Universität Leipzig > Pressemitteilungen - call

Werbung
Universität Leipzig > Pressemitteilungen
home
Informationen und Kontakte
Pressemitteilungen
Bereich: Forschung
Sachgebiet: Medizin und Gesundheitswissenschaften,
Psychologie
Nummer: 2008/251
Körperhaarentfernung bei immer mehr jungen
Erwachsenen im Trend
Abbildung: Häufigkeit enthaarter
Körperpartien
Mehr als 97 Prozent der jungen Frauen und 79 Prozent der
Männer entfernen regelmäßig Körperhaar an mindestens
einer Körperregion. Das geht aus einer Untersuchung
hervor, die von Professor Elmar Brähler und Dr. Aglaja Stirn
mit Hilfe des Diplomanden Tim Kühne an der Universität
Leipzig, Selbstständige Abteilung für Medizinische
Psychologie und Medizinische Soziologie, an einer
studentischen Stichprobe durchgeführt wurde. Der Studie
zufolge befand sich der Anteil der Teilnehmerinnen, die
überhaupt kein Körperhaar entfernen, auf
interferenzstatistisch nicht verwertbarem Niveau. In der
Untersuchung wurde bei Männern die Bartrasur nicht mit
einbezogen.
Beachtlich auch die Anzahl gleichzeitig enthaarter Körperpartien: 89 Prozent der Frauen, die sich
regelmäßig rasieren/epilieren/trimmen, tun dies an drei oder mehr Körperpartien. Fast die Hälfte
der Frauen (48 Prozent) enthaaren sich vier Körperpartien gleichzeitig. Das sind vor allem Beine,
Achselhöhlen, der Genitalbereich und die Augenbrauen. Bei Männern, die sich abgesehen vom
Bart Körperhaar entfernen, werden zu mehr als 50 Prozent zwei oder drei Körperpartien
einbezogen. Männer rasieren sich vor allem die Achselhöhlen, Genitalbereich oder Oberkörper.
Insgesamt wurden 314 Studentinnen und Studenten befragt, davon 219 Frauen und 95 Männer.
Der Altersdurchschnitt der Stichprobe lag bei rund 23 Jahren. Mehr als drei Viertel der Befragten
studierten zum Zeitpunkt der Befragung Humanmedizin (45 Prozent) oder Psychologie (34
Prozent). Auch wenn die Anzahl vergleichbarer Studien sehr gering ist, lässt sich eine deutliche
Zunahme der Personen beobachten, die Körperhaar entfernen, und eine Zunahme der
Körperregionen, die dieser Modifikation unterzogen werden.
Warum unterziehen sich junge Menschen einer solch aufwändigen Prozedur? Bei der Frage nach
den Gründen wird bei Befragungen immer wieder das Wechselspiel zwischen individueller
Attraktivität und gesellschaftlicher Normativität angegeben.
Untersuchung unterstützt entpathologisierte Sichtweise
Die hier zitierte Untersuchung an der Universität Leipzig, Selbstständige Abteilung für Medizinische
http://db.uni-leipzig.de/aktuell/index.php?modus=pmanzeige&pm_id=3180 (1 von 3) [29.11.2008 15:19:20]
Universität Leipzig > Pressemitteilungen
Psychologie und Medizinische Soziologie, unterstützt eine entpathologisierte Sichtweise auf das
Phänomen "Körperhaarentfernung". So leiden Personen, die sich die Arbeit einer aufwändigen
Haarentfernung machen, nicht an einer Störung ihres Selbstwertes. Ebenfalls nicht zu beobachten
ist ein besonders ausgeprägtes Persönlichkeitsmerkmal "Sensation Seeking" - also das Bedürfnis
nach ständig neuer Stimulation und hoher Erregung.
Männer: Höhere Extraversionswerte
Mittels des eingesetzten Persönlichkeitstests (Kurzversion des NEO-FFI) konnte auf den fünf
Persönlichkeitsdimensionen Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit
und Gewissenhaftigkeit nur auf einer Dimension eine Abweichung beobachtet werden. So weisen
Männer, die regelmäßig zwei oder mehr Körperregionen enthaaren, erhöhte Extraversions-Werte
auf. Männer, die sich mehrere Körperpartien rasieren, sind also sozial aktiv, geselliger,
beschreiben sich als selbstsicherer und optimistischer.
Gründe für hohe Anzahl von Intimrasuren
Zusätzlich interessant erscheint die Frage nach den Gründen einer Intimrasur. Unserer
Untersuchung zufolge, nehmen eine ausgesprochen große Zahl von 88 Prozent der Frauen (und
67 Prozent der Männer) diese Form der Körpermodifikation vor. Speziell bei der Frage der hohen
Zahl der (Genital-)-Haarentfernung bei Frauen können aus unserer Sicht zwei Ansätze zur
Erklärung beitragen:
Der Infantilisierungsansatz diskutiert vorpubertäres Aussehen als Zeichen der Sexualabwehr.
Durch die umfängliche Rasur wird sexuelle Unreife und damit Ungefährlichkeit signalisiert. Die Frau
macht sich durch Epilation zu einem verletzlichen, unbedrohlichen Kind. Sie schützt sich aus
Sexualangst vor reifer, genitaler Sexualität. Durch die Verwandlung der Frau in ein ungefährliches
Kind wird beim Mann das Überlegenheitsgefühl bestärkt.
Im Gegensatz zu diesem Ansatz, der Intimrasur als Ausdruck und Unterstützung patriarchaler
Sexualität begreift, kann Haarentfernung im Genitalbereich auch als Zeichen gesteigerter
weiblicher Emanzipation begriffen werden. Denn Intimrasur schafft visuelle Anreize. Diesem Ansatz
zufolge, der hier als visueller Ansatz diskutiert wird, bietet Schamhaar visuellen Schutz, eine
visuelle und taktile Barriere. Durch Entfernung der Haare wird weibliches Genital sichtbarer. Die
Frau kann sich durch Sichtbarmachung ihrer Genitalien ihrer Sexualität bewusster werden.
Demzufolge wäre Rasur als Zeichen eines gewachsenen weiblichen Selbstbewusstseins zu
verstehen.
Zu betonen ist, dass nur die genaue Betrachtung des Einzelfalls klären kann, ob es sich bei der
Intimrasur um eine Form der Sexualabwehr oder ein Mittel zur Steigerung der Sexualität handelt.
Bedacht werden muss auch, dass in vielen Kulturen die Rasur im Kontext von Initiationsriten
vorgenommen wird um Übergänge in neue Lebensphasen zu markieren.
"Über kurz oder lang wird wieder üppig wachsendes Haar als schick gelten"
Zusammenfassend lässt sich hierzu jedoch sagen, dass beiden dargestellten psychosozialen
Deutungsansätzen ein allgemeiner kultureller Trend zugrunde liegt. "Dies gilt für Achseln und Beine
genauso wie für den Genitalbereich. Knapper werdende Badebekleidung sowie die starke Präsenz
von Nacktheit in den Medien tragen dazu bei, dass sich für diese Bereiche ästhetische Normen
herausbilden", erklärt Professor Brähler und führt fort: "Speziell für den Bereich der Intimrasuren
bei Frauen, lässt sich sagen, dass es die ‚neue' Sichtbarkeit der äußeren weiblichen Genitalien ist,
die dazu führt, dass sich auch hier Schönheitsnormen herausbilden: Erstmals entwickelt sich eine
allgemeingültige - für weite Schichten der Bevölkerung - verbindliche Intimästhetik. Eine bis dato
http://db.uni-leipzig.de/aktuell/index.php?modus=pmanzeige&pm_id=3180 (2 von 3) [29.11.2008 15:19:20]
Universität Leipzig > Pressemitteilungen
primär zur Privatsphäre zählende Körperregion - die Schamregion - unterliegt fortan einem
Gestaltungsimperativ." Frau Dr. Stirn ergänzt: "Und so verwundert nicht, dass sich immer mehr
Frauen für die Option interessieren, auch im Intimbereich Korrekturen durch chirurgische Eingriffe
vornehmen zu lassen oder es mit einem Piercing zu versehen, da dieser Bereich dem Auge mehr
zugänglich geworden ist."
Durch die massenhaft mediale Sichtbarkeit vorrangig der weiblichen Genitalien wird ein
Körperbereich medial kolonisiert und gleichsam zu einem öffentlichen Raum. So ist davon
auszugehen, dass das aktuelle Modeideal der "glatt rasierten Scham", wie jede andere Mode, auch
wieder aus der Mode kommt. "Über kurz oder lang wird wieder üppig wachsendes Haar als schick
gelten", so Professor Brähler.
Für weiterführende Informationen sind folgende Publikationen zu empfehlen:
Borkenhagen, Ada; Brähler, Elmar (Hrsg.):
psychosozial 112 - "Intimmodifikationen"
Erschienen im Psychosozial-Verlag (www.psychosozial-verlag.de)
ISBN-13: 01713434
Turkof, Edvin, Sonnleitner, Elis:
"Schamlippenkorrektur"
Erscheint im November 2008 im Maudirch-Verlag (www.maudrich.com/index.html)
ISBN 3-85175-897-8
weitere Informationen
Pressestelle
Prof. Dr. Elmar Brähler
Telefon: 0341 97-18800
E-Mail: [email protected]
www.uni-leipzig.de/~medpsy
Suche in allen Pressemitteilungen
Pressemitteilungen per E-Mail
Pressemitteilungen als RSS-Feed
Mitarbeiter der Pressestelle
Aus Tradition Grenzen überschreiten
600 Jahre Universität Leipzig
www.uni-leipzig.de/2009
Pressemitteilungen
Pressestelle, Dr. Bärbel Adams, 18.11.2008
http://db.uni-leipzig.de/aktuell/index.php?modus=pmanzeige&pm_id=3180 (3 von 3) [29.11.2008 15:19:20]
Herunterladen