Ableitung und Integral Sei f eine auf R oder auf einer Teilmenge von R definierte Funktion. Die Funktion f heißt differenzierbar in x, wenn sie in x lokal linear (“durch eine Gerade” ) approximierbar ist. f ′ (x)∆x ∆x 0 x Die Zahl f ′(x) (die Steigung der approximierenden Geraden) heißt Ableitung von f in x. f (x + ∆x) − f (x) f ′ (x)∆x ∆x 0 x Der Zuwachs der linearen Approximation f ′(x)∆x ist eine Näherung für den Zuwachs von f f (x + ∆x) − f (x). f (x + ∆x) − f (x) = f ′(x)∆x + o(∆x) f (x + ∆x) − f (x) f ′ (x)∆x ∆x 0 x f (x + ∆x) − f (x) = f ′(x)∆x + o(∆x) Die Zahl f ′(x) heißt Ableitung von f in x. Sie ist die Steigung der in x lokal approximierenden Geraden. Man schreibt auch f ′(x) df dy = (x) = dx dx oder df (x) = f ′(x) dx. Die Funktion f ′ : x 7→ f ′(x) heißt die (erste) Ableitung von f . Die Ableitung von f ′ nennt man die zweite Ableitung von f : f ′′(x) := (f ′)′(x) f (n)(x) := (f (n−1))′(x) ... n-te Ableitung Beispiel: f (x) := x2 f (x + ∆x) = (x + ∆x)2 = x2 + 2x ∆x + (∆x)2 (x + ∆x)2 − x2 = 2x ∆x + o(∆x). (x2)′ = 2x (x2)′′ = (2x)′ = 2. f (x) := xn f (x + ∆x) = (x + ∆x)n = xn + nxn−1 ∆x + (....)(∆x)2 (x + ∆x)n − xn = nxn−1 ∆x + o(∆x). (xn)′ = nxn−1 (xn)′′ = (nxn−1)′ = n(n − 1)xn−2. (xn)(n) = n! Beispiel: y = ex dy = y. dx Daraus gewinnt man leicht die Ableitung der Umkehrfunktion ln dy dx =y 2 Daraus gewinnt man auch die Ableitung der Umkehrfunktion 1 y = ex 0 -1 0 1 1 2 2 dy dx =y dx dy = 1y Daraus gewinnt man auch die Ableitung der Umkehrfunktion 1 y = ex 0 -1 0 1 1 2 2 dy dx =y dx dy = 1y x und y vertauscht: 1 dy 1 = dx x y = ex 0 -1 0 1 y = ln(x) 1 2 y = ex, x = ln y dy dx = y, dx = 1 dy y x und y vertauscht: y = ln x, dy 1 = dx x Also: (ex)′ = ex (ln(x))′ = 1 x. (ln(x))′ = 1 x Mit anderen Worten: ln(x) ist eine Stammfunktion von 1 x. Stammfunktionen Z f (x)dx F heißt Stammfunktion von f , falls F ′(x) = f (x) für alle x aus dem Definitionsbereich von f . Man sagt dafür auch: F ist unbestimmtes Integral von f und schreibt F (x) = Z f (x) dx Ist F eine Stammfunktion von f , dann ist für jede Konstante C auch F + C eine Stammfunktion von f . Denn: Die Ableitung von F (x) + C ist F ′(x) = f (x). Je zwei Stammfunktionen von f unterscheiden sich nur um eine additive Konstante. Denn wenn F ′(x) = f (x) und G′(x) = f (x), dann hat H(x) := F (x) − G(x) die Ableitung H ′(x) = F ′ (x) − G′(x) = f (x) − f (x) = 0, also ist H(x) konstant. Zusammen: Wenn F (x) eine Stammfunktion von f (x) ist, so sind F (x) + C alle Stammfunktionen von f (x) (wobei C alle reellen Zahlen durchläuft). Beispiele: Die Stammfunktionen von 2x sind von der Form Z 2x dx = x2 + C. Beispiele: Die Stammfunktionen von exp sind von der Form Z ex dx = ex + C. Beispiele: Die Stammfunktionen von 1 x sind von der Form Z 1 dx = ln(x) + C. x Stammfunktion und Fläche f (x) a b y = f (x) Φ(a, b) a b Φ(a, b) ist die Größe der Fläche zwischen der Kurve y = f (x), der x-Achse und den Grenzen x = a und x = b Übrigens: Wenn f Werte mit verschiedenen Vorzeichen hat, dann ist Φ(a, b) die mit dem Vorzeichen von f (x) signierte Fläche zwischen der Kurve y = f (x), der x-Achse und den Grenzen x = a und x = b. y = f (x) . a x-Achse b zählt positiv zählt negativ f (x) Φ(a, b) a b b+h Wie wächst Φ(a, b) mit b? f (x) Φ(a, b) a b b+h Φ(a, b + h) = Φ(a, b) + hf (b) + o(h) f (x) Φ(a, b) = F (b) a b b+h Sei für festes a F (b) := Φ(a, b) F ′(b) = f (b) f (x) F (b) a b b+h F ′(b) = f (b) Die Größe der Fläche unter der Kurve f , aufgefasst als Funktion der oberen Grenze b, ist eine Stammfunktion von f . y = f (x) Rb a f (x)dx a b Man nennt Φ(a, b) auch das bestimmte Integral von f (x) zwischen a und b und schreibt Z b a f (x)dx := Φ(a, b) Wir haben gesehen: Die Beziehung Z b a f (x)dx = F (b) − F (a) gilt für die Stammfunktion F (x) = Φ(a, x) – und damit für jede Stammfunktion F . Zur Erinnerung: ex ist Stammfunktion von ex. ln(x) ist Stammfunktion von 1 x, Fazit: 10 y = ex 5 Rb x e dx a x 0 -3 -2 -1 = eb − ea . 0 1 2 a 3 b 1 y=1 x 0 1 b x 1 y=1 x Rb 1 1 x dx = ln b − ln 1 = ln b. 0 1 b x ln b ist die Fläche zwischen der Hyperbel y = 1 x , der x-Achse (y = 0) und den Grenzen x = 1 und x = b. 1.2 1.0 0.8 0.6 0.4 0.2 ln 10. 0.0 Die Fläche in Gelb ist 0 2 4 6 x 8 10 0.6 0.8 1.0 1.2 1 + ... + 1 . 1+1 + 2 3 9 0.4 ist 0.2 (die Fläche der Stäbe) 0.0 Die Fläche in Lila 0 2 4 6 x 8 10 1.2 1.0 0.8 0.6 0.4 1 + ... + 1 . + Hn := 1 + 1 2 3 n 0.2 mit der harmonischen Zahl 0.0 Vergleichen wir ln n 0 2 4 6 x 8 10 1.2 1.0 0.8 0.6 0.4 1 + ... + 1 . Hn := 1 + 1 + 2 3 n 0.2 mit der harmonischen Zahl 0.0 Vergleichen wir ln n 0 2 4 6 x 8 10 1.2 1.0 0.0 Hn → ∞ für n → ∞. 0.2 0.4 also: 0.6 0.8 Hn > ln n, 0 2 4 6 x 8 10 1.2 1.0 0.4 0.2 für n → ∞? 0.0 Hn−1 − ln n 0.6 0.8 Was passiert mit der Differenz 0 2 4 6 x 8 10 Hn − ln n 0.0 In der Tat: man kann die grünen 0.4 Diese Fläche ist kleiner als 1. 0.2 Behauptung: 0.6 0.8 zwischen den Grenzen 1 und n. 1.0 der grünen Flächen 1.2 ist die Summe Flächen alle in den linken Balken verschieben, ohne dass sie dort überlappen. 0 2 4 6 x 8 10 Hn−1 − ln n 0.0 In der Tat: man kann die grünen 0.4 Diese Fläche ist kleiner als 1. 0.2 Behauptung: 0.6 0.8 zwischen den Grenzen 1 und n. 1.0 der grünen Flächen 1.2 ist die Summe Flächen alle in den linken Balken verschieben, ohne dass sie dort überlappen. 0 2 4 6 x 8 10 Wir sehen: Die Folge der Zahlen Hn−1 − ln n wächst mit n TTTTTTTTTTTTTTTfür n → ∞ für n → ∞ (denn 1 = o(1) Hn − Hn−1 = n TTTTTTTTTTTTTTTfür n → ∞) 0.8 0.0 Hn − ln n = γ + o(1) 0.2 und 0.6 Hn−1 − ln n = γ + o(1) 0.4 Also gibt es eine Zahl γ mit 1.0 1.2 und ist beschränkt (durch 1). 0 2 4 6 x 8 10 Zusammengefasst: 1 1 1 Hn := 1 + + + ... + 2 3 n sind die so genannten harmonischen Zahlen. (Sie spielen in der Informatik eine Rolle bei der Analyse von Algorithmen.) Es gibt eine Zahl γ mit Hn = ln n + γ + o(1). γ ≈ 0.57 γ heißt Euler-Konstante. Leonhard Euler 1707-1783