Vorwort Seit einigen Jahren vollzieht sich ein faszinierender Prozess: Man kann beobachten, wie die Psychologie als bisher stark geisteswissenschaftlich orientiertes Fach vermittels der Ergebnisse der Neurowissenschaften ein verbreitertes Fundament erh!lt. Zur Erkl!rung einer immer gr$ßeren Zahl psychischer Ph!nomene (wie Lernen, Ged!chtnis, Emotion, Motivation, psychische St$rungen) werden neurobiologische Befunde herangezogen. Auf der Basis dieses Fundaments er$ffnen sich vielf!ltige Entwicklungsm$glichkeiten der Psychologie (etwa in der kognitiven oder der klinischen Psychologie), die dem Fach ein neues Gepr!ge geben d-rften. Ich hoffe, es ist mir mit diesem Buch auch gelungen, ein wenig von der Faszination dieser neurowissenschaftlichen Herangehensweise an die Psychologie zu vermitteln. Als Lehrbuch richtet sich dieses Werk in erster Linie an Studierende der Psychologie im Hauptund Nebenfach. Daneben kann es auch Lesern aus den Nachbardisziplinen und interessierten Laien einen fundierten Einblick in das Fach Biologische Psychologie geben. F-r den letztgenannten Leserkreis d-rfte von Bedeutung sein, dass zum Verst!ndnis des Textes kaum Vorkenntnisse hinsichtlich biologischen oder medizinischen Wissens notwendig sind. Beim Schreiben eines Lehrbuchs begibt man sich immer auf eine Gratwanderung zwischen wissenschaftlicher Fundiertheit und Pr!zision auf der einen Seite und gr$ßtm$glicher Verst!ndlichkeit auf der anderen. Mein Ziel war es, die angesprochenen Themen so ausf-hrlich darzustellen, dass sie ein abgerundetes Bild des jeweiligen Fragenkomplexes liefern. Dazu geh$ren gelegentlich auch Exkurse etwa zu Ph!nomenen der Tierund Pflanzenwelt oder zu psychiatrischen und neurologischen Krankheitsbildern. Aus meinen Vorlesungen zur Biologischen Psychologie weiß ich, dass diese Blicke -ber den Zaun des eigentli- chen Fachs hinaus sehr gesch!tzt werden, auch wegen ihres »Erholungswerts« von einer ansonsten systematisch aufgebauten Pr!sentation der Inhalte. Die inhaltliche und formale Gestaltung des Buchs basiert auf einigen grunds!tzlichen 9berlegungen. (1) Die Themenauswahl wurde so gestaltet, wie sie einer zweisemestrigen Vorlesung zur Biologischen Psychologie (auch: Physiologischen Psychologie) in etwa entspricht. Der Umfang des pr!sentierten Materials d-rfte dagegen hier und da -ber das hinaus gehen, was im Rahmen einer solchen Vorlesung vermittelt werden kann. Das Buch ist als Begleittext zur Vorlesung zu gebrauchen, der insbesondere auch f-r die Pr-fungsvorbereitung im Fach Biologische Psychologie geeignet ist. (2) Diejenigen Kapitel im zweiten Teil des Buchs, die sich mit bestimmten psychischen Ph!nomenen befassen (z.B. Schmerz, Stress, Sprache, Sexualit!t, Drogenabh!ngigkeit) sind relativ ausf-hrlich, da diese Themen innerhalb des Studiums der Psychologie (Haupt- und insbesondere Nebenfach) nicht zwingend an anderer Stelle noch einmal als eigenst!ndiger Unterrichtsgegenstand auftauchen m-ssen. Da es mir aber wichtig erscheint, dass jeder Studierende der Psychologie hier -ber ein abgerundetes Faktenwissen verf-gt, entschloss ich mich zu einer – im Vergleich zu anderen einschl!gigen Lehrb-chern – vertieften Darstellung. (3) Es werden naturgem!ß zahlreiche wissenschaftliche Ergebnisse berichtet (ohne allerdings experimentelle Details zu referieren). Herbei bevorzugte ich stets, Befunde aus dem Humanbereich zu berichten und tierexperi- Vorwort XVII mentelle Ergebnisse nur dort mitzuteilen, wo sie von ganz besonderer (evtl. auch historischer) Bedeutung sind. Auch habe ich es weitgehend vermieden, auf spekulative Interpretationen von empirischen Befunden oder auf wissenschaftliche Kontroversen einzugehen. (4) Die berichteten Forschungsergebnisse werden nur in Ausnahmef!llen durch Angabe von diesbez-glichen Literaturstellen im Text belegt. W!hrend dies fr-her in Lehrb-chern die Regel war, kommt man mehr und mehr von dieser Gepflogenheit ab (vgl. Lehrb-cher der Medizin). Hierf-r sprechen m.E. zwei Gr-nde: (1) Das wissenschaftliche Schrifttum zu Themen aus der Neurowissenschaft w!chst mit einer enormen Geschwindigkeit an, so dass zu den meisten der Fragestellungen bereits nach Erscheinen eines Lehrbuchs schon wieder neuere Literatur vorliegt. (2) Es ist heute nahezu jedermann (insbesondere Studierenden) ohne großen Aufwand m$glich, innerhalb von elektronischen Literaturdatenbanken und Internet-Suchmaschinen auf der Basis von Schlagw$rtern zu einem bestimmten Thema zu recherchieren. Auf diese Weise ist stets ein Einblick in die modernste Fachliteratur zu jedwedem wissenschaftlichen Fragenkomplex m$glich. (5) Es finden sich an vielen Stellen, abgesetzt vom normalen Text, blau unterlegte K!sten. Diese dienen als ein – auch optisches – Gliederungshilfsmittel f-r die unterschiedlichen Typen von Informationen (z.B. »Zusam- XVIII Vorwort menfassung«, »Vertiefung«, »St$rungsbild«). Diese Textbereiche k$nnen f-r sich, außerhalb des normalen Textflusses gelesen werden, was jedoch nicht heißen soll, dass sie -bergangen werden sollten. Am Ende des Buchs befindet sich ein Glossar. Hier sind wichtige Begriffe noch einmal erl!utert. Dies soll das schnelle Auffinden der Definitionen von Schl-sselbegriffen erleichtern. Auf diese Glossarbegriffe wird im Text immer dort, wo es inhaltlich angezeigt erschien, verwiesen. Des weiteren sind die zahlreichen Abbildungen -bersichtlich in einem Verzeichnis im Anhang aufgef-hrt. Dieses Buch ist unter Mithilfe zahlreicher Personen entstanden, denen ich an dieser Stelle danken m$chte. Frau Dipl.-Psych. Anja Weber hat wichtige inhaltliche Beitr!ge zu einzelnen Kapiteln geleistet. Bei der Erstellung der Grafiken haben mitgewirkt: Frau Lisa H!mmel, Frau Pamela Prechtl und Frau Christa Lorenz. Frau Lorenz hat mich dar-ber hinaus tatkr!ftig bei der Literaturrecherche unterst-tzt. Im Zusammenhang mit der Erstellung des Glossars und des Abbildungsverzeichnisses halfen mir Frau Julia K$nig und Frau Kathrin Holler. Seitens des Verlags BeltzPVU haben zum Gelingen des Buchs beigetragen Frau Dr. Heike Berger, Frau Dipl.-Psych. Daniele Sch!fer, Frau Monika Radecki und Frau Uta Euler. Rainer Schandry M-nchen im Januar 2003 Stress 17 Stress 17 Stress ist ein Prozess, der aus drei Komponenten besteht: (1) einer Interaktion des Individuums mit seinem Reizumfeld, die durch Anforderungscharakter gekennzeichnet ist; (2) einem oder mehreren Bew'ltigungsversuchen im Umgang mit dieser Situation; (3) einer Auslenkung aus der Balance k*rperlicher und psychischer Funktionen als Ergebnis dieser Anstrengungen des Individuums (»Stress« im engeren Sinne). Das Stress-Ph'nomen setzt sich also zusammen aus einem Stimulus – dem Stressor, definiert 3ber die Umwelt –, einem Element subjektiven Erlebens im Sinne eines Bew'ltigungsversuchs und einer Stress-Reaktion. Schließlich ist noch hinzuzuf3gen, dass die Stress-Reaktion wiederum oft als eine – unangenehm erlebte – Befindlichkeitsver'nderung wahrgenommen wird und damit selbst Stimulus-Charakter erh'lt. Stress wird in dem Moment gesundheitsgef'hrdend, in dem die Bew'ltigungsversuche erfolglos bleiben und der Zustand psychophysischer Imbalance 3ber einen l'ngeren Zeitraum herrscht. Physiologische Stressreaktion. Die physiologischen Reaktionen bei Stress sind aus evolution'rer Perspektive gesehen, sinnvolle Reaktionen auf Stressoren, die eine unmittelbare Bedrohung der Unversehrtheit eines Organismus darstellen. Diese Bedrohungen kamen bei unseren tierischen und sehr fr3hen menschlichen Vorfahren vor allem als »Fressfeinde« vor. In der Auseinandersetzung mit Feinden kann man einerseits fliehen, man kann aber auch versuchen, sie durch Kampf zu 3berw'ltigen. Schon zu Beginn der Stressforschung wurde daher die sog. »fight-flightreaction« (Kampf-Flucht-Reaktion) als weitgehend deckungsgleich mit der physiologischen Stressreaktion angesehen. Sowohl der Begriff der Kampf-Flucht-Reaktion als auch die Verwendung des Wortes Stress im Zusammenhang mit psychophysischen Belastungen wurde von Walter B. Cannon (s. Kap. 7.2) in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts eingef3hrt. Der moderne Stressbegriff geht aber nicht prim'r von derart extremen oder außergew*hnlichen Belastungen aus, sondern man spricht bei jeder Art von Belastung, die den Organismus zu einer Anpassungsleistung zwingt, von einer »Stressbelastung«. Unter solche Anforderungssituationen fallen z.B. auch Nahrungsmangel, starke Temperaturschwankungen, Zwang zu Entscheidungen bei Unsicherheit, Arbeiten unter Zeitdruck oder emotionale Belastungen ohne Bew'ltigungsm*glichkeiten. Wie geht nun ein biologischer Organismus, dessen Evolution nicht so schnell verlaufen ist, dass sich seine genetische Ausstattung den kulturellen bzw. zivilisatorischen Anforderungen bereits anpassen konnte, mit den Stressoren unserer Zivilisation um? Die »nat3rliche« (physiologische) Stressreaktion, die f3r besondere akute Anforderungen an den Organismus vorgesehen ist, ist hier inad'quat. Offenes Kampf-Flucht-Verhalten ist im Regelfall unangemessen. Dennoch kommt es zu Aktivierungsanstiegen in vielen Organsystemen. ! Der Komplex »Stress« setzt sich zusammen aus P einem Stimulus (Stressor) P einer Erlebenskomponente, die meist in eine Bew'ltigungshandlung m3ndet P einer Auslenkung aus dem optimalen, im Gleichgewicht befindlichen k*rperlichen Funktionsniveau. 17 Stress 333 17.1 Die Stressreaktion 17 Stress Die Evolution hat solche Spezies 3berleben lassen, die sich den naturgegebenen Anforderungen anpassen konnten. Die Stressreaktion ist eine auf viele Stressoren generalisierte Anpassungsreaktion, bei der endokrine und neuronale Reaktionen in koordinierter Weise ablaufen. Durch diese Abstimmung kann der Stoffwechsel, das Verhalten und auch das Immunsystem eines Organismus angemessen auf die gestellten Anforderungen reagieren. Historische Befunde. Die Idee einer generalisierten Stressreaktion auf sehr unterschiedliche Stressoren geht auf Hans Selye zur3ck, der als Begr3nder der modernen Stressforschung gilt. Er fand in einer langen Reihe von Tierexperimenten in der Zeit von 1950 bis 1970 relativ 3bereinstimmende (patho-)physiologische Reaktionen (s.u.) auf verschiedene Stressoren – Temperaturschwankungen, Immobilisierung und soziale Stressoren. Aufgrund dessen formulierte er die These, dass die Stressreaktion eine unspezifische, hinsichtlich der Ausl*sereize aber einheitliche Reaktion sei. In ihrer strengen Form ist Selyes These einer generalisierten Stressreaktion heute nicht mehr haltbar. Auf der Basis sehr sorgf'ltiger neuerer Untersuchungen hat man davon auszugehen, dass unterschiedliche Stressoren keineswegs immer zu identischen Reaktionen f3hren m3ssen. Ebenso hat sich gezeigt, dass auch interindividuell bei gleichen Stressoren unterschiedliche Reaktionen auftreten k*nnen. 17.1.1 Beobachtungen zu Stressfolgen im Tierreich Die Stressreaktion 'ußert sich 3ber die verschiedenen Arten hinweg in vergleichbaren Verhaltensmustern, die im Rahmen einer nat3rlichen Bedrohung sinnvolle Anpassungen darstellen. Im nat3rlichen Umfeld werden Tiere vor typische Herausforderungen gestellt: Innerhalb der eigenen Gruppe m3ssen Rangordnungen geschaffen und nach außen das Territorium verteidigt werden. Es muss Nachwuchs gezeugt und aufgezogen, d.h. vor allem ern'hrt und verteidigt werden, weshalb zumindest zeitweise eine Paarbeziehung aufgebaut werden muss. Außerdem sind Anpassungen an wechselnde Umweltbedingungen zu leisten und es kann die Eroberung eines neuen FORSCHERPERS,NLICHKEIT Hans Selye wurde 1907 in Wien geboren. Er studierte Medizin und Philosophie an den Universit'ten Prag, Paris und Rom. Im Jahr 1932 nahm er seine T'tigkeit an der McGill-Universit't in Montreal (Kanada) auf. Er gr3ndete das International Institute of Stress (University of Montreal). Hier f3hrt er bis zu seinem Tode seine bahnbrechenden Arbeiten zum Thema Stress durch. Er entdeckte, dass bei Labortieren eine F3lle von Stressoren (Giftstoffe, Verletzungen, ung3nstige Umweltbedingungen, soziale Belastungen) schwerwiegende k*rperliche Ver'nderungen hervorriefen. Dazu geh*rten Schrumpfung der Thymusdr3se und Magengeschw3re. Viele Tiere starben an den Folgen dieser Belastungen. Er 334 17 Stress nannte das Syndrom stressbedingter k*rperlicher Ver'nderung »General Adaptation Syndrome« (GAS). Selye 3bertrug diese Ergebnisse auf den Menschen, wobei er vor allem auf die sch'dlichen Begleiterscheinungen einer Imbalance im hormonellen System aufmerksam machte. Es ist das Verdienst Selyes, dass der Zusammenhang zwischen psychischen Belastungen und somatischen Krankheiten eine wissenschaftliche Fundierung fand und von einer breiteren Hffentlichkeit beachtet wurde. In seiner 50j'hrigen Laufbahn als Stressforscher schrieb Selye 33 B3cher, die in mehrere Sprachen 3bersetzt wurden. Außerdem verfasste er 3ber 1500 Zeitschriftenartikel. Er starb 1982 in Montreal. wie Stressmanagementtraining oder kognitive Umstrukturierung. Insbesondere eine chronische Stressbelastung – verbunden mit fehlenden Bew'ltigungsm*glichkeiten – setzt beim Menschen ebenso wie im Tierreich physische Reaktionen in Gang, die den betreffenden Organismus noch mehr schw'chen. Die Theorie der erlernten Hilflosigkeit. Die Verhaltensbeobachtung bei Tieren kann wichtige Anregungen zur Erkl'rung f3r menschliche Adaptationsmechanismen liefern. Dies zeigt das Beispiel eines zentralen Konzepts der Depressionsforschung. Die »Theorie der erlernten Hilflosigkeit« nach M. Seligman (1975) bildet eine theoretische Verkn3pfung von Stress, Angst und Depression. Seligman beobachtete, dass Hunde, die einem aversiven Reiz ausgesetzt wurden, unterschiedliche Verhaltensweisen zeigten, je nachdem, ob sie Einfluss auf den Reiz nehmen konnten oder nicht. Wurden die Hunde durch einen Ton akustisch vor einem Elektroschock gewarnt, so dass sie durch Sprung in einen anderen Bereich des K'figs dem aversiven Stimulus ausweichen konnten, blieb ihr weiteres Verhalten normal. Tiere, die dagegen unsystematisch und ohne Vorwarnung Elektroschocks erhielten und keine Gelegenheit zur Flucht hatten, zeigten zunehmend passives Verhalten. Sie kauerten sich zusammen und unternahmen – selbst wenn sich ihnen sp'ter die Gelegenheit bot – kaum noch Anstrengungen, den Schocks zu entfliehen. Sie verhielten sich auch 3beraus schreckhaft. Dieses Benehmen ist einem depressiven Verhaltensmuster 'hnlich, das auch durch Passivit't und Antriebslosigkeit gekennzeichnet ist. Nach Seligmans Theorie k*nnte also eine Depression durch die Erfahrung von Kontrollverlust und Hilflosigkeit ausgel*st werden. Obwohl dies nur einen Teilaspekt des Zusammenhangs zwischen Depression und Stress betrifft (Weiteres zur Depression s. Kap. 21.1.4), hat dieses Konzept sowohl die Stressforschung als auch verhaltenstherapeutische Behandlungsans'tze bei der Depression angeregt. 17.1 Die Stressreaktion 17 Stress Territoriums erforderlich werden. Einige dieser Anforderungen erfordern eine schnelle Reaktion auf sich pl*tzlich 'ndernde Situationen. Insbesondere f3r diese Situation enth'lt die Stressreaktion bestimmte Elemente, die rasch und automatisiert ausgel*st werden. Dazu geh*ren auch bestimmte Emotionen. Stresstypische Emotionen. Angst ist die wichtigste Emotion im Zusammenhang mit dem Einwirken von Stressoren. Bei Tieren 'ußert sie sich h'ufig im sog. »freezing« (Erstarren). Auch Aggressivit't tritt h'ufig auf – besonders bei sozialen Stressoren. Sie kann sich z.B. als Drohgeb'rde vor oder w'hrend eines Kampfes zeigen. W'hrend dieser Vorg'nge im Zuge einer Kampf- oder Fluchtreaktion werden zwei andere prinzipiell f3r das Jberleben wesentliche Verhaltenskomponenten zur3ckgestellt: Die Nahrungsaufnahme und das reproduktive Verhalten. Dauerstress und seine Folgen. Von besonderer Bedeutung sind die langfristigen Folgen anhaltender Stressbelastung. So scheint bei bestimmten Arten ihre Populationsdichte nicht nur durch die stressbedingte Reduzierung des Reproduktionsverhaltens verringert zu werden, sondern sogar durch den stressbedingten Tod hierarchisch niedriger Tiere. Insgesamt scheint bei einem durch Stress chronisch aktivierten Organismus das Aggressionsverhalten zu sinken, wodurch eine stabile Rangordnung erm*glicht wird. Bei einigen Tierspezies zeigt sich nach wiederholtem Misserfolg im Kampf um die Rangordnung eine drastische Reaktion: Der K*rper scheint gleichsam seine Reserven zu verbrauchen, die Tiere magern ab, werden schw'cher und das Immunsystem bricht zusammen. Dies kann zum Tod dieser Tiere f3hren. Auch beim Menschen werden typische Stressreaktionen, einerseits gekennzeichnet durch aggressives Verhalten (Kampf), andererseits aber auch durch R3ckzug (Flucht), beobachtet. Viele dieser Reaktionen werden innerhalb k3rzester Zeit aktiviert, was auf automatisierte Prozesse hinweist. Sollen diese im Zuge einer Verhaltensmodifikation ver'ndert werden, erfordert das meist langwierige therapeutische Interventionen 335 17.1.2 Die Physiologie der Stressreaktion Stressreaktion und sympathisches Nervensystem Sympathikus (vgl. Kap. 7.2.1) und Parasympathikus sind die beiden Hauptbestandteile des peripheren vegetativen (autonomen) Nervensystems. Der Sympathikus steuert prim'r Aktivierungsvorg'nge, wie sie f3r die Kampf- oder Flucht-Reaktion n*tig ist, (s. Abb. 17.1), der Parasympathikus ist dagegen in Zust'nden der Ruhe und der Erholung besonders aktiv, also dann, wenn regenerative Prozesse ablaufen. Der Sympathikus sorgt bei einer Lnderung des inneren oder 'ußeren Milieus – z.B. aufgrund einer Temperatur'nderung, bei Blutverlust oder der Angst w'hrend eines Kampfes – u.a. f3r eine Aktivierung des Herzens, f3r die Weitstellung der Bronchien und f3r Ver'nderung im peripheren Gef'ßsystem. Der Transport des Blutes mit seinen Inhaltsstoffen zu den Muskeln der Arbeitsmuskulatur wird gef*rdert. Auch die Haarbalgmuskeln und die Augenmuskeln werden aktiviert. Die zu Berge stehenden Haare und geweiteten Augen lassen ein erschrecktes Individuum deutlich erkennen. Adrenalin und Noradrenalin. Von besonderer Bedeutung im Zusammenhang mit der sympathisch vermittelten Stressreaktion ist die Aussch3ttung von Õ Adrenalin und Õ Noradrenalin 336 17 Stress St re ss or 17 Stress Das innerorganismische Netzwerk zur Steuerung der verschiedenen Komponenten einer Stressreaktion verf3gt 3ber ein System, das die Abstimmung der einzelnen Regelstufen erm*glicht. Dies ist die Hypothalamus-Hypophysen-NebennierenrindenAchse (auch Õ HPA-Achse: engl. hypothalamuspituitary-adrenocortical axis). Sie steht in enger Verbindung sowohl zum hormonellen System als auch zum sympathischen Nervensystem. aus dem Nebennierenmark in den Blutstrom (s. Kap. 8.5.4.). Diese beiden Hormone wirken an vielen inneren Organen funktionssteigernd. So wird z.B. die Herzarbeit intensiviert und der Blutdruck erh*ht. Adrenalin f*rdert dar3ber hinaus durch Eingriff in den Glucose-Stoffwechsel die Freisetzung energieliefernder Substanzen. Noradrenalin wirkt zugleich als ein Neurotransmitter im Gehirn. Es wird davon ausgegangen, dass einige der psychischen Komponenten der Stressreaktion von noradrenergen Neuronen vermittelt werden. Zumindest ist (aus dem Tierexperiment) bekannt, dass beim Einwirken verschiedener Stressoren die Aussch3ttung von Noradrenalin Neokortex Limbisches System Hypothalamus CRH/ADH Sympathisches Nervensystem Hypophyse ACTH Nebennierenrinde Nebennierenmark Cortisol Adrenalin Noradrenalin Abbildung 17.1 Die zwei Systeme der Stressreaktion. Die Abbildung zeigt das Zusammenspiel der HPA-Achse (links) und des sympathischen Nervensystems (rechts) bei der Stressreaktion. CRH = Corticotropin-Releasing-Hormone, ADH = Antidiuretisches Hormon, ACTH = Adrenocorticotropes Hormon. Die Arbeit der HPA-Achse wird durch zahlreiche Feedback-Schleifen sehr eng reguliert (unterbrochene Linien). So besitzen v.a. die Hypophyse und der Hypothalamus Chemosensoren zur Registrierung der im Blut vorhandenen Konzentrationen verschiedener Hormone Die HPA-Achse F3r die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse hat sich auch im Deutschen weithin die Bezeichnung »HPA-Achse« eingeb3rgert. Dies steht f3r Hypothalamus-Pituitary gland-Adrenal cortex. Das Zusammenspiel des unter Stress aktivierten Regelkreises von Hypothalamus, Hypophyse und Nebennierenrinde dient insbesondere zur Sekretionsregulation der Õ Glucocorticoide. Der wichtigste Vertreter der Glucocorticoide beim Menschen ist das Õ Cortisol. Funktion der Glucocorticoide. Die Glucocorticoide werden sowohl f3r basale Regulationsmechanismen – z.B. die morgendliche Aktivierung nach dem Aufwachen – als auch bei Stress zur Stabilisierung der Hom*ostase ben*tigt. Die Glucocorticoid-Sekretion folgt einerseits einem circadianen Rhythmus, andererseits als schneller Anpassungsvorgang auf Stressoren. Dar3ber hinaus sind sie ein wichtiges Bindeglied zwischen der HPA-Achse mit dem Immunsystem (s.u.). Auch im Gehirn, das von den fettl*slichen Glucocorticoiden 3ber die Blut-Hirn-Schranke erreicht werden kann, haben sie Wirkungen, etwa im Zusammenhang mit Lernen und Ged'chtnis. Schnittstelle Hypothalamus. Der Hypothalamus ist mit 3ber- und untergeordneten Bereichen des ZNS efferent und afferent verschaltet. Er erh'lt sowohl Informationen 3ber den sensorischen Input als auch 3ber Eingeweide-Vorg'nge. Auf der Basis der Informationen 3ber den Zustand des inneren Milieus, wie Temperatur, Ionenhaushalt oder Hormonkonzentrationen im Blut, kann er seine Funktion als oberstes Integrationsorgan vegetativer Funktionen aus3ben. Er ist u.a. f3r die Anpassung von Atmung, Kreislauf, Fl3ssigkeitsund Nahrungsaufnahme, K*rpertemperatur und Reproduktionsverhalten verantwortlich. Hypo- thalamische Efferenzen verlaufen auf neuronalem Wege zu Neuronen des sympathischen und parasympathischen Nervensystems und zum Õ Hypophysen-Hinterlappen (Neurohypophyse), auf hormonalem Weg vermittels neurosekretorischer Neuronen zum Hypophysenvorderlappen. Der Hypothalamus bildet also eine wichtige Schnittstelle zwischen neuronalem und endokrinem System. Hormonelle Umsetzung in der Hypophyse. Die Hypophyse ist das hormonelle Ausf3hrungsorgan des Hypothalamus. Durch die Freisetzung des Corticotropin-Releasing-Hormons (Õ CRH) in den hypophys'ren Portalkreislauf der Adenohypophyse reguliert der Hypothalamus die Aussch3ttung des Adrenocorticotropen Hormons ACTH aus dem Hypophysen-Vorderlappen. (Die ACTH-Sekretion wird auch in geringerem Maße durch ADH und Noradrenalin beeinflusst.) Wirkungen an der Nebennierenrinde. An der Nebennierenrinde l*st ACTH vor allem die Sekretion von Glucocorticoiden aus. Diese werden in der mittleren der drei Schichten der Nebennierenrinde, der Zona fasciculata, gebildet, w'hrend die innere Schicht (Zona reticularis) haupts'chlich Androgene (s. Kap. 18.5.5) und die 'ußere Schicht (Zona glomerulosa) vor allem Mineralokortikoide produziert. (Die Mineralokortikoide 17 Stress z.B. im Bereich des Õ Hypothalamus und des Frontalkortex ansteigt. Ebenso d3rften die Zellk*rper noradrenerger Neuronen im Hirnstamm zahlreiche Zufl3sse von der Õ Amygdala erhalten. Letztere gilt als das wichtigste Gehirngebiet f3r die Entstehung von Angstreaktionen. VERTIEFUNG Bedeutung des Hippocampus Der HPA-Achse ist u.a. der Õ Hippocampus als Teil des limbischen Systems vorgeschaltet. Der Hippocampus ist bei S'ugetieren eine Sammelstelle f3r sensorische Eing'nge optischer, akustischer, olfaktorischer und viszeraler Information. Als Bestandteil des limbischen Systems ist der Hippocampus auch beim Zustandekommen von Aggression, Affektverhalten, Bewusstsein und Motivation beteiligt. Durch seine Verbindungen mit dem Hypothalamus, den Septum-Kernen und dem Gyrus cinguli beeinflusst er neben dem emotionalen auch das viszerale und endokrine Geschehen. 17.1 Die Stressreaktion 337 17 Stress – Hauptvertreter ist das Aldosteron – spielen z.B. eine wichtige Rolle in der Regulation des Wasserhaushalts durch die Niere.) Die Feinabstimmung der HPA-Achse geschieht durch mehrere negative R3ckkopplungsmechanismen auf nahezu allen Ebenen des Systems (s. Abb. 17.1). Funktionen der Glucocorticoide Glucocorticoide – vor allem Cortisol – erf3llen eine Reihe wichtiger Funktionen im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der Hom*ostase. Im Zuge der Stressreaktion dient die Glucocorticoid-Aussch3ttung der Energiebereitstellung. Jber vielf'ltige biochemische Reaktionsketten kann dem K*rper durch die Glucocorticoid-Wirkung Õ Glucose zur Verf3gung gestellt werden. Die Õ Gluconeogenese der Leber wird stimuliert, Aminos'uren werden in Glucose umgewandelt, wof3r Muskelproteine abgebaut werden. Dar3ber hinaus wird die Muskelproteinsynthese gehemmt und der Fettstoffwechsel wird beeinflusst. So werden Triglyzeride gespalten, wodurch sich der Fetts'urespiegel im Blut erh*ht. Die Glucoseaufnahme in Fettzellen wird reduziert und damit die Fettsynthese gehemmt. Die Summe all dieser Einzelwirkungen besteht u.a. in einer Erh*hung des Blutzuckerspiegels. Eine diabetogene Wirkung der Glucocorticoide – z.B. bei st'ndiger Erh*hung des Cortisolspiegels – hat hier ihre Ursache. Weitere Begleiterscheinungen eines chronisch erh*hten Glucocorticoid-Spiegels k*nnen sein: Bluthochdruck, Abbau von Muskelgewebe, Fertilit'tsst*rungen und Wachstumshemmung. Beeinflussung von Immunsystem und Gehirn. Eine weitere wichtige Funktion erf3llen die Glucocorticoide bei Entz3ndungsreaktionen, indem sie Entz3ndungsprozesse hemmen und das Immunsystem supprimieren (= d'mpfen) k*nnen. Sie scheinen jedoch an anderer Stelle des Immunsystems auch aktivierende Funktionen auszu3ben. Im Gehirn k*nnen die Glucocorticoide direkte Wirkungen ausl*sen. Hierf3r sind zwei Rezeptorsysteme verantwortlich: die Mineralocorticoid338 17 Stress Rezeptoren und Glucocorticoid-Rezeptoren. Beide Rezeptoren scheinen differenzierte Funktionen zu erf3llen, die sowohl f3r die positiven als auch f3r die sch'dlichen Wirkungen der Glucocorticoide – und damit von Stress – im Gehirn verantwortlich sind. So modulieren sie (1) Emotionen wie Angst und depressive Verstimmungen, (2) kognitive Prozesse wie Lernen und Ged'chtnis. Die Glucocorticoide scheinen im Bereich des Õ Hippocampus eine auf Dauer sch'digende Wirkung auszu3ben. Es konnte am Gehirn von Nagetieren gezeigt werden, dass anhaltende Stressbelastung (3ber mehrere Wochen) zu einem Untergang hippocampaler Neuronen f3hrt. Es liegen auch einige Befunde am Menschen vor, die auf eine sch'digende Wirkung der Glucocorticoide auf den menschlichen Hippocampus hinweisen: Zum einen zeigt sich bei Patienten mit dem Õ Cushing Syndrom, das durch eine Jberproduktion von Glucocorticoiden gekennzeichnet ist, eine Hippocampus-Atrophie. Diese ist umso st'rker, je h*her die Glucocorticoid-Konzentration im Blut ist. Zum anderen fand sich bei Vietnamkriegs-Veteranen, die ein Posttraumatisches Stresssyndrom (Posttraumatic Stress Disorder PTSD) entwickelt hatten, eine sehr viel st'rkere Hippocampus-Atrophie als bei denjenigen Kriegsveteranen ohne PTSD (vgl. Sapolsky, 1996). ZUSAMMENFASSUNG Glucocorticoide, deren wichtigster Vertreter das Cortisol ist, erf3llen wichtige Funktionen im Zusammenhang mit der Energiebereitstellung im Organismus. Sie wirken außerdem immunsuppressiv. Jber Rezeptoren im Gehirn k*nnen sie einen Einfluss auf die emotionale Befindlichkeit und kognitive Leistungen aus3ben. Bei langanhaltender erh*hter GlucocorticoidKonzentration kann es zu St*rungen einer ganzen Reihe von Systemen kommen. Dazu E Das Corticotropin-Releasing-Hormon System Das Corticotropin-Releasing-Hormon (Õ CRH) l*st in der Hypophyse die ACTH-Sekretion aus, die wiederum in der Nebennierenrinde die Glucocorticoid-Synthese in Gang setzt. Dar3ber hinaus hat CRH aber auch eigenst'ndige Wirkungen im ZNS, die f3r die Stressreaktion von großer Bedeutung sind. Im Tierversuch wurden die Wirkungen von CRH-Injektionen in die Ventrikel des Gehirns untersucht. Auf diese Weise konnten verschiedene Verhaltensauff'lligkeiten beobachtet werden, die sonst auch in Anwesenheit von Stressoren auftreten: reduzierte Nahrungsaufnahme, verminderte sexuelle Aktivit't, erh*hte Schreckhaftigkeit und Angst. Auch das Lernen und die Ged'chtnisleistung ver'ndern sich durch CRH. Einzelne CRH-Gaben f*rderten die Lernleistung im Experiment. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass chronische Stressaktivierung und damit erh*hte CRH-Konzentrationen die Merkf'higkeit verschlechtert. Dar3ber hinaus f3hren Ver'nderungen der CRH-Konzentration zu einer Destabilisierung des Schlaf-Wachzyklus und der Schlaf-Phasen. Zwei Typen von CRH-Rezeptoren. Bisher sind im Gehirn zwei Typen von CRH-Rezeptoren identifiziert worden: der CRH1- und der CRH2a-Rezeptor. (Ein CRH2b-Rezeptor findet sich in der Peripherie.) Diese Rezeptoren scheinen f3r unterschiedliche Aufgaben zust'ndig zu sein. So ist der CRH1- Rezeptor bei Angstverhalten, Lernen und Ged'chtnis beteiligt, w'hrend der CRH2a-Rezeptor bei der Nahrungsaufnahme und Gewichtsregulation eine Rolle spielt. Die aktuelle CRH-Rezeptorendichte in unterschiedlichen Hirnarealen hat also neben der CRH-Konzentration selbst eine wichtige Bedeutung f3r die Regulation der genannten Vorg'nge. Dar3ber hinaus kann die wirksame CRH-Konzentration auch durch ein Protein ver'ndert werden, das an CRH bindet und es damit unwirksam macht. 17 Stress geh*ren erh*hter Blutdruck, Zerst*rung muskul'ren und hippocampalen Gewebes, Unfruchtbarkeit, Wachstumshemmung, Hemmung von Immunreaktionen, Hemmung von Entz3ndungsreaktionen und Diabetes. ZUSAMMENFASSUNG Das CRH-System ist nicht nur als Startpunkt der HPA-Achse von zentraler Bedeutung f3r die Regulation zahlreicher wichtiger K*rperfunktionen, sondern es spielt selbst eine entscheidende Rolle auch bei kognitiven und emotionalen Prozessen. Demnach k*nnen Dysregulationen im Bereich des CRH-Systems und nachgeschalter Funktionen auch an der Entstehung von St*rungen kognitiver und emotionaler Prozesse beteiligt sein. 17.2 Stress und Immunsystem Eine F3lle von Untersuchungen an Mensch und Tier belegen, dass Stressbelastungen einen (meist negativen) Einfluss auf das Immunsystem aus3ben k*nnen. Dies scheint nicht nur f3r Stressoren aus der Umwelt zu gelten, sondern auch f3r negative Emotionen und psychopathologische Zust'nde. Jber die Aussch3ttung der Glucocorticoide, die einen Einfluss auf Immunfunktionen haben, herrscht hier eine enge Verzahnung. Neben dieser hormonellen Interaktion existieren auch nervale Verbindungen zwischen dem vegetativen Nervensystem und Organen des Immunsystems, n'mlich der Thymusdr3se und der Milz. Ein Beleg f3r eine zellul're Basis der Interaktion zwischen Nervensystem und Immunsystem ist die Tatsache, dass auf Zellen des Immunsystems, z.B. auf den Lymphozyten (s.u.), Rezeptoren f3r Neurotransmitter gefunden wurden. Zwei-Wege-Kommunikation. Ebenfalls empirisch abgesichert ist, dass auch die umgekehrte Kommunikation existiert: Immunparameter k*nnen auch auf Gehirnfunktionen und damit auf das Verhalten wirken. Es ließ sich beispielsweise nachweisen, dass Produkte des Immunsystems, z.B. Interferon und Interleukin, die Gehirnaktivit't beeinflussen. Auch zeigten erh*hte Antik*r- 17.2 Stress und Immunsystem 339 17 Stress per-Konzentrationen Effekte auf die Entladungsraten hypothalamischer Neuronen. Auf der Basis dieser und zahlreicher weiterer Untersuchungen ist gesichert, dass die zellul're und biochemische Ausgestaltung des Immunsystems sowie des Nervensystems eine Zwei-Wege-Kommunikation gestattet. Das Vorhandensein dieser Kommunikationswege bildet die organismische Grundlage f3r einerseits die Entstehung k*rperlicher Krankheit durch anhaltenden Stress, andererseits f3r die (positiven oder negativen) Auswirkungen des somatischen Zustands auf kognitive und emotionale Prozesse. Die Zusammenh'nge zwischen psychischen Prozessen und dem Immunsystem untersucht die Psychoneuroimmunologie. In umfangreichen und systematisch angelegten tierexperimentellen Versuchsreihen werden detailliert die einzelnen bekannten Parameter der großen endokrinen und neurochemischen Systeme manipuliert und die Auswirkungen auf das Verhalten untersucht. 17.2.1 Immunabwehr Die Aufgabe des Immunsystems besteht darin, den K*rper vor Einfl3ssen durch sch'dliche Substanzen von außen zu sch3tzen. Hierzu z'hlen Parasiten oder Krankheitserreger wie Bakterien und Viren, aber auch bestimmte chemische Stoffe. Das Immunsystem muss also in der Lage sein, zwischen »fremd« und »eigen« zu unterscheiden. Daher handelt es sich bei diesem System um ein hochkomplexes hierarchisch strukturiertes Gebilde mit zahlreichen f3r spezifische Aufgaben zust'ndigen Untereinheiten. Die einzelnen Bereiche werden im Folgenden kurz dargestellt. Zun'chst unterscheidet man grob die unspezifischen angeborenen Immunmechanismen von den spezifischen, die im Laufe des Lebens erworben werden und sich gegen einzelne Erreger richten. Unspezifische Immunabwehr Zur unspezifischen Immunabwehr geh*ren – neben der Abwehr auf zellul'rer Basis – auch die physikalischen und chemischen Barrieren der 340 17 Stress Haut und Schleimh'ute, die den K*rper vor dem Eindringen fremder Substanzen von außen sch3tzen. Auch die M*glichkeit, durch Fieber bereits eingedrungene Mikroorganismen zu sch'digen, ist Teil der unspezifischen Abwehr. Zellul?re Abwehr. Der K*rper produziert verschiedene Zellen, die vollst'ndig im Dienste des Abwehrsystems stehen. Hierzu z'hlen insbesondere die Makrophagen, große Fresszellen, die eingedrungene Erreger in sich aufnehmen und dort abbauen k*nnen. Auch chemische Systeme wie das sog. Komplementsystem, das in kaskadenartigen Reaktionsketten fremde Zellmembranen zerst*ren und dadurch diese Zellen aufl*sen kann, geh*rt zur angeborenen Ausstattung des Organismus zum Schutz vor Eindringlingen. Daneben beteiligen sich einige Substanzen wie Lysozym und b-Lysin an der unspezifischen chemischen Abwehr fremder Mikroorganismen. Õ Interferone tragen dagegen vor allem zur Zerst*rung virusinfizierter Zellen bei und hemmen die Virusreplikation. MHC-Proteine erkennen »fremd« und »eigen«. Die unspezifischen Abwehrmechanismen sind bereits in jedem Organismus angelegt. Woher weiß nun das Immunsystem, welche Zellen es bek'mpfen soll und welche nicht? Die Antwort liegt in bestimmten Proteinen, die fast jede Zelle auf ihrer Oberfl'che tr'gt, den sog. MHC-Proteinen (Major Histocompatibility Complex). Diese Glycoproteine sind auch f3r die Abstoßungsreaktionen bei Organtransplantationen verantwortlich. Das Gen, das den Bauplan f3r diese MHC-Proteine tr'gt – beim Menschen liegt es auf Chromosom 6 – zeigt eine extrem große Variabilit't, so dass nur bei eineiigen Zwillingen identische MHC-Proteine vorhanden sind. Insbesondere das MHC-Klasse-1-Protein ist f3r die Erkennung der Zellen als eigen oder fremd verantwortlich. Bei Organtransplantationen versucht man daher, eine m*glichst große Jbereinstimmung zwischen dem Spenderund Empf'nger-MHC-Gen zu erreichen. Die spezifische Immunabwehr Die unspezifischen Abwehrmechanismen funktionieren im Regelfall auch bevor der Organismus Rachenmandel 17 Stress mit dem Erreger das erste Mal in Kontakt getreten ist. Die spezifische Abwehr zeichnet sich dagegen durch ein erworbenes »Ged'chtnis« gegen bestimmte Õ Antigene aus. Ein Antigen ist demnach eine Substanz, die eine spezifische Immunreaktion ausl*st. Wenn das Antigen bereits einmal mit dem spezifischen Immunsystem in Kontakt geraten ist, kann es ins »Ged'chtnis« der Abwehr gelangen und beim zweiten Kontakt schneller und wirksamer bek'mpft werden. Unsere Schutzimpfungen machen sich diese spezifische Abwehr zunutze. Durch Kontakt mit weniger gef'hrlichen, aber f3r das Immunsystem gleich aussehenden Antigenen wird der Organismus auf diese Krankheitserreger vorbereitet und kann sie im Ernstfall schnell erkennen und bek'mpfen, bevor sie gr*ßeren Schaden anrichten. Zellul?re und humorale Abwehr durch Lymphozyten. Die spezifische Abwehr wird in die zellul're und humorale Abwehr unterteilt. F3r beide sind besondere immunkompetente Zellen, die Lymphozyten verantwortlich. Die humorale Abwehr ist jener Teil des spezifischen Immunsystems, der durch im Plasma oder in anderen Fl3ssigkeiten des K*rpers vorhandene Antik*rper (s.u.) vermittelt wird. Hier wird die Abwehr vor allem von den sog. B-Lymphozyten 3bernommen. Bei der zellul'ren Immunabwehr 3bernehmen die T-Lymphozyten diese Aufgabe. Wie auch die anderen Zellen des Immunsystems werden beide Lymphozytenarten im Knochenmark gebildet. Die T-Lymphozyten wandern jedoch von dort zun'chst in den Thymus (daher der Name), wo sie einen Reifungsprozess durchmachen, bevor sie ihre Aktivit't im Rahmen des Immunsystems aufnehmen k*nnen. Das Knochenmark und der Thymus werden daher als prim're lymphatische Organe (s. Abb. 17.2) bezeichnet. Die gereiften Lymphozyten warten in den sog. sekund'ren lymphatischen Organen auf Antigene, die das Ged'chtnis des Immunsystems aktivieren und eine spezifische Immunantwort ausl*sen. Diese sekund'ren lymphatischen Organe sind die Lymphknoten, die Milz, die Rachenmandeln, der Blinddarm und die sog. Peyerschen Plaques im Darm. Gaumenmandel Lymphknoten Thymus Lymphgefäße Milz Peyersche Plaques Knochenmark Abbildung 17.2 Lymphatische Organe Die zellul're Abwehr der T-Lymphozyten bek'mpft vor allem virusinfizierte, fremde oder tumor*s entartete Zellen. Eine spezielle Form der T-Lymphozyten sind die sog. T-Helferzellen. Sie helfen bei der Aktivierung der humoralen Immunit't durch die B-Lymphozyten. Letztere stellen im Falle einer Immunreaktion sog. Õ Antik*rper her, die sich an die fremde Zelle oder das Virus binden und dadurch weitere unspezifische Immunmechanismen ausl*sen. Eine dritte wichtige Klasse von immunkompetenten Zellen sind die sog. nat@rlichen KillerZellen (NK-Zellen). (Sie werden auch als NullZellen oder die »3. Population« bezeichnet, da sie weder zu den lymphatischen Zellen noch zu den Zellen der unspezifischen Abwehr z'hlen.) Ihre 17.2 Stress und Immunsystem 341 17 Stress Aufgabe besteht vor allem in der Bek'mpfung von virusinfizierten Zellen und Tumorzellen. Diese k*nnen sie durch Anheftung an die Zelloberfl'che und Abgabe von zytolytischen (= zellaufl*senden) oder zytotoxischen Substanzen zerst*ren. Zusammenwirken spezifischer und unspezifischer Abwehr. Bei einer Reaktion des K*rpers aufgrund einer Infektion wirken sowohl unspezifische als auch spezifische Abwehrmechanismen zusammen, wobei zahlreiche Interaktionen stattfinden. Die Aktivit't des Immunsystems wird h'ufig am Vorhandensein und der Aktivit't bestimmter Komponenten des Immunsystems gemessen. Da die Aufgabenteilung zwischen diesen Komponenten und ihr komplexes Zusammenspiel sehr genau geregelt ist, k*nnen aus der spezifischen Aktivit't einzelner Subsysteme h'ufig R3ckschl3sse auf die Erreger geschlossen werden. Bei dem Ausfall oder der Sch'digung eines Abwehrmechanismus resultieren spezifische Krankheitsbilder. halb weniger Minuten einstellen. Es kommt im Extremfall zum Kreislaufversagen mit Todesfolge. Bei leichteren Formen betreffen die Symptome eher die Haut, die Bronchien oder die Blutgef'ße. Symptome und Ursachen der Allergie. Die typischen Allergiesymptome wie Hautr*tung und -schwellung (z.B. bei Nesselsucht), vermehrte Schleimabsonderung (Heuschnupfen) oder Jucken sind meist eine Folge der Freisetzung von Õ Histamin und Õ Serotonin sowie der Bildung von Õ Prostaglandinen. F3r die Entwicklung einer Allergie kommen zahlreiche Ursachen in Frage: Es kann eine genetische Veranlagung vorliegen, es k*nnen extreme Allergen-Expositionen stattgefunden haben, die Durchl'ssigkeit der Haut und der Schleimh'ute kann durch Infekte erh*ht sein oder es kann eine Entgleisung der Immunabwehr infolge starker psychischer Belastung vorliegen. ZUSAMMENFASSUNG 17.2.2 Allergie Unter einer Allergie versteht man eine Ver'nderung der spezifischen Reaktionsweise des Immunsystems gegen3ber einer k*rperfremden, eigentlich unsch'dlichen Substanz. Es bilden sich Antik*rper, das Antigen wird damit zum Õ Allergen. Die ver'nderte Reaktion besteht in den allermeisten F'llen in einer Hypersensibilt't (Jberempfindlichkeitsreaktion). Eine Allergie kann sich nach einem unbemerkt verlaufenden Erstkontakt 3ber Tage bis Jahre hinweg entwickeln. Kommt es zu einem erneuten Kontakt, stellt sich die Antigen-Antik*rper-Reaktion ein. Es zeigen sich dann beim sog. verz*gerten Typ Entz3ndungsreaktionen an den allergisierten Organsystemen. Beim sog. Soforttyp kann es dagegen innerhalb von Sekunden oder Minuten zu einer Jberreaktion kommen. Eine besonders dramatische allergische Reaktion vom Soforttyp ist der sog. anaphylaktische Schock. Dieser kann sich z.B. nach einer Medikamenteninjektion oder einem Bienenstich inner- 342 17 Stress Es herrscht eine enge Koppelung zwischen der Stressreaktion und Immunprozessen. Dies wird z.B. daran deutlich, dass auf Zellen des Immunsystems Rezeptoren f3r Neurotransmitter gefunden wurden. Andererseits beeinflussen Produkte des Immunsystems die Gehirnaktivit't. Bei der Immunabwehr unterscheidet man (a) die unspezifischen angeborenen Immunmechanismen unter Beteiligung der Makrophagen und (b) die spezifischen Immunprozesse. Letztere werden im Laufe des Lebens erworben. Sie sind 3ber die Lymphozyten vermittelt. Die Lymphozyten werden in den lymphatischen Organen des K*rpers gebildet. Bei einer Allergie liegt eine Ver'nderung der spezifischen Reaktionsf'higkeit des Immunsystems vor, die sich gegen eine k*rperfremde, eigentlich unsch'dliche Substanz richtet. Es bilden sich Antik*rper. In diesem Fall bezeichnet man das Antigen als Allergen. Der Einfluss psychischer Faktoren auf die Entstehung und Aufrechterhaltung organischer St*rungen bzw. Erkrankungen ist von jeher bekannt. Bereits in der Antike wusste man 3ber diese Zusammenh'nge. Im 20. Jahrhundert entwickelte sich eine eigenst'ndige medizinische Fachrichtung, die sich insbesondere mit derartigen St*rungen besch'ftigt: die Psychosomatik. Diese Disziplin entstand aus der Erkenntnis, dass bestimmten Erkrankungen offenbar keine erkennbaren externen Ursachen wie etwa eine Infektion o.'. zugrunde liegen. Dar3ber hinaus sprachen viele Symptome dieser Erkrankungen auf psychotherapeutische Behandlungsmaßnahmen an. In enger Beziehung zur psychoanalytischen Theorie wurde das Krankheitsmodell der Psychosomatik entwickelt. Dieses sieht die Ursache f3r die auftretenden organischen Symptome in erster Linie in unbewussten psychischen Konflikten, die auch in der Vergangenheit aufgetreten sein k*nnen. Ein solcher Konflikt, der sich nach dieser Ansicht im Symptom manifestiert, soll zudem eine Entsprechung im Symptom und damit eine L*sung erfahren. Der Therapeut hat nach diesem Ansatz also die Aufgabe, die unbewussten Konflikte aufzudecken und dem Patienten psychotherapeutisch bei deren Bewusstmachung zu helfen. Es konnten bisher kaum wissenschaftliche Nachweise f3r die Bedeutung dieses Konfliktmodells und die Entwicklung charakteristischer Symptome gefunden werden. Zun'chst wurden zahlreiche Erkrankungen, f3r die kein externer Verursacher gefunden wurde, mit dem Stempel »psychosomatisch« oder »psychisch bedingt« etikettiert und damit dem T'tigkeitsfeld der Psychosomatik zugeordnet. F3r einige dieser St*rungsbilder wurden mittlerweile k*rperliche (Mit-)Ausl*ser gefunden, so dass sie nach und nach aus der klassischen Psychosomatik herausfielen. Neben der klassischen psychosomatischen Medizin auf der Basis psychoanalytischer Konfliktmodelle wurde ein weiterer Ansatz entwickelt, aufgrund dessen Erkrankungen mit m*glichen psychogenetischen Faktoren empirisch und experimentell untersucht wurden. Dies ist die Verhaltensmedizin. Insbesondere die psychophysiologische Forschung konnte im Experiment zahlreiche Effekte psychischer Faktoren – v.a. auch im Zuge von Stressbelastungen – auf k*rperliche Parameter nachweisen. Hierunter fallen insbesondere Herzkreislauf-Funktionen wie die Herzfrequenz oder der Blutdruck, aber auch der Muskeltonus, die Magens'ureproduktion und die Speichelsekretion. Man nimmt demnach an, dass Symptome mit Krankheitswert durch ver'nderte Aktivierung dieser Funktionen bedingt sein k*nnten. Erkrankungen, f3r die ein solches Modell anwendbar ist, werden von vielen Autoren als psychophysiologische StArungen bezeichnet. Es sollen beispielhaft einige Krankheiten beleuchtet werden, bei denen eine Mitverursachung durch Stressbelastungen als sehr wahrscheinlich gilt. 17 Stress 17.3 Stressbezogene kArperliche Erkrankungen 17.3.1 Koronare Herzkrankheit Insbesondere das Herz-Kreislauf-System stand bereits fr3h im Mittelpunkt des Interesses der Verhaltensmedizin. Die Beobachtung, dass das Auftreten von koronarer Herzkrankheit mit bestimmten Pers*nlichkeitseigenschaften der Patienten gekoppelt zu sein schien, gab Anlass f3r intensive Forschung. Die koronare Herzkrankheit manifestiert sich in reduzierter Durchblutung bestimmter Bereiche der Herzmuskulatur bis hin zum Herzinfarkt. Sie z'hlt zu den h'ufigsten Todesursachen in der zivilisierten Welt. Es wurde in L'ngsschnittstudien aus den 70er Jahren verschiedentlich beobachtet, dass Personen, die ein erh*htes Risiko f3r koronare Herzkrankheit bzw. f3r Herzinfarkt haben, besonders h'ufig ein starkes Konkurrenzverhalten, Kontrollbed3rfnis, Feindseligkeit und Ehrgeiz zeigten. Dieses Verhaltensmuster kann z.B. mit einem standardisierten Interview identifiziert werden. Man nennt diese Kombination von Eigenschaften bzw. Verhaltensweisen Typ-A-Verhalten. Die gelasseneren, ausgeglicheneren Personen zeigen danach Typ-B-Verhalten. Auf der Basis neue- 17.3 Stressbezogene k*rperliche Erkrankungen 343 17 Stress rer Studien konnten die Befunde weiter eingeengt werden. Dabei stellte sich heraus, dass insbesondere die Merkmale »Feindseligkeit« und »Lrger«, die ebenfalls bei Typ-A-Personen besonders ausgepr'gt sind, zu einer Risikoerh*hung f3r koronare Herzkrankheit beitragen. 17.3.2 Stress und Magengeschw@r Eine zweite chronische Erkrankung, die – vor allem in der Vergangenheit – als typischerweise stressinduziert angesehen wurde, ist das Magengeschw3r. So zeigte sich in verschiedenen, gut kontrollierten Studien ein Zusammenhang zwischen Stressbelastung in den zur3ckliegenden Monaten und dem Auftreten von Magengeschw3ren. In den 1990er Jahren stellte sich heraus, dass ein großer Teil der Magengeschw3r-Patienten mit dem Bakterium Helicobacter pylori infiziert ist und dass eine antibakterielle Behandlung zu sehr guten Heilungserfolgen f3hrt. Infolge dieser Ergebnisse trat der Faktor »Stress« im Zusammenhang mit der Entstehung von Magengeschw3ren in den Hintergrund. Dennoch kann – auch aus moderner Sicht – kein Zweifel daran bestehen, dass anhaltende Stressbelastung entweder mittelbar – 3ber damit einhergehende ungesunde Verhaltensweisen – oder unmittelbar 3ber Beeinflussung der Immunfunktion einen Beitrag zur Entstehung von Magengeschw3ren leistet. Eine beispielhafte Darstellung des Zusammenspiels von Stressbelastungen und sekund'r damit zusammenh'ngenden Faktoren bei der Entstehung von Magengeschw3ren gibt Abb. 17.3 (Levenstein, 2000). Hier erkennt man, dass die Verhaltensbesonderheiten, die sich bei stressgeplagten Stressoren Geänderte Physiologie Geändertes Verhalten Rauchen Alkohol Schmerzmittel Frühstück Schlaf Abwehrkraft der Schleimhaut Blutfluss Säure Sekretion? Säuregehalt im Zwölffingerdarm Magenbewegungen Immunsystem Helicobacter Pylori ZwölffingerdarmGeschwür Abbildung 17.3 Modell der Magengeschw3r-Entstehung. In diesem Modell wird einerseits eine Beteiligung des Bakteriums Helicobacter pylori ber3cksichtigt, andererseits werden auch Stressfolgen auf der Ebene des Verhaltens integriert. Nach oben gerichtete Pfeile bedeuten eine Zunahme der entsprechenden Aktivit't, nach unten gerichtete eine Abnahme (nach Levenstein, 2000, S. 179) 344 17 Stress 17.3.3 Stress und Bluthochdruck Auch der Bluthochdruck (essentielle Hypertonie) gilt als eine Erkrankung, zu deren Entstehung der Faktor Stress beitr'gt. Dies wird u.a. dadurch nahegelegt, dass Stressoren im Regelfall eine Blutdrucksteigerung ausl*sen. Die unbewiesene aber plausibel erscheinende Annahme ist, dass st'ndig wiederkehrende, stressbedingte Blutdruckerh*hungen schließlich zu einer Chronifizierung des hohen Blutdrucks f3hren k*nnten. Schl3ssig belegt werden k*nnte diese Annahme nur durch groß angelegte L'ngsschnitt-Studien, die allerdings noch ausstehen. In j3ngster Zeit mehrt sich die empirische Evidenz, dass ein wichtiger Faktor bei der Entstehung des Bluthochdrucks eine bestimmte Komponente des Stress-Erlebens ist, n'mlich der sog. »Negative Affekt«. Dies ist ein psychologisches Konstrukt, das sich in erster Linie aus Depressivit't, Angst und Anspannung zusammensetzt. Es l'sst sich mit diesbez3glichen Frageb*gen leicht erfassen. So konnte in einer 13j'h- rigen prospektiven Studie gezeigt werden, dass die Personen, die zu einem ersten Messzeitpunkt (mit normalem Blutdruck) erh*hte Werte im Merkmal »Negativer Affekt« aufwiesen, in den folgenden Jahren eine deutlich erh*hte Inzidenz des Bluthochdrucks aufwiesen. Bei M'nnern war sie um den Faktor 1,6 erh*ht, bei Frauen um den Faktor 2. Eine These zur Erkl'rung dieses Befunds besagt, dass erh*hte Plasma-Adrenalin- und Noradrenalinspiegel, wie sie typischerweise bei Angst und Depression vorliegen, durch ihre Wirkung auf Herz und Gef'ße langfristig eine Hypertonie bewirken (s. Jonas & Lando, 2000). »Auswahl« von Symptomen. Die individuelle Neigung zur Entwicklung eines bestimmten psychosomatischen Symptoms wie z.B. Herzbeschwerden, hat ihre Ursache oft auch in k*rperlichen Faktoren. Hierunter fallen insbesondere genetische Pr'dispositionen, die zu einer Organschw'che f3hren. Auch k*nnen fr3h erlernte k*rperliche Reaktionen auf bestimmte Reize wie z.B. Stressoren eine Rolle spielen. Ein Organismus kann aufgrund seiner fr3heren Erfahrung die Neigung, mit einer bestimmten Krankheit auf Belastungen zu reagieren, durchaus stabilisieren. Dies ist vergleichbar den Mechanismen, wie wir sie f3r den Erwerb psychischer Verhaltensmuster kennen. 17 Stress Personen einstellen k*nnen, schließlich einen durchaus relevanten Beitrag zum Risiko f3r Geschw3re v.a. im Bereich des Zw*lffingerdarms leisten k*nnen. ZUSAMMENFASSUNG Die Stressforschung belegt immer deutlicher, dass Zusammenh'nge zwischen psychischen Faktoren und Krankheitsentstehung und -aufrechterhaltung bestehen. Daher sollte die strikte Trennung zwischen psychischen und k*rperlichen Ursachen von Krankheit aufgegeben werden. Das Immunsystem und das endokrine System k*nnen durch psychische Faktoren in betr'chtlichem Ausmaß beeinflusst werden, aber umgekehrt haben auch psychische St*rungen oft eine organische (neurochemische) Entsprechung. Die Psychosomatik sieht die Ursache f3r organische Symptome in unbewussten psychischen Konflikten, die auch in der Vergangenheit liegen k*nnen. Ein solcher Konflikt manifestiert sich in einem bestimmten k*rperlichen Symptom. In der Verhaltensmedizin werden Dysfunktionen als Folge der generell engen Verzahnung zwischen psychischen und physiologischen Prozessen verstanden. Diese f3hrt bei extremen psychischen Belastungen auch zu extremen k*rperlichen Reaktionen, die chronifizieren k*nnen. Die koronare Herzkrankheit tritt geh'uft bei Personen auf, bei denen die psychischen Merkmale »Feindseligkeit« und »Lrger« besonders ausgepr'gt sind. Auch beim Magengeschw3r ist davon auszugehen, dass der Faktor Stress – wenn auch sekund'r – eine pathogenetische Relevanz besitzt. Der Bluthochdruck scheint speziell bei Personen, bei denen negative Affektivit't als Pers*nlichkeitsmerkmal von Bedeutung ist, geh'uft aufzutreten. 17.3 Stressbezogene k*rperliche Erkrankungen 345 17 Stress 17.4 Stress und psychische StArungen Aus zahlreichen experimentellen Untersuchungen weiß man, dass alle großen Transmittersysteme – das serotonerge, das noradrenerge, das dopaminerge und das cholinerge System – mit der HPAAchse (s.o.) interagieren. Umgekehrt werden die Rezeptordichte und die Transmitteraussch3ttung offensichtlich durch einzelne Komponenten der HPA-Achse – insbesondere die Glucocorticoide und CRH – beeinflusst. Depression. Im Mittelpunkt des Interesses der psychiatrischen Forschung steht seit einigen Jahren das Krankheitsbild der Major Depression (s. Kap. 21.14). Man beobachtete, dass viele depressive Patienten eine gesteigerte HPA-Aktivit't zeigten, was insbesondere durch erh*hte CortisolSpiegel gekennzeichnet ist. Bei einigen Antidepressiva normalisierte sich dieser Zustand bei gleichzeitigem Einsetzen einer klinischen Besserung der depressiven Symptome. Zur Zeit wird untersucht, inwieweit eine angestiegene HPA-Aktivit't – z.B. durch lang anhaltende oder besonders schwere, belastende Lebensereignisse – auch depressionsausl*send sein kann. Klassische psychologische Theorien von der Entstehung einer Depression durch kritische Lebensereignisse fanden so auf der Basis der Neurochemie Unterst3tzung. Posttraumatische BelastungsstArung. Die Posttraumatische Belastungsst*rung weist 'hnliche Ver'nderungen in der HPA-Achsen-Aktivit't wie bei der Depression auf. Es handelt sich hierbei um eine St*rung, die durch extreme Traumatisierung wie z.B. Folter oder Vergewaltigung ausgel*st wird. Sie ist durch einschießende Erinnerungen (Flashbacks), Ged'chtnisl3cken oder emotionale Ver'nderungen wie hohe Schreckhaftigkeit, depressive Verstimmung und emotionale Verflachung gekennzeichnet. Es ist nahe liegend, dass durch das Trauma eine extreme Aktivierung des Stresssystems eintrat, die biochemische Ver'nderung im ZNS ausl*ste, welche sp'ter zu den genannten Symptomen f3hrte. Angst-, Ess-, Schlaf-, ZwangsstArungen und Schizophrenie. Andere psychische St*rungen wie 346 17 Stress die Angstst*rungen, Essst*rungen, Schlafst*rungen und die Zwangsst*rungen sowie die Schizophrenie werden zurzeit ebenfalls auf eine m*gliche Abh'ngigkeit vom Stresssystem untersucht. Nicht zuletzt werden bekanntermaßen h'ufig Episoden dieser Erkrankungen durch besondere Stresssituationen ausgel*st. Die HPA-Achse scheint einen zentralen Einfluss auf das biochemische Gleichgewicht unseres K*rpers und Gehirns auszu3ben, das auf unterschiedliche Art und Weise durch Stress gest*rt werden kann. Schließlich werden durch den Hypothalamus fast alle vegetativen Funktionen wie z.B. Nahrungsaufnahme und Sexualit't kontrolliert und beeinflusst. Außerdem sind dem Hypothalamus Anteile des Limbischen Systems, die bei Emotionen und kognitiven Prozessen wie Lernen und Ged'chtnis beteiligt sind, vorgeschaltet. Sowohl auf der Ebene des Gehirns, als auch zwischen den zerebralen Strukturen einerseits und dem Vegetativum und dem Immunsystem andererseits gibt es zahlreiche R3ckkopplungs- und Steuerungsmechanismen. In dieser Verzahnung liegt der Schl3ssel zur Erkl'rung von Entwicklung und Aufrechterhaltung stressbedingter Krankheiten. ZUSAMMENFASSUNG Zu den psychischen Erkrankungen, bei denen eine Mitverursachung durch Stressfaktoren anzunehmen ist, geh*ren die Major Depression, die Posttraumatische Belastungsst*rung, bestimmte Angstst*rungen, verschiedene Essst*rungen, die Schlafst*rungen und m*glicherweise auch die Zwangsst*rungen sowie die Schizophrenie. Weiterf@hrende Literatur Debus, G., Erdmann, G. u. Kallus, K. W. (1995) Biopsychologie von Stress und emotionalen Reaktionen. G*ttingen: Hogrefe. Stanford, S. C. u. Salmon, P. (1993). Stress – From synapse to syndrome. San Diego: Academic Press.