Humangenetik für Biologen 8. Stunde: Hämatologische Erkrankungen 1. Hämoglobinopathien Thalassämien Sichelzellenanämie 2. Eisenspeicherkrankheiten Hämochromatose 3. Blutgerinnungskrankheiten Hämophilien Thrombophilien I. Hämoglobinopathien Verminderte oder fehlende Bildung einer Globin-Kette Passarge 279a Die Globin-Gene Chromosomale Struktur: Achtung: 2 HBA-Gene!!! Struktur der Gene: Passarge 2008, 299a Expression der Globin-Gene Passarge 2008, 297d 1. Thalassämien Krankheitsbild: zu geringe Sauerstoffbindung frühes Absterben der Erythrozyten (30-40 Tage statt 120 Tage); Vergrößerung der Leber Überlastung des Organismus mit freiem Eisen verstärkte Synthese von Erythrozyten Expansion des roten Knochenmarks (Knochenverformungen!) und der Milz Thalassämien: verminderte Syntheserate eines Globin-Proteins – unterscheide: Veränderungen in der Struktur eines Globin-Proteins! Passarge 287a; http://www.thalassaemiehilfe.de Thalassämien: Schweregrade (OMIM: 141900) (OMIM: 141800) Nomenklatur: / – „Null“: keine entsprechende Kette vorhanden / – „+“: geringe Menge der entsprechende Kette vorhanden rezessiver Erbgang Beachte: 2 HBA-Gene! Weltweit ca. 3% der Bevölkerung heterozygot; Häufiges Vorkommen im Mittelmeerraum, tropischen und subtropischen Ländern (in der Po-Region, auf Sardinien und Sizilien ~15%) Passarge 287b; http://www.thalassaemiehilfe.de Zur Geschichte der Thalassämie-Forschung 1910-1925 Erste Beschreibung der Sichelzellenanämie und Thalassämie 1949-1956 Molekulare Basis der Sichelzellen-Anämie etabliert Heterogenität des Hämogölobins in Thalassämien beschrieben Malaria-Hypothese entwickelt 1937-1945 Thalassämie ist eine rezessive Erkrankung Wechselwirkung zwischen Sichelzell-Hämoglobin und Thalassämie entdeckt Thalassämie außerhalb des Mittelmeerraums beschrieben Weatherall 2004 1965-1967 Unausgewogene GlobinSynthese in Thalassämien beschrieben Normaler Zusammenbau der b-Globin-Ketten in Thalassämien bestimmt Zelluläre Pathologie definiert Transfusionen mit Chelatbildnern entwickelt 1956-1960 Struktur des Hämoglobin definiert /-Thalassämie-Hypothese entwickelt Unwirksame Erythropoese in Thalassämien beschrieben Methoden zur Entdeckung von Überträgern entwickelt 1975-1980 Mutationen im -Globin-Gen identifiziert Deletionen mit Southern-blot identifiziert Über-Nacht-Infusionen mit ChelatBildnern entwickelt Pränatale Diagnostik mir RFLP-Markern entwickelt 1970-1975 Verminderung der -Globin mRNA in Thalassämien beschrieben Deletionen in -Thalassämien identifiziert Kettenabbruch-Mutationen in aThalassämien identifiziert Pränatale Diagnose auf der Basis der Globin-Synthese entwickelt 1980-2000 Globin-Gene sequenziert Mutationen in cDNA identifiziert Genetische Modifikatoren identifiziert Pränatale Diagnose für das 1. Trimester entwickelt Globales Ausmaß erkannt Knochenmarkstransplantation -Thalassämien Deletionen im -Globin-Cluster Emery 68-10 Ursachen: Rekombinationen zwischen repetitiven Elementen (Higgs & Weatherall, 2008) Punktmutationen im -Globin Gen (1) Emery-Tab.68.7 Vermutlich Bildung instabiler mRNA-Moleküle! Punktmutationen im -Globin Gen (2) Mutationen verursachen posttranslationale Instabilität Emery-Tab.68.7 Globale Verteilung der -Thalassemien Große Deletionen (3.7 bzw. 4.2 kb): 3.7 I, II, III, 4.7 Weatherhall, 2001 Punktmutationen: T Deletionsspektrum bei -Thalassämien: Bevölkerungsspezifische Deletionen Emery-68.14 -Thalassämien Populationsspezifische Punkt-Mutationen im HBB-Gen Suche nach „häufigen“ Allelen in einer Population erleichtert die individuelle Diagnostik Passarge 2008, 307C -Thalassämien Punkt-Mutationen im -Globin Gen Passarge 2008, 305C Weitere Punktmutationen im HBB-Gen (1) Achtung: Strukturveränderungen, keine klassische Thalassämie! Passarge 2008; 303a Weitere Punktmutationen im HBB-Gen (2) Unstabiles Hämoglobin durch Kettenverlängerung 1. Hämoglobin „Cranston“: Kettenverlängerung durch Rasterverschiebung 2. Hämoglobin „Constant Spring“: Kettenverlängerung durch Mutation im Stopp-Codon Passarge 2008; 303d -Thalassämien Hereditäre Persistenz von fetalem Hämoglobin (-Globine): milde Form Ursachen: Deletionen der - und -Globin Gene und kompensatorische Expression der fetalen -Globin-Gene (A und G-Globin) Mutationen im Promotorbereich der -Globin-Gene Promotormutationen führen zur Dauer-Expression Passarge 2008, 307B -Thalassämien Haplotypen* *Def.: Block von Allelen, die gemeinsam vererbt werden Wichtig für Diagnostik und Beratung! Passarge 2008, 305D Globale Verteilung der -Thalassemien Weatherhall, 2001 Milde Mutationen fett Thalassämien und Malaria Malaria Thalassämien (verschiedene Formen) „Heterosis“ Passarge 161b-2 2. Sichelzellenanämie: Mutation im β-Globin-Gen 1910 erste Beschreibung durch J.B. Herrick 1949 Charakterisierung als „molekulare Krankheit“ durch L. Pauling Rezessiver Erbgang; Heterozygotenhäufigkeit 1:500 Passarge 2008, 301A Sichelzellenanämie OMIM 603903 Passarge 283b „Pleiotroper Effekt“ Sichelzellenanämie & Malaria Passarge 161b Sichelzellenanämie: Vorteil von Heterozygoten „Heterosis“ Passarge 283b Modifikatoren der Sichelzell-Anämie Beobachtung von klinischer Heterogenität trotz klarer, einheitlicher genetischer Mutation im -Globin-Gen: Ursache: Polymorphismen in anderen Globin-Genen, bes. -Globin-Gene Variable Konzentration des fetalen Hämoglobins im erwachsenen Menschen um Faktor 20! Besonders: C->T Polymorphismus an -158 im G-Globin-Promoter (AllelHäufigkeit ~33%) Fetales Hämoglobin verhindert HbS-Polymerisation verdünnt Konzentration an Sichelzell-Hämoglobin Weitere Modifikatoren sind kartiert (2p15, 6q23, 8q11, Xp22), aber die Gene unbekannt…. Thein, S.L. 2008 Therapie-Ansätze für Hämoglobinopathien Stimulierung der Expression des fetalen Hämoglobins durch Hydroxy-Harnstoff (Inhibitor der Ribonukleotid-Reduktase); 1/3 der Patienten keine Reaktion! Decitabin (Inhibitor der DNA-Methylierung), Butyrat (Inhibitor der Histon-Deacetylase) Fathallah & Atweh, 2006 Gentherapie: Vektoren auf der Basis von Lentiviren in aktiven oder geplanten klinischen Studien Problem: ausreichende Expressionsstärke und Sicherheit der Vektoren (InsertionsOncogenese) Lisowski & Sadelain, 2008 2. Eisenspeicherkrankheiten Eisenüberladung des Körpers: Hämochromatose (OMIM 235000) Häufigkeit: 1:400 Klinische Merkmale: Leitsymptome: Vergrößerte Leber (90% der Pat.), Leberzirrhose (75%) Diabetes (70%) Bronzefärbung der Haut (75%) Zusätzlich: Schmerzhafte Arthropathie (30-50%) Sekundäre Kardiomyopathie (15-20%) Müdigkeit… Molekulare Ursachen: Mutationen in den Genen HFE (kodiert für ein Zelloberflächenprotein; rezessiv), HAMP (kodiert für Hepcidin; rezessiv), HFE2 (kodiert für Hemojuvelin; rezessiv), TFR2 (kodiert für Transferrin-Rezeptor-2; rezessiv), SLC40A1 (kodiert für Ferroportin; dominant). Hämochromatose 1865: Erste Beschreibung der Krankheit durch Trousseau 1889: Begriff Hämochromatose geprägt durch von Recklin´ghausen 1935: Erblichkeit der Hämochromatose erkannt durch Sheldon 1976: Autosmal-rezessiver Erbgang beschrieben durch Simon et al. 1996: Kartierung des HFE-Gens als Ursache für Hämochromatose und Erstbeschreibung der wichtigsten Mutation (Felder et al.) Häufigste Ursache der Hämochromatose: Mutation C282Y (Cys->Tyr) in HFE-Gen Biochemisch: Verlust einer Disulfid-Brücke zur Bindung an 2-Mikroglubulin -> kein Transport an die Zelloberfläche Häufigkeit in Nordeuropäer weit verbreitet.... Adams 2007 2. Eisenspeicherkrankheiten Transferringebundenes Eisen deDomenico et al., 2008 Eisenstoffwechsel Gesund Hämochromatose (HFE) Erhöhte Eisenaufnahme im Darm und verstärkte Speicherung in der Leber Adams 2007 2. Eisenspeicherkrankheiten Mutationen im TransferrinGen sehr selten (10 Fälle in 8 Familien) HFE bildet Komplex mit Tfr1 Hepcidin bindet an Ferroportin, hemmt FeTransport aus der Zelle Schaaf & Zschocke, 2008; Abb. 23.3 Divalent metal transporter (SLC11A2) Hämochromatose: Ursache Mutation in HFE-Gen Allelhäufigkeit C282Y % Aus der Verteilung und der Häufigkeit kann geschlossen werden, dass die Mutation vor 60 – 138 Generation entstand = vor 1000 – 4000 Jahren Hämochromatose: Erhöhte Ferritinspiegel (>1000µg/l) bei HFE(C282Y)-Homozygoten ~80% ~50% n: Adams 2007 Achtung: Große Variabilität in Penetranz: nur ~1% der Homozygoten C282Y-Träger prägen die klinischen Merkmale aus.... 3. Blutgerinnungsstörungen: Gleichgewicht der Blutgerinnung Kolde, 2001, Fig. 1.2 Die Blutgerinnungskaskade Schaaf & Zschocke, 2008 Die Blutgerinnungskaskade Initiation durch Gewebefaktor (TF) an der Zelloberfläche der Blutgefäße Römische Nummern: Gerinnungsfaktoren (a: aktiviert) VWF: von Willebrandt-Faktor PT: Prothrombin; T: Thrombin Dahlbäck, 2008 Komponenten der klassischen Blutgerinnungskaskade Faktor Synonym I II III IV V VI VII VIII IX X XI XII XIII Fibrinogen 4q28 Prothrombin 11p11-q12 Gewebe-Thromboplastin 1p22 Calcium Proaccelerin 1q23 (aktivierte Form des FV; nicht mehr im Gebrauch) Proconvertin 13q34 Antihämophiler Faktor Xq28 Christmas-Factor Xq27 Stuart-Power-Faktor 13q13 Plasma-Thromboplastin 4q35 Hageman-Faktor 5q33-qter Fibrin-stabilisierender Faktor (A) 6p25 Fibrin-stabilisierender Faktor (B) 1q31 Emery Tab. 70-1 Chromosom 1. Hämophilie A (Überträgerin) Häufigkeit: 1:10.000 Männer OMIM 306 700 Passarge 305a Hämophilie A Passarge 305c F8 Gen, Protein und Aktivierung Aktivierung durch Thrombin Graw et al., 2005 F8: Wechselwirkung mit anderen Faktoren PL: Phospholipide Graw et al., 2005 Häufige Mutationen (1): Intron-22 Inversion Verantwortlich für ~40% der schweren Fälle von Hämophilie A Graw et al., 2005 Alu-Elemente! Häufige Mutationen (2): Intron-1 Inversion Verantwortlich für ~1% der schweren Fälle von Hämophilie A Graw et al., 2005 Mutationsprofil der Hämophilie A Mutationstyp N % 302 35,7 260 30,7 proximal 37 4,4 sonstige 5 0,6 Intron-1 Inversion 8 1,0 Punkt-Mutationen 402 47,5 Missense 323 38,2 Nonsense 79 9,3 86 10,2 kl. Deletionen 63 7,5 Kl. Insertionen 22 2,6 Kombinationen 1 0,1 Intron-22 Inversion distal Kleine Deletionen/Insertionen Große Deletionen (< 50 bp) 25 3,0 Splice site Mutationen 22 2,6 Summe 845 Oldenburg 2004 100 Häufig vorkommende Mutationen bei der Hämophilie A Exon Codon (Nr) Aminosäure Schwere Häufigkeit 4 GTG->ATG (162) Val->Met mittel/leicht 28 8 CGA->TGA (336) Arg->Stop schwer 13 10 GGA->AGA (479) Gly->Arg mittel/leicht 14 11 CGG->TGG (527) Arg->Trp mild 22 11 CGC->TGC (531) Arg->Cys mittel/leicht 19 11 CGC->CAC (531) Arg->His leicht 12 12 CGC->TGC (593) Arg->Cys leicht/mittel 35 14 TAT->TTT (1680) Tyr->Phe mittel 28 14 CGC->TGC (1689) Arg->Cys mittel 27 16 CGT->CAT (1781) Arg->His mittel 11 18 CGA->TGA (1941) Arg->Stop schwer 25 18 CGA->TGA (1966) Arg->Stop schwer 13 18 CGA->CAA (1966) Arg->Gln leicht 12 19 CGG->TGG (1997) Arg->Trp mittel/schwer 28 19 GTG->GCG (2016) Val->Ala mittel 11 22 CGA->TGA (2116) Arg->Stop schwer 13 23 CGA->TGA (2147) Arg->Stop schwer 17 23 CGT->CAT (2150) Arg->His mittel/leicht 50 (!) Graw et al., 2005; nach HAMSTeRS Datenbank Therapie bei Hämophilie A Früher: Bluttransfusionen… 1970/80: gereinigte Plasmafaktoren Problem: HIV-Kontamination…. 1990er: gentechnisch hergestellte Faktoren Generelles Problem: Bildung inhibitorischer Antikörper (etwa 30% aller schweren Fälle) Zukunft: Gentherapie Gentherapie bei Hämophilie A Retroviren Adeno-assoziirte Viren (mutiert) Adenoviren Probleme: - Expressionsstärke - „Nachhaltigkeit“ Biospektrum; Schwaab 2002 - Antikörper 2. Thrombophilien Thrombophilie: erhöhte Neigung zur Bildung von Thrombosen („Blutgerinsel“) Ursache für Herzinfarkt, Schlaganfall, Lungenembolie, und Thrombosen in den tiefen Venen Häufigkeit von Thrombosen: ca. 200.000 neu aufgetretene Thrombosen pro Jahr (Inzidenz). Frauen haben üblicher Weise ein höheres Risiko http://www.phytodoc.de Häufigkeit 1:1000 (Prävalenz) Multifaktorielle Erkrankung, kein klassischer Mendel‘scher Erbgang 2. Thrombophilien Hemmung der Gerinnung: Antithrombin (AT) Aktiviertes Protein C Protein S Tissue Factor pathway inhibitor Kottke-Marchant, 2002 Mutationen in diesen Faktoren führen zum Verlust der Gerinnungshemmung = zu starke Gerinnung! 2. Thrombophilien Thrombin (T) bindet an Thrombomodulin (TM): Aktivierung von Protein C APC EPCR: Protein C-Rezeptor der Endothelzellen Dahlbäck, 2008 2. Thrombophilien APC inaktiviert FV und FVIII durch Spaltung (Vi, VIIIi) S: Protein S: Komplex mit einem Komplement-Regulator (C4BP) Dahlbäck, 2008 2. Thrombophilien 1. Protein-C-Defizienz Häufigkeit unter Blutspendern: 1:250 ! Aber nur geringes Thrombose Risiko. 2. Protein-S-Defizienz Verschiedene Formen möglich (wichtig: Verhältnis freies PS : gebundenes PS) 3. APC-Resistenz /FV Leiden Wichtiger Risiko-Faktor für Thrombose: 20-60% der Thrombose-Fälle, aber auch 5-10% in der allgemeinen Bevölkerung: 5-fach erhöhtes ThromboseRisiko! 4. Prothrombin-Mutation Wichtiger Risiko-Faktor für Thrombose: 6-8 % der Thrombose-Fälle, aber auch 2-4% in der Bevölkerung: 3-4fach erhöhtes Risiko für Thrombose 2. Thrombophilien: APC-Resistenz /FV Leiden Wildtyp Mutation verhindert Inaktivierung des Gerinnungsfaktors Va – Spaltstelle betroffen! Thrombose-Risiko für Heterozygote 5-fach erhöht, für Homozygote 50-fach Mutation zuerst in Leiden (Niederlande) beschrieben -> Name! Evolution: Gründereffekt vor ca. 21.000 Jahren; häufig in Europa (Schweden, Deutschland, Zypern) und Naher Osten, selten im Fernen Osten, Afrika und bei Ureinwohnern von Australien und Amerika Dahlbäck, 2008 2. Thrombophilien: Erhöhtes Risiko für Venenthrombosen Mannhalter, 2008 2. Thrombophilien: Prothrombin-Mutation Mutation erhöht Stabilität der mRNA – erhöhter Plasma-Spiegel an Prothrombin und damit auch tendenziell mehr Aktivierungsmöglichkeit zu Thrombin! Evolution: Gründereffekt vor ca. 24.000 Jahren; häufiger in Südeuropa als in Nordeuropa, selten im Fernen Osten, Afrika und bei Ureinwohnern von Australien und Amerika Dahlbäck, 2008 2. Thrombophilien Behandlung: Vitamin-K-Antagonisten (viele Reaktionen Vit.K-abhängig) Heparin