Alzheimer: Amyloid-beta beeinträchtigt Mitochondrien

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Alzheimer: Amyloid-beta beeinträchtigt Mitochondrien
Fällt bei uns der Strom aus, sitzen wir nicht nur im Dunkeln, es liegen auch viele andere
Bereiche brach: Wir können nicht mehr mit außen kommunizieren und kein Essen mehr
kochen. So ähnlich könnte man es sich vorstellen, wenn Mitochondrien, die Kraftwerke einer
Zelle, stark geschädigt werden. Insbesondere Neuronen reagieren sehr empfindlich auf
Störungen, was dazu führt, dass viele verschiedene Funktionen nicht mehr effizient
ablaufen, wenn die Energieversorgung beeinträchtigt ist. Prof. Dr. Chris Meisinger und sein
Team am Institut für Biochemie und Molekularbiologie der Universität Freiburg haben
herausgefunden, dass Amyloid-beta-Peptide wichtige Enzyme blockieren und somit die
Mitochondrien lahmlegen.
Sein wissenschaftlicher Fokus ist das Proteom der Mitochondrien: Prof. Dr. Chris Meisinger. © privat
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Amyloid-beta (Aβ), ein etwa 40 Aminosäuren langes Peptid, ist erneut im Fokus der
wissenschaftlichen Aufmerksamkeit. Es entsteht bei der Spaltung des Amyloid-PräkursorProteins ( APP ), einem integralen Membranprotein, dessen Funktion bis heute nicht genau
bekannt ist. In der Regel scheint es im Stoffwechsel permanent hergestellt zu werden und sich
nicht abzulagern. In Nervenzellen könnte APP bei der Synapsenbildung eine entscheidende
Rolle spielen. Man geht davon aus, dass Amyloid-beta in gesundem Maß die Erregbarkeit von
Neuronen kontrolliert und sie so vor schädlicher Überaktivität schützt.
Lagern sich dennoch größere Mengen von Aβ im Gehirn ab, wirkt es neurotoxisch und kann
zum Absterben der Nervenzellen führen, so die These. Als Ursachen für die erhöhte Produktion
von Aβ stehen unter anderem genetische Faktoren und ein höherer Cholesterinspiegel im
Verdacht. Worin die Neurotoxizität exakt besteht, ist nicht klar. Die in Forscherkreisen
mehrheitlich vertretene Meinung ist, dass der Abbau und Abtransport von Aβ nicht optimal
verläuft. Aβ steht bis heute im Verdacht, die senilen Plaques im Hirn von Alzheimer-Erkrankten
und Patienten mit Down-Syndrom mitzuverursachen. Tatsächlich nachweisen konnte das
jedoch bislang niemand. Man fand sogar eher, dass die Plaque-Bildung nicht eindeutig mit dem
Krankheitsverlauf korreliert. Der Produktionsort des Peptids und die genaue physiologische
Bedeutung sind noch immer unbekannt. Nun gibt es Grund zur Annahme, dass Aβ auf
anderem Weg dazu beiträgt, dass Nervenzellen geschädigt werden.
Kraftwerksfunktion ist beeinträchtigt
Die neuere Hypothese fußt auf der Beobachtung, dass das Amyloid-beta- Peptid nicht nur
extrazellulär zu finden ist. Prof. Dr. Chris Meisinger vom Institut für Biochemie und
Molekularbiologie der Universität Freiburg ist eigentlich kein Alzheimer-Experte, sondern
beschäftigt sich seit Jahren mit Mechanismen der mitochondrialen Proteinbiogenese. „Man hat
jetzt festgestellt, dass dieses Amyloid-beta-Peptid auch innerhalb der Zelle vorkommt und dort
Dysfunktionen verursacht“, betont der Biochemiker, „und das Besondere: es kommt auch in
den Mitochondrien vor.“ Das sei der Grund gewesen, warum er und sein Team anfingen, sich
für Aβ näher zu interessieren. Er ist der Meinung, dass man so manche Hypothesen und
Arbeitsmodelle sowie bereits bestehende Therapieansätze nochmal komplett in Frage stellen
sollte. Versuche, die Meisinger mit seinen Kollegen in transgenen Hefezellen durchführte,
zeigen, dass experimentell im Cytosol exprimiertes Aβ fast ausschließlich in die Mitochondrien
importiert wird.
Eigentlich analysieren Meisinger und sein Team, wie Proteine in die Mitochondrien hinein
kommen. Mit über 90 Prozent ist der Großteil der Mitochondrien-Proteine im Zellkern codiert
und wird im Cytosol als größere Vorläuferproteine am Ribosom synthetisiert. Durch die
Transportmaschinerie TOM (Translocase of outer mitochondrial membrane) und TIM
(Translocase of inner mitochondrial membrane) in den Membranen gelangen sie an ihren
Bestimmungsort. Um von den Import-Rezeptoren der äußeren Mitochondrienmembran erkannt
zu werden, benötigen die Vorläuferproteine eine Signalsequenz, die etwa 20-80 Aminosäuren
zählt und positiv geladen ist. Nachdem das Vorläuferprotein durch die Poren gefädelt wurde,
wird die Signalsequenz von der mitochondrialen Prozessierungspeptidase (MPP) abgespalten
und das Protein kann seine normale funktionelle Faltung einnehmen. Die anfallenden
abgetrennten Signalpeptide werden von einer speziellen Peptidase (PreP in Säugern oder
Cym1 in Hefen) zerkleinert und unschädlich gemacht.
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Störung der Proteinreifung durch Amyloid-beta
Bei Anwesenheit von zu vielen A-beta-Peptiden kommt es zu gestörter Mitochondrien-Funktion. Der Abbau von
Signalpeptiden durch Cym1 (Hefe) oder PreP (Säuger) kann nicht mehr effizient erledigt werden und es
akkumulieren Vorläuferproteine. © Prof. Dr. Chris Meisinger, Universität Freiburg.
„Wenn der Abbau der Signalsequenzen nicht mehr richtig funktioniert, kommt es zu einer
Akkumulation dieser Peptide“, erläutert Meisinger, „und diese inhibieren quasi rückwärts das
Enzym, das die Signalsequenz abspalten soll.“ Die Folge der Kopplung von Abbau und
Prozessierung der Signalsequenzen ist eine Anhäufung an unfertigen Proteinen in den
Mitochondrien, die toxische Konsequenzen für die betroffene Zelle hat. Die Vorläuferproteine
anderer wichtiger Eiweiße können ihre Faltung nicht einnehmen, sind instabil und üben ihre
bestimmte Funktion nicht aus. „Die Atmungsaktivität geht runter, es wird weniger Sauerstoff
verbraucht, weniger ATP produziert - kurz: die ganze Kraftwerksfunktion geht in die Knie“, sagt
Meisinger.
Der Knackpunkt ist: Neben Signalpeptiden ist auch Aβ ein Substrat für die Abbauproteasen
(PreP, Cym1), es besetzt und hemmt diese, sodass es zur Ansammlung von untauglichen
Vorläuferproteinen kommt. „Das zeigt, dass die Prozessierung der Signalsequenzen gebraucht
wird, um die Proteine zu stabilisieren und funktionstüchtig zu machen“, weiß Meisinger. Ist Aβ
also in den Mitochondrien, kann man beobachten, dass es der MPP den Weg versperrt, diese
langsamer läuft und die Arbeit der Sequenzabspaltung nicht mehr gut ausführt.
Vorläuferproteine können nicht mehr reifen, sind nur noch in Vorläuferform vorhanden und
werden vorzeitig abgebaut. Das gesamte Proteom der Mitochondrien gerät dann aus der
Balance. Es fehlen Proteine in sämtlichen funktionellen Bereichen, wie der Atmungskette, dem
Citratzyklus oder der β-Oxidation.
Das brachte die Forscher auf die Idee, experimentell in genetisch modifizierten Hefen mehr Aβ
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exprimieren zu lassen und zu überprüfen, ob es zu der vermuteten Feedback-Inhibition von
MPP kommt. Anhand der Fülle der Vorläuferproteine und des gleichzeitigen Mangels an reifen
Proteinen konnten sie dies bestätigen. „Das Schöne ist, wir haben damit ein Modell, mit dem
wir erklären können, warum so viele verschiedene Funktionen betroffen sind“, sagt der
Molekularbiologe, „sowie einen Mechanismus, wie Aβ grundsätzlich mitochondriale Leistung
beeinträchtigen kann, da es direkt an der Eintrittspforte ansetzt, wo alle Proteine
durchmüssen.“
Alzheimer-Bluttest für die Diagnostik
Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Meisinger widmet sich der Biogenese von mitochondrialen Proteinen. © Prof. Dr.
Chris Meisinger, Universität Freiburg.
Egal, ob der Atmungsketten-Komplex oder die Superoxiddismutase als erstes betroffen sind:
Mit der Mitochondrien-Funktion geht die wichtigste Energieversorgung verloren, speziell im
Nervensystem, ein Organ mit sehr hohem Energieverbrauch. Schon eine Energieeinbuße ab 15
Prozent kann fatal für die Zelle sein und Apoptose auslösen. Meisinger, der mit Hefen,
Mausmodellen und humanem Post-mortem-Material arbeitet, hat in Gehirnen von AlzheimerPatienten tatsächlich diese Akkumulation von Vorläuferproteinen nachweisen können. Sein Ziel
ist es, eine bessere und frühzeitige Diagnostik für Alzheimer zu entwickeln. Auch Blutzellen
zeigen mitochondriale Dysfunktionen bei Alzheimerpatienten. Meisingers Team hat bereits
einen Antikörper entworfen, der spezifisch die Signalsequenz im Vorläuferprotein erkennt.
„Damit ließe sich ein Signal zwischen gesund und krank erzeugen, mit dem man im Blut die
Diagnose stellen könnte“, meint Meisinger.
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Fachbeitrag
10.11.2014
Stephanie Heyl
BioRegion Freiburg
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
Prof. Dr. Chris Meisinger
Institut für Biochemie und Molekularbiologie
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Stefan-Meier-Str. 17
79104 Freiburg
Tel.: 0761 / 203 - 5287
Fax: 0761/ 203 - 5261
E-Mail: chris.meisinger(at)biochemie.uni-freiburg.de
Proteinmüll im Gehirn. Aus der Reihe SWR2 Campus (© SWR, Sendung vom
27.09.2014)
Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers
Neurodegenerative Krankheiten
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