dieser Einschätzung Recht hatten, erwies sich dann
am 20. Juli 1944 selbst – Hitler war
nicht tot, und das Heer folgte ihm weiterhin. Nichts sagt es drastischer als
Kluges zitierter Ausspruch: »Ja, wenn das
Schwein tot wäre. Aber so...«
Winfried Heinemann
gabe in der Militärverwaltung war es,
die französische industrielle Leistungskraft der deutschen Kriegführung nutzbar zu machen. Aufgrund eigener Sympathien für Frankreich wollte er diesem
Land durchaus eigene Entwicklungsmöglichkeiten einräumen, um es unter
Umständen als möglichen Verbündeten zu gewinnen. Mit diesem Ansatz
geriet er von Beginn an in Widerspruch
zur offiziellen Politik. Dieser Gegensatz
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
9
Gedenkstätte Deutscher Widerstand
ullstein-bild
Widerstand in Uniform
3
General der
Infanterie,
Carl-Heinrich von
Stülpnagel
(1886–1944),
Militärbefehlshaber
in Frankreich
1942–1944
3
Die NS-Justiz praktizierte mit den Verschwörern
des 20. Juli 1944 die so genannte Sippenhaft. Ausgehend von biologistischen Rechtstheorien sollte die
ganze »Sippe« für die Taten des Familienoberhauptes
büßen (Hausarrest, Gefängnis, auch Androhung der
Todesstrafe). Das Foto zeigt die Familie Hofacker
in glücklicheren Tagen.
verschärfte sich, als Rüstungsminister
Speer Hofacker im September 1942 die
»Außenstelle zentrale Planung« übertrug. Nach einem Jahr ließ Hofacker
sich von diesem Dienstposten entbinden und war fortan Stabsoffizier z.b.V.
im Stab des Militärbefehlshabers in
Frankreich, General der Infanterie CarlHeinrich von Stülpnagel. Es besteht
kein Zweifel daran, dass Hofacker
bei Stülpnagel und dessen Stab jenen
Rückhalt besaß, der ihm die Handlungsspielräume öffnete, die er für sein
Vorhaben, die Vorbereitung und Durchführung des Staatsstreichs in Paris, benötigte.
Spätestens 1941 hatte sich ihm der
verbrecherische Charakter des NSRegimes offenbart. Aus den Briefen an
seine Frau Ilse-Lotte wird deutlich, dass
er in der Lage war, französische Geiseln
vor der Hinrichtung zu retten, und dass
er die nationalsozialistische Judenverfolgung anprangerte: »Morgen werden
wieder 100 Geiseln erschossen und
1500 Juden nach Osten deportiert [...]
Es ist zum Verzweifeln.« In Hofacker
reifte der Entschluss zum aktiven
Widerstand, der auch vor dem Tyrannenmord nicht zurückschreckte. Ohne
dass ein exakter Zeitpunkt dafür fixiert
werden kann, wird man seinen Entschluss zu »Systemwechsel und Führerbeseitigung« spätestens für Ende
1942 mit der heraufziehenden Niederlage von Stalingrad datieren dürfen.
10
Mit seinem Cousin Stauffenberg verband Hofacker trotz gelegentlicher
Meinungsverschiedenheiten »das Gefühl einer gemeinsamen Verschworenheit«, wie er später bei seinen GestapoVerhören bekannte. Deshalb lag die
Gestapo mit ihrem Bericht vom 28. Juli
1944 vollkommen richtig, in dem Hofacker als »Kopf der am 20. Juli 1944
in Paris abgelaufenen Putschmaßnahmen« bezeichnet wurde.
Wenige Tage vor dem Attentat schrieb
Hofacker in einem Brief an seine Frau:
»Heute wäre jedes unnütze Verstreichenlassen auch nur weniger Stunden
eine Sünde wider den Heiligen Geist.«
Das ständige Warten auf den »psychologisch richtigen Zeitpunkt« – ein
Argument, mit dem sich viele Offiziere ihrer Verantwortung entzogen –
konnte nicht immer beliebig weitergehen. Nach der Alarmierung am Nachmittag gegen 14 Uhr gelang es den
Widerständlern in Paris bis zum späten
Abend des 20. Juli ungefähr 1200 Mann
von SS und SD, insbesondere deren
Führungspersonal, festzusetzen. Kurz
bevor die Stoßtrupps gegen 23 Uhr
zur Verhaftung schritten, obwohl die
Nachricht vom Überleben Hitlers
schon längst bekannt geworden war,
traf Stülpnagel mit Generalfeldmarschall von Kluge, dem Oberbefehlshaber West, zusammen. Stülpnagel
erteilte gleich zu Beginn der Unterredung Hofacker das Wort, der den
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
Generalfeldmarschall eindringlich beschwor, die begonnene Aktion selbst
nach dem Scheitern des Attentats weiterlaufen zu lassen. Kluge indes ordnete die Aufhebung der Verhaftungsbefehle an und enthob Stülpnagel
seines Kommandos. Als Hofacker und
Stülpnagel zuletzt noch einmal auf
Kluge einredeten, meinte dieser resigniert: »Ja, wenn das Schwein tot wäre!«
Stülpnagel hob die Verhaftung jedoch
noch nicht auf. Mit Hofacker und
Oberst Finckh besprach er die Möglichkeit einer raschen Exekution der
Gefangenen SS- und SD-Führer um
Kluge in den Umsturzplan hineinzuzwingen. Die Erschießungen waren
bereits im Hof der École Militaire
vorbereitet, Juristen hatten die Anklagepunkte formuliert : Judendeportationen, Sprengung der Pariser Synagogen und die Aneignung »reichsfeindlichen Vermögens«. Letztlich verwarf
Stülpnagel jedoch diese Option und
ordnete die Freilassung der Gefangenen an.
In der Nacht zum 21. Juli wurde zwischen Wehrmacht, SS und SD eine
»Sprachregelung« ausgearbeitet, die
auf die Anregung des Generals Günther Blumentritt, Chef des Stabes
beim Oberbefehlshaber West, zurückging und von »Irrtum« und »Alarmübung« sprach. Insbesondere SS und
SD hatten ein Interesse daran, ihre
Hofackers Bekenntnis zum Widerstand
und zur Beteiligung am Staatsstreich
führte dazu, dass ihn Hermann Göring
am 11. August 1944 aus der Luftwaffe
ausstieß. Der Ausschluss aus den
Streitkräften, und damit die Verhinderung der Anwendung der Militärgerichtsbarkeit, war die Voraussetzung
für die Überführung der Verschwörer
an den sogenannten Volksgerichtshof
Freislers.
Am 29. August 1944 war der Tag der
Verhandlung gegen Hofacker. Er blieb
trotz aller Einschüchterungsversuche
standhaft und hielt Freisler entgegen,
dass er es bedauere, nicht selbst als
Attentäter bestimmt gewesen zu sein;
ein Scheitern wäre dann aus seiner Sicht
unmöglich gewesen. Auf die regelmäßigen Unterbrechungen Freislers hin
fiel Hofacker diesem ins Wort und rief
ihm entgegen: »Sie schweigen jetzt,
Herr Freisler! Denn heute geht es um
meinen Kopf. In einem Jahr geht es um
Ihren Kopf!«
Am Tag darauf wurde Hofacker zusammen mit General Carl-Heinrich von
Stülpnagel, Oberst Hans-Otfried von
Linstow und Oberst Eberhard Finckh
zum Tode verurteilt. Im Gegensatz zu
so vielen am Umsturzversuch Beteiligten wurde Hofacker jedoch nicht
sofort exekutiert. Dies deutet darauf
hin, dass er, wie aus den geheimen
Akten des Reichsicherheitshauptamtes
hervorgeht, als die »treibende Kraft
des Widerstandes« in Paris eingestuft
wurde. Von ihm erhoffte man sich die
Preisgabe weiterer Zusammenhänge
und die Nennung von weiteren Mitwissern und Beteiligten. Am 20. Dezember
1944 wurde Caesar von Hofacker in
der Haftanstalt Berlin-Plötzensee hingerichtet. Seine Familie befand sich zu
diesem Zeitpunkt schon längst in »Sippenhaft«.
Nach Ansicht des mitverschworenen
Chef des Stabes der Heeresgruppe B,
Generalleutnant Dr. Hans Speidel, war
Hofacker »ein ausgesprochen politischer Kopf, eine schwungvolle Persönlichkeit von starker Überzeugungskraft.« Speidel war es auch, der die
letzten Informationen über Hofacker
vor dessen Hinrichtung zu überliefern
wusste: »In ungebeugter Haltung begegnete er mir das letzte Mal am 19.
Dezember auf dem Flur des GestapoKellers der Prinz-Albrecht-Straße in
Berlin. Nur mit den Augen konnten
wir uns grüßen.« Für die durchweg
positive Würdigung Hofackers durch
Speidel mag auch ausschlaggebend
gewesen sein, dass er, bei einer mehrstündigen Gegenüberstellung mit dem
bereits zum Tode verurteilten Hofacker, von jenem – wahrheitswidrig –
als von den Staatsstreichplänen nicht
informiert bezeichnet wurde. Dies rettete Speidel ohne Frage das Leben.
Volksgerichtshof
Aber auch nach Aussagen anderer
wurde Hofacker ähnlich wie sein
Cousin Stauffenberg als eine faszinierende Persönlichkeit beschrieben, die
durch mitreißende Energie, schwungvollen Elan und feste Überzeugungen
Personen für sich sowie für den Widerstand gewinnen konnte. Dabei war
seine Biographie, wie bei fast allen
Beteiligten aus dem militärischen und
konservativen Widerstand, keineswegs
ohne Brüche. Hofacker hatte wie viele
militärische Widerstandskämpfer nach
und nach den Weg von nationalkonservativen, zu Teilen gar völkischen
Denkmustern zu einem politisch und
ethisch-moralisch begründeten Widerstand gefunden. Eine Würdigung, die
er selbst aus den Worten seines ersten
Vernehmenden, des Höheren SS- und
Polizeiführers in Paris, SS-Obergruppenführer Oberg, erfuhr, charakterisiert
ihn – berücksichtigt man die Perspektive – wohl am besten: »Ein gefährlicher
Staatsfeind, aber ein ganzer Kerl.«
Seit August 1942 war Roland Freisler
(1893–1945) Präsident des Volksgerichtshofes (Foto). Ihm übertrug Adolf
Hitler die Aufgabe, beschleunigte Prozesse gegen die Verschwörer durchzuführen. So sollten schnell abschreckende
Todesurteile erreicht werden. Bei den
Verfahren handelte es sich nicht um
ordentliche Gerichtsverfahren, da die
Urteile zumeist schon vor der Verhandlung feststanden, und den Angeklagten
keine Wahlverteidiger zur Seite standen
– die Pflichtverteidiger arbeiteten der
Anklage eindeutig zu. Freislers Mordprozesse dienten von Anfang an der Vernichtung der Gegner Hitlers und nicht
der Rechtsfindung. Unter Ausschluss der
Öffentlichkeit begannen am 7. August
1944 die Prozesse. Der große Saal des
Kammergerichtsgebäudes in Berlin war
mit einer Hitlerbüste und Hakenkreuzfahnen dekoriert. Bei den »Vernehmungen« wurden die Angeklagten dauernd
unterbrochen und ihre Ausführungen
mit Hohn und beißendem Spott kommentiert. Freisler beschimpfte die Angeklagten in herabwürdigender Form. Die
meisten Angeklagten trugen Spuren von
Haft und Misshandlungen, hinzu kamen
seelische Erniedrigungen. Die Hinrichtungen erfolgten auf Verfügung Hitlers
durch Erhängen statt durch Erschießen.
Hierdurch sollte den »Verurteilten« noch
im Moment des Todes die Ehre genommen werden. Im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli
wurden fast 200 Menschen ermordet.
aak
Als eigenständiger politischer Kopf,
wenn auch in früherer Zeit zeitbedingten Strömungen huldigend, erkannte
Hofacker schließlich die politische und
moralische Verpflichtung zu einem aktiven Widerstand der Tat; er wurde
zum Widerstandskämpfer aus Passion
und opferte dafür sein Leben.
n Eberhard Birk
Nachdem Hitler das Attentat Stauffenbergs vom 20. Juli 1944 nur leicht
verletzt überlebt hatte, wollte er mit
seinen Gegnern sogleich »kurzen Prozess« machen – sie sollten »sofort hängen,
ohne jedes Erbarmen«. Der Prozess sollte
den Offizieren daher nicht durch Militärgerichte, sondern durch den so genannten Volksgerichtshof gemacht werden.
Dieser war von den nationalsozialistischen Machthabern eingerichtet worden
und ab 1934 für Fälle des Hoch- und
Landesverrates zuständig. Nach dem 20.
Juli 1944 wurde die Zuständigkeit dahingehend ausgedehnt, dass der Volksgerichtshof nun für alle politischen Straftaten, auch von Soldaten, zuständig war.
akg-images
Überrumpelung durch Wehrmachtseinheiten zu überspielen. So scheiterte
aufgrund der Ereignisse im Reich und
des gescheiterten Attentats auf Hitler
der Umsturzversuch, obwohl in Paris
die Operation »Walküre« erfolgreich
durchgeführt worden war. Hofacker
wurde am 25. Juli in Paris verhaftet
– Flucht oder Untertauchen schloss er
aus, zu offensichtlich war seine Beteiligung am Widerstand.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
11
Festung Wülzburg
Die Festung
Wülzburg
»Arme Zitadellen – sie haben lange
ausgedient! Arme Besitzer von
Zitadellen – was machen sie mit ihrer
kostspieligen Bausubstanz? Glückliche
Freunde von Zitadellen, die Freude haben
an dieser wertvollen Bausubstanz.«
Prof. Dr.-Ing. Bernd Hillemeier,
Technische Universität Berlin, 2001
S
eit es Menschen gibt, schützen
sie sich und die ihren vor Naturgewalten und vor Eindringlingen, die ihr Leben oder ihr Hab und Gut
bedrohen. Höhlen, Zäune, Palisaden,
aber auch Pfahlbauten boten ersten
wirksamen Schutz. Später sicherte man
Siedlungen und Herrschaftsbereiche
durch Wälle und Wassergräben, errichtete Mauern, erfand Tore und Zugbrücken. Befestigte Städte und Burgen
waren gleichzeitig Wehr- und Wohnbauten. Doch diese Anstrengungen
genügten nur bis zur Einführung des
Pulvergeschützes. Strategie und Taktik,
Angriff und Verteidigung mussten danach völlig neu definiert werden.
Deshalb begann man ab etwa 1500
mit dem Bau von Festungen. Grundrisse und Profile solcher Wehrbauten
waren so angelegt, dass die Kugeln der
Angreifer ihnen nichts anhaben und
die Verteidiger mit ihren Geschützen
und Handfeuerwaffen den Außenbereich vollständig abdecken konnten,
also keine toten Winkel entstanden.
Festungen dienten vorwiegend der
militärischen Nutzung. In ihnen waren
Kasernen, Arsenale, Speicher für
Lebensmittel und andere für die Versorgung der Besatzung notwendige Einrichtungen untergebracht. Aber auch
Städte wurden in dieser Zeit häufig den
neuen Anforderungen entsprechend zu
12
Festungen ausgebaut – anschauliche
Beispiele sind Nürnberg und Dömitz
an der Elbe.
Die Bauweise der Festungen blieb bis
ins 19. Jahrhundert hinein ähnlich,
doch zog jede Innovation auf der Seite
der Waffen eine Antwort im Festungsbau nach sich. Wobei sich das Gewicht
der Kräfte meist zugunsten der Feuerwaffen verschob, da der Wehrbau in
seiner Schwerfälligkeit mit den artilleristischen und pyrotechnischen Neuerungen nicht Schritt halten konnte. Ab
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
wurden zunehmend die neuen Materialien Beton und Stahlbeton eingesetzt.
Westwall und Atlantikwall stehen im
20. Jahrhundert für die letzten Versuche, sich mit Hilfe von Festungsbauten
zu verteidigen.
Ein Beispiel einer frühen neuzeitlichen Festung aus der Zeit um 1600 ist
die Wülzburg, die sich über dem mittelfränkischen Weißenburg erhebt. Sie
zeichnet sich auch durch eine weitere
Besonderheit aus, ist sie doch eine der
ganz wenigen Bauten aus der Frühen
Neuzeit, die auf einem Berg neu errichtet wurden. Denn die meisten der bis
ins frühe 19. Jahrhundert entstandenen
Festungen haben als Kern eine mittelalterliche Burg. Mit vorgelagerten
Bastionen und Wallmauern verstärkt,
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
5
Blick von der Bastion Jungfrau zum Renaissance-Portal der Festung. Der Graben um die
Wallmauer wurde tief in den Felsen getrieben und hat eine Breite bis 29 Meter.
wurden sie der modernen Kriegstechnik angepasst – wie die Festung Rosenberg über Kronach und die Festung
Königstein bei Dresden. Anderenorts
bildeten die Zitadellen den Kern einer
befestigten Stadt – wie in Jülich – und
dienten so auch als Rückzugsort für die
Bevölkerung. Die Zitadelle in BerlinSpandau dagegen ist von Wasser umgeben wie ehedem die Wasserburgen.
Die Wülzburg, auf der mit 630 Metern
höchsten Erhebung der südlichen Frankenalb gelegen, sollte – ähnlich wie
früher eine Burg – das Territorium des
Landesherrn sichern und seine Macht
repräsentieren. Markgraf Georg Friedrich d. Ä. von Brandenburg-Ansbach
und Kulmbach ließ die gewaltige Zitadelle 1588–1610 errichten. Zuvor hatte
es hier oben lediglich ein Benediktinerkloster gegeben, das nach der Säkularisation 1537 in markgräflichen Besitz
übergegangen war.
In der Freien Reichsstadt Weißenburg
am Fuße der Wülzburg herrschte
wegen des Festungsbaus große Aufregung. Bei einem Probeschießen 1595
gingen die Geschosse in den Obstgär-
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
Bastion Jungfrau
Bastion Krebs
Bastion Rossmühle
Bastion Kaltes Eck
Bastion Hauptwache
Schloss
Burgschänke
Ludwigszisterne
Kurtine
Flanke
Kavalier
Scharwachthäuschen
großer Waffenplatz
(unvollendeter Ravelin)
14 Gedeckter Weg um
den Graben
15 Glacis
Im Luftbild ist die riesige Anlage mit einem Umfang von 970 Metern gut zu erkennen: Von den von
Lynar geplanten fünf Schlossflügeln entlang der Mauern wurden nur der Westflügel und ein Teil des
Südflügels realisiert. Beim Südflügel befindet sich auch der Eingang zur Festung. Die drei Bastionen
im Vordergrund – Jungfrau, Krebs und Rossmühle genannt (v. l. n. r.) – sind stärker ausgebaut als
das »Kalte Eck« und die »Hauptwache« oberhalb des Steilhanges.
ten vor der Stadt nieder, eines schlug
sogar mitten in der Stadt neben einer
tanzenden Hochzeitsgesellschaft ein.
Auch die anderen Nachbarn Weißenburgs fühlten sich durch den Festungsbau bedroht: das katholische Fürstbistum Eichstätt ebenso wie die protestantische Grafschaft Pappenheim und
der Deutsche Orden mit Sitz in Ellingen. Doch die Klagen beim Reichskammergericht blieben erfolglos.
Baumeister der Festung war zunächst
Blasius Berwart d. Ä., der auch für den
Wiederaufbau der Kulmbacher Plassenburg und den Umbau des Ansbacher Schlosses verantwortlich war.
Nach dessen Tod 1589 entwickelte der
im kurbrandenburgischen Dienst stehende italienische Militärbaumeister
Rochus Guerini Graf zu Lynar das
Festungskonzept weiter. Lynar war
gleichzeitig mit der Vollendung der
Spandauer Zitadelle und anderer brandenburgischer Bauten beschäftigt. Zu
seiner Zeit erhielten die Bastionen aufwändige Flankenstellungen auf drei
Ebenen, die für je zwei Kanonen angelegt waren. Nach seinem Tod 1596
Kavaliere, Kurtinen und Kasematten
Mit den neuzeitlichen Festungen fanden einige Fremdwörter italienischen oder französischen Ursprungs Eingang in die deutsche Sprache. Mit Zitadelle – von italienisch »cittadella« für »kleine Stadt« oder »Stadtfestung« – bezeichnet man den
inneren Teil einer Befestigungsanlage, der oft ein regelmäßiges Vieleck bildet. Am
gebräuchlichsten sind Quadrate wie bei den Zitadellen Jülich und Berlin-Spandau
sowie Fünfecke, wie wir sie bei der Zitadelle Dömitz und auch bei der Wülzburg
nahezu perfekt vorfinden.
Die Ecken einer Zitadelle werden von Bastionen gebildet, die meist eigene Namen
haben und die als kräftige Bollwerke zur Aufstellung der Geschütze dienen. Zum
Feind hin bilden die Bastionen Stirnseiten oder Facen, zu den eigenen Mauern
hin Flanken. Auch in den Flanken wurden Geschütze postiert, welche die Mauern
sichern, d.h. flankieren sollten. Die Gewölbe in den Bastionen – Kasematten
genannt – dienten als Schutzräume, aber auch als Lagerplatz für Geschütze und
Munition. Häufig wurden hier auch Gefangene untergebracht.
Auf den Bastionsplattformen wurden so genannte Kavaliere errichtet – erhöhte
Plätze, die eine weite Schussbahn ermöglichen. Scharwachthäuschen auf der vorderen Spitze der Bastionen dienten zur Beobachtung des Geländes.
Die Mauern zwischen den Bastionen werden Kurtinen – aus dem Französischen für
»Zwischenfassaden« – oder Wallmauern genannt. Nach außen hin ist die Zitadelle
meist von einem Graben umgeben. Diesem vorgelagert sind dreieckige Vorschanzen
oder Ravelins, die zum Schutz der Mauern oder auch als Waffenplatz dienten. Jenseits des Grabens verläuft ein sogenannter Gedeckter Weg, vor feindlichem Feuer
geschützt durch einen Wall, der durch die Aufschüttung des umgebenden Geländes
entstanden ist. Dieses eingeebnete und von Wald befreite Gelände (genannt Glacis)
sollte dem Feind die Annäherung erschweren und freies Schussfeld bieten.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
13
Festung Wülzburg
5
Blick auf das Schloss im Innenhof der Festung.
übernahm der Sohn des ersten Baumeisters, Blasius Berwart d. J., die
Bauleitung. Auf den Rat des böhmischen Zeug- und Baumeisters Albrecht
von Haberland hin wurden die bereits
fertig gestellten Bastionen verändert,
um sie gegen Angriffe widerstandsfähiger zu machen. Die Flankenstellungen wurden zugemauert, die Kavaliere
mit Erdaufschüttungen verdeckt. Auch
das von Lynar vorgesehene Schlosskonzept wurde nicht verwirklicht –
man errichtete nur zwei der geplanten
fünf Flügel entlang der Wallmauern.
Davor die klassizistische Ludwigszisterne mit
einem Fassungsvermögen von 1,35 Millionen
Litern.
5
Das Renaissance-Portal der Festung. Über dem
Eingang links das Wappen des Bauherrn,
Markgraf Georg Friedrich, rechts das seiner
zweiten Gemahlin, Sophie von BraunschweigLüneburg.
Um 1600 entsprach die Festung mit
den fünf mächtigen Bastionen den
modernsten Anforderungen der Verteidigungskunst, doch hat sie ihren
Zweck eigentlich niemals erfüllt. Und
man kann allein wegen ihrer Lage auf
einem an sich schwer einnehmbarem
Berg annehmen, dass der Markgraf mit
dem Bau der Zitadelle eher auf Repräsentation aus war als auf notwendige
Verteidigung. Die weitere Geschichte
der Wülzburg mag dieser Vermutung
recht geben.
Ohne Kampf wurde sie 1631 im Dreißigjährigen Krieg an den kaiserlichen
Feldherrn Tzerklas Graf von Tilly übergeben, nachdem dieser gedroht hatte,
anderenfalls die Residenzstadt Ansbach niederzubrennen. Danach versuchten die Schweden zwar die Festung einzunehmen, vermieden aber
eine Belagerung, da sie zu viel an Truppen und Material gebunden hätte.
Zu den einzigen Zerstörungen in der
Festung kam es 1634 – aber nicht durch
Beschuss, sondern durch ein Feuer
in der Küche, das beide Schlossflügel
in Schutt und Asche legte. Doch die
Kasematten in den Bastionen und die
Räume in den Kurtinen boten weiterhin ausreichend Raum für die Besatzung der Festung.
Nach dem Dreißigjährigen Krieg wieder in ansbachischem Besitz, verlor die
Festung an militärischer Bedeutung.
Sie diente fortan als Kaserne und als
Staatsgefängnis.
5
Die eingebrochenen Gewölbe der Bastion
Krebs. Im Vordergrund eine Kanonenrampe,
auf der die Geschütze auf die Plattform
geschoben wurden. Die Tritte dienten dazu,
dass die Soldaten nicht wegrutschten.
14
Mit dem Ende der ansbachischen Linie
der Hohenzollern 1791 fiel die Markgrafschaft an den preußischen König.
1806 zwang Napoleon Preußen, alle
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
fränkischen Territorien an das Königreich Bayern abzutreten. Da die bayerische Landesfestung Ingolstadt in Trümmern lag, kam der Wülzburg nun größere Bedeutung zu. Das führte dazu,
dass die Festung nicht nur renoviert
wurde, sondern dass man sich vor
allem der Wasserversorgung annahm.
Denn der Tiefe Brunnen im Westflügel
des Schlosses – mit einst etwa 150
Metern einer der tiefsten Mitteleuropas
– reichte für eine größere Besatzung
nicht aus. Deshalb errichtete man ein
ganzes System von unterirdischen Wasserspeichern, Zisternen, deren größte –
die Ludwigszisterne – sich noch heute
im Innenhof befindet.
Doch die Kriegstechnik schritt im 19.
Jahrhundert derart voran, dass viele
Festungen bedeutungslos wurden. Die
Entwicklung der Artillerie hatte zur
Folge, dass die kleinen Festungen
nicht mehr gegen Beschuss zu sichern
waren. Im Krieg um die Vorherrschaft
in Deutschland von 1866 wurde die
Wülzburg letztmalig in den Kriegszustand versetzt. Ironie der Geschichte:
Die Verschlüsse der gerade gelieferten
hochmodernen Geschütze trafen erst
nach Friedensschluss ein. 1867 wurde
die Wülzburg dann endgültig aufgegeben. Ihre Zukunft war ungewiss; wie
viele andere Festungen drohte sie als
Steinbruch zu enden.
Doch ausgerechnet die Stadt Weißenburg, die seinerzeit so vehement gegen
den Bau eingetreten war, verhinderte
die Zerstörung und erwarb die riesige
Immobilie 1882 für 20 000 Reichsmark –
nur ein Flügel des Schlosses ist bis heute
im Besitz des Freistaates Bayern. Im
Innenhof wurden zahlreiche Gebäude
abgerissen, Bäume wurden gepflanzt,
auf dem Berg wuchs immer mehr Wald.
Die Weißenburger nutzen ihn bis heute
für ihre Sonntagsausflüge.
1870/71 und in den beiden Weltkriegen diente die Festung als Gefangenen- und Internierungslager. Der wohl
berühmteste Gefangene war 1918 der
junge französische Offizier und spätere Staatspräsident Charles de Gaulle,
der nach einem Fluchtversuch erst im
Zug zwischen Würzburg und Aschaffenburg aufgegriffen wurde. Nach dem
Zweiten Weltkrieg waren für einige
Jahre Flüchtlinge auf der Wülzburg
Deutsche Stiftung Denkmalschutz – »Damit Vergangenheit Zukunft hat«
Mit der Idee, in Deutschland eine private Institution für die Bewahrung und Pflege des
kulturellen Erbes zu etablieren, nahm 1985 die Deutsche Stiftung Denkmalschutz
(DSD) ihre Arbeit auf. Unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten ist sie
inzwischen zu einer der größten Bürgerinitiativen für den Denkmalschutz geworden.
Mehr als 3000 Denkmale wurden von der Stiftung bisher mit über 310 Millionen
Euro unterstützt. Dazu zählen Stadt- und Dorfkirchen, Schlösser und Burgen, Bürgerhäuser, öffentliche Bauten, Bauerngehöfte und Industriedenkmale ebenso wie
Parks, Friedhöfe, Stadttore und Stadtmauern oder archäologische Grabungen.
Ermöglicht wird die Arbeit der Stiftung aus Mitteln der Lotterie GlücksSpirale, zeitweisen öffentlichen Zuschüssen und durch private Spenden. Um eine noch breitere
Unterstützung für den Denkmalschutz zu finden, koordiniert die Stiftung seit 1993
in Deutschland den »Tag des offenen Denkmals«. Durch ihre Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und die Zeitschrift MONUMENTE informiert die Stiftung über ihre
Arbeit und allgemeine Denkmalschutzthemen. Mit Ausstellungen, Vorträgen, Reisen
und Publikationen fördert die Stiftung das Wissen um das bauliche Erbe.
Denkmalpflege bedeutet neben der akuten Rettungsarbeit insbesondere auch kontinuierliche Pflege. Daher sucht die DSD Stifter, die für ein Denkmal ihrer Wahl
ein Stiftungskapital für die notwendige Pflege und Erhaltung dieses Kulturgutes zur
Verfügung zu stellen. Wohl eine Million Einzeldenkmale bedürfen der Restaurierung
und konstanten Pflege, um die Zeugnisse der Vergangenheit weiterhin als Quelle des
Verständnisses der Gegenwart und damit für die Gestaltung der Zukunft zu nutzen.
5
Blick ins Land von der Bastion Kaltes Eck
Wenn Sie mehr über die Arbeit der Deutschen Stiftung
Denkmalschutz wissen wollen, wenden Sie sich an:
Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Koblenzer Str. 75, 53177 Bonn
Tel.: 0228 – 95 73 80
4www.denkmalschutz.de
untergebracht. Heute wird das Schloss
von den Rummelsberger Anstalten e.V.
genutzt, die hier junge Leute in Altenund Kinderpflegeberufen ausbilden.
Über die Jahrhunderte haben Bastionen
und Wallmauern der bis heute vollständig erhaltenen Festung sehr gelitten. Teilweise ist Wasser eingedrungen,
Gewölbe sind eingebrochen. Seit den
1960er Jahren bemüht sich die Stadt
Weißenburg, die Wülzburg instand zu
setzen und so das gesamte Ausmaß
dieser Renaissance-Zitadelle für die
Öffentlichkeit erlebbar zu machen.
Unterstützung für das als Denkmal
von nationalem Rang eingestufte Projekt gab es vom Bund, vom Freistaat
Bayern, vom Regierungsbezirk Mittelfranken und vom Kreis WeißenburgGunzenhausen. Vor ein paar Jahren hat
sich der Bund aus der Finanzierung
zurückgezogen, deshalb hilft die Deutsche Stiftung Denkmalschutz seit 2001
mit bisher rund 270 000 Euro bei der
Sanierung der am meisten zerstörten
Bastion Krebs.
Die früh-neuzeitliche Festung Wülzburg, die denen in Jülich und BerlinSpandau in nichts nachsteht, ist immer
noch ein Geheimtipp. Deshalb gibt es
hier – mitten in Franken – für Festungsfreunde noch viel zu entdecken!
5
Blick in den Festungsgraben zur Bastion Jungfrau,
rechts im Vordergrund die Mauer der Bastion Krebs
n Dorothee Reimann
Führungen: 1. Mai bis Mitte Oktober:
Sa. 13.00 bis 17.00 Uhr,
So. und feiertags 11.00 bis 17.00 Uhr.
Während der Pfingst- und
Sommerferien in Bayern zusätzlich
Mo. – Fr. 13.00 bis 17.00 Uhr.
Letzte Führung jeweils 16.00 Uhr.
Alle Fotos des Beitrages © DSD/M.L. Preiss
Literaturtipp:
Daniel Burger, Weißenburg in Bayern –
Festung Wülzburg (= Burgen, Schlösser und
Wehrbauten, Bd. 10), Regensburg 2002.
ISBN 3-7954-1475-X; 64 S., 6,50
Hartwig Neumann, Festungsbau-Kunst und
-Technik. Deutsche Wehrbauarchitektur vom
XV. bis XX. Jahrhundert, Koblenz 1988.
5
ISBN 3-7637-5839-9; ca. 40,00
Kasematten der Bastion Krebs
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
15
G
Marineschule Mürwik
Kampf um Tsingtau 1914
roße Unruhe kam bei der deutschen Bevölkerung Tsingtaus
nicht auf, als die Nachricht
vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges
am 3. August 1914 in der Hafenstadt
am Gelben Meer eintraf. Zu weit entfernt wähnte man sich im von China
gepachteten deutschen Gebiet Kiautschou von den Kampfhandlungen in
der fernen Heimat. Zudem fühlte man
sich in Tsingtau gut gerüstet: Seit
1898 war die Küstenlinie der Stadt
durch eine Reihe von Geschützbatterien befestigt worden, die stark genug
waren, um einer Beschießung durch
Schiffsartillerie oder einem Landungsversuch standzuhalten. Insgesamt verteilten sich 21 Geschütze mit Kalibern
zwischen 8,8 und 28 cm auf fünf
verschiedene Küstenbatterien, die die
äußere Kiautschou-Bucht und die Einfahrt zum Hafen sicherten.
Auf verlorenem Posten
Der Kampf um das deutsche Pachtgebiet Kiautschou im Ersten Weltkrieg
Ein Angriff von der Landseite her
wurde hingegen aufgrund des unwegsamen Geländes im einige Kilometer
hinter der Stadt aufragenden LauschanGebirge von vornherein für wenig
wahrscheinlich gehalten. Dafür wären
große Truppenkontingente nötig gewesen, die nach deutscher Einschätzung
keine der feindlichen europäischen
Mächte in Ostasien aufbieten konnte.
So waren nach dem Boxeraufstand im
Jahr 1900 zum Schutz vor weiteren
chinesischen Unruhen lediglich fünf
leichte Befestigungsanlagen im Hinterland Tsingtaus angelegt worden, die
mit vier bis zehn Maschinengewehren
sowie einer Anzahl von Minenwerfern ausgestattet waren. In Verbindung
mit einem durchgehenden, 15 Meter
tiefen Stacheldrahthindernis mit Grabenansatz und Mauer sicherten diese
so genannten Infanteriewerke den an
dieser Stelle 5 1⁄2 Kilometer breiten Zugang zur Stadt, die auf einer Halbinsel
lag. Zusätzlich bestand zur Landseite
hin eine Reihe von mehr oder weniger
gegen feindlichen Beschuss gesicherte
Geschützstellungen, deren Kalibergrö-
16
ßen aber zum Teil wesentlich kleiner
waren als die der Küstenartillerie.
Das unmittelbar angrenzende China
hatte indessen ohnehin schon kurz
nach Kriegsausbruch seine Neutralität
erklärt. So war der deutsche Gouverneur des Pachtgebietes Kiautschou,
Kapitän zur See Alfred Meyer-Waldeck, zuversichtlich, den möglichen
Angriff eines europäischen Feindes so
lange abwehren zu können, bis die
Kriegsentscheidung in Europa gefallen sein würde. Nach den Kalkulationen aus der Vorkriegszeit wurde
diese innerhalb von wenigen Monaten
erwartet.
Bald trat jedoch ein Gegner auf den
Plan, den die deutsche Seite zunächst
nicht in die Überlegungen einbezogen
hatte: Japan. Noch in den ersten Tagen
des Monats August hatte der japanische Außenminister Kato mehrfach
öffentlich die Absicht seines Landes
erklärt, neutral zu bleiben, und in
japanischen Zeitungen waren Freundschaftsbekundungen an Deutschland
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
zu lesen gewesen. Als allerdings die
britischen Verbündeten anfragten, ob
mit japanischer Hilfe gegen Deutschland zu rechnen sei, sah man in Tokio
eine günstige Gelegenheit gekommen,
die eigene Macht in Ostasien auszuweiten. Mit einem Krieg gegen Deutschland bot sich immerhin nicht nur die
Chance, den deutschen Konkurrenten
in China ein für alle Mal auszuschalten, sondern auch dessen Besitzungen
auf dem chinesischen Festland und im
Pazifik zu übernehmen. Folgerichtig
wurde dem deutschen Botschafter in
Tokio am 16. August 1914 ein japanisches Ultimatum überreicht, in dem
die Entfernung oder Abrüstung aller
im Tsingtauer Hafen und in Ostasien
befindlichen deutschen Kriegsschiffe
sowie die Übergabe des Kiautschougebiets bis zum 15. September gefordert
wurden. Eine Antwort wurde bis zum
23. August erwartet, ansonsten werde
die japanische Kriegserklärung erfolgen.
Im deutschen Pachtgebiet dachte man
hingegen nicht an Aufgabe. Bereits seit
5
Öffentliche Aushänge informierten die
deutsche Bevölkerung von Tsingtau
Foto: Marineschule Mürwik
3
Bismarckberg, Japanische Soldaten vor von
der deutschen Geschützbedienung gesprengter
Panzerkuppel einer 28-cm-Haubitze
Anfang August waren deutsche Reservisten aus allen Teilen Ostasiens nach
Tsingtau einberufen worden. Zusammen mit zahlreichen Freiwilligen sowie
dem aus rund 500 Marineinfanteristen
bestehenden Ostasiatischen Marinedetachement, das zuvor die deutschen
Handelsniederlassungen in Peking und
Tientsin geschützt hatte, erhöhte sich
die Stärke der Tsingtauer Garnison,
die sich im Frieden aus Soldaten des
Cuxhavener III. Seebataillons sowie
der Matrosenartillerieabteilung Kiautschou zusammensetzte, von ursprünglich 2625 schließlich auf ungefähr 4700
Mann.
Auf der Werft bemühte man sich derweil, die im Hafen ankernden Handelsschiffe zu Hilfskriegsschiffen umzurüsten und einige im Dock liegende
Kriegsschiffe so schnell wie möglich
wieder einsatzfähig zu machen. Von
den in Tsingtau befindlichen Schiffen
konnten letztlich aber nur drei, das
Kanonenboot »Jaguar«, das Torpedoboot »S 90« und der österreichische
Kreuzer »Kaiserin Elisabeth«, an den
späteren Kämpfen teilnehmen. Bereits
am 31. Juli war der Kleine Kreuzer
»Emden« aus dem Tsingtauer Hafen,
der auch als Kohlenstation für das Ostasiatische Kreuzergeschwader diente,
in Richtung Japanisches Meer ausgelaufen und eine Woche später mit
dem in der Koreastraße gekaperten
russischen Dampfer »Rjazan« zurückgekehrt. Kurz darauf verließ die
»Emden« erneut die Kiautschou-Bucht
und führte einige Monate lang, ganz
auf sich allein gestellt, den Kreuzerkrieg im Indischen Ozean, in dessen
Verlauf sie bis zu ihrer eigenen Zerstörung am 9. November 1914 rund
70 000 Bruttoregistertonnen an feindlichem Schiffsraum versenkte.
Die Landbefestigungen des Pachtgebietes wurden inzwischen durch zusätzliche Schützengräben und Draht-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
17
Kampf um Tsingtau 1914
3
Gouvernementsgebäude, Sitz der deutschen
verhaue verstärkt, während die Hafeneinfahrt mit zahlreichen Minensperren
gegen feindliche Schiffe gesichert wurde. Zusätzlich versahen »Jaguar« und
»S 90« einen regelmäßigen Patrouillendienst in der Kiautschou-Bucht.
Schon beim Bekanntwerden des Kriegsausbruchs war es in Tsingtau zu einer
regelrechten Panik unter der chinesischen Bevölkerung des Pachtgebiets
gekommen. Nachdem jedoch ein sofortiger Angriff ausgeblieben war und
die Löhne aufgrund der verstärkten
Armierungsarbeiten deutlich angestiegen waren, kehrten viele zunächst geflüchtete Chinesen nach Tsingtau zurück. Nach der Veröffentlichung des
japanischen Ultimatums verließen nun
vor allem wohlhabendere Chinesen
und hohe chinesische Beamte die Stadt.
Die meisten deutschen Frauen und
Kinder wurden per Dampfer und
Eisenbahn evakuiert. Die letzten japanischen Einwohner Tsingtaus hingegen wurden am 20. August von der
deutschen Verwaltung ausgewiesen.
Nachdem die kaiserliche Reichsregierung die Aufforderung Japans nach
Übergabe des Kiautschougebietes unbeantwortet gelassen hatte, erfolgte
die japanische Kriegserklärung am
23. August 1914. Kurz vorher hatte
der deutsche Gouverneur in Tsingtau
seiner Haltung zu den bevorstehenden
Ereignissen in einem knappen Telegramm an Kaiser Wilhelm II. Ausdruck
verliehen: »Einstehe für Pflichterfüllung bis zum äußersten.«
Zu ersten Kampfhandlungen war es
bereits am 22. August gekommen,
als der britische Zerstörer »Kennet«
vor der Kiautschou-Bucht von dem
deutschen Torpedoboot »S 90« schwer
18
Marineschule Mürwik
Marineschule Mürwik
Kolonialverwaltung, mit Geschosstreffer
beschädigt und zum Abdrehen gezwungen worden war. Am 27. August
erschien ein japanisches Geschwader
vor Tsingtau, das aus neun Kriegsschiffen bestand und die Seeblockade
der Stadt eröffnete. Schon nach drei
Tagen lief jedoch einer der japanischen
Zerstörer in einem Sturm auf Grund
und wurde durch das Kanonenboot
»Jaguar« endgültig versenkt. Anfang
September stieß noch der britische Zerstörer »Triumph« zur Blockadeflotte,
der fortan von der chinesischen Bevölkerung Tsingtaus »Kuliaufseher«
genannt wurde, wobei mit »Kulis« zu
dieser Zeit im Allgemeinen Asiaten
gemeint waren. In der Folgezeit waren
die Kriegsschiffe hauptsächlich mit
Minenräumungen beschäftigt, was aber
durch das stürmische Wetter stark behindert wurde. Seit Anfang September
erfolgten zudem fast tägliche Aufklärungsflüge japanischer Militärflugzeuge, die bisweilen auch einzelne Bomben
auf die Stadt warfen, ohne dabei allerdings größeren Schaden anzurichten.
Diese Maßnahmen von der Seeseite her
dienten jedoch nur zur Vorbereitung
eines anderen, weit größeren Vorhabens: Am 2. September landeten starke
japanische Truppenverbände mit 26
Transportschiffen, die von 36 Kriegsschiffen geschützt wurden, im Norden
der Halbinsel Schantung, etwa 180
Kilometer vom deutschen Pachtgebiet
Kiautschou entfernt. Das chinesische
Einverständnis dazu hatten die Japaner
vorausgesetzt, und tatsächlich blieb der
chinesischen Regierung nur übrig, die
geschaffenen Fakten anzuerkennen und
den östlichen Teil der Provinz Schantung einen Tag später zur »Kriegszone«
zu erklären, da dort die chinesische
Neutralität nicht gewährleistet werden
könne. Innerhalb kurzer Zeit besetz-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
ten japanischen Truppen die deutschen Bergwerke und Eisenbahnlinien
in Schantung, was heftige, aber wirkungslose Proteste der Chinesen zur
Folge hatte.
Die Deutschen hatten nach dem
Bekanntwerden der Landung der Japaner damit begonnen, die Eisenbahnverbindung Tsingtaus mit dem Hinterland durch Zerstörung von Brücken und Weichen sowie durch die
Aufnahme von Schienen unbrauchbar
zu machen, um den japanischen Vormarsch zu erschweren. Viel mehr
wurde dieser allerdings gehemmt
durch die seit Ende August immer stärker wütenden Unwetter, die die unbefestigten Wege im Hinterland morastig gemacht und die sonst seichten
Flüsse in reißende Ströme verwandelt
hatten. Auch die zusätzlichen deutschen Landbefestigungen vor Tsingtau, die seit Kriegsausbruch angelegt
worden waren, hatten unter den heftigen Regenfällen zu leiden. Erst am
12. September wurde das Wetter wieder besser. An diesem Tag begannen
auch die Aufklärungsflüge des einzigen einsatzfähigen deutschen Flugzeuges in der Stadt zur Beobachtung
des japanischen Vormarsches auf das
Kiautschougebiet.
Die Japaner kamen nun besser voran
und lieferten sich bald die ersten kleineren Gefechte mit deutschen Patrouillen.
Nach und nach wurden Belagerungsartillerie und weitere Truppenverstärkungen herangeführt, unter anderem
auch 1200 britische und indische Soldaten. Zu diesem Zweck war in der Lauschan-Bucht unweit der Grenzen des
deutschen Pachtgebietes eine Nachschubbasis für den bevorstehenden Angriff eingerichtet worden, die ständig
von See her versorgt wurde. Die deutschen Truppen zogen sich indessen allmählich kämpfend auf ihre vorbereiteten Verteidigungsstellungen zurück.
Dabei griffen die in der KiautschouBucht liegenden deutschen Kriegsschiffe mit ihren Bordgeschützen in die
Landgefechte ein und behinderten das
japanische Vorrücken zum Teil erheblich.
Nun begannen die Deutschen allmählich damit, die für die Verteidigung
nicht benötigten Schiffe in der Bucht zu
versenken, um sie nicht dem Feind in
die Hände fallen zu lassen. Die Hafeneinfahrt wurde auf diese Weise mit
drei großen Dampfern versperrt. Das
Torpedoboot »S 90« unternahm hingegen am 17. Oktober einen wagemutigen Angriff auf das kräftemäßig
weit überlegene Blockadegeschwader.
Dabei versenkte es durch drei Torpedotreffer den japanischen Kreuzer »Takachiho« mit 284 Mann Besatzung, von
denen lediglich 13 den Angriff überlebten. Da »S 90« wegen seiner zu
geringen Geschwindigkeit den feindlichen Schiffen, die sofort die Verfolgung aufnahmen, nicht entkommen
konnte, wurde es südlich von Tsingtau auf Grund gesetzt und von seiner
Besatzung gesprengt. Die Mannschaft
konnte sich ins Landesinnere retten
und wurde schließlich von den Chinesen bis zum Kriegsende in Nanking
interniert. Schon wenige Tage zuvor
war die Blockadeflotte empfindlich
geschwächt worden, als der britische
Kreuzer »Triumph« durch einen Volltreffer der deutschen Küstenbatterien
Das deutsche Schutzgebiet Kiautschou
Die Ermordung von zwei deutschen Missionaren am 1. November 1897 in der chinesischen Provinz Schantung gab dem Deutschen Reich den Anlass, dort als »Sühnemaßnahme« eine bereits einige Jahre vorher vom Oberkommando der Marine ins
Auge gefasste Meeresbucht mit dem dazugehörigen Küstenstreifen am 14. November
1897 durch deutsche Marinetruppen kampflos zu besetzen. Durch einen am 6. März
1898 unter deutschem Druck abgeschlossenen deutsch-chinesischen Vertrag pachtete
Deutschland das nach einer in der Nähe gelegenen Stadt »Kiautschougebiet« genannte
Territorium für eine Dauer von 99 Jahren. Außerdem wurde eine daran angrenzende,
50 Kilometer tiefe neutrale Zone eingerichtet und dem Deutschen Reich der Betrieb
von Bergwerken und Eisenbahnen in der chinesischen Provinz Schantung gestattet. Das
deutsche Pachtgebiet unterschied sich in mehrfacher Hinsicht von den übrigen deutschen Kolonien: Da es von Anfang an nicht als Rohstofflieferant oder Siedlungskolonie,
sondern als Marine- und Handelsstützpunkt gedacht war, wurde es dem Reichsmarineamt und nicht wie die übrigen Kolonien der Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt,
bpk
Der Druck auf die deutsche Festung
nahm dennoch unaufhaltsam zu. Während die Japaner bis in den Oktober
hinein mehr und mehr Truppen sowie
Artilleriegeschütze für den Sturm auf
Tsingtau herbeischafften, wurde die
Beschießung der Stadt und der deutschen Geschützstellungen an der Küste
durch die Blockadeflotte immer stärker. Auch die japanischen Fliegerangriffe häuften sich. Die deutschen
Verteidiger bemühten sich, durch Erwiderung des Feuers vor allem die Aufstellung der feindlichen Artillerie auf
der Landseite zu stören, wobei das
einzige Flugzeug Tsingtaus als Beobachter fungierte. Die vollständige Einschließung der Stadt am 28. September
war jedoch nicht zu verhindern. Am
2. Oktober unternahm das Ostasiatische Marinedetachement noch einmal
einen Ausfall aus der Festung, um den
Japanern die ungebrochene Verteidigungsfähigkeit der deutschen Besatzung Tsingtaus zu demonstrieren und
sie von einer vor den deutschen Befestigungen gelegenen Höhe zu vertreiben, was unter einigen Verlusten auch
gelang.
5 Werftanlage in Tsingtau, Fotopostkarte um 1910
dem späteren Reichskolonialamt, unterstellt. Mit der Verwaltung des Gebietes waren
folglich keine kaiserlichen Beamten, sondern Marineoffiziere betraut. Innerhalb von
einem Jahrzehnt wurde die Stadt Tsingtau gebaut, die in ein europäisches und ein
chinesisches Wohnviertel unterteilt war. Das Wohngebiet für die Europäer war ganz
nach deutschen Vorbildern errichtet worden und bot alle aus Deutschland gewohnten
Annehmlichkeiten, unter anderem auch ein Seebad, einen Stadtpark und eine Pferderennbahn. Neben zahlreichen Handelsfirmen und Industriebetrieben verfügte Tsingtau über
umfangreiche Hafenanlagen, die auch für die damals größten Schiffe ausreichten, und
war durch die neu gebaute »Schantung-Eisenbahn« mit dem chinesischen Hinterland
verbunden. Es gab mehrere Schulen, eine deutsch-chinesische Universität und ein Krankenhaus. 1914 wohnten etwa 195 000 Menschen im Kiautschougebiet, die meisten in der
Stadt Tsingtau. Jedoch waren nur etwa 5000 Europäer darunter, einschließlich der rund
2600 Mann starken deutschen Garnison. Heute hat Tsingtau (Qingdao) etwa 1,3 Millionen Einwohner. Es wird 2008 einer der Austragungsorte der Olympischen Spiele sein.
so schwer beschädigt wurde, dass er
nach Japan zur Reparatur gebracht
werden musste.
Diese Erfolge hatten die Stimmung
in der eingeschlossenen Stadt enorm
verbessert, ebenso wie die zur gleichen Zeit über Funk empfangene
Nachricht von der Eroberung Antwerpens durch deutsche Truppen. Nachdem das Unterseekabel nach Schang-
hai Mitte August von dem britischen
Kabeldampfer »Patrol« unterbrochen
worden war, stellte der Funk die letzte
Verbindung des Kiautschougebietes
zur Außenwelt dar. Obwohl bereits
am 12. August zwei britische Kreuzer
die Funkstation auf der deutschen Südseeinsel Jap durch Artilleriebeschuss
zerstört hatten, konnte der Funkverkehr durch den in Schanghai liegenden
deutschen Dampfer »Sikiang« sicher-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
19
bpk
Kampf um Tsingtau 1914
3
»Die Helden von Tsingtau im
japanischen Gefangenenlager«,
Propaganda-Postkarte um 1917
Besetzung der Innenstadt und der
Wohngebiete durch die japanischen
Truppen verhindern wollte, wurde um
6 Uhr 30 am Morgen des 7. November
1914 die weiße Fahne gehisst.
gestellt werden, der die aus Tsingtau
herausgehenden Funksprüche auffing
und weiterleitete. Auf umgekehrtem
Wege erreichte Ende Oktober auch ein
Telegramm Kaiser Wilhelms II. die Verteidiger, das mit großer Begeisterung
aufgenommen wurde: »Mit Mir blickt
das gesamte deutsche Vaterland mit
Stolz auf die Helden von Tsingtau, die
getreu dem Worte ihres Gouverneurs
ihre Pflicht erfüllen. Seien Sie alle
Meines Dankes gewiss. Wilhelm I. R.«
Nichtsdestoweniger wurde die Lage
für die Eingeschlossenen immer auswegloser: Seit dem 26. Oktober verstärkte sich die Beschießung von der
Seeseite her noch einmal merklich, und
seit dem 31. Oktober, dem Geburtstag
des japanischen Kaisers, belegte auch
die Belagerungsartillerie die deutsche
Festung mit heftigem und lang anhaltendem Feuer. Der Beschuss hatte
nachhaltige Folgen. Die deutschen Geschützstellungen und Infanteriebefestigungen wurden mehr und mehr in
Mitleidenschaft gezogen, und auch
bei der deutschen Besatzung zeigten
sich durch das andauernde Artilleriefeuer erste Zermürbungserscheinungen. Über der Stadt lagen jetzt die
Rauchsäulen der brennenden Petroleumtanks am Hafen.
In der Nacht vom 1. auf den 2. November wurde der österreichische Kreuzer
»Kaiserin Elisabeth«, auf dem die Munition ausgegangen war, von seiner Mannschaft an einer tiefen Stelle der Kiautschou-Bucht versenkt. Auch mehrere
deutsche Artilleriestellungen waren in
den ersten Novembertagen durch das
20
feindliche Bombardement zerstört oder
nach dem Verschuss der letzten Munition gesprengt worden. Der Sturm
auf die Stadt stand nun unmittelbar
bevor. In dieser Situation erhielt der
Pilot des deutschen Beobachtungsflugzeuges, Oberleutnant zur See Gunter
Plüschow, den Befehl zum Flug nach
China, da für ihn in der Festung keine
Verwendung mehr bestand.
Schon seit Anfang des Monats waren
immer wieder japanische Sturmangriffe abgewehrt worden, doch als am
6. November erneut heftiges Artilleriefeuer eine massive japanische Attacke auf die Verteidigungsstellungen
begleitete, hatten die wenigen verbliebenen deutschen Geschütze mit ihren
zur Neige gehenden Munitionsvorräten nicht mehr viel entgegenzusetzen.
Nach erbitterten Kämpfen gelang der
japanischen Infanterie in der Nacht
der Durchbruch durch die deutschen
Linien; zahlreiche deutsche Soldaten
wurden gefangen genommen. Da die
Lage nun aussichtslos geworden war,
wurden die letzten Artilleriebatterien
und Verteidigungsanlagen durch die
Deutschen gesprengt. Die Funkstation
von Tsingtau, die nach der Zerstörung
des Elektrizitätswerks der Stadt am
3. November ohnehin nicht mehr senden konnte, sondern lediglich noch die
eingehenden Funksprüche des Dampfers »Sikiang« aus Schanghai abgehört
hatte, wurde in Brand gesetzt. Die
Besatzung des Kanonenboots »Jaguar«,
das sich bis zuletzt an den Kämpfen
beteiligt hatte, versenkte ihr Schiff
in der Kiautschou-Bucht. Auf Befehl
des Gouverneurs, der die gewaltsame
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
In den Tagen nach der Kapitulation
vollzog sich die Übergabe der Verwaltung und der militärischen Einrichtungen an die Sieger. Bei den Verhandlungen wurde den Deutschen von den
Japanern große Achtung für ihre militärischen Leistungen entgegengebracht.
Am 9. November fand eine Trauerfeier
für die bei den letzten Gefechten um
Tsingtau gefallenen Deutschen statt, die
für die Beteiligten zugleich den Charakter einer Abschiedsfeier vom deutschen Pachtgebiet hatte. Am nächsten
Tag begann der Abtransport der Kriegsgefangenen nach Japan; nur wenige
deutsche Männer durften in der Stadt
bleiben. Am 16. November zogen die
siegreichen japanischen Truppen mit
einer Parade in Tsingtau ein.
Bei der Belagerung der Stadt hatten sich
sehr ungleiche Kräfte gegenübergestanden. Während die deutsche Festungsbesatzung aus ungefähr 4700 Mann
bestanden hatte, liegen die Angaben
zur Gesamtstärke des japanischen Belagerungsheeres zwischen 20 000 und
63 000 Mann, wobei teilweise die Besatzungstruppen in Schantung mit eingerechnet wurden. Die deutschen Verluste beliefen sich auf 224 Gefallene
und rund 400 Verwundete; für die
japanische Seite gibt es sehr widersprüchliche Zahlen. Die amtlichen japanischen Berichte verzeichneten 1303
Tote, andere Quellen schätzen die Verluste auf bis zu 12 000 Gefallene und
Verwundete.
Letztlich zahlten sich diese Opfer für
Japan nur für kurze Zeit aus. Zwar
wurde im Versailler Vertrag von 1919
der gesamte ehemals deutsche Staatsund Privatbesitz im Kiautschougebiet
und in der chinesischen Provinz Schantung an Japan übertragen. Die japanische Regierung plante nun, Tsingtau
als Ausgangsbasis für eine weitere
Expansion ins chinesische Hinterland
zu nutzen. Aber die weltpolitische Lage
In Deutschland hatte der ungleiche
Kampf um Tsingtau zumindest zu
Beginn des Krieges für großes Aufsehen gesorgt. In vielen Zeitungen und
zahlreichen Büchern wurde der »deutsche Heldenkampf« ausgiebig geschildert und glorifiziert. Besonders der
Erlebnisbericht von Gunter Plüschow,
des sogenannten »Fliegers von Tsingtau«, dem nicht nur der Flug aus der
belagerten Stadt, sondern auch die
Rückkehr nach Deutschland gelungen
war, fand reißenden Absatz. Das Buch,
in dem Plüschow seine abenteuerliche
Flucht durch China, Amerika und das
feindliche England beschreibt, erschien
noch während des Krieges und wurde
bis in die 1940er Jahre in millionenfacher Auflage nachgedruckt.
Die Vorkriegsüberlegungen der deutschen Marine zu Tsingtau waren im
Verlauf der Kämpfe eindrucksvoll bestätigt worden. Das Reichsmarineamt
hatte sich beim militärischen Ausbau
des Kiautschougebietes seit 1898 vor
allem ein Ziel gesetzt: es für so lange
verteidigungsfähig zu machen, bis ein
möglicher Krieg zwischen den europäischen Mächten in Europa entschieden sein würde, laut der vor 1914
weitverbreiteten Meinung von Militärexperten nach drei Monaten. Und tatsächlich waren, ganz im Sinne dieser
Kalkulation, überall in Europa im
Oktober 1914, drei Monate nach
Kriegsausbruch, die Munitionsvorräte
der Vorkriegszeit verschossen. So war
auch die Zuversicht des deutschen
Gouverneurs des Kiautschougebiets,
Kapitän zur See Meyer-Waldeck, aus
den frühen Tagen des August 1914
nicht unbegründet gewesen, das Pachtgebiet bis zum vermeintlichen Kriegsende halten zu können. Die Verteidiger
der Stadt Tsingtau hatten sich sogar
noch bis in den November der feind-
lichen Streitmacht erwehren können.
Insofern waren die militärischen Planungen für das Kiautschougebiet voll
aufgegangen.
An anderer Stelle hatten sich die Strategen jedoch gründlich verschätzt: Der
Krieg in Europa sollte entgegen der
Vorkriegskalkulationen noch weitere
vier Jahre andauern. An seinem Ende
stand die Niederlage des Deutschen
Reiches und seiner Verbündeten und
nicht zuletzt der Verlust aller deutschen
kolonialen Besitzungen in Übersee.
n Lars Nebelung
Das deutsche Kolonialreich
Wehrgeschichtliches Museum Rastatt
hatte sich verändert: China nahm die
permanenten Versuche ausländischer
Einflussnahme nicht mehr ohne weiteres hin, und auch Großbritannien und
die USA wollten dem japanischen Vordringen in Ostasien Einhalt gebieten.
So drängten sie Japan Ende 1921 zu
Verhandlungen mit China, an deren
Ende die Rückgabe des Kiautschougebietes und der Schantung-Eisenbahnlinie an China gegen eine Entschädigung stand.
Nach dem Sieg im deutsch-französischen
Krieg 1870/71 und der Schaffung eines
einheitlichen deutschen Nationalstaates
mit der Gründung des Deutschen Reiches wurde von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland
auch die Erwerbung von Kolonien gefordert. Diese sollten vor allem als Absatzmärkte für deutsche Waren, als Rohstofflieferanten und als Siedlungsgebiete für
deutsche Auswanderer dienen. Außerdem wollte man mit dem Besitz von
Kolonien die gestiegene Macht und
Bedeutung Deutschlands in der Welt
zum Ausdruck bringen. Vor allem Großbritannien und Frankreich, aber auch
Portugal, Spanien und andere Staaten
hatten jedoch die meisten Gebiete der
Welt schon unter sich aufgeteilt, sodass 5
nur noch einige wenige Landstriche Erinnerungsbild des Gefreiten Albert Kist
übrig geblieben waren. Bismarck sträubte zu seiner Dienstzeit bei der 1. Kompanie/
sich zudem lange gegen den Erwerb III. Seebataillon 1908–1911. Das
von Kolonien, weil er dadurch politi- Flaggenmotiv ist auf die internationale
sche Schwierigkeiten mit anderen euro- Bekämpfung des Boxeraufstands 1900/01
päischen Mächten befürchtete. Private zurückzuführen.
Initiativen führten dennoch seit 1884
dazu, dass einige Gebiete in Afrika und in der Südsee unter den politischen und militärischen Schutz des Deutschen Reiches gestellt wurden. Zu diesen »Schutzgebieten« zählten zunächst Togo, Kamerun, Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) und DeutschOstafrika (heute Tansania, Ruanda und Burundi) sowie Deutsch-Neuguinea und mehrere Inselgruppen im Pazifischen Ozean. Die ursprüngliche Absicht Bismarcks, die
Verwaltung dieser Territorien nach Möglichkeit privaten Handelsgesellschaften zu überlassen, musste unter anderem wegen deren schlechter finanzieller Ausstattung allerdings
schnell revidiert werden. Schon bald wurden die Schutzgebiete in unmittelbare Reichsverwaltung überführt. Um die Jahrhundertwende vergrößerte Deutschland noch einmal
seinen überseeischen Besitz, getragen von einer in allen europäischen Mächten dominierenden imperialistischen Großmachtpolitik: Das Kiautschougebiet in China, weitere
Inselgruppen in der Südsee und ein Teil von Samoa kamen hinzu. Die notwendige wirtschaftliche Erschließung der Kolonien durch den Bau von Siedlungen, Straßen und Eisenbahnlinien machte sie allerdings zu einem Zuschussgeschäft für das Reich. Erst kurz vor
dem Ersten Weltkrieg konnten in einigen Kolonien wirtschaftliche Überschüsse durch
die Lieferung von Rohstoffen erzielt werden. Abgesichert wurde die deutsche Kolonialherrschaft in den meisten Gebieten durch die Aufstellung von militärischen »Schutztruppen« oder Polizeieinheiten, die zum Teil aus Einheimischen bestanden und wiederholt
gegen Aufstände der alteingesessenen Bevölkerung eingesetzt werden mussten. Im Ersten
Weltkrieg wurde die Mehrzahl der deutschen Kolonialgebiete rasch von den zahlenmäßig
überlegenen feindlichen Truppen erobert. Nur in Deutsch-Ostafrika konnten sich die
deutschen Verteidiger unter dem Befehl von Paul von Lettow-Vorbeck bis 1917 halten,
danach in Mozambik und Rhodesien bis zum Kriegsende 1918. Im Versailler Vertrag
von 1919 musste das Deutsche Reich auf seine Kolonien verzichten, die als so genannte
Mandatsgebiete des Völkerbundes unter den Siegermächten aufgeteilt wurden.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
21
Service
Das historische Stichwort
3
US-Truppen beim Verlassen
eines Landungsbootes,
6. Juni 1944
akg-images
Vor 60 Jahren:
Die alliierte Invasion in der
Normandie am 6. Juni 1944
S
eit sich Roosevelt und Churchill
auf der Washingtoner Konferenz
1941/42 auf die militärische Niederringung Deutschlands als vorrangiges gemeinsames strategisches Ziel
geeinigt hatten, nahm die Landung an
der französischen Kanalküste in den
englisch-amerikanischen Überlegungen einen zentralen Platz ein. Allerdings sollte die Errichtung der Zweiten Front noch länger auf sich warten
lassen. Das im Januar 1943 in Casablanca verkündete Kriegsziel der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands
war auch an den sowjetischen Kriegspartner gerichtet, der, von der Wehrmacht hart bedrängt, Entlastung forderte.
In den frühen Morgenstunden des
6. Juni 1944 gingen schließlich die verbündeten amerikanischen, britischen
und kanadischen Streitkräfte unter dem
von Eisenhower geführten alliierten
Oberkommando in der französischen
Normandie an Land. In der Nacht
waren unbemerkt von der Kriegsmarine Minengassen für die alliierte
Armada von über 4000 Landungsbooten und mehr als 1000 Kriegsschiffen aller Art geräumt worden. Parallel
22
dazu sollten Luftlandeoperationen die
Flanken des Landungsraums sichern.
Eine überwältigende Luftstreitmacht
und das Feuer von Schiffsartillerie und
Raketenbooten zerstörten viele der
Küstenhindernisse und schalteten die
deutschen Stellungen, darunter auch
die Küstenbatterien, aus.
Bis zum Ende des Tages gelang es
den Alliierten, in jedem der fünf Landungsabschnitte Fuß zu fassen und die
Verbindung zu den Luftlandetruppen
herzustellen. Eine ernsthafte Krise entwickelte sich nur im amerikanischen
Landungsabschnitt »Omaha«, wo eine
deutsche Infanteriedivision, die von
der alliierten Aufklärung kurz zuvor
noch im Landesinneren lokalisiert
worden war, ausgerechnet zum Zeitpunkt der Landung eine küstennahe
Übung begonnen hatte, ohne dass dies
von den Alliierten bemerkt worden
war. Das eigentliche Tagesziel, die Einnahme von Caen, wurde gleichwohl
nicht erreicht; der Zugang zum panzergünstigen Gelände südlich der Stadt
blieb damit zunächst versperrt. Der
fehlende Angriffsschwung des vom
Briten Montgomery geführten linken
Flügels erlaubte es den Verteidigern in
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
den Nachmittagsstunden, Teile einer
nahegelegenen Panzerdivision in den
Kampf zu werfen. Dieser einzige bedeutendere Gegenangriff des Tages
drang zunächst bis zum Meer durch,
musste aber bald zur Verteidigung
übergehen. Alle sonst vorhandenen
taktischen Reserven der Deutschen
erwiesen sich als zu schwach. Und
größere motorisierte Verbände lagen
zu weit im Landesinneren, um zu
einem früheren Zeitpunkt eingreifen
zu können.
Den Alliierten gelang der taktische
Überraschungserfolg. Nicht zuletzt wegen der Erschütterungen des militärischen Nachrichtennetzes war sich die
deutsche Seite erst am Abend sicher,
dass man es in der Normandie mit
der eigentlichen Invasion und nicht
mit einem Ablenkungsmanöver zu tun
hatte. Insgesamt war das Ereignis seit
langem erwartet worden. Mit seiner
Weisung Nr. 51 vom November 1943
hatte sich Hitler zur Defensive im
Osten durchgerungen und die Verhinderung einer alliierten Landung
im Westen zur kriegsentscheidenden
Sache erklärt. Schon im August 1942
hatte Hitler den Bau des ›Atlantikwalls‹
angeordnet. Von der Propaganda zum
waffenstarrenden Bollwerk stilisiert,
handelt es sich dabei um ein militärisches Hindernis von bestenfalls zeitlich begrenzter Wirkung. Monatelang
war in der deutschen Führung über
den operativen Ansatz der Verteidigung diskutiert worden. Das Ergebnis
sah vor, dass, nachdem der eigentliche
Angriffsschwerpunkt der Alliierten festgestellt würde, die im Landesinneren
stehenden motorisierten Verbände heranzuführen seien, um die Angreifer ins
Meer zurückzuwerfen. Bis dahin sollten die vor Ort befindlichen Verbände
im Schutz der Küstenbefestigungen die
Alliierten daran hindern, aus dem Brückenkopf auszubrechen. Ein Drittel der
insgesamt 60 deutschen Divisionen, die
Anfang Juni 1944 in Westeuropa disloziert waren, bestand aus weitgehend
unbeweglichen Infanteriedivisionen.
Gering war die Zahl kampfkräftiger
Panzer- und motorisierter Divisionen.
4
Blick aus einer deutschen
Geschützstellung auf alliierte
Eine ausreichende Reservenbildung war angesichts
des Kräfteverschleißes auf
den anderen Kriegsschauplätzen nicht möglich. Zu
Jahresbeginn 1944 schätzte
die Wehrmacht die Stärke
des Ostheeres auf weniger
als die Hälfte der an der
sowjetischen Europafront
eingesetzten oder in Reserve gehaltenen Kräfte der
Roten Armee. Das Besatzungsregime auf dem Balkan, in Skandinavien und
die Rückzugskämpfe in Italien banden weitere Kräfte.
akg-images / Tony Vaccaro
Kriegsschiffe, Juni 1944
Die wenigen an der Kanalküste eingesetzten Einheiten der Kriegsmarine
vermochten angesichts der absoluten
alliierten Luftherrschaft kaum tagsüber
ihre von Flak geschützten Häfen zu
verlassen. Auch die im Invasionsraum
stehenden deutschen Luftstreitkräfte
fielen praktisch nicht ins Gewicht.
Verstärkungen blieben aus, weil der
im Frühjahr 1944 erheblich gesteigerte
strategische Luftkrieg gegen das kriegswirtschaftliche Rückgrat des »Dritten
Reichs« die Kräfte der Luftwaffe förmlich zerrieb. Luftwaffe und Kriegsmarine konnten nicht verhindern, dass
der alliierte Brückenkopf pausenlos
verstärkt wurde, während sich die
deutschen Kräfte allmählich abnutzten.
Angesichts der bis weit in das französische Hinterland reichenden Luftbedrohung waren Truppenverlegungen nur
in der Dunkelheit möglich, überdies
behindert durch systematische Zerstörungen des Verkehrsnetzes.
Den Alliierten gelang es, ungeachtet
der Reibungsverluste einer multinational zusammengesetzten Streitmacht,
alle drei Teilstreitkräfte wirkungsvoll in
die Kampfführung zu integrieren. Das
Feuer der alliierten Schiffsgeschütze,
Flugzeuge und Artillerie verursachte
einen Großteil der deutschen Verluste.
Herangeführte Verbände mussten bereits auf dem Weg zur Front mehr
oder minder starke Verluste hinnehmen. Im Kampfraum angekommen,
wurden sie oft verzettelt eingesetzt,
um die gerade entstandenen Krisensituationen zu bereinigen. Allerdings
begünstigten das Wetter und die bewegungshemmende Knick- und Heckenlandschaft der Normandie den deutschen Widerstand. Dieser konnte indes
nicht verhindern, dass die Alliierten
die Verbindung zwischen den Brückenköpfen herstellten und den Landungsraum ausdehnten. Der Druck zweier
parallel laufender Angriffsoperationen
wurde schließlich zu stark: In den letzten Julitagen gab der linke deutsche
Flügel nach und erlaubte den Amerikanern den Durchbruch. Bereits vier
Wochen später überschritten die Verbündeten die Seine und drangen in
Paris ein. Zu diesem Zeitpunkt musste
die deutsche Führung ihr Augenmerk
allerdings auf den östlichen Kriegsschauplatz richten. Am 22. Juni, dem
dritten Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, zertrümmerte die Sommeroffensive gegen die
Heeresgruppe Mitte die deutsche Ostfront. Die Ereignisse wuchsen sich aus
zur größten Niederlage in der deutschen Militärgeschichte. Zu Dutzenden wurden Divisionen vernichtet oder
mussten aufgelöst werden. Die Offensive öffnete der Roten Armee den Weg
sowohl zur Rigaer Bucht und nach Ostpreußen als auch zur mittleren Weichsel und nach Warschau. Anschlussoffensiven führten zum Zusammenbruch
der Heeresgruppe Süd-Ukraine und
leiteten das Ausscheiden von Rumänien und Bulgarien aus dem Krieg ein.
Im Baltikum wurde die Heeresgruppe
Nord abgeschnitten. In den Monaten
Juni bis August starben fast 750 000
deutsche Soldaten.
Trotz des nun unmittelbar das Reichsgebiet bedrohenden Zweifrontenkrieges, den das »Dritte Reich« aufgrund
der ihm zur Verfügung stehenden strategischen Kräftepotentiale nicht länger
erfolgreich durchstehen konnte, zog
die Spitze des NS-Regimes keine Konsequenzen. Einzig die für den westlichen Kriegsschauplatz verantwortlichen Feldmarschälle Rommel und
Kluge forderten Hitler Mitte August in
Briefen dazu auf, den Krieg zu beenden. Kein verantwortlicher Militär griff
dem Steuermann Hitler auf seinem
zielstrebigen Kurs in den nationalstaatlichen Untergang ins Ruder. Die Ereignisse desillusionierten zunächst auch
diejenigen Angehörigen der nationalkonservativen Opposition, die noch
1944 gehofft hatten, durch einen Umsturz die Substanz des Deutschen Reiches wenigstens in Teilen erhalten zu
können. In dieser Situation überzeugte
Generalmajor Henning von Tresckow
die zum Widerstand Bereiten, dass
ein Attentat um seiner selbst willen
geschehen und damit ein Zeichen vor
der Welt und der Geschichte gesetzt
werden müsse. Der Diktator überlebte
das Attentat vom 20. Juli 1944, der Umsturz scheiterte.
Andreas Kunz
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
23
Service
Medien online/digital
Bombenkrieg
online
A
m Abend des 13. Februar
läuten jedes Jahr in Dresden
die Glocken. Zum Gedenken
an die Luftangriffe vor 60 Jahren und
als Mahnung zum Frieden zugleich.
2005 werden auch die Glocken der
wieder errichteten Frauenkirche akustisch an die Ereignisse von 1945 erinnern.
Während der Begriff »Bombe« zu den
ältesten Wörtern der Militärgeschichte
gehört, verbinden wir mit dem Wort
»Bombenkrieg« heute den Luftkrieg
seit dem Ersten Weltkrieg und dessen
zunehmende Bedeutung in militärischen Konflikten.
Im Angesicht aktueller Ereignisse
scheint die Verbindung des Bombenkrieges vor allem mit dem Zweiten
Weltkrieg in Frage gestellt zu sein.
Mit den bevorstehenden Gedenktagen
anlässlich der Angriffe auf deutsche
Großstädte in der Endphase des Zweiten Weltkrieges wird jedoch erneut
unser Interesse auf die alliierten strategischen Bomberoffensiven gegen das
Deutsche Reich und seine Bevölkerung gelenkt. Essen, Stuttgart, Hamburg, Berlin, Nürnberg und Dresden
stehen dabei als Beispiele der zerstörerischen Entwicklung des Luftkrieges
vor der Einführung der Atombombe.
Das Internet bietet verschiedene Möglichkeiten, sich über den Bombenkrieg
zu informieren. Aber oft ist das Thema
nur Inhalt von allgemein gehaltenen
Seiten über den Zweiten Weltkrieg.
Durch die Veröffentlichung des Buches
»Der Brand« von Jörg Friedrich (siehe
Lesetipp in Militärgeschichte 1/2003)
rückte die Beschäftigung mit dem
Bombenkrieg und seinen Opfern vor
kurzem verstärkt in die historischen
Debatten.
Um dem Fachpublikum, aber auch
dem historisch interessierten Leser ein
Forum zu diesem Thema zu bieten,
hat der Historiker Ralf Blank vom Historischen Centrum Hagen im Netzwerk historicum.net ein thematisches
24
5
Zeichnung des zwölfjährigen Wilhelm Bloß,
Schüler der Volksschule Fürther Straße 352–
354. Entstanden Ende 1946.
Quelle: Stadtarchiv Nürnberg
Portal zum Bombenkrieg eingerichtet.
Die Seite unter der Adresse 4www.
bombenkrieg.historicum.net wird
durchaus den gestellten Zielen gerecht
und »bietet mit ausgewählten Beiträgen, Materialien und Dokumentationen einen Überblick über den aktuellen
Stand der Forschung und Diskussion.
Dabei gilt der Blick nicht nur den alliierten Bombardierungen deutscher Städte,
sondern auch den deutschen Luftangriffen und ihren Auswirkungen.«
hb
Dass die Beschäftigung mit der Geschichte des Bombenkrieges vor allem
aus Sicht der Bevölkerung noch nicht
abgeschlossen ist, zeigen
zahlreiche Aufrufe von
örtlichen Archiven und
Zeitungen anlässlich der
kommenden Gedenktage.
Das Stadtarchiv Nürnberg ruft zur Mitarbeit an
seinem Forschungsprojekt »Luftkrieg in Nürnberg 1942–1945« unter
4 w w w. s t a d t a rc h i v.
nuernberg.de/Luftkrieg.
htm auf und zeigt mit
der Abbildung der Zeichnung eines Kindes von
1946 die traumatisierenden Wirkungen des Krieges auf einen zweifellos
unschuldigen Teil der deutschen Bevölkerung. Das was unsere Kinder heute
nach »Erleben« im Fernsehen zeichnen
oder die Kinder in den Einsatzgebieten
der Bundeswehr im Ausland malen,
die Parallelen werden in der historischen Betrachtung klar.
hb
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
20. Juli 1944
Stauffenberg nicht nur als Spielfilm,
sondern auch auf der Bühne. Zum 60.
Jahrestag des Attentats wurde unter
der Schirmherrschaft des ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske ein Theaterprojekt mit dem Titel »Stauffenberg – Die
Tragödie des 20. Juli 1944« nach der
Vorlage von David Sternbach ins Leben
gerufen. Das Stück, das vor allem die
innere Auseinandersetzung Stauffenbergs mit »Gut und Böse, Gott und
Teufel« zeigt, hatte am 30. Mai dieses
Jahres im Berliner Schiller-Theater seine
Uraufführung. Die künftigen Aufführungen finden auch an historischen
Schauplätzen des »Dritten Reiches«, wie
5www. stauffenberg-heute.de/index2.htm
der »Wolfsschanze« in Polen statt. Wer
sich über das Projekt, die Reaktionen
und Hintergründe informieren will,
dem steht unter 4www.stauffenbergheute.de eine ausführliche Webseite zur
Verfügung.
hb
Detlef Michelers,
Claus Graf von Stauffenberg –
Widerstand in Uniform.
Hamburg 2004. 55 Min.;
ISBN 3-455-32022-8; 17,90 €
D
as fast einstündige Feature,
eine Produktion von NDR/
Radio Bremen und Deutschlandradio Berlin beschränkt sich nicht
nur auf die Darstellung der Rolle des
bekannten Hitler-Attentäters. Christian
Brückner erzählt den Werdegang Stauffenbergs. Dabei wird die Geschichte des
militärischen Widerstandes im Kontext der Zeitumstände mit Originaltonaufnahmen, Nacherzählungen und
Erinnerungen von Zeitzeugen wieder
lebendig gemacht. So kommen in einer
sehr dichten Darstellung neben Angehörigen der Familie Stauffenberg auch
mitverschworene und unbeteiligte Zeitzeugen zu Wort. Auch wenn man sich
doch etwas mehr Zeit bei der Beschreibung einzelner Lebensabschnitte
und vereinzelt genauere Angaben zu
den Zeitzeugen und ihren Funktionen
gewünscht hätte, kann das Hörbuch
insgesamt als eine gelungene Geschichtsstunde empfohlen werden.
hb
Philipp von Boeselager, ehemaliger Offizier der Wehrmacht und ebenso wie sein
1944 gefallener Bruder Georg
Mitverschwörer des Kreises
um Generalmajor von Tresckow, beschreibt in einem
fast zweistündigen Gespräch
mit dem Programmbereichsleiter im Hessischen Rundfunk Hans Sarkowicz bemerkenswert detailgetreu seine
Sicht des Widerstandes, besonders aus der Perspektive
seiner Dienststellung als Ordonnanzoffizier in der Heeresgruppe Mitte.
Fragt man nach Motiven Philipp von Boeselagers und
seines Bruders Georg für den
Widerstand, so bietet der
Blick auf die Kindheit der
Brüder und ihre Erziehung
in der Familie schon einige
Antworten. Die katholische
Schule, die besonders enge
Bindung der Brüder, die
schulische und militärische
Ausbildung werden genauso
lebendig geschildert wie spätere Kriegserinnerungen aus
dem Zweiten Weltkrieg.
digital
Philipp Freiherr von Boeselager,
Der 20. Juli 1944.
Gespräch mit Hans Sarkowicz
Freiburg i.Br. 2004. 2 CD,
103 Min.; ISBN 3-89964-046-2;
22,90
Z
eitzeugen, die unmittelbar am
Staatsstreich des 20. Juli 1944
beteiligt waren, sind heute rar.
In einer Zeit, in der die Obergefreiten
des Zweiten Weltkrieges schon allenthalben als wertvolle Zeugen bemüht
und zum Teil zur Erklärung historischer Sachverhalte überstrapaziert
werden, fällt diese Hörbuch-Produktion des Hessischen Rundfunks besonders positiv auf. Man gewinnt schnell
den Eindruck, so etwas hätte man doch
schon längst machen müssen.
Aus seiner genauen Sicht als
Ordonnanzoffizier des Generalfeldmarschalls von Kluge
schildert Boeselager auch
Ursachen für das angeblich
fehlende Durchsetzungsvermögen der Generale gegenüber Hitler,
die besondere Rolle des Widerstandskämpfers Henning von Tresckow und
die Wahrnehmung der Verbrechen der
deutschen Besatzungsmacht in Russland. »Und hier habe ich plötzlich
gemerkt, das ich einem Regime diene,
was Verbrechen begeht, hinter meinem
Rücken Verbrechen; was eine schreckliche Situation war.«
Ein großer Teil der Darstellung widmet
sich dem Widerstand in der Heeresgruppe Mitte und den besonderen
Begleitumständen des Staatsstreichs
vom 20. Juli 1944 im Osten, die auch als
der »Boeselager-Ritt« bekannt geworden sind. Nach seinen Erinnerungen an
die Zeit des Attentates und das Ende
des »Dritten Reiches«, geht Boeselager
zum Schluss in einer sehr persönlichen
Schilderung auch auf den Aufbau der
Bundeswehr und ihre Rolle im wiedervereinigten Deutschland ein.
Im Februar 2004 ernannte der französische Staatspräsident Jacques Chirac
Philipp von Boeselager zum Offizier
der französischen Ehrenlegion. Eine
persönliche Ehrung für den 86-Jährigen, aber sicher auch Ausdruck der
Anerkennung der deutschen Widerstandsbewegung zum 60. Jahrestag
des Attentates vom 20. Juli 1944. Die
CD-Produktion hat das Verdienst, die
Erinnerung an eine besondere Persönlichkeit unserer Geschichte zu bewahren.
hb
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
25
Service
Lesetipp
Der Erste Weltkrieg
Österreich zur See
90
A
Jahre nach Kriegsausbruch des
Ersten Weltkriegs haben viele
in- und ausländische Historiker Publikationen zur »Urkatastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts« vorgelegt, die
sich jedoch mit Masse an die Fachwissenschaft richten. Das vorzustellende Buch ist anders. Entstanden als
Begleitband zu einer Fernsehserie des
BBC richtet es sich bewusst an den historisch interessierten Leser. Hew Strachan, einer der ausgewiesensten britischen Kenner des Ersten Weltkrieges,
versteht es dabei anschaulich, durch
diesen weltumspannenden Konflikt
zu führen. Er bricht die hierzulande
immer noch anzutreffende Verengung
auf den deutschen Krieg auf und erweitert den Blick auf den ersten industrialisierten, globalen und totalen Krieg
des letzten Jahrhunderts. Die Kriegführung aller Beteiligten wird unter
Einbindung des Kriegsalltages in der
Heimat und an der Front ausführlich
dargestellt, ohne die Ursachen des
Weltkrieges und die Friedensschlüsse
mit ihren Auswirkungen auf die zukünftige Entwicklung auszublenden.
Ausgewogen im Urteil lässt uns Strachan, in seinem reich bebilderten Buch
– erstmals mit bisher unbekannten
Farbaufnahmen – so einen Blick auf
einen wichtigen Zeitabschnitt des
»Zeitalters der Weltkriege« werfen. Zu
kritisieren ist einzig die Kartenausstattung, die die geografische Einordnung des Kriegsgeschehens nur
schwer ermöglicht.
Hew Strachan,
Der Erste Weltkrieg.
Eine neue illustrierte
Geschichte,
München 2004.
ISBN 3-570-00777-4;
448 S., 24,90 €
Zu empfehlen bleibt damit ein Buch,
welches dem militärgeschichtlich Interessierten einen sehr guten Überblick
über Ursachen, Verlauf und Folgen des
Ersten Weltkrieges bietet.
Gerhard P. Groß
26
m 31. Oktober 1918 verschwand
die kaiserliche und königliche
österreichisch-ungarische Flagge von
den Meeren, doch bildet dies im heutigen Binnenland Österreich kein Hindernis für eine breite Forschungsund Publikationstätigkeit, die mit diesem Standardwerk einen Höhepunkt
erreicht hat.
Wladimir Aichelburg,
Register der k.(u.)k.
Kriegsschiffe. Von
Abbondanza
bis Zrinyi,
Wien/Graz 2002.
ISBN 3-7083-0052-1;
736 S., 98 €
Der ausgewiesene Marinehistoriker
Wladimir Aichelburg hat ein Werk vorgelegt, das, bis auf mangelndes Kartenmaterial, keinen Wunsch offen lässt.
Auf 544 Textseiten und einem gesonderten Bildteil mit 384 zum Teil gestochen scharfen Abbildungen (Fotos,
Gemälden, Skizzen und Zeichnungen)
wird die k.u.k. Marinegeschichte von
der Mitte des 18. Jahrhunderts bis
1918 en détail anhand ihrer Schiffseinheiten dargestellt. Und nicht nur
das: der Umfang des Buches resultiert
auch daraus, dass nicht nur Schiffe,
sondern auch schwimmende Einheiten
wie Docks und Kohlenprähme erfasst
sind. Unabhängig von dieser Detailverliebtheit bietet das Werk nicht nur
für österreichische, sondern auch für
deutsche Leser eine Fülle von politischen, militärischen und marinespezifischen Details: Von den Befreiungskriegen 1813 über die Revolution von
1848 bis zu gemeinsamen Operationen
der deutschen Kaiserlichen und der
österreichisch-ungarischen Marine im
Ersten Weltkrieg.
Dass eine Korvette (Baujahr 1869) und
ein sogenannter Rapidkreuzer (Baujahr 1914) den reichlich norddeutschen Namen »Helgoland« trugen,
kommt auch nicht von ungefähr, sondern resultiert aus dem gemeinsamen
Kampf österreichischer und preußischer Einheiten in der Seeschlacht vor
Helgoland am 9. Mai 1864 gegen die
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
dänische Flotte während des DeutschDänischen Krieges. Hinzu kommt ein
Komplex, den man heute mit Österreich wohl am wenigsten verbindet:
Übersee. Denn die Korvetten, Fregatten, Kreuzer und Kanonenboote Kaiser
Franz Josephs I. operierten rund um
den Globus, und nicht immer ohne
Risiko. Am 10. August 1896 wurden
vier Matrosen und ein Kadett des
Kanonenboots S.M.S. »Albatros« zusammen mit dem Chefgeologen der
Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften auf der Südseeinsel Guadalcanal während einer wissenschaftlichen
Expedition von Eingeborenen überfallen und niedergemetzelt; die Leichen konnten nicht geborgen werden.
Und in China fielen zehn Mann des
Kreuzers »Kaiserin Elisabeth« bei der
Verteidigung der deutschen Festung
Tsingtau im Herbst 1914; der Kreuzer
wurde am 2. November 1914 vor dem
Hafen von Tsingtau selbst versenkt,
als der Sturm der Japaner auf die deutsche Kolonie absehbar war.
So gibt Aichelburg anhand von Schiffsgeschichten einen umfassenden Überblick über die politische, diplomatische und militärische Geschichte vorzugsweise des Mittelmeerraumes im
19. Jahrhundert.
Gerhard Wiechmann
20. Juli 1944
P
rofessor Dr. Guido Knopp hat
wieder eine Fernsehserie produziert und dazu einen Begleitband vorgelegt. Sein Verlag C. Bertelsmann
führt von ihm zur Zeit 16 Titel, die
meisten über die Zeit des »Dritten Reiches«. Die neueste Serie aus der ZDFRedaktion Zeitgeschichte wurde im
Zuge eines »Wettrennens« mit dem
ARD-Spielfilm »Stauffenberg« schon
im Frühjahr 2004 ausgestrahlt und
erreichte mit jeweils 3,5 Millionen
Zuschauern ein großes Publikum. Dass
Knopp dabei längst nicht nur Geschichte für Deutsche darstellt, beweist
der internationale Verkauf der Serie
»Hitlers Helfer« in 42 Länder.
Das Begleitbuch kann aber auch ohne
die Serie bestehen. Gut aufgemacht,
lädt es durch viele Abbildungen und
herausgehobene Zitate zunächst zum
Guido Knopp
in Zusammenarbeit
mit Alexander Berkel,
Anja Greulich,
Sönke Neitzel und
Annette Tewes,
Sie wollten Hitler töten,
München 2004.
ISBN 3-570-00664-6;
langen Arm des MfS. 1976 erschoss ein
Stasi-Sonderkommando den aus der
DDR-Haft freigekauften Michael Gartenschläger, als dieser an der Grenze
einen Selbstschussautomaten demontieren wollte. Weitere Attentatsversuche (z.B. auf den saarländischen
Ministerpräsidenten im Jahre 1955), ungeklärte Todesfälle (z.B. der des ge-
350 S., 24,90 €
Jens Gieseke,
Blättern ein. Sein Schwerpunkt ist eindeutig der militärische Widerstand.
Nur der erste Abschnitt »Der einsame
Held« über den Attentäter Georg Elser
scheint da nicht zu passen. Bei näherer Betrachtung ist aber der hervorragend bebilderte Beitrag über den Einzeltäter gerade im Kontrast zum generalstabsmäßigen Widerstand und der
dabei geschilderten Person Stauffenbergs eine wertvolle Ergänzung.
Wohl bedingt durch die Vorgabe der
Fernsehserie wirken die einzelnen Kapitel etwas zusammenhanglos. Trotzdem ist es ein Buch, das sich »gut liest«.
Wer sich über die bloße Beschreibung
hinaus mit dem Widerstand weiter
vertiefend befassen will, dem bieten
die knappen Literaturhinweise zu den
Kapiteln auch brauchbare Orientierung in einem inzwischen unüberschaubaren Literaturangebot.
hb
Die Stasi
E
rich Mielke und Markus Wolf,
der Kanzleramtsspion Günther
Guillaume und der NATO-Mitarbeiter
Rainer Rupp (alias »Topas«), hunderttausend »Informelle Mitarbeiter« (IM)
und das (un-)heimliche Firmennetz
des Obersten Schalck-Golodkowski –
sie alle stehen heute sinnbildlich für die
»Staatssicherheit« der DDR. Diese war
wohl einer der am meisten gefürchteten Geheimdienste der Welt. Doch
was an diesem Urteil ist Legende
und was Wirklichkeit? Tatsächlich war
das Geschäft der Staatssicherheit todernst. Oppositionelle im eigenen Land
wurden nicht nur überwacht, drangsaliert und inhaftiert, sondern bisweilen sogar umgebracht oder in den Tod
getrieben. Und auch im Westen waren
Regimegegner nicht sicher vor dem
Mielke-Konzern.
Die Geschichte
der Stasi
1945–1990,
Stuttgart/
mögliches Engagement des Bündnisses im Irak; politische Verstimmungen und Irritationen in der über ein
halbes Jahrhundert gewachsenen transatlantischen Partner- und Freundschaft; gesellschaftspolitische Diskussionen über die Reichweite staatlicher
Prävention gegenüber terroristischen
Bedrohungen. Ausgangspunkt dieser
Entwicklung war jener spätsommerliche Tag mit seinem strahlend blauen
Himmel an der Ostküste der Vereinigten Staaten, an dem religiös motivierter Terror sich zum Massenmord an
3000 Menschen steigerte und der zivilisierten Welt den Krieg erklärte.
München 2001.
ISBN 3-421-05481-9;
287 S., 18,90 €
flüchteten DDR-Profifußballers Lutz
Eigendorf 1983) oder die Unterstützung der RAF-Terroristen belegen dies.
Im Kriegsfall gar sollten Stasikommandos hinter der Front eingesetzt
werden, wozu Waffen versteckt und
Partisanen ausgebildet wurden und
die Deutsche Kommunistische Partei
(DKP) in der Bundesrepublik Unterstützung leistete. Um diese Pläne vor
westlichen Geheimdiensten geheim zu
halten, machte die Stasi mit Verrätern
aus den eigenen Reihen kurzen Prozess: Noch im Jahr 1981 starb der StasiOffizier Werner Teske durch einen
Schuss in den Hinterkopf. Jens Gieseke erzählt auf knappen zweihundert
Seiten die Geschichte des ostdeutschen
Geheimdienstes, beschreibt, wieso das
MfS teilweise beachtliche Erfolge
hatte, letztlich aber doch nur begrenzt
Einfluss nehmen konnte. Das Buch
liest sich wie ein Spionagethriller,
ist aber nüchterne deutsch-deutsche
Geschichte.
Clemens Heitmann
Terrorismus
D
ie Welt hat sich verändert seit dem
11. September 2001: BundeswehrEinsatz in Afghanistan; Sicherung der
Schiffahrtswege am Horn von Afrika
und in der Meerenge von Gibraltar
durch die Deutsche Marine; Diskussionen innerhalb der NATO über ein
Stefan Aust und
Cordt Schnibben (Hrsg.),
11. September.
Geschichte eines Terrorangriffs,
München 2003.
ISBN 3-423-34026-6;
288 S., 12,50 €
Es wird, so ist zu vermuten, noch
lange dauern bis das in den Archiven
verwahrte Material zu diesem Ereignis für Historiker und Interessierte
zugänglich sein wird. Derweil sprießen Spekulationen, Legenden und obskure Verschwörungstheorien in die
Luft. Davon hebt sich dieses Buch deutlich ab. In bester Manier des investigativen Journalismus hat mehr als ein
Dutzend Reporter des Nachrichtenmagazins »Der Spiegel« in aufwendiger
Recherche die zugänglichen Fakten zu
sammengetragen. Entstanden ist daraus eine spannende und zugleich aufwühlende Geschichte dieses bisher
Aufsehen erregendsten Terroraktes in
der Geschichte, die das Schicksalsgeflecht des 11. September 2001 entwirrt
und von Tätern und Opfern, von Rettern und Geretteten erzählt.
Andreas Kunz
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
27
Ausstellungen
Service
•Berlin
Blockade Leningrads
1941–1944. Dossiers
Deutsch-Russisches
Museum
Zwieseler Straße 4 /
Ecke Rheinsteinstraße
10318 Berlin
Telefon: (0 30) 50 15 08 10
e-mail:
[email protected]
www.museum-karlshorst.de
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt frei.
15. Mai bis
5. September 2004
Verkehrsanbindungen:
S-Bahn: S3 bis S-Bahnhof
»Karlshorst«; U-Bahnlinie 5:
Station »Tierpark«, im
Anschluss Bus 396
•Celle
Deutsche Jüdische
Soldaten. Von der Epoche
der Emanzipation bis zum
Zeitalter der Weltkriege
Alte Exerzierhalle
Helmuth-Hörstmann-Weg 1
29221 Celle
Telefon: (0 51 41) 9 36 00 11
Täglich von
10.00 bis 12.00 Uhr und
13.00 bis 16.00 Uhr
16. Juli bis 29. August 2004
• F ü r s te n fe l d b r u c k
Aufstand des Gewissens.
Militärischer Widerstand
gegen das NS-Regime
1933–1945
Offizierschule der Luftwaffe
Udetstr. 351–354
82242 Fürstenfeldbruck
Telefon: (0 81 41) 53 60 12 11
Täglich von
8.00 bis 16.00 Uhr
28. Juli bis
14. September 2004
28
•
Höchstädt/
Donau
Die Schlacht von
Höchstädt – Brennpunkt
Europas 1704
Schloss Höchstädt an
der Donau
Herzogin-Anna-Straße 52
89420 Höchstädt/Donau
Telefon: (0 90 74) 9 58 57 00
Telefax: (0 90 74) 9 58 57 91
www.europa1704.de
Dienstag bis Sonntag
9.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt: 6,00 €
ermäßigt: 5,00 €
1. Juli bis
7. November 2004
Verkehrsverbindungen:
Anfahrt über die B 16. In
der Umgebung des Schlosses
stehen Pkw-Parkplätze in
ausreichender Zahl zur
Verfügung
•Ingolstadt
Das Bayerische
17. Reiterregiment und
seine Beziehungen zum
militärischen Widerstand
Reduit Tilly
Paradestraße 4
85049 Ingolstadt
Telefon: (08 41) 9 37 70
Telefax: (08 41) 9 37 72 00
www.bayerischesarmeemuseum.de
e-mail: [email protected]
Dienstag bis Sonntag
8.45 bis 16.30 Uhr
20. Juli 2004 bis
6. Januar 2005
Verkehrsverbindungen:
ð
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
Nächstgelegene Bushaltestellen: »Roßmühlstraße/
Paradeplatz« oder
»Rathausplatz«
•Kappeln
Germania auf dem
Meere – Deutsche
Marinegeschichte
24376 Kappeln
Telefon: (0 46 42) 1 71 28 90
Täglich von
11.00 bis 20.00 Uhr
4. bis 9. August 2004
Verkehrsverbindung:
Von Eckernförde auf B 203,
Richtung Stützpunkt
Olpenitz, auf rechter Seite
gelegen
•Köln
Marinestützpunkt Olpenitz
Soldatenheim der ev.
Militärseelsorge Albatros
Hafenstraße 1
ð
Namibia –
Deutschland:
eine geteilte
Geschichte.
»Widerstand – Gewalt –
Erinnerung«
Rautenstrauch - Joest Museum für Völkerkunde
Ubierring 45
50678 Köln
Telefon: (02 21) 3 36 94 13
Telefax: (02 21) 3 36 94 10
Eintritt: 2,60 €
ermäßigt: 1,30 €
ð
Dienstag bis Freitag
10.00 bis 16.00 Uhr
Samstag und Sonntag
11.00 bis 16.00 Uhr
7. März bis 3. Oktober 2004
Verkehrsanbindungen:
Ab Hauptbahnhof mit
U 16 bis Haltestelle
»Ubierring«
•
Königstein
bei Dresden
Die sächsische Bastille Das Staatsgefängnis auf
der Festung Königstein
von 1591 bis 1922
Museum Festung
Königsstein / Torhaus
01824 Königstein
Telefon: (03 50 21) 6 46 07
Telefax: (03 50 21) 6 46 09
www.festung-koenigstein.de
e-mail:
[email protected]
Täglich von
9.00 bis 20.00 Uhr
(April – September)
10.00 bis 17.00 Uhr
(Oktober – März)
Eintritt: 5,00 €
ermäßigt: 3,00 €
1. April 2004 bis
02. Januar 2005
Verkehrsanbindungen:
PKW: B 172 Richtung Bad
Schandau; S-Bahn: Linie 241.1
(Dresden-Königstein-Schöna);
Bus: Linie 241 Richtung
Pirna-Königstein (Haltestelle
Abzweig »Festung« oder
»Thürmsdorf/Vogelstein«)
•Oldenburg
Heinrich Vogeler im Krieg.
Arbeiten 1914–1918
Landesmuseum für Kunst
und Kulturgeschichte
Oldenburg – Augusteum
Elisabethstraße 1
26135 Oldenburg
Telefon: (04 41) 2 20 73 00
Telefax: (04 41) 2 20 73 09
e-mail: [email protected]
ð
Dienstag, Mittwoch
und Freitag
9.00 bis 17.00 Uhr
Donnerstag
9.00 bis 20.00 Uhr
Samstag und Sonntag
10.00 bis 17.00 Uhr
Eintritt: 3,00 €
29. April bis
12. September 2004
Verkehrsanbindungen:
unweit des Bahnhofs
gelegen
23. April bis
3. Oktober 2004
Verkehrsanbindungen:
Vom Hauptbahnhof mit der
U-Bahn bis zur Haltestelle
»Charlottenplatz«
Am Hochkamp 20
45731 Waltrop
Telefon: (0 23 09) 7 42 21
• To r g a u
Glaube & Macht –
Sachsen im Europa der
Reformationszeit
•Rottenburg–
Deutsche Jüdische
Soldaten
Gedenkstätte Synagoge
Obere Gasse 12
72108 Rottenburg am
Neckar
Telefon: (0 74 72) 16 53 10
e-mail: [email protected]
6. September bis
4. Oktober 2004
e-mail:
[email protected]
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 12.00 Uhr und
15.00 bis 18.00 Uhr
Samstag
15.00 bis 18.00 Uhr
22. September bis
24. Oktober 2004
Verkehrsanbindungen:
Abfahrt A 2 Dortmund
Mengede, direkt im Krankenhaus St. Lorenzius Stift
•Stuttgart
• Wilhelmshaven
Baisingen
Zerreißprobe Frieden –
Baden-Württemberg
und der NATO-Doppelbeschluss
Haus der Geschichte
Baden-Württemberg
Konrad-Adenauer-Straße 16
70173 Stuttgart
Telefon: (07 11) 2 12 39 89
e-mail: [email protected]
Täglich (außer Montag)
10.00 bis 18.00 Uhr
Donnerstag
10.00 bis 21.00 Uhr
Eintritt: 2,50 €
ermäßigt: 1,50 €
ð
Schloß Hartenfels
Schloßstraße 27
04860 Torgau
Telefon: (0 18 05) 15 47 00
www.Landesaustellung.sachsen.de
e-mail:
[email protected]
Täglich von
10.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt: 5,00 €
ermäßigt: 4,00 €
24. Mai bis
10. Oktober 2004
Verkehrsanbindungen:
A 14 Ausfahrt Mutzschen
Richtung Torgau / Parkplätze
direkt im Stadtzentrum an der
B 87 (Straße der Jugend)
• Wa l t ro p
Aufstand des Gewissens.
Militärischer Widerstand
gegen das NS-Regime
1933–1945
Kulturforum – Kapelle
Waltrop
ð
Das Eiserne Kreuz –
Zur Geschichte einer
Auszeichnung
Stiftung Deutsches
Marinemuseum
Südstrand 125
26382 Wilhelmshaven
Telefon: (0 44 21) 4 10 61
Telefax: (0 44 21) 4 10 63
www.marinemuseum.de
e-mail:
[email protected]
Täglich von
9.30 bis 18.30 Uhr
23. April bis
31. Oktober 2004
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
29
Manfred Wörner verstarb im Alter von 59 Jahren nach schwerer Krankheit. Als 30-Jähriger in den Bundestag gewählt,
hatte er rasch über sein erstes parlamentarisches Betätigungsfeld, die Entwicklungspolitik, einen Zugang zu dem Gebiet
gefunden, das seinen Interessen und Begabungen besonders
lag: die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Seit 1976 Vorsitzender des Verteidigungsausschusses,
erwarb sich der Reserveoffizier und Jet-Pilot international den
Ruf eines kompetenten Sicherheitspolitikers und überzeugten
Transatlantikers. Als Verteidigungsminister hatte er ab 1982
harte Auseinandersetzungen unter den Vorzeichen des Ost-West-Konfliktes zu bestehen.
Sie betrafen die Durchsetzung des NATO-Doppelbeschlusses mit der Stationierung und
Modernisierung von Nuklearwaffen, aber auch die Verhandlungen zur Rüstungskontrolle
und Abrüstung zwischen NATO und Warschauer Pakt. Personalstärkegesetz und die Diskussion um die Wehrdienstdauer sind Schlagwörter, die für seine weiteren politischen
Themenfelder stehen. Überschattet wurde Wörners Amtszeit 1984 von der Affäre um die
falschen Vorwürfe gegen General Günter Kießling.
1988 wechselte Manfred Wörner nach Brüssel, um als erster Deutscher und zugleich
jüngster Amtsinhaber das Amt des NATO-Generalsekretärs zu übernehmen. Schon kurze
Zeit später stand er vor der Aufgabe, das erfolgreiche Bündnis einer völlig veränderten Zeit
anzupassen. Mit Energie und Weitsicht stellte er die Weichen für die Entscheidung der
NATO, den ehemaligen Gegnern aus den Ländern Mittel- und Osteuropas Freundschaft
und Zusammenarbeit anzubieten. Den Stabilitätstransfer gestaltete er durch das Angebot
auf Mitgliedschaft im »NATO-Kooperationsrat« sowie das Programm »Partnerschaft für
den Frieden« (PfP), dessen Gelingen er noch kurz vor seinem Tod mit der Aufnahme von
22 Mitgliedsstaaten erleben durfte. In der Rückschau ebnete PfP für viele dieser Länder
den Weg in die NATO.
Der von Wörner selbst als Präzedenzfall bezeichnete Einsatz der NATO außerhalb des
Bündnisgebietes im ehemaligen Jugoslawien beantwortete für ihn die Frage, ob die neue
NATO die Kraft aufbringen würde, einen Aggressor wirksam abzuschrecken. Dass die
NATO diese Kraft aufbrachte und sich damit gleichzeitig auch zu einem Verteidigungsund Interventionsbündnis wandelte, war das entscheidende Verdienst Manfred Wörners.
Burkhard Köster
MGFA/Entwurf des
deutschen EVG-Emblems
30. August 1954
Das Scheitern der EVG
Es war ausgerechnet die französische Idee einer supranationalen
Europa-Armee von 1950, deren Verwirklichung Ende August 1954
vom französischen Parlament zunichte gemacht wurde.
Der nach dem Vorbild der Europäischen Gemeinschaft für Kohle
und Stahl entworfene Plan des Ministerpräsidenten René Pleven
vom Oktober 1950 zielte gegen die angloamerikanischen Pläne,
ein nationales westdeutsches Kontingent der NATO aufzustellen.
Stattdessen sollten deutsche Streitkräfte bereits auf Bataillonsebene
in eine multinationale europäische Streitkraft integriert werden.
So sollte der Beitritt der Bundesrepublik zur NATO vermieden und ein unkontrolliertes
Anwachsen einer neuen deutschen Armee verhindert werden.
Die Verhandlungen bis zur Unterzeichnung des EVG-Vertrages zogen sich hin. Dabei
konnte die Bundesregierung allerdings die Integration erst auf der Divisionsebene, ein
westdeutsches Verteidigungsministerium und die nationale Rekrutierung durchsetzen.
Aber nach Unterzeichnung des EVG-Vertrages am 27. Mai 1952 wurde deutlich, dass
die französische Öffentlichkeit den Plan ablehnte und die Nationalversammlung immer
weniger zur Ratifizierung des Abkommens bereit war, da Großbritannien der EVG fern
blieb, die eigene Souveränität gefährdet schien und die verbindliche Zusage Washingtons
zur dauerhaften Stationierung von US-Truppen in Europa nicht erreicht werden konnte.
Es war dann ein sehr unspektakulärer Akt, der sich damals in der französischen Nationalversammlung abspielte. Der Abgeordnete Herriot beantragte am 30. August 1954 die
Absetzung des Themas EVG von der Tagesordnung. Mit 319 Ja- gegen 264 Nein-Stimmen wurden so eine Debatte und Abstimmung über die EVG verhindert und danach nie
wieder aufgenommen.
Die deutsche Enttäuschung wich schnell, denn die Ablehnung vom 30. August machte
den Weg frei zum Beitritt zu Westeuropäischer Union (WEU) und NATO.
hb
30
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
Militärgeschichte
Zeitschrift für historische Bildung
Ü Vorschau
Wenn neue Waffensysteme entstehen sollen, spielen politische Gründe eine gewichtige Rolle. Vor
allem wenn es sich um Rüstungsgüter für ein
Land handelt, das von seinen Nachbarn so misstrauisch beobachtet wird, wie die junge Bundesrepublik Deutschland Anfang der fünfziger
Jahre des vergangenen Jahrhunderts. In der Entstehungszeit der Bundeswehr galt es von einem
demilitarisierten Land nur zehn Jahre nach Ende
des Zweiten Weltkrieges hohe Anstrengungen
einer Wiederaufrüstung zu verlangen. Hierbei
BMVg, IP-Stab, Bonn/Fotografische
Sammlung MHM Dresden
Tod von NATO-Generalsekretär
Manfred Wörner
Heft 3/2004
13. August 1994
Geschichte kompakt
MHM, Dresden
Service
5
Schützenpanzer HS 30
wurde von der Bundesregierung erstmals der
europäische Weg beschritten und versucht über
nationale Grenzen hinaus zu einer Art von
Kooperation zu gelangen. So erhielt die Schweizer Firma Hispano Suiza den Zuschlag für den
neuen Schützenpanzer HS 30. Die Produktion
lief in Großbritannien und der Bundesrepublik,
die Gewinne blieben aber in Genf.
Schon der Prototyp wurde von den Prüfern mit
wenig schmeichelhaften Wertungen belegt: Fahrzeug zu hoch, Kampfraum zu kurz, Besatzung
ohne ausreichenden Platz, Heckausstieg fehlt und
Getriebe und Motor zu schwach und nicht geeignet.
Die Zeitschrift »Kampftruppen« schrieb im Jahr
1968 mit Blick auf die Entwicklung des deutschen Projekts MARDER: »Sicherlich hat [...]
der Schatten des HS 30 über der Entwicklung
des Schützenpanzers [...] gelegen und das war in
diesem Falle vielleicht ganz gut so.«
Was war mit dem »Schatten des HS 30« gemeint?
Die nächste Ausgabe der Militärgeschichte wird
sich mit dem Schützenpanzer HS 30 von den
Anfängen bis zum Scheitern des fertigen Projekts
– einem spannenden Thema der Rüstungswirtschaft – beschäftigen.
hb
»A
ls äußeres Zeichen gemeinsamer Pflichterfüllung im Dienst für Volk
und Staat stifte ich für Bataillone und
entsprechende Verbände Truppenfahnen in den Farben schwarz-rot-gold
mit Bundesadler.« So beginnt die am
18. September 1964 erlassene »Anordnung über die Stiftung der Truppenfahnen für die Bundeswehr«. Erst beinahe zehn Jahre nach Gründung der
Bundeswehr erhielten die Verbände
ihre offiziellen Truppenfahnen. 40 Jahre
nach deren Stiftung sind diese im
militärischen Zeremoniell zu einer
Selbstverständlichkeit geworden. Bei
der Aufstellung der Bundeswehr war
jedoch bewusst auf Truppenfahnen verzichtet worden. So sollte – im deutlichen Gegensatz zum »Dritten Reich«
– auf »militärisches Gepränge«, wie
Paraden, Wachaufzüge und Flaggenparaden, verzichtet werden. Denn man
wollte sowohl bei den Bündnispartnern als auch bei den politischen Gegnern der Wiederbewaffnung Erinnerungen an die Wehrmacht vermeiden.
Eine offizielle Enthaltsamkeit der Streitkräfte von traditionellen Formen und
Symbolen brachte jedoch auch gewisse
Gefahren mit sich. So hatte die Weimarer Republik die Ausstrahlungskraft
von militärischen Symbolen verkannt.
Dies führte dazu, dass die Soldaten
der Reichswehr auf die Truppenfahnen aus monarchischer Zeit zurückgriffen. Dadurch wurde jedes militärische Zeremoniell zu einer Demonstration der alten (vordemokratischen)
Ordnung. Auch in der jungen Bundeswehr behalf man sich bei feierlichen Anlässen mit Fahnen der Alten
Armee aus der Zeit vor November 1918
oder mit improvisierten Eigenkreatio-
nen. Durch die Stiftung eigener Truppenfahnen sollte diesem »Wildwuchs«
Einhalt geboten werden. Im Jahr 1964
erreichte die Bundeswehr die NATOSollstärke von 12 Divisionen. Die innere
Verfassung der Truppe wurde jedoch
durch den Wehrbeauftragten des Bundestags, Vizeadmiral a.D. Hellmuth
Heye, kritisiert. Die Stiftung der
Truppenfahnen fand also in einem
Umfeld statt, dass einerseits durch den
Abschluss der Aufbauphase der Bundeswehr, andererseits aber auch durch
die Suche nach dem »richtigen Geist
der Truppe« bestimmt war. Die Bundeswehr und ihre Einheiten sollten
nun über ein Symbol verfügen, dass
mit den Werten der Bundesrepublik
Deutschland in Einklang stand. Daher
stehen die gestifteten Truppenfahnen
für die demokratische rechtsstaatliche
Hoheit und Autorität der Bundesrepublik Deutschland, die Freiheit, die
soldatischen Tugenden, insbesondere
des treuen Dienens und der Tapferkeit, sowie für die Verbundenheit mit
dem deutschen Volk und die Kameradschaft innerhalb der Verbände.
Nachdem am 18. September 1964 die
Truppenfahnen durch den Bundespräsidenten Heinrich Lübke gestiftet
worden waren, übergab dieser am
7. Januar 1965 die erste Truppenfahne
stellvertretend für die gesamte Bundeswehr an das Wachbataillon in Bonn.
Der erste Fahnenträger der Truppenfahne war Feldwebel Alfred Kreuser.
Am 24. April 1965 wurden die Truppenfahnen durch den damaligen Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Ulrich
de Maizière, in Münster an Abordnungen der 319 Bataillone des Heeres übergeben. Während die Übergabezeremo-
bpa/Ludwig Wegmann
Truppenfahnen für die Bundeswehr
5
Übergabezeremonien: Übergabe von 19 Truppenfahnen an die Marine in Plön (oben). Ausmarsch der ersten Truppenfahne der Bundeswehr am 7. Januar 1965 in Bonn (unten).
nie für Heer und Luftwaffe gemeinsam
erfolgte, wurden die Truppenfahnen
der Marine auf dem Gelände der Marineunteroffizierschule in Plön übergeben. In der Woche vom 26. April bis
zum 3. Mai fanden die Übergaben an
die Bataillone statt. Die erste Truppenfahne der Bundeswehr ist längst
ausgemustert. Sie befindet sich heute
in den Beständen des Wachbataillons
beim Bundesministerium der Verteidigung in Berlin.
Als Symbol für die Integration der militärischen Macht in das Staatsgefüge
und deren Verpflichtung zum treuen
Dienen im Sinne der freiheitlichen
demokratischen Grundordnung ist die
ein Quadratmeter große schwarzrot-goldene Truppenfahne mit dem
gestickten Bundesadler und dem Eisernen Kreuz im Eichenlaubkranz an der
Spitze des Fahnenstockes Bestandteil
der eigenen Tradition der Bundeswehr.
aak
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2004
31
BMVg/SKA/IM2
Militärgeschichte im Bild
NEUE PUBLIKATIONEN DES MGFA
Themenfelder des Bandes:
Blockbildung und Blockkonfrontation.
Die DDR und ihr Militär im Kalten Krieg
Sicherheitsarchitektur und Streitkräfte.
Die DDR im Spannungsfeld zwischen
Fremd- und Selbstbestimmung
Im Auftrag der Partei.
Militär, Staat
und Gesellschaft
in der DDR
Forschungsfelder,
Ergebnisse, Perspektiven
Das Militär als Mittel der Herrschaftssicherung
im SED-Staat
Armee des Volkes?
Schnittflächen zwischen militärischer
und ziviler Gesellschaft in der DDR
Soldatsein im Sozialismus.
Lebenswelt und militärischer Alltag in der NVA
Kirche und Militär in der DDR.
Militär und Film in der DDR.
Vom Ende der Armee zum Neuanfang für
die Soldaten.
Im Auftrag des
Militärgeschichtlichen
Forschungsamtes
herausgegeben von
Hans Ehlert und Matthias Rogg,
Berlin: Ch. Links Verlag 2004,
X, 740 S.
(= Militärgeschichte der DDR, 8)
34,80
ISBN: 3-86153-329-4
Herunterladen