Tatort Schule - Verlag Deutsche Polizeiliteratur GmbH

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Tatort Schule
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Tatort Schule
Vorwort0
Impressum
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12/2017/x
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„Was hast du denn für blöde Klamotten an!“–
Mobbing und physische Gewalt an Schulen
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Wie können sich Lehrer vor Gewalt schützen? – Klare Grenzen
gegenüber psychischen und physischen Aggressionen
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„Schule gegen sexuelle Gewalt“ –
Eine Initiative für mehr Sicherheit in der Schule
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Aktiv werden und Courage zeigen –
Ein Netzwerk gegen Rassismus und Diskriminierung
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Streitschlichtung in Schulen –
Wenn Konfliktlösung auf Augenhöhe stattfindet
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Mit Hiphop zu mehr Lebenskompetenz –
Projekt „Kribbeln im Bauch“ erreicht Schüler
aus sozialen Brennpunkten
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Kriminalstatistik 2015 – Zusätzliche Angaben zu ausländerrechtlichen Verstößen ermöglichen differenziertere Aussagen
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Amokläufe an Schulen verhindern –
Psychologen suchen nach Ursachen und Präventionsstrategien
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Für mehr Sicherheit in Schulen –
Aktives Vorgehen der Polizei beim Amoklauf
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Runtergeladen, rumgezeigt und weitergeleitet –
Gewaltvideos im Schulalltag und wie man damit umgeht
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Wenn Mobbing keine Grenzen kennt –
Der Einfluss des Internets auf die Gewalt an Schulen
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Prävention von Cybermobbing im Schulkontext –
Schüler werden zu Medienhelden
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Vorwort
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deutsche Schulen sind gute Lernorte. Die Kollegien, die Schulleitungen, die Schulämter und die deutschen Bildungsministerien stellen neben dem Vermitteln von Wissen das Erlernen von sozialer Kompetenz
in den Mittelpunkt des schulischen Alltags. Viele Schülerinnen und
Schüler absolvieren ihre Schulzeit zielstrebig und ergebnisorientiert.
Gemeinsame Projektwochen und Klassenfahrten, mit viel Engagement vorbereitete Schultheater- und Musicalaufführungen, leistungsfördernde Wettbewerbe von den Bundesjugendspielen bis zu „Jugend
forscht“, feierliche Zeugnisübergaben und festliche Abi-Bälle zeichnen
ein positives Bild unserer Bildungslandschaft.
Doch wo Menschen aufeinandertreffen, bleiben Konflikte nicht aus.
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Die größten Herausforderungen
In der Schule sehen wir kritische Entwicklungen, die die ganze Gesellschaft betreffen, wie in einem Brennglas vergrößert. Die wachsende
Respektlosigkeit gegenüber Funktionsträgern unseres Staates, die
etwa Polizeibeamten entgegenschlägt, erfahren auch Lehrerinnen
und Lehrer. Außerdem ist das Smartphone zum wichtigsten Alltagsbegleiter von Schülerinnen und Schülern geworden. Wenn es etwa
gezielt zum Wissenserwerb und zu Recherchezwecken im Kontext
des Unterrichts herangezogen wird, bietet sein Einsatz in der Schule
Chancen. Doch die Risiken sind ebenso offensichtlich: So können sich
Mobbingnachrichten enorm schnell über Chats und soziale Kommunikationsplattformen verbreiten. Auf ihren Smartphones werden die
Schülerinnen und Schüler auch mit Spielen und Videos konfrontiert,
die Gewalt oder Sexualität thematisieren oder extremistische Weltanschauungen propagieren. Ein ungefilterter Konsum öffnet das Tor
zu ihrer Radikalisierung. Eine Entwicklung, die im Extremfall in einen
Amoklauf oder in einen politisch motivierten Anschlag münden kann.
Informationen aus erster Hand
Wie kann man dem Thema Gewalt an der Schule präventiv begegnen?
Und wie geht man angemessen damit um, wenn die Schule zum Tatort
geworden ist? Wie können alle Akteure dazu beitragen, dass Schulen
gute Lernorte bleiben? Dazu haben wir verschiedene Expertinnen und
Experten befragt.
So haben wir mit dem Schulpsychologen Klaus Seifried über die Ursachen von Gewalt in der Schule gesprochen. Jürgen Böhm, der Bundesvorsitzende des Verbands Deutscher Realschullehrer, gab uns
Auskunft zu dem tabubesetzten Thema „Gewalt gegen Lehrer“. Johannes-Wilhelm Rörig von der Initiative „Schule gegen sexuelle Gewalt“
sprach mit uns über die Prävention sexueller Übergriffe an Schulen.
Sanem Kleff von der Initiative „Schule ohne Rassismus“ erklärte uns
das Erfolgsgeheimnis ihres Ansatzes. Mit der Grundschullehrerin Monika Karsten aus Regensburg unterhielten wir uns über das spannende Thema „Streitschlichtung“ an Schulen. Der Psychologe Mirko Allwinn aus Darmstadt erläuterte uns die aktuelle Situation zum Thema
„Amoklauf an Schulen“. Sascha Braun, der Justiziar der Gewerkschaft
der Polizei (GdP), beleuchtete das Thema aus Sicht der Polizei. Schließlich stellen wir Ihnen das an der Freien Universität Berlin erarbeitete
Präventionsprojekt „Medienhelden“ vor, das sich gegen Cyber-Mobbing und für die Förderung eines verantwortungsvollen Umgangs von
Kindern und Jugendlichen mit neuen Medien einsetzt.
Durch unsere Recherchen haben wir gelernt: Es bestehen genügend
Chancen und Strategien, um Gewalt an Schulen erfolgreich zu begegnen. Man muss die Probleme allerdings erkennen, benennen und alle
Beteiligten dafür sensibilisieren. Denn nur gemeinsam wird man dauerhafte gewaltfreie Lösungen finden können. WL
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„Was hast du
denn für blöde
Klamotten an!“
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Mobbing und physische Gewalt an Schulen
Manchmal ist es der gemeine Spruch, manchmal auch der Tritt vor das Schienbein: Gewalt im Schulkontext hat
viele Gesichter. Nicht selten leiden die Betroffenen stark unter den verbalen und körperlichen Attacken der Mitschülerinnen und Mitschüler. Dabei sind Hänseleien und physische Auseinandersetzungen kein neues Phänomen.
Lediglich die Formen und der Umgang mit Gewalt haben sich verändert, wie Klaus Seifried, Mitglied des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen, erklärt. Die Redaktion von „Tatort Schule“ sprach mit dem
ehemaligen Schulpsychologiedirektor über die Ursachen von Gewalt im schulischen Kontext und wie das Gewaltpotential durch präventive Maßnahmen und Aufklärungsarbeit verringert werden kann.
Die Medien vermit- Von der Stichelei bis zur Schlägerei
teln ein falsches Bild In Schulen lässt sich jede Art von Gewalt finden. So reicht die Palette
milanares/Fotolia.com
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„Immer wenn Menschen auf engem
Raum zusammen sind, entstehen
Konflikte und es kommt auch zu Gewalt. Davon sind Schulen nicht ausgenommen“, stellt Klaus Seifried zu
Beginn des Interviews klar. Dass das
Gewaltpotential der Schülerinnen
und Schüler heutzutage höher ist
als früher, dementiert der Experte
Klaus Seifried
gleich im Anschluss: „Die Medien
Berufsverband Deutscher
haben in der Vergangenheit immer
Psychologinnen und Psyhäufiger von Auseinandersetzungen
chologen Foto: privat
an Schulen berichtet. Dadurch gewinnt man den Eindruck, dass die Gewaltbereitschaft der Kinder und
Jugendlichen in den letzten Jahren gestiegen ist. Das ist jedoch nicht
der Fall.“ Vielmehr hat sich der Umgang mit dem heiklen Thema verändert. Wurden Probleme im Schulalltag früher häufig totgeschwiegen,
können Lehrkräfte diese heute viel offener gegenüber dem Kollegium
oder der Schulleitung ansprechen. „Das ist ein Zeichen, dass man jetzt
viel genauer hinschaut. Wir vom Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen werten das als großen Erfolg“, führt Seifried
weiter aus.
von einfachen Formen des Mobbing über Bedrohung bis hin zu polizeilich relevanten Straftaten. „Aber das ist eher die Ausnahme“, betont
Klaus Seifried. Im Vergleich zu vielen anderen Umfeldern ist die Schule
seiner Meinung nach ein vergleichsweise friedlicher Ort. Vor allem in
sozialen Brennpunkten stellt sie den stabilen Faktor im Leben eines
Kindes oder Jugendlichen dar – nicht die Familie oder das Viertel, in
dem man wohnt. Auch wenn es immer wieder zu verbalen und körperlichen Angriffen durch Mädchen kommt, ist Gewalt an Schulen überwiegend ein Thema, das Jungs betrifft. „Das sieht man alleine schon
an den Strafanzeigen. Dabei handelt es sich meist um männliche Täter“, so der Experte. Ob die fiese Bemerkung über die Kleidung schon
als Mobbing bezeichnet werden kann oder der Schubser gegen die
Wand schon körperliche Gewalt darstellt, entscheidet nach Meinung
des ehemaligen Schulpsychologiedirektors immer das Opfer, nicht der
Täter. Fühlt sich der oder die Betroffene daraufhin angegriffen oder
bedroht, kann man von psychischer oder physischer Gewalt sprechen.
Das Netz als Multiplikator von Gewalt
Auch wenn sich die Gewaltbereitschaft der Kinder und Jugendlichen
nicht erhöht hat, sind die psychischen Auswirkungen für das Opfer
heutzutage oft viel verheerender. Grund dafür sind nach Aussage Seif-
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Mobbing und physische Gewalt an Schulen
rieds das Internet und die sozialen Medien: „Wenn früher auf dem
Schulhof oder dem Nachhauseweg jemand verprügelt wurde, ist er
oder sie nach Hause gelaufen und es war zu Ende. Heutzutage wird so
etwas häufig mit dem Handy gefilmt und bei YouTube hochgeladen.
Dann haben es nicht nur die vier oder fünf Umstehenden gesehen,
sondern alle Anderen auch.“ Zudem sind die Inhalte dadurch meist
über einen langen Zeitraum abrufbar. Das Beispiel lässt sich auch auf
Mobbing übertragen. So werden fiese Bilder und gemeine Sprüche
über den Außenseiter oder die neue Mitschülerin gerne per WhatsApp oder Facebook an die ganze Klasse geschickt. Somit endet die Gewalt heute nicht mehr mit Verlassen des Schulgeländes, sondern wird
in die Öffentlichkeit übertragen. Das kann dramatische Folgen für die
Opfer haben. „Nicht selten führt so etwas zu massiven persönlichen
Krisen der betroffenen Kinder und Jugendlichen“, so Klaus Seifried.
Misserfolge fördern die
Gewaltbereitschaft
Opfer schützen und Täter integrieren
Kommt es zu Gewalt an Schulen, sollten Lehrerinnen und Lehrer, aber
auch die Schulleitung schnell und entschieden reagieren. Denn die Kinder und Jugendlichen müssen merken, dass das Problem ernst genommen wird und solche Auseinandersetzungen nicht geduldet sind. So
sollte zum einen sichergestellt sein, dass das Opfer künftig vor weiteren Angriffen geschützt ist. Auf der anderen Seite muss versucht werden, den Täter nicht einfach nur zu bestrafen, sondern auch wieder in
die soziale Gemeinschaft zu integrieren diesem und eine zweite Chance zu geben. „Das ist eine schwierige Aufgabe“, gibt Klaus Seifried zu.
„Man muss genau abwägen, in wieweit Maßnahmen wie die Versetzungen in eine andere Klasse oder Schule wirklich sinnvoll sind. Denn
damit ist das Problem nicht gelöst. Häufig sind die Kinder und Jugendlichen auch in den neuen Klassen noch verhaltensauffällig. Manchmal
sogar mehr als vorher“, so der Experte weiter. Viel wichtiger als den
Täter zu versetzen ist nach seiner Meinung ein Täter-Opfer-Ausgleich.
Handelt es sich beispielsweise um einen Mobbingvorfall im Internet,
muss sich der Täter dort beim Opfer entschuldigen. Aus pädagogischer
Sicht geht es beim Täter-Opfer-Ausgleich darum, einen Fehler einzugestehen und zu versuchen, diesen ein Stück weit wieder gutzumachen.
„Das ist sehr viel wichtiger als ein Klassen- oder Schulverweis. Kinder
und Jugendliche sind nicht so nachtragend wie Erwachsene. Eigentlich
sind sie froh, wenn sich jemand entschuldigt. Dabei muss es sich aber
um eine ehrliche Entschuldigung handeln“, führt Seifried weiter aus.
Vor allem in schwereren Fällen von Gewalt fühlen sich Lehrerinnen
und Lehrer häufig überfordert. Daher rät der Experte dazu, sich bei
Bedarf Hilfe bei der Schulleitung und den Schulpsychologen bzw. den
schulpsychologischen Beratungsstellen zu suchen. Zudem besteht immer die Möglichkeit, einen Präventionsbeauftragten der Polizei hinzuzuziehen. Diese können die betroffenen Lehrerinnen und Lehrer ausführlich zum Thema informieren und beraten. „Zudem hat es meist
eine große Wirkung auf die Kinder und Jugendlichen, wenn Polizisten
in Uniformen in die Klasse kommen und zum Beispiel an einer Klassenkonferenz teilnehmen, die aufgrund einer solchen Problemsituation
einberufen wurde“, fügt Seifried hinzu.
Uwe Grötzner/Fotolia.com
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Fragt man nach den Ursachen von Gewalt an Schulen, spielt nach Meinung des ehemaligen Schulpsychologiedirektors die persönliche
Leistung von Schülerinnen und Schülern eine große Rolle:
„Wenn sie über Jahre hinweg keinerlei Erfolgserlebnisse in der Schule oder im Lernen haben, suchen
sie sich Bereiche, in denen sie erfolgreich
sind. Gehöre ich in meiner Klasse immer
zu den Schlechtesten, bin ich vielleicht
der Star in meiner Jugendgang, wenn
ich jemanden verprügelt habe.“ Dass
Gewalt in der Regel häufiger bei
Schulformen wie der Hauptschule vorkommt, liegt nach Aussage
des Experten nicht am Schultyp,
sondern daran, dass hier eher
Schülerinnen und Schüler zu finden sind, deren schulische Leistungen ungenügend sind. Das
bedeutet jedoch nicht, dass es an
Gymnasien keine Gewalt gibt, stellt
Seifried klar: „Hier ist es meist nicht
die offene Auseinandersetzung oder
die Prügelei. Teilweise können wir hier
jedoch massive Formen des Mobbings
beobachten. Davon haben die Eltern und
die Lehrkräfte meist gar keine Ahnung.“ Das
Klischee des gewaltbereiten Migrantenkindes
stimmt seiner Ansicht nach nicht. „Der Migrationshintergrund alleine ist kein Grund für Gewalttätigkeit. An
deutschen Schulen gibt es sehr gute Schüler, deren Eltern aus anderen Ländern kommen und trotzdem Spitzenleistungen in der Schule bringen“, so der Experte. Das Problem liegt seiner Meinung nach
eher bei der sozialen Schicht: „Wenn ich schon durch mein Elternhaus
mit Arbeitslosigkeit vertraut bin und ich weiß, dass ich keinen Schulabschluss schaffe, dann ist mit oft alles egal. Dann kann ich mich auf
der Straße und eben auch auf dem Schulhof bewähren.“ Auch wenn
Kinder und Jugendliche durch die Eltern oder die Geschwister mit
Gewaltbereitschaft vertraut sind, steigt das Aggressionspotential. Zusätzlich zum sozialen Umfeld spielt auch die Persönlichkeit eine Rolle.
So neigen nach Aussage Seifrieds Kinder und Jugendliche häufiger zu
Gewalt, wenn sie selber ängstlich sind: „Sie kompensieren ihre Unsicherheit und die eigenen Ängste, indem sie in der Gruppe agieren.
Hier spüren sie plötzlich Macht und Anerkennung, wenn sie gemeinsam auf jemanden losgehen.“
Präventionsmaßnahmen
in Schulen etablieren
Durch gezielte pädagogische Maßnahmen lässt sich das Gewaltpotential an Schulen verringern. Neben klaren Strukturen und Erziehungsregeln rät Seifried, den Schülerinnen und Schülern immer wieder die
Möglichkeit zu geben, Erfolge zu erleben: „Das muss nicht der Matheunterricht sein, das kann auch die Fußballmannschaft, die Theater-AG
oder die Werkstatt sein.“ So müssen die Heranwachsenden von Seiten
des Lehrpersonals auf der einen Seite immer das Gefühl vermittelt bekommen, ernstgenommen und wertgeschätzt zu werden. Auf der anderen Seite sollten jedoch immer auch klare Grenzen aufgezeigt werden. „Das geht aber nicht über die Angst vor dem Lehrer sondern über
Disziplin und positive Autorität“, so der Experte. Auch soziales Training
trägt dazu bei, das Aggressionspotential zu minimieren und das Miteinander zu stärken. Zudem ist es wichtig, dass Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit haben, Konflikte zu thematisieren. Dies lässt sich
beispielsweise in Form eines regelmäßig stattfindenden Klassenrats
umsetzen. Hier können die Kinder und Jugendlichen gemeinsam über
Vorfälle von Gewalt sprechen und nach Lösungen suchen. MW
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Wie können sich Lehrer vor
Gewalt schützen?
Klare Grenzen gegenüber psychischen
und physischen Aggressionen
Keine Toleranz
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Die Schule sollte ein Ort des Respekts und des friedlichen Miteinanders sein. Weder verbale Entgleisungen noch
tätliche Angriffe dürfen von den Lehrkräften akzeptiert werden. Doch in einer im letzten Jahr veröffentlichten ForsaUmfrage, bei der im Auftrag des Verbands Bildung und Erziehung e.V. (VBE) bundesweit insgesamt 1.951 Lehrer an
allgemeinbildenden Schulen in Deutschland interviewt wurden, bestätigen 55 Prozent der Befragten, dass sie in
ihrem Umfeld in den letzten fünf Jahren Fälle psychischer Gewalt gegen Lehrkräfte erlebt haben. 21 Prozent berichten von Fällen physischer Gewalt. Dabei ging die körperliche Gewalt in der Regel von Schülern aus. Was können
Lehrerinnen und Lehrer gegen Regelmissachtungen und rohe Verhaltensweisen im Schulalltag unternehmen?
Woodapple/Fotolia.com
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„Manches wird als dummer Schulstreich bezeichnet, auch wenn es
längst kein Streich mehr ist“, betont
Jürgen Böhm, Bundesvorsitzender
vom Verband Deutscher Realschullehrer (VDR). Gegenüber jeglicher
Form von Gewalt dürfe man keine
falsche Toleranz walten lassen. Es
gehört zwar durchaus zum jugendtypischen Verhalten dazu, die Grenzen
des Gegenübers – ob nun der Eltern
Jürgen Böhm
oder der Erzieher – auszutesten. AlVorsitzender des
lerdings können schon verbale
Verbandes Deutscher
Angriffe einen Menschen
Realschullehrer Foto: BRLV
tief verletzen. Deshalb müssen Lehrkräfte ihren Schülerinnen und
Schülern klarmachen, dass verbale Entgleisungen und rohe Gewalt weder auf dem Schulhof,
noch im Klassenzimmer geduldet werden.
Böhm meint: „Diese Aufgabe können die
Lehrerinnen und Lehrer aber nicht alleine
leisten. Bildung muss immer im gesamtgesellschaftlichen Kontext gesehen werden.
Auch die Familie spielt eine entscheidende Rolle und das soziale Umfeld, aber auch
eine stabile gesellschaftliche Situation.“
rität infrage stellt. Die Schülerinnen und Schüler müssen lernen, dass
sie sich untereinander und anderen Erwachsenen gegenüber mit Respekt begegnen. Böhm nimmt hier auch die Eltern in die Pflicht: „Der
Lehrer sollte keinesfalls zum Freiwild erklärt werden.“ Wenn in der
Familie schon beim Abendessen über den Lehrer hergezogen werde,
torpediere das auch die Bemühungen der Schule als Institution, den
Kindern klare Verhaltensnormen beizubringen.
Eine riesige Herausforderung sind für die Lehrkräfte zudem die neuen
Medien, die fest in der Lebenswelt junger Heranwachsender verankert sind und über deren Nutzung die Eltern und Erzieher oft nur eingeschränkt Kontrolle haben. Längst ist die Schule kein abgeschotteter
Raum mehr, sondern steht im Mittelpunkt der Gesellschaft. Böhm
versteht die daraus entstehenden Probleme vielmehr als Herausfor-
Lehrer nicht zum
Freiwild erklären
Es ist sicherlich keine leichte Aufgabe für die
Lehrkräfte, die Schülerinnen und Schüler täglich
für neue Themen zu begeistern, ihnen die Grundwerte einer demokratischen Gesellschaft zu vermitteln
und zugleich darauf zu achten, dass kein Schüler ihre Auto-
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Wie können sich Lehrer vor Gewalt schützen?
Mit Bildung zum Erfolg
Fallbeispiel:
Schulleiter und Hausmeister verprügelt
In Winsen/Aller gerät im Dezember 2015 ein 14-jähriger
Schüler in Streit mit seiner Lehrerin und wird deshalb zum
Gespräch mit dem Rektor bestellt. Bei dem klärenden
Gespräch bekommt der Schüler einen derart heftigen Wutausbruch, dass er auf den Schulleiter einprügelt.
Dieser holt den Hausmeister hinzu, der ebenfalls von dem wütenden Schüler geschlagen wird. Der Rektor sieht sich veranlasst,
die Polizei zu rufen. Beide werden durch
die Schläge des rabiaten Schülers leicht
verletzt.
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In Niedersachsen soll während einer Klassenfahrt des Gymnasiums Bad Pyrmont im Herbst 2014 ein damals 14-jähriger Gymnasiast seinen Lehrer mit einem Schnürsenkel
gewürgt und ihn in den Schwitzkasten genommen haben.
Der Lehrer hatte ihm zuvor das Mobiltelefon
abgenommen. Der Fall landete vor Gericht
und der Schüler wurde im Sommer 2016
zu Sozialstunden verurteilt. Dennoch
zeigen solche Fälle, dass viele Lehrer mit
tätlichen Angriffen und Respektlosigkeit
der Schüler konfrontiert werden.
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Gewaltausbrüchen entgegentreten
Fallbeispiel:
Brutale Attacke auf der Klassenfahrt
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derung für die Pädagoginnen und Pädagogen: „Wir leben in einer digitalisierten Welt und auch in digitalen Räumen oder im privaten Zuhause entstehen Konflikte. Die Schule muss den bewussten Umgang mit
sozialen Netzwerken vermitteln.“ Schließlich könne verbale Gewalt
auch dort stattfinden. Böhm glaubt dennoch fest an die Möglichkeit
von Bildung und Erziehung. Viele Eltern seien sehr engagiert und offen
gegenüber Aufklärungsbestrebungen: „Was im Unterricht vermittelt
wird, muss auch an die Eltern weiter transportiert werden. Darin sehe
ich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“
Strafrechtlich kann gegen Gewalt gegenüber Lehrkräften bislang kaum
vorgegangen werden, denn für einen Straftatbestand muss eine Strafmündigkeit vorliegen. Kinder unter 14 Jahren können strafrechtlich allerdings nicht belangt werden. Die Lehrkräfte sollten daher die erzieherischen Maßnahmen, die ihnen zur Verfügung stehen, konsequent
nutzen: Eine Ermahnung, das Ausschließen eines Schülers oder einer
Schülerin vom Unterricht oder die schriftliche Benachrichtigung der
Eltern. Helfen solche Maßnahmen nicht, droht in letzter Konsequenz
der Schulverweis. Allerdings sollten auch die Rahmenbedingungen des
Schul- und Bildungssystems verbessert werden. Böhm sieht deshalb
auch die Politik gefordert, mehr in die Bildung zu investieren: „Die
Rahmenbedingungen an den Schulen müssen sich unbedingt der Situation anpassen. Deshalb brauchen wir Unterstützung durch zusätzliches pädagogisches Personal. Auch in der Digitalisierung gibt es noch
einigen Nachholbedarf“, mahnt Böhm. Die Bildungspolitik habe zwar
in vielen Bundesländern Reformen angestrengt, es sei aber auch gespart worden.
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Die Probleme, aufgrund derer es zu Gewaltausbrüchen kommt, können häufig aus dem Elternhaus oder aus der Jugendclique kommen.
Der Schulhof ist dann nur der Austragungsort von Frust und Gewalt.
Am besten ist es, wenn die Lehrkraft von Anfang an versucht, ein gutes Verhältnis zu den Schülern aufzubauen, damit solche Situationen
gar nicht erst entstehen. Falls ein Lehrer mit Gewalt konfrontiert wird,
sollte er sich auf keinen Fall provozieren lassen und entsprechende
Sanktionen verhängen. Um herauszufinden, warum sich der Schüler
oder die Schülerin dem Lehrer gegenüber so verhalten hat, hilft es, die
eigene Betroffenheit über die Situation auszudrücken und nach dem
Grund für die Ausschreitung zu fragen. Die Lehrkräfte müssten während ihrer Ausbildung auf solche Situationen vorbereitet werden, fordert Böhm. „Der Lehrer sollte eine offene Persönlichkeit sein und sich
mit den Schülern entsprechend offen auseinandersetzen. Das kann
auch in Gesprächstrainings geübt werden. Je offener der Umgang ist
und je offener die Gesellschaft ist, desto mehr kann man Gewaltausbrüchen entgegentreten“, ist der VDR-Bundesvorsitzende überzeugt.
Fallbeispiel:
Eskalation beim Streitschlichtungsgespräch
Am Goethe-Gymnasium Ludwigslust eskaliert im Mai 2014
ein Gespräch zur Streitschlichtung, nachdem ein 14-jähriger
Schüler während des Gesprächs die Beherrschung verliert
und auf die Lehrerin eintritt. Die Lehrerin wird
getroffen und geht sofort zu Boden. Die
Pädagogin muss vorsorglich zur Beobachtung ins Krankenhaus gebracht werden.
Der Neuntklässler wird daraufhin in der
Dienststelle in Ludwigslust von der Polizei vernommen.
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Klare Verhaltensnormen vermitteln
Die Lehrkräfte an den Schulen müssten klare Verhaltensnormen vermitteln und deren Einhaltung auch einfordern. Die Schulen vermitteln
die Grundwerte einer freien und demokratischen Gesellschaft. Daher
muss jegliche Form psychischer und physischer Gewalt gegen Lehrkräfte unterbunden werden. Sowohl die Lehrerinnen und Lehrer, die
Schulleitungen, aber auch die Gesellschaft müssen an einem Strang
ziehen, um gegen Gewalt klare Kante zu zeigen. Grundsätzlich hält
Böhm an den Potenzialen des deutschen Schul- und Bildungssystems
fest: „Wir leben in einer sehr chancenreichen Gesellschaft und die
Möglichkeiten für junge Menschen, durch Bildung zum Erfolg zu kommen, sind so gut wie nie zuvor. Wir haben ein qualitativ sehr gutes und
differenziertes Schulwesen in Deutschland.“ Er empfiehlt, aufgrund
von Studien keine schnellen Schlussfolgerungen zu ziehen. Schulkinder seien nicht per se gewalttätiger geworden: „Gerade im ländlichen
Bereich gibt es nicht solche starken Auseinandersetzungen wie in
städtischen Milieus.“ Eine differenziertere Sicht der Dinge sei daher
durchaus angebracht. Trotzdem darf das Problem nicht auf die leichte
Schulter genommen werden. Wenn es zu psychischer oder physischer
Gewalt gegenüber Lehrkräften kommt, müssen klare Grenzen gesetzt
werden. Dafür braucht es von allen Seiten einen Konsens darüber,
dass Gewalt in unserer Gesellschaft keinen Platz haben darf. AL
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