Das Raynaud-Syndrom - Deutsches Ärzteblatt

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MEDIZIN
ZUR FORTBILDUNG
Angiologie/Phlebologie (10)
Das Raynaud-Syndrom
Definition, Klinik, Diagnostik und Therapie
Heinz Heidrich
M
aurice Raynaud beschrieb
1862 erstmals eine Form
anfallsartig auftretender
akraler Durchblutungsstörungen, für die Raynaud primär
funktionelle Änderungen verantwortlich machte, auch wenn er später
diesem Krankheitsbild Patienten mit
symmetrischer Gangrän im Extremitätenbereich zuordnete, bei denen
arterielle Gefäßverschlüsse vorlagen.
Terminologie
Definitionsgemäß werden heute
unter einem Raynaud-Phänomen beziehungsweise Raynaud-Syndrom anfallsartig auftretende Vasospasmen
im Bereich der peripheren Gefäße
der Finger und Zehen verstanden,
die durch Kälte, emotionalen Streß
und lokale Kompressionsphänomene
induziert und unter Wärmeeinfluß
oder medikamentös wieder gelöst
werden. Dieses klinische Bild ist von
dauerhaften akralen Ischämien ohne
Anfallscharakter, wie sie bei akuten
und chronischen Finger- und Handarterienverschlüssen vorkommen, abzugrenzen. Dabei kann allerdings ein
Raynaud-Phänomen zusätzlich zu
Finger- und Handarterienverschlüssen vorhanden sein.
In der Regel wird ein sogenanntes primäres von einem sekundären
Raynaud-Syndrom unterschieden. In
Übereinstimmung mit Schoop (12)
sowie Bollinger und Butti (3) versteht man unter einem „primären
Raynaud-Phänomen beziehungsweise Raynaud-Syndrom" eine anfallsartig auftretende Vasospastik, die weder auf Fingerarterienverschlüsse
noch auf eine mögliche kausale
Grunderkrankung zurückgeführt
werden kann. Unter einem „sekundären Raynaud-Syndrom" werden vaA1 3296
-
Das Raynaud-Syndrom ist durch eine
anfallsweise oft kälteinduzierte Weißoder Blauverfärbung der Finger und
selten der Zehen als Folge eines arteriellen Vasospasmus charakterisiert
Es ist oft nur Ausdruck einer funktionellen Fehlsteuerung, in einem Drittel aber Symptom einer Kollagenose
beziehungsweise Autoimmunerkrankung, Berufserkrankung und unerwünschten Arzn.eimittelwirkung. Oft
kommt es als Frühsymptom einer
Kollagenose vor. Therapeutische Konsequenz zur Anfallsreduktion sind
Kälteschutz, Verzicht auf anfallsinduzierende Medikamente, Therapie von
Grunderkrankungen, eventuell Biofeedback und Gesprächstherapie. Eine medikamentöse Therapie mit Nifedipin und Nitroglyzerin möglich.
sospastische Phänomene bei gleichzeitigem Nachweis von Fingerarterienverschlüssen oder Grunderkrankungen verstanden. Von einem „suspekten sekundären Raynaud-Phänomen" wird dann gesprochen, wenn
der Verdacht auf eine Grunderkrankung besteht, die Erkrankung selbst
aber noch nicht definitiv gesichert
werden kann (9). Dabei zeigt eine
systematische kritische Analyse der
Literatur (8), daß die Terminologie
noch immer erhebliche Probleme
bietet und nicht befriedigen kann.
Die Zuordnung zu einem primären
oder sekundären Raynaud-PhänoInnere Abteilung des Franziskus-Krankenhauses Berlin (Chefarzt: Prof. Dr. Heinz
Heidrich)
(36) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 49, 10. Dezember 1993
men erfolgt nicht einheitlich, wie die
Zahl synonymer Begriffe deutlich
macht (Tabelle 1).
Wie wenig konsequent die Differenzierung ist, wird dadurch deutlich,
das zum Beispiel von einem „primären Raynaud-Phänomen mit sklerodermieformen Veränderungen" gesprochen wird, obgleich der Nachweis sklerodermieartiger Veränderungen die Zuordnung zu einem sekundären Raynaud-Phänomen erfordert, weil die Sklerodermie häufigste
Ursache eines sekundären RaynaudPhänomens ist Ähnliche Verständnisschwierigkeiten bereitet die Tatsache, daß der Begriff „Morbus Raynaud", der nicht mehr verwendet
werden sollte, national und international unterschiedlich einerseits für
Raynaud-Syndrome unbekannter
Ätiologie (sogenannte primäre Raynaud-Syndrome), andererseits für alle Formen eines Raynaud-Phänomens überhaupt und damit auch der
sekundären Formen verwendet wird.
Schließlich ist die in Deutschland
und der Schweiz übliche Verwendung des Begriffes „Sekundäres Raynaud-Syndrom" für solche Formen,
bei denen Vasospasmen und gleichzeitig ein arterieller Gefäßverschluß
vorliegen, pathophysiologisch außerordentlich problematisch, weil bislang nicht bewiesen ist, daß in diesen
Fällen das Raynaud-Phänomen Folge des Gefäßverschlusses ist und
nicht umgekehrt. Das aber wäre zu
fordern, wenn der Terminus „sekundär" in seiner konsekutiven Bedeutung semantisch korrekt verwendet
werden soll.
Für den klinischen Alltag ergibt
sich zur Zeit, daß dann von einem
„primären Raynaud-Syndrom" gesprochen werden kann, wenn über
fünf bis zehn Jahre nach erstmaliger
Manifestation der Anfälle keine
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Grunderkrankungen nachgewiesen
werden. Diese Latenz ist einzuhalten, weil bekannt ist, daß RaynaudPhänomene der Manifestation einer
Kollagenose fünf bis zehn Jahre als
Frühsymptom vorausgehen können.
Die Diagnose eines sekundären Raynaud-Syndroms kann gestellt werden, sobald eine Grunderkrankung
mit gesichertem Kausalbezug nachgewiesen wurde. Bei vermuteter,
aber noch nicht objektivierbarer
Grunderkrankung sollte von einem
„suspekten sekundären RaynaudPhänomen" gesprochen werden. Damit ergibt sich, daß nur in seltenen
Fällen bei einer Erstuntersuchung
die definitive Zuordnung eines Raynaud-Syndroms in den Bereich der
primären oder sekundären Form
möglich sein wird.
Häufigkeit
Angaben zur Häufigkeit eines
Raynaud-Phänomens in der Bevölkerung zeigen, daß nach Thulesius (14)
die Prävalenz an Raynaud-Phänomenen bei jungen Frauen im Alter von
17 bis 42 Jahren etwa 20 Prozent beträgt, nach Bollinger (11) 20 bis 30
Prozent, nach Silman und Mitarbeiter (13) 11 bis 16 Prozent für Männer
und 19 bis 21 Prozent für Frauen in
England, nach Maricq und Mitarbeitern (11) 4,6 Prozent in den USA.
Untersuchungen von Kretschmer
(10) aus unserer eigenen Arbeitsgruppe an 125 gesunden Personen im Alter
von 10 bis 59 Jahren haben ergeben,
daß ein klinisch nachweisbares Raynaud-Phänomen bei 8,8 Prozent der
Probanden vorkommt. Es darf für die
Gesamtbevölkerung in Deutschland
davon ausgegangen werden, daß die
tatsächliche Prävalenz bei etwa fünf
bis zehn Prozent liegt.
Pathophysiologie und
Ätiologie
Pathophysiologisch gilt, daß im
Raynaud-Anfall ein Vasospasmus
durch einen gesteigerten arteriellen
Gefäßtonus zu einer Verminderung
der nutritiven und totalen Fingerdurchblutung führt, die unter Kälte-
Tabelle 1: Terminologie beim
Raynaud-Phänomen
Primäres Raynaud-Syndrom
Synonyme Begriffe:
Morbus Raynaud
Raynaudsche Erkrankung
Primärer Raynaud
Raynaud sui generis
Genuiner Raynaud
Echter Raynaud
Idiopathischer Raynaud
Maladie de Raynaud benigne
Vasomotorische Neurose
Raynaud
Ph6nomne de Raynaud idiopathique
Sekundäres Raynaud-Syndrom
Synonyme Begriffe:
Sekundärer Morbus Raynaud
Raynaud-Phänomen
Symptomatischer Raynaud
Raynaudsches klinisches Bild
Syndrom vom Raynaud-Typ
Akutes Raynaud-Syndrom
Chronisches Raynaud-Syndrom
Abbildung 1: Typische Weißverfärbung einzelner
Finger während eines Raynaud-Anfalles
einfluß oder Streß weiter abnimmt
Dabei werden auch Änderungen des
lokalen Gefäßinnendruckes in den
Digitalarterien und Veränderungen
der Blut- und Plasmaviskosität beobachtet (5, 8).
Die Ätiologie des Raynaud-Phänomens ist bis heute offen. Raynaud
vermutete als Ursache eine generalisierte konstriktorische Neurose der
kleinen Gefäße durch einen erhöhten Sympathikotonus. Später wurde
eine hypothalamische Dysregulation
als Ursache des erhöhten peripheren
symphatischen Gefäßtonus, eine Stö-
A1 3298 (38) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 49, 10. Dezember 1993
-
rung der Synapsen im Bereich der
Fingerarterien, eine fehlerhafte
Übertragung oder Verarbeitung von
Neurotransmittern in den betreffenden Synapsen und eine Störung der
Synthese der biogenen Amine als Ursache verantwortlich gemacht. Seit
einiger Zeit wird die Auffassung vertreten, daß Änderungen der Fließfähigkeit des Blutes in den Digitalarterien eine entscheidende Ursache für
die Entstehung des Raynaud-Phänomens sind.
Klinik
Klinisch ist das Raynaud-Phänomen in der Regel durch eine typische
anfallsartig auftretende Verfärbung
im Bereich der Finger charakterisiert: Einer initialen Zyanose folgt in
der Regel als Ausdruck des Vasospasmus eine ausgeprägte Weißverfärbung (Abbildung 1) und später als
Folge einer postischämischen reaktiven Hyperämie eine überschießende
Rötung. In etwa einem Drittel aller
Fälle kommt es nach Analyse von
jetzt 672 eigenen Patienten mit einem Raynaud-Phänomen aber nur zu
einer anfallsweisen Zyanose (Abbildung 2) oder nur zu einer anfallsweisen Weißverfärbung der Finger. Nur
außerordentlich selten, in unserem
eigenen Krankengut in einer Häufigkeit von etwa zwei Prozent, läßt sich
ein solches vasospastisches RaynaudPhänomen auch im Bereich der Füße
nachweisen (Abbildung 3).
Man findet Raynaud-Anfälle im
Bereich der Hände oft bilateral und
symmetrisch am zweiten bis fünften
Finger, fast nie am Daumen. Handrücken und Handinnenfläche sind
nicht mitbetroffen. Sie kommen bei
Frauen nach Angaben der Literatur
zwei- bis fünfmal häufiger als bei
Männern und am häufigsten zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr
vor. Raynaud-Anfälle sind allerdings
auch bei Kindern beschrieben worden; es gibt aber auch Erstmanifestationen im 60. und 65. Lebensjahr.
Untersuchungen von Berger-Cailliau
(2) aus unserer Arbeitsgruppe ergaben für den Beginn von Raynaud-Anfällen ein Durchschnittsalter von 36,8 Jahren. Es ließ sich weiter zeigen, daß die Mehrzahl der Pa-
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tienten mit einem Raynaud-Phänomen einen niedrigen Blutdruck von
im Mittel 118/79 mm Hg aufweisen
und Raynaud-Anfälle in 82 Prozent
der Fälle durch Kälte, in 30 Prozent
zusätzlich oder allein durch emotionale Streßsituationen ausgelöst werden. In 18 Prozent der Fälle traten
nach unserer Analyse Raynaud-Anfälle ohne spezifische Induktionsmomente auf. Die Dauer der RaynaudAnfälle beträgt wenige Minuten bis
zu einer Stunde, im Mittel 25 Minuten. Im Anfall läßt sich häufig ein
Taubheitsgefühl der Finger, öfters eine Verringerung der Fingerbeweglichkeit nachweisen. Schmerzen tre-
Tabelle 2: Mögliche Ursachen eines sekundären Raynaud-Phänomens
Arterienverschlüsse
Hypotonie
Arteriosclerosis obliterans
Thrombangiitis obliterans
Embolie
Nicolau-Syndrom
Kollagenosen
Periarteriitis nodosa
Lupus erythematodes dissem.
Wegnersche Granulomatose
Progressive Sklerodermie
CREST-Syndrom
Sharp-Syndrom
Dermatomyositis
Rheumatoide Arthritis
Dupuytrensche Kontraktur
Eosinophile Fasciitis
Neurologische Erkrankungen
Multiple Sklerose
Neuritis
Poliomyelitis
Syringomyelie
Spinale Tumoren
Zerebrale Endangiitis
Apoplektischer Insult
Kausalgie
Karpaltunnel-Syndrom
Schultergürtelsyndrome
Abbildung 2: Typische Blauverfärbung der Finger
während eines Raynaud-Anfalles
ten im Fingerbereich während eines
Anfalls in der Regel nur dann auf,
wenn gleichzeitig Fingerarterienverschlüsse bestehen. Die gleiche Voraussetzung ist auch für die Entwicklung von Fingerkuppennekrosen erforderlich. Raynaud-Phänomene ohne Fingerarterienverschlüsse führen
nicht zu Fingerkuppendefekten.
Eine Mitbeteiligung der Nase an
den Raynaud-Anfällen wurde beschrieben, von uns aber bei 672 Patienten bislang noch nicht gesehen.
Das häufigste auslösende Moment
für die Induktion von Raynaud-Anfällen ist eine kritische Umgebungstemperatur von 15 bis 20° C, weil bei
diesen Temperaturen pathophysiologische Mechanismen induziert werden (Anstieg der Blutviskosität, Änderung des lokalen Gefäßinnendrukkes in den Digitalarterien), die zu einem Raynaud-Anfall führen. Eine
auffällige Koinzidenz zwischen Anfallsfrequenz und Anfallsintensität
ließ sich bei Vorliegen chronischer
Scalenus-anterior-Syndrom
Halsrippe
Kosto-Klavikular-Syndrom
Hyperabduktions-Syndrom
Hämatogene Erkrankungen
Kälte agglutinine
Kryoglobuline
Polyzytämie
Paraproteinämie
(Plasmozytom)
Endokrinologische Erkrankungen
Hypoparathyreodismus
Hypothyreose
Phäochromozytom
Intoxikationen
Polyvinylchlorid (PVC)
Schwermetalle (Arsen, Blei)
Ergotamine
Serotonin
Cyanamid
Pilzintoxikationen
Olefin
Medikamentöse Nebenwirkungen
Clonidin
Noradrenalin
Hormonale Antikonzeptiva
Bleomycin
Beta-Blocker
Vinblastin
Traumata
Lebererkrankungen
Lokale Verletzungen und Operationen
Berufsbedingte Mikrotraumen
(Preßlufthammer, Kettensäge)
Röntgenstrahlen
Berufsbedingte lokal-thermische
Einflüsse
Leberzirrhose
Paraneoplastische Syndrome
Venöse Verschlüsse
Karzinome
Achselvenenthrombose
Thesaurismosen
Arterio venöse Kurzschlüsse
Angiokeratoma corporis diffusum
(Fabry-Syndrom)
Wirbelsäulenerkrankungen
Skoliose
Arthrose der HWS
Rheumatoide Spondylitis
-
A-V-Fistel
Cimino-Shunt
Lymphatische Abflußstörungen
Urämie
Yellow nail syndrom
Hämodialyse
Bakterielle Infektionen
Pulmonale Erkrankungen
Entamoeba histolytica
Arterielle Gefäßdysplasien
Primäre pulmonale Hypertonie
Konfliktsituationen, insbesondere in
Form sozialer, beruflicher und familiärer Krisen, finden (7). Koinzidenzen sind weiter mit einer Migräne
und vasospastischen Angina pectoris
beschrieben worden.
Angiologische Diagnostik
Raynaud-Anfälle lassen sich
zwar durch ihre typische klinische
Charakteristik erkennen, müssen
aber durch eine apparative Diagno-
Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 49, 10. Dezember 1993 (39)
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-
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stik zweifelsfrei als Folge eines Vasospasmus identifiziert werden. Dafür gibt es inzwischen eine Reihe
meßmethodischer Ansätze mit zum
Teil annähernd gleichartiger Relevanz (5, 8). Neben elektrooszillographischen, rheographischen und venenverschlußphlethysomographischen Verfahren haben sich in der
Praxis die Plattenthermographie
und die Ultraschall-Doppler-Diagnostik als besonders nützlich erwiesen.
Alle diese Verfahren erlauben in
der hämodynamischen Diagnostik eines Raynaud-Phänomens aber nur
dann eine verwertbare Aussage,
wenn sie mit standardisierten Kälteoder Wärmeprovokationstests kombiniert werden. Die apparative Untersuchung peripherer Arterienpulse
ohne Provokationstest läßt eine Differenzierung organischer von funktionellen Durchblutungsstörungen
allein nicht zu.
Für die elektronische Oszillographie und die photoelektrische Plethysmographie weiß man, daß durch
Kälteprovokation typische vasospastische Kurven induziert werden können, die sich auf Wärmeapplikation
oder Nitroglyzerin wieder lösen und
damit normalisieren. Besteht bereits
ein vasospastisches Kurvenbild im
Oszillogramm, dann entfällt die Kälteprovokation, und es läßt sich durch
lokale Wärmeanwendung oder Nitroglyzerin das Kurvenbild wieder normalisieren, wenn lediglich spastische
Durchblutungsstörungen vorliegen.
Führen Kälte- und Wärmeprovokationen zu keinen deutlichen Veränderungen der Kurvenformen, dann
kann ein Vasospasmus ausgeschlossen werden und die Diagnose eines
Raynaud-Phänomens ist nicht mehr
zu stellen. Wenn die Provokationen
mit Wärme oder Nitroglyzerin nicht
in der Lage sind, innerhalb weniger
Minuten eine Normalisierung pathologischer Kurven zu erreichen, ist ein
Fingerarterienverschluß als Ursache
der akralen Durchblutungsstörung zu
vermuten.
Für die Untersuchung des Raynaud-Phänomens mit der Ultraschall-Dopplersonde ist bekannt, daß
unter Kälteexposition ein deutlicher
Abfall des systolischen Fingerarteriendruckes auf mehr als 20 bis 50 Pro-
Abbildung 3: Raynaud-Anfall im vorderen Extremitätenbereich der unteren Gliedmaßen
Abbildung 4: Thermoplattentest beider Hände vor
Kälteexposition
zent vom Ausgangswert auftritt, während bei Gesunden unter Kälteeinfluß lediglich geringfügige Druckabnahmen um maximal zehn Prozent
vom Ausgangswert beobachtet werden (5, 8). Untersuchungen mit dem
Thermoplattentest (Abbildung 4, 5)
lassen nach Kälteexposition bei Vorliegen eines Raynaud-Phänomens eine deutlich verzögerte Wiedererwärmung erkennen. Nach Kälteprovokation in einem Wasserbad von + 10°
C und einer Expositionsdauer von einer Minute ist bei Gesunden innerhalb von 15 Minuten eine Wiedererwärmung erreicht, unter pathologischen Bedingungen findet eine Normalisierung der akralen Durchblutung und damit eine Wiedererwärmung erst nach 15 bis 30 und mehr
Minuten statt (6).
Eine Angiographie ist für die
Diagnostik des Raynaud-Syndroms
nicht erforderlich, auch wenn Vasospasmen dabei gut erkennbar sind,
weil die Diagnose nichtinvasiv gestellt werden kann. Die Angiographie ist nur zum definitiven Nachweis gleichzeitig bestehender Fingerarterienverschlüsse oder dann sinnvoll, wenn unklare Krankheitsbilder
vorliegen.
Sekundäre
Raynaud-Phänomene
Abbildung 5: Verzögerte Wiedererwärmung der
Finger im Thermoplattentest 30 Minuten nach Kälteexposition in einem Wasserbad von + 10 °C für
1 Minute bei primärem Raynaud-Syndrom. Eine
bei normalen Durchblutungsverhältnissen nach 15
Minuten erwartete Blaufärbung der Thermoplatte
im Fingerbereich fehlt
Abbildung 6: Megakapillare im vitalkapillarmikroskopischen Bild bei sekundärem Raynaud-Syndrom mit Sklerodermie
Al -3302 (42) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 49, 10. Dezember 1993
Die Zuordnung der RaynaudPhänomene zu einer primären oder
sekundären Form erfordert eine
breite interdisziplinäre klinische Untersuchung, nachdem bekannt ist,
daß eine Reihe verschiedener Krankheitsbilder gehäuft mit RaynaudPhänomenen einhergehen können.
Ein ätiologischer Zusammenhang
wird für 47 Krankheitsbilder angenommen, ist bislang aber nur für einen Teil gesichert (Tabelle 2). Zweifellos lassen die 1932 von Allen und
Brown (1) definierten Zuordnungskriterien eine Differenzierung zwischen primären und sekundären Formen nicht mehr zu, weil hier ausschließlich klinische Parameter verwendet werden, die nicht ausreichend spezifisch sind, damit nicht genügend diskriminieren und die Ergebnisse neuer meßmethodischer
Untersuchungen, angiographische
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und immunologische Befunde nicht
berücksichtigt werden.
Zweifellos wichtigste Gruppe
von Erkrankungen, für die ein Kausalzusammenhang mit einem Raynaud-Phänomen besteht, sind Kollagenosen und systemische Autoimmunerkrankungen (9). Bei den Kollagenosen kann das Raynaud-Phänomen Frühsymptom der Systemerkrankung sein. Das gilt insbesondere
für die Sklerodermie. Der Nachweis
oder Ausschluß einer Kollagenose
als Ursache eines Raynaud-Phänomens kann deshalb nur durch Langzeituntersuchungen gesichert werden.
Eine zweite wesentliche Gruppe
stellen neurologische Systemerkrankungen dar, von denen möglicherweise die Polyneuropathie zu einem
Raynaud-Phänomen führen kann.
Zweifellos häufiger als bisher
angenommen ist das Auftreten von
Raynaud-Phänomenen bei chronischer Polyarthritis und bei einer Reihe berufsbedingter akraler Mikrotraumen wie den Vibrationserkrankungen.
Raynaud-Phänomene kommen
auch als medikamentöse Nebenwirkung bei einer Vielzahl von Zytostatika, Betablockern und ergotaminhaltigen Substanzen vor.
Die Frage, ob ein Raynaud-Phänomen Folge eines Fingerarterienverschlusses sein kann, muß mit
außerordentlicher Zurückhaltung
beantwortet werden, weil zahlreiche
Patienten mit primären Fingerarterienverschlüssen niemals ein RaynaudSyndrom zeigen und bislang nicht belegt ist, daß bei gleichzeitigem Vorkommen von Raynaud-Syndrom und
Fingerarterienverschlüssen die Fingerarterienverschlüsse dem Raynaud-Syndrom vorausgegangen sind.
Möglicherweise können Finger- und
Handarterienverschlüsse eine Raynaud-Symptomatik aber verstärken.
Für die Praxis spielt in der Differentialdiagnose nach Analyse von eigenen 173 Fällen (Tabelle 3) nur ein
Teil der bisher in der Literatur beschriebenen Zusammenhänge eine
Rolle. Zweifellos muß eine Kollagenose grundsätzlich in das differentialdiagnostische Spektrum der Interpretation von Raynaud-Phänomenen
einbezogen werden. Hier kann bei ty-
Tabelle 3: Häufigkeit pathogenetisch
relevanter Grunderkrankungen bei
173 Patienten mit einem
Raynaud-Phänomen
N = 173 100%
Sklerodermie
Immunvaskulitis
Polyneurophatie
Gefäßdysplasie
Endangiitis
Rheumatische
Arthritis
LE
Dermatomyositis
Kälteangiitis
CarpaltunnelSyndrom
Polyzythämie
vera
29
8
8
5
4
3
16,7
4,6
4,6
2,9
2,3
1,7
1
1
1
1
0,6
0,6
0,6
0,6
1
0,6
pischem klinischen Bild und typischer Konstellation der Laborparameter der Nachweis von antinukleären Antikörpern (ANA), zirkulierenden Immunkomplexen (CIC) und
dem Anti-SCL70 weiterhelfen. Sinnvoll ist auch der Einsatz vitalkapillarmikroskopischer Untersuchungen am
Nagelfalz, die bei Kollagenosen typische Veränderungen aufweisen (Abbildung 6). Neben der angiologischhämodynamischen ist eine eingehende neurologische, orthopädische und
internistische Diagnostik zur Differenzierung erforderlich. Ob hämorheologische Parameter in der Differentialdiagnose des primären und sekundären Raynaud-Phänomens weiterhelfen, wie seit einigen Jahren behauptet wird, ist mit Vorbehalt zu sehen.
Prophylaxe und Therapie
Therapeutisch ist sowohl eine
Prophylaxe der Häufigkeit und der
Intensität von Raynaud-Anfällen als
auch die Therapie gleichzeitig bestehender akraler Nekrosen möglich.
Dabei gelten folgende Regeln:
1. Raynaud-Anfälle sind dann nicht
behandlungsbedürftig, wenn sie selten, das heißt weniger als ein oder
zweimal pro Woche auftreten und
weniger als 15 bis 30 Minuten dau-
ern. Grundsätzlich sind ein sicherer
Kälteschutz und die Vermeidung von
Nässeexpositionen Basis jeder Anfallsprophylaxe. Das Tragen warmer
Handschuhe muß bereits bei deutlicher Abnahme der Umgebungstemperatur empfohlen werden. Die Verwendung von Taschenwärmegeräten
mit Trockenbatterien ist für die kalte
Jahreszeit anzuraten. Manchmal
kann Autogenes Training, ein Biofeedback und in Einzelfällen bei entsprechender Disposition ein analytisches Therapiegespräch über Reduktion emotioneller Streßfaktoren
zu einer Reduktion oder einem Verschwinden von Raynaud-Anfällen
führen, weil spezielle chronische
Konfliktsituationen die Zahl und den
Schweregrad der Raynaud-Anfälle
erhöhen können. Beta-Blocker und
ergotaminhaltige Pharmaka sind bei
Vorliegen einer Raynaud-Symptomatik kontraindiziert beziehungsweise abzusetzen. Das gilt in Einzelfällen auch für die topische Anwendung
betablockerhaltiger Ophthalmica.
Ein Nikotinverbot ist obligat. Für eine größere Zahl von Patienten kann
darüber hinaus eine berufliche Umschulung oder ein Arbeitsplatzwechsel sinnvoll sein, wenn Tätigkeiten in kaltfeuchter Umgebung oder
mit erhöhter mechanischer Belastung der Finger ausgeübt werden
müssen.
Medikamentös sind in der Behandlung des Raynaud-Syndroms gefäßerweiternde Substanzen, Hormone, Vitamine, Tranquilizer, Ganglienblocker, Kalzium-Antagonisten,
Thrombozytenaggregationshemmer,
defibrinierende Substanzen und Prostazyklin versucht worden. Für vasoaktive Substanzen liegen bisher keine
überzeugenden Studien vor, die eine
Reduktion von Raynaud-Anfällen
und damit eine therapeutische Wirksamkeit in dieser Indikation bei
Langzeittherapie zweifelsfrei belegen. Für Ketanserin mit positiven
Langzeiterfolgen ist eine klinische
Relevanz noch zu bestätigen. Medikamentös läßt sich eine Anfallsprophylaxe mit transkutan applizierten
Nitroglyzerin-Präparaten und Nifedipin erreichen. Die lange Zeit durchgeführte Behandlung mit Reserpin
ist wegen der Nebenwirkungen nicht
mehr zu tolerieren. Eine Sympathek-
Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 49, 10. Dezember 1993 (43)
A1 3303
-
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ZUR FORTBILDUNG / FÜR SIE REFERIERT
tomie kann nur temporär die Zahl
der Raynaud-Anfälle vermindern,
bringt aber in der Regel keine Langzeiterfolge.
2. Liegen bei Patienten mit einem
Raynaud-Phänomen gleichzeitig Fingerarterienverschlüsse mit Nekrosen
und ausgeprägter Schmerzsymptomatik vor, dann ist primär eine intravenöse Langzeitbehandlung mit vasoaktiven Substanzen vom Typ des Buflomedil, Naftidrofuryl, Pentoxifyllin
und Prostaglandin-E1 zur Abheilung
der Nekrosen und zur Beseitigung
des Ruheschmerzes, nicht aber des
Raynaud-Phänomens indiziert. Bei
akuten und subakuten Fingerarterienverschlüssen kann eine Fibrinolyse
in Frage kommen Mit diesem Therapieregime gelingt es fast immer, Fingeramputationen zu vermeiden. Welche Rolle eine Plasmapherese bei
Raynaud-Phänomenen mit gleichzeitigem Fingerarterienverschluß spielen kann, ist im Moment noch offen.
Eine Sympathektomie zur Verbesserung der Nekrosen ist nur dann indiziert, wenn eine konservative Behandlung erfolglos bleibt und Fingerarterienverschlüsse als Ursache der
Nekrosen gesichert sind.
Deutsches
Arzteblatt
9. Kallenberg, C. G. M.: Systemic autoimmune disease and Raynaud's phenomenon.
Raynaud's phenomenon in general practice. Br. Med. J. 301 (1990) 590
Drukkerij Van Denderen B. V., Groningen (1982)
10. Kretschmer, K. D.: Screening-Untersuchung zur Häufigkeit des Raynaud-Phänomens in einer zufälligen Stichprobe aus
der Normalbevölkerung. Inaug. Diss.,
Freie Universität Berlin (1986)
11. Maricq, H. R.; Weinrich, M. C.; Keil, J.
E.; LeRoy, E. C.: Prevalence of Raynaud
Phenomenon in the General Population.
J. Chron. Dis. 39 (1986) 423
14. Thulesius, 0.: Berufstraumatisches sekundäres Raynaud-Syndrom. In: Gefäßwand,
12. Schoop, W.: Raynaud-Syndrom. Dtsch.
Med. Wschr. 92 (1967) 1975
13. Silman, A.; Holligan, S.; Brennan, P.;
Maddison, P.: Prevalence of symptoms of
Rezidivprophylaxe, Raynaud-Syndrom.
Hrsg. Ehringer, H.; Betz, E.; Bollinger, A.;
Deutsch, E. Witzstock-Verlag, Baden-Baden (1979) 503
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Heinz Heidrich
Chefarzt der Inneren Abteilung des
Franziskus-Krankenhauses
Budapester Straße 15-19
10787 Berlin
Mit diesem Beitrag schließt das Deutsche Ärzteblatt die Serie „Angiologie/
Phlebologie" ab. Es sind dazu erschienen:
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
(7)
(8)
(9)
Zeitler, H.: Katheterverfahren bei der peripheren arteriellen Verschlußkrankheit. Dt. Ärztebl. 89 (1992), A 1 4197-4209, Heft 49
Dustmann, H. 0.; Ivanic, I.: Diagnose, Differentialdiagnose und Behandlung venöser Beinleiden aus orthopädischer Sicht. Dt. Arztebl. 89 (1992),
A1 4374-4380, Heft 51/52
Menges, H. W.; Mörl, H.: Das akute Ischämiesyndrom der Extremitäten.
Dt. Arztebl. 90 (1993), A l 517-524, Heft 8
Heinrich, F.: Die Diagnose und Therapie der Lungenembolie. Dt. Ärztebl. 90 (1993), A1 956-964, Heft 13
Franzeck„ U. K.; Bollinger, A.: Diagnostik von Mirkrozirkulationsstörungen. Dt. Arztebl. 90 (1993), Al 2064-2068, Heft 30
Rudofsky, G.: Die Sonographie in der Früherkennung und Prävention der
Arteriosklerose. Dt. Ärztebl. 90 (1993), A l 2248-2253, Heft 34/35
Brandt, R.; Orend, K.-H.; Becker, H. M.: Rekonstruktionsprinzipien peripherer arterieller Verschlußkrankheiten der unteren Extremitäten. Dt.
Arztebl. 90 (1993), A 1 2386-2392, Heft 37
Diehm,
Amendt, K.: Das Buerger-Syndrom (Thrombangiitis obliterans). Dt. Arztebl. 90 (1993), A 1 2776-2784, Heft 42
Alexander, K.: Diabetische Angiopathien. Dt. Ärztebl. 90 (1993), A l
3216-4,Heft8
90 (1993) A1-3296-3304 [Heft 49]
(10) Heidrich, H.: Das Raynaud-Syndrom. Dt. Ärztebl. 90 (1993). A l
3296-04,Heft
Literatur
1. Allen, E. V.; Brown, G. E.: Raynaud's disease: A critical review of minimal requisites for diagnosis. Am. J. med. Sci. 183
(1932) 187
2. Berger-Cailliau, M.: Klinische Charakteristik des Raynaud-Phänomens. Inaug.
Diss., Freie Universität Berlin (1985)
3. Bollinger, A.; Butti, P.: Primäres und sekundäres Raynaud-Syndrom. Schweiz.
med. Wschr. 106 (1976) 415
4. Bollinger, A.: Kollagenkrankheiten. In:
Funktionelle Angiologie. Hrsg. Bollinger,
A. Thieme Verlag Stuttgart (1979) 95
5. Gjöres, J. E.; Thulesius, 0. (Edt.): Primary and secondary Raynaud Phenomena. Act. Chirurg. Scan. (1975) Suppl. 465
6. Happersberger, R.; Heidrich, H.: Kontaktplattenthermographie mit Kälteprovokation in der Diagnostik des RaynaudPhänomens. VASA 19 (1990) 112
7. Heidrich, H.; Wilke-Burger, H.; Moldenhauer, U.: Psychiatrische und testpsychologische Untersuchungen bei RaynaudSyndrom. Dtsch. med. Wschr. 103 (1978)
1338
8. Heidrich, H. (Edt.): Raynaud's Phenomenon. TM-Verlag, Bad Oeynhausen
(1979)
A1 3304
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Aszites wichtiger prognostischer Faktor bei
Leberzirrhose
Die Autoren führten eine Risikofaktorenanalyse bei Patienten mit
Leberzirrhose durch, wobei insbesondere das Auftreten von Aszites
ungünstig war. 134 Patienten mit Leberzirrhose wurden 31 ± 23 Monate
nachbeobachtet, wobei eine kumulative Sterblichkeit von 59 Prozent ermittelt wurde. Unabhängige Risikofaktoren, die eine ungünstige Prognose beinhalteten, waren therapieresistenter Aszites (Risiko 4,78),
niedriges Albumin (3,77), hohe
Child-Pugh-Werte (3,31), Enzephalopathie (2,71), hohe Bilirubinwerte
(2,03), hohe Gammaglutamyltransferase (1,87) und fortgeschrittenes Le-
(44) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 49, 10. Dezember 1993
bensalter (1,57). Die Ergebnisse zeigen, daß das Auftreten eines refraktären Aszites ein besonders ungünstiger Parameter ist und daß einfache
klinische und biochemische Parameter herangezogen werden können,
wenn es bei Patienten mit einer Leberzirrhose darum geht, Kandidaten
für eine Lebertransplantation herauszufinden.
Salerno, F., G. Borroni, P. Moser et al.:
Survival and Prognostic Factors of Cirrhotic Patients with Ascites: A Study of
134 Outpatients. Am. J. Gastroenterol
88: 514-519, 1993.
Istituto di Medicina Interna della Universitä degli Studi di Milano, Italien.
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