Basiswissen Analysis« probelesen. Basiswissen

Werbung
18
2 Zeichen, Zahlen & Induktion *
Man macht sich z.B. sofort klar, dass das abgeschlossene
Intervall [−3, 4] die Eigenschaften
inf[−3, 4] = −3 = min[−3, 4] und sup[−3, 4] = 4 = max[−3, 4]
besitzt, während das offene Intervall (−3, 4) zwar das Infimum −3 und das Supremum 4 besitzt, diese jedoch nicht
Minimum oder Maximum des Intervalls sind, da sie nicht
zum Intervall gehören.
Damit sind nun in ziemlich kompakter Form diejenigen
grundlegenden Begriffe und Konzepte bereitgestellt, die im
Folgenden ständig benötigt werden.
2.3 Vollständige Induktion *
Unter vollständiger Induktion versteht man den Nachweis der Korrektheit einer Menge von Aussagen A(n)
für alle n ∈ N, n ≥ n0 , durch die Nachweise, dass A(n0 )
wahr ist sowie für alle n ∈ N, n ≥ n0 , die Implikation
A(n) =⇒ A(n + 1) wahr ist.
Sowohl in der Mathematik als auch in der Informatik ist es
häufig so, dass man für eine Menge von Aussagen, die von
einem Parameter n ∈ N abhängen, nachweisen muss, dass
diese wahr sind (z.B. könnte in der Informatik für einen konkreten Algorithmus behauptet werden, dass er für n Eingabewerte stets genau 9n2 + 13n Operationen benötigt). Zum
Einstieg betrachten Sie die folgende kleine Übung, die einen
weniger formalen Zugang zur prinzipiellen Idee eröffnet.
Wie gehen Sie vor, wenn Sie sicherstellen sollen, dass eine
Reihe von Domino-Steinen beim Fallen des ersten Steins sukzessiv umfällt?
Basistext
2.3 Vollständige Induktion *
19
In vielen Fällen ist es am einfachsten, sich bei der Lösung
eines derartigen Problems vom Prinzip der vollständigen
Induktion leiten zu lassen.
Abb. 2.3-1: Einige Domino-Steine.
Um die Idee dieses Vorgehens zu verstehen, wird das obige
Domino-Problem nun genauer betrachtet (vgl. Abb. 2.3-1).
Das Prinzip besteht einfach darin, jeden n-ten Stein so aufzustellen, dass er beim Fallen den (n+1)-ten Stein mit umwirft. Ist dies für alle Steine sichergestellt, muss nur noch
der erste Stein zum Fallen gebracht werden, und die Reihe der Domino-Steine wird kippen. Etwas formalisiert kann
man also die Tauglichkeit einer Reihe von Domino-Steinen
in Hinblick auf sukzessives Umfallen wie folgt überprüfen:
Beispiel 1a
Man stelle sicher, dass der erste Stein fällt.
Man stelle sicher, dass das Umfallen irgendeines n-ten
Steins auch das Umfallen seines Nachfolgers, also des
(n+1)-ten Steins, impliziert.
Hat man diese beiden Bedingungen erfüllt, dann kann man
sicher sein, dass die gesamte Domino-Reihe fällt. Genau
dies ist das Prinzip der vollständigen Induktion.
Basistext
20
2 Zeichen, Zahlen & Induktion *
Vollständige Induktion
Es sei für jedes n ∈ N, n ≥ n0 , eine Aussage A(n) definiert.
Um zu beweisen, dass A(n) für alle n ∈ N, n ≥ n0 , wahr ist,
genügt es, Folgendes zu zeigen:
Satz
(Induktionsverankerung)
A(n0 ) ist wahr
∀n ≥ n0 : A(n) ist wahr =⇒ A(n + 1) ist wahr
(Induktionsschluss)
Beweis
Im Folgenden wird lediglich kurz die generelle Beweisidee
skizziert. Dass dieses Prinzip funktioniert, macht man sich
leicht klar: Wenn A(n0 ) wahr ist (Induktionsverankerung),
dann ist auch A(n0 + 1) wahr (Induktionsschluss für n = n0 ),
damit ist aber auch sofort A(n0 + 2) wahr (wieder Induktionsschluss, jetzt für n = n0 + 1) etc. Damit kann man also
Schritt für Schritt die Korrektheit aller Aussagen A(n) für
n ≥ n0 nachweisen. Beispiel 1b
Angewandt auf das konkrete Beispiel der Domino-Steine
wären die für alle n ∈ N∗ zu verifizierenden Aussagen A(n)
genau die folgenden: A(n) : Der n-te Domino-Stein fällt. In
diesem Beispiel ist n0 = 1, also der Index für den ersten
Stein. Nach den bereits erfolgten Überlegungen genügt es
zum Nachweis der Korrektheit der Aussagen A(n), n ≥ 1,
die folgenden Nachweise zu erbringen:
A(1) ist wahr, d.h. der erste Domino-Stein fällt (Induktionsverankerung).
∀n ≥ 1 : A(n) ist wahr =⇒ A(n + 1) ist wahr , d.h. für
alle n ≥ 1 folgt aus dem Fallen des n-ten Domino-Steins
auch das Fallen des (n+1)-ten Domino-Steins (Induktionsschluss).
Basistext
21
2.3 Vollständige Induktion *
Im Folgenden sollen nun einige Probleme aus dem mathematischen Umfeld unter Zugriff auf das Prinzip der vollständigen Induktion gelöst werden.
Zu zeigen ist die Gültigkeit der Summenformel
A(n) : 0 + 1 + 2 + 3 + · · · + n =
n(n + 1)
2
für alle
Beispiel
n∈N.
Induktionsverankerung: Für n = 0 ist die Aussage A(0)
wahr, denn es gilt
0=
0(0 + 1)
.
2
Induktionsschluss: Es gelte die Aussage A(n) für ein beliebiges n ∈ N (Induktionsannahme). Dann folgt
0 + 1 + 2 + 3 + · · · + n + (n + 1)
= (0 + 1 + 2 + 3 + · · · + n) + (n + 1)
n(n + 1)
=
+ (n + 1) (Induktionsannahme)
2 n
+1
= (n + 1)
2
(n + 1)((n + 1) + 1)
,
=
2
also die behauptete Aussage A(n + 1) für den Index (n + 1).
Insgesamt ergibt sich damit die Korrektheit der Aussagen
A(n) für alle n ∈ N.
Im obigen Beispiel wurde zur Verdeutlichung für jede der
Identitäten noch die Bezeichnung A(n) mitgeführt, damit
man den Zusammenhang zum allgemeinen Prinzip der vollständigen Induktion unmittelbar erkennt. Es ist allerdings
in der Praxis üblich, auf diese ausführliche Notation zu verzichten, da sich die in Frage stehenden Aussagen stets direkt aus dem Kontext ergeben. Im Folgenden wird also auf
Basistext
22
2 Zeichen, Zahlen & Induktion *
die präzise Identifikation jeder zu zeigenden Aussage mit
einem formalen Aussagenkürzel A(n) verzichtet.
Beispiel
Zu zeigen ist die Gültigkeit der Summenformel
02 + 12 + 22 + · · · + n2 =
n(n + 1)(2n + 1)
6
für alle
n∈N.
Induktionsverankerung: Für n = 0 ist die Aussage wahr,
denn
02 =
0(0 + 1)(0 + 1)
.
6
Induktionsschluss: Es gelte die Aussage für ein beliebiges
n ∈ N (Induktionsannahme). Dann folgt
02 + 12 + · · · + n2 + (n + 1)2
= (02 + 12 + 22 + 32 + · · · + n2 ) + (n + 1)2
n(n + 1)(2n + 1)
+ (n + 1)2 (Induktionsannahme)
=
6
n+1
(n(2n + 1) + 6(n + 1))
=
6
n+1
(2n2 + 7n + 6)
=
6
n+1
(2n + 3)(n + 2)
=
6
(n + 1)((n + 1) + 1)(2(n + 1) + 1)
=
,
6
also die behauptete Aussage für (n + 1). Insgesamt folgt die
zu zeigende Identität für alle n ∈ N.
Beispiel
Zu zeigen ist die sogenannte Bernoulli-Ungleichung (Jakob Bernoulli I, 1654-1705)
(1 + x)n ≥ 1 + nx für alle
n∈N,
wobei x ∈ R, x ≥ −1, beliebig und fest gegeben ist.
Basistext
23
2.3 Vollständige Induktion *
Induktionsverankerung: Für n = 0 ist die Aussage wahr,
denn
(1 + x)0 = 1 = 1 + 0 .
Induktionsschluss: Es gelte die Aussage für ein beliebiges
n ∈ N (Induktionsannahme). Dann folgt
(1 + x)n+1 = (1 + x)n (1 + x)
≥ (1 + nx)(1 + x) (Induktionsannahme)
= 1 + (n + 1)x + nx2
≥ 1 + (n + 1)x ,
also die behauptete Aussage für (n + 1). Insgesamt folgt die
zu zeigende Identität für alle n ∈ N.
Um im Folgenden die Notation längerer mathematischer
Ausdrücke etwas zu verkürzen, werden einige Kurzschreibweisen vereinbart.
Für n, m, k ∈ N und ak ∈ R gelte die Summennotation
n
k=m
n
ak := am + am+1 + · · · + an ,
falls m ≤ n ,
falls n < m ,
ak := 0 ,
k=m
die Produktnotation
n
k=m
n
ak := am · am+1 · · · · · an ,
ak := 1 ,
falls m ≤ n ,
falls n < m ,
k=m
sowie die Fakultät- und Binomialnotation
n! :=
n
k,
k=1
Basistext
24
2 Zeichen, Zahlen & Induktion *
n
n!
,
:=
k!(n − k)!
k
falls 0 ≤ k ≤ n .
Die beiden letzten definierten Abkürzungen spielen in der
Mathematik eine sehr wesentliche Rolle. Man bezeichnet n!
als n-Fakultät, wobei gemäß Definition 0! = 1 gilt. Die Zahl
n
wird Binomialkoeffizient genannt und gelesen als n
k
n über k. Er erfüllt z.B. die Symmetriebedingung nk = n−k
und gibt, wie man leicht zeigen kann, genau die Anzahl aller
k-elementigen Teilmengen einer n-elementigen Menge an.
Betrachtet man die Menge M := {1, 2, 3, 4}, so ergeben sich
z.B. alle zweielementigen Teilmengen dieser Menge zu
Beispiel
{1, 2}, {1, 3}, {1, 4}, {2, 3}, {2, 4}
und {3, 4}.
Dies sind offensichtlich genau
4
24
4!
=
=6
=
2!(4 − 2)!
4
2
Teilmengen.
Die folgenden beiden Beispiele zur vollständigen Induktion
schließen diesen Wissensbaustein ab.
Beispiel
Zu zeigen ist die sogenannte geometrische Summenformel
n
k=0
xk =
1 − xn+1
1−x
für alle
n∈N,
wobei x ∈ R \ {1} beliebig und fest gegeben ist.
Induktionsverankerung: Für n = 0 ist die Aussage wahr,
denn
0
k=0
Basistext
xk = 1 =
1−x
.
1−x
2.3 Vollständige Induktion *
25
Induktionsschluss: Es gelte die Aussage für ein beliebiges
n ∈ N (Induktionsannahme). Dann folgt
n
n+1
k
k
x =
x
+ xn+1
k=0
k=0
1 − xn+1
=
+ xn+1 (Induktionsannahme)
1−x
1 − xn+1 + (1 − x)xn+1
1 − x(n+1)+1
=
=
,
1−x
1−x
also die behauptete Aussage für (n + 1). Insgesamt folgt die
zu zeigende Identität für alle n ∈ N.
Zu zeigen ist der sogenannte binomische Lehrsatz (auch
kurz binomische Formel genannt)
n
n k n−k
n
für alle n ∈ N ,
a b
(a + b) =
k
Beispiel
k=0
wobei a, b ∈ R beliebig und fest gegeben sind.
Induktionsverankerung: Für n = 0 ist die Aussage wahr,
denn
0
0 0 0−0
0 k 0−k
0
=
=1.
(a + b) = 1 =
a b
a b
0
k
k=0
Induktionsschluss: Es gelte die Aussage für ein beliebiges
n ∈ N (Induktionsannahme). Dann folgt
(a + b)n+1 = (a + b)n (a + b)
n n k n−k
(a + b) (Induktionsannahme)
=
a b
k
k=0
n n n k+1 n−k
n k n−k+1
b
+
=
a
a b
k
k
k=0
k=0
n n+1 n k n−k+1
n
k n−k+1
a b
+
a b
=
k−1
k
k=1
k=0
Basistext
26
2 Zeichen, Zahlen & Induktion *
= an+1 +
n
k=1
=
n+1
k=0
n
n
ak bn+1−k + bn+1
+
k−1
k
=(n+1
(nachrechnen!)
)
k
n + 1 k (n+1)−k
,
a b
k
also die behauptete Aussage für (n + 1). Insgesamt folgt die
zu zeigende Identität für alle n ∈ N.
Basistext
Zugehörige Unterlagen
Herunterladen