INTERNATIONAL ECONOMICS Research Paper 2006-01 Früherkennung von Währungskrisen Möglichkeiten und Grenzen von Frühwarnsystemen von André Röser Wilfried Fuhrmann Universität Potsdam August-Bebel-Str. 89, D-14482 Potsdam, Germany Prof. Dr. W. Fuhrmann (Hrsg.), Department of Macroeconomics Fax: +49-(0)331-977-3223: Email: [email protected] www.uni-potsdam.de/u/makrooekonomie/index.htm oder www.makrooekonomie.de ISSN 1433-920X Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis ...................................................................................... 3 Abbildungsverzeichnis ....................................................................................... 4 Tabellenverzeichnis ........................................................................................... 5 1 Einleitung .................................................................................................... 6 2 Theoretische Krisenmodelle...................................................................... 11 2.1 Definition des Begriffs Währungskrise ............................................... 11 2.2 Modelle der 1. Generation ................................................................. 13 2.3 Modelle der 2. Generation ................................................................. 16 2.4 Modelle der 3. Generation ................................................................. 19 2.4.1 Moral Hazard .............................................................................. 20 2.4.2 Illiquidität..................................................................................... 22 2.4.3 Kreditrationierung ....................................................................... 23 2.4.4 Generationsübergreifende Ansätze ............................................ 24 2.4.5 Contagion ................................................................................... 24 3 Variablen mit Frühwarnpotential ............................................................... 26 4 Empirische Frühwarnmodelle.................................................................... 36 4.1 Empirische Krisendefinition................................................................ 37 4.2 Empirische Ansätze ........................................................................... 44 4.2.1 „Signal“-Ansatz ........................................................................... 47 4.2.2 Ökonometrische Modelle (Probit/Logit-Regressionen) ............... 52 4.2.3 Struktureller Ansatz .................................................................... 59 4.2.4 Weitere Ansätze ......................................................................... 63 5 Prognosequalität ....................................................................................... 65 6 Zusammenfassung ................................................................................... 72 Anhang I: Variablen in Frühwarnmodellen .................................................. 77 Anhang II: Krisenmodell der 1. Generation ................................................. 84 Anhang III: Krisenmodell der 2. Generation .................................................. 96 Anhang IV: Staatliche Verlustfunktion ........................................................... 99 Literaturverzeichnis ........................................................................................ 105 2 Abkürzungsverzeichnis BIP Bruttoinlandsprodukt EWS Europäisches Währungssystem EZB Europäische Zentralbank IWF Internationaler Währungsfond BIS Bank for International Settlement FDI Foreign Direct Investment IMF International Monetary Fund OECD Organization for Economic Cooperation and Development 3 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Arten von Finanzkrisen................................................................ 12 Abbildung 2: Vergleich von Indikatormodellen ................................................. 46 Abbildung 3: Nicht-Linearität von Logit-Modellen ............................................. 55 Abbildung A1: Spekulative Attacke unter Sicherheit ........................................ 89 Abbildung A2: Logarithmierte Wechselkursrate ............................................... 91 Abbildung A3: Logarithmiertes Geldangebot.................................................... 92 Abbildung A4: Logarithmierte Reserven........................................................... 93 Abbildung A5: Spekulative Attacke und staatliche Reaktion ............................ 97 4 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Potentielle Krisenindikatoren ........................................................... 32 Tabelle 2: Symptome und Indikatoren von Finanzkrisen.................................. 33 Tabelle 3: Variablen in Frühwarnmodellen (ERW, FR, STV, KLR, BP, K) ....... 34 Tabelle 4: Empirisch relevante Variablen......................................................... 35 Tabelle 5: Einstufung der Intensität von Turbulenzen ...................................... 42 Tabelle 6: Krisendefinitionen ............................................................................ 42 Tabelle 7: „Signal“-Ansatz – Klassifizierung der Signale.................................. 48 Tabelle 8: Trade-off Problem optimaler Schwellenwerte.................................. 56 Tabelle 9: Null-Hypothesenmatrix .................................................................... 62 Tabelle A1: Variablen in Frühwarnmodellen (KSS, E, LK, BL, T, BM) ............. 77 Tabelle A2: Variablen in Frühwarnmodellen (BM, C, GG, HK, HG, KMP)........ 78 Tabelle A3: Variablen in Frühwarnmodellen (NW, OVR, V, Z, A, P) ................ 79 Tabelle A4: Variablen in Frühwarnmodellen (RS, KB, Sx, BF, R, Sz) .............. 80 Tabelle A5: Variablen in Frühwarnsystemen (MFR, GKR, LB, DB, MSDW, GS) .................................................................................................................. 82 5 1 Einleitung∗ Eine zunehmende Kapitalmarktorientierung in Verbindung mit einem Risikomanagement im Anlage- und Investitionsbereich i.w.S. sowie Versuche der Krisenprävention durch einen neuen wachsenden Dienstleistungssektor mit fortwährenden Analysen, Monitoring, Ratings usw. sowie internationale Konsultationen, Koordinationen und Regulationssysteme kennzeichnen den Beginn des dritten Jahrtausend. Nach den Turbulenzen im Europäischen Währungssystem standen in den letzten Jahren verstärkt die Währungen einiger Schwellenländer („emerging markets“) im Mittelpunkt heftiger spekulativer Attacken. Diese waren verbunden mit erheblichen Turbulenzen an den Devisenmärkten sowie gravierenden negativen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Auswirkungen auf die jeweiligen Länder. Die Turbulenzen waren nicht nur auf ein Land beschränkt, vielmehr konnte eine in diesem Ausmaß bisher nicht bekannte Ausbreitung auch auf andere Volkswirtschaften beobachtet werden. Insbesondere nach dem für einen großen Teil der internationalen Gemeinschaft, für Marktteilnehmer und für Ökonomen relativ überraschenden Ausbruch der Asienkrise (1997/98) ist die Frage nach den wesentlichen Ursachen und Bestimmungsgründen von spekulativen Attacken und Währungskrisen erneut in den Blickpunkt des allgemeinen Interesses gerückt. Die Verantwortung wird verstärkt spekulativen Kapitalbewegungen zugeschrieben, die von gesamtwirtschaftlichen Faktoren losgelöst Währungen unter Abwertungsdruck bringen. Dies würde bedeuten, dass Währungen, unabhängig vom konkreten volkswirtschaftlichen Umfeld, nach dem Zufallsprinzip attackiert würden, auftretende Währungskrisen nicht vorhersehbar und damit auch nicht zu verhindern wären. Angesichts hoher ökonomischer und sozialer Wohlfahrtseinbußen der von Währungskrisen betroffenen Volkswirtschaften, starker Belastungen für das interna- ∗ Die Verfasser danken für wertvolle kritische Kommentare insbesondere Herrn Prof. Dr. Man- fred Weber und Herrn Robert Kirchner, M.A. sowie für finanzielle Förderung der Deutschen Bundesbank, HV-Berlin. 6 tionale Währungssystem und der Abneigung von Investoren gegenüber Verlusten durch unerwartete Abwertungen von Währungen sind die Krisenprävention und das Risikomanagement sowohl aus privater wie auch staatlicher Sicht von zentraler Bedeutung. Um zukünftig Überraschungen und Wiederholungen schwerwiegender Fehler zu vermeiden, wurden erhebliche Anstrengungen unternommen, um mit der Entwicklung empirischer Frühwarnmodelle die Prognose zukünftiger Währungsturbulenzen zu ermöglichen. 1 Die Aufgabe solcher Frühwarnsysteme ist die frühzeitige Identifizierung makroökonomischer und struktureller Defizite einer Volkswirtschaft, um korrigierende wirtschaftspolitische Maßnahmen einleiten zu können. Eine enge Verbindung von empirischer Forschung und theoretischer Ursachenanalyse von Währungskrisen ermöglicht die Auswahl von Variablen, die auf theoretischer Ebene als Erklärungsfaktoren für den Ausbruch von Währungskrisen identifiziert werden. Diese Faktoren sind eine Grundlage für nicht unmittelbar vorhersehbare, selbst erfüllende Spekulationen und Erwartungsänderungen der Marktteilnehmer. Im Mittelpunkt der Frühwarnsysteme stehen Indikatoren, die die Krisenwahrscheinlichkeit einer Währung und die Anfälligkeit der Volkswirtschaft beeinflussen und als Frühwarnindikatoren fungieren können. Das vorliegende Papier zielt nicht auf eine Darstellung und Erklärung der vielen unterschiedlichen Währungskrisen ab. Es gibt auch keine Übersicht über Monographien und Aufsätze zu Wechselkurssystemen und -krisen. Es analysiert vielmehr die grundlegenden empirischen Frühwarnmodelle, indem sie die Möglichkeiten und Grenzen der Früherkennung von Währungskrisen2 herausarbei- 1 Die Entwicklung einer Vielzahl von Modellen und unterschiedlichster Ansätze zur Früherkennung von Währungskrisen durch internationale Organisationen, Zentralbanken, Privatbanken und wissenschaftliche Institutionen ist Ausdruck des breiten Interesses. Siehe u.a. Abiad (2003) für den Internationalen Währungsfond (IWF), Hawkins und Klau (2000) für die Bank for International Settlement (BIS), Vlaar (1999) für die Niederländische Zentralbank, Schnatz (1998) für die Deutsche Bundesbank, Bussière und Fratzscher (2002) für die Europäische Zentralbank (EZB) und Goldman Sachs (1998), Morgan Stanley Dean Witter (2001), Deutsche Bank (2002) als einige Beispiele für private Institutionen. 2 Eine umfassende Analyse der Früherkennung mehrerer unterschiedlicher Krisenformen wird im Rahmen dieser Arbeit nicht vorgenommen, obwohl Währungskrisen, Bankenkrisen, Schuldenkrisen, als nur einige Beispiele, eng miteinander verbunden sein können. Die Methodik zur Vorhersage dieser Krisen unterscheidet sich jedoch nicht wesentlich voneinander. Die Konzentration auf eine spezielle Krisenform ist hinreichend, um generelle Probleme darzustellen. 7 tet. Ziel ist ein Einblick in relevante Prognoseansätze für Währungskrisen. Im Mittelpunkt der hier vorgestellten Modelle und empirischen Ansätze stehen weitestgehend die Mexikokrise, die Krise des Europäischen Währungssystems und die Asienkrise. Die nicht weniger schwerwiegenden Krisen in Russland (1998), Brasilien (1999) und Argentinien (2001) sind nicht unmittelbarer Gegenstand der im Rahmen dieser Arbeit analysierten Frühwarnsysteme. Gleichwohl gibt es in der jüngeren wissenschaftlichen Debatte zahlreiche Versuche, auch die letztgenannten Währungsturbulenzen mittels der grundlegenden empirischen Frühwarnmodelle zu untersuchen bzw. zu ermitteln, inwiefern diese Frühwarnsysteme diese Krisen hätten prognostizieren können. Die Formulierung einer neuen Krisentheorie und/oder die Konstruktion eines eigenständigen Frühwarnsystems können an anderer Stelle erfolgen. Eine umfassende Überblicksdarstellung der Literatur ist nicht beabsichtigt und auch nicht möglich. Generelle Kritik, Probleme und Schwächen bestehen bei allen Frühwarnsystemen. Die Konstruktion von Frühwarnmodellen zur Vorhersage von Währungsturbulenzen mit Hilfe geeigneter Variablen und Indikatoren sollte, basierend auf theoretischen Ursachenanalysen von Währungskrisen, erfolgen. Die Identifikation unterschiedlicher Auslöser und Bestimmungsgründe für Währungsturbulenzen kann einen Beitrag zur Klärung der Frage leisten, inwieweit selbst erfüllende Erwartungen, panikartiges Verhalten und willkürliche Spekulationen Zufallsprodukte sind, oder ob auch diesen kaum prognostizierbaren Krisenursachen makroökonomische Fehlentwicklungen und wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen zugrunde liegen. Das vorliegende Papier gliedert sich in 6 Kapitel. Im Anschluss an die Einleitung wird im zweiten Kapitel anhand von theoretischen Krisenmodellen untersucht, was Fundamentalfaktoren sind und welche Bedeutung ihnen für die Erklärung von Währungskrisen beigemessen wird. Ausgehend von der Feststellung, dass Ungleichgewichte oder Verzerrungen makroökonomischer Fundamentaldaten Währungskrisen und Instabilitäten im Finanzsektor treten häufig simultan auf (Zwillingskrisen oder „twin crises“). Die Zusammenhänge variieren und sind zum großen Teil länderspezifisch. Auf gegenseitige Abhängigkeiten wird im Verlauf dieser Ausführungen noch näher hingewiesen. 8 selbsterfüllende Spekulationen und Erwartungsänderungen determinieren, lassen sich beobachtbare Variablen mit Prognosefähigkeit für zukünftige Krisen auswählen. In Kapitel 3 werden die wichtigsten dieser relevanten Variablen dokumentiert und mögliche Zusammenhänge mit Währungsturbulenzen dargestellt. Grundlegende empirische Krisenmodelle und daraus abgeleitete Frühwarnmodelle werden im 4. Kapitel vorgestellt. Drei unterschiedliche empirische Ansätze zur Analyse von Währungskrisen stehen im Mittelpunkt. Erstens die „Signal-Methode“3, die das Verhalten ausgewählter Variablen gegenüber einem vorher festgelegten Schwellenwert betrachtet. Überschreitet mindestens ein Indikator diesen Wert, wird eine potentielle Krise signalisiert. Die zweite Methode 4 basiert auf einer Einteilung unterschiedlicher Länder und Zeitperioden in zwei diskrete Zustände: eine Krisenperiode und eine „ruhige“ Periode. Unter Einbeziehung einer Gruppe relevanter Indikatoren in eine Wahrscheinlichkeitsfunktion lassen sich Aussagen über die Möglichkeit eines Ausbruchs von Krisen abschätzen. Die dritte Methode5 umfasst spezifische Ereignisanalysen mit dem Ziel, strukturelle Beziehungen und Zusammenhänge zwischen partikularen Variablen und Währungskrisen herauszuarbeiten. Die Konstruktion von Frühwarnsystemen beinhaltet eine präzise Krisendefinition, einen Mechanismus zur Ermittlung der gewünschten Vorhersagen, die Festlegung des Stichprobenumfangs (Länderauswahl, Erhebungszeitraum) und der Datenfrequenz. Die detaillierte theoretische Darstellung verwendeter empirischer Methoden, eingesetzter Variablen, wichtiger Erweiterungen und Ergänzungen ist Ausgangspunkt für die Herausarbeitung der schließlich im 5. Kapitel zentralen Fragestellung der Relevanz der Frühwarnmodelle, d.h. die Prognosefähigkeit für zukünftige Krisen, die wesentlich die Möglichkeiten und Grenzen beeinflusst. Zur Auswertung stand ein teilweise sehr umfangreiches, teilweise aber auch sehr begrenztes Literaturangebot zur Verfügung. Insbesondere Modelle privater Banken und Institutionen sind öffentlich kaum zugänglich; hier besteht ein Informationsmangel, der vor allem auf wirtschaftliche Interessen zurückzuführen 3 Siehe u.a. Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997). Siehe u.a. Frankel und Rose (1996), Eichengreen, Rose und Wyplosz (1995), Sachs, Tornell und Velasco (1996a, 1996b). 5 Siehe u.a. Frankel und Rose (1996), Sachs, Tornell und Velasco (1996b). 4 9 ist. Für die Beantwortung der zentralen Frage dieser Arbeit wäre ein Einblick in die praktische Anwendung von Frühwarnsystemen und die damit verbundenen Erfahrungen privater Institutionen sowie ihrer Zielgruppen und Nutzer hilfreich. Die nahezu unüberschaubare Vielzahl unterschiedlicher akademischer Studien verdeutlicht hingegen einerseits das begründete wissenschaftliche und wirtschaftliche Interesse an Finanzkrisen. Andererseits wird ein fehlender Konsens hinsichtlich der relevanten Krisenursachen, Variablen mit Vorhersagefähigkeit und der anzuwendenden empirischen Methoden ersichtlich. 10 2 Theoretische Krisenmodelle 2.1 Definition des Begriffs Währungskrise Der Begriff „Währungskrise“ wird in der wissenschaftlichen Literatur im Zusammenhang mit vielen wirtschaftlichen Szenarien der Vergangenheit keinesfalls einheitlich und übereinstimmend verwendet. Sollen aber Währungskrisen identifiziert und prognostiziert werden, ist eine genaue Einordnung und Definition des Begriffs erforderlich. In der Literatur zu theoretischen Erklärungen von Währungsturbulenzen sind nur Währungskrisen für fixierte Wechselkursregime definiert. Eine Krise wird identifiziert als offizielle Abwertung oder Aufwertung oder als Wechselkursfreigabe einer Währung.6 Diese enge Definition beinhaltet ausschließlich erfolgreiche spekulative Attacken auf feste Wechselkursregime. In der jüngeren Vergangenheit waren zunehmend Währungen betroffen, die nicht formal fest an eine Ankerwährung oder einen Währungskorb gebunden waren und stattdessen in einer festgelegten Bandbreite oder vollkommen frei schwanken konnten. Außerdem können auch vollkommen flexible Währungen Ziel zerstörerischer spekulativer Attacken sein. Geringe offizielle Abwertungen in ruhigen Perioden müssen andererseits nicht zwangsläufig als Krisen definiert werden. Der reale Wechselkurs kann so an volkswirtschaftliche Gegebenheiten angepasst werden und Angriffspunkte für zukünftige Attacken werden verringert. Entscheidend sind letztendlich die Höhe der Abwertung und die Unterscheidung zwischen Währungskrisen als abrupte, diskrete Ereignisse und kontinuierlichen Wechselkursentwicklungen über mehrere Perioden.7 Diese enge Definition vernachlässigt ebenfalls, dass auch nicht erfolgreiche spekulative Attacken durch den Verlust von Währungsreserven und/oder die Erhöhung der Zentralbankzinssätze zur Verteidigung des Wechselkurses mit erheblichen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden sind. Nicht erfolgreiche spekulative Attacken verdeutlichen somit die Angreifbarkeit einer Volkswirtschaft.8 Die uneinheitliche Begriffsdefinition räumt einen gewissen Ermessens- 6 Vgl. Vlaar (2000), S. 253. Ebd., S. 253. 8 Vgl. Effenberger (2003), S. 6. Auf die Festlegung einer eindeutigen Definition des Begriffs „Währungskrise“ kann hier verzichtet werden. Das Anliegen dieser Arbeit ist eine Einschätzung 7 11 spielraum darüber ein, welche Ereignisse als Währungskrise bezeichnet werden. Eine Identifikation von Währungsturbulenzen nach einheitlichen Kriterien fällt schwer.9 Eine Währungskrise ist nur eine spezielle, den Wertverlust der nationalen Währung betreffende Ausprägung einer Finanzkrise. Unter Finanzkrisen sind plötzliche, deutlich von durchschnittlichen Entwicklungen abweichende Verschlechterungen finanzieller Indikatoren oder ein erheblicher Preisverfall zu verstehen, die gesamtwirtschaftliche Auswirkungen nach sich ziehen. Neben Währungs-, Banken- und Schuldenkrisen werden neuerdings auch Finanzmarktkrisen (Krisen auf Vermögensmärkten) unter dem Begriff Finanzkrise zusammengefasst.10 Abbildung 1 zeigt eine Einordnung der Währungskrisen. Abbildung 1: Arten von Finanzkrisen Finanzkrise makroökonomische Krise Währungskrise staatliche Schuldenkrise systemische mikroökonomische Krise Bankenkrise; sonstige private Schuldenkrise Finanzmarktkrise Quelle: Effenberger (2003), S. 6. Die verschiedenen Krisenarten können aufgrund variierender Abhängigkeiten gleichzeitig oder aufeinander folgend auftreten. Interdependenzen zwischen der Möglichkeiten und Grenzen von Frühwarnsystemen, weniger die Entwicklung eines neuen Krisenmodells und/oder Frühwarnsystems für Währungskrisen. Grundlegende Meinungsverschiedenheiten in der akademischen Literatur über Krisenursachen und variierende Frühwarnmodelle sind nur ein weiterer Ausdruck für die generell mit Währungskrisen verbundenen Schwierigkeiten. 9 Vgl. Schnatz (1998), S. 6. Die Konstruktion von Indikatoren, die Spannungen auf dem Devisenmarkt und Druck auf die nationale Währung anzeigen, vereinfacht die Identifikation von Währungskrisen nach einheitlichen Kriterien. Allerdings gibt es wiederum Unterschiede, die im Abschnitt 4 im Zusammenhang mit Frühwarnmodellen detailliert dargestellt werden. Die genaue empirische Definition der Währungskrise ist ein grundlegender Bestandteil der Frühwarnsysteme. 10 Vgl. Aschinger (2001a), S. 11. 12 Währungs- und Bankenkrise sind elementarer Bestandteil neuerer theoretischer Modelle zur Erklärung von Währungsturbulenzen. Diese Modelle werden neben traditionellen Theorien der 1. und 2. Generation im folgenden Abschnitt hinsichtlich fundamentaler und selbsterfüllender Erklärungsversuche dargestellt. 2.2 Modelle der 1. Generation Die Grundlage für die Konstruktion von Frühwarnsystemen ist die empirische Analyse der Bestimmungsgründe von Währungskrisen. Das Ziel ist die Erstellung eines Kataloges von Variablen, die sich im Vorfeld spekulativer Attacken anders verhalten als in spannungsfreien Perioden. Theoretische Krisenmodelle spekulativer Attacken ermöglichen die Identifikation dieser in Frage kommenden Variablen. Währungskrisentheorien werden hier im Hinblick auf prognostizierbare Indikatoren und empirische Implikationen umrissen. Die sogenannten Modelle der 1. Generation11 betonen den Zusammenhang von spekulativen Attacken und fundamentalen Ungleichgewichten. Die Zahlungsbilanzkrise (Währungskrise) ist die zwingende Folge einer mit politisch festgelegten festen Wechselkursen nicht kompatiblen Politik. Die zentrale Frage ist, wie lange die Währungsreserven der Zentralbank ausreichen, um das fixierte Wechselkursregime im Kontext einer expansiven Geld- und Fiskalpolitik zu verteidigen. In einem Modell mit perfekter Voraussicht wird die Zahlungsbilanzkrise durch ein exogenes Budgetdefizit forciert, das mit einer Ausweitung der Geldmenge und inländischer Kreditexpansion finanziert wird. In einer offenen Volkswirtschaft führt die Überschussliquidität zu einem ständigen Kapitalexport und in Folge dessen zu einem Abfluss staatlicher Devisenreserven. Sind diese erschöpft, kann die Zentralbank zur Stützung des fixierten Wechselkurses nicht mehr an den Devisenmärkten intervenieren. Die Aufgabe des Wechselkursregimes wäre ein „natürlicher Kollaps“. Unter der Annahme der perfekten Voraussicht werden die Akteure den „natürlichen Kollaps“ nicht abwarten. Zur Vermeidung erheblicher Vermögensverluste wird mit einer oder mehreren spekulativen 11 Den Ausgangspunkt der modernen Theorie der Zahlungsbilanzkrise bilden die Modelle von Krugman (1979) und die Erweiterung von Flood und Garber (1984). Im Anhang II wird ein theoretisches Modell der 1. Generation vorgestellt. Siehe ebenfalls Flood und Marion (1998) für eine ausführliche und theoretisch orientierte Darstellung verschiedener Modelle, sowohl der 1. als auch der 2. Generation. 13 Attacken ein vorzeitiges Ende des Wechselkursregimes provoziert.12 Wesentlich ist die von der Zentralbank geäußerte Bereitschaft zur Verteidigung des Wechselkurses, solange ausreichend Reserven vorhanden sind. Die expansive Geld- und Fiskalpolitik, die über sinkende Reserven zum Ausdruck kommt, verbunden mit anhaltenden Budgetdefiziten sind relevante Fundamentalvariablen, die die Grundlage für empirische Forschungen zu Währungskrisen sind. Die Höhe der Reserven ist ebenfalls ein Indikator. Länder mit geringen Reserven sind anfälliger für spekulative Attacken.13 Die Erweiterung des Ausgangsmodells um den flexiblen Schattenwechselkurs 14 , der seitens der Spekulanten bzw. Marktteilnehmer mit dem fixierten Wechselkurs verglichen wird, veranschaulicht die Motivation zu spekulativen Attacken vor dem „natürlichen Kollaps“. Ein im Verhältnis zur Geldnachfrage übermäßig steigendes Kreditvolumen führt zu einem steigenden Schattenwechselkurs (Abwertung). Ist der Schattenwechselkurs höher als der fixierte, folgt entsprechend dem Arbitragekalkül und in Abhängigkeit von den verbliebenen Reserven eine spekulative Attacke. 15 Die Wahrscheinlichkeit einer Attacke steigt mit der Ausweitung des Kreditangebotes und mit der Erwartung eines Anstiegs der zukünftigen Kreditvergabe. Als weitere grundlegende Indikatoren für Währungskrisen können Fiskalvariablen (Fiskaldefizit in Relation zu Bruttoinlandsprodukt (BIP), Staatsausgaben in Relation zu BIP) und Finanzmarktvariablen (Kreditwachstumsrate, Wachstum der Geldmenge M2) herangezogen werden.16 Die Betrachtung der Auswirkungen einer übermäßigen realen Aufwertung der Währung auf Devisenmarktturbulenzen ist eine Erweiterung des ursprünglichen Modells in eine andere Richtung. Als Folge der realen Aufwertungen sinkt die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft, zurückgehende Exporte und steigende Importe führen zu steigenden Handels- und Leistungsbilanzdefiziten. Die Deckung des Leistungsbilanzdefizits mittels zukünftiger Exporterlöse wird er12 Vgl. Fuhrmann und Cepok (2003), S. 118 f., Eichengreen, Rose und Wyplosz (1996), S. 6 ff. Vgl. Eichengreen, Rose und Wyplosz (1994), S. 6 ff. 14 Hypothetischer Wechselkurs (determiniert durch ökonomische Fundamentaldaten, z.B. Einbeziehung der Inflation, Abweichungen von der Kaufkraftparität), der sich einstellen würde bei Erschöpfung der Reserven (gleich Null) und Freigabe des zuvor fixierten Wechselkurses. Siehe hierzu Collins (2003), S. 7 ff., Fuhrmann und Henschel (2001), S. 10 ff., Obstfeld (1994), S. 17 ff. 15 Vgl. Fuhrmann (2001), S. 12 f. 16 Vgl. Chui (2002), S. 11. 13 14 schwert.17 Der Abwertungsdruck auf die Währung steigt. Erscheint die Verteidigung einer bestimmten Parität nicht mehr vollkommen glaubwürdig und wird von einer kommenden Krise (Abwertung der Währung) ausgegangen, steigen die Lohnforderungen über die eigentliche Inflationserwartung hinaus. Dies ist gleichbedeutend mit einer realen Aufwertung.18 Das Ergebnis der expansiven Fiskal- und Geldpolitik ist die Erhöhung der Nachfrage nach handelbaren (Importe) und nicht handelbaren Gütern und der damit verbundenen Preiserhöhungen für letztgenannte Güter. Steigende Inflation determiniert die reale Aufwertung ohne entsprechenden volkswirtschaftlichen Hintergrund. Bestehen Unsicherheiten über die zukünftige Kreditpolitik und die Höhe der verbliebenen Reserven, sind steigende inländische Zinsen die Folge. Empirisch relevante Indikatoren sind externe Variablen (Entwicklung des realen Wechselkurses, Handels- und Leistungsbilanz) sowie inländische Zins- und reale Lohnsätze.19 Erklärungsansätze der 1. Generation betonen die Inkonsistenz zwischen politisch festgelegten festen Wechselkursen und makroökonomischer Politik. Die Erwartungen der Marktteilnehmer basieren auf der Vermutung, dass ihre Handlungen keinen Einfluss auf fiskalische Ungleichgewichte und das Kreditwachstum haben. Sie beeinflussen wirtschaftspolitische Entscheidungen nicht direkt, d.h., das politische Handeln ist exogen. Krisen, deren Erscheinungsbild mit Hilfe der Modelle der 1. Generation erklärt werden kann, sind prognostizierbar.20 In Folge der Entwicklung gesamtwirtschaftlicher Größen ist ein Kollaps unvermeidbar. Der genaue Zeitpunkt der spekulativen Attacken bleibt allerdings durch die Einschränkung der ursprünglich perfekten Voraussicht unsicher. Die lateinamerikanischen Krisenepisoden der frühen 80er-Jahre können mit diesen Modellen erklärt werden. Die Währungsturbulenzen im Europäischen Währungssystem (1992/1993) und in Mexiko (1994) konnten dagegen mit den bisher existierenden theoretischen Ansätzen nicht hinreichend erklärt werden. Diese Krisen bedeuteten eine Herausforderung für die Entwicklung neuer theoretischer Krisenmodelle. 17 Vgl. Pesenti und Tille (2000), S. 4. Vgl. Schnatz (1998), S. 14 f. 19 Vgl. Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), S. 5 f., Eichengreen, Rose und Wyplosz (1994), S. 8 f. 20 Siehe u.a. Schardax (2002), S. 108 f. 18 15 2.3 Modelle der 2. Generation Die Ausgangslage vor den Krisen des Europäischen Währungssystems und in Mexiko war einerseits gekennzeichnet durch sich teilweise verschlechternde Fundamentaldaten21. Andererseits waren die Spekulationen überraschend und plötzlich, auch wenn sich die Daten vorhersehbar und langsam verschlechterten. Die Kurzfristigkeit wird mit multiplen Gleichgewichten und selbsterfüllenden Spekulationen erklärt.22 In den Modellen der 1. Generation sind die fundamentalen Daten entweder konsistent mit der Politik, oder eine Krise ist unvermeidlich. Gleiches gilt in Modellen der 2. Generation für extreme Werte. Die zu Grunde liegenden Fundamentaldaten können in drei Stufen eingeteilt werden: 1. in den extrem guten Situationen oder Zuständen ist die Wahrscheinlichkeit einer Krise gleich Null, spekulative Attacken verursachen keine Krise des Wechselkursregimes. 2. im relativ großen Zwischenbereich ist eine Krise möglich, die Daten sind weder so stark, dass eine erfolgreiche Attacke unmöglich ist, noch so schwach, dass Attacken unvermeidbar sind.23 3. in sehr schlechten Zuständen der Wirtschaft ist die Wahrscheinlichkeit einer Krise gleich Eins, spekulative Attacken verursachen immer eine Krise des Wechselkursregimes Die makroökonomischen Fundamentalfaktoren sind beobachtbar und nicht irrelevant, sie determinieren die Zahl der möglichen Gleichgewichte und die Anfälligkeit der Volkswirtschaft.24 Währungskrisen sind das Ergebnis von Sprüngen zwischen verschiedenen Gleichgewichtssituationen. In den Modellen der 2. Generation wird das politische Handeln nicht mehr exogen, sondern endogen durch das Verhalten der Marktteilnehmer bestimmt. Die strategische Interaktion zwischen aktuellen Ereignissen, Politik, Marktteilneh21 Die relevanten Daten unterschieden sich für die betroffenen Währungen. Der Mexikanische Peso und die Italienische Lira waren überbewertet, Währungen wie der Französische Franc hingegen gerieten unter Druck, da steigende Kosten im Zusammenhang mit hohen Arbeitslosenquoten zunehmend unvereinbar mit dem politischen Ziel der Wechselkursfixierung waren. 22 Vgl. Jeanne (1997), S. 263. Nach Obstfeld (1986) sind Zahlungsbilanzkrisen auch Ausdruck selbst erfüllender Spekulationen und nicht ausschließliche Resultat kaum nachhaltiger Makropolitiken. Die Existenz multipler Gleichgewichte, jeweils mit einer unterschiedlichen Gruppe öffentlicher Erwartungen verbunden, bildet die Grundlage für selbst erfüllende Spekulationen und Währungskrisen. Siehe Obstfeld (1986), S. 77. 23 Vgl. u.a. Obstfeld (1995), S. 6 und Collins (2003), S. 8 ff. 24 Vgl. Obstfeld (1995), S. 3, Jeanne (1997), S. 265, Arias und Erlandsson (2004), S. 3 ff. und Bratsiotis und Robinson (2004), S. 596 und S. 604 ff. 16 mern und Markterwartungen bedingt multiple Gleichgewichte und selbsterfüllende Krisen.25 In einem bestimmten Gleichgewicht ist der fixierte Wechselkurs konsistent mit den Fundamentalgrößen. Plötzlich auftretende Erwartungsänderungen können zu Politikwechseln und zum Kollaps des Wechselkursregimes führen, die Erwartungen der Spekulanten werden erfüllt. Ein ständiger Kreislauf gegenseitiger Beeinflussung ist kennzeichnend für selbsterfüllende Krisen: „This circular dynamic implies a potential for crises that need not have occurred, but that do occur because market participants expect them to.”26 Das zentrale Charakteristikum der Modelle der 2. Generation ist eine rational handelnde Regierung, die ihrem Wohlfahrtsmaximierungskalkül und einer Kosten-Nutzen-Analyse entsprechend selbst entscheidet, ob am fixierten Regime festgehaltenen wird oder die Freigabe des Wechselkurses mit Anreizen verbunden ist.27 Die Erwartungen von Investoren und Agenten werden in die Entscheidung einbezogen. Die Formalisierung der Präferenzen der staatlichen Behörden ist zentrales Anliegen dieser Modelle. Untersucht werden Zusammenhänge zwischen internen (gesellschaftliche Wohlfahrt) und externen (Wechselkursziel) politischen Variablen. Kosten und Nutzen des Festhaltens an der Fixierung im Hinblick auf diese Variablen werden anhand einer Verlustfunktion28 gegenübergestellt. Eine Vielzahl von makroökonomischen Variablen beeinflusst die Erwartungen der Marktteilnehmer und das Kosten-Nutzen-Verhältnis politischer Entscheidungen. Hohe Arbeitslosigkeit ist mit enormen Kosten für eine Volkswirtschaft verbunden und steigert den Anreiz zur Abwertung der Währung durch eine beschäftigungsorientierte Geldpolitik.29 Die Markterwartung einer Abwertung steigt bei hoher Arbeitslosigkeit und der spekulative Druck nimmt zu. Maßnahmen zur Abwehr spekulativer Attacken (steigende Zinsen) sind mit wohlfahrtsmindern- 25 Ein theoretisches Modell der 2. Generation siehe Anhang III. Vgl. ebenfalls Pesenti und Tille (2000), S. 5 f. 26 Obstfeld (1994), S. 3 27 Vgl. Fuhrmann und Cepok (2003), S. 119. Eine Abwertung ist verbunden mit steigendem Preisniveau und positiven Beschäftigungseffekten. Demgegenüber stehen Kosten der Neufixierung des Wechselkurses. 28 Die Entscheidung über Festhalten oder Aufgabe des festen Wechselkurses ist Resultat der Minimierung dieser Verlustfunktion. Eine mögliche Verlustfunktion wird in Anhang IV dargestellt. 29 Vgl. Furman und Stiglitz (1998), S. 34 ff. Obstfeld (1994) zeigt an den Beispielen Arbeitslosigkeit und den Kosten der öffentlichen Schuldenbedienung, wie sich der Druck auf eine Regierung hin zur Abwertung der Währung erhöht. 17 den Auswirkungen für die Volkswirtschaft verbunden. Sie belasten den Staatshaushalt weiter und erhöhen die Gefahr einer Rezession. Die Existenz erheblicher wirtschaftlicher Probleme (hohe Arbeitslosigkeit, angeschlagenes Bankensystem) verringert das Vertrauen in das Wechselkursziel der Regierung, und die sinkende Glaubwürdigkeit ist mit weiteren Kosten und einer Verschlechterung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses verbunden. 30 Die öffentliche Verschuldung ist – wegen der Abwertungserwartungen bezüglich ihrer Reduzierung – ein weiterer Indikator der Anfälligkeit einer Volkswirtschaft. Unerwartet steigende Zinsen im In- und Ausland verschlechtern die Situation der Banken. Dies findet Ausdruck im Aktienkurs der Banken, dem Anteil „fauler“ Kredite und einem Einlagenschwund. Das Eingreifen der Zentralbank als letztinstanzlicher Kapitalgeber (lender-of-last-resort) erhöht den Druck – durch eine Ausweitung der Geldmenge – auf die Währungsreserven und damit die Wahrscheinlichkeit einer Krise. Der Bankensektor ist demzufolge ein weiterer Indikator für die Krisenwahrscheinlichkeit.31 Weitere Indikatoren für eine Aufgabe der Parität und entsprechende Erwartungen der Freigabe sowie spekulative Attacken sind politökonomische Variablen, z.B. Wiederwahl der Regierung. Hinzu kommen gesamtwirtschaftliche Umstände wie Arbeitslosigkeit, Inflation, Höhe und Struktur der Verschuldung (insbesondere kurzfristig), Stabilität des Finanzsektors, realer Wechselkurs, hohe Haushaltsdefizite und als zu gering bewertete Devisenreserven.32 Wird hingegen von der Beibehaltung der Parität ausgegangen, verharrt die Volkswirtschaft im Ausgangsgleichgewicht. Die Wirtschaft kann von einem Gleichgewicht zu einem anderen ohne kurzfristige Änderung der Fundamentaldaten „springen“. Veränderungen der gesamtwirtschaftlichen Umstände sind nicht zwingende Voraussetzung für solche „Sprünge“. Minimale, nicht oder schwer prognostizierbare Änderungen der Marktstimmung können ausreichend sein. Währungskrisen sind, den Modellen der 2. Generation folgend, kaum vorhersehbar. Fundamentalökonomische Daten hingegen sind wesentlich für das Szenario der generellen Anfälligkeit. Die Grundlagen von Krisen sind langfristi30 Vgl. Schnatz (1998), S. 15 f. Dieser „Teufelskreis“ erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Währungskrise. 31 Vgl. Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), S. 6 f., Obstfeld (1995), S. 12 ff. 32 Siehe dazu u.a. Flood und Marion (1998), S. 31 f., Mariano et al. (2002), S. 3, Collins (2003), S. 10 und Fuhrmann (2001), S. 14. 18 ge Verschlechterungen der Fundamentaldaten in einem fixierten Wechselkursregime und nicht die selbsterfüllenden Spekulationen. Selbsterfüllende Marktstimmungen sind nicht denkbar unter willkürlichen Umständen. Das Auftreten einer Krise und der genaue Zeitpunkt werden jedoch durch Spekulationen mitbestimmt.33 Mit den Modellen der 2. Generation können die näheren Bestimmungsgründe der „Sprünge“ zwischen den Gleichgewichten und die Koordination der Erwartungen seitens der Spekulanten nicht erklärt werden. Auch wenn ein Investor von der Nachhaltigkeit des Wechselkursregimes ausgeht, sind damit keine Garantien verbunden, dass auch andere Investoren offizielle Äußerungen in gleicher Weise interpretieren. Die bisher entwickelten Theorien konnten nicht wesentlich zur Vorhersage der Asienkrise (1997/1998) und zur Erklärung der Ursachen beitragen, da in den meisten betroffenen Ländern auf den ersten Blick keine signifikanten Budgetdefizite und zu expansive Geldmengenpolitiken zu beobachten waren. Hohe Inflation und Arbeitslosigkeit als Indikatoren fundamentaler und selbsterfüllender Krisen waren weitestgehend nicht zu beobachten, Konflikte der makroökonomischen Ziele nicht zu erkennen. Das zunehmend parallele Auftreten von Währungs- und Finanzkrisen (Zwillingskrisen) in Schwellenländern und die rasante Ausbreitung der Währungsturbulenzen versuchen Modelle der 3. Generation zu erklären. 2.4 Modelle der 3. Generation Im Zentrum der gegensätzlichen Modelle der 1. und 2. Generation steht staatliches Handeln. Währungskrisen in der jüngeren Vergangenheit waren eng verbunden mit Bankenproblemen34, so dass Banken in neuen Modellen als zusätzliche Akteure berücksichtigt werden. Fehlende oder ungenügende Bankenauf33 Vgl. Schardax (2002), S. 109 f. und Jeanne (1997), S. 265. Schnatz (1998) verdeutlicht die Probleme für Frühwarnsysteme, die aus den theoretischen Ansätzen der 2. Generation folgen: „Dominieren sich selbsterfüllende Erwartungen … bei der Erklärung spekulativer Attacken, dann dürfte die Identifikation von Variablen mit Frühwarneigenschaften schwierig sein, da ein Sonderverhalten dieser Größen vor Währungsturbulenzen nur eine notwendige, jedoch keine hinreichende Voraussetzung für eine Spekulative Attacke ist. Hinreichend sind erst die entsprechenden Markterwartungen, die jedoch kaum zeitgerecht beobachtet werden können.“ 34 Einige Zusammenhänge werden bei der Darstellung von moral hazard, Illiquidität und Contagion erläutert. Vertiefend siehe Miller (1998), Kaminsky (1999), Kaminsky und Reinhart (1999) und Disyatat (2004). 19 sicht, angeschlagene Banken und Bilanzprobleme erschweren die Abwehr von spekulativen Attacken durch die Zentralbank. Eine Erhöhung der Zinssätze zur Verteidigung des festen Wechselkurses verschärft die Krise der Banken35 und verdeutlicht nur teilweise die Zusammenhänge zwischen Währungs- und Finanzmarktkrisen. Als Ursachen fehlender Bankenstabilität und drohender Währungskrisen rücken Überschuldung privater Marktteilnehmer – begünstigt durch moral hazard , Illiquidität privater Banken und Unternehmen – sowie die Ausbreitungsmechanismen von Krisen in den Mittelpunkt der theoretischen Modelle der „3. Generation“. Sie verbinden fundamentale und selbsterfüllende Ansätze mit Erweiterungen um mikroökonomische Elemente. Wesentliche fundamentale Krisenursachen bisheriger Modelle können – ergänzt um Überschuldung und Bilanzprobleme – weiterhin einbezogen werden.36 Die beobachteten Phänomene können sie allein allerdings nicht hinreichend erklären. 2.4.1 Moral Hazard Eng verbunden mit Überinvestitionen, Überschuldung, unzureichendem Risikomanagement und der hohen kurzfristigen Fremdwährungsverschuldung sind explizite und implizite staatliche Garantien. In Aussicht stehende Unterstützungszahlungen an den privaten Sektor (bail out – Beihilfen bei Insolvenzgefahren) haben eine zentrale Bedeutung.37 Die Risiken einer Währungskrise werden nicht ausreichend in das wirtschaftliche Kalkül einbezogen, risikoreiche Strategien sind die Folge. 38 Eine nicht angemessene Bankenaufsicht und/oder die Erwartung staatlicher Beihilfen führen zu unangemessenen Kreditvolumina. Ergebnis sind Investitionsblasen und Überschuldungstendenzen, einhergehend mit einer steigenden Krisenanfälligkeit und der Erwartung von zukünftigen Vermögensverlusten. Spekulative Attacken sind damit unvermeidbar.39 Währungskrisen werden auch als Nebenprodukt von Bankenkrisen angesehen. Die Auswirkungen einer Überschuldung zeigen sich bei externen Schocks, die zum Verfall der Vermögenswerte führen können. Die wirtschaftliche Lage der 35 Vgl. Mishkin (1999), S. 4. Siehe dazu Krugman (1998) und Corsetti, Pesenti und Roubini (1998b), (1998c). 37 Nationale und internationale Finanzhilfen (u. a. seitens des IWF) im Anschluss an vergangene Krisenepisoden ließen weitere Hilfen nach zukünftigen Krisen erwarten. 38 Vgl. Fuhrmann und Cepok (2003), S. 119. 39 Vgl. Fuhrmann (2001), S. 13 f., Corsetti, Pesenti und Roubini (1998a), S. 21 ff. 36 20 Banken verschlechtert sich, Bankenzusammenbrüche untermauern den Verfall der Vermögenswerte. Moral hazard und selbsterfüllende Krisen zeigen die Gefahr fehlender transparenter Beziehungen zwischen staatlichen Behörden und dem privaten Sektor sowie die Bedeutung einer politisch unabhängigen Zentralbank. Staatliche Garantien und bail-outs werden durch eine Ausweitung der Geldmenge finanziert. Zahlungsbilanzkrisen (Währungskrisen) nach dem Ablaufschema, das aus den theoretischen Modellen der 1. Generation bekannt ist, können die Folge sein. 40 Letztendlich sind staatliche Garantien und Beihilfen nicht konsistent mit fixierten Wechselkursregimen41, denn politisch festgelegte Wechselkurse implizieren geringe Währungsrisiken und fördern riskante Investitionen. Der Zusammenhang von moral hazard, daraus resultierenden Überinvestitionen und Immobilienblasen ist nicht zwingend. Andere, nicht geschützte oder garantierte Investitionsformen boomten vor den Krisen in Asien ebenfalls.42 Die Bedeutung von moral hazard ist sehr umstritten, die Notwendigkeit einer Bankenaufsicht und transparenter Strukturen bei der Kreditvergabe wird hingegen ersichtlich. Zusätzliche Variablen mit Relevanz für die Früherkennung werden im Zusammenhang mit Illiquidität, Krisenausbreitung (Contagion) und Kreditrationierung identifiziert. 40 Krugman (1998) modelliert den Zusammenhang von Finanzintermediären und Garantien, der die Anfälligkeit einer Volkswirtschaft für Währungskrisen erhöht. 41 Corsetti, Pesenti und Roubini (1998a) zeigen, dass implizite Garantien Banken zu übermäßiger Kreditaufnahme und -vergabe veranlassen. Dies repräsentiert ein „verstecktes“ Budgetdefizit. Ungesicherte Verbindlichkeiten des privaten Sektors repräsentieren eine „versteckte“ öffentliche Verschuldung. Die relativ guten Fundamentaldaten der betroffenen asiatischen Volkswirtschaften waren illusorisch; staatliche Garantien sollten demzufolge in der Budgetbilanz berücksichtigt werden. Siehe auch Pesenti und Tille (2000), S. 6 f. Bankenkrisen sind mit großen und unerwarteten Verschlechterungen der Budgetposition eines Landes verbunden. Die drastischen Veränderungen der öffentlichen Verbindlichkeiten unterstützen Abwertungserwartungen, der Krisenmechanismus aus Modellen der 1. Generation setzt ein. 42 Vgl. Krugman (1999), S. 6. Für Immobilien und andere Vermögenswerte existierten keine Garantien. Krugman weicht hier von seiner ursprünglichen Meinung ab (siehe Krugman (1998)). Moral hazard ist zum Teil nicht relevant bzw. nicht zentrales Problem. Bilanzen privater Unternehmen, die Fähigkeit zu Investitionen und Kapitalflüsse mit Einfluss auf den realen Wechselkurs sind wesentliche Bestandteile seines neuen Modells (vgl. S. 3). Multiple Gleichgewichte und Vertrauensverluste führen zu Transferproblemen. Eine Währungsabwertung hat negative Auswirkungen auf die Bilanzen von Unternehmen. Dies führt zu sinkenden Investitionen und neuen Ansatzpunkten für weiter abnehmendes Vertrauen. Das Bestreben der Politik, die reale Abwertung zu begrenzen, hat sinkende Produktionsmengen zur Folge, zusätzliche Vertrauensverluste entstehen. 21 2.4.2 Illiquidität Die Bedeutung potentiell illiquider Banken für das parallele Auftreten von Währungs- und Finanzkrisen steht im Zentrum eines weiteren theoretischen Ansatzes. Aufgrund wenig entwickelter Finanzmärkte spielen Banken in Schwellenländern eine zentrale Rolle. Der Zugang zu weltweiten Finanzmärkten ist im Falle von Liquiditätsproblemen stark limitiert.43 Die Illiquidität eines Finanzsystems ist eng mit der Liberalisierung der Finanzmärkte verbunden. Sehr hohe Kapitalzuflüsse aus dem Ausland – begünstigt durch international niedrige Zinsen, geringes Wechselkursrisiko infolge fixierter Regime und erfolgreiche ökonomische Entwicklungen – können von den Banken als Finanzintermediäre weitervermittelt werden. Ist der kurzfristige Anteil überdurchschnittlich, erhöhen zusätzliche Schulden die Anfälligkeit der Banken. Eine Panik infolge von Vertrauensverlusten in die Stabilität des Systems seitens der Kreditgeber kann zu einem selbsterfüllenden Ansturm auf die Banken und einen Kollaps der Währung führen.44 Eine Stabilisierung des Bankensystems und die Verteidigung des Wechselkursregimes sind nicht kompatibel. Zur Unterstützung der Banken wäre eine expansive Geldpolitik notwendig, um eine Erhöhung der Zinsen zu vermeiden und/oder Mittel als lender-of-last-resort zur Verfügung zu stellen. In jedem Fall werden private Agenten die zusätzliche Geldmenge zum Kauf von Währungsreserven verwenden. Der Zusammenbruch des Währungsregimes wird möglich.45 Schwache Fundamentaldaten (Überbewertung des realen Wechselkurses) und Änderungen der externen Bedingungen (terms-of-trade, Weltzinssätze) sind Variablen, die große Veränderungen der Vermögenswerte und wirtschaftlicher Aktivitäten bewirken können. Der Übertragungsmechanismus ist das Finanzsystem.46 Langfristige ausländische Direktinvestitionen (FDI) in produktive Bereiche erhöhen die Stabilität des Systems und verringern die Wahrscheinlichkeit einer Krise, da sie kurzfristig nur mit Verlusten liquidierbar sind. Sie sind ein weiterer Indikator für die Beurteilung der Anfälligkeit einer Volkswirtschaft. 43 Vgl. Chang und Velasco (1998a), S. 4 f. Vgl. Eichengreen, Rose und Wyplosz (1996), S. 13 f. und Krugman (1999), S. 5. Die Vermutung von Liquiditätsproblemen auch in anderen Ländern mit ähnlichen Strukturen kann die Ausbreitung bzw. das Übergreifen der selbsterfüllenden Panik beschleunigen (siehe Abschnitt Contagion). 45 Vgl. Chang und Velasco (1998b), S. 2 ff. 46 Ebd., S. 3. 44 22 2.4.3 Kreditrationierung Neben Banken sind inländische Unternehmen Gegenstand von Modellen der 3. Generation. Ausgehend von nicht vollständig entwickelten Kredit- und Kapitalmärkten in Schwellenländern ist der Zugang der Unternehmen zu heimischen Kapitalmärkten eingeschränkt (rationiert). Der Anteil der Fremdwährungsverbindlichkeiten ist auf Grund ausweichender Verschuldung auf ausländischen Märkten sehr hoch. Die Aktivitäten heimischer Banken als Finanzintermediäre für ausländisches Kapital erhöhen die Fremdverschuldung zusätzlich. Bei Abwertungen der Währung steigt der Wert der Auslandsverbindlichkeiten. Dies zieht entsprechende Bilanzeffekte nach sich. Ist der Wechselkurs so hoch, dass eine Rückzahlung nicht mehr erfolgen kann, werden Investitionen und Produktionsvolumen eingeschränkt. Eine solche Überschuldungssituation führt zur Rationierung der ausländischen Kreditvergabe.47 Selbsterfüllend wird die Situation, wenn in der nächsten Periode ein Nachfragerückgang erwartet wird. Über Zinsund Geldmarktmechanismen kommt es zur Abwertung der Währung. In der Folge steigen die Fremdwährungsverbindlichkeiten, Investitionen werden eingeschränkt, das Produktionsvolumen geht zurück. Voraussetzung ist ein hoher Anteil kurzfristiger Fremdwährungsverschuldung. Ist dieser Anteil gering, kann die Krise nicht durch pessimistische Erwartungen ausgelöst werden. Ein Indikator zur Identifikation der Krisenanfälligkeit ist somit die Zusammensetzung der Verschuldung, insbesondere der kurzfristige Anteil in Fremdwährungen.48 Es besteht kein Zielkonflikt zwischen Festkursregime und Wirtschaftspolitik. Nicht existierende oder nur geringe trendmäßige Verschlechterungen der Fundamentaldaten sind nicht ausschlaggebend für eine Krise. Der Ausbruch der Krise wird durch Erwartungsumschwünge forciert, so dass eine Krise kaum vorhersehbar ist.49 Das Modell zeigt, dass die Fixierung des Wechselkurses nicht notwendige Voraussetzung für eine Krise ist. Unterentwickelte Kapitalmärkte sind bereits ausreichend, um Entwicklungen von Krisen zu beschleunigen. Flexibilität ist nicht 47 Hier besteht eine enge Verbindung zu Contagion-Modellen. Die Kapitalverluste in einer Volkswirtschaft mit gleichen oder ähnlichen Strukturen können auf andere Länder übertragen werden (siehe Abschnitt 2.4.5: Contagion). 48 Die Zusammensetzung der Verschuldung, insbesondere überproportionale Anteile kurzfristiger Fremdwährungsverschuldung, konnte schon im Zusammenhang mit Illiquidität als Frühwarnvariable identifiziert werden. 49 Vgl. Fuhrmann und Cepok (2003), S. 119 ff. 23 gleichbedeutend mit Sicherheit. Die Entwicklung von Frühwarnmodellen ist dementsprechend auch für flexible Wechselkursregime sinnvoll. 2.4.4 Generationsübergreifende Ansätze Trotz aller Unterschiede sind fundamentale Merkmale und multiple Gleichgewichte Bestandteile der Krisenmodelle der 3. Generation. Die generationsübergreifende Kombination der wesentlichen Merkmale impliziert eine gewisse Vorhersehbarkeit von Krisen, der genaue Zeitpunkt unterliegt allerdings noch immer selbsterfüllenden Erwartungen und ist nicht prognostizierbar.50 Erreicht der Schattenwechselkurs den fixierten Wechselkurs, wird in Modellen der 1. Generation das Wechselkursregime bis zur Erschöpfung der Währungsreserven verteidigt. Der Zeitpunkt der Krise ist vorhersehbar. In einem neuen Ansatz wählt die Regierung die optimale Höhe der Reserven von Periode zu Periode aus. In die Minimierung der Verlustfunktion gehen Variablen wie Arbeitslosigkeit, der Zustand des Bankensystems, Produktionsmenge und im Zusammenhang mit der Krisenausbreitung wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen von Partnerländern ein.51 2.4.5 Contagion Die bisher diskutierten Modelle konzentrieren sich auf unterschiedliche Krisenursachen in einem Land. Eine häufig gestellte Frage ist, warum der Schock in einem Land zu ähnlichen Schocks oder Krisen in anderen Ländern führen kann. Für die Ausbreitung52 der Krisen gibt es eine Vielzahl von Erklärungsversuchen. Zwei Konzepte werden häufig genannt: (1) die auf fundamentalen Größen – z.B. Handelsbeziehungen – basierende Ansteckung, erklärt mit Hilfe ökonomi- 50 Vgl. Chui (2002), S. 16. Vgl Flood und Marion (1998), S. 32 f. Flood und Marion (1998), S. 34, sehen einen Vorteil in der Kombination der Modelle: „It allows the first-generation models to pick up what we think is the most important contribution of the second-generation models – state dependence of regime commitment – in a simple and intuitive way.” 52 Nitithanprapas und Willett (2000), S. 13, formulieren eine einfache Begriffsdefinition in Anlehnung an Eichengreen, Rose und Wyplosz (1996): „The crisis contagion is defined as when a crisis in one country increases the probability of a crisis in another country.” Diese Definition verwenden auch Kaminsky und Reinhard (2000), S. 147. Detaillierte Darstellungen zum Thema Contagion liefern Fratzscher (1998, 2000), Kaminsky und Reinhart (2000) und Hausken und Plümper (2002). 51 24 scher und politischer Grundlagenvariablen und (2) das Übergreifen der Krisen aufgrund von Paniken und „Herdenverhalten“. 53 Letztgenannte widerspiegeln teilweise sich selbst erfüllende Spekulationen und Erwartungen. Daraus folgt, dass die genaue Vorhersage des Krisenausbruchs illusorisch ist. Der Transmissionsmechanismus der Finanzmärkte verdeutlicht Informationsasymmetrien. Sprunghafte Änderungen der Erwartungen müssen nicht in Beziehung zu den tatsächlichen Fundamentaldaten und Verhältnissen anderer Länder stehen. Einsetzende Panik als Phänomen (Herdenverhalten) führt zu einer Kapitalflucht aus der gesamten Region und damit zur Ausbreitung der Krise.54 Bei Volkswirtschaften mit ähnlichen oder gleichen makroökonomischen Politiken und Verhältnissen führt die Krise in einem Land zur verstärkten Risikowahrnehmung der Investoren und Kreditgeber. Zunehmende Skepsis gegenüber der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung in anderen Ländern beeinflusst und verändert das eigene Verhalten.55 Der Transmissionskanal „Handel und Integration“ verdeutlicht den Einfluss spekulativer Attacken auf die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Währungsabwertungen von Handelspartnern und Konkurrenten auf internationalen Exportmärkten sind externe Schocks und senken die eigene Wettbewerbsfähigkeit56, der Druck auf die eigene Währung steigt dadurch. Eine weitere Erklärung sind externe Schocks (MonsunEffekt). Die Erhöhung der US-Zinssätze wirkt sich auf die US-Dollar-dominierte Fremdwährungsverschuldung aus. Daraus folgt, dass internationale Zinssätze ein Indikator der Früherkennung sein können. Eine sinkende internationale Nachfrage aufgrund abflachender Konjunktur oder drastisch gesunkene Weltmarktpreise sind ebenfalls zusätzliche und beobachtbare Indikatoren. Modelle der 1. Generation haben gezeigt, dass Länder mit schwachen Fundamentaldaten anfälliger für spekulative Attacken sind. Insbesondere ein kontinuierliches Haushaltsdefizit, finanziert durch eine Geldmengenausweitung, ist nicht konsistent mit einem fixierten Wechselkursregime. Modelle der 2. Genera53 Vgl. Pesenti und Tille (2000), S. 8 f., Eichengreen, Rose und Wyplosz (1996), S. 3 und Nitithanprapas und Willett (2000), S. 13. 54 Vgl. Kawai, Newfarmer und Schmukler (2001), S. 3 f. 55 Vgl. Aschinger (2001b), S. 154 und Eichengreen, Rose und Wyplosz (1996), S. 3. Zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit sind Abwertungswettläufe denkbar, private Investoren werden verstärkt ihr kurzfristiges Kapital abziehen. 56 Vgl. McKibbin und Martin (1999), S. 3 f., Kawai, Newfarmer und Schmukler (2001), S. 17 f. 25 tion verdeutlichen den Zusammenhang zwischen selbsterfüllenden spekulativen Attacken und inkonsistenten wirtschaftspolitischen Zielen. Ausgangspunkt sind wiederum schwache Fundamentaldaten. „Thus under both types of model, the evolution or deterioration of various economic fundamentals could be key indicators of an impending crisis, though its timing is harder to predict.”57 Modelle der 3. Generation zeigen, dass neben schwachen Fundamentaldaten Unsicherheiten im Finanz- und Unternehmenssektor wesentliche Krisenursachen sind. Ausgehend von den theoretischen Modellen wird nachfolgend das Verhalten makroökonomischer Variablen und deren Relevanz als Frühwarnindikatoren untersucht. 3 Variablen mit Frühwarnpotential Zur genauen Spezifizierung der unterschiedlichen Erklärungsansätze und anschließenden Konstruktion von Frühwarnsystemen kommt grundsätzlich eine Vielzahl von ökonomischen Bestimmungsfaktoren in Betracht. Die Auswahl der Indikatoren ist durch das Zusammenspiel von Banken- und Zahlungsbilanzkrisen, Ansteckungs- oder Ausbreitungseffekten, institutionellen Ausgestaltungen von Währungsarrangements, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen nahezu grenzenlos erweiterbar. Die ausgewählten Indikatoren in empirischen Krisenmodellen sollen eine systematische ex-post-Analyse des Verhaltens vor Währungs- und Bankenkrisen ermöglichen und Rückschlüsse auf zukünftige Krisenszenarien erlauben. Eine Reflexion aller potentiellen Krisenursachen in einem einheitlichen empirischen Modell ist nicht zu realisieren. Relevante Krisenursachen, Zusammenhänge und die Auswahl entsprechender Variablen sind umstritten. Potentielle Variablen und Indikatoren können in vier grundlegende Kategorien eingeteilt werden:58 1. Variablen des externen Sektors 2. Variablen des Finanzsektors 3. Variablen des realwirtschaftlichen und öffentlichen Sektors 4. Variablen der globalen Wirtschaft 57 58 Chui (2002), S. 18. Vgl. u.a. Kaminsky und Reinhart (1999), S. 483 ff. und Schnatz (1998), S. 17 ff. 26 Einige Variablen und mögliche Zusammenhänge werden entsprechend der Kategorien nachfolgend nochmals vorgestellt.59 zu 1: Variablen des externen Sektors Realer Wechselkurs (WK/BK+)60 Die Veränderung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit wird vom realen Wechselkurs 61 determiniert. Je stärker die Währung gegenüber dem Vorjahr aufgewertet ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von Wettbewerbsnachteilen. Eine Überbewertung62 führt zu der Notwendigkeit und der Erwartung einer Anpassung der Währungsrelation und impliziert eine gestiegene Anfälligkeit für Finanzkrisen. Exportwachstum (WK-) Der Verlust von Wettbewerbsfähigkeit auf internationalen Gütermärkten kann sich in einer Abschwächung des Exportwachstums niederschlagen. Ausschlaggebend ist eine Überbewertung der nationalen Währung. Ist ein sinkendes Exportwachstum nicht die Folge einer Überbewertung (eventuell Währungsabwertungen relevanter Wettbewerber), steigt ebenfalls der Abwertungsdruck. In beiden Fällen sind sinkende Wachstumsraten der Exporte ein grundlegender Indi- 59 Die Auswahl und Darstellung der Variablen folgen im wesentlichen den eingängigen Präsentationen von Lestano und Kuper (2003), S. 7 ff., Kamin, Schindler und Samuel (2001), S. 8 ff. 60 Anmerkung: WK repräsentiert Währungskrisen und BK repräsentiert Bankenkrisen. Positive Zeichen weisen darauf hin, dass hohe Werte der Indikatoren gleichbedeutend mit einer höheren Krisenwahrscheinlichkeit sind. Negative Zeichen weisen darauf hin, dass niedrige Werte der Indikatoren gleichbedeutend mit einer sinkenden (niedrigeren) Krisenwahrscheinlichkeit sind. 61 Realer Wechselkurs: bilateral gegenüber US$, Yen oder € auf Basis der Konsumentenpreise. 62 Der reale Wechselkurs kann als Veränderungsrate oder als Abweichung vom Trend in empirische Modelle eingehen. Ein positiver Wert der Veränderung steht für eine reale Abwertung, ein negativer Wert für eine reale Aufwertung. Die Einführung einer Trendvariablen eröffnet Spielräume für die Berücksichtigung wirtschaftlicher Entwicklungs- und Aufholprozesse. Vgl. Schnatz (1998), S. 18. Als Ergebnis empirischer Studien ist die Überbewertung des realen Wechselkurses ein sehr kontrovers diskutierter Indikator. U.a. Goldfajn und Valdés (1998), S. 876 ff. erkennen den realen Wechselkurs als einen guten Indikator. Siebert (2002), S. 1 ff., zeigt, dass nahezu alle Krisen der 90er Jahre durch eine Abweichung nominaler und (überbewerteter) realer Wechselkurse gekennzeichnet waren. Ebd., S. 3: „This seems to be an iron law of currency crises.“ Furman und Stiglitz (1998), S. 36 ff., hingegen sehen den Koeffizienten Überbewertung im Verhältnis zu Gleichgewichtswerten in Ländern mit geringen Reserven und schwachen Fundamentaldaten nur marginal signifikant. Dies ist gleichbedeutend mit einer unbedeutenden Rolle für den Krisenausbruch in Asien. Dazu auf S. 39: „…the analysis of the real exchange rate makes it very difficult to explain nominal devaluations well in excess of any estimate of real overvaluation.“ Hier wird ein generelles Problem der Früherkennung sichtbar: Krisen sind spezielle Einzelereignisse. Zwingende kausale Zusammenhänge sind theoretisch und empirisch kaum zu erfassen; abweichende Modelle, Länderauswahl und Perioden können zu unterschiedlichen Ergebnissen und Interpretationen führen. 27 kator für größere zukünftige Abwertungen. Eine einseitige Orientierung auf den Exportsektor und die Vernachlässigung des Binnenmarktes ist ein strukturelles Problem. Die Volkswirtschaft wird dadurch anfällig für externe Schocks und Krisen. Importwachstum (WK+) Reale Aufwertungen oder Überbewertungen verbilligen Importe und verteuern Exporte. Steigende Importe und sinkende Exporte können zu einer Verschlechterung der nationalen Handels- und Zahlungsbilanzposition führen und waren in der Vergangenheit oft mit Währungskrisen verbunden.63 Terms-of-trade (WK/BK-) Die nationale Zahlungsbilanzposition wird durch steigende terms-of-trade (Exportpreise/Importpreise) verbessert, damit geht eine sinkende Krisenwahrscheinlichkeit einher. Leistungsbilanz (WK/BK-) Ein Anstieg des Verhältnisses der Leistungsbilanz zum BIP ist generell mit großen externen Kapitalzuflüssen, d.h. steigende Auslandsverschuldung, verbunden. Das inländische Bankensystem fungiert als Intermediär. Hohe, von kurzfristigen Anteilen dominierte Zuflüsse erleichtern die Entstehung von Aktien-, Kredit- und Immobilienblasen. Die Rückzahlungsfähigkeit und die Kreditwürdigkeit nehmen ab. Leistungsbilanzüberschüsse induzieren eine nachlassende Abwertungs- und eine damit verbundene abnehmende Krisenwahrscheinlichkeit.64 Reserven (WK/BK+) Das Verhältnis der Geldmenge M2 (weites Geldmengenaggregat) zu den verfügbaren Zentralbankreserven ist Ausdruck der Abdeckung der Bankenverbindlichkeiten durch die Reserven. In der Krisensituation werden Individuen ihre in inländischer Währung gehaltenen Depositen in Fremdwährungen umtauschen. Die Höhe der Reserven und das Verhältnis der Geldmenge zu Reserven sind ausschlaggebend für die Befriedigung dieser gestiegenen Nachfrage. Ist das Bankensystem fragil, könnte die Zentralbank sich gezwungen sehen, mit den verfügbaren Reserven neben der Geldbasis gleichzeitig andere liquide Einlagen in ihrer Funktion als lender-of-last-resort decken zu müssen. Die Relation von 63 64 Vgl. u.a. Schnatz (1998), S. 18, Kamin und Babson (1999) S. 8 Vgl. u.a. Sachs, Tornell und Velasco (1996b), S. 15 ff., Siebert (2002), S. 1 ff. 28 Reserven zu Importen verdeutlicht, wie lange allein aus Reserven die Importe finanziert werden können.65 Wachstum der Reserven (WK-) Eine deutliche Abnahme der Reserven ist ein wesentlicher Indikator für die Erhöhung des Abwertungsdrucks. Sinkende Reserven sind nicht zwangsläufig mit der Abwertung der Währung verbunden, aber auch eine erfolgreiche Verteidigung des Wechselkurses ist mit starken Verlusten verbunden. Vielen Krisen gehen Perioden mit verstärkten Versuchen der Wechselkursverteidigung voraus. Der Umfang der Reserven (die absolute Höhe) ist ebenfalls ein Indikator für wachsende Probleme der Schuldentilgung. zu 2: Variablen des Finanzsektors Wachstum M1 und M2 (WK/BK+) Diese Indikatoren sind Maßeinheiten der Liquidität. Steigt das Risiko einer Währungskrise, vermindern sich die Anreize, inländische Zahlungsmittel zu halten. Überdurchschnittlich hohe Wachstumsraten führen zu Überschussliquidität, dies kann spekulative Attacken und anschließende Krisen begünstigen.66 Inländische Kredite (WK/BK+) Sehr hohe inländische Kreditwachstumsraten können Indikator für die Fragilität des Bankensystems sein. Das Verhältnis heimischer Kredite zum BIP steigt in frühen Phasen von Bankenkrisen. Im Krisenfall kann sich die Zentralbank gezwungen sehen, das angeschlagene Bankensystem monetär zu stützen. Hohe Wachstumsraten können aber auch Ausdruck einer übermäßig expansiven Wirtschaftspolitik oder eines größeren Spielraums der Banken bei der Kreditvergabe in Folge von Deregulierungsmaßnahmen sowie erhöhten Transmissionen ausländischer Kapitalzuflüsse in den Bankensektor sein.67 Differenz inländischer und ausländischer Zins (WK/BK+) Ein niedriges Zinsniveau in den Industrieländern begünstigt Kapitalzuflüsse in Schwellenländer mit relativ hohen und für Investoren attraktiven Zinsniveaus. Anschließende Zinssteigerungen in den Industrieländern können zu einer Umkehrung der Kapitalflüsse führen. 65 Vgl. u.a. Frankel und Rose (1996), S. 4, Schnatz (1998), S. 17 f. Vgl. u.a. Schnatz (1998), S. 17. 67 Vgl. ebd., S.17. 66 29 Kurzfristige Kapitalzuflüsse (WK/BK+) und FDI (WK/BK-) Exzessive Kapitalzuflüsse erhöhen die Krisenwahrscheinlichkeit, ausschlaggebend ist aber letztendlich ihre Zusammensetzung. Kurzfristige Zuflüsse können jederzeit umgekehrt werden. Langfristige Investitionen (FDI) in den realen Sektor zur Ausweitung des Produktionspotentials und Verbesserung der Infrastruktur sind gegenüber Investitionen in den Konsum (staatlich und privat) und Portfolioinvestitionen zu bevorzugen. Zukünftige Rückzahlungsverpflichtungen können durch die Schaffung der Basis für künftige Exporterlöse besser abgesichert werden. FDI ist eine stabilere Investitionsform, im Krisenfall ist ein schneller Rückzug nicht ohne erhebliche Verluste möglich.68 Differenz Kredit- und Einlagenzins (WK+) Das Ansteigen dieses Indikators über einen bestimmten Schwellenwert reflektiert eine Erhöhung der Kreditrisiken. Banken sind nicht gewillt, weitere Darlehen zu gewähren und weitere Kreditrisiken einzugehen. Daraus können Kreditrationierungen folgen. zu 3: Variablen des realen und öffentlichen Sektors Fiskalbalance (BK+) Wachsende Fiskaldefizite können Ausgangspunkt für Leistungsbilanzdefizite, reale Überbewertung der Währung und steigendes Geldmengenwachstums sein. Die Wahrscheinlichkeit einer Krise erhöht sich, die Anfälligkeit für Schocks und Erwartungsänderungen nimmt zu.69 Staatsverschuldung (WK/BK+) Steigende Staatsverschuldung wird mit erhöhter Anfälligkeit für die Umkehr der Kapitalzuflüsse und sinkende internationale Kreditwürdigkeit in Verbindung gebracht. Die Krisenwahrscheinlichkeit steigt damit also. Industrieproduktion (WK-) Je geringer das realwirtschaftliche Wachstum ausfällt, desto weniger wird die Bereitschaft zu einer restriktiven Geldmengenpolitik bestehen. Eine Wachs- 68 Vgl. Frankel und Rose (1996), S. 6, Siebert (2002), S. 2, Sachs, Tornell und Velasco (1996b), S. 15 ff. 69 Vgl. Sachs, Tornell und Velasco (1996b), S. 15 ff. 30 tumsschwäche kann andererseits die Importnachfrage senken und die Handelsbilanz verbessern. Rezessionen gehen nicht selten Finanzkrisen voraus.70 Aktienindizes (WK-) Sind die Erwartungen richtig71, verdeutlichen die Börsenindizes die fragile gesamtwirtschaftliche Situation oder die Antizipation von Krisen. Platzende Aktienblasen gehen oftmals Finanzkrisen voraus. Inflationsrate (WK/BK+) Die Inflation ist assoziiert mit hohen nominalen Zinsraten. Sie kann so makroökonomisches Missmanagement provozieren. zu 4: Variablen der globalen Wirtschaft US Zinssatz (WK/BK+) Steigende Zinssätze in Industrieländern erhöhen die Attraktivität von Anlagen in diesen Ländern. Portfolioumschichtungen der Anleger und/oder die Abnahme von Kapitalzuflüssen in „emerging markets“ sind zu erwarten. Angleichende Zinserhöhungen hätten unerwünschte Auswirkungen auf die Inlandskonjunktur und das einheimische Bankensystem. Der Einfluss ausländischer Zinsen deutet darauf hin, dass auch Faktoren die Anfälligkeit vor Währungskrisen beeinflussen, die nicht von wirtschaftspolitischen Entscheidungsträgern in den später betroffenen Krisenländern unmittelbar zu verantworten sind.72 Ölpreis (WK/BK+) Steigende Ölpreise erhöhen die Gefahr von Rezessionen. OECD BIP-Wachstum (WK/BK-) Positive Wachstumsraten sind verbunden mit wachsender Importnachfrage in den OECD-Staaten. Exporte aus „emerging markets“ steigen, dies senkt die Wahrscheinlichkeit von Krisen (mitunter aber nur vorübergehend). Die bisher genannten Indikatoren ermöglichen nur einen eingeschränkten Blick auf potentielle Krisenursachen. Zusätzliche Variablen, Symptome, Zusammen- 70 Vgl. Schnatz (1998), S. 20. Das Beispiel Asienkrise zeigt, dass die Märkte nicht zwangsläufig kommende Krisen antizipieren können. Die Währungsturbulenzen waren für einen Großteil der Marktteilnehmer und Beobachter sehr überraschend und unerwartet. 72 Vgl. Schnatz (1998), S. 19. 71 31 hänge und Rückschlüsse auf theoretische Grundlagen werden in Tabelle 1 zusammengefasst. Tabelle 1: Potentielle Krisenindikatoren Kategorie Variablen Ergänzungen Kapitalbilanz Reserven, Kapitalflüsse (kurzund langfristig), FDI, Zinsunterschiede Schuldenstruktur staatliche Außenverschuldung, private Schulden, kurzfristige Schulden, Schuldendienst, internationale Hilfen realer Wechselkurs, Leistungsbilanz, Handelsbilanz, Exporte, Importe, terms-of-trade, Exportpreise, Sparvolumen, Investitionen, regionale Handelsverbindungen Diese Variablen stehen in enger Beziehung zu theoretischen Modellen der 1. Generation. Das Schuldenprofil verdeutlicht Liquiditätsrisiken und die Nachhaltigkeit der Währungsreserven. Leistungsbilanzvariablen sind eng mit volkswirtschaftlichen Fundamentaldaten verbunden. Handelsverbindungen können erklärende Variablen für Ansteckungseffekte (Krisenausbreitung) sein. Exporte, Importe und terms-oftrade sind auch abhängig von internationalen Variablen. Unvollständige und/oder unkontrollierte Finanzmarktliberalisierung und fehlende Transparenz sind eng mit dem Problem moral hazard verbunden. Leistungsbilanz internationale Variablen OECD BIP-Wachstum, Zinssätze, Preislevel Finanzmarktliberalisierung Kreditwachstum, Veränderungen des M2-Multiplikators, reale Zinssätze, Differenz Kredit- und Einlagenzins weitere Finanzvariablen Kredite Zentralbank an Bankensystem, Geldmengenwachstum reales BIP-Wachstum, Produktionsmenge, Beschäftigung oder Arbeitslosigkeit, Lohnsätze, Aktienpreise realer Sektor Fiskalvariablen Fiskaldefizit, Staatsausgaben für konsumptive Zwecke, Kredite an staatlichen Sektor politische Variablen Indizes politischer Stabilität (Wahlsystem, Zeitpunkt der Wahlen, Stabilität der Regierung) institutionelle Faktoren Offenheit, Devisenmarktkontrollen, Dauer des Festkursregimes, Unabhängigkeit der Zentralbank, wirtschaftliche Strukturen und Verflechtungen (fehlende Transparenz) Quelle: Vgl. Chui (2002), S. 21 und eigene Ergänzungen hauptsächlich basierend auf Modellen der 1. Generation Unterschiedliche, nicht kompatible makroökonomische Ziele können multiple Gleichgewichte verdeutlichen. ebenfalls hauptsächlich auf Modellen der 1. Generation basierend maßgebliche Beeinflussung der Erwartungen von Marktteilnehmern 32 Häufig treten Banken- und Währungskrisen gemeinsam oder aufeinander folgend auf. Einige Indikatoren mit Auswirkungen auf beide Krisenformen, Zusammenhänge und gegenseitige Abhängigkeiten werden in Tabelle 2 kurz verdeutlicht. Tabelle 2: Symptome und Indikatoren von Finanzkrisen Symptome Indikatoren Auswirkungen übermäßige Kreditaufnahme M2-Multiplikator inländische Kredite/BIP Finanzmarktliberalisierung Bankenansturm Bankeinlagen Geldpolitik „Exzess“ M1 Leistungsbilanz Exporte Importe terms-of-trade realer Wechselkurs Kapitalbilanz Reserven M2/Reserven Zinsdifferenzen realer Weltzinssatz Fremdverschuldung Kapitalflucht kurzfristige Fremdverschuldung Output inländischer Zinssatz Verhältnis Kredit- zu Einlagenzins Aktienpreise Banken- und Währungskrisen sind verbunden mit schnellem Kreditwachstum; Grundlage ist oftmals die Liberalisierung der inländischen Finanzmärkte, verbunden mit einem Wegfall von Restriktionen. Banken- und Währungskrisen können durch bank runs ausgelöst werden. Nicht konsistente Geldpolitik kann eine Währungskrise verursachen. Abwertungen verschlechtern die Lage des Bankensektors, eine Bankenkrise ist möglich. Überbewertungen des realen Wechselkurses und Wettbewerbsnachteile sind Teil einer Währungskrise. Wettbewerbsverluste können Rezessionen, Firmeninsolvenzen und die Verschlechterung der Kreditqualität nach sich ziehen. Hohe Weltzinssätze beschleunigen Kapitalabflüsse. Kapitalbilanzprobleme nehmen zu, wenn die Auslandsverschuldung hoch ist und wachsende Kapitalflucht Probleme der Schuldenbedienung verdeutlicht. Überwiegen kurzfristige Anteile der Verschuldung (besonders Fremdwährungsverschuldung), steigt die Anfälligkeit für externe Schocks und Erwartungsänderungen. Rezessionen und zerplatzende Aktienblasen beschleunigen Finanzkrisen. Hohe Zinssätze als ein Ausdruck für Liquiditätsprobleme verringern die Nachfrage der Wirtschaft nach Krediten und fördern weitere Verschlechterungen der Bankenlage. Ein wachsendes Verhältnis der Kreditvergabe gegenüber den Einlagen verschlechtert die Kreditqualität. Wirtschaftswachstum Quelle: Kaminsky (1999), S. 9 Empirische Krisenmodelle und Frühwarnsysteme unterscheiden sich hinsichtlich der Auswahl und der Anzahl der als relevant angesehenen Variablen erheb- 33 lich. Die Zusammenstellung73 einiger Modelle und die Auflistung verwendeter Variablen und Indikatoren in Tabelle 3 verdeutlicht diesen Umstand. Tabelle 3: Variablen in Frühwarnmodellen (ERW, FR, STV, KLR, BP, K) Autoren ERW FR STV KLR BP K ■ ■ ■ externer Sektor (Leistungsbilanz) realer Wechselkurs ■ realer Wechselkurs (Trend) ■ Überbewertung Währung ■ ■ (∆) Exportwachstum ■ ■ ■ ■ (∆) Importwachstum ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ terms-of-trade Leistungsbilanz/BIP ■ ■ ■ ■ ■ Handelsbilanz/BIP externer Sektor (Kapitalbilanz) M2/Reserven (%∆) Wachstum Reserven ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Reserven/Importe Finanzsektor Wachstum M1 und/oder M2 ■ M2-Multiplikator ■ ■ inländische Kredite/BIP Fremdverschuldung(/BIP) ■ kurzfristige Verschuldung ■ ■ ■ kurzfristige Fremdverschuldung ■ private inländische Kredite/BIP FDI/ Gesamtverschuldung ■ Portfoliostruktur ■ Struktur Kapitalzuflüsse ■ ■ ■ ■ Zinsdifferenz In- und Ausland ■ ■ ■ Verhältnis Kredit- und Einlagenzins ■ ■ ■ Einlagen in kommerziellen Banken ■ ■ ■ ■ ■ ■ inländischer realer Zinssatz (inländisches) Kreditwachstum ■ ■ ■ realer u. öffentlicher Sektor Inflation ■ Arbeitslosigkeit ■ Beschäftigungswachstum ■ ∆ Lohnraten ■ BIP (Wachstum nominal/real) ■ ∆ Börsenindex ■ ■ 73 Die Vielzahl verschiedener Modelle und Frühwarnsysteme, begrenzter Zugang (private Institutionen) und die Eingrenzung des Themas erlauben an dieser Stelle nur einen Einblick. Nicht alle verwendeten Variablen (hauptsächlich politische und spezielle Finanzmarktvariablen), individuelle Definitionen und Indizes wurden bei der Auflistung in den Tabellen berücksichtigt. Weitere Studien sind in den Tabellen A1 bis A5 im Anhang zu finden. Die Reihenfolge der Autoren und Modelle in den Tabellen unterliegt keinem speziellen Ordnungsschema. 34 Autoren ERW FR STV KLR BP K ■ ■ ■ Wachstum Industrieproduktion ■ öffentliche Verschuldung/BIP Budgetdefizit/BIP ■ politische Variablen ■ ■ Fiskaldefizit/BIP ■ globale Wirtschaft US (Welt) Zinssatz ■ OECD BIP-Wachstum ■ ■ Quellen: ERW: Eichengreen, Rose und Wyplosz (1995); FR: Frankel und Rose (1996); STV: Sachs, Tornell und Velasco (1996a,b); KLR: Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997); BP: Berg und Patillo (1999b), K: Kaminsky (1999). Realer Wechselkurs (Trendabweichung), Leistungsbilanz (in Relation zum BIP) und Reserven (Verhältnis M2 zu Reserven oder Wachstum) sind die am häufigsten einbezogenen Variablen. In theoretischen Modellen der 1. Generation wurden diese Variablen als relevante und prognostizierbare Krisenursachen identifiziert. Neben Exporten, Importen, dem inländischen Zinssatz und Kreditwachstum werden Börsenindizes bzw. Aktienpreise ebenfalls in vielen empirischen Modellen als Variablen herangezogen. Dies zeigt, dass, unabhängig von der theoretischen Zuordnung der Krisen, schwache Fundamentaldaten für Währungsturbulenzen verantwortlich gemacht werden. Tabelle 4: Empirisch relevante Variablen reale Währungsaufwertung FR STV KLR BP ■ ■ ■ ■ Verhältnis kurzfristige Verschuldung/Reserven ■ Verhältnis M2/Reserven Kreditvergabe inländischer Banken ■ Reserven Wachstum BIP ■ ■ ■ ■ ■ ■ BM V ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Verhältnis Leistungsbilanz/BIP Wachstum Exporte K ■ ■ ■ ■ Quelle: In Anlehnung an Bustelo (2000), S. 26 und eigene Erweiterung. FR: Frankel und Rose (1996); STV: Sachs, Tornell und Velasco (1996b); KLR: Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997); BP: Berg und Pattillo (1999a); K: Kaminsky (1999); BM: Bussière und Mulder (1999b); V: Vlaar (1999). 35 Allein die Verwendung dieser Variablen lässt jedoch keine Rückschlüsse auf die empirische Relevanz und die Prognosequalität zu. In Tabelle 4 (Seite 34) werden, exemplarisch für ausgewählte Frühwarnmodelle, empirisch signifikante Variablen aufgelistet.74 Die Zahl der empirisch relevanten Indikatoren ist zum Teil wesentlich geringer ist als die Zahl der in den Frühwarnmodellen verwendeten Indikatoren. Zudem wurden am Beispiel eines überbewerteten realen Wechselkurses voneinander abweichende Ergebnisse hinsichtlich der empirischen Signifikanz verdeutlicht. Frühwarnmodelle unterscheiden sich neben der Zahl der verwendeten Indikatoren und voneinander abweichenden Interpretationen der empirischen Relevanz hauptsächlich durch die zu Grunde liegende statistische und ökonometrische Methodik. Grundlegende empirische Ansätze und Modelle zur Prognose von Währungskrisen werden im folgenden Kapitel näher betrachtet. 4 Empirische Frühwarnmodelle Frühwarnsysteme enthalten eine präzise empirische Definition der abhängigen Variablen zur statistischen Erfassbarkeit von Währungsturbulenzen. Ebenfalls notwendig ist die Festlegung des Ziels: Wird eine präzise Analyse vergangener oder eine Prognose zukünftiger Krisen angestrebt, oder ist das Aufzeigen fundamentaler Schwächen der Volkswirtschaft als Anzeichen für mögliche Krisen zentrales Anliegen? Ist das System generell geeignet, Vorhersagen zu generieren? Ausgehend von diesen Festlegungen und Fragestellungen ist der Mechanismus (die statistische oder ökonometrische Methodik) zur Beantwortung der gestellten Aufgabe auszuwählen. Von theoretischen Modellen und der Verfügbarkeit und Frequenz von Daten ausgehend wird eine Gruppe von erklärenden Variablen festgelegt, die die abhängige Variable beeinflussen und im Verhalten vor Krisenperioden abweichen vom Verhalten in ruhigen Perioden. Die Länderauswahl (Stichprobenumfang), der zeitliche Rahmen der Beobachtung und ein 74 Im Rahmen der in Kapitel 4 vorgestellten Ansätze wird auf empirisch signifikante Variablen nochmals eingegangen. 36 Prognosehorizont (Zeitspanne der Vorhersage) sind weitere wesentliche Bestandteile von Frühwarnsystemen.75 In Kapitel 2.1 wurde auf die bestehenden Schwierigkeiten einer einheitlichen theoretischen Definition von Währungskrisen hingewiesen. Eine objektive, allgemein anerkannte empirische Krisendefinition ist ebenso nicht bekannt. Dieser Umstand ist bei Vergleichen von Frühwarnmodellen zu berücksichtigen. Gleichwohl wird in vielen Modellen ein vergleichbarer, nahezu einheitlicher Devisenmarktindikator oder Devisenmarktindex zur Messung und Feststellung von Währungsturbulenzen/Währungskrisen herangezogen. 4.1 Empirische Krisendefinition Zur ex-post-Identifizierung und -Datierung von Währungsturbulenzen können zwei unterschiedliche Methoden angewendet werden. Die Sammlung turbulenter Ereignisse an den Devisenmärkten aus der vorhandenen Literatur bezieht überwiegend nur erhebliche Abwertungen in die Betrachtung ein. Episoden mit erfolgreicher Verteidigung des Wechselkurses werden nicht hinlänglich erfasst. Das Verhalten von Variablen vor Währungsturbulenzen ist unabhängig 76 von der letztendlichen Entscheidung zur Verteidigung des Wechselkurses. Die Einführung eines Devisenmarktindikators mit dem Ziel, den Druck auf eine Währung zu messen, bietet einige Vorteile. Ein Index77 kann auch Krisenepisoden mit erfolgreicher Verteidigung systematisch diagnostizieren. Die unterschiedlichen Werte der Indizes ermöglichen Einstufungen in sich unterscheidende Krisenintensitäten. Folgende Symptome bieten sich zur Konstruktion eines Indexes an: 1. Eine unvermittelte und außergewöhnlich starke Abwertung der Währung (Inflationsbereinigungen sind möglich), 2. eine sprunghafte Abnahme der Währungsreserven und 75 Vgl. u.a. Edison (2000), S. 2, Gaytán und Johnson (2002), S. 2 ff., Lestano und Kuper (2003), S. 3. 76 Relevante Variablen zeigen abweichendes Verhalten nicht nur vor der Aufgabe des fixierten Wechselkurses. Eine letztendlich erfolgreiche Verteidigung der Parität ist ebenfalls mit Änderungen von Variablen verbunden. 77 Die Einführung von Devisenmarktindizes geht auf eine Reihe von Studien von Eichengreen, Rose und Wyplosz (1994, 1995 und 1996) zurück. 37 3. abrupt steigende kurzfristige Zinssätze.78 Ist die spekulative Attacke erfolgreich, folgen Abwertung oder Freigabe des Wechselkurses. Zur Abwehr spekulativer Attacken (exzessive Nachfrage nach Reserven) können wirtschaftspolitische Behörden oder Institutionen mit einem Verkauf von Reserven oder der Erhöhung der Zinsrate – um den Druck auf die Währung zu reduzieren – antworten.79 Der Devisenmarktindex wird als gewichteter Durchschnitt der Veränderungen des Wechselkurses, der Reserven und des Zinssatzes80 konstruiert. Die Indikatoren für diesen Index werden mit der gleichen Standardabweichung gewichtet, so dass kein Indikator den Index dominieren kann.81 Devisenmarktindex82 (Exchange Market Pressure Index – EMP) in einem Land i zum Zeitpunkt t: EMP i ,t = [(α %∆ e i ,t ) + (β∆(i i ,t − i USA,t )) − (γ %∆ r i ,t )] (1) ei,t Preis US$ in Währung Land i zum Zeitpunkt t ii,t kurzfristiger Marktzins in Land i zum Zeitpunkt t iUSA,t vergleichbarer Zinssatz in USA oder anderem Reverenzland zum Zeitpunkt t ri,t Devisenreserven (ohne Gold) in Land i zum Zeitpunkt t α, β und γ Gewichtungsfaktoren (gleiche Standardabweichung der Faktoren) %∆ei,t prozentuale Abwertung der nominalen Wechselkursrate ∆(ii,t – iUSA) Veränderung der Zinsdifferenz gegenüber risikoarmen Ländern %∆ri,t prozentuale Änderung des Devisenbestandes 78 Vgl. Schnatz (1998), S. 6 f. Vgl. Eichengreen, Rose und Wyplosz (1996), S. 20 f. 80 Hier im Vergleich zu Variablen in den USA oder BRD, dem jeweiligen Referenzland. 81 Einfacher zu handhaben wäre ein ungewichteter Devisenmarkindex. Reserven, Wechselkurs und Zinssätze unterliegen aber sehr unterschiedlichen Schwankungen. Der Indikator mit den stärksten Schwankungen würde den Index dominieren und den Einfluss dieses Indikators überbewerten. 82 Die Darstellung folgt im wesentlichen Eichengreen, Rose und Wyplosz (1994), S. 14 f. und Eichengreen, Rose und Wyplosz (1996), S. 20 f. 79 38 Ein steigender Wechselkurs und steigende Zinsen (jeweils positives Vorzeichen) im Inland erhöhen den Index, abnehmende Reserven (negatives Vorzeichen) verdeutlichen Aktivitäten der Zentralbank und erhöhen den Index ebenfalls. Überschreitet der Index einen vorher festgelegten Schwellenwert83, werden Währungskrisen definiert. Krisei,t = 1, wenn EMPi,t > 1,5σEMP + µEMP (2) = 0, sonstige Werte σEMP Standardabweichung des Krisenindex in Land i, µEMP Mittelwert des Index Dieser Ansatz ist mit einigen Problemen verbunden. Die Gewichtungen sind willkürlich und unterliegen keinen fundierten theoretischen Festlegungen. Die Länder- und Periodenauswahl ermöglichen Spielräume für abweichende Varianzen und Mittelwerte der Stichprobe. Der Index kann – durch das Verhältnis M2/Reserven oder Inflation – erweitert oder – durch den Wegfall der Zinssätze – verkürzt werden. Unterschiedliche Gewichtungsschemata sind ebenfalls denkbar. Ungewichtete Indizes unterliegen dem dominierenden Einfluss der Veränderungen der Reserven, extremen Werten in einigen Ländern und hohen Schwankungen über die Zeit.84 Theoretische Grundlagen wurden ebenfalls angezweifelt: „Immediately following the devaluation, however, domestic-currency interest rates will fall back to the level of foreign-currency interest rates. Reserves … will flow back into the domestic country to satisfy increased money demand. … two of the three ERW indicators point in the wrong direction at the devaluation time.”85 Wird die Abwertung antizipiert (nach Krugman), dann können Veränderungen der Reserven und der Zinsrate teilweise Änderungen der Wechselkursrate ausgleichen: positive ∆ri,t und negative ∆ii,t können positive Effekte von ∆ei,t auf den Devisenmarktindex (Erhöhung) dämpfen. Der Index zeigt Erhöhungen des Drucks auf eine Währung ex post an. Verzerrungen auf Grund eben geschilderter Effekte und der verzögerten Datenverfügbarkeit beeinträchtigen die Identifi83 Schwellenwert für EMP: 1,5fache Standardabweichung über Mittelwert der Stichprobe. Vgl. Eichengreen, Rose und Wyplosz (1994), S. 15 f. 85 Flood and Marion (1998), S. 39 f. ERW ist die Kurzform für Eichengreen, Rose und Wyplosz. 84 39 kation der tatsächlichen Veränderungen. Die Auswahl extremer Schwellenwerte kann so Krisen in der Stichprobe zunehmend als nicht prognostizierbar erscheinen lassen.86 Vergangene Episoden können identifiziert, zukünftige Krisen nur begrenzt antizipiert werden. Die willkürliche Festlegung der Schwellenwerte kann unter Umständen einen Regimewechsel oder Krisen nicht identifizieren. Ist der Schwellenwert zu hoch und sind unterschiedliche Regime in der Stichprobe, dominieren stark volatile Regime die gesamte Stichprobe und Krisen in schwach volatilen Volkswirtschaften werden nicht angezeigt.87 Die Einbeziehung kurzfristiger Zinssätze wird ebenso kritisiert. In Schwellenländern stellt sich auf Grund nicht vollständig liberalisierter Märkte und staatlicher Eingriffe kaum ein Marktzins ein. Zudem ist die Datenverfügbarkeit für einige Zeiträume sehr eingeschränkt. Krisenindizes anderer Studien, in denen überwiegend Schwellen- und Entwicklungsländer in die Stichprobe einbezogen sind, werden – sofern keine Daten verfügbar sind – ohne kurzfristige Zinssätze berechnet. Ein Kritikpunkt (kurzfristiger Zinssatz) wurde bei der Konstruktion eines geringfügig abweichenden Indexes berücksichtigt. Eine Krise ist jetzt definiert als Situation, in der spekulative Attacken auf eine Währung zu abrupten Abwertungen führen und/oder internationale Devisenreserven stark abnehmen. Die Definition bezieht erfolgreiche und nicht erfolgreiche spekulative Attacken ein und ist nicht auf feste Wechselkursregime beschränkt. Die Krise wird wiederum ex post identifiziert durch einen für jedes einzelne Land der Stichprobe ohne Zinssätze konstruierten Devisenmarktindikator:88 EMP t = %∆ et − α 1%∆ r t (3) 86 Vgl. Flood and Marion (1998), S. 40. Vgl. Zhang (2001), S. 4 f.: Der Index von Eichengreen, Rose und Wyplosz zeigt keine weiteren Attacken im Abwertungszeitraum an (Philippinen) und konnte die Krise in Thailand (Mai 1997) auf Grund eines zu hohen Schwellenwertes nicht identifizieren. Bei Kritik ist immer zu berücksichtigen, dass der Index zur Erklärung von Zusammenhängen der Krise des Europäischen Währungssystems und für eine Länderauswahl von 20 Industrienationen entwickelt wurde. Die Nichtidentifikation anderer Krisen kann und muss nicht überraschen und zeigt, dass empirische Modelle für eine bestimmte zurückliegende Krise nicht zwangsläufig spätere Krisen erklären können. 88 Vgl. Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), S. 15 f. und in Anlehnung an erstgenannte siehe als ein Beispiel Edison (2003), S. 16 f. 87 40 EMPt Exchange Market Pressure Index et Preis US$ oder € in lokaler Währung, bilateraler nominaler 89 Wechselkurs rt Reserven α1 Verhältnis der Standardabweichung der Änderungsrate des Wechselkurses zur Standardabweichung der Änderungsrate der Reserven (σe/σr) Die Gewichtung der Komponenten ist so gewählt, dass sie die gleiche bedingte Varianz aufweisen. Der Index erhöht sich mit der Abwertung der Währung und dem Verlust von Reserven. Dies verdeutlicht den zunehmenden Verkaufsdruck auf die Währung. Perioden, in denen der Index über einem bestimmten Schwellenwert liegt, werden als Krise identifiziert: Krise = 1, wenn EMPi,t > 3σEMP + µEMP (4) = 0, sonstige Werte σEMP , µEMP Standardabweichung und Mittelwert der Stichprobe. Die Kritik an einem zu hoch festgelegten Schwellenwert kann zum Teil durch die Einführung unterschiedlicher Werte zur Messung der Krisenintensität entkräftet werden. Die willkürliche Festlegung der – wenn auch unterschiedlichen – Schwellenwerte bleibt bestehen. Tabelle 5 (Seite 41) zeigt den Anteil, den der reale90 Wechselkurs zur Erklärung des Indexes beiträgt. Liegt der Beitrag über 89 Die Krisenkriterien werden für Hochinflationsländer modifiziert. Die Verwendung eines einzigen Schwellenwertes würde Krisen in Perioden mit moderater Inflation nicht anzeigen, da der historische Mittelwert und die Varianz dominiert werden von Episoden mit sehr hoher Inflation. Aus diesem Grund erfolgt eine Einteilung der Stichprobe: Ist die Inflation in den zurückliegenden 6 Monaten höher als 150%, wird ein abweichender Schwellenwert (basierend auf anderem Mittelwert und Varianz) für die Identifikation von Währungskrisen in Unterstichproben herangezogen. 90 Schnatz (1998), S. 7 f., sieht Vorteile des realen Wechselkurses gegenüber dem nominalen. Die separate Betrachtung von Perioden und Ländern mit sehr hoher Inflation wird so nicht nötig. Hohe Inflation ist mit teilweise beträchtlichen nominalen Abwertungen verbunden, die nicht notwendigerweise Ausdruck spekulativer Attacken und von Währungsturbulenzen sind. Schwankungen werden über die Gewichtung der Indikatoren korrigiert. Die Gewichtung erfolgt für jedes Land. Vorteil: ungewöhnliche Schwankungen werden ausgeglichen und die tatsächliche Abweichung von der Norm erfasst. Eine Dominanz der am stärksten schwankenden Komponente wird verhindert. 41 60%, kann von einer erfolgreichen spekulativen Attacke (Krise) ausgegangen werden, unter 60% von einer nicht erfolgreichen Attacke. Die aufgeführten Schwellenwerte (Vielfaches der Standardabweichung σ über dem Mittelwert) sind Maße der Krisenintensität. Der Vorteil ist, dass aufgrund zu hoher Schwellenwerte ursprünglich nicht einbezogene Krisen zusätzlich identifiziert werden können. Aufgrund zu niedriger Schwellenwerte irrtümlich als Krisen bezeichnete Episoden können neu bewertet und eingeordnet werden. Tabelle 5: Einstufung der Intensität von Turbulenzen Krisenintensität Abweichung > 60% < 60% größer als 3σ gravierende Krise gravierende Attacke schwerwiegende Krise schwerwiegende Attacke ernsthafte Krise ernsthafte Attacke zwischen 2σ und 3σ zwischen 1,5σ und 2σ unter 1,5σ ruhige Periode Quelle: Schnatz (1998), S. 9. Empirische Krisendefinitionen unterscheiden sich hinsichtlich der verwendeten Maßzahlen, Indizes und Schwellenwerte. In Tabelle 6 werden an ausgewählten Beispielen aus der Literatur Unterschiede aufgeführt. Tabelle 6: Krisendefinitionen Autoren Krisendefinition b Berg und Patillo (1999 ) Brüggemann und Linne (2002) Bussière und Fratzscher (2002) Collins (2003) Edison (2000, 2003) gewichteter Durchschnitt der Veränderungen der Wechselkursrate und der Reserven; Schwellenwert für Krise ist 3fache länderspezifische Standardabweichung über dem Mittelwert des Devisenmarktindexes; separate Kalkulationen für Hochinflationsländer (>150% in 6 Monaten) 20% Abwertung gegenüber US$ in 6 Handelstagen gewichteter Durchschnitt der Veränderung des realen Wechselkurses, der Reserven und der Zinsrate; Schwellenwert 2fache Standardabweichung über dem Mittelwert gewichteter Durchschnitt der Veränderungen des Wechselkurses und der Reserven; Schwellenwert 3fache länderspezifische Standardabweichung über dem Mittelwert; separate Kalkulationen für Hochinflationsländer (>150% in 6 Monaten) gewichteter Durchschnitt der Veränderungen des Wechselkurses und der Reserven; Schwellenwert ist 2,5fache länderspezifische Standardabweichung über dem Mittelwert; separate 42 Autoren Eichengreen, Rose und Wyplosz (1996) Ghosh und Ghosh (2002) Hawkins und Klau (2000) Herrera und García (1999) Kamin, Schindler und Samuel (2001) Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997) Kumar, Moorthy und Perraudin (2002) Osband und Van Rijckeghem (2000) Zhang (2001) Krisendefinition Kalkulationen für Hochinflationsländer (>150% in 6 Monaten) gewichteter Durchschnitt der Veränderung des Wechselkurses, der Reserven und der kurzfristigen Zinsrate; Schwellenwert 1,5fache Standardabweichung über dem Mittelwert schwere Währungskrisen; gewichteter Durchschnitt der Änderung des Wechselkurses und der Reserven; Schwellenwert >2fache länderspezifische Standardabweichung über dem Mittelwert Einteilung von -2 bis 2; basierend auf Änderungen des Wechselkurses, der Reserven und des realen Zinssatzes ungewichtete Summe der Änderungen von Wechselkurs, Reserven und Zinsrate; Schwellenwert 1,5fache Standardabweichung über dem Mittelwert; separate Kalkulation für Hochinflationsländer gewichteter Durchschnitt der 2monatlichen Änderung des realen Wechselkurses und der Reserven; Schwellenwert 1,75fache länderspezifische Standardabweichung über dem Mittelwert; keine separate Kalkulation hoher Inflation gewichteter Durchschnitt der monatlichen Veränderung des Wechselkurses und der Reserven; Schwellenwert 3fache Standardabweichung über dem Mittelwert; separate Betrachtung Hochinflationsländer 5% oder 10% Abwertung der Währung Änderung Wechselkursrate >10% und größer als Mittelwert plus 2fache Standardabweichung separate Schwellenwerte für die Änderung der Wechselkursrate und der Reserven; Schwellenwerte 3fache Standardabweichung über Mittelwert (berechnet über einen beweglichen Zeitraum von 3 Jahren) Quelle: In Anlehnung an Abiad (2002), S. 46 ff. und eigene Ergänzungen. Niedrigere Schwellenwerte sind gleichbedeutend mit dem Anzeigen „schwächerer“ Währungsturbulenzen, höhere Schwellenwerte zeigen unter Umständen diese schwachen Krisen nicht an. Empirische Frühwarnmodelle wurden im Anschluss an neue Krisenereignisse entwickelt, um – ausgehend von historischen Daten – diese Krisen zu erklären und Schlüsse für zukünftige Krisen zu ziehen. Die zu Grunde liegende Krisendefinition ist für den anschließend zu prognostizierenden Tatbestand wesentlich. Vergleiche und Kritik sollten diese unterschiedlichen Definitionen berücksichtigen. Außerdem verdeutlichen die vorgestellten Devisenmarktindizes nur einen kleinen Ausschnitt möglicher Zusammenhänge.91 91 Krisenindizes (die einbezogenen Variablen) basieren auf Annahmen theoretischer Modelle der 1. Generation. Weitergehende Zusammenhänge können kaum erfasst und erklärt werden. 43 Die Einbeziehung zusätzlicher erklärender Variablen und Zusammenhänge zur Vorhersage von Währungsturbulenzen wird durch weiterreichende empirische Methoden in unterschiedlichen Ansätzen ermöglicht. 4.2 Empirische Ansätze Empirische Frühwarnmodelle können drei Gruppen92 zugeordnet werden. 1. qualitative Vergleiche 2. ökonometrische Modelle 3. nicht-parametrische Schätzungen Die Grenzen zwischen den Gruppen sind nicht immer deutlich herauszuarbeiten und offensichtlich. Verschiedene Autoren von Studien kombinieren unterschiedliche Ansätze. Auch aus diesem Grund gibt es eine Vielzahl alternativer Einteilungen. Eine konsequente Zuordnung empirischer Frühwarnmodelle ist somit schwierig.93 Qualitative Vergleiche94 untersuchen systematische Unterschiede des Verhaltens von Variablen in Perioden unmittelbar vor Krisen. Dieses Verhalten wird verglichen mit ruhigen Phasen oder Kontrollgruppen (Volkswirtschaften), die nicht von Krisen betroffen sind. Formale Tests zur Ermittlung der Prognosefähigkeit von Variablen werden nicht durchgeführt. Dies deutet einerseits darauf hin, dass die Prognose zukünftiger Krisen nicht zentrales Anliegen der betreffenden Studien ist. Weitere Gründe sind den entsprechenden Publikationen nicht zu entnehmen. Andererseits kann dies darauf hinweisen, dass es solche Tests nicht gibt. Gibt es sie, kann aus Vereinfachungsgründen oder aufgrund von Problemen mit der formalen Umsetzung auf sie verzichtet worden sein. 92 Vgl. Hawkins und Klau (2000), S. 2 und Goldman Sachs (1998), S. 2. Alternative Einordnungen sollen nicht unerwähnt bleiben; Überschneidungen mit der oben genannten Gruppierung sind möglich; Abgrenzungen oder Unterscheidungen können an anderen Stellen vorgenommen werden. Collins (2003), S. 2 f., unterscheidet (1) Signalansätze, (2) die Verdeutlichung der Krisenwahrscheinlichkeit als limitiert abhängige Variable durch die Verwendung von Logit/Probit-Analysen und (3) Verhaltensmodelle von Finanzkrisen (Regimewechsel-Modelle, „Markov-switchingModelle“). Peltonen (2002), S. 4, unterteilt in 3 Gruppen: (1) empirische Arbeiten, basierend auf Modellen der 1. Generation: binäre Krisenvariablen werden durch ökonomische Fundamentaldaten erklärt, (2) Studien zu „Markov-switching-Modellen“ und (3) empirische Studien zur Krisenausbreitung (Contagion). Brüggemann und Linne (2002), S. 2 f., unterscheiden qualitative Reaktionsansätze (Probit/Logit-Modelle) und Signalansätze. Schnatz (1998), S. 20 ff., unterscheidet parametrische und nicht-parametrische Tests, Ereignisanalysen und den Signalansatz. 94 Siehe als grundlegende Vertreter u.a. Eichengreen, Rose und Wyplosz (1994, 1995), Frankel und Rose (1996) und den ersten Teil von Kaminsky und Reinhart(1999). 93 44 Vorstellbar ist ebenfalls, dass solche Tests das eigene Modell in Frage stellen können und deshalb auf formale Tests verzichtet wird. Graphische Illustrationen als individuelle Ereignisanalysen und des durchschnittlichen Verhaltens von makroökonomischen Variablen über bestimmte Beobachtungszeiträume können dieser Gruppe ebenfalls zugeordnet werden. Ökonometrische Modelle 95 umfassen Regressionsanalysen zur Messung des Wechselkursdrucks oder Probit/Logit-Modelle96, die die Wahrscheinlichkeit von Finanzkrisen als Funktion ökonomischer Fundamentaldaten ermitteln. Es kann ebenfalls gezeigt werden, welche Indikatoren mit höheren Krisenwahrscheinlichkeiten verbunden sind. Zu dieser Gruppe werden auch Studien gezählt, die theoretische Modelle mit Daten auf ihre Anwendbarkeit testen.97 Nicht-parametrische Schätzungen analysieren Variablen, die zur Signalisierung potentieller oder bevorstehender Krisen geeignet sind. Es wird nicht mehr nur das durchschnittliche, von normalen Perioden abweichende Verhalten vor allen Episoden betrachtet, sondern jede Krisenepisode einzeln untersucht. Abweichungen von normalen Werten werden mit einem vorher festgelegten Schwellenwert verglichen. Liegen aktuelle Werte über diesen Schwellenwerten, signalisieren die Variablen eine potentielle Krisengefahr für einen ebenfalls vorher festgelegten Zeithorizont.98 Unabhängig vom jeweils gewählten Ansatz gibt es überwiegend zwei Gemeinsamkeiten: 1. die Verwendung von Devisenmarktindizes zur Anzeige von Währungsdruck und Währungskrisen 2. die Verwendung von Daten für eine Ländergruppe, die eine bestimmte Zeit vor großen internationalen Krisenepisoden repräsentieren.99 95 Siehe u.a. Corsetti, Pesenti und Roubini (1998a), Eichengreen, Rose und Wyplosz (1995), Frankel und Rose (1996) und Milesi-Ferretti und Razin (1998). 96 Probit/Logit-Modelle: Die abhängige Variable (Währungskrise) wird als Wahrscheinlichkeit berechnet bzw. geschätzt. Logit-Modelle: Es wird von einer identischen Wahrscheinlichkeitsverteilung ausgegangen, die Anwendung ist weniger aufwändig. Probit-Modelle: Geschätzte Wahrscheinlichkeiten sind normalverteilt, unterschiedliche Standardabweichungen sind möglich. Das Modell ist realitätsnäher, im Anwendungsfall mit mehr als zwei Alternativen aber sehr rechenaufwändig. 97 Siehe als Beispiel Sachs, Tornell und Velasco (1996a, 1996b). 98 Vgl. Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), S. 9. Weitere Studien zu diesem Ansatz:, Kaminsky (1999), Goldstein, Kaminsky und Reinhart (2000) und Edison (2000, 2003). 99 Vgl. Chui (2002), S. 18 f. Chui (2002), S. 20 verwendet eine weitere alternative Einordnung unterschiedlicher Ansätze von Frühwarnmodellen, die in Abbildung 2 dargestellt ist. 45 Abbildung 2: Vergleich von Indikatormodellen ∆% Abwertung ∆% Verlust Reserven Index Wechselkursdruck (Index>Schwellenwert?) binärer Krisenindex ja, 1 - Krise nein, 0 - keine Krise diskreter Wahlansatz (discrete choise) Probit/Logit; bedingte Wahrscheinlichkeit einer Krise verdeutlicht durch Kombination von Indikatoren Signal-Ansatz Minimierung Noise-to-signal-Quotient bei Festlegung Schwellenwert der einzelnen Indikatoren; Krisensignale von individuellen Indikatoren struktureller Ansatz Querschnitts-Studien einer Ländergruppe über fixierte Zeitperiode prognostizierte Wahrscheinlichkeit > cut-off Wahrscheinlichkeit, Vorhersage einer Krise Gegenüberstellung prozentualer Anteil Fehlalarm, korrekter Signale und nicht prognostizierter Krisen Einstufung der Werte außerhalb der Stichprobe; Berechnung der Korrelation mit der aktuellen Rangfolge anschließend out-of-sample Vorhersagen (außerhalb des Stichprobenumfangs) Quelle: Chui (2002), S. 20. Ausgehend von diesen Gemeinsamkeiten verdeutlicht Abbildung 2 nochmals drei unterschiedliche Ansätze, die anhand grundlegender Studien in den Abschnitten 4.2.1 bis 4.2.3 hinsichtlich der wesentlichen Methoden und auftretenden Probleme untersucht werden. 46 4.2.1 „Signal“-Ansatz In der grundlegenden Studie100 wurden 76 Währungskrisen (identifiziert durch den eigenen Krisenindex101) in 15 Entwicklungs- und 5 Industrieländern über einen Zeitraum von 1970 bis 1995 untersucht. Ausgehend von theoretischen Modellen und der Verfügbarkeit von Informationen auf monatlicher Datenbasis wurden 15 Indikatoren102 ausgewählt, die geeignet erscheinen, durch abweichendes Verhalten vor Währungskrisen potentielle Krisengefahr zu signalisieren. Die Indikatoren in einem gegebenen Monat werden definiert als prozentuale Veränderung gegenüber dem Vorjahreswert. Dies ermöglicht eine internationale Vergleichbarkeit und Saisonbereinigung. Als Signalhorizont wurden – ausgehend von der Erwartung besserer Prognosefähigkeiten in diesem Zeitraum – 24 Monate definiert. Ein Signal, dem innerhalb von 24 Monaten eine Krise folgte, ist ein „gutes“ Signal, während ein Signal ohne anschließende Krise ein „falsches“ Signal („noise“) ist. Die Indikatoren zeigen Signale an, wenn der aktuelle Wert über einen bestimmten Schwellenwert hinaus abweicht. Die Festlegung der Schwellenwerte erfolgt mit dem Ziel einer Balance zwischen zu vielen falschen Signalen und dem Risiko, viele Krisen nicht anzuzeigen. Für jeden Indikator wird der optimale Schwellenwert103 mit dem Ziel ermittelt, das Verhältnis falscher Signale zu guten Signalen zu minimieren. Tabelle 7 (Seite 47) verdeutlicht ein Schema mit vier möglichen Zuständen. 100 Siehe Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997). Die folgende Darstellung orientiert sich an der Originalstudie, vgl. S. 17 ff. 101 Siehe Kapitel 4.1, S.39, Formel (3). 102 Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), S. 16 f.: (1) internationale Reserven, (2) Importe, (3) Exporte, (4) terms-of-trade, (5) Abweichungen des realen Wechselkurses vom Trend, (6) Differenz zwischen ausländischen und inländischen realen Zinssätzen für Einlagen, (7) „excess“ reale M1-Bilanz, (8) M2-Multiplikator, (9) Verhältnis inländischer Kredite zum BIP, (10) realer Einlagenzinssatz, (11) Verhältnis Kredit- zu Einlagenzins, (12) Bestand an Einlagen in kommerziellen Banken, (13) Verhältnis weitgefasste Geldmenge zu Reservenbestand, (14) output-Index und (15) Aktienpreisindex. 103 Vgl. Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), S. 17: Die Schwellenwerte werden kalkuliert über den Quantilsrang für jede landestypische Verteilung der Beobachtungen einer Variablen. Ein optimaler Schwellenwert für einen gegebenen Indikator, z.B. die Wachstumsrate der Importe liegt bei 80, bedeutet, dass ein Signal immer dann gesendet wird, wenn das Importwachstum in einem Land zu den 20% der höchsten beobachteten Werte in diesem Land gehört. Das Spektrum der Quantilsränge wird zwischen 10% und 20% festgelegt. Der optimale Schwellenwert der Quantilsränge der Indikatoren ergibt sich aus der Minimierung des Noise-to-signalQuotienten über die gesamte Länderstichprobe. Der optimale Quantilsrang ist für alle Länder gleich, die korrespondierenden länderspezifischen Schwellenwerte unterscheiden sich. 47 Tabelle 7: „Signal“-Ansatz – Klassifizierung der Signale 24 Monate Frühwarnhorizont Währungsturbulenz keine Währungsturbulenz Signal A B kein Signal C D Quelle: Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), S. 18. Eine Variable sendet immer dann ein gutes Signal, wenn der Schwellenwert überschritten wird und innerhalb von 24 Monaten Währungsturbulenzen folgen (A), sowie wenn der Schwellenwert nicht überschritten wird und keine Turbulenzen folgen (D). Fehlerhafte Signale werden katalogisiert, wenn wenn der Schwellenwert überschritten wird (Signal gesendet) und innerhalb von 24 Monaten keine Turbulenzen (Fehlalarm, „noise“) folgen (B), sowie wenn der Schwellenwert nicht überschritten wird und Turbulenzen folgen (C). Ein perfekter Indikator würde nur Signale A und D anzeigen, genauer ein Signal in jedem Monat, auf das innerhalb des Zeitfensters von 24 Monaten eine Krise folgt, so dass A>0 und C=0. Keine Signale werden angezeigt, wenn auch keine Krisen folgen, so dass B=0 und D>0.104 Welche der Indikatoren hinsichtlich der Prognosequalität besser oder weniger gut geeignet sind, kann durch einfache Tests ermittelt werden, um anschließend eine Rangfolge der Indikatoren aufstellen zu können. Die Tendenz individueller Indikatoren, gute Signale zu senden, lässt sich am Verhältnis A (A + C) (5) 104 Vgl. Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), S. 18. Ergebnisse: Jeder der Indikatoren signalisierte mindestens 50% der Krisen korrekt, im Durchschnitt aller Indikatoren wurden 70% der Turbulenzen korrekt signalisiert (innerhalb der Stichprobe). 48 zeigen. Je höher der Wert des Quotienten, desto besser ist die Signalqualität.105 Die Tendenz der individuellen Indikatoren, schlechte Signale zu senden, lässt sich am Verhältnis B (B + D) (6) zeigen. Je niedriger der Wert des Verhältnisses, desto besser ist der Indikator. Informationen über die Fähigkeit des Indikators, gute Signale zu senden und schlechte zu vermeiden, können durch einen „Noise-to-signal“-Quotienten B (B + D ) A (A + C ) (7) veranschaulicht werden. Ein hilfreicher Indikator sollte möglichst selten „Fehlalarm“ auslösen und möglichst oft Signale senden, wenn Turbulenzen folgen. Eine bestimmte Variable verdeutlicht eine fragile volkswirtschaftliche Lage besser, je mehr der Wert gegen Null tendiert.106 Die Ergebnisse werden herangezogen, um zu entscheiden, welche Indikatoren von der Liste potentieller Variablen gestrichen werden sollten, da zu viele falsche Signale nicht hilfreich für die Krisenprognose sind.107 Diese ex-post-Ergebnisse lassen sich nicht prinzipiell generalisieren. Sie sind aus der Betrachtung ausgewählter vergangener Episoden in einer eingegrenzten Länderauswahl abgeleitet und müssen nicht zwangsläufig auf zukünftige Episoden und andere Volkswirtschaften zutreffen. Die ex-post-Prognosequalität der Indikatoren ist keinesfalls durch perfekte Sicherheit gekennzeichnet. Falsche Signale oder nicht signalisierte Währungsturbulenzen zeigen schon an dieser Stelle, dass die Möglichkeiten von Frühwarnsystemen sehr begrenzt sind. Generelle Schwächen der wirtschaftlichen Lage und Fehlentwicklungen 105 Vgl. Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), S. 19. Ein Wert von 100% setzt voraus, dass jeden Monat während der 24 Monate vor jeder Krise ein Signal gesendet wird. Die höchste Prozentzahl möglicher guter Signale erreichte der reale Wechselkurs mit 25 %, Importe mit 9% die geringste Prozentzahl. 106 Vgl. Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), S. 19: Der beste Indikator – Indikator mit dem niedrigsten Noise-to-signal-Verhältnis – ist der reale Wechselkurs (0,19) und mit dem höchsten Wert das Verhältnis Kredit- zu Einlagenzins (1,69). 107 Ebd., S.19. Für eine Auflistung der „besten“ Indikatoren für diese Studie siehe S. 37: realer Wechselkurs, Exporte, Aktienpreise, Verhältnis M2/Reserven, die Höhe der Reserven und output. 49 einiger Fundamentaldaten und ein damit verbundener Anstieg der Krisenwahrscheinlichkeit bzw. Krisengefahr lassen sich aber verdeutlichen. Die Notwendigkeit für korrigierende wirtschaftspolitische Eingriffe kann gezeigt werden. Der methodische Ansatz ist trotz seiner Popularität ebenfalls mit einigen Problemen verbunden. Sofern sich Ungleichgewichte über einen längeren Zeitraum beobachten lassen und sich Reaktionsmöglichkeiten für nationale Behörden für Kurskorrekturen eröffnen, werden zwar Signale angezeigt, die sich nach der Korrektur aber als falsch erweisen (B in der Tabelle 6). Dies verschlechtert die Qualität der Ergebnisse.108 Die „Signal“-Methode vermittelt weiterhin keine Informationen über die Dynamik und die Dauer einer Krise. Hilfreich wären in dieser Hinsicht Aussagen über Variablen, die die Wahrscheinlichkeit des Endes einer Krise erhöhen. 109 Die Umwandlung der Variablen in binäre Variablen (Signal ja/nein) ist ebenfalls mit erheblichen Informationsverlusten verbunden.110 Die Festlegung der Schwellenwerte erfolgt „willkürlich“ und im Ermessen der Urheber der jeweiligen Studien. Daraus können sich Klassifizierungsfehler ergebenden. Ist der Schwellenwert zu hoch, können Perioden der Anfälligkeit in einigen Ländern nicht berücksichtigt werden.111 Die Festlegung des Schwellenwertes anhand der Minimierung des Noise-to-signal-Quotienten ist ebenso umstritten. Der Quotient gibt nur die reine Proportion der falschen und guten Signale an, absolute Zahlenangaben erfolgen nicht. 112 Weiterhin wird kritisiert, dass der optimale Quantilsrang für alle Länder identisch ist, d.h. indikatorspezi- 108 Vgl. Schnatz (1998), S. 34. Die Qualität der Signale ist unabhängig von dem Signalzeitpunkt (1 oder 12 Monate) vor den späteren Währungsturbulenzen. Dies verdeutlicht die Schwierigkeiten einer genauen zeitlichen Prognose von Währungskrisen. 109 Vgl. Mariano et al. (2002), S. 5. 110 Vgl. Abiad (2003), S. 4, Bussière und Fratzscher (2002), S. 11. Liegt z.B. der relevante Wert der Reserven 1%, 5% oder 10% über dem Schwellenwert, wird in allen Fällen die gleiche Information vermittelt, ein Signal gesendet. Oka (2003), S. 29, kritisiert, dass wichtige Informationen verloren gehen, wenn der Wert der Variable nur gering unter dem Schwellenwert liegt und kein Signal gesendet wird. 111 Vgl. Mariano et al. (2003), S. 5 und Oka (2003), S. 14. Im Zusammenhang mit Devisenmarktindizes wurden Spielräume bei der „willkürlichen“ Festlegung der Schwellenwerte ebenfalls deutlich. Willkürlich bedeutet aber nicht, dass die Festlegung jeglicher empirischer und theoretischen Grundlagen entbehrt. Vielmehr wird erheblicher Ermessensspielraum sichtbar. 112 Vgl. Oka (2003), S. 14: Liegt das Noise-to-signal-Verhältnis bei 10%, kann dies 1 falsches Signal von 10 oder auch 10 falsche Signale von 100 bedeuten. 50 fisch.113 Inwiefern dies ein Mangel des Ansatzes ist, bleibt fraglich bzw. ungeklärt, denn die Länderauswahl der Originalstudie umfasste nur Volkswirtschaften, die von einer oder mehreren Krisen betroffen waren. Individuelle, länderspezifische optimale Quantilsränge dürften nicht mit weiteren Informationen verbunden sein, da fraglich ist, ob sie wesentlich vom optimalen Quantilsrang für alle Länder abweichen. Außerdem wird aufgrund der landestypischen Beobachtungen der Schwellenwert der Variable länderspezifisch114. Der bisher vorgestellte „Signal“-Ansatz betrachtet das Verhalten jeder einzelnen Variablen unabhängig von anderen Variablen. Korrelationen untereinander werden nicht berücksichtigt. Die Konstruktion eines zusammengesetzten Indikators 115 , der die Signale verschiedener Indikatoren aggregiert, kann nicht alle Probleme beseitigen. Der Indikator als Ausdruck gewichteter Signale kann noch immer nicht als Krisenwahrscheinlichkeit interpretiert werden, Korrelationen nicht verdeutlichen und die Gewichtung der einzelnen Anteile kann nicht eindeutig bestimmt werden. Ebenso ergeben sich mit der Anwendung des „Signal“-Ansatzes Schwierigkeiten hinsichtlich der Unterscheidungen kritischer Zonen oder Stadien einer Volkswirtschaft. Eine Ursache ist die Verwendung binärer Variablen – über/unter Schwellenwert, Krise ja/nein – die nur eine sehr begrenzte Zustandsbeschreibung der wirtschaftlichen Situation ermöglichen. Außerdem vermittelt die Methode unzureichende Informationen darüber, welche Variablen entscheidend für kritische Situationen sind. Auch wenn Variablen für alle Länder als relevant ermittelt wurden, können sich die Einflüsse auf potentielle Krisen in verschiedenen Ländern unterscheiden.116 Kritisiert wird auch, dass der „Signal“-Ansatz nicht auf stochastischen Modellen basiert und somit eine Evaluierung mit Hilfe statistischer Tests nicht möglich ist. Dies verringert die Vergleichbarkeit der Funktionalität der Methode mit anderen Ansätzen.117 Diese Kritik betrifft sicher alle Frühwarnmodelle. Aufgrund unterschiedlichster empirischer Methoden und Krisendefinitionen, einer Vielzahl ver- 113 Vgl. Eichengreen (2002b), S. 3. Vgl. Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), S. 17. 115 Siehe Schnatz (1998), S. 38 ff., Goldstein, Kaminsky und Reinhart (2000), S. 62 ff. 116 Vgl. Bussière und Fratzscher (2002), S. 11, Mariano et al. (2002), S. 5. 117 Vgl. Mariano et al. (2002), S. 5. 114 51 schiedener Variablen, ausgewählter Länder und Beobachtungszeiträume ist die Vergleichbarkeit generell sehr eingeschränkt. 4.2.2 Ökonometrische Modelle (Probit/Logit-Regressionen) Der vorgestellte „Signal“-Ansatz analysiert Krisensignale jedes einzelnen ausgewählten Indikators. Korrelationen zwischen den Variablen und zusammengefasste Aussagen über die Krisenwahrscheinlichkeit können mit der Anwendung von Probit/Logit-Modellen besser generiert werden. In einer grundlegenden Studie wurden Daten von 105 Entwicklungsländern 118 in einer Periode von 1971 bis 1992 ausgewertet, um Währungskrisen zu charakterisieren. Die Währungskrisen sind definiert als mindestens 25%ige Abwertung des nominalen Wechselkurses und weiterhin ein mindestens 10%iger Anstieg gegenüber dem Vorjahreswert. Diese Definition betrachtet nur erfolgreiche spekulative Attacken. Der cut-off-Punkt von 25% ist willkürlich festgelegt.119 Die abhängige Variable (Y = Währungskrise) wird in eine binäre Krisenvariable umgewandelt und mittels eines multivariaten Probit-Modells mit erklärenden Variablen verbunden, um eine zusammenhängende Wahrscheinlichkeit zu berechnen. Y =1 Währungskrise, falls Y>Schwellenwert =0 keine Krise, falls Y<Schwellenwert (8) Die einbezogenen Variablen werden eingeteilt in Verschuldungsregressoren, externe Variablen, inländische makroökonomische und globale Variablen120 und das Probit-Modell mit Maximum-Likelihood berechnet. Problematisch ist dabei 118 Vgl. Frankel und Rose (1996), S. 9 f. Vgl. Frankel und Rose (1996), S. 3. Die Autoren stellen anhand von Sensibilitätsanalysen fest, dass der exakte Wert des Cut-off-Punktes nicht wesentlich ist. 120 Vgl. Frankel und Rose (1996), S. 15 ff. Folgende Variablen wurden in die Regressionsanalyse einbezogen: als Verschuldungsregressoren (1) Kredite kommerzieller Banken, (2) konzessionelle Verschuldung, (3) Verschuldung zu variablen Zinsen, (4) kurzfristige Verschuldung, (5) FDI, (6) Verschuldung des öffentlichen Sektors und (7) multilaterale Verschuldung; als externe Variablen (1) das Verhältnis Reserven zu monatlichen Importen, (2) Leistungsbilanz als prozentualer Anteil des BIP, (3) externe Verschuldung als prozentualer Anteil des BIP und (4) Divergenz der realen Wechselkursrate (Überbewertung); als inländische makroökonomische Variablen (1) Haushaltsbudget als Prozent des BIP, (2) prozentuales Wachstum der heimischen Kredite, (3) reale Produktionsmenge pro Einwohner; und als globale Variablen (1) ausländische Zinsrate und (2) Wachstum in nördlichen Industriestaaten. 119 52 die Interpretation des ermittelten Probit-Koeffizienten. Aus diesem Grund werden die Auswirkungen der Veränderungen der Regressoren um eine Einheit auf die Wahrscheinlichkeit einer Krise – ausgedrückt in Prozentpunkten – betrachtet. Als ein wesentliches Ergebnis der Analyse wurde festgestellt, dass die meisten der Verschuldungskomponenten statistisch nicht signifikant sind. Die schlechten Ergebnisse können dabei auch Ausdruck der Korrelationen der unterschiedlichen Verschuldung sein. 121 Direkte Auslandsinvestitionen sind signifikant und eng mit Krisen verbunden. Das Absinken von FDI um ein Prozent führt zu einer Erhöhung der Krisenwahrscheinlichkeit um 0,3%.122 Eine höhere Verschuldung, geringere Reserven, eine überbewertete Wechselkursrate, hohes inländisches Kreditwachstum und Rezessionen erhöhen ebenfalls die Krisenwahrscheinlichkeit. Steigen die ausländischen Zinsen um ein Prozent, steigt die Krisenwahrscheinlichkeit um über ein Prozent. Das wirtschaftliche Wachstum in den Industrieländern hingegen hat geringe Auswirkungen auf die Krisenwahrscheinlichkeit.123 Ausgangspunkt für Probit/Logit-Modelle sind wiederum eine im Voraus festgelegte Länderauswahl, N Länder i={1,2,…N}, und ein Beobachtungszeitraum mit T Perioden t={1,2,…T}.124 Für jedes Land und jede(n) Monat/Woche/Jahr wird eine binäre abhängige Variable Y definiert: Y =1 Krise, mit Wahrscheinlichkeit (Pr) Pr(Y=1)=P =0 keine Krise, mit Wahrscheinlichkeit Pr(Y=0)=1-P (9) 121 Eine Bedingung für die Anwendung von Maximum-Likelihood ist die lineare Unabhängigkeit der verwendeten Variablen. Nicht signifikante Ergebnisse können auch auf lineare Abhängigkeiten der Verschuldungskomponenten hinweisen. 122 Hier wird ein Interpretationsproblem der Krisenwahrscheinlichkeit deutlich. Welche Aussage ist mit der Erhöhung der Krisenwahrscheinlichkeit um 0,3% verbunden? Ist diese Erhöhung überhaupt messbar bzw. wahrzunehmen? Es werden keine Aussagen hinsichtlich anderer prozentualer Änderungen von FDI getroffen. Reduziert sich FDI um 10% (100%), steigt dann die Krisenwahrscheinlichkeit um 3% (30%)? Offen bleiben ebenfalls die Gesamtkrisenwahrscheinlichkeit und die Interpretation. 123 Vgl. Frankel und Rose (1996), S. 16 f. 124 Die Darstellung folgt hier Bussière und Fratzscher (2002), S. 11 f. und Chui (2002), S. 25 f., da Frankel und Rose (1996), Eichengreen, Rose und Wyplosz (1995, 1996) als oft genannte grundlegende Vertreter dieser Ansätze auf eine formale Darstellung der Grundlagen der verwendeten Probit/Logit-Modelle verzichten. 53 Die Erklärung des Krisenindexes Y erfolgt mit K unabhängigen Variablen X, wobei X eine (KN · T) Beobachtungsmatrix verdeutlicht. Ziel des Modells ist die Schätzung der Auswirkungen der Indikatoren X auf die Wahrscheinlichkeit P einer Krise Y. In Probit/Logit-Modellen ist die Krisenwahrscheinlichkeit eine nichtlineare Funktion der eingesetzten Indikatoren, β ein Vektor von Parametern (berechnet mit Maximum-Likelihood): Pr (Y = 1) = F ( Xβ ) (10) Die Verwendung einer logistischen Verteilung definiert das Logit-Modell125: Xβ 1 Pr (Y = 1) = F ( Xβ ) = e Xβ , Pr (Y = 0 ) = Xβ 1+ e 1+ e (11) Im Logit-Modell werden die Auswirkungen der Indikatoren auf die Wahrscheinlichkeiten/Chancen einer Krise definiert als: Ω(Y = 1 X ) = P Xβ =e 1− P (12) Der Einfluss der Indikatoren auf das Wahrscheinlichkeitsverhältnis, ausgehend von zwei Ausprägungen von X, hier X1 und X2, ist: Ω(Y = 1 X 1) Ω(Y = 1 X 2 ) =e ( X1 − X 2 )β (13) Das Verhältnis zeigt an, wie die Wahrscheinlichkeit, Y=1 zu beobachten (also eine Krise), sich verändert, wenn sich X von X1 zu X2 bewegt (verändert). 125 Probit-Modelle gehen von normalverteilten Wahrscheinlichkeiten aus. 54 Die Anwendung von Probit/Logit-Modellen ist mit einigen Vorteilen verbunden. Korrelationen zwischen den Variablen mit Auswirkungen auf die Krisenwahrscheinlichkeit werden einbezogen und die erklärenden Variablen sind nicht dichotom (binär) wie im „Signal“-Ansatz.126 Informationsverluste werden dadurch verringert. Ein weiterer Vorteil von Logit-Modellen kann am Beispiel der „Greenspan-Guidotti-Regel“ verdeutlicht werden. Sie besagt, dass das Verhältnis von kurzfristiger Verschuldung zu Reserven nicht größer als 100 sein sollte. Dies impliziert, dass der Anstieg dieses Indikators von 90 auf 110 mehr Anlass zur Sorge gibt als ein Anstieg von 110 auf 130. Der „Signal“-Ansatz signalisiert eine Krise, wenn der Schwellenwert von 100 überschritten wird. Eine Erhöhung von 99 auf 101 ist gleichbedeutend mit einem „Sprung“ in die Krise. Eine Erhöhung von 90 auf 110 ist mit keinen zusätzlichen Informationen verbunden. Es wird wiederum nur eine potentielle Krise signalisiert. Abbildung 3: Nicht-Linearität von Logit-Modellen Krisenwahrscheinlichkeit/Krise 1 a b 0 Schwellenwert (T) X Quelle: Bussière und Fratzscher (2002), S. 13. Anmerkung: a „Signal“-Ansatz: Wird der Schwellenwert erreicht, folgt ein Sprung von 0 auf 1. b Logit-Modelle: Die Krisenwahrscheinlichkeit erhöht sich nicht-linear, nicht sprunghaft. 126 Vgl. Berg und Pattillo (1999b), S. 571, Collins (2003), S. 2. 55 Der Übergang von einer ruhigen Periode ohne Krise zu einer Situation mit potentieller Krisengefahr und anschließender Krise ist allerdings fließend und nicht sprunghaft. Aus diesem Grund widerspiegeln Logit-Modelle mehr der Realität, da dieser in der Realität nicht sprunghafte Effekt von einer s-förmigen Kurve verdeutlicht wird.127. In Abbildung 3 (Seite 54) wird dieser Unterschied zwischen „Signal“-Ansatz und Logit-Modellen dargestellt. Die Festlegung des kritischen Schwellenwertes bleibt auch in diesen Modellen problematisch. Dies bezieht sich jedoch nicht auf die einzelnen Schwellenwerte der Indikatoren, sondern vielmehr auf die zusammengesetzte Wahrscheinlichkeit. Um die Ergebnisse der Frühwarnmodelle zu evaluieren, wäre ein Vergleich der prognostizierten Krisenwahrscheinlichkeit mit der aktuellen Wahrscheinlichkeit notwendig. Diese ist aber nicht direkt zu beobachten. Daraus folgt, dass nur ein Vergleich der Prognosewerte mit aktuell ausgebrochenen Krisen möglich ist. Die prognostizierte Krisenwahrscheinlichkeit ist eine kontinuierliche Variable, so dass ein kritischer Wert (cut-off) festgelegt werden muss, der zuverlässig zukünftige Krisen signalisiert. Das Problem ist die Festlegung eines „optimalen“ Schwellenwertes. Ist der Wert zu niedrig, wird eine Vielzahl möglicher Krisen angezeigt mit dem Nachteil vieler falscher Signale (Fehler Typ 2). Ist der kritische Wert zu hoch, werden Krisen nicht signalisiert, die später ausbrechen können (Fehler Typ 1).128 Tabelle 8 zeigt diese Problematik (ähnlich „Signal“Ansatz, Tabelle 7, Seite 47). Tabelle 8: Trade-off Problem optimaler Schwellenwerte kein Signal Signal Y=0, keine Krise in festgelegter Zeit (H) A korrekte Anzeige keiner Krise Y=1, Krise in festgelegter Zeit (H) C kein Signal Fehler Typ 1 B falsches Signal Fehler Typ 2 D korrekte Anzeige einer Krise Quelle: Bussière und Fratzscher (2002), S. 14. 127 128 Vgl. Bussière und Fratzscher (2002), S. 13. Vgl. Bussière und Fratzscher (2002), S. 13 f. 56 Entscheidend für die Festlegung des Schwellenwertes ist die Zielgruppe von Frühwarnsystemen. Fehler des Typs 2 sind hinsichtlich der Wohlfahrtssituation weniger kostenintensiv als Fehler des Typs 1. Fehler des Typs 2 können ebenfalls Ausdruck schon erfolgter wirtschaftspolitischer Maßnahmen sein, die auf Grund anfälliger makroökonomischer Fundamentaldaten zur Verhinderung einer Krise durch politische Entscheidungsträger eingeleitet wurden. Die Schwierigkeit besteht grundsätzlich in einem trade-off zwischen Falschalarm und nicht signalisierter Krise. Die Erhöhung des Schwellenwertes und die Verlängerung des Zeithorizontes (H) reduziert die Zahl falscher Signale, erhöht aber die Zahl nicht signalisierter Krisenmonate.129 Die Festlegung des Schwellenwertes orientiert sich an einer politischen Verlustfunktion, da nicht signalisierte Krisen und Signale mit anschließenden wirtschaftspolitischen Eingriffen mit Kosten verbunden sind. Die zu minimierende Verlustfunktion lautet:130 L(T ) ≡ θ ⋅ prob NS / C (T ) + (1 − θ ) ⋅ prob S (T ) (14) prob NS / C Wahrscheinlichkeit einer nicht angezeigten Krise prob S Wahrscheinlichkeit eines Signals für nachfolgende Krise T Schwellenwert θ relative Kosten einer nicht angezeigten Krise (Ausdruck für relative Risikoaversion der Politik gegenüber nicht angezeigten Krisen) (1 − θ ) Kosten zuvorkommender Maßnahmen Für ein multinominales Logit-Modell ergeben sich folgende Resultate:131 1. Je höher das Ausmaß der Risikoaversion θ, desto niedriger ist der optimale Schwellenwert festzulegen. 2. Für ein gegebenes Maß der Risikoaversion θ und einen größeren Zeithorizont H steigt der optimale Schwellenwert. 129 Vgl. ebd., S. 32. Vgl. Bussière und Fratzscher (2002), S. 32 f. 131 Vgl. ebd., S. 35 f. 130 57 3. Je niedriger das Maß der Risikoaversion θ, desto niedriger ist der optimale Zeithorizont des Frühwarnmodells. Anhand dieses Beispiels wird deutlich, dass die Festlegung des Schwellenwertes auch in Abhängigkeit der Risikopräferenzen wirtschaftspolitischer Entscheidungsträger erfolgt. Dies zeigt, dass Frühwarnmodelle auf ein bestimmtes Zielland zugeschnitten sein können, um landesspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen. Unter diesem Gesichtspunkt dürfte ein auf eine Vielzahl unterschiedlicher Länder anwendbares allgemeingültiges Frühwarnsystem illusorisch sein. Andererseits bieten die bisher vorgestellten Ansätze die Möglichkeit, durch die Einbeziehung unterschiedlicher relevanter Variablen (basierend auf Krisenmodellen der 1. und 2. Generation und politischer Ökonomie), Schwellenwerte und Zeithorizonte länderspezifische Besonderheiten zu modellieren. Die im Zusammenhang mit dem „Signal“-Ansatz dargestellte Kritik – abgesehen von der fehlenden Korrelation der Variablen – kann ebenfalls auf Probit/LogitModelle übertragen werden. Neben fehlenden Informationen über die Dynamik von Krisen, Nichtberücksichtigung von Regimewechseln und Klassifizierungsfehlern durch die Festlegung der Schwellenwerte schränkt die Anwendung eines binären Krisenindexes die Betrachtung von Währungsturbulenzen unmittelbar nach einer erstmalig signalisierten Krise erheblich ein.132 Weiterhin kann der Einfluss von individuellen Variablen weniger leicht ermittelt werden, da in nicht-linearen Probit/Logit-Modellen der Beitrag dieser Indikatoren auch von allen anderen in die Berechnung einbezogenen Variablen beeinflusst wird.133 Ein praktisches Problem ergibt sich durch die relativ geringe Zahl von Währungskrisen (Y=1). In den Stichproben dominieren die Nichtkrisenereignisse (Y=0). Das kann zu Verzerrungen der berechneten Ergebnisse führen. Um diesen Nachteil auszugleichen, werden in vielen Studien die Daten von Industrieund Entwicklungsländern herangezogen. Die Stichprobe wird demzufolge zunehmend heterogen, somit sind länderspezifische Besonderheiten schwerer zu identifizieren.134 132 Vgl. Mariano et al. (2002), S. 5 und Collins (2003), S. 1. Vgl. Vlaar (2000), S. 256. 134 Vgl. u.a. Vlaar (2000), S. 256 und Mariano et al. (2002), S. 5. 133 58 Während der „Signal“-Ansatz und Probit/Logit-Regressionen die Wahrscheinlichkeit von Währungskrisen in einer Volkswirtschaft untersuchen, stehen in strukturellen Ansätzen die Ursachen von Währungskrisen im Mittelpunkt. Einzelereignisse werden dahingehend untersucht, welche Faktoren ausschlaggebend für die Anfälligkeit eines Landes für spekulative Attacken sein können. Auch wenn dieser Ansatz keine Prognosen über den genauen Zeitpunkt einer Krise vermitteln kann, ist er nicht weniger attraktiv. Die genaue zeitliche Vorhersage von Krisen ist kaum möglich, während die Determinanten unterschiedlicher Krisenepisoden und die Häufigkeit der Ausbreitung über mehrere Länder unter Umständen besser zu prognostizieren sind. Die Determinanten von Krisen variieren erheblich. Strukturelle Ansätze verdeutlichen die ökonomische Struktur einer speziellen Krisenepisode und ermöglichen die Identifikation relevanter Indikatoren, die wiederum für die Konstruktion von Frühwarnsystemen unerlässlich sind. 4.2.3 Struktureller Ansatz Eine grundlegende Studie untersucht anhand des „Tequila-Effekts“ die Anfälligkeit von 20 Volkswirtschaften (hier „emerging markets“). Der Augenmerk liegt dabei auf einer panikartigen Umkehr der Kapitalzuflüsse und der daraus resultierenden Ausbreitung der Krise auf andere Länder.135 Dieses spezielle Einzelereignis verdeutlicht die generell eingeschränkten Möglichkeiten von Frühwarnsystemen: „The literature includes several hypotheses about capital inflows, the corresponding policy reactions, and the vulnerability of the economy to shocks are linked. For each hypothesis, it is possible to find a few country case examples that support it. However, it is not clear that any of these hypotheses can be applied broadly to many countries.”136 Diese Feststellung ist für alle im Zusammenhang mit Finanzkrisen auftretende Phänomene zutreffend. Es ist unmöglich, alle in Frage kommenden potentiellen Determinanten und Schocks, die letztendlich zu Währungskrisen führen, in einem Frühwarnsystem zu berücksichtigen. 135 136 Siehe Sachs, Tornell und Velasco (1996b). Länderauswahl siehe ebd., S. 12. Sachs, Tornell und Velasco (1996b), S. 3. 59 Trotzdem bietet dieser Ansatz die Möglichkeit, ausgehend von einem theoretischen Modell, eine gestiegene Krisenanfälligkeit aufgrund schwacher makroökonomischer Fundamentaldaten zu verdeutlichen. Schwache Fundamentaldaten (angeschlagenes Bankensystem und überbewerteter Wechselkurs) und niedrige Reserven in den später betroffenen Ländern und die Krise in Mexiko (1994) als externer Schock führten im Jahr 1995 zu einer Ausbreitung der Krise. Gemessen wird diese Ausbreitung mittels eines Krisenindexes137 (IND), der den Druck auf den Devisenmarkt beziffert. Der Index ist ein gewichteter Durchschnitt der Abwertungsrate und der prozentualen Veränderung der Reserven. Ziel ist die Identifizierung extremer Überbewertungen von 30% bis 60% als eine Ursache der Krisen. Die Bemessungsgrundlage der Veränderungen des realen Wechselkurses (RER) als eine erklärende Variable ist die gewichtete Summe der bilateralen Wechselkurse (gegenüber US$, DM und ¥). Die Gewichtung erfolgt proportional anhand des bilateralen Handelsverkehrs. Die Summe der Gewichtungsfaktoren der bilateralen Wechselkurse ist eins. Niedrige Werte von RER (Aufwertungen) verdeutlichen eine höhere Anfälligkeit für eine Krisenansteckung. Die Schwäche des Bankensektors wird indirekt durch die Erhöhung des Kreditvergabevolumens (LB, Kreditboom) ausgedrückt. Länder mit starken Anstiegen der Kreditvergabe von Banken sind Fälle eines Kreditbooms (hoher Wert für LB) und anfälligen Bankensektoren. Das Verhältnis M2/Reserven geht als weiterer erklärender Indikator für adäquate Reserven in den Index ein. Ist das Verhältnis gering, wird keine spekulative Attacke erwartet. Attacken erfolgen nur, wenn Fundamentaldaten und Reserven angreifbar sind.138 Zur weiteren Analyse werden schwache und starke Fundamentaldaten und Reserven definiert139 und anschließend in Dummies (DWF, DLR) umgewandelt. Eine 137 Vgl. Sachs, Tornell und Velasco (1996b), S. 10. Aufgrund der unterschiedlichen Volatilitäten (Schwankungen) der zwei Datenserien (Wechselkurs und Reserven) erfolgt die Gewichtung anhand der relativen Standardabweichung jeder Serie über die letzten 10 Jahre. Auf eine Umkehrung der Kapitalzuflüsse kann seitens der wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger mit einer Abwertung des Wechselkurses oder mit dem Verkauf von Reserven geantwortet werden. Alternativ sind Zinserhöhungen denkbar. Vergleichbare Zinsdaten sind allerdings nicht immer verfügbar, so dass die Zinsrate nicht einbezogen wird. Ein ähnlicher Index wird sehr häufig verwendet, u.a Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), und wurde im Kapitel 4.1, S. 35 ff., dargestellt. 138 Vgl. Sachs, Tornell und Velasco (1996b), S. 10 ff. Die weitere Darstellung folgt dieser Originalstudie. 139 Die Definition schwacher und starker Fundamentaldaten und äquivalenter Reserven erfolgt nicht anhand von konkreten (optimalen) Wertangaben. Die Definition ist somit immer abhängig von der gewählten Länderstichprobe und vom Zeithorizont und kann stark variieren, wenn eini- 60 Volkswirtschaft hat gute Fundamentaldaten, wenn die reale Abwertung im höchsten Quantil der Stichprobe und der Kreditboom im niedrigsten Quantil liegen. D WF = 0 , signifikant gute Fundamentaldaten (15) D WF = 1 , signifikant schwache Fundamentaldaten Länder haben hohe Reserven, wenn das Verhältnis M2/Reserven im höchsten Quantil und niedrige Reserven, wenn dieses Verhältnis im niedrigsten Quantil der Stichprobe liegt. D LR = 0 , hohe Reserven (16) D LR = 1 , niedrige Reserven Die Dummies werden in eine Regressionsanalyse des Devisenmarktindexes einbezogen. Dieser ist im Gegensatz zu häufig verwendeten Indizes kontinuierlich und wird nicht in eine binäre abhängige Variable umgewandelt. Daraus folgt, dass weniger Informationen verloren gehen. Die Auswirkungen von RER und LB auf den Index IND sollten nur dann groß sein, wenn DWF und DLR gleich eins sind. Das heißt, nur ein gleichzeitiges Auftreten schwacher Fundamentaldaten und niedriger Reserven führt zur Anfälligkeit des Landes. Anhand des folgenden Indexes werden Null-Hypothesen getestet, um diesen Zusammenhang zu bestätigen: ( ) ( ⋅ LB ) + ε IND = β1 + β 2 (RER ) + β 3 (LB ) + β 4 D LR ⋅ RER + β 5 D LR ⋅ LB ( ) ( + β 6 D LR ⋅ D WF ⋅ RER + β 7 D LR ⋅ D WF ) (17) Tabelle 9 (Seite 61) zeigt einige der getesteten Null-Hypothesen. Länder mit guten Fundamentaldaten und geringen Reserven sind nicht Ziel spekulativer ge zusätzliche Länder mit guten oder schlechten Fundamentaldaten und Reserven in die Stichprobe einbezogen werden. Ähnliche Einschränkungen sind auch mit der Festlegung von Schwellenwerten in anderen Ansätzen verbunden. Konkrete Handlungshinweise für wirtschaftspolitische Korrekturen sind so kaum möglich. Das schränkt die Möglichkeiten und den praktischen Nutzen der Frühwarnsysteme erheblich ein. 61 Attacken, d.h. β2+β4 und β3+β5 sind nicht signifikant verschieden von Null. Diese Indikatoren – Reserven und Fundamentaldaten – sind nicht zu Prognosezwecken geeignet, wenn die Reserven adäquat oder die Fundamentaldaten gut sind. In Ländern mit schwachen Fundamentaldaten und geringen Reserven führt eine stärkere Abwertung des realen Wechselkurses zu einem geringeren Wert des Indexes IND (β2+β4+β6 ist negativ). Ein gestiegener Kreditboom führt in der gleichen Ausgangssituation zu einem höheren Wert von IND (β3+β5+β7 ist positiv). Ein höherer Wert von IND ist gleichbedeutend mit einer gestiegenen Abwertung und/oder verstärkten Abnahme der Reserven. Tabelle 9: Null-Hypothesenmatrix Fundamentaldaten schwach gut (D ( hoch D LR = 0 Reserven ( WF =0 ) (D WF ) =1 ) β2 = 0 ) β2 + β4 = 0 β2 + β4 + β6 < 0 β3 + β5 = 0 β3 + β5 + β7 > 0 niedrig D LR = 1 β3 = 0 Quelle: Chui (2002), S. 31. Daraus kann ein erhöhter „Tequila-Effekt“ resultieren und das Land ist stärker von der Krise betroffen. 140 Zusammenfassend können die Variablen niedrige Reserven, Überbewertung des realen Wechselkurses und die Ausweitung der Bankkredite an den privaten Sektor als signifikante Krisenursachen angesehen werden. Die drei vorgestellten Ansätze sind die am häufigsten verwendeten Methoden zur Vorhersage von Finanzkrisen. Auf einige weitere Ansätze sei nachfolgend kurz hingewiesen. 140 Vgl. Sachs, Tornell und Velasco (1996b), S. 13 f., Furman und Stiglitz (1998), S. 107 f. 62 4.2.4 Weitere Ansätze Neben den vorgestellten Ansätzen gibt es eine Vielzahl weiterer unterschiedlicher Ansätze, um Währungskrisen zu prognostizieren. Regimewechsel-Modelle (regime-switching), künstliche neuronale Netzwerke (artificial neural networks) und die Orientierung an internationalen Kredit-Rating-Agenturen sind ausgewählte Beispiele und mögliche Alternativen.141 Regimewechsel-Modelle Die zunehmende Popularität dieser Modelle ist auf einige entscheidende Unterschiede zu den etablierten Ansätzen zurückzuführen. Markov-switchingModelle142 ermöglichen eine simultane Schätzung der Veränderungen der abhängigen und unabhängigen Variablen, so dass das Stadium einer Volkswirtschaft zu jeder Zeit endogen definiert werden kann. Weniger Aufmerksamkeit wird auf die statistische Verteilung der Variablen gelegt. Daraus folgt, dass dieser Ansatz flexibler sein kann.143 Ausgehend von der Annahme einer ruhigen und einer Periode mit spekulativen Attacken können diese Modelle Warnsignale senden, wenn eine signifikante Anpassung des Wechselkursregimes bevorsteht. Die Existenz direkt beobachtbarer Indikatoren, deren Verhalten sich in Abhängigkeit des Wertes der abhängigen Krisenvariable verändern, ist eine weitere Annahme dieser Modelle. Ausgehend von einer gegebenen Ausgangssituation gibt es eine bestimmte Wahrscheinlichkeit, in diesem Zustand zu bleiben oder in einen anderen zu wechseln. Die Wahrscheinlichkeit, von einem Zustand ohne Krisenereignisse in ein Krisenregime zu wechseln, ist abhängig von der Stärke oder der Schwäche der Fundamentaldaten der Volkswirtschaft.144 Eine direkte Beobachtung der unterschiedlichen Zustände wird, im Gegensatz zu bisher vorgestellten Methoden, nicht vorgenommen. Die Krisenvariable ist latent. Die Nichtverwendung einer binären Krisenvariablen führt zu weniger In- 141 Abiad (2003), S. 13 ff., zeigt einen kurzen Überblick über eine Vielzahl weiterer, hier nicht erwähnter Ansätze und Modelle. Mariano et al. (2002) untersuchen anhand von drei erklärenden Variablen (Abweichung des realen Wechselkurses vom Trend, monatliche prozentuale Veränderungen des Verhältnisses M2/Reserven und monatliche Veränderung der realen inländischen Kredite) die Prognosefähigkeiten eines Markov-switching-Modells für Währungskrisen, speziell für südostasiatische Staaten. 142 Markov-Modelle basieren auf stochastischen Verteilungen. 143 Vgl. Arias und Erlandsson (2004), S. 7. 144 Vgl. Abiad (2003), S. 19. 63 formationsverlusten. Die Dynamik des Wechselkurses an sich kann ergänzend Aufschluss über die Wahrscheinlichkeit spekulativer Attacken geben.145 Kredit-Rating-Agenturen Die Einstufung der Kreditwürdigkeit von Staaten wurde auch entwickelt, um Kreditausfallrisiken zu prognostizieren. Währungskrisen erhöhen das Kreditausfallrisiko, und im Anschluss an Krisen erfolgte in den meisten Fällen eine Herunterstufung der Kreditwürdigkeit des betroffenen Landes. Dies legt die Vermutung nahe, dass Rating-Agenturen die Herunterstufung früher vorgenommen hätten, wenn sie Währungskrisen vorhersehen könnten.146 Die Prognosefähigkeit erwies sich bisher als überwiegend unzureichend. Die Veränderung der Einstufung eines Landes ist kein guter Prognoseindikator für Währungskrisen.147 Dies kann auf verschiedene Gründe zurückgeführt werden: (1) die Prognose von Währungskrisen ist nicht vorrangiges Ziel, (2) RatingAgenturen verfügen nicht über zeitnahe, akkurate und umfassende Informationen und (3) kann es unter Umständen keine Veranlassung der Herunterstufung geben, da die Agenturen Zahlungen von den einzustufenden Staaten erhalten.148 Die grundlegenden Ansätze zur Früherkennung von Währungskrisen – basierend auf als relevant angesehenen Variablen – sind mit Vor- und Nachteilen verbunden. Strukturelle Ansätze und Fallstudien sind auf spezielle Einzelereignisse, also auf Krisenzeiten ausgerichtet. Informationen aus ruhigen Perioden werden kaum einbezogen. Ihrem Ziel entsprechend, Einzelereignisse und grundlegende Ursachen zu erklären, sind sie nicht oder nur bedingt für Vorhersagen geeignet. Der Hauptvorteil des „Signal“-Ansatzes ist die Untersuchung jedes einzelnen Indikators und die Feststellung der Prognosefähigkeit auf individueller Variablenbasis. Indikatoren können so hinsichtlich des Einflusses auf potentielle Krisen und der Vorhersagequalitäten eingestuft werden. Korrigieren145 Vgl. ebd., S. 19. Vgl. Berg, Borensztein und Pattillo (2004), S. 9 ff. 147 Vgl. Sy (2003), S. 3, Berg, Borensztein und Pattillo (2004), S. 9 ff., Goldstein, Kaminsky und Reinhart (2000), S. 45 ff. Kredit-Ratings werden andererseits in einigen Studien als Frühwarnindikator herangezogen: Rose (1998), Hawkins und Klau (2000). Moody’s Kredit-Rating wird u.a. von Morgan Stanley Dean Witter (2001) verwendet. 148 Vgl. Sy (2003), S. 3. 146 64 de wirtschaftspolitische Eingriffe sind leichter möglich, da ökonomische Variablen, die Warnsignale senden, schnell identifiziert werden können. Nachteilig wirkt sich die fehlende Berücksichtigung von Korrelationen der Variablen untereinander aus. Der Ansatz vermittelt keine zusammengefassten Informationen über die Krisenwahrscheinlichkeit unter Berücksichtigung aller Indikatoren. Eine weitere Problematik besteht hinsichtlich des binären Charakters der Variablen. Es erfolgt keine Unterscheidung, inwieweit der Indikator gering unterhalb/oberhalb des Schwellenwertes liegt, oder ob der Schwellenwert weit überschritten wird. Die Krisenwahrscheinlichkeit kann sprunghaft erscheinen, wenn die Werte der Variablen in die Signalzone kommen oder sie wieder verlassen. Interpretationen werden dann schwierig. Grauzonen werden so nicht betrachtet. Dies ist mit erheblichen Informationsverlusten über den momentanen Zustand der Volkswirtschaft verbunden. Bedingt abhängige Regressionsmodelle (Probit/Logit-Modelle) bieten einige Vorteile. Die Wahrscheinlichkeit einer Krise kann mittels eines zusammengefassten Wertes angegeben und leichter interpretiert werden. Korrelationen der Variablen werden in nichtlinearen Modellen berücksichtigt. Die Entwicklung einer Variablen ist von Änderungen anderer Variablen abhängig. Der Einfluss einer einzelnen Variable auf die Krisenwahrscheinlichkeit ist damit schwieriger zu ermitteln. Problematisch sind auch hier wieder die willkürlichen Schwellenwertfestlegungen und der binäre Charakter der abhängigen bzw. zu erklärenden Krisenvariablen. Ein weiteres Problem ergibt sich aus der in vielen Stichproben zu geringen Zahl von Krisenperioden und der daraus folgenden eingeschränkten Qualität der statistischen Resultate. Eine Empfehlung, welcher dieser Ansätze für die praktische Nutzung vorzuziehen ist, kann an dieser Stelle noch nicht unterbreitet werden. Entscheidend für die Auswahl eines Ansatzes und die Beurteilung der Möglichkeiten und Grenzen von Frühwarnsystemen ist letztendlich die Prognosequalität und die damit verbundene Relevanz für potentielle, zukünftige Krisen. 5 Prognosequalität Die zur Verfügung stehende Literatur gibt wenig Aufschluss über die ex-antePrognosequalität von Frühwarnsystemen. Keines der vorgestellten grundlegen65 den Modelle wurde mit einem Warnhinweis versehen, dass eine schwerwiegende Krise in der näheren Zukunft ausbrechen könnte. Die Evaluierung von Frühwarnsystemen wird in der wissenschaftlichen Literatur durch Vergleiche mit anderen Studien innerhalb der gewählten Stichprobe (insample) vorgenommen. Aussagen über die Güte eines Modells sind erst mit der Analyse anderer Krisenepisoden möglich. „Indeed, in-sample properties do not ensure that the model can predict future crises if the causes of currency crises drastically vary from one episode to the next.“149 Die weit verbreitete Praxis für die Beurteilung der Prognosequalität besteht in der Erweiterung (out-of-sample) des vorhandenen Modells um zusätzliche Beobachtungsperioden und neue, bei der Entwicklung des Modells noch nicht ausgebrochene Krisen. Anschließend werden Tests durchgeführt, um die Frage zu beantworten, ob dieses Modell diese neuen Krisen unter Einbeziehung zusätzlicher Länder und Daten prognostiziert hätte. Diese Analysen sind allerdings nur ex post möglich.150 In zwei grundlegenden vergleichenden Studien 151 wurden die auch in dieser Arbeit analysierten Ansätze hinsichtlich der eben gestellten Frage untersucht: Hätten diese Modelle die Asienkrise prognostizieren können? Als Ergebnis ist der „Signal“-Ansatz erfolgreicher als die anderen Modelle und hilfreich für die Einstufung des Krisenausmaßes. Gemischte Resultate ergaben sich hinsichtlich der Analysequalität der Ereignisse. Eine gewichtete Summe der Indikatoren hätte die Krisenwahrscheinlichkeit signifikant prognostizieren können, aber der erklärende Gehalt der Zusammenhänge bleibt sehr begrenzt.152 Auch wenn der „Signal“-Ansatz Krisen ex post recht gut prognostizieren kann, müssen die der 149 Furman und Stiglitz (1998), S. 29. Die in der Literatur verwendete Formulierung der ex-post-Prognosequalität ist widersprüchlich und irreführend. Eine gute „ex-post-Prognosequalität“ verschleiert die Unsicherheit hinsichtlich zukünftiger Krisen bzw. die fehlende ex-ante-Prognosequalität der Modelle. Aus diesem Grund werden in dieser Arbeit die Begriffe ex-post-Analyse bzw. ex-post-Analysequalität verwendet. 151 Siehe (1) Berg und Pattillo (1999a) und (2) Furman und Stiglitz (1998). Verglichen wurden der „Signal“-Ansatz von Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), der strukturelle Ansatz von Sachs, Tornell und Velasco (1996a, 1996b) und das Probit-Modell von Frankel und Rose (1996). 152 Vgl. Berg und Pattillo (1999a), S. 112 ff. 150 66 Analyse zugrunde liegenden Indikatoren nicht für die Auslösung der Krise verantwortlich sein. Das kann die Relevanz des Ansatzes einschränken.153 Der Krisendefinition des Probit-Modells folgend gab es aufgrund der nur jährlichen Analyseintervalle im Jahr 1997 keine Asienkrise. Hier wird deutlich, dass bei out-of-sample-Analysen die dem zu testenden Modell zugrunde liegende Krisendefinition beachtet werden muss. Die Analysen für 1998 sind nicht sehr erfolgreich. Insgesamt gesehen ist die Studie wenig hilfreich für eine ex-postErklärung der Asienkrise.154 Keine der Analysen des strukturellen Ansatzes ergab zufrieden stellende Ergebnisse hinsichtlich der Asienkrise. Nur geringfügige Veränderungen der Studie führten zu wesentlich besseren ex-post-Ergebnissen.155 Dies zeigt, dass die angewendete Methode der out-of-sample-Analyse zur Beurteilung der Prognosequalität von Frühwarnsystemen zu besseren empirischen Erklärungen vergangener Krisenepisoden führen kann. Insgesamt ist aber die out-of-sampleAnalysequalität der grundlegenden Modelle relativ schlecht. Für die schlechten Analyseergebnisse gibt es unterschiedlichste Ursachen und Erklärungen: 1. die Vernachlässigung oder Nichtberücksichtigung wichtiger Informationen, z.B. durch die nur jährlich vorliegende Höhe und die Zusammensetzung der externen Verschuldung 2. die Vernachlässigung institutioneller Strukturen und gesetzlicher Rahmenbedingungen 3. die fehlende Einbeziehung politischer Determinanten und Nichtberücksichtigung des Willens und der Fähigkeit einer Regierung, spekulative Attacken zu verhindern 4. Krisen sind heterogen. Sie brechen aus unterschiedlichsten Gründen aus. Modelle können immer nur einen Bruchteil der Ursachen erfassen.156 153 Vgl. Furman und Stiglitz (1998), S. 46. Als ein Beispiel führen sie sinkende Aktienpreise an. Sinkende Aktienpreise auf den Aktienmärkten können eventuell eine Krise antizipieren, sind aber nicht Ursache der Währungskrise. Werden Schritte unternommen, das weitere Absinken zu verhindern, würden die eigentlichen und zugrunde liegenden Krisenursachen nicht korrigiert. 154 Vgl. Berg und Pattillo (1999a), S. 118 ff. und Furman und Stiglitz (1998), S. 40 f. 155 Vgl. Berg und Pattillo (1999a), S. 121 ff. Die Modifizierungen durch Tornell (1999) verbesserte die Ergebnisse. Diese ex-post-Ergänzungen sind allerdings wenig hilfreich für die Beurteilung der Prognosequalität. 156 Vgl. Eichengreen (2002b), S. 5 ff. 67 Ausgehend von u.a. diesen Argumenten wird versucht, die ex-post-Analysequalität durch hinzufügen neuer, für vergangene Krisenepisoden noch nicht relevanter Variablen zu verbessern. „This would provide a rationale for using an extended EWS model adding a broader variety of variables.”157 Besonders spezielle, auf die jeweils zu betrachtenden Krisen zugeschnittene Variablen sollen und können die Analysequalität ex post erhöhen. Eine gute Analysequalität ist aber noch immer kein Ausdruck für die zukünftige Relevanz eines Modells. Es bestehen keinerlei Sicherheiten, dass auch kommende Krisen den Ursachen, Ablaufmustern und bisher bekannten Zusammenhängen vergangener Krisen entsprechen. Indikatoren, die für eine Krise relevant sind, müssen für spätere Krisen nicht zwangsläufig ursächlich sein. Gute Ergebnisse ex post – in-sample und out-of-sample – sind keine Garantie, dass zukünftige Krisen vorhergesagt werden können. „We can be confident that future papers will predict past crises. … while crisis forecasting models may help indicate vulnerability, the predictive power of even the best of them may be limited.”158 Versuche, mehr Indikatoren in Frühwarnsysteme einzubeziehen, führen nicht zwangsläufig zum Erfolg. So wird nur eine große Zahl zusätzlicher, aber krisenspezifischer Indikatoren mit geringem generellen Wert oder Nutzen in die Modelle einbezogen.159 Bei der Vielzahl potentieller Schocks und Einflussfaktoren sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass eine immer größere Variablenzahl in einem Modell die ex-ante-Prognosequalität erhöht. Generell kann davon ausgegangen werden, dass die Vergangenheit nicht zwangsläufig hilfreich für die Zukunft ist. So werden strukturelle Anpassungen der Wechselkurspolitik und des Finanzsystems nach vergangenen Problemen vorgenommen, um zukünftig Krisen zu vermeiden. Verändern sich die ökonomischen Zusammenhänge, hat dies auch Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen ökonomischen Variablen, deren Verhalten in Frühwarnsystemen beobachtet wird. Insbesondere das Verhältnis zwischen einzelnen Krisensignalen 157 Furman und Stiglitz (1998), S. 30. Anmerkung: EWS ist hier die Abkürzung für Early Warning System. 158 Berg und Pattillo (1999a), S. 129. 159 Vgl. Schnatz (1998), S. 39 und Reagle und Salvatore (2000), S. 250. 68 und den Krisen selbst kann sich verändern.160 Eingriffe der Politik können demzufolge alle bisher geschätzten und berechneten Parameter verändern. Dieser als „Lukas-Kritik“ bekannte Effekt ist ein wichtiger Grund, die Ergebnisse von Frühwarnsystemen mit Vorsicht zu bewerten und die Erwartungen in Frühwarnsysteme realistisch zu gestalten. Erhalten andere Marktteilnehmer ein taugliches Prognoseinstrument, dann fließen diese Informationen in das Entscheidungskalkül mit ein. Veränderungen oder Änderungen bisheriger Verhaltensmuster können folgen. Strukturelle Zusammenhänge der Vergangenheit wären dann nicht mehr in die Zukunft fortzuschreiben.161 Eng mit der „Lukas-Kritik“ verbunden ist „Goodharts Gesetz“, wonach ein Indikator für öffentliche oder staatliche Politik den Informationsgehalt verliert, wenn seine Rolle erst öffentlich und allgemein bekannt ist. Werden Frühwarnsysteme publik gemacht, können Indikatoren für die Identifizierung spekulativer Attacken ihren Informationswert einbüßen oder verlieren. Der Grund ist relativ einfach. Wird eine bestimmte Gruppe von Indikatoren verwendet, um Krisen zu antizipieren, können Entscheidungen so getroffen werden, dass die Frühwarnsignale keine Krise anzeigen. Die Indikatoren werden das eigentliche politische Ziel. Dies kann Krisen verhindern, andererseits ist es vorstellbar, dass entsprechende Daten so verändert, manipuliert oder verzögert veröffentlicht werden, dass die Frühwarnsysteme keine Krisen anzeigen können. Ist dies der Fall, sind Krisen nur noch sehr eingeschränkt vorhersehbar.162 Die Vermeidung dieser Probleme kann durch die Geheimhaltung der Frühwarnindikatoren und Frühwarnsysteme – nicht der Daten, auf denen sie basieren – erfolgen. Unter diesen Gesichtspunkten ist auch nachvollziehbar, warum private Investmentbanken und andere private Institutionen den Zugang zu den Modellen stark einschränken. Nachteilig auswirken kann sich die Geheimhaltung potentieller Krisensignale durch relevante Indikatoren, indem sie durch das Fehlen 160 Vgl. Rose (1998), S. 11 ff. und Chui (2002), S. 41 ff. Im Anschluss an Krisen werden häufig Reformen initiiert bzw. beschleunigt durchgesetzt: Änderungen der Wechselkursregime (reduziert Krisenanfälligkeit drastisch), Reformen des Bankensektors, die Einführung von Kapitalkontrollen, eine verbesserte Finanzmarktaufsicht und die Erhöhung der Transparenz auf den Finanzmärkten sind nur einige Beispiele, die die Veränderungen ökonomischer Zusammenhänge nach sich ziehen. Die statistischen Ergebnisse sollten immer im strukturellen Zusammenhang interpretiert werden. Die ausschließliche Betrachtung der statistischen Berechnungen ist zu vermeiden. 161 Vgl. Deutsche Bundesbank (1999), S. 28. 162 Vgl. Rose (1998), S. 12 f. 69 einer kritischen Öffentlichkeit ignoriert werden. Eine vollständige Geheimhaltung ist allerdings in vielen Fällen unerwünscht, da das erklärte Ziel der meisten Modelle eine Politikberatung der relevanten Ministerien, Behörden und Institutionen ist. Auch bei den zugänglichen Modellen ist davon auszugehen, dass nicht alle relevanten Details veröffentlicht werden oder die Modelle nur von einem eingegrenzten Personenkreis angewendet werden können. Dies kann den Missbrauch der Modelle erschweren und schränkt gleichzeitig die fundierte Vergleichbarkeit der Frühwarnsysteme und die Beurteilung der Möglichkeiten und Grenzen erheblich ein. Es zeigt aber auch, dass unterschiedliche strategische Interessen keine unbedeutende Rolle spielen. Die zur Verfügung stehenden Daten sollten ebenfalls jederzeit mit Vorsicht behandelt werden. Strategische Datenpolitik, nachträgliche Revisionen und unterschiedliche Standards und Maßstäbe der Datenerhebung erschweren die Verwendung von Daten in empirischen Modellen und können die Ergebnisse verzerren. Besonders in Entwicklungsländern ist die Verfügbarkeit qualitativ guter Daten nicht immer gegeben. Andererseits sind viele wichtige Daten (z.B. BIP) auch in Schwellen- und Industrieländern nur in Quartalsabständen zu erhalten.163 Diese Probleme beeinträchtigen die ex-ante-Prognosequalität von Frühwarnsystemen. Hinweise auf solche bestehenden Probleme fehlen in fast allen Studien. Die Entwicklung einer Vielzahl empirischer Modelle zur Vorhersage von Währungskrisen wurde auch unterstützt durch theoretische Krisenmodelle, die zumindest teilweise eine Prognostizierbarkeit von Währungskrisen suggerieren. Die Verwendung von Frühwarnindikatoren, die auf theoretischen Modellen der 1. und 2. Generation basieren, widerspiegelt diesen Zusammenhang. Modelle der 2. und 3. Generation verdeutlichen die Möglichkeit der Existenz multipler Gleichgewichte und nicht prognostizierbarer Erwartungsänderungen. Sind multiple Gleichgewichte nicht nur ein theoretisches Phänomen, ergeben sich Schwierigkeiten von Krisenvorhersagen auf der Basis von Fundamentaldaten. Wenn für gegebene Fundamentaldaten eine Krise ausbrechen kann oder auch nicht (multiple Gleichgewichte), dann muss kein Eins-zu-eins-Zusammenhang zwischen Fundamentaldaten und der Wahrscheinlichkeit einer Währungskrise 163 Vg. Chui (2002), S. 41 ff. 70 bestehen.164 Je mehr eine Krise nicht prognostizierbar ist, desto weniger signifikant korreliert kann sie unter Umständen mit den ausgewählten Variablen als mögliche Krisendeterminanten sein.165 Frühwarnmodelle können einen gewissen Grad der Anfälligkeit gegenüber spekulativen Attacken feststellen. Der genaue Zeitpunkt der Krise kann allerdings nicht mehr prognostiziert werden, da Markterwartungen generell schwer zu prognostizieren sind. Verschiedene Marktteilnehmer haben unterschiedliche Sichtweisen, unterschiedliche Erwartungen und voneinander abweichende Interpretationen der aktuellen Situation sind vorstellbar. Wann genau Erwartungsänderungen auftreten, kann nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden: „… findings do not imply that there is a simple relation between fundamentals and the timing of a crisis in a given country. The fact that a country is vulnerable does not imply that it must suffer a crisis in the near future. It only implies that if investors expectations turn pessimistic, a crisis will ensue because the government will be forced to close the external gap through a large depreciation, thereby justifying investor’s expectations. To the extent that investors expectations are unpredictable, the timing of a crisis in a particular country is unpredictable.”166 Der genaue Krisenzeitpunkt kann aus weiteren Gründen nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden. Die Reaktionsgeschwindigkeit der Marktteilnehmer wird sich im Zuge der zunehmenden internationalen Vernetzung und weiterer Finanzmarktliberalisierungen erhöhen. Die Kapitalmobilität wird in der Folge zunehmen. 167 Im Gegensatz dazu verändern sich einige Fundamentaldaten – ausgenommen der reale Wechselkurs – im Vorfeld von Währungskrisen nur sehr langsam.168 Sowohl sehr kurzfristige Veränderungen auf der einen Seite als auch nur langsame Änderungen auf der anderen Seite sind kaum innerhalb eines Modells zu prognostizieren. Generell gilt für die Früherkennung von Währungskrisen: 164 Vgl. Osband und van Rijckghem (2000), S. 239. Vgl. Flood und Marion (1998), S. 40. 166 Tornell (1999), S. 25. Furman und Stiglitz (1998), S. 8: „… irrationality is not inconsistent with predictability. But while regressions based on past behaviour provide insight into the information of expectations in the past, they provide little assurance that such patterns will continue in the future. Indeed, when there are systematic but irrational patterns and these can be analyzed, there typically will be opportunities for arbitrage. The irrationalities that persist are, by definition, unpredictable.” Siehe auch Reagle und Salvatore (2000), S. 250: „To be sure, no one can predict a crisis or its timing with certainty.“ 167 Vgl. Deutsche Bundesbank (1999), S. 28 f. 168 Vgl. Frankel und Rose (1996), S. 14. 165 71 „Currency crises by their nature are uncertain and hence are difficult to predict. Some variables provide early indications, but there are many false alarms. The early warning model helps to identify the countries that are most vulnerable to crisis, but the model does relatively poorly at predicting the exact timing of crises.”169 Trotz aller Fortschritte bleibt die Fähigkeit von Vorhersagen und Simulation komplexer Prozesse limitiert: „Economic forecasting is like weather forecasting except that our knowledge of the underlying science is less complete. … And in financial markets, unlike meteorology, there is the fact that the behaviour of the components can be affected by the forecast.” 170 6 Zusammenfassung In der vorliegenden Arbeit wurden theoretische Modelle zur Erklärung von Währungskrisen beschrieben und analysiert. Ausgehend von diesen theoretischen Modellen wurden Fundamentaldaten identifiziert, die Grundlage für die Entwicklung von Prognosesystemen sind. Wesentliche Fundamentaldaten sind insbesondere die Höhe der Reserven, das Verhältnis der Geldmenge M2 zu Reserven, die inländische Kreditausweitung, der Anteil kurzfristiger Fremdverschuldung und der reale Wechselkurs – als Überbewertung oder als Abweichung vom Trend. Diese Variablen konnten anschließend auch von empirischen Frühwarnsystemen als Krisenursachen ermittelt werden. Die Forderungen an die Leistung von Frühwarnsystemen sind nutzerabhängig. Behörden, staatliche Banken und private Akteure erwarten frühzeitige Warnungen über abweichendes Verhalten der für sie relevanten Variablen, um rechtzeitig korrigierend eingreifen und damit Krisensituationen vermeiden zu können. Es hat sich gezeigt, dass die verwendeten Modelle in der Lage sind, auf Veränderungen einiger Variablen in den verschiedenen Bereichen der Volkswirtschaft zu reagieren. Frühwarnsysteme können eine generelle Schwäche, Angreifbarkeit oder Krisenanfälligkeit der Volkswirtschaft verdeutlichen. Dabei sind bisher weder der genaue Krisenzeitpunkt noch die Intensität und die Auswirkungen der Krise auf andere volkswirtschaftliche Bereiche und andere Volkswirtschaften 169 170 Edison (2000), S. 36. Eichengreen (2002b), S. 2. 72 prognostizierbar. Bei insgesamt positivem Ansatz in der Zielrichtung zeigt sich, dass 1. die theoretischen Modelle um Erklärungen vergangener Währungskrisen bemüht sind. Neue Krisen werden aber zum Teil durch bisher unbekannte oder nicht als relevant eingeschätzte Zusammenhänge und Schocks ausgelöst oder begünstigt. 2. empirische Frühwarnsysteme versuchen, anhand historischer Daten Rückschlüsse auf zukünftige Ereignisse zu ermöglichen. Vergangene Zusammenhänge müssen aber nicht zwangsläufig für zukünftige Krisen relevant sein. Welche Schocks genau eine zukünftige Krise auslösen werden, ist nur schwer vorherzusehen. Die Vielzahl potentieller Schocks und sich verändernde ökonomische Zusammenhänge schränken die Relevanz der Frühwarnsysteme erheblich ein, weil jeder Eingriff in das System zugleich auch die „Messbedingungen“ ändert. 3. eine Erklärung, warum eine anfällige Situation in einem Land ohne Folgen bleibt und in einem anderen Land zu schwerwiegenden Krisen führt, von den theoretischen Modellen und den vorgestellten Frühwarnsystemen nicht geleistet werden kann. 4. Erwartungsänderungen der Marktteilnehmer und irrationales Verhalten ebenso nur sehr bedingt prognostizierbar sind. 5. Währungskrisen ihrer Natur entsprechend nur sehr eingeschränkt und vor allem nur für bestimmte Interessengruppen im Ansatz prognostizierbar sind. Dies ist ein alles prägendes Problem der wissenschaftlichen Diskussion und zeigt deutlich die begrenzten Möglichkeiten von Frühwarnsystemen. Es konnte weiter gezeigt werden, dass Frühwarnsysteme entgegen der oftmals geäußerten Meinung nicht objektiv und neutral sind (und auch nicht sein können, s.o.). „Although EWS models can not replace the sound judgment of policy-makers in guiding policy, they can play an important complementary role as a neutral and objective measure of vulnerability.” 171 171 Bussière und Fratzscher (2002), S. 6. Berg, Borensztein und Pattillo (2004), S. 30, sehen ebenfalls einen großen Vorteil der Frühwarnsysteme in ihrer Objektivität. 73 Die Auswahl der als relevant angesehenen Variablen, die Festlegung der Schwellenwerte und Prognosehorizonte, die Gewichtungen und Zusammensetzung der Krisenindizes und die Wahl der empirischen Methode erfolgt subjektiv. Zusätzlich verdeutlicht wird die fehlende Objektivität noch durch die unterschiedliche Signifikanz eingesetzter Indikatoren, fehlende einheitliche Maßstäbe der Krisendefinition und den fehlenden Konsens hinsichtlich der theoretischen Krisenursachen. Neue Krisenepisoden führten zu systematischen Erweiterungen der Modelle und zur Einbeziehung neuer Erkenntnisse sowohl hinsichtlich der Variablen als auch der Prognosemethodik. Damit verbunden sind Verbesserungen der expost-Analysequalität. Eine Reihe von Studien ließ den Eindruck entstehen, dass die Qualität und Möglichkeit von Vorhersagen von Frühwarnsystemen dadurch verbessert werden könnte, dass in die Analyse vergangener Krisen immer neue Variablen einbezogen wurden. Es ist bisher kein Beweis dafür erbracht worden, dass dadurch die Prognosemöglichkeit und Prognosesicherheit zunimmt (es ist keine erfolgreiche ex-ante-Prognose einer Währungskrise bekannt). Ziel sollte deshalb sein, einerseits einfache Modelle mit wenigen speziellen Indikatoren zu nutzen, um grundlegende Gemeinsamkeiten und Ursachen von Krisen zu verdeutlichen. „As a result, it is fair to conclude that: (1) the leading indicators literature is still in its infancy and more rigorous and precise data (especially on financial fragility and investment efficiency) should be explored; and (2) researchers should refrain from creating and developing predictors of crises (after all, financial crises might perfectly be unpredictable) and focus instead on simpler early-warning indicators.”172 Andererseits werden zukünftig Modelle zu entwickeln sein, die in der Lage sind, komplexe ökonomische Zusammenhänge und dynamische Entwicklungen erfassen und erklären zu können. Die bisher verwendeten grundlegenden Methoden sind aufgrund der fehlenden Flexibilität und der binären Betrachtung kaum geeignet, über die Identifikation von fundamentalen Frühwarnindikatoren hinaus 172 Bustelo (2000), S. 28. Reagle und Salvatore (2000) verwenden sechs Indikatoren und Mariano et al. (2002) beziehen nur drei Variablen in ein Frühwarnmodell ein. Von Interesse hinsichtlich der ex-post-Analyseergebnisse eines Modells mit weniger speziellen Indikatoren könnte ein im Juni erscheinender Artikel sein: Salvatore, Dominick (2005): Robustness of forecasting financial crises in emerging market economies with data revisions, Open Economies Review. Für Herrera und García (1999), S. 1, ist die Entwicklung eines einfachen Modells zu möglichst geringen Kosten das Hauptziel. 74 Krisen vorherzusagen. Diese fehlende Flexibilität und Dynamik bei der Erklärung komplexer wirtschaftlicher Zusammenhänge könnten aus den Naturwissenschaften bekannte und erfolgreich angewendete Ansätze der ChaosTheorie und neuronaler Netzwerke als selbstlernende Systeme ausgleichen. Eine weitere Chance bietet die unscharfe Logik (fuzzy logic), die die Verwendung von unscharfen Variablen erlaubt. Durch die Einbeziehung länderspezifischer ökonomischer und politischer Besonderheiten in auf diese Länder zugeschnittene komplexere Modelle könnten zusätzliche Zusammenhänge verdeutlicht und somit sowohl die ex-post-Analyse verbessert als auch die ex-antePrognosequalität erhöht werden. Die Einschränkung der erreichten Prognosequalität würde sicherlich geringer ausfallen, wenn es möglich wäre, den Veröffentlichungen zuzuordnen, wer mit welchen Modellen beraten wird und welche genauen Erfahrungen mit deren praktischen Umsetzungen verbunden sind. Boten die Frühwarnsignale Anlass, konkrete Maßnahmen zu ergreifen? War es auf diesem Wege möglich, Krisen zu verhindern oder zumindest die verheerenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen zu begrenzen? Aus den bereits ausgeführten Gründen ist dieser Einblick in die praktischen Erfahrungen privater Institutionen und ihrer Modelle weitestgehend verwehrt. Die Arbeit zeigt weiter, dass Frühwarnsysteme allein als Politikberatung nicht ausreichend sind. Sie sind zwar als Beratungsinstrumente ausgelegt, aber in keiner der Studien werden Auskünfte über konkrete Werte der Fundamentaldaten publiziert, die nicht anfällig für spekulative Attacken sind. Zumindest die öffentlich zugänglichen Modelle sind nicht mit konkreten Hinweisen verbunden, wie in einer Situation mit Krisengefahr Werte der Indikatoren zu verändern sind, um eine Krise zu verhindern. Ähnlich ist die Situation hinsichtlich der Festlegung optimaler Fundamentaldaten. In der Arbeit konnte aufgrund der verfügbaren Literatur nicht gezeigt werden, dass es diese überhaupt gibt und wie sich diese optimalen Werte darstellen lassen. Es ist aus Sicht der unterschiedlichen volkswirtschaftlichen Akteure auch nicht zu erwarten, dass ein einheitliches Interesse daran besteht, ein für alle identi75 sches Frühwarnsystem zu verwenden. Es besteht immer ein Interesse, relevante Informationen vor anderen zu erhalten, um zu einem früheren Zeitpunkt agieren zu können. Außerdem sind die zugrunde liegenden Interessen, Erwartungen und das Risikoverhalten unterschiedlich. Frühwarnsysteme privater Investmentbanken arbeiten mit kürzeren Prognosehorizonten. Teilweise werden den Kunden wöchentliche Berichte zur Verfügung gestellt. Ziel ist hier nicht die korrigierende Politikberatung zur Vermeidung von Währungskrisen, sondern das Vermeiden von Verlusten z.B. an den Devisenmärkten. Vorausgesetzt, es gäbe ein Modell, dass eine 100%ige Prognosesicherheit verspricht, wäre das für den Anbieter und den Nutzer des Modells die „Lizenz zum Gelddrucken“. Der missbräuchliche Einsatz eines Prognoseinstrumentes – zur Beschleunigung oder Vertiefung der Krise – könnte dann nicht vermieden werden. Die Nutzung von Frühwarnsystemen – nicht nur für Währungskrisen – ist mit strategischen und wirtschaftlichen Interessen verbunden. In der Arbeit konnte darüber hinaus gezeigt werden, dass eine Vielzahl von Autoren sich mit den Möglichkeiten und auch den Grenzen von Prognosesystemen für Währungskrisen auseinandersetzt. Es zeigt sich, dass die Problematik der Entwicklung von Frühwarnsystemen so vielschichtig ist, dass ein homogenes System mit einem Prognosehorizont unrealistisch erscheint. Damit sind die Möglichkeiten der Prognose von Währungskrisen stark eingeschränkt. Zu den Möglichkeiten gehört dennoch, dass die in Frühwarnsystemen verwendeten makroökonomischen Variablen/Indikatoren hilfreich für die Vorhersage von Währungskrisen sein können und deshalb auf den Einsatz von Frühwarnsystemen als einem ergänzenden Prognoseinstrument nicht verzichtet werden sollte. 76 Anhang I: Variablen in Frühwarnmodellen Tabelle A1: Variablen in Frühwarnmodellen (KSS, E, LK, BL, T, BM) Autoren KSS E LK BL T BM ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ externer Sektor (Leistungsbilanz) realer Wechselkurs realer Wechselkurs (Trend) Überbewertung Währung (∆) Exportwachstum (∆) Importwachstum terms-of-trade ■ ■ Leistungsbilanz/BIP ■ ■ Nominaler Wechselkurs externer Sektor (Kapitalbilanz) M2/Reserven ■ (%∆) Wachstum Reserven ■ ■ ■ ■ ■ ■ Reserven/BIP Reserven/kurzfristige Verschuldung ■ externe Verschuldung/Exporte ■ Finanzsektor (Wachstum) M1 und M2 ■ ■ M2-Multiplikator ■ inländische Kredite/BIP ■ ■ ■ Fremdverschuldung/BIP ■ private inländische Kredite/BIP FDI/ Gesamtverschuldung inländischer realer Zinssatz ■ ■ ■ Verhältnis Kredit- und Einlagenzins ■ ■ ■ Einlage kommerzielle Banken/(BIP) ■ ■ ■ inländisches Kreditwachstum ■ ■ realer u. öffentlicher Sektor ■ Inflation BIP (Wachstum nominal/real) ■ ∆ Börsenindex ■ ■ ■ ■ ■ ∆ Produktionsindex Wachstum Industrieproduktion öffentliche Verschuldung/BIP ■ ■ ■ Budgetbilanz/BIP Fiskaldefizit/BIP ■ ■ ■ ■ politische Variablen globale Wirtschaft Wachstum Ölpreis ■ ■ US Zinssatz ■ ■ ■ OECD BIP-Wachstum ■ ■ ■ Quelle: KSS: Kamin, Schindler und Samuel (2001); E: Edison (2003); LK: Lestano und Kuper (2003); BL: Brüggemann und Linne (2002); T: Tornell (1999); BM: Bussière und Mulder (1999a). 77 Tabelle A2: Variablen in Frühwarnmodellen (BM, C, GG, HK, HG, KMP) Autoren BM C GG HK HG KMP realer Wechselkurs ■ ■ ■ ■ ■ ■ realer Wechselkurs (Trend) ■ externer Sektor (Leistungsbilanz) ■ Überbewertung Währung ■ ■ Leistungsbilanz/BIP ■ ■ nominaler Wechselkurs ■ (∆) Exportwachstum ■ ■ (∆) Importwachstum terms-of-trade ■ ■ externer Sektor (Kapitalbilanz) M2/Reserven ■ ■ (%∆) Wachstum Reserven ■ ■ ■ ■ Reserven/BIP Reserven/Importe Reserven/Gesamtverschuldung kurzfristige Verschuldung/Reserven ■ Finanzsektor (Wachstum) M1 und M2 ■ Struktur Auslandsverschuldung ■ inländische Kredite/BIP ■ Fremdverschuldung/BIP(/Reserven) private inländische Kredite/(BIP) ■ ■ FDI ■ Portfoliostruktur ■ Kapitalmarktliberalisierung ■ ■ inländischer realer Zinssatz Verhältnis Kredit- und Einlagenzins Einlage kommerzielle Banken/(BIP) ■ (inländisches) Kreditwachstum ■ realer u. öffentlicher Sektor ■ Inflation ■ ■ BIP (Wachstum nominal/real) ∆ Börsenindex (Aktienpreise) ■ ■ Ø Kredit-Rating Wachstum Industrieproduktion öffentliche Verschuldung/BIP Budgetbilanz/BIP ■ ■ Fiskaldefizit/BIP politische Variablen/Governance ■ globale Wirtschaft US Zinssatz OECD BIP-Wachstum Quelle: BM: Bussière und Mulder (1999b); C: Collins (2003); GG: Ghosh und Ghosh (2002); HK: Hawkins und Klau (2000); HG: Herrera und Garcia (1999); KMP: Kumar, Moorthy und Perraudin (2002). 78 Tabelle A3: Variablen in Frühwarnmodellen (NW, OVR, V, Z, A, P) Autoren NW OVR V Z ■ ■ ■ ■ A P externer Sektor (Leistungsbilanz) realer Wechselkurs ■ ■ realer Wechselkurs (Trend) ■ (∆) Exportwachstum ■ ■ Importe/Exporte ■ terms-of-trade Leistungsbilanz(/BIP) ■ ■ Importwachstum ■ ■ ■ externer Sektor (Kapitalbilanz) ■ M2/Reserven (oder Reserven/M2) ■ ■ ■ (%∆) Wachstum Reserven ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Reserven/Importe kurzfristige Verschuldung/Reserven ■ ■ M2/Reserven - Wachstum ■ Reserven/kurzfristige Verschuldung ■ externe Verschuldung/Exporte ■ Schuldendienst/Exporte ■ ■ Contagion Finanzsektor (Wachstum) M1 und/oder M2 ■ M2-Multiplikator ■ inländische Kredite/BIP ■ Fremdverschuldung/BIP private inländische Kredite(/BIP) ■ ■ FDI(/ Gesamtverschuldung) ■ ■ ■ Portfoliostruktur u. -investment ■ ■ inländischer realer Zinssatz ■ ■ Zinsunterschied Inland/Ausland Bankreserven/Bankvermögen ■ Bankeinlagen(/M2) ■ ■ Bankverschuldung/-einlagen ■ ■ inländisches Kreditwachstum ■ ■ kurzfristige Verschuldung Kreditwachstum an Regierung ■ Anteil staatliche Verschuldung ■ realer u. öffentlicher Sektor ■ Inflation BIP (Wachstum nominal/real) ■ ■ ■ ∆ Börsenindex ■ Wachstum Industrieproduktion ■ ■ Budgetbilanz(/BIP) Fiskaldefizit(/BIP) ■ ■ ■ globale Wirtschaft US Zinssatz OECD BIP-Wachstum Quelle: NW: Nitithanprapas und Willett (2000); OVR: Osband und Van Rijckeghem (2000), V: Vlaar (2000); Z: Zhang (2001); A: Abiad (2003); P: Pasternak (o.J.). 79 Tabelle A4: Variablen in Frühwarnmodellen (RS, KB, Sx, BF, R, Sz) Autoren RS KB Sx BF R Sz ■ ■ externer Sektor (Leistungsbilanz) ■ realer Wechselkurs ■ realer Wechselkurs (Trend) ■ ■ Überbewertung Währung ■ (∆) Exportwachstum ■ ■ ■ ■ (∆) Importwachstum ■ ■ ■ Exporte/Importe ■ terms-of-trade ■ ■ Handelsbilanz(/BIP) (Leistungsbilanz)/BIP ■ (Leistungsbilanz – FDI)/BIP ■ Schuldendienst/Exporte ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Schuldendienst/BIP externer Sektor (Kapitalbilanz) ■ M2/Reserven (%∆) Wachstum Reserven ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Wachstum (M2/Reserven) ■ (∆) Reserven/M1 oder M2 (∆) Reserven/Importe ■ Reserven/kurzfristige Verschuldung ■ ■ kurzfristige Verschuldung/Reserven ■ Gesamtverschuldung/Reserven ■ Finanzsektor ■ (Wachstum) M1 und/oder M2 langfristige Verschuldung/BIP ■ kurzfristige Verschuldung/BIP ■ ■ Struktur Verschuldung Fremdverschuldung/BIP ■ FDI(/ Gesamtverschuldung) ■ Portfoliostruktur ■ Struktur Kapitalzuflüsse ■ ■ Verhältnis Kredit- und Einlagenzins ■ Einlage kommerzielle Banken/(BIP) inländisches Kreditwachstum ■ ■ M1/BIP, M2/BIP ■ ■ ■ inländische Kredite/BIP ■ private inländische Kredite/BIP ■ Kredit-Rating Land realer u. öffentlicher Sektor ■ Inflation BIP (Wachstum nominal/real) ■ ■ ∆ Börsenindex ■ ■ ■ ∆ Produktionsindex Wachstum Industrieproduktion ■ ■ ■ ■ öffentliche Verschuldung/BIP Budgetbilanz/BIP ■ ■ ■ 80 Autoren Fiskaldefizit(/BIP) RS KB Sx BF R Sz ■ globale Wirtschaft ■ Wachstum Ölpreis US Zinssatz ■ ■ OECD BIP-Wachstum ■ Contagion ■ Quelle: RS: Reagle und Salvatore (2000); KB: Kamin und Babson (1999); Sx: Schardax (2003); BF: Bussière und Fratzscher (2002); R: Rose (1998); Sz: Schnatz (1998). 81 Tabelle A5: Variablen in Frühwarnsystemen (MFR, GKR, LB, DB, MSDW, GS) Autoren MFR GKR LB DB ■ ■ ■ ■ MSDW GS ■ ■ ■ ■ externer Sektor (Leistungsbilanz) realer Wechselkurs Überbewertung Währung (∆) Exportwachstum ■ (∆) Importwachstum ■ terms-of-trade ■ ■ Leistungsbilanz(defizit)(/BIP (%)) ■ Leistungsbilanz/Investitionen ■ ■ ■ ■ ■ ■ nominaler Wechselkurs externer Sektor (Kapitalbilanz) M2/Reserven ■ ■ ■ ■ ■ Reserven/M2 ■ Wachstum M2/Reserven ■ (%∆) Wachstum Reserven Reserven/Importe ■ ■ ■ ■ ■ Reserven/kurzf. Fremdverschuldung ■ kurzfristige Verschuldung/Reserven Finanzsektor „Exzess“ M1 ■ M2-Multiplikator ■ ■ kurzf. Fremdverschuldung %Exporte inländische Kredite/BIP (%) ■ ■ ■ ■ ■ Fremdverschuldung/BIP(/Reserven) ■ private inländische Kredite(/BIP) ■ öffentliche Kredite/BIP ■ kurzfristiger Kapitalzufluss/BIP ■ ■ FDI(/BIP) ■ ■ Portfoliostruktur ■ inländischer realer Zinssatz (kurzf.) ■ ■ Zinsunterschied In- und Ausland ■ ■ Verhältnis Kredit- und Einlagenzins Einlagenzins ■ Bankeinlagen ■ ■ „faule“ Kredite ■ (inländisches) Kreditwachstum ■ ZB Kredite öffentlicher Sektor/BIP realer u. öffentlicher Sektor ■ BIP (Wachstum nominal/real) Inflation ■ ∆ Börsenindex (Aktienpreise) ■ Vermögenswertpreise ■ Kredit-Rating (Moody’s) ■ politische Variablen/Governance ■ ■ ■ ■ ■ (Wachstum) Industrieproduktion Budgetdefizit/BIP ■ ■ ■ ■ globale Wirtschaft 82 Autoren MFR GKR LB DB MSDW ■ globale Liquidität US (Ausland) Zinssatz GS ■ Wachstum Ölpreis ■ ■ ■ OECD BIP-Wachstum Contagion (Abwertung) ■ Contagion (Marktdruck) ■ ■ Quelle: MFR: Milesi-Ferretti und Razin (1998); GKR: Goldstein, Kaminsky und Reinhart (2000); LB: Lehman Brothers (2003); DB: Deutsche Bank (2002), MSDW: Morgan Stanley Dean Witter (2001); GS: Goldman Sachs (1998). 83 Anhang II: Krisenmodell der 1. Generation Modellannahmen Ausgangspunkt der Modellbetrachtung ist eine kleine Volkswirtschaft, die ihren Wechselkurs gegenüber einer großen Volkswirtschaft fixiert. Es wird angenommen, dass die Fixierung des Wechselkurses allein der Währungsbehörde der kleinen Volkswirtschaft obliegt. Dies liegt primär im Interesse des kleinen Landes. Gleichung (1), die den inländischen Geldmarkt beschreibt, ist die zentrale Gleichung des Modells. Die Gleichungen (2) bis (4) spezifizieren die in (1) verwendeten Variablen. Aus Vereinfachungsgründen werden die Beziehungen in den Gleichungen (1) bis (4) in logarithmierter Form (Log-Linearisierung) dargestellt. Inländisches Geldmarktgleichgewicht: m − p = − α (i ) m inländisches Geldangebot p inländisches Preisniveau α(i) vom inländischen Zinssatz i negativ abhängige reale Geldnachfrage (1) Inländisches Geldangebot: m =d +r d inländische Kredite r Währungsreserven (2) Das Preisniveau des kleinen Landes wird auf Grund internationaler Arbitrage auf den Gütermärkten bestimmt. Es gilt die absolute Form der Kaufkraftparitätentheorie. Kaufkraftparität: p = pa + e p inländisches Preisniveau pa ausländisches Preisniveau (3) 84 e Wechselkurs, ausgedrückt durch Preis einer Fremdwährungseinheit in heimischer Währung Der internationale Kapitalmarkt wird mittels der ungesicherten (ungedeckten) Zinsparität in das Modell einbezogen. Es wird ein vollkommener internationaler Kapitalmarkt vorausgesetzt. In- und ausländische Finanzanlagen sind vollkommene Substitute. Die Kapitalmobilität ist nicht eingeschränkt. Ungedeckte Zinsparität: i = i a + ∆e erw i inländischer Zins ia ausländischer Zins (4) ∆eerw Änderungsrate des erwarteten Wechselkurses Unter einem flexiblen Wechselkurssystem kann die Höhe der Reserven konstant gehalten werden. Die sich verändernde Wechselkursrate „reguliert“ das Geldmarktgleichgewicht. Ist der Wechselkurs fixiert, „regulieren“ die internationalen Währungsreserven r das Gleichgewicht auf dem heimischen Geldmarkt. Zur Erklärung von Währungskrisen werden im Rahmen dieses einfachen Modells zwei unterschiedliche Szenarien betrachtet: feste Wechselkurse bei vollkommener Sicherheit feste Wechselkurse bei Unsicherheit Einer Krise gehen Defizite des Staatshaushaltes voraus, die durch eine Ausweitung der heimischen Geldmenge (Ausweitung der heimischen Kreditvergabe d) finanziert werden. Ein Krisenszenario tritt ein, wenn der ursprünglich fixierte Wechselkurs freigegeben wird, oder ein neuer fester Wechselkurs festgelegt wird. Zum Zeitpunkt der Krise wird die Neutralisierungspolitik hinsichtlich der heimischen Geldmenge aufgegeben. Feste Wechselkurse und vollkommene Sicherheit Es wird ein fester Wechselkurs (e konstant) unterstellt: e=e 85 Das ausländische Preisniveau pa ist gegeben und konstant. Aus Gleichung (3) folgt, dass das inländische Preisniveau p ebenfalls gegeben und konstant ist. Bei glaubhafter Fixierung des Wechselkurses ist ∆e erw = 0 , und es gilt i = i a , wobei i a als konstant angenommen wird. Werden die Gleichungen (2) bis (4) und die eben gemachten weiteren Annahmen in Gleichung (1) eingesetzt, so gilt r + d − pa − e = − α (i a ) (5) r + d = pa + e − α (i a ) . (6) oder Die wachsenden Haushaltsdefizite werden durch ein Wachstum der inländischen Kredite d finanziert. Die Wachstumsrate von d (∆d) wird mit µ bezeichnet. Aus den oben genannten Annahmen und (6) folgt ∆r = −∆d = − µ bzw. − ∆r = µ . Anhand dieses einfachen Modells wird deutlich, dass eine Ausweitung der inländischen Kreditmenge zwangsläufig zu abnehmenden staatlichen Devisenreserven führt. Sind diese erschöpft, kann die Zentralbank zur Stützung des fixierten Wechselkurses nicht mehr an den Devisenmärkten intervenieren. Die Aufgabe des Wechselkurses (Währungskrise) ist ein „natürlicher Kollaps“. Zur Vermeidung von erheblichen Vermögensverlusten werden die spekulierenden Akteure - unter der Annahme vollkommener Sicherheit bzw. perfekter Voraussicht - diesen „natürlichen Kollaps“ nicht abwarten. Vielmehr können spekulative Attacken zum vorzeitigen Ende des festen Wechselkursregimes führen. Hier stellt sich die Frage, wann die spekulative Attacke erfolgt und der Wechselkurs freigegeben wird. Zur Erklärung wird ein Schattenwechselkurs ( e~ ) 173 einge- 173 Definiert als flexibler Wechselkurs, der sich einstellen würde, wenn Spekulanten die verbliebenen Reserven kaufen (spekulative Attacke) und die staatlichen Behörden von weiteren Interventionen absehen. 86 führt. Der Schattenwechselkurs ist entscheidend für die Gewinnerwartung und dementsprechend für das Spekulationskalkül. Schattenwechselkurs Vor der Aufgabe des festen Wechselkurses nahmen die Devisenreserven mit der negativen Wachstumsrate der inländischen Kreditvergabe µ ab. Das Geldmarktgleichgewicht wurde durch abnehmende Devisenreserven gehalten, während die Geldnachfrage konstant blieb. Vor der Attacke galt die Beziehung ∆r = − ∆d = − µ . Nach der Aufgabe des festen Wechselkurses wächst neben der Kreditmenge d auch die Geldmenge m weiter mit der Rate µ. Ausgehend von der Situation mit festen Wechselkursen ergibt sich unter der vereinfachenden Annahme von i a = pa = 0 aus Gleichung (1) im Gleichgewicht ∆m − ∆p = 0 . Bis zur Aufgabe der Wechselkursfixierung wurde eine Situation mit Neutralisierung betrachtet, in der sich m und p nicht änderten. Im Anschluss an die Aufgabe der Wechselkursverteidigung stehen keine Reserven für weitere Interventionen zur Verfügung: r = 0. Aus diesem Grund muss die bisher verfolgte Neutralisierungspolitik aufgegeben werden. Es gilt nun ∆m = ∆p = µ . Ausgehend von Gleichung (3) erhält man ∆e = ∆p . Dies wird in Gleichung (4) berücksichtigt. In einer Situation mit perfekter Voraussicht entsprechen die erwarteten den später auch realisierten Größen, d.h. 87 ∆e erw = ∆e . Aus Gleichung (4) ergibt sich weiter i = ∆e erw = ∆e = µ . (7) Das Geldmarktgleichgewicht nach Wechselkursfreigabe und dem Ende der Interventionen bzw. der Neutralisierungspolitik kann beschrieben werden mit: r + d − e~ = − α ⋅ ∆e erw . (8) Unter Berücksichtigung von (7) folgt aus (8) unter der Annahme von r = 0 d − e~ = −αµ . Somit kann der Schattenwechselkurs dargestellt werden als e~ = αµ + d . (9) (10) Die Spekulanten erwarten, ihre im Zusammenhang mit spekulativen Attacken erworbenen Devisenreserven zum Schattenwechselkurs wieder in inländische Währung zurückzutauschen. Mit einem Spekulationsgewinn ist zu rechnen, wenn e~ > e . In Abbildung A1 (S. 98) wird neben der Gleichung (10) und dem zuvor fixierten Wechselkurs e auch der Zusammenhang zwischen Schattenwechselkurs, Gewinnerwartung und Spekulationskalkül dargestellt. Im Schnittpunkt A entspricht der Schattenwechselkurs dem vorher fixierten Wechselkurs: e~ = e . Links des Schnittpunktes A, also bei A d < d und e~ < e , sind spekulative Attacken uninte- ressant. Spekulationen gegen die inländische Währung wären mit Verlusten verbunden. 88 Rechts des Schnittpunktes A, wenn A d > d und e~ > e , sind spekulative Attacken mit Gewinnmöglichkeiten verbunden. Unter der Annahme vollkommener Sicherheit sind diese Gewinnchancen für jeden Spekulanten vorhersehbar. Dies führt zu einem Wettbewerb untereinander. Ziel ist, früher als andere Wettbewerber zu attackieren. Daraus folgt, dass eine vorhersehbare Attacke zum Zeitpunkt T stattfindet, wenn d =d A und e~ = e . Abbildung A1: Spekulative Attacke unter Sicherheit e e~ A e e αµ d d A Quelle: Flood und Marion (1998) Die Wettbewerbssituation der Spekulanten hat zur Folge, dass es zu keiner sprunghaften Wechselkursänderung kommt. 89 Eine Krisensituation ist schließlich gekennzeichnet durch plötzlich sinkende Währungsreserven ( − ∆r ) zum Zeitpunkt T (siehe Abbildung A4, S. ). Aus Gleichung (10) folgt, dass der Wechselkurs nach erfolgter spekulativer Attacke mit der Rate µ steigt. Die Gleichungen (4) und (7) zeigen, dass der inländische Zins sich nach der Attacke um µ verändern muss. Dies ist zentral für Modelle der 1. Generation. Zum Zeitpunkt der vorhergesehenen spekulativen Attacke steigt der inländische Zins, um den entsprechenden Wertverlust der Währung zu reflektieren. Für das Gleichgewicht auf dem Geldmarkt ergibt sich daraus: 1) Das Geldangebot verringert sich um das Ausmaß der Attacke ( ∆r ). 2) Die Geldnachfrage sinkt aufgrund des gestiegenen inländischen Zinssatzes genau um dieses Ausmaß. Im Zeitpunkt der Attacke ändern sich e und d nicht. Der gestiegene Zins berücksichtigt die jetzt für die Zukunft bestehende Abwertungserwartung. Aus den Gleichungen (7) und (8) lässt sich ableiten, dass: ∆r = −αµ . (11) Gemäß Gleichung (2) setzt sich das Geldangebot aus inländischen Krediten und Währungsreserven zusammen. Vor der Attacke ergibt sich für die Währungsreserven bei festem Wechselkurs rt = r0 − µt . r0 Anfangsbestand an Währungsreserven rt Währungsreserven zum Zeitpunkt t (12) Zum Zeitpunkt T der spekulativen Attacke fallen die Reserven auf Null. Aus Gleichungen (11) und (12) ergibt sich: − ∆r = r0 − µT = αµ . (13) Interessiert jetzt der Zeitpunkt T der spekulativen Attacke und der anschließenden Wechselkursfreigabe, dann folgt aus Gleichung (13): T = r0 − αµ . µ (14) 90 Gleichung (14) verdeutlicht, dass der Zeitpunkt für die Aufgabe des festen Wechselkursregimes abhängig ist vom Ausgangsniveau der Reserven r0 und der Wachstumsrate der Kreditvergabe µ. Der feste Wechselkurs kann umso länger verteidigt werden, je höher die Reserven r0 und je geringer µ sind. Nach der Attacke kann nicht mehr auf den Devisenmärkten interveniert werden. Der Wechselkurs stellt sich gemäß Gleichung (10) ein. Die Abbildungen A2 bis A4 verdeutlichen nochmals die Zusammenhänge eines Zusammenbruchs des festen Wechselkurssystems. Abbildung A2 zeigt den Zeitpunkt T der spekulativen Attacke. Abbildung A2: Logarithmierte Wechselkursrate e e~t e Zeit t T T& Quelle: Obstfeld (1994) 91 Abbildung A3: Logarithmiertes Geldangebot m m Zeit t T T& Quelle: Obstfeld (1994) Abbildung A3 zeigt das Gleichgewicht auf dem Geldmarkt. Zum Zeitpunkt T der spekulativen Attacke sinkt das vorher konstante Geldangebot drastisch. Das Gleichgewicht auf dem Geldmarkt - dem Ausgangspreisniveau p = e entsprechend kann nur gehalten werden, wenn das sinkende Geldangebot die ebenfalls gesunkene Geldnachfrage kompensiert. In Abbildung A4 wird deutlich, dass zum Zeitpunkt T der spekulativen Attacke die verbliebenen Reserven auf Null springen, anstatt weiter langsam abzunehmen und schließlich zum Zeitpunkt T& erschöpft zu sein. Dieser Sprung der Reserven ist notwendig, um eine sprunghafte Änderung des Wechselkurses zu vermeiden. 92 Abbildung A4: Logarithmierte Reserven r r0 rT Zeit t T T& Quelle: Obstfeld (1994). 93 Feste Wechselkurse bei Unsicherheit Die sehr restriktive Annahme der vollkommenen Sicherheit wird aufgehoben. Hierfür wird Gleichung (4) durch einen Risikozuschlag für Wechselkursänderungen erweitert. i = i a + ∆e erw + β β (15) Risikoprämie, Risikozuschlag Änderungen des Wechselkurses - hier eine Abwertung - führen bei Finanzanlagen in inländischer Währungen zu Verlusten. Die Risikoeinschätzungen der Marktteilnehmer kommen werden durch die positive Größe β berücksichtigt. Analog zum Modell mit vollkommener Sicherheit erhält man, wiederum unter der Annahme i a = pa = 0 , aus Gleichung (6): ( ) r + d = e − α ∆e erw + β . (16) Gehen die Wirtschaftssubjekte noch immer davon aus, dass der fixierte Wechselkurs glaubhaft verteidigt wird, ist ∆e erw = 0 ( e konstant). Die Währungsreserven nehmen wie zuvor dargestellt auch im Modell mit Unsicherheit ab, solange β konstant bleibt. Auch hier kommt es zum Zeitpunkt T zu einer spekulativen Attacke, da nicht mehr erwartet wird, dass das feste Wechselkursregime verteidigt werden kann. Der Schattenwechselkurs wird - analog zum Modell mit vollkommener Sicherheit - als Wechselkurs betrachtet, der sich nach Aufgabe des Festkursregimes (dem Ende der Neutralisierungspolitik, also ohne Marktintervention) am Devisenmarkt einstellt. Somit ist er entscheidend für das Spekulations- und Gewinnkalkül. Aus Gleichung (16) ergibt sich d = e~ − α ∆e erw + β . ( ) (17) Analog zu Gleichung (10) kann der Schattenwechselkurs bestimmt werden: e~ = αµ + αβ + d . (18) 94 Im Vergleich zur Situation mit perfekter Voraussicht wird der Schattenwechselkurs zusätzlich durch die Höhe der Risikoprämie beeinflusst. Steigt die Risikoprämie, steigt der Schattenwechselkurs. Der Risikozuschlag β kann als Bewertung der ökonomischen Situation interpretiert werden. Fällt die ökonomische Bewertung schlechter oder pessimistisch aus, steigt β. Dies kann eine der Ursachen für den Abwertungsdruck auf die inländische Währung sein. Wie gezeigt, erhöht ein steigender Schattenwechselkurs die Gewinnchancen der Spekulanten. Abgeleitet aus den Gleichungen (12), (13) und (17) ergibt sich für die Reserven r zum Zeitpunkt der spekulativen Attacke T - unter der Voraussetzung, dass im Zeitraum von t = 0 bis t = T keine Änderungen von β eingetreten sind − ∆r = r0 − µT = αµ + α∆β . (19) Der Zeitpunkt T ergibt sich aus T = r0 − αµ − α∆β µ (20) Eine Veränderung der Risikoprämie beeinflusst den Zeitpunkt der Attacke. Steigt β, erhöhen sich auch Substitutionstendenzen in andere Währungen. Dies erhöht den Druck auf die inländische Währung. Der entscheidende Unterschied zum Modell mit vollkommener Sicherheit besteht darin, dass nicht vorherzusagen ist, wie sich der Markt hinsichtlich der Risikoprämie β positioniert. Auch wenn angenommen wird, dass die Erwartungsbildung homogen erfolgt, kann der Zeitpunkt der spekulativen Attacke nicht mehr vorausgesagt werden. Das Verhalten privater Marktteilnehmer ist nicht mehr prognostizierbar. 95 Anhang III: Krisenmodell der 2. Generation In Modellen der 1. Generation agiert der Staat vollkommen situationsunabhängig. In Modellen der 2. Generation reagiert der Staat auf Aktionen privater Akteure. Modellrahmen Der Modellrahmen entspricht den im Anhang II vorgenommenen Annahmen. In dem dargestellten Modell der 1. Generation blieb die Wachstumsrate µ als Parameter in jedem Fall unverändert. Im hier folgenden einfachen Modell der 2. Generation kommt die situationsabhängige Reaktion des Staates durch eine im Zeitablauf veränderte Wachstumsrate µ zum Ausdruck. µ0 inländische Kreditwachstumsrate, solange keine spekulative Attacke auf das fixierte Wechselkursregime µ1 erhöhte inländische Kreditwachstumsrate als Reaktion auf eine spekulativen Attacke Abbildung A2 (S. 104) beinhaltet in Erweiterung der Abbildung A1 zwei mit µ0 und µ1 korrespondierende Schattenwechselkurse. e~0 mit µ = µ 0 , wobei zur Vereinfachung der Darstellung µ 0 = 0 gesetzt wird e~1 mit µ = µ1 , wobei µ1 > 0 Ist d < d B , dann liegt der Schattenwechselkurs ohne Attacke auf der Kurve e~0 . Erfolgt eine spekulative Attacke, springt der Schattenwechselkurs auf die Kurve e~ , die noch immer unter dem fixierten Wechselkurs e liegt. Eine Attacke auf 1 die inländische Währung ist in dieser Situation mit Verlusten verbunden, also uninteressant. Ist d = d B , so ist eine Attacke bei e~0 (Punkt C) uninteressant. Gleichzeitig könnte aber eine Attacke stattfinden, da für das Spekulationskalkül die Kurve e~1 re96 levant ist. Der Schattenwechselkurs würde von C auf B springen. In Punkt B gilt e~ = e . Eine Attacke könnte erfolgreich sein und zur Aufgabe des fixierten Wechselkurses führen, ist aber nicht mit Spekulationsgewinnen verbunden. Abbildung A5: Spekulative Attacke und staatliche Reaktion e e~1 e~0 e e B A C αµ1 d d B d A Quelle: Flood und Marion (1998) Liegt die inländische Kreditvergabe zwischen d A und d B ( d A < d < d B ), sind multiple Gleichgewichte möglich. Entscheidend ist die Erwartungsbildung der privaten Akteure. Sind die Marktteilnehmer klein, ihre Erwartungen unkoordiniert und sehen sie keine Chance für eine Attacke des Marktes, kann der niedrigere Schattenwechselkurs weiterhin gelten. Ebenso ist denkbar, dass ein Ansturm auf die inländische Währung erfolgt. Die Volkswirtschaft springt auf einen höheren Schattenwechselkurs. Wird dieser 97 Ansturm erwartet, erscheint ein Halten von inländischer Währung wenig sinnvoll. Im Falle einer sicheren spekulativen Attacke und dem Kollaps des fixierten Wechselkursregimes sind Verluste die Folge. Dementsprechend kommt es zu einer sich selbsterfüllenden Attacke und anschließenden Krise. Eine spekulative Attacke ist bei d > d A in jedem Fall interessant, da e~0 > e und e~1 > e . 98 Anhang IV: Staatliche Verlustfunktion In Anhang III wurde eine sehr einfache staatliche Reaktion auf spekulative Attacken erläutert. Unter Einbeziehung einer Verlustfunktion kann staatliches Verhalten wesentlich differenzierter betrachtet werden. Staatliches Handeln wird anhand einer Verlustfunktion optimiert. Modell Zu minimierende Verlustfunktion: v t = (y t − y~) + φπ t + C (π t ) 2 2 (1) yt realer Output, reales Volkseinkommen y~ geplantes bzw. angestrebtes Volkseinkommen πt Inflationsrate φ mit 1 > φ > 0 , Gewichtung der Inflationskosten relativ zum suboptimalen Output C Einbeziehung der Kreditprobleme Es gilt die absolute Form der Kaufkraftparität. Das ausländische Preisniveau wird normiert auf pa = 0 . Daraus folgt für den logarithmierten Wechselkurs und das logarithmierte Preisniveau e = p. Die Inflationsrate korrespondiert mit der realen Abwertung der inländischen Währung π t = et − et −1 . Weiterhin wird angenommen, dass das Wechselkursregime fixiert, aber nicht für immer unveränderlich ist. Jeder Anstieg des Wechselkurses e (gleichbedeutend mit einer Abwertung der inländischen Währung - dies impliziert 99 πt > 0 ) ist mit zusätzlichen staatlichen Kosten in Höhe von C (π t ) = c verbunden. Sinkt der Wechselkurs, sind damit ebenfalls zusätzliche staatliche Kosten verbunden: C (π t ) = c . Ändert sich der Wechselkurs nicht, gilt für C: C (0 ) = 0 . Der Output der Volkswirtschaft wird mit einer um Erwartungen erweiterten Phillips-Kurve beschrieben: ( ) y = y + π −π e − ε . ε bedingte Schockvariable (Angebotsschock) mit Erwartungswert Null πe Exponent e Ausdruck für Erwartungen (2) Es wird weiter angenommen, dass ein Bereich k existiert, der zwischen dem staatlichen Outputziel und dem natürlichen Volkseinkommen liegt. Es gilt y~ − y = k > 0 . y (3) natürlicher Output Die staatlichen Behörden (Ermessensspielraum) wählen π mit dem Ziel aus, die Verlustfunktion (1) abhängend von (2) zu minimieren. Dabei wird der Kostenterm C ignoriert. ∂v t = 0. ∂π Daraus folgt für π: π= k + ε +πe . 1+ φ (4) Durch Einsetzen von (4) in Gleichung (2) ergibt sich die Höhe des Outputs 100 y=y+ k − φπ e − φε . 1+ φ (5) und der korrespondierende ex-post-Verlust ist v tE = ( ) 2 φ k +πe + ε . 1+ φ (6) Wird der Wechselkurs unter keinen Umständen freigegeben, gilt für den expost-Verlust: ( ) 2 v tR = k + π e + ε . (7) Ein Vergleich von Gleichung (6) und (7) zeigt deutlich, dass v tR > v tE . Ist das Ziel der Wechselkursverteidigung glaubhaft, dann kann π = 0 ex-post nicht als optimal angesehen werden. Jetzt werden die mit einer Wechselkursanpassung verbundenen Kosten C(π) seitens der staatlichen Behörden berücksichtigt. Vom festen Wechselkurs abzuweichen erscheint nur sinnvoll, wenn der Schock ε so groß ist, dass gilt: v tR − v tE > c . In diesem Fall wird die inländische Währung abgewertet. Die inländische Währung wird aufgewertet, wenn ε so gering ist, dass v tR − v tE > c . Eine Abwertung erfolgt, wenn ε > ε = c (1 + φ ) − k − π e . (8) Eine Aufwertung erfolgt analog, wenn ε < ε = c (1 + φ ) − k − π e . (9) Für Schockausprägungen ε ∈ [ε, ε ] 101 wird am fixierten Wechselkurssystem festgehalten. Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass das fixierte Wechselkurssystem unter den hier gemachten Annahmen gegen fast alle Schocks verteidigt wird. Die Zahlung von Abwertungs-/Aufwertungskosten wird zur Stabilisierung des Outputs gegenüber dem Instrument der Geldpolitik vorgezogen. Ausnahmen sind erhebliche absolute Schocks. Die rationalen Inflationserwartungen (Abwertung) für die nächste Periode gehen in die Erwartungen π e der Lohnverhandlungspartner ein: [ ] [ ] Eπ = E π ε < ε Pr (ε < ε ) + E π ε > ε Pr (ε > ε ) E Erwartungsoperator Pr Wahrscheinlichkeit (10) Gleichungen (8) und (9) - also ε und ε - sind Funktionen der erwarteten Inflation. Diese Erwartungen determinieren die Inflationsrate, die für die staatlichen Behörden maßgeblich sind, den fixierten Wechselkurs zu verteidigen oder aufzugeben. Gleichzeitig gehen die Erwartungen in die Wahrscheinlichkeit einer Neuordnung des Wechselkurssystems ein. Die Erwartungsbildung ist ein wesentliches Merkmal der Modelle der 2. Generation. Verlustfunktion Es wird angenommen, dass die Wechselkurspolitik in Abhängigkeit von (δ − Eδ − u − k ) θ min L = δ 2 + 2 2 2 (1) gestaltet wird. L soziale Verlustfunktion δ Abwertungsrate der inländischen Währung Eδ erwartete Abwertungsrate u Schockvariable mit Erwartungswert Null und Varianz σ 2 102 k Störfaktor θ relatives Gewicht von Preisänderungen (Stellenwert, der Preisänderungen eingeräumt wird) Bis auf E werden alle Variablen in einer Periode realisiert. E basiert hingegen auf Informationen aus vorherigen Perioden. Folgen die staatlichen Behörden ungeachtet des aktuellen Zustandes der Volkswirtschaft einer Regel, hier der strikten Fixierung des Wechselkurses, gilt: δ = 0. Der private Sektor gestaltet seine Erwartungen entsprechend: Eδ = 0 . Aus Gleichung (1) ergibt sich: E LR = E LR σ2 +k2 . 2 (2) erwarteter Wert der Verlustfunktion, wenn die staatlichen Behörden dieser Regel folgen. Reagieren staatliche Behörden mit einem gewissen Ermessensspielraum auf den aktuellen Zustand der Volkswirtschaft und werden Erwartungen in das Handlungskalkül einbezogen, wird dies von den privaten Akteuren erkannt und entsprechend gestaltet sich die Erwartungsbildung: Eδ E = k . θ Für den erwarteten Wert der sozialen Verlustfunktion ergibt sich unter der vereinfachenden Annahme von θ =1 E LE = E LE σ2 + k2. 4 (3) erwarteter Wert der Verlustfunktion mit Ermessensspielraum 103 Gleichungen (2) und (3) illustrieren, dass ohne Schocks ( σ 2 = 0 ) die Verluste unzweifelhaft geringer sind, wenn entsprechend der festen Regel gehandelt wird. Eröffnet die staatliche Verhaltensregel aber keine Optionen für eventuell auftretenden Schocks, kann genutzter Entscheidungsspielraum mit Vorteilen verbunden sein. Für relativ zu k sehr hohe σ 2 ist E LE besser (niedriger) als E LR . Bei rationalen Erwartungen ist die Bindung an einen festen Wechselkurs nur glaubwürdig, wenn Abweichungen von der Regel (Ausstiegsklausel) mit Kosten verbunden sind und die Anreize einer Abwertung diesen Kosten gegenüberstehen. Die Behörden folgen der Regel, solange gilt: LR < LE + C C (4) Kosten einer Wechselkursfreigabe Für einen gegebenen Wert von C ist es für die Behörden schwierig, zu bestimmen, welchen Wert die Störung hat, die einen Ausstieg erlaubt. u Wert dieser Störung LR (u ) = LE (u ) + C (5) Private Marktteilnehmer bilden ihre Erwartungen hinsichtlich des Wechselkurses und eventueller Abwertungen zu Beginn der Periode, ohne zu wissen, wie die staatlichen Behörden agieren (Festhalten an der Regel oder Nutzung Ermessensspielraum). Private Akteure kalkulieren die Erwartungen mittels eines gewichteten Durchschnitts (gewichtet mit Wahrscheinlichkeiten) aus Eδ R = 0 und Eδ E > 0 . 104 Literaturverzeichnis Abiad, Abdul (2003): Early warning system: A survey and a regime-switching approach, IMF Working Paper WP/03/32. Arias, Guillaume, Ulf G. Erlandsson (2004): Regime switching as an alternative early warning system of currency crises – an application to South-East Asia, http://www.nek.lu.se/publications/workpap/Papers/WP04_11.pdf, Download: 17.02.2005. Aschinger, Gerhard (2001a): Währungs- und Finanzkrisen. Entstehung, Analyse und Beurteilung aktueller Krisen, München. Aschinger, Gerhard (2001b): Why do currency crises arise and how could they be avoided?, in: Intereconomics, No. 3, S. 152-159. Babutsidze, Zakaria (2005): On the predictability of currency crises, Central European University, http://www.merit.unu.edu/staff/babutsidze/Babutsidze2005.pdf, Download: 24.06.2006. Beckmann, Daniela, Lukas Menkhoff, Katja Sawischlewski (2005): Robust lessons about practical early warning systems, Discussion Paper No. 322, University of Hannover. Berg, Andrew, Catherine Pattillo (1999a): Are currency crises predictable? A test, in: IMF Staff Papers, Vol. 46(2), S. 107-138. Berg, Andrew, Catherine Pattillo (1999b): Predicting currency crises: The indicators approach and an alternative, in: Journal of International Money and Finance, Vol. 18, S. 561-586. Berg, Andrew, Eduardo Borensztein, Catherine Pattillo (2004): Assessing early warning systems: How have they worked in practice?, IMF Working Paper WP/04/52. Bordo, Michael D., Christopher M. Meissner (2005): The role of foreign currency debt in financial crises: 1880-1913 vs. 1972-1997, NBER Working Paper 11897. Bratsiotis, George J., Wayne Robinson (2004): Economic fundamentals and self-fulfilling crises: Further evidence from Mexico, in: Journal of International Money and Finance, Vol. 23, S. 595-613. Brüggemann, Axel, Thomas Linne (2002): Are the Central and Eastern European transition countries still vulnerable to a financial crisis? Results from the signals approach, BOFIT Discussion Papers 5/2002, Bank of Finland. Bussière, Matthieu, Christian Mulder (1999a): Political instability and economic vulnerability, IMF Working Paper WP/99/46. Bussière, Matthieu, Christian Mulder (1999b): External vulnerability in emerging market economies – how high liquidity can offset weak fundamentals and the effects of contagion, IMF Working Paper WP/99/88. Bussière, Matthieu, Marcel Fratzscher (2002): Towards a new early warning system of financial crises, Working Paper No. 145, European Central Bank. Bustelo, Pablo (1998): The East Asian financial crisis: An analytical survey, ICEI Working Papers No. 10/98, http://www.ucm.es/info/eid/pb/ICEIwp10.pdf, Download: 09.03.2004. 105 Bustelo, Pablo (2000): Novelties of financial crises in the 1990s and the search for new indicators, pre-print version, Artikel in: Emerging Markets Review, Vol. 1(3), S. 229-251. Chang, Roberto, Andrés Velasco (1998a): Financial crises in emerging markets: A canonical model, NBER Working Paper No. 6606. Chang, Roberto, Andrés Velasco (1998b): The Asian liquidity crisis, NBER Working Paper No. 6796. Chen, Chunchih (2005): How well can we predict currency crises? Evidence from a threeregime Markov-switching model, http://www.econ.ucdavis.edu/candidate_docs/38/JobMarketPaper.pdf, Download: 24.06.2006. Chinn, Menzie D. (1998): Before the fall: Were the East Asian currencies overvalued?, NBER Working Paper No. 6491. Chinn, Menzie D., Michael P. Dooley, Sona Shrestha (1999): Latin America and East Asia in the context of an insurance model of currency crises, in: Journal of International Money and Finance, Vol. 18, S. 659-681. Cho, In-Koo, Kenneth Kasa (2005): Model validation dynamics and endogenous currency crises, http://www.sfu.ca/~kkasa/crisis7.pdf, Download: 24.06.2006. Chui, Michael (2002): Leading indicators of balance-of-payments crises: A partial review, Working Paper No. 171, Bank of England. Cole, Harold, Timothy Kehoe (1996): A self-fulfilling model of Mexico’s 1994-1995 debt crisis, in: Journal of International Economics, Vol. 41, S. 309-330. Collins, Susan M. (2003): Probabilities, probits and the timing of currency crises, http://www.econ.duke.edu/smpe/Research/Collins.pdf, Download: 07.03.2005. Cornell, Christopher M., Raphael H. Solomon (2006): Are currency crises low-state equilibria? An empirical, three-interest-rate model, Bank of Canada Working Paper 2006-5. Corsetti, Giancarlo, Paolo Pesenti, Nouriel Roubini (1998a): Paper tigers? A model of the Asian crisis, NBER Working Papers No. 6783. Corsetti, Giancarlo, Paolo Pesenti, Nouriel Roubini (1998b): What caused the Asian currency and financial crisis? Part I: A macroeconomic overview, NBER Working Paper No. 6833. Corsetti, Giancarlo, Paolo Pesenti, Nouriel Roubini (1998c): What caused the Asian currency and financial crisis? Part ll: The policy debate, NBER Working Paper No. 6834. Deutsche Bank (2002): Deutsche Bank Alarm Clock (DBAC): Forecasting exchange rate and interest rate events in emerging markets, Descriptive Manual Version 4, (erstellt von: Garber, Peter M., Robin L. Lumsdaine). Deutsche Bundesbank (1999): Zur Bedeutung von Fundamentaldaten für die Entstehung von Währungskrisen in Entwicklungs- und Schwellenländern, Monatsbericht (April), Frankfurt/Main, S. 15-28. Díaz-Alejandro, Carlos F. (1985): Good-bye financial repression, hello financial crash, in: Journal of Development Economics, Vol. 19(1-2), S. 1-24. 106 Disyatat, Piti (2001): Currency crises and foreign reserves: A simple model, IMF Working Paper WP/01/18. Disyatat, Piti (2004): Currency crises and the real economy: The role of banks, in: European Economic Review, Vol. 48, S. 75-90. Doolay, Michael P. (1997): A model of crises in emerging markets, NBER Working Paper No. 6300. Edison, Hali J. (2000): Do indicators of financial crises work? An evaluation of an early warning system, International Finance Discussion Papers No. 675, Board of Governors of the Federal Reserve System. Edison, Hali J. (2003): Do indicators of financial crises work? An evaluation of an early warning system, in: International Journal of Finance and Economics, Vol. 8(1), S. 11-53. Edison, Hali J., Cornelia H. McCarthy (1999): Perspectives on the financial crisis in Asia, in: Journal of International Money and Finance, Vol. 18, S. 495-500. Edwards, Sebastian (1997): The Mexican Peso crisis? How much did we know? When did we know it?, NBER Working Paper No. 6334. Effenberger, Dirk (2003): Frühwarnindikatoren für Währungskrisen. Eine theoretische und empirische Analyse unter besonderer Berücksichtigung institutioneller Faktoren am Beispiel Osteuropas, Berliner Beiträge zur internationalen Wirtschaftspolitik, Band 1 (Auszug), Berlin. Eichengreen, Barry (2001): International financial crises: Is the problem growing?, http://emlab.berkeley.edu/users/eichengr/research/holtfrerichfestschrift3.pdf, Download: 22.02.2005. Eichengreen, Barry (2002a): Financial crises and what to do about them, Oxford. Eichengreen, Barry (2002b): Predicting and preventing financial crises: Where do we stand? What have we learned?, http://emlab.berkeley.edu/users/eichengr/research/kielpreventionjm6-02.pdf, Download: 22.02.2005. Eichengreen, Barry, Andrew K. Rose, Charles Wyplosz (1994): Speculative attacks on pegged exchange rates: An empirical exploration with special reference to the European Monetary System, NBER Working Paper No. 4898. Eichengreen, Barry, Andrew K. Rose, Charles Wyplosz (1995): Exchange market mayhem: the antecedents and aftermath of speculative attacks, in: Economic Policy, Vol. 21, S. 251312. Eichengreen, Barry, Andrew K. Rose, Charles Wyplosz (1996): Contagious currency crises, NBER Working Paper No. 5681. Flood, Robert P., Peter M. Garber (1984): Collapsing exchange rate regimes: Some linear examples, in: Journal of International Economics, Vol. 17, S. 1-13. Flood, Robert P., Nancy Marion (1998): Perspectives on the recent currency crisis literature, NBER Working Paper No. 6380. 107 Flood, Robert P., Peter M. Garber, Charles Kramer (1995): Collapsing exchange rate regimes: Another linear example, NBER Working Paper No. 5318. Frankel, Jeffrey A. (2005): Contractionary currency crashes in developing countries, NBER Working Paper 11508. Frankel, Jeffrey A., Andrew K. Rose (1996): Currency crashes in emerging markets: An empirical treatment, International Finance Discussion Papers No. 534, Board of Governors of the Federal Reserve System. Fratzscher, Marcel (1998): Why are currency crises contagious? A comparison of the Latin American crisis of 1994-1995 and the Asian crisis of 1997-1998, in: Weltwirtschaftliches Archiv, No. 4, S. 664-691. Fratzscher, Marcel (2000): On currency crises and contagion, Paper No. 00-9, Institute for International Economics. Fuhrmann, Wilfried (2001): Wechselkursfixierung, Currency-Board-Systeme und Integration, in: http://www.EU-Integration.de (Stand 13. Sept. 2001), Download: 22.03.2005. Fuhrmann, Wilfried, Peter Herschel (2001): Eine wirtschaftspolitisch bedingte Währungskrise, in: www.makrooekonomik.de, Beitrag: W6, Stand: 1.12.2001, Download: www.makrooekonomik.de/elearning/texte/w6.pdf - am: 22.03.2005. Fuhrmann, Wilfried, Carsten Cepok (2003): Neue Entwicklungen in der Währungskrisentheorie, in: WISU, 1/03, S. 118-125. Furman, Jason, Joseph E. Stiglitz (1998): Economic crises: Evidence and insights from East Asia, in: Brookings Papers on Economic Activity, No. 1, S. 1-136. Gaytán, Alejandro, Christian A. Johnson (2002): A review of the literature on early warning systems for banking crises, Working Paper No. 183, Central Bank of Chile. Ghosh, Swati, Atish Ghosh (2002): Structural vulnerabilities and currency crises, IMF Working Paper WP/02/9. Goldfajn, Ilan, Rodrigo O. Valdés (1998): Are currency crises predictable?, in: European Economic Review, Vol. 42, S. 873-885. Goldman Sachs (1998): GS-Watch: A new framework for predicting financial crises in emerging markets, (erstellt von Ades, Alberto, Rumi Masih, Daniel Tenengauzer). Goldstein, Morris, Graciela L. Kaminsky, Carmen M. Reinhart (2000): Assessing financial vulnerability: An early warning system for emerging markets, Institute for International Economics, Washington, DC. Halcomb, Darrin, David Marshall (2001): A retrospective on the Asian crisis of 1997: Was it foreseen?, Chicago Fed Letter No. 161, The Federal Reserve Bank of Chicago. Hale, Galina, Carlos Arteta (2006): Currency crises and foreign credit in emerging markets: Credit crunch or demand effect?, http://www.stanford.edu/group/SITE/EM_pdf/hale.pdf, Download: 25.06.2006. Hausken, Kjell, Thomas Plümper (2002): Containing contagious financial crises: The political economy of joint intervention into the Asian crisis, in: Public Choice, 111, S. 209-236. 108 Hawkins, John, Marc Klau (2000): Measering potential vulnerabilities in emerging market economies, BIS Working Paper No. 91. Hellwig, Christian, Arijit Mukherji, Aleh Tsyvinski (2006): Self-fulfilling currency crises: The role of interest rates, http://www.econ.ucla.edu/people/papers/Hellwig/Hellwig338.pdf, Download: 24.06.2006. Herrera, Santiago, Conrado García (1999): A user’s guide to an early warning system of macroeconomic vulnerability for Latin American countries, Policy Research Working Paper No. 2233, The World Bank. Inoue, Atsushi, Barbara Rossi (2005): Monitoring and forecasting currency crises, http://www.econ.duke.edu/~brossi/crises.pdf, Download: 24.06.2006. Jeanne, Olivier (1997): Are currency crisis self-fulfilling? A test, in: Journal of International Economics, Vol. 43, S. 263-286. Kamin, Steven B. (1999): The current international financial crisis: How much is new?, in: Journal of International Money and Finance, Vol. 18, S. 501-514. Kamin, Steven B., Oliver D. Babson (1999): The contribution of domestic and external factors to Latin American devaluation crises: An early warning systems approach, International Finance Discussion Papers No. 645, Board of Governors of the Federal Reserve System. Kamin, Steven B., John W. Schindler, Shawna L. Samuel (2001): The contribution of domestic and external factors to emerging market devaluation crises: An early warning systems approach, International Finance Discussion Papers No. 711, Board of Governors of the Federal Reserve System. Kaminsky, Graciela L. (1999): Currency and banking crises: The early warning of distress, IMF Working Paper WP/99/178. Kaminsky, Graciela L. (2003): Varieties of currency crises, NBER Working Paper No. 10193. Kaminsky, Graciela L., Carmen M. Reinhart (1998): Financial crises in Asia and Latin America: Then and now, in: American Economic Review, Papers and Proceedings, Vol. 88(2), S. 444-448. Kaminsky, Graciela L., Carmen M. Reinhart (1999): The twin crisis: The causes of banking and balance-of-payments problems, in: The American Economic Review, Vol. 89(3), S. 473500. Kaminsky, Graciela L., Carmen M. Reinhart (2000): On crisis, contagion, and confusion, in: Journal of International Economics, Vol. 51(1), S. 145-168. Kaminsky, Graciela L., Sergio Schmukler (1999): What triggers market jitters? A chronicle of the Asian crisis, in: Journal of International Money and Finance, Vol. 18, S. 537-560. Kaminsky, Graciela L., Saul Lizondo, Carmen M. Reinhart (1997): Leading indicators of currency crises, IMF Working Paper WP/97/79. Kawai, Masahiro, Richard Newfarmer, Sergio Schmukler (2001): Crisis and contagion in East Asia: Nine lessons, http://econ.worldbank.org/files/2202_wps2610.pdf, Download: 11.03.2004. 109 Kittelmann, Kristina u.a. (2006): From transition crises to macroeconomic stability? Lessons from a crises early warning system for Eastern European and CIS countries, Kiel Working Paper No. 1269, The Kiel Institute for the World Economy. Krugman, Paul (1979): A model of balance-of-payments crises, in: Journal of Money, Credit and Banking, Vol. 11, S. 311-325. Krugman, Paul (1998): What happened to Asia?, http://web.mit.edu/krugman/www/disinter.html, Download: 14.04.2005. Krugman, Paul (1999): Balance sheets, the transfer problem, and financial crises, http://web.mit.edu/krugman/www/FLOOD.pdf, preliminary draft, Download: 14.04.2005. Kumar, Manmohan, Uma Moorthy, William Perraudin (2002): Predicting emerging market currency crashes, IMF Working Paper WP/02/07. Lahiri, Amartya, Carlos A. Vegh (2005): Output costs, currency crises, and interest rate defense of a peg, NBER Working Paper 11791. Leblang, David A. (2002): Political uncertainty and speculative attacks, http://socsci.colorado.edu/~leblang/pdfs/cwg02.pdf, Download: 22.03.2005. Leblang, David A. (2003): To devalue or to defend? The political economy of exchange rate policy, http://socsci.colorado.edu/~leblang/pdfs/isq03.pdf, Download: 22.03.2005. Lehman Brothers (2003): Lehman Brothers issues „Damocles” Index update, Press Release, Tokyo (16. December 2003). Lestano, Jan P. A. M. Jacobs (2004): A comparison of currency crisis dating methods: East Asia 1970-2002, CCSO Working Paper 2004/12, Department of Economics, University of Groningen. Lestano, Jan P. A. M. Jacobs, Gerhard H. Kuper (2003): Indicators of financial crises do work! An early-warning system for six Asian countries, CCSO Working Paper 2003/13, Department of Economics, University of Groningen. Lestano, Jan P. A. M. Jacobs, Gerhard H. Kuper (2005): Currency crises in Asia: A multivariate logit approach, CCSO Working Paper 2005/06, Department of Economics, University of Groningen. Lin, Chin-Shien u.a. (2006): A new approach to modelling early warning systems for currency crises: Can a machine-learning fuzzy expert system predict the currency crises effectively?, CIRJE Discussion Paper F-411, http://www.carf.e.u-tokyo.ac.jp/pdf/workingpaper/fseries/66.pdf, Download: 24.06.2006. Manasse, Paolo, Nouriel Roubini, Axel Schimmelpfennig (2003): Predicting sovereign debt crises, IMF Working Paper WP/03/221. Mariano, Roberto S., et al. (2002): Markov chains in predictive models of currency crises – with applications to Southeast Asia, PIER Working Paper 02-013. McKibbin, Warwick, Will Martin (1999): The East Asian crisis: Investigating causes and policy responses, http://econ.worldbank.org/docs/411.pdf, Download: 09.03.2004. Milesi-Ferretti, Gian Maria, Assaf Razin (1998): Current account reversals and currency crises: Empirical regularities, IMF Working Paper WP/98/89. 110 Miller, Victoria (1998): The double drain with a cross-border twist: More on the relationship between banking and currency crises, in: American Economic Review, Vol. 88(2), S. 439443. Mishkin, Frederic S. (1996): Understanding financial crises: A developing country perspective, NBER Working Paper No. 5600. Mishkin, Frederic S. (1999): Lessons from the Asian crisis, NBER Working Paper No. 7102. Mishkin, Frederic S. (2001): Financial policies and the prevention of financial crises in emerging market countries, NBER Working Paper No. 8087. Morgan Stanley Dean Witter (2001): An early warning system for currency crises, (erstellt von Kimbrough, Karin, Stephen Li Jen). Neal, Larry, Marc Weidenmier (2002): Crises in the global economy from tulips to today: Contagion and consequences, NBER Working Paper No. 9147. Nitithanprapas, Ekniti, Thomas D. Willett (2000): A currency crises model that works: A payments disequilibrium approach, Claremont Colleges Working Papers in Economics, No. 2000-25. Obstfeld, Maurice (1986): Rational and self-fulfilling balance-of-payments crises, in: American Economic Review, Vol. 76(March), S. 72-81. Obstfeld, Maurice (1994): The logic of currency crises, NBER Working Paper No. 4640. Obstfeld, Maurice (1996): Models of currency crises with self-fulfilling features, NBER Working Paper No. 5285. Oka, Chikako (2003): Anticipating arrears to the IMF: Early warning systems, IMF Working Paper WP/03/18. Osband, Kent, Caroline Van Rijckeghem (2000): Safety from currency crashes, in: IMF Staff Papers, Vol. 47(2), S. 238-258. Pasternak, Christoph (o.J.): The signals approach as an early warning system for currency crises. An application to transition economies – with special emphasis to Poland, http://econwpa.wustl.edu/eps/if/papers/0304/0304001.pdf, Download: 17.02.2005. Peltonen, Tuomas (2002): Are currency crises predictable? An application of panel estimation methods and Artificial Neural Networks, unfinished draft, European University Institute, San Domenico. Peltonen, Tuomas A. (2006): Are emerging market currency crises predictable? A test, Working Paper Series No. 571, European Central Bank. Pesenti, Paolo, Cédric Tille (2000): The economics of currency crises and contagion: An introduction, in: FRBNY Economic Policy Review, September, S. 3-16. Reagle, Derrick, Dominick Salvatore (2000): Forecasting financial crises in emerging market economies, in: Open Economies Review, Vol.11, S. 247-259. Rose, Andrew K. (1998): Constructing and using an early warning system: Methodology and an application to Korea, Report No. 27073, East Asia and the Pacific Region and Development Economics, World Bank. 111 Roubini, Nouriel, Brad Setser (2004): Bailouts or bail-ins? Responding to financial crises in emerging economies, Institute for International Economics. Sachs, Jeffrey D., Aaron Tornell, Andres Velasco (1996a): The Mexican Peso crisis: Sudden death or death foretold?, NBER Working Paper No. 5563. Sachs, Jeffrey D., Aaron Tornell, Andres Velasco (1996b): Financial crisis in emerging markets: The lessons from 1995, NBER Working Paper No. 5576. Salvatore, Dominick (2005): Robustness of forecasting financial crises in emerging market economies with data revision – a note, in: Open Economies Review, Vol. 16, No. 2, S. 209-216. Saxena, Sweta C. (2004): The changing nature of currency crises, in: Journal of Economic Surveys, Vol. 18, No. 3, http://www.pitt.edu/~ssaxena/papers/saxena_joes.pdf, Download: 25.06.2006. Schardax, Franz (2002): An early warning model for currency crises in Central and Eastern Europe, in: Focus On Transition 1/2002, S. 108-124, Österreichische Nationalbank. Schardax, Franz (2003): An early warning model for currency crises in Central and Eastern Europe, Capital Invest, Österreich. Schnatz, Bernd (1998): Makroökonomische Bestimmungsgründe von Währungsturbulenzen in „Emerging Markets“, Diskussionspapier 3/98, Volkswirtschaftliche Forschungsgruppe der Deutschen Bundesbank. Siebert, Horst (2002): An iron law of currency crises: The divergence of the nominal and the real exchange rate and increasing current account deficit, Kiel Working Paper No. 1106, Kiel Institute of World Economics. Stiglitz, Joseph E. (1999): Must financial crises be this frequent and this painful?, in: Agenor, Pierre-Richard u.a. (Hrsg.): The Asian financial crisis. Causes, contagion and consequences, Cambridge. Sutherland, Alan (2006): Currency crises and the term structure of interest rates, in: Open Economies Review, Vol. 17, S. 57-71. Sy, Amadou N. R. (2003): Rating the rating agencies: Anticipating currency crises or debt crises?, IMF Working Paper WP/03/122. Tornell, Aaron (1999): Common fundamentals in the Tequila and Asian crises, NBER Working Paper No. 7139. Velasco, Andres (1987): Financial and balance-of-payments crises, in: Journal of Development Economics, Vol. 27, S. 263-283. Vlaar, Peter J. G. (1999): Currency crises models for emerging markets, Research Memorandum WO&E nr. 595/9928, De Nederlandsche Bank. Vlaar, Peter J. G. (2000): Early warning systems for currency crises, BIS Conference Papers 8, S. 253-274, Bank for International Settlements. Wolf, Frank, Ed Pierce (o.J.): Early warning system for failing nations, http://papers.ssrn.com/abstract=282534, Download: 22.02.2005. Zhang, Zhiwei (2001): Speculative attacks in the Asian crisis, IMF Working Paper WP/01/189. 112 113