Tarabya-Konferenz 2014 - Die deutschen Auslandsvertretungen in

Werbung
Martin Thurner: Zusammenfassung der Tarabya-Konferenz 2014, 16.10.20141
Meine Zusammenfassung möchte mit einem vielleicht nur auf den ersten Blick
äußerlichen Aspekt beginnen: Wir haben eine Vielzahl von Vorträgen gehört, aber es gab
eigentlich nie Wiederholungen. Jeder Beitrag hat ganz neue Aspekte, ganz neue
Perspektiven auf das Thema mit sich gebracht. Es gab nicht nur keine Wiederholungen,
die Beiträge haben sich in meiner Wahrnehmung auch ganz trefflich ergänzt, so dass ein
sehr vielseitiges, aber doch einheitliches Bild auf unser Thema „Warum Theologie an der
Universität?“ entstanden ist. Daher möchte ich jetzt in verschiedenen konzentrischen
Kreisen versuchen, Grundzüge dieses Bildes aus meiner eigenen Sicht zu rekapitulieren.
Ich beginne mit dem weitesten Kreis, dem anthropologisch-philosophischen Zugang,
den das Referat von Richard Heinzmann geboten hat. Es hat angesetzt bei der
anthropologischen Grundlegung der Theologie als Wissenschaft: Der Mensch ist ein
endliches Wesen, aber ein endliches Wesen, das um diese seine Endlichkeit zugleich
weiß und dadurch offen ist für einen Transzendenzbezug. Dieser Transzendenzbezug ist
ganz wesentlich an die Sinnfrage des Menschen geknüpft. Die Religionen geben je auf
ihre Art in ihren Offenbarungen eine Antwort auf diese Sinnfrage. Allerdings muss die
Antwort auch vom Menschen verstanden werden können. Dazu bedarf es einer
rationalen Reflexion auf diese anthropologische Sinnfrage, welche die großen religiösen
Traditionen in ihren Offenbarungen vortragen. Darin besteht der Grund, warum
Theologie als Wissenschaft betrieben werden muss. Als Wissenschaft an der Universität
untersteht sie natürlich besonderen Kriterien. Einerseits muss sie den methodischen
Ansprüchen von Wissenschaftlichkeit gerecht werden und anderersits zugleich einen
Gesamtbeitrag für die Gesellschaft bieten, welche die Universität instiutionell trägt. Das
kann die Theologie, wenn sie sich gemäß dem aristotelischen Wissenschaftsverständnis
als eine Art von Wissenschaft versteht, die aus ihrem eigenen Gegenstand heraus eine
Anwendung der wissenschaftlichen Methode entfaltet. Sie bietet der ganzen Gesellschaft
eine mögliche Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Seins im Ganzen. Insofern ist
Theologie als Wissenschaft sowohl von der Religion her geboten, leistet aber auch einen
unverzichtbaren Beitrag für die Gesellschaft.
Halis Albayrak hat dann in seinem Referat, was ich als christlicher Theologe besonders
faszinierend empfand, die Begründung der Theologie als Universitätswissenschaft von
den koranischen Anfängen des Islams her abgeleitet, ausgehend von der Frage: „Was
sind die Wissensquellen im Islam?“ Diese bestehen natürlich primär in der Offenbarung
des Korans. Die Offenbarung des Korans erging zunächst subjektiv an den Propheten
1
Der Text basiert auf einem Tonbandmitschnitt der mündlich vorgetragenen Zusammenfassung am
Ende der Konferenz. Um den spontanen Arbeits- und Dialogcharakter zu dokumentieren, wurde der
1
Mohammed. Aber woher gewinnt sie ihre Objektivität? Dazu kommt im Islam schon
von den Ursprüngen her eine andere Wissensquelle mit ins Spiel, die als die fünf Sinne
bezeichnet wird. Von daher hat Halis Albayrak dann eine Brücke geschlagen zur
Universitätstheologie in einem gesellschaftlich-historischen Kontext. Sinnvoll kann die
Wissensquelle der Koranoffenbarung nur mit einer zeitgemäßen, je den Zeitumständen
entsprechenden Vernunft erschlossen werden. Das kann nur geschehen in einer
Theologie, die an Universitäten betrieben wird und sich mit den Ergebnissen der
anderen Wissenschaften beschäftigt. Nur von daher ist eine Erneuerung der Theologie
möglich, was natürlich nicht immer unproblematisch und ohne Schwierigkeiten verläuft,
wie die Erfahrung zeigt. Weil die wissenschaftliche Universitätstheologie dadurch den
Menschen in der jeweiligen Zeit einen umfassenden Reichtum von traditionellen
Sinnangeboten in erneuerter Form vermittelt, ist sie für die gesamte Gesellschaft relevant
und unverzichtbar. Von daher bedarf es im islamischen Verständnis der Theologie als
einer Disziplin an der Universität.
Peter Antes ist in seinem Referat der spezifischen Situation der Universitätstheologie in
Deutschland nachgegangen. Deutschland gehört zu den wenigen Ländern, wo die noch
aus dem Mittelalter stammende Tradition fortgeführt wird, dass Theologie ein Fach an
einer Gesamtuniversität ist. Daraus ergeben sich in einem modernen säkularen Kontext
besondere Problemstellungen, die es im Mittelalter noch nicht gab, schon allein von
daher, dass der moderne Staat religiös neutral ist und die Bevölkerung der Staaten
religiös immer pluraler zusammengesetzt wird bis hin zu einer zumindest in Deutschland
steigenden Anzahl von Nicht-Glaubenden. Außerdem gibt es eine Reihe von
Problemstellungen,
was
die
Legitimation
einer
konfessionellen
oder
bekenntnisgebundenen Theologie
an den Universitäten betrifft. Diese
Problemstellungen hat Peter Antes dann unter Bezugnahme auf die Empfehlungen des
deutschen Wissenschaftsrates diskutiert und Aspekte aufgezeigt, die Lösungen oder
Perspektiven in diesem Fragenkomplex bieten können. Die Empfehlungen beinhalteten
unter anderem die Aufforderung, dass die in der jeweiligen Gesellschaft vertretenen
Religionsgemeinschaften eine je eigene bekenntnisgebundene Theologie innerhalb der
Universität aufbauen sollen, wobei dann auch die religiöse Pluralität einer Gesellschaft
eben in diesen verschiedenen bekenntnisgebundenen Theologien an den Universitäten
reflektiert wird.
Ali Bardakoğlu hat in seinem Referat zunächst einen historischen Rückblick gegeben auf
die Entwicklung der Theologie als Universitätswissenschaft seit Gründung der
türkischen Republik. Er hat einige bedeutende Einschnitte von den Gesetzesvorgaben
her aufgezeigt und erklärt, wie es zu der Vielzahl von theologischen Fakultäten in der
ursprüngliche Duktus beibehalten.
2
Türkei gekommen ist. Er hat dann auf die Aufgaben der Theologie im Gesamtkontext
der Wissenschaften hingewiesen. Die Theologie erarbeitet ein Bewusstsein für die
historische Entwicklung und auch für die gesellschaftlichen Umstände einer religiösen
Wahrheit. Aufgabe der Theologie ist es, die Genese religiöser Wahrheitsansprüche zu
reflektieren. Dadurch kann sie zu einem Verständnis von religiöser Wahrheit kommen,
das den Geltungsanspruch einer Religion mit den Erfordernissen einer gesellschaftlichen
Pluralität in Einklang bringt.
Die Überlegungen des Vormittags waren mehr theoretischer Natur. Am Nachmittag
wurden einige neuere praktische Anwendungen, Erfahrungen und Entwicklungen im
Bereich der Universitätstheologie im deutsch-türkischen, christlich-islamischen Kontext
vorgestellt. Den Anfang machte Ömer Özsoy, der über seine bisherigen Erfahrungen im
Rahmen der Etablierung islamisch-theologischer Fakultäten in Deutschland berichtet
hat. Er hat die rechtlichen Rahmenbedingungen dargestellt, auf deren Hintergrund die
Etablierung dieser Institutionen möglich geworden ist, aber auch den unterschiedlichen
kultur- und geistesgeschichtlichen Kontext, in dem die islamische Theologie in Europa
betrieben wird. Er hat aufgezeigt, inwiefern dieser Kontext von daher bestimmt war,
dass schon seit der Frühzeit von christlicher Seite eher negativ und abwehrend auf den
Islam geblickt worden ist. Der Islam wurde schon von Johannes von Damaskus (ca.
675–749) als eine Art häretische Version des Christentums betrachtet. Erst in der
Aufklärung zeigen sich erste Ansätze zu einer auch positiven Würdigung der
muslimischen Religion in Europa in einem christlichen Kontext. In diese größeren
historischen Zusammenhänge hat Özsoy dann auch die Entstehung der islamischtheologischen Zentren in Deutschland gerückt und betont, wie wichtig diese
Institutionen auf diesem Hintergrund auch für die Weiterentwicklung der religiösen
Kultur in Deutschland sind.
Nachfolgend hat dann Ali Dere ein komplementäres Modell aufgezeigt, den
internationalen Studiengang für islamische Theologie an den türkischen Universitäten.
Muslime, die als Migranten im Ausland leben, konnten dort bis vor Kurzem noch keine
fundierte islamische Ausbildung bekommen. Gerade für Muslime im Ausland hat die
Religion aber eine große Bedeutung. Ausgehend davon kam es an türkischen
Universitäten zur Entwicklung von Studiengängen für im Ausland lebende Muslime, die
eine fundierte und zugleich den Herausforderungen eines Lebens in einer nicht
mehrheitlich muslimischen Gesellschaft entsprechende Theologie vermitteln soll.
Mualla Selçuk hat schließlich ein Modell aufgezeigt, das eine Vision für die Theologie in
der Zukunft sein könnte, nämlich den Studiengang Weltreligionen an der Universität in
Ankara. Dort ist ein ganz neuer Ansatz des Blickes auf die verschiedenen Religionen im
Studium erprobt worden. Der Ausgangspunkt für die Theologie der Weltreligionen ist
3
eine Begegnungsethik, die durchaus die Möglichkeit nicht nur einräumt, sondern
eröffnen will, dass auch die Inhalte anderer Religionen eine existenzielle Bedeutung für
diejenigen bekommen können, die sich im Studium damit beschäftigen. Dieses Modell
gibt Grund zur Hoffnung, dass wir Theologie an den Universitäten auch in einer Weise
weiterentwickeln können, die den aktuellen Herausforderungen entspricht. In den
Beiträgen unseres Symposions wurde deutlich, dass wir eine reiche Tradition haben, auf
der wir aufbauen können. Aber wir müssen diese reiche Tradition auf zukünftige
Möglichkeiten hin weiterdenken. Wenn wir die Theologie so weiterentwickeln, dass die
interreligiöse Begegnung ohne das Aufgeben der eigenen Religion als eine Bereicherung
eingebracht werden kann in das akademische Theologiestudium, dann wären wir einen
wesentlichen Schritt weiter. Diesen Impuls nehme ich von Tarabya mit nach Hause für
die konkrete Arbeit an meiner Fakultät, der Katholischen-Theologischen Fakultät der
Universität München. Vielen Dank!
4
Herunterladen