Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung: Besitz

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OLG München, Beschluss v. 16.12.2013 – 1 Ws 1109/13, 1 Ws 1110/13
Titel:
(Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung: Besitz kinderpornographischer Schriften
als schwerwiegende Störung des Rechtsfriedens; Anforderungen an die
Wahrscheinlichkeit der Legalbewährung)
Normenketten:
§ 57 Abs 1
§ 176a Abs 2 Nr 1
§ 184b Abs 4
Leitsätze:
1. Der Besitz kinderpornographischer Schriften gem. § 184b Abs. 4 StGB kann - jedenfalls wenn
diese den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern gem. § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB zum
Gegenstand haben - trotz der vergleichsweise geringen gesetzlichen Strafandrohung eine
schwerwiegende Störung des Rechtsfriedens und damit eine erhebliche Straftat darstellen.
2. Drohen vom Verurteilten bei einem möglichen Rückfall in delinquentes Verhalten (mindestens)
solche Taten, führt dieser Umstand im Rahmen der Entscheidung über eine Reststrafenaussetzung
zur Bewährung zu erhöhten Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit der Legalbewährung.
Schlagworte:
Allgemeinheit, Besitz kinderpornographischer Schriften, Besitzverschaffung, delinquentes
Verhalten, drohende Straftaten, drohende Taten, erhebliche Straftat, erhöhte Anforderung, Gefahr,
Gegenstand, günstige Legalprognose, kinderpornographische Schriften, Kindesmissbrauch,
Legalbewährung, negative Legalprognose, Rechtsfrieden, Rückfall, schwerer sexueller Missbrauch,
schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, schwerwiegende Störung, Strafaussetzung zur
Bewährung, Strafrestaussetzung, Wahrscheinlichkeit, Zweidrittelverbüßung
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 20.11.2013 gegen den Beschluss der
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts vom 12.11.2013 wird als unbegründet verworfen.
2. Der Verurteilte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
1
Wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit versuchtem Betrug in Tatmehrheit mit Besitz
kinderpornographischer Schriften verurteilte das Landgericht … den Beschwerdeführer am
22.12.2011 (unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus der Verurteilung durch den Strafbefehl des
Amtsgerichts … vom 07.07.2010) zu einer unbedingten Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 6 Monaten
und (unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts …. vom 24.10.2011) zu einer
weiteren unbedingten Freiheitsstrafe von 1 Jahr 6 Monaten.
2
Im Übrigen sprach das Landgericht den Beschwerdeführer frei. Von einer Unterbringung des
Beschwerdeführers gem. § 63 StGB sah die Strafkammer ausdrücklich ab.
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Nachdem der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 26.06.2012 auf die Revision der Staatsanwaltschaft
hin das vorgenannte Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben hatte, soweit die
Strafkammer von einer Unterbringung des Beschwerdeführers nach § 63 StGB abgesehen hatte,
verhandelte das Landgericht im Umfang der Aufhebung den Sachverhalt erneut und sah mit Urteil
vom 21.01.2013 wiederum von einer Unterbringung des Beschwerdeführers gem. § 63 StGB ab.
4
Das Strafverfahren ist seit 28.01.2013 rechtskräftig abgeschlossen. Hinsichtlich der Einzelheiten
wird auf die vorgenannten Urteile Bezug genommen.
5
Der Beschwerdeführer verbüßt die beiden verfahrensgegenständlichen Freiheitsstrafen derzeit in
der JVA … . Der gemeinsame Zweidrittelzeitpunkt wird am 21.12.2013 und das Strafende am
23.12.2014 erreicht sein.
6
Durch den angefochtenen Beschluss vom 12.11.2013 hat die Strafvollstreckungskammer des
Landgerichts … die weitere Vollstreckung des jeweils letzten Drittels der beiden Freiheitsstrafen
nicht zur Bewährung ausgesetzt und hat ein weiteres Reststrafengesuch vor Ablauf von 6 Monaten
für nicht zulässig erklärt.
7
Gegen diese ihm am 20.11.2013 zugestellte Entscheidung hat der Verurteilte mit Schreiben vom
20.11.2013, eingegangen bei Gericht am 22.11.2013, sofortige Beschwerde eingelegt, wobei er sein
Rechtsmittel zugleich begründete.
II.
8
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene
Entscheidung entspricht der Sach- und Rechtslage.
9
Der Senat teilt die Auffassung des Erstgerichts und tritt den Gründen der angefochtenen
Entscheidung bei.
10
Das Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, zu einer abweichenden Beurteilung der (negativen)
Legalprognose des Verurteilten zu gelangen.
11
Der vielfach vorbestrafte Beschwerdeführer konnte oder wollte im Verfahren 2 Ds 12 Js 14457/05
weder die originäre Strafaussetzung zur Bewährung, noch die (nach Bewährungswiderruf und
Teilvollstreckung) gewährte Reststrafenaussetzung zur Bewährung nutzen, um zu einer künftig
straffreien Lebensführung zu gelangen. Er darf daher durchaus als Bewährungsversager bezeichnet
werden.
12
Auch frühere Strafhaftzeiten haben ihn bislang nicht von neuen Straftaten abgehalten. Ganz
offensichtlich kann oder will er sein Leben nicht so gestalten, dass es in Freiheit nicht zu der
Begehung weiterer Straftaten kommt, weswegen durch weiteren Strafvollzug versucht werden muss,
eine entsprechende Bereitschaft zu gesetzestreuem Verhalten beim Beschwerdeführer zu erreichen
bzw. zu fördern.
13
Nach der Einschätzung des Sachverständigen Dr. H. in seinem schriftlichen, im Erkenntnisverfahren
erholten und bei den Akten befindlichen Gutachten vom 28.06.2011 besteht beim Beschwerdeführer
der hochgradige und gut begründete Verdacht einer sexuellen Devianz, und zwar einer fixierten
Pädophilie, wobei es sich nicht nur um eine "pädophile Nebenströmung", sondern um eine
"Kernpädophilie" handelt.
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Das Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, die fundierte Einschätzung des dem Senat langjährig
als sehr sorgfältig bekannten Sachverständigen zu relativieren.
15
Der Senat gelangte insoweit nach kritischer Überprüfung der Ausführungen des Sachverständigen
und nach nochmaliger Überprüfung der Urteilsfeststellungen zu dem beim Beschwerdeführer im
gegenständlichen wie auch in einem früheren Strafverfahren gesicherten kinderpornographischem
Material sowie bei nochmaliger Würdigung seiner dokumentierten Kontaktaufnahmeversuche zu
Kindern zu der Überzeugung, dass beim Beschwerdeführer von einer Kernpädophilie auszugehen
ist und nicht nur der begründete Verdacht besteht.
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Hinzu kommt in diesem Zusammenhang als prognostischer Negativ-Verstärker, dass beim
Beschwerdeführer eine Persönlichkeitsakzentuierung mit vor allem selbstunsicheren, ängstlichen
und kontaktgehemmten Zügen vorliegt. Auch hier teilt der Senat nach kritischer Prüfung die
Einschätzung des Sachverständigen. Eine solche Persönlichkeitsstruktur findet sich häufiger bei
Straftätern, die Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern begehen.
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Insbesondere auch aufgrund des Therapieverlaufs in der aktuellen Strafhaft sieht der Senat
prognostisch die große Gefahr neuer Straftaten, die sich gegen die Integrität von Kindern richten.
18
Der im gegenständlichen Verfahren abgeurteilten Urkundenfälschung mit versuchtem Betrug
(Tatzeitraum: 15.08. bis 15.10.2008) liegt zugrunde, dass sich der Beschwerdeführer mittels eines
gefälschten Zeugnisses eine Anstellung in einem Montessori-Kindergarten in F. erschleichen wollte.
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Offensichtlich wollte er hierdurch den Objekten seiner sexuellen Phantasien auch physisch näher
kommen.
20
Aus dem Urteil vom 21.01.2013 ergibt sich darüber hinaus, dass der Beschwerdeführer nicht nur
versuchte, in dem vorgenannten Montessori-Kindergarten eine Anstellung zu bekommen und damit
in die Nähe von Kindern zu gelangen, er versuchte dies offensichtlich auch noch in mindestens zwei
weiteren Fällen (erfolglos): 2008 in einem Waldkindergarten in T. und 2009 in einem weiteren
Waldkindergarten in F.
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Darüber hinaus begann er 2008 einen SMS-Kontakt mit einem Mädchen namens „J.", von dem
altersmäßig nur bekannt ist, dass das Mädchen 2008 konfirmiert wurde. Zu einem - bereits
verabredeten (!) - Treffen mit diesem Mädchen kam es nicht.
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Im Jahr 2010 hinterließ der Beschwerdeführer auf einer Bank, auf der, wie ihm bekannt war, eine
Neunjährige häufig las, ein Geschenk für diese, dem er eine Karte mit der Aufschrift "Kamasutra Die Vielfalt der Liebeskunst" beigab.
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Handschriftlich wandte er sich darin an das Mädchen unter der Anrede "Dear little girl, süßes
Mädchen" und forderte das Mädchen auf, ihm zurückzuschreiben. Die Karte unterzeichnete er mit
"Dein Leckerlimon". Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Urteil vom 21.01.2013 Bezug
genommen.
24
Ein vergleichbarer Vorfall lag dem im Urteil vom 22.12.2011 erfolgten Teilfreispruch zu Grunde.
25
Hier hatte der Beschwerdeführer nach den Feststellungen der Strafkammer einem 8-jährigen
Mädchen ein Lillifee-Freundebuch geschenkt, in dem er u. a. seine Anschrift, seine telefonischen
Erreichbarkeit und unter der Rubrik "was ich auf eine einsame Insel mitnehmen würde" eingetragen
hatte: "Dich, ein Glas Rotwein, ein Lachen im Herzen". Ergänzt wurde dieses "Geschenk" noch
durch eine rosa Mädchenunterhose mit Feen-Gestalt und einen roten Damen-String-Tanga mit
Snoopy-Figur. Die Unterwäsche war jeweils verpackt in einer leeren Plastikverpackung eines sog.
"Ed von Schleck"-Speiseeises.
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Bei seiner polizeilichen Vernehmung am 04.11.2011 erklärte der Beschwerdeführer ausweislich des
vorgenannten Urteils auf die Frage der Polizeibeamtin, ob er sich mittels der bei ihm gefundenen
Bilder selbst befriedige, dass ihn das langweile. Er wolle mal "richtig durchknattern", wenn mal ein
Kind in seine Wohnung komme, "ficke er es in den Arsch ". Diesbezüglich äußerte er weiter: Warum
soll denn ein sexueller Kontakt nicht erlaubt sein, wenn es im gegenseitigen Einverständnis ist. Er
sei dafür.
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Aber auch bereits dann, wenn der Verurteilte "nur" erneut einen Besitz von kinderpornographischen
Schriften begehen sollte, wäre der Rechtsfrieden ganz erheblich gestört. Denn die Dateien mit
kinderpornographischen Darstellungen, die der Beschwerdeführer bislang besessen hat, sind
bereits im Hinblick auf den festgestellten Umfang dieses Materials und die Verletzungstiefe der
konkreten Darstellungen als schwerwiegende Störung des Rechtsfriedens zu beurteilen.
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Zur Herstellung einiger dieser beim Verurteilten gefundenen Darstellungen wurde sogar der
(deutsche) Straftatbestand des § 176 a Abs. 2 StGB erfüllt, der eine Mindeststrafe von 2 Jahren
vorsieht.
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Eine dieser Schriften zeigt das Eindringen eines erigierten Penis eines erwachsenen Mannes in den
Anus eines höchstens einjährigen Jungen. Eine andere Darstellung zeigt ein entsprechendes
Eindringen in den Mund eines in einem Autokindersitz sitzenden Säuglings.
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Indem der Umgang mit kinderpornographischen Schriften und somit auch das "bloße" sich davon
Besitzverschaffen letztlich neue Nachfrage nach solchen Schriften auslöst und somit zu
Umsatzsteigerungen bei den Produzenten solchen Materials führt, kommt ihm durchaus auch
Außenwirkung zu: Hierdurch wird mittelbar der sexuelle Missbrauch von Kindern zur Herstellung
solcher Schriften bzw. Darstellungen gefördert. Auf die Ausführungen im Urteil des
Bundesgerichtshofs vom 26.06.2012 (Gz.: 1 StR 163/12) wird insoweit Bezug genommen.
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Der Senat sieht vorliegend darüber hinaus aus den oben dargestellten Gründen die naheliegende
große Gefahr, dass der Beschwerdeführer seine kinderpornographischen Phantasien auf lange
Sicht auch in die Tat umsetzen und selbst Kinder sexuell missbrauchen könnte.
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Angesichts dieser Gefahr für die Allgemeinheit sind ganz erhebliche Anforderungen an eine
günstige Legalprognose zu stellen, denen der Beschwerdeführer auch unter Berücksichtigung der
bisherigen Haftzeit ersichtlich nicht gerecht wird.
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Anhaltspunkte dafür, dass sich während der aktuellen Strafhaft an der Kernpädophilie und der
Persönlichkeitstruktur des Verurteilten etwas zum prognostisch Positiven verändert hat, sind nicht
festzustellen.
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Ganz offensichtlich fehlt es dem Beschwerdeführer darüber hinaus weiterhin völlig an einem
Problembewusstsein hinsichtlich der bei ihm festgestellten Sexualdevianz, die nicht nur als solche
besteht, sondern bereits zu Strafftaten geführt und sich somit bereits als kriminogenen erwiesen
hat.
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Nach alledem ist die Legalprognose des Verurteilten ohne jeden Zweifel schlecht, weswegen die
Strafvollstreckungskammer völlig zu Recht eine Reststrafenaussetzung zur Bewährung versagt hat.
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Nachdem auch nicht damit zu rechnen ist, dass sich während der gem. § 57 Abs. 7 StGB
festgesetzten Antragssperrfrist hinsichtlich der prognoserelevanten Tatsachen, die im Wesentlichen
in der Persönlichkeit des Verurteilten wurzeln, vor allem aber in seiner Kernpädophilie,
entscheidende Veränderungen ergeben werden, ist auch die verhängte Antragssperrfrist nicht zu
beanstanden.
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Die sofortige Beschwerde war daher als unbegründet zu verwerfen.
38
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.
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