international economics

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INTERNATIONAL ECONOMICS
Research Paper
2006-01
Früherkennung von Währungskrisen
Möglichkeiten und Grenzen von Frühwarnsystemen
von
André Röser
Wilfried Fuhrmann
Universität Potsdam
August-Bebel-Str. 89, D-14482 Potsdam, Germany
Prof. Dr. W. Fuhrmann (Hrsg.), Department of Macroeconomics
Fax: +49-(0)331-977-3223: Email: [email protected]
www.uni-potsdam.de/u/makrooekonomie/index.htm oder www.makrooekonomie.de
ISSN 1433-920X
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis ...................................................................................... 3
Abbildungsverzeichnis ....................................................................................... 4
Tabellenverzeichnis ........................................................................................... 5
1
Einleitung .................................................................................................... 6
2
Theoretische Krisenmodelle...................................................................... 11
2.1
Definition des Begriffs Währungskrise ............................................... 11
2.2
Modelle der 1. Generation ................................................................. 13
2.3
Modelle der 2. Generation ................................................................. 16
2.4
Modelle der 3. Generation ................................................................. 19
2.4.1
Moral Hazard .............................................................................. 20
2.4.2
Illiquidität..................................................................................... 22
2.4.3
Kreditrationierung ....................................................................... 23
2.4.4
Generationsübergreifende Ansätze ............................................ 24
2.4.5
Contagion ................................................................................... 24
3
Variablen mit Frühwarnpotential ............................................................... 26
4
Empirische Frühwarnmodelle.................................................................... 36
4.1
Empirische Krisendefinition................................................................ 37
4.2
Empirische Ansätze ........................................................................... 44
4.2.1
„Signal“-Ansatz ........................................................................... 47
4.2.2
Ökonometrische Modelle (Probit/Logit-Regressionen) ............... 52
4.2.3
Struktureller Ansatz .................................................................... 59
4.2.4
Weitere Ansätze ......................................................................... 63
5
Prognosequalität ....................................................................................... 65
6
Zusammenfassung ................................................................................... 72
Anhang I:
Variablen in Frühwarnmodellen .................................................. 77
Anhang II:
Krisenmodell der 1. Generation ................................................. 84
Anhang III:
Krisenmodell der 2. Generation .................................................. 96
Anhang IV:
Staatliche Verlustfunktion ........................................................... 99
Literaturverzeichnis ........................................................................................ 105
2
Abkürzungsverzeichnis
BIP
Bruttoinlandsprodukt
EWS
Europäisches Währungssystem
EZB
Europäische Zentralbank
IWF
Internationaler Währungsfond
BIS
Bank for International Settlement
FDI
Foreign Direct Investment
IMF
International Monetary Fund
OECD
Organization for Economic Cooperation and Development
3
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Arten von Finanzkrisen................................................................ 12
Abbildung 2: Vergleich von Indikatormodellen ................................................. 46
Abbildung 3: Nicht-Linearität von Logit-Modellen ............................................. 55
Abbildung A1: Spekulative Attacke unter Sicherheit ........................................ 89
Abbildung A2: Logarithmierte Wechselkursrate ............................................... 91
Abbildung A3: Logarithmiertes Geldangebot.................................................... 92
Abbildung A4: Logarithmierte Reserven........................................................... 93
Abbildung A5: Spekulative Attacke und staatliche Reaktion ............................ 97
4
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Potentielle Krisenindikatoren ........................................................... 32
Tabelle 2: Symptome und Indikatoren von Finanzkrisen.................................. 33
Tabelle 3: Variablen in Frühwarnmodellen (ERW, FR, STV, KLR, BP, K) ....... 34
Tabelle 4: Empirisch relevante Variablen......................................................... 35
Tabelle 5: Einstufung der Intensität von Turbulenzen ...................................... 42
Tabelle 6: Krisendefinitionen ............................................................................ 42
Tabelle 7: „Signal“-Ansatz – Klassifizierung der Signale.................................. 48
Tabelle 8: Trade-off Problem optimaler Schwellenwerte.................................. 56
Tabelle 9: Null-Hypothesenmatrix .................................................................... 62
Tabelle A1: Variablen in Frühwarnmodellen (KSS, E, LK, BL, T, BM) ............. 77
Tabelle A2: Variablen in Frühwarnmodellen (BM, C, GG, HK, HG, KMP)........ 78
Tabelle A3: Variablen in Frühwarnmodellen (NW, OVR, V, Z, A, P) ................ 79
Tabelle A4: Variablen in Frühwarnmodellen (RS, KB, Sx, BF, R, Sz) .............. 80
Tabelle A5: Variablen in Frühwarnsystemen (MFR, GKR, LB, DB, MSDW, GS)
.................................................................................................................. 82
5
1 Einleitung∗
Eine zunehmende Kapitalmarktorientierung in Verbindung mit einem Risikomanagement im Anlage- und Investitionsbereich i.w.S. sowie Versuche der Krisenprävention durch einen neuen wachsenden Dienstleistungssektor mit fortwährenden Analysen, Monitoring, Ratings usw. sowie internationale Konsultationen, Koordinationen und Regulationssysteme kennzeichnen den Beginn des
dritten Jahrtausend.
Nach den Turbulenzen im Europäischen Währungssystem standen in den letzten Jahren verstärkt die Währungen einiger Schwellenländer („emerging markets“) im Mittelpunkt heftiger spekulativer Attacken. Diese waren verbunden mit
erheblichen Turbulenzen an den Devisenmärkten sowie gravierenden negativen
wirtschaftlichen, politischen und sozialen Auswirkungen auf die jeweiligen Länder. Die Turbulenzen waren nicht nur auf ein Land beschränkt, vielmehr konnte
eine in diesem Ausmaß bisher nicht bekannte Ausbreitung auch auf andere
Volkswirtschaften beobachtet werden. Insbesondere nach dem für einen großen Teil der internationalen Gemeinschaft, für Marktteilnehmer und für Ökonomen relativ überraschenden Ausbruch der Asienkrise (1997/98) ist die Frage
nach den wesentlichen Ursachen und Bestimmungsgründen von spekulativen
Attacken und Währungskrisen erneut in den Blickpunkt des allgemeinen Interesses gerückt. Die Verantwortung wird verstärkt spekulativen Kapitalbewegungen zugeschrieben, die von gesamtwirtschaftlichen Faktoren losgelöst Währungen unter Abwertungsdruck bringen. Dies würde bedeuten, dass Währungen,
unabhängig vom konkreten volkswirtschaftlichen Umfeld, nach dem Zufallsprinzip attackiert würden, auftretende Währungskrisen nicht vorhersehbar und damit auch nicht zu verhindern wären.
Angesichts hoher ökonomischer und sozialer Wohlfahrtseinbußen der von Währungskrisen betroffenen Volkswirtschaften, starker Belastungen für das interna-
∗
Die Verfasser danken für wertvolle kritische Kommentare insbesondere Herrn Prof. Dr. Man-
fred Weber und Herrn Robert Kirchner, M.A. sowie für finanzielle Förderung der Deutschen
Bundesbank, HV-Berlin.
6
tionale Währungssystem und der Abneigung von Investoren gegenüber Verlusten durch unerwartete Abwertungen von Währungen sind die Krisenprävention
und das Risikomanagement sowohl aus privater wie auch staatlicher Sicht von
zentraler Bedeutung. Um zukünftig Überraschungen und Wiederholungen
schwerwiegender Fehler zu vermeiden, wurden erhebliche Anstrengungen unternommen, um mit der Entwicklung empirischer Frühwarnmodelle die Prognose zukünftiger Währungsturbulenzen zu ermöglichen. 1 Die Aufgabe solcher
Frühwarnsysteme ist die frühzeitige Identifizierung makroökonomischer und
struktureller Defizite einer Volkswirtschaft, um korrigierende wirtschaftspolitische Maßnahmen einleiten zu können. Eine enge Verbindung von empirischer
Forschung und theoretischer Ursachenanalyse von Währungskrisen ermöglicht
die Auswahl von Variablen, die auf theoretischer Ebene als Erklärungsfaktoren
für den Ausbruch von Währungskrisen identifiziert werden. Diese Faktoren sind
eine Grundlage für nicht unmittelbar vorhersehbare, selbst erfüllende Spekulationen und Erwartungsänderungen der Marktteilnehmer. Im Mittelpunkt der
Frühwarnsysteme stehen Indikatoren, die die Krisenwahrscheinlichkeit einer
Währung und die Anfälligkeit der Volkswirtschaft beeinflussen und als Frühwarnindikatoren fungieren können.
Das vorliegende Papier zielt nicht auf eine Darstellung und Erklärung der vielen
unterschiedlichen Währungskrisen ab. Es gibt auch keine Übersicht über Monographien und Aufsätze zu Wechselkurssystemen und -krisen. Es analysiert
vielmehr die grundlegenden empirischen Frühwarnmodelle, indem sie die Möglichkeiten und Grenzen der Früherkennung von Währungskrisen2 herausarbei-
1
Die Entwicklung einer Vielzahl von Modellen und unterschiedlichster Ansätze zur Früherkennung von Währungskrisen durch internationale Organisationen, Zentralbanken, Privatbanken
und wissenschaftliche Institutionen ist Ausdruck des breiten Interesses. Siehe u.a. Abiad (2003)
für den Internationalen Währungsfond (IWF), Hawkins und Klau (2000) für die Bank for International Settlement (BIS), Vlaar (1999) für die Niederländische Zentralbank, Schnatz (1998) für
die Deutsche Bundesbank, Bussière und Fratzscher (2002) für die Europäische Zentralbank
(EZB) und Goldman Sachs (1998), Morgan Stanley Dean Witter (2001), Deutsche Bank (2002)
als einige Beispiele für private Institutionen.
2
Eine umfassende Analyse der Früherkennung mehrerer unterschiedlicher Krisenformen wird
im Rahmen dieser Arbeit nicht vorgenommen, obwohl Währungskrisen, Bankenkrisen, Schuldenkrisen, als nur einige Beispiele, eng miteinander verbunden sein können. Die Methodik zur
Vorhersage dieser Krisen unterscheidet sich jedoch nicht wesentlich voneinander. Die Konzentration auf eine spezielle Krisenform ist hinreichend, um generelle Probleme darzustellen.
7
tet. Ziel ist ein Einblick in relevante Prognoseansätze für Währungskrisen. Im
Mittelpunkt der hier vorgestellten Modelle und empirischen Ansätze stehen weitestgehend die Mexikokrise, die Krise des Europäischen Währungssystems und
die Asienkrise. Die nicht weniger schwerwiegenden Krisen in Russland (1998),
Brasilien (1999) und Argentinien (2001) sind nicht unmittelbarer Gegenstand
der im Rahmen dieser Arbeit analysierten Frühwarnsysteme. Gleichwohl gibt es
in der jüngeren wissenschaftlichen Debatte zahlreiche Versuche, auch die letztgenannten Währungsturbulenzen mittels der grundlegenden empirischen Frühwarnmodelle zu untersuchen bzw. zu ermitteln, inwiefern diese Frühwarnsysteme diese Krisen hätten prognostizieren können.
Die Formulierung einer neuen Krisentheorie und/oder die Konstruktion eines
eigenständigen Frühwarnsystems können an anderer Stelle erfolgen. Eine umfassende Überblicksdarstellung der Literatur ist nicht beabsichtigt und auch
nicht möglich. Generelle Kritik, Probleme und Schwächen bestehen bei allen
Frühwarnsystemen.
Die Konstruktion von Frühwarnmodellen zur Vorhersage von Währungsturbulenzen mit Hilfe geeigneter Variablen und Indikatoren sollte, basierend auf theoretischen Ursachenanalysen von Währungskrisen, erfolgen. Die Identifikation
unterschiedlicher Auslöser und Bestimmungsgründe für Währungsturbulenzen
kann einen Beitrag zur Klärung der Frage leisten, inwieweit selbst erfüllende
Erwartungen, panikartiges Verhalten und willkürliche Spekulationen Zufallsprodukte sind, oder ob auch diesen kaum prognostizierbaren Krisenursachen makroökonomische Fehlentwicklungen und wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen zugrunde liegen.
Das vorliegende Papier gliedert sich in 6 Kapitel. Im Anschluss an die Einleitung
wird im zweiten Kapitel anhand von theoretischen Krisenmodellen untersucht,
was Fundamentalfaktoren sind und welche Bedeutung ihnen für die Erklärung
von Währungskrisen beigemessen wird. Ausgehend von der Feststellung, dass
Ungleichgewichte oder Verzerrungen makroökonomischer Fundamentaldaten
Währungskrisen und Instabilitäten im Finanzsektor treten häufig simultan auf (Zwillingskrisen
oder „twin crises“). Die Zusammenhänge variieren und sind zum großen Teil länderspezifisch.
Auf gegenseitige Abhängigkeiten wird im Verlauf dieser Ausführungen noch näher hingewiesen.
8
selbsterfüllende Spekulationen und Erwartungsänderungen determinieren, lassen sich beobachtbare Variablen mit Prognosefähigkeit für zukünftige Krisen
auswählen. In Kapitel 3 werden die wichtigsten dieser relevanten Variablen dokumentiert und mögliche Zusammenhänge mit Währungsturbulenzen dargestellt. Grundlegende empirische Krisenmodelle und daraus abgeleitete Frühwarnmodelle werden im 4. Kapitel vorgestellt. Drei unterschiedliche empirische
Ansätze zur Analyse von Währungskrisen stehen im Mittelpunkt. Erstens die
„Signal-Methode“3, die das Verhalten ausgewählter Variablen gegenüber einem
vorher festgelegten Schwellenwert betrachtet. Überschreitet mindestens ein
Indikator diesen Wert, wird eine potentielle Krise signalisiert. Die zweite Methode 4 basiert auf einer Einteilung unterschiedlicher Länder und Zeitperioden in
zwei diskrete Zustände: eine Krisenperiode und eine „ruhige“ Periode. Unter
Einbeziehung einer Gruppe relevanter Indikatoren in eine Wahrscheinlichkeitsfunktion lassen sich Aussagen über die Möglichkeit eines Ausbruchs von Krisen
abschätzen. Die dritte Methode5 umfasst spezifische Ereignisanalysen mit dem
Ziel, strukturelle Beziehungen und Zusammenhänge zwischen partikularen Variablen und Währungskrisen herauszuarbeiten. Die Konstruktion von Frühwarnsystemen beinhaltet eine präzise Krisendefinition, einen Mechanismus zur Ermittlung der gewünschten Vorhersagen, die Festlegung des Stichprobenumfangs (Länderauswahl, Erhebungszeitraum) und der Datenfrequenz. Die detaillierte theoretische Darstellung verwendeter empirischer Methoden, eingesetzter
Variablen, wichtiger Erweiterungen und Ergänzungen ist Ausgangspunkt für die
Herausarbeitung der schließlich im 5. Kapitel zentralen Fragestellung der Relevanz der Frühwarnmodelle, d.h. die Prognosefähigkeit für zukünftige Krisen, die
wesentlich die Möglichkeiten und Grenzen beeinflusst.
Zur Auswertung stand ein teilweise sehr umfangreiches, teilweise aber auch
sehr begrenztes Literaturangebot zur Verfügung. Insbesondere Modelle privater
Banken und Institutionen sind öffentlich kaum zugänglich; hier besteht ein Informationsmangel, der vor allem auf wirtschaftliche Interessen zurückzuführen
3
Siehe u.a. Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997).
Siehe u.a. Frankel und Rose (1996), Eichengreen, Rose und Wyplosz (1995), Sachs, Tornell
und Velasco (1996a, 1996b).
5
Siehe u.a. Frankel und Rose (1996), Sachs, Tornell und Velasco (1996b).
4
9
ist. Für die Beantwortung der zentralen Frage dieser Arbeit wäre ein Einblick in
die praktische Anwendung von Frühwarnsystemen und die damit verbundenen
Erfahrungen privater Institutionen sowie ihrer Zielgruppen und Nutzer hilfreich.
Die nahezu unüberschaubare Vielzahl unterschiedlicher akademischer Studien
verdeutlicht hingegen einerseits das begründete wissenschaftliche und wirtschaftliche Interesse an Finanzkrisen. Andererseits wird ein fehlender Konsens
hinsichtlich der relevanten Krisenursachen, Variablen mit Vorhersagefähigkeit
und der anzuwendenden empirischen Methoden ersichtlich.
10
2 Theoretische Krisenmodelle
2.1
Definition des Begriffs Währungskrise
Der Begriff „Währungskrise“ wird in der wissenschaftlichen Literatur im Zusammenhang mit vielen wirtschaftlichen Szenarien der Vergangenheit keinesfalls
einheitlich und übereinstimmend verwendet. Sollen aber Währungskrisen identifiziert und prognostiziert werden, ist eine genaue Einordnung und Definition des
Begriffs erforderlich.
In der Literatur zu theoretischen Erklärungen von Währungsturbulenzen sind
nur Währungskrisen für fixierte Wechselkursregime definiert. Eine Krise wird
identifiziert als offizielle Abwertung oder Aufwertung oder als Wechselkursfreigabe einer Währung.6 Diese enge Definition beinhaltet ausschließlich erfolgreiche spekulative Attacken auf feste Wechselkursregime.
In der jüngeren Vergangenheit waren zunehmend Währungen betroffen, die
nicht formal fest an eine Ankerwährung oder einen Währungskorb gebunden
waren und stattdessen in einer festgelegten Bandbreite oder vollkommen frei
schwanken konnten. Außerdem können auch vollkommen flexible Währungen
Ziel zerstörerischer spekulativer Attacken sein. Geringe offizielle Abwertungen
in ruhigen Perioden müssen andererseits nicht zwangsläufig als Krisen definiert
werden. Der reale Wechselkurs kann so an volkswirtschaftliche Gegebenheiten
angepasst werden und Angriffspunkte für zukünftige Attacken werden verringert. Entscheidend sind letztendlich die Höhe der Abwertung und die Unterscheidung zwischen Währungskrisen als abrupte, diskrete Ereignisse und kontinuierlichen Wechselkursentwicklungen über mehrere Perioden.7
Diese enge Definition vernachlässigt ebenfalls, dass auch nicht erfolgreiche
spekulative Attacken durch den Verlust von Währungsreserven und/oder die
Erhöhung der Zentralbankzinssätze zur Verteidigung des Wechselkurses mit
erheblichen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden sind. Nicht erfolgreiche
spekulative Attacken verdeutlichen somit die Angreifbarkeit einer Volkswirtschaft.8 Die uneinheitliche Begriffsdefinition räumt einen gewissen Ermessens-
6
Vgl. Vlaar (2000), S. 253.
Ebd., S. 253.
8
Vgl. Effenberger (2003), S. 6. Auf die Festlegung einer eindeutigen Definition des Begriffs
„Währungskrise“ kann hier verzichtet werden. Das Anliegen dieser Arbeit ist eine Einschätzung
7
11
spielraum darüber ein, welche Ereignisse als Währungskrise bezeichnet werden. Eine Identifikation von Währungsturbulenzen nach einheitlichen Kriterien
fällt schwer.9
Eine Währungskrise ist nur eine spezielle, den Wertverlust der nationalen Währung betreffende Ausprägung einer Finanzkrise. Unter Finanzkrisen sind plötzliche, deutlich von durchschnittlichen Entwicklungen abweichende Verschlechterungen finanzieller Indikatoren oder ein erheblicher Preisverfall zu verstehen,
die gesamtwirtschaftliche Auswirkungen nach sich ziehen. Neben Währungs-,
Banken- und Schuldenkrisen werden neuerdings auch Finanzmarktkrisen (Krisen auf Vermögensmärkten) unter dem Begriff Finanzkrise zusammengefasst.10
Abbildung 1 zeigt eine Einordnung der Währungskrisen.
Abbildung 1: Arten von Finanzkrisen
Finanzkrise
makroökonomische
Krise
Währungskrise
staatliche
Schuldenkrise
systemische
mikroökonomische
Krise
Bankenkrise;
sonstige private
Schuldenkrise
Finanzmarktkrise
Quelle: Effenberger (2003), S. 6.
Die verschiedenen Krisenarten können aufgrund variierender Abhängigkeiten
gleichzeitig oder aufeinander folgend auftreten. Interdependenzen zwischen
der Möglichkeiten und Grenzen von Frühwarnsystemen, weniger die Entwicklung eines neuen
Krisenmodells und/oder Frühwarnsystems für Währungskrisen. Grundlegende Meinungsverschiedenheiten in der akademischen Literatur über Krisenursachen und variierende Frühwarnmodelle sind nur ein weiterer Ausdruck für die generell mit Währungskrisen verbundenen
Schwierigkeiten.
9
Vgl. Schnatz (1998), S. 6.
Die Konstruktion von Indikatoren, die Spannungen auf dem Devisenmarkt und Druck auf die
nationale Währung anzeigen, vereinfacht die Identifikation von Währungskrisen nach einheitlichen Kriterien. Allerdings gibt es wiederum Unterschiede, die im Abschnitt 4 im Zusammenhang
mit Frühwarnmodellen detailliert dargestellt werden. Die genaue empirische Definition der Währungskrise ist ein grundlegender Bestandteil der Frühwarnsysteme.
10
Vgl. Aschinger (2001a), S. 11.
12
Währungs- und Bankenkrise sind elementarer Bestandteil neuerer theoretischer
Modelle zur Erklärung von Währungsturbulenzen. Diese Modelle werden neben
traditionellen Theorien der 1. und 2. Generation im folgenden Abschnitt hinsichtlich fundamentaler und selbsterfüllender Erklärungsversuche dargestellt.
2.2
Modelle der 1. Generation
Die Grundlage für die Konstruktion von Frühwarnsystemen ist die empirische
Analyse der Bestimmungsgründe von Währungskrisen. Das Ziel ist die Erstellung eines Kataloges von Variablen, die sich im Vorfeld spekulativer Attacken
anders verhalten als in spannungsfreien Perioden. Theoretische Krisenmodelle
spekulativer Attacken ermöglichen die Identifikation dieser in Frage kommenden Variablen. Währungskrisentheorien werden hier im Hinblick auf prognostizierbare Indikatoren und empirische Implikationen umrissen.
Die sogenannten Modelle der 1. Generation11 betonen den Zusammenhang von
spekulativen Attacken und fundamentalen Ungleichgewichten. Die Zahlungsbilanzkrise (Währungskrise) ist die zwingende Folge einer mit politisch festgelegten festen Wechselkursen nicht kompatiblen Politik. Die zentrale Frage ist, wie
lange die Währungsreserven der Zentralbank ausreichen, um das fixierte
Wechselkursregime im Kontext einer expansiven Geld- und Fiskalpolitik zu verteidigen. In einem Modell mit perfekter Voraussicht wird die Zahlungsbilanzkrise
durch ein exogenes Budgetdefizit forciert, das mit einer Ausweitung der Geldmenge und inländischer Kreditexpansion finanziert wird. In einer offenen
Volkswirtschaft führt die Überschussliquidität zu einem ständigen Kapitalexport
und in Folge dessen zu einem Abfluss staatlicher Devisenreserven. Sind diese
erschöpft, kann die Zentralbank zur Stützung des fixierten Wechselkurses nicht
mehr an den Devisenmärkten intervenieren. Die Aufgabe des Wechselkursregimes wäre ein „natürlicher Kollaps“. Unter der Annahme der perfekten Voraussicht werden die Akteure den „natürlichen Kollaps“ nicht abwarten. Zur Vermeidung erheblicher Vermögensverluste wird mit einer oder mehreren spekulativen
11
Den Ausgangspunkt der modernen Theorie der Zahlungsbilanzkrise bilden die Modelle von
Krugman (1979) und die Erweiterung von Flood und Garber (1984). Im Anhang II wird ein theoretisches Modell der 1. Generation vorgestellt. Siehe ebenfalls Flood und Marion (1998) für eine
ausführliche und theoretisch orientierte Darstellung verschiedener Modelle, sowohl der 1. als
auch der 2. Generation.
13
Attacken ein vorzeitiges Ende des Wechselkursregimes provoziert.12 Wesentlich ist die von der Zentralbank geäußerte Bereitschaft zur Verteidigung des
Wechselkurses, solange ausreichend Reserven vorhanden sind. Die expansive
Geld- und Fiskalpolitik, die über sinkende Reserven zum Ausdruck kommt, verbunden mit anhaltenden Budgetdefiziten sind relevante Fundamentalvariablen,
die die Grundlage für empirische Forschungen zu Währungskrisen sind. Die
Höhe der Reserven ist ebenfalls ein Indikator. Länder mit geringen Reserven
sind anfälliger für spekulative Attacken.13
Die Erweiterung des Ausgangsmodells um den flexiblen Schattenwechselkurs 14 , der seitens der Spekulanten bzw. Marktteilnehmer mit dem fixierten
Wechselkurs verglichen wird, veranschaulicht die Motivation zu spekulativen
Attacken vor dem „natürlichen Kollaps“. Ein im Verhältnis zur Geldnachfrage
übermäßig steigendes Kreditvolumen führt zu einem steigenden Schattenwechselkurs (Abwertung). Ist der Schattenwechselkurs höher als der fixierte, folgt
entsprechend dem Arbitragekalkül und in Abhängigkeit von den verbliebenen
Reserven eine spekulative Attacke. 15 Die Wahrscheinlichkeit einer Attacke
steigt mit der Ausweitung des Kreditangebotes und mit der Erwartung eines
Anstiegs der zukünftigen Kreditvergabe. Als weitere grundlegende Indikatoren
für Währungskrisen können Fiskalvariablen (Fiskaldefizit in Relation zu Bruttoinlandsprodukt (BIP), Staatsausgaben in Relation zu BIP) und Finanzmarktvariablen (Kreditwachstumsrate, Wachstum der Geldmenge M2) herangezogen werden.16
Die Betrachtung der Auswirkungen einer übermäßigen realen Aufwertung der
Währung auf Devisenmarktturbulenzen ist eine Erweiterung des ursprünglichen
Modells in eine andere Richtung. Als Folge der realen Aufwertungen sinkt die
Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft, zurückgehende Exporte und steigende Importe führen zu steigenden Handels- und Leistungsbilanzdefiziten. Die
Deckung des Leistungsbilanzdefizits mittels zukünftiger Exporterlöse wird er12
Vgl. Fuhrmann und Cepok (2003), S. 118 f., Eichengreen, Rose und Wyplosz (1996), S. 6 ff.
Vgl. Eichengreen, Rose und Wyplosz (1994), S. 6 ff.
14
Hypothetischer Wechselkurs (determiniert durch ökonomische Fundamentaldaten, z.B. Einbeziehung der Inflation, Abweichungen von der Kaufkraftparität), der sich einstellen würde bei
Erschöpfung der Reserven (gleich Null) und Freigabe des zuvor fixierten Wechselkurses. Siehe
hierzu Collins (2003), S. 7 ff., Fuhrmann und Henschel (2001), S. 10 ff., Obstfeld (1994), S.
17 ff.
15
Vgl. Fuhrmann (2001), S. 12 f.
16
Vgl. Chui (2002), S. 11.
13
14
schwert.17 Der Abwertungsdruck auf die Währung steigt. Erscheint die Verteidigung einer bestimmten Parität nicht mehr vollkommen glaubwürdig und wird
von einer kommenden Krise (Abwertung der Währung) ausgegangen, steigen
die Lohnforderungen über die eigentliche Inflationserwartung hinaus. Dies ist
gleichbedeutend mit einer realen Aufwertung.18 Das Ergebnis der expansiven
Fiskal- und Geldpolitik ist die Erhöhung der Nachfrage nach handelbaren (Importe) und nicht handelbaren Gütern und der damit verbundenen Preiserhöhungen für letztgenannte Güter. Steigende Inflation determiniert die reale Aufwertung ohne entsprechenden volkswirtschaftlichen Hintergrund. Bestehen Unsicherheiten über die zukünftige Kreditpolitik und die Höhe der verbliebenen Reserven, sind steigende inländische Zinsen die Folge. Empirisch relevante Indikatoren sind externe Variablen (Entwicklung des realen Wechselkurses, Handels- und Leistungsbilanz) sowie inländische Zins- und reale Lohnsätze.19 Erklärungsansätze der 1. Generation betonen die Inkonsistenz zwischen politisch
festgelegten festen Wechselkursen und makroökonomischer Politik. Die Erwartungen der Marktteilnehmer basieren auf der Vermutung, dass ihre Handlungen
keinen Einfluss auf fiskalische Ungleichgewichte und das Kreditwachstum haben. Sie beeinflussen wirtschaftspolitische Entscheidungen nicht direkt, d.h.,
das politische Handeln ist exogen. Krisen, deren Erscheinungsbild mit Hilfe der
Modelle der 1. Generation erklärt werden kann, sind prognostizierbar.20 In Folge
der Entwicklung gesamtwirtschaftlicher Größen ist ein Kollaps unvermeidbar.
Der genaue Zeitpunkt der spekulativen Attacken bleibt allerdings durch die Einschränkung der ursprünglich perfekten Voraussicht unsicher.
Die lateinamerikanischen Krisenepisoden der frühen 80er-Jahre können mit
diesen Modellen erklärt werden. Die Währungsturbulenzen im Europäischen
Währungssystem (1992/1993) und in Mexiko (1994) konnten dagegen mit den
bisher existierenden theoretischen Ansätzen nicht hinreichend erklärt werden.
Diese Krisen bedeuteten eine Herausforderung für die Entwicklung neuer theoretischer Krisenmodelle.
17
Vgl. Pesenti und Tille (2000), S. 4.
Vgl. Schnatz (1998), S. 14 f.
19
Vgl. Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), S. 5 f., Eichengreen, Rose und Wyplosz (1994),
S. 8 f.
20
Siehe u.a. Schardax (2002), S. 108 f.
18
15
2.3
Modelle der 2. Generation
Die Ausgangslage vor den Krisen des Europäischen Währungssystems und in
Mexiko war einerseits gekennzeichnet durch sich teilweise verschlechternde
Fundamentaldaten21. Andererseits waren die Spekulationen überraschend und
plötzlich, auch wenn sich die Daten vorhersehbar und langsam verschlechterten. Die Kurzfristigkeit wird mit multiplen Gleichgewichten und selbsterfüllenden
Spekulationen erklärt.22 In den Modellen der 1. Generation sind die fundamentalen Daten entweder konsistent mit der Politik, oder eine Krise ist unvermeidlich. Gleiches gilt in Modellen der 2. Generation für extreme Werte. Die zu
Grunde liegenden Fundamentaldaten können in drei Stufen eingeteilt werden:
1. in den extrem guten Situationen oder Zuständen ist die Wahrscheinlichkeit einer Krise gleich Null, spekulative Attacken verursachen keine Krise
des Wechselkursregimes.
2. im relativ großen Zwischenbereich ist eine Krise möglich, die Daten sind
weder so stark, dass eine erfolgreiche Attacke unmöglich ist, noch so
schwach, dass Attacken unvermeidbar sind.23
3. in sehr schlechten Zuständen der Wirtschaft ist die Wahrscheinlichkeit
einer Krise gleich Eins, spekulative Attacken verursachen immer eine
Krise des Wechselkursregimes
Die makroökonomischen Fundamentalfaktoren sind beobachtbar und nicht irrelevant, sie determinieren die Zahl der möglichen Gleichgewichte und die Anfälligkeit der Volkswirtschaft.24 Währungskrisen sind das Ergebnis von Sprüngen
zwischen verschiedenen Gleichgewichtssituationen.
In den Modellen der 2. Generation wird das politische Handeln nicht mehr exogen, sondern endogen durch das Verhalten der Marktteilnehmer bestimmt. Die
strategische Interaktion zwischen aktuellen Ereignissen, Politik, Marktteilneh21
Die relevanten Daten unterschieden sich für die betroffenen Währungen. Der Mexikanische
Peso und die Italienische Lira waren überbewertet, Währungen wie der Französische Franc
hingegen gerieten unter Druck, da steigende Kosten im Zusammenhang mit hohen Arbeitslosenquoten zunehmend unvereinbar mit dem politischen Ziel der Wechselkursfixierung waren.
22
Vgl. Jeanne (1997), S. 263. Nach Obstfeld (1986) sind Zahlungsbilanzkrisen auch Ausdruck
selbst erfüllender Spekulationen und nicht ausschließliche Resultat kaum nachhaltiger Makropolitiken. Die Existenz multipler Gleichgewichte, jeweils mit einer unterschiedlichen Gruppe
öffentlicher Erwartungen verbunden, bildet die Grundlage für selbst erfüllende Spekulationen
und Währungskrisen. Siehe Obstfeld (1986), S. 77.
23
Vgl. u.a. Obstfeld (1995), S. 6 und Collins (2003), S. 8 ff.
24
Vgl. Obstfeld (1995), S. 3, Jeanne (1997), S. 265, Arias und Erlandsson (2004), S. 3 ff. und
Bratsiotis und Robinson (2004), S. 596 und S. 604 ff.
16
mern und Markterwartungen bedingt multiple Gleichgewichte und selbsterfüllende Krisen.25 In einem bestimmten Gleichgewicht ist der fixierte Wechselkurs
konsistent mit den Fundamentalgrößen. Plötzlich auftretende Erwartungsänderungen können zu Politikwechseln und zum Kollaps des Wechselkursregimes
führen, die Erwartungen der Spekulanten werden erfüllt. Ein ständiger Kreislauf
gegenseitiger Beeinflussung ist kennzeichnend für selbsterfüllende Krisen:
„This circular dynamic implies a potential for crises that need not have occurred,
but that do occur because market participants expect them to.”26
Das zentrale Charakteristikum der Modelle der 2. Generation ist eine rational
handelnde Regierung, die ihrem Wohlfahrtsmaximierungskalkül und einer Kosten-Nutzen-Analyse entsprechend selbst entscheidet, ob am fixierten Regime
festgehaltenen wird oder die Freigabe des Wechselkurses mit Anreizen verbunden ist.27 Die Erwartungen von Investoren und Agenten werden in die Entscheidung einbezogen. Die Formalisierung der Präferenzen der staatlichen Behörden ist zentrales Anliegen dieser Modelle. Untersucht werden Zusammenhänge zwischen internen (gesellschaftliche Wohlfahrt) und externen (Wechselkursziel) politischen Variablen. Kosten und Nutzen des Festhaltens an der Fixierung im Hinblick auf diese Variablen werden anhand einer Verlustfunktion28
gegenübergestellt.
Eine Vielzahl von makroökonomischen Variablen beeinflusst die Erwartungen
der Marktteilnehmer und das Kosten-Nutzen-Verhältnis politischer Entscheidungen. Hohe Arbeitslosigkeit ist mit enormen Kosten für eine Volkswirtschaft
verbunden und steigert den Anreiz zur Abwertung der Währung durch eine beschäftigungsorientierte Geldpolitik.29 Die Markterwartung einer Abwertung steigt
bei hoher Arbeitslosigkeit und der spekulative Druck nimmt zu. Maßnahmen zur
Abwehr spekulativer Attacken (steigende Zinsen) sind mit wohlfahrtsmindern-
25
Ein theoretisches Modell der 2. Generation siehe Anhang III.
Vgl. ebenfalls Pesenti und Tille (2000), S. 5 f.
26
Obstfeld (1994), S. 3
27
Vgl. Fuhrmann und Cepok (2003), S. 119. Eine Abwertung ist verbunden mit steigendem
Preisniveau und positiven Beschäftigungseffekten. Demgegenüber stehen Kosten der Neufixierung des Wechselkurses.
28
Die Entscheidung über Festhalten oder Aufgabe des festen Wechselkurses ist Resultat der
Minimierung dieser Verlustfunktion.
Eine mögliche Verlustfunktion wird in Anhang IV dargestellt.
29
Vgl. Furman und Stiglitz (1998), S. 34 ff. Obstfeld (1994) zeigt an den Beispielen Arbeitslosigkeit und den Kosten der öffentlichen Schuldenbedienung, wie sich der Druck auf eine Regierung hin zur Abwertung der Währung erhöht.
17
den Auswirkungen für die Volkswirtschaft verbunden. Sie belasten den Staatshaushalt weiter und erhöhen die Gefahr einer Rezession. Die Existenz erheblicher wirtschaftlicher Probleme (hohe Arbeitslosigkeit, angeschlagenes Bankensystem) verringert das Vertrauen in das Wechselkursziel der Regierung, und
die sinkende Glaubwürdigkeit ist mit weiteren Kosten und einer Verschlechterung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses verbunden. 30 Die öffentliche Verschuldung ist – wegen der Abwertungserwartungen bezüglich ihrer Reduzierung –
ein weiterer Indikator der Anfälligkeit einer Volkswirtschaft. Unerwartet steigende Zinsen im In- und Ausland verschlechtern die Situation der Banken. Dies
findet Ausdruck im Aktienkurs der Banken, dem Anteil „fauler“ Kredite und einem Einlagenschwund. Das Eingreifen der Zentralbank als letztinstanzlicher
Kapitalgeber (lender-of-last-resort) erhöht den Druck – durch eine Ausweitung
der Geldmenge – auf die Währungsreserven und damit die Wahrscheinlichkeit
einer Krise. Der Bankensektor ist demzufolge ein weiterer Indikator für die Krisenwahrscheinlichkeit.31 Weitere Indikatoren für eine Aufgabe der Parität und
entsprechende Erwartungen der Freigabe sowie spekulative Attacken sind politökonomische Variablen, z.B. Wiederwahl der Regierung. Hinzu kommen gesamtwirtschaftliche Umstände wie Arbeitslosigkeit, Inflation, Höhe und Struktur
der Verschuldung (insbesondere kurzfristig), Stabilität des Finanzsektors, realer
Wechselkurs, hohe Haushaltsdefizite und als zu gering bewertete Devisenreserven.32
Wird hingegen von der Beibehaltung der Parität ausgegangen, verharrt die
Volkswirtschaft im Ausgangsgleichgewicht. Die Wirtschaft kann von einem
Gleichgewicht zu einem anderen ohne kurzfristige Änderung der Fundamentaldaten „springen“. Veränderungen der gesamtwirtschaftlichen Umstände sind
nicht zwingende Voraussetzung für solche „Sprünge“. Minimale, nicht oder
schwer prognostizierbare Änderungen der Marktstimmung können ausreichend
sein. Währungskrisen sind, den Modellen der 2. Generation folgend, kaum vorhersehbar. Fundamentalökonomische Daten hingegen sind wesentlich für das
Szenario der generellen Anfälligkeit. Die Grundlagen von Krisen sind langfristi30
Vgl. Schnatz (1998), S. 15 f. Dieser „Teufelskreis“ erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Währungskrise.
31
Vgl. Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), S. 6 f., Obstfeld (1995), S. 12 ff.
32
Siehe dazu u.a. Flood und Marion (1998), S. 31 f., Mariano et al. (2002), S. 3, Collins (2003),
S. 10 und Fuhrmann (2001), S. 14.
18
ge Verschlechterungen der Fundamentaldaten in einem fixierten Wechselkursregime und nicht die selbsterfüllenden Spekulationen. Selbsterfüllende Marktstimmungen sind nicht denkbar unter willkürlichen Umständen. Das Auftreten
einer Krise und der genaue Zeitpunkt werden jedoch durch Spekulationen mitbestimmt.33
Mit den Modellen der 2. Generation können die näheren Bestimmungsgründe
der „Sprünge“ zwischen den Gleichgewichten und die Koordination der Erwartungen seitens der Spekulanten nicht erklärt werden. Auch wenn ein Investor
von der Nachhaltigkeit des Wechselkursregimes ausgeht, sind damit keine Garantien verbunden, dass auch andere Investoren offizielle Äußerungen in gleicher Weise interpretieren. Die bisher entwickelten Theorien konnten nicht wesentlich zur Vorhersage der Asienkrise (1997/1998) und zur Erklärung der Ursachen beitragen, da in den meisten betroffenen Ländern auf den ersten Blick
keine signifikanten Budgetdefizite und zu expansive Geldmengenpolitiken zu
beobachten waren. Hohe Inflation und Arbeitslosigkeit als Indikatoren fundamentaler und selbsterfüllender Krisen waren weitestgehend nicht zu beobachten, Konflikte der makroökonomischen Ziele nicht zu erkennen. Das zunehmend parallele Auftreten von Währungs- und Finanzkrisen (Zwillingskrisen) in
Schwellenländern und die rasante Ausbreitung der Währungsturbulenzen versuchen Modelle der 3. Generation zu erklären.
2.4
Modelle der 3. Generation
Im Zentrum der gegensätzlichen Modelle der 1. und 2. Generation steht staatliches Handeln. Währungskrisen in der jüngeren Vergangenheit waren eng verbunden mit Bankenproblemen34, so dass Banken in neuen Modellen als zusätzliche Akteure berücksichtigt werden. Fehlende oder ungenügende Bankenauf33
Vgl. Schardax (2002), S. 109 f. und Jeanne (1997), S. 265.
Schnatz (1998) verdeutlicht die Probleme für Frühwarnsysteme, die aus den theoretischen Ansätzen der 2. Generation folgen: „Dominieren sich selbsterfüllende Erwartungen … bei der Erklärung spekulativer Attacken, dann dürfte die Identifikation von Variablen mit Frühwarneigenschaften schwierig sein, da ein Sonderverhalten dieser Größen vor Währungsturbulenzen nur
eine notwendige, jedoch keine hinreichende Voraussetzung für eine Spekulative Attacke ist.
Hinreichend sind erst die entsprechenden Markterwartungen, die jedoch kaum zeitgerecht beobachtet werden können.“
34
Einige Zusammenhänge werden bei der Darstellung von moral hazard, Illiquidität und Contagion erläutert. Vertiefend siehe Miller (1998), Kaminsky (1999), Kaminsky und Reinhart (1999)
und Disyatat (2004).
19
sicht, angeschlagene Banken und Bilanzprobleme erschweren die Abwehr von
spekulativen Attacken durch die Zentralbank. Eine Erhöhung der Zinssätze zur
Verteidigung des festen Wechselkurses verschärft die Krise der Banken35 und
verdeutlicht nur teilweise die Zusammenhänge zwischen Währungs- und Finanzmarktkrisen. Als Ursachen fehlender Bankenstabilität und drohender Währungskrisen rücken Überschuldung privater Marktteilnehmer – begünstigt durch
moral hazard , Illiquidität privater Banken und Unternehmen – sowie die Ausbreitungsmechanismen von Krisen in den Mittelpunkt der theoretischen Modelle
der „3. Generation“. Sie verbinden fundamentale und selbsterfüllende Ansätze
mit Erweiterungen um mikroökonomische Elemente. Wesentliche fundamentale
Krisenursachen bisheriger Modelle können – ergänzt um Überschuldung und
Bilanzprobleme – weiterhin einbezogen werden.36 Die beobachteten Phänomene können sie allein allerdings nicht hinreichend erklären.
2.4.1 Moral Hazard
Eng verbunden mit Überinvestitionen, Überschuldung, unzureichendem Risikomanagement und der hohen kurzfristigen Fremdwährungsverschuldung sind
explizite und implizite staatliche Garantien. In Aussicht stehende Unterstützungszahlungen an den privaten Sektor (bail out – Beihilfen bei Insolvenzgefahren) haben eine zentrale Bedeutung.37 Die Risiken einer Währungskrise werden
nicht ausreichend in das wirtschaftliche Kalkül einbezogen, risikoreiche Strategien sind die Folge. 38 Eine nicht angemessene Bankenaufsicht und/oder die
Erwartung staatlicher Beihilfen führen zu unangemessenen Kreditvolumina. Ergebnis sind Investitionsblasen und Überschuldungstendenzen, einhergehend
mit einer steigenden Krisenanfälligkeit und der Erwartung von zukünftigen Vermögensverlusten. Spekulative Attacken sind damit unvermeidbar.39
Währungskrisen werden auch als Nebenprodukt von Bankenkrisen angesehen.
Die Auswirkungen einer Überschuldung zeigen sich bei externen Schocks, die
zum Verfall der Vermögenswerte führen können. Die wirtschaftliche Lage der
35
Vgl. Mishkin (1999), S. 4.
Siehe dazu Krugman (1998) und Corsetti, Pesenti und Roubini (1998b), (1998c).
37
Nationale und internationale Finanzhilfen (u. a. seitens des IWF) im Anschluss an vergangene Krisenepisoden ließen weitere Hilfen nach zukünftigen Krisen erwarten.
38
Vgl. Fuhrmann und Cepok (2003), S. 119.
39
Vgl. Fuhrmann (2001), S. 13 f., Corsetti, Pesenti und Roubini (1998a), S. 21 ff.
36
20
Banken verschlechtert sich, Bankenzusammenbrüche untermauern den Verfall
der Vermögenswerte. Moral hazard und selbsterfüllende Krisen zeigen die Gefahr fehlender transparenter Beziehungen zwischen staatlichen Behörden und
dem privaten Sektor sowie die Bedeutung einer politisch unabhängigen Zentralbank. Staatliche Garantien und bail-outs werden durch eine Ausweitung der
Geldmenge finanziert. Zahlungsbilanzkrisen (Währungskrisen) nach dem Ablaufschema, das aus den theoretischen Modellen der 1. Generation bekannt ist,
können die Folge sein. 40 Letztendlich sind staatliche Garantien und Beihilfen
nicht konsistent mit fixierten Wechselkursregimen41, denn politisch festgelegte
Wechselkurse implizieren geringe Währungsrisiken und fördern riskante Investitionen. Der Zusammenhang von moral hazard, daraus resultierenden Überinvestitionen und Immobilienblasen ist nicht zwingend. Andere, nicht geschützte
oder garantierte Investitionsformen boomten vor den Krisen in Asien ebenfalls.42 Die Bedeutung von moral hazard ist sehr umstritten, die Notwendigkeit
einer Bankenaufsicht und transparenter Strukturen bei der Kreditvergabe wird
hingegen ersichtlich. Zusätzliche Variablen mit Relevanz für die Früherkennung
werden im Zusammenhang mit Illiquidität, Krisenausbreitung (Contagion) und
Kreditrationierung identifiziert.
40
Krugman (1998) modelliert den Zusammenhang von Finanzintermediären und Garantien, der
die Anfälligkeit einer Volkswirtschaft für Währungskrisen erhöht.
41
Corsetti, Pesenti und Roubini (1998a) zeigen, dass implizite Garantien Banken zu übermäßiger Kreditaufnahme und -vergabe veranlassen. Dies repräsentiert ein „verstecktes“ Budgetdefizit. Ungesicherte Verbindlichkeiten des privaten Sektors repräsentieren eine „versteckte“ öffentliche Verschuldung. Die relativ guten Fundamentaldaten der betroffenen asiatischen Volkswirtschaften waren illusorisch; staatliche Garantien sollten demzufolge in der Budgetbilanz berücksichtigt werden. Siehe auch Pesenti und Tille (2000), S. 6 f. Bankenkrisen sind mit großen und
unerwarteten Verschlechterungen der Budgetposition eines Landes verbunden. Die drastischen
Veränderungen der öffentlichen Verbindlichkeiten unterstützen Abwertungserwartungen, der
Krisenmechanismus aus Modellen der 1. Generation setzt ein.
42
Vgl. Krugman (1999), S. 6. Für Immobilien und andere Vermögenswerte existierten keine
Garantien. Krugman weicht hier von seiner ursprünglichen Meinung ab (siehe Krugman (1998)).
Moral hazard ist zum Teil nicht relevant bzw. nicht zentrales Problem. Bilanzen privater Unternehmen, die Fähigkeit zu Investitionen und Kapitalflüsse mit Einfluss auf den realen Wechselkurs sind wesentliche Bestandteile seines neuen Modells (vgl. S. 3). Multiple Gleichgewichte
und Vertrauensverluste führen zu Transferproblemen. Eine Währungsabwertung hat negative
Auswirkungen auf die Bilanzen von Unternehmen. Dies führt zu sinkenden Investitionen und
neuen Ansatzpunkten für weiter abnehmendes Vertrauen. Das Bestreben der Politik, die reale
Abwertung zu begrenzen, hat sinkende Produktionsmengen zur Folge, zusätzliche Vertrauensverluste entstehen.
21
2.4.2 Illiquidität
Die Bedeutung potentiell illiquider Banken für das parallele Auftreten von Währungs- und Finanzkrisen steht im Zentrum eines weiteren theoretischen Ansatzes. Aufgrund wenig entwickelter Finanzmärkte spielen Banken in Schwellenländern eine zentrale Rolle. Der Zugang zu weltweiten Finanzmärkten ist im
Falle von Liquiditätsproblemen stark limitiert.43 Die Illiquidität eines Finanzsystems ist eng mit der Liberalisierung der Finanzmärkte verbunden. Sehr hohe
Kapitalzuflüsse aus dem Ausland – begünstigt durch international niedrige Zinsen, geringes Wechselkursrisiko infolge fixierter Regime und erfolgreiche ökonomische Entwicklungen – können von den Banken als Finanzintermediäre weitervermittelt werden. Ist der kurzfristige Anteil überdurchschnittlich, erhöhen
zusätzliche Schulden die Anfälligkeit der Banken. Eine Panik infolge von Vertrauensverlusten in die Stabilität des Systems seitens der Kreditgeber kann zu
einem selbsterfüllenden Ansturm auf die Banken und einen Kollaps der Währung führen.44 Eine Stabilisierung des Bankensystems und die Verteidigung des
Wechselkursregimes sind nicht kompatibel. Zur Unterstützung der Banken wäre
eine expansive Geldpolitik notwendig, um eine Erhöhung der Zinsen zu vermeiden und/oder Mittel als lender-of-last-resort zur Verfügung zu stellen. In jedem
Fall werden private Agenten die zusätzliche Geldmenge zum Kauf von Währungsreserven verwenden. Der Zusammenbruch des Währungsregimes wird
möglich.45
Schwache Fundamentaldaten (Überbewertung des realen Wechselkurses) und
Änderungen der externen Bedingungen (terms-of-trade, Weltzinssätze) sind
Variablen, die große Veränderungen der Vermögenswerte und wirtschaftlicher
Aktivitäten bewirken können. Der Übertragungsmechanismus ist das Finanzsystem.46 Langfristige ausländische Direktinvestitionen (FDI) in produktive Bereiche
erhöhen die Stabilität des Systems und verringern die Wahrscheinlichkeit einer
Krise, da sie kurzfristig nur mit Verlusten liquidierbar sind. Sie sind ein weiterer
Indikator für die Beurteilung der Anfälligkeit einer Volkswirtschaft.
43
Vgl. Chang und Velasco (1998a), S. 4 f.
Vgl. Eichengreen, Rose und Wyplosz (1996), S. 13 f. und Krugman (1999), S. 5.
Die Vermutung von Liquiditätsproblemen auch in anderen Ländern mit ähnlichen Strukturen
kann die Ausbreitung bzw. das Übergreifen der selbsterfüllenden Panik beschleunigen (siehe
Abschnitt Contagion).
45
Vgl. Chang und Velasco (1998b), S. 2 ff.
46
Ebd., S. 3.
44
22
2.4.3 Kreditrationierung
Neben Banken sind inländische Unternehmen Gegenstand von Modellen der 3.
Generation. Ausgehend von nicht vollständig entwickelten Kredit- und Kapitalmärkten in Schwellenländern ist der Zugang der Unternehmen zu heimischen
Kapitalmärkten eingeschränkt (rationiert). Der Anteil der Fremdwährungsverbindlichkeiten ist auf Grund ausweichender Verschuldung auf ausländischen
Märkten sehr hoch. Die Aktivitäten heimischer Banken als Finanzintermediäre
für ausländisches Kapital erhöhen die Fremdverschuldung zusätzlich. Bei Abwertungen der Währung steigt der Wert der Auslandsverbindlichkeiten. Dies
zieht entsprechende Bilanzeffekte nach sich. Ist der Wechselkurs so hoch, dass
eine Rückzahlung nicht mehr erfolgen kann, werden Investitionen und Produktionsvolumen eingeschränkt. Eine solche Überschuldungssituation führt zur Rationierung der ausländischen Kreditvergabe.47 Selbsterfüllend wird die Situation,
wenn in der nächsten Periode ein Nachfragerückgang erwartet wird. Über Zinsund Geldmarktmechanismen kommt es zur Abwertung der Währung. In der
Folge steigen die Fremdwährungsverbindlichkeiten, Investitionen werden eingeschränkt, das Produktionsvolumen geht zurück. Voraussetzung ist ein hoher
Anteil kurzfristiger Fremdwährungsverschuldung. Ist dieser Anteil gering, kann
die Krise nicht durch pessimistische Erwartungen ausgelöst werden.
Ein Indikator zur Identifikation der Krisenanfälligkeit ist somit die Zusammensetzung der Verschuldung, insbesondere der kurzfristige Anteil in Fremdwährungen.48 Es besteht kein Zielkonflikt zwischen Festkursregime und Wirtschaftspolitik. Nicht existierende oder nur geringe trendmäßige Verschlechterungen der
Fundamentaldaten sind nicht ausschlaggebend für eine Krise. Der Ausbruch
der Krise wird durch Erwartungsumschwünge forciert, so dass eine Krise kaum
vorhersehbar ist.49
Das Modell zeigt, dass die Fixierung des Wechselkurses nicht notwendige Voraussetzung für eine Krise ist. Unterentwickelte Kapitalmärkte sind bereits ausreichend, um Entwicklungen von Krisen zu beschleunigen. Flexibilität ist nicht
47
Hier besteht eine enge Verbindung zu Contagion-Modellen. Die Kapitalverluste in einer
Volkswirtschaft mit gleichen oder ähnlichen Strukturen können auf andere Länder übertragen
werden (siehe Abschnitt 2.4.5: Contagion).
48
Die Zusammensetzung der Verschuldung, insbesondere überproportionale Anteile kurzfristiger Fremdwährungsverschuldung, konnte schon im Zusammenhang mit Illiquidität als Frühwarnvariable identifiziert werden.
49
Vgl. Fuhrmann und Cepok (2003), S. 119 ff.
23
gleichbedeutend mit Sicherheit. Die Entwicklung von Frühwarnmodellen ist
dementsprechend auch für flexible Wechselkursregime sinnvoll.
2.4.4 Generationsübergreifende Ansätze
Trotz aller Unterschiede sind fundamentale Merkmale und multiple Gleichgewichte Bestandteile der Krisenmodelle der 3. Generation. Die generationsübergreifende Kombination der wesentlichen Merkmale impliziert eine gewisse Vorhersehbarkeit von Krisen, der genaue Zeitpunkt unterliegt allerdings noch immer selbsterfüllenden Erwartungen und ist nicht prognostizierbar.50
Erreicht der Schattenwechselkurs den fixierten Wechselkurs, wird in Modellen
der 1. Generation das Wechselkursregime bis zur Erschöpfung der Währungsreserven verteidigt. Der Zeitpunkt der Krise ist vorhersehbar. In einem neuen
Ansatz wählt die Regierung die optimale Höhe der Reserven von Periode zu
Periode aus. In die Minimierung der Verlustfunktion gehen Variablen wie Arbeitslosigkeit, der Zustand des Bankensystems, Produktionsmenge und im Zusammenhang mit der Krisenausbreitung wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen von Partnerländern ein.51
2.4.5 Contagion
Die bisher diskutierten Modelle konzentrieren sich auf unterschiedliche Krisenursachen in einem Land. Eine häufig gestellte Frage ist, warum der Schock in
einem Land zu ähnlichen Schocks oder Krisen in anderen Ländern führen kann.
Für die Ausbreitung52 der Krisen gibt es eine Vielzahl von Erklärungsversuchen.
Zwei Konzepte werden häufig genannt: (1) die auf fundamentalen Größen –
z.B. Handelsbeziehungen – basierende Ansteckung, erklärt mit Hilfe ökonomi-
50
Vgl. Chui (2002), S. 16.
Vgl Flood und Marion (1998), S. 32 f. Flood und Marion (1998), S. 34, sehen einen Vorteil in
der Kombination der Modelle: „It allows the first-generation models to pick up what we think is
the most important contribution of the second-generation models – state dependence of regime
commitment – in a simple and intuitive way.”
52
Nitithanprapas und Willett (2000), S. 13, formulieren eine einfache Begriffsdefinition in Anlehnung an Eichengreen, Rose und Wyplosz (1996): „The crisis contagion is defined as when a
crisis in one country increases the probability of a crisis in another country.” Diese Definition
verwenden auch Kaminsky und Reinhard (2000), S. 147. Detaillierte Darstellungen zum Thema
Contagion liefern Fratzscher (1998, 2000), Kaminsky und Reinhart (2000) und Hausken und
Plümper (2002).
51
24
scher und politischer Grundlagenvariablen und (2) das Übergreifen der Krisen
aufgrund von Paniken und „Herdenverhalten“. 53 Letztgenannte widerspiegeln
teilweise sich selbst erfüllende Spekulationen und Erwartungen. Daraus folgt,
dass die genaue Vorhersage des Krisenausbruchs illusorisch ist. Der Transmissionsmechanismus der Finanzmärkte verdeutlicht Informationsasymmetrien.
Sprunghafte Änderungen der Erwartungen müssen nicht in Beziehung zu den
tatsächlichen Fundamentaldaten und Verhältnissen anderer Länder stehen.
Einsetzende Panik als Phänomen (Herdenverhalten) führt zu einer Kapitalflucht
aus der gesamten Region und damit zur Ausbreitung der Krise.54
Bei Volkswirtschaften mit ähnlichen oder gleichen makroökonomischen Politiken und Verhältnissen führt die Krise in einem Land zur verstärkten Risikowahrnehmung der Investoren und Kreditgeber. Zunehmende Skepsis gegenüber der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung in anderen Ländern beeinflusst und verändert das eigene Verhalten.55 Der Transmissionskanal „Handel
und Integration“ verdeutlicht den Einfluss spekulativer Attacken auf die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Währungsabwertungen von Handelspartnern und Konkurrenten auf internationalen Exportmärkten sind externe Schocks
und senken die eigene Wettbewerbsfähigkeit56, der Druck auf die eigene Währung steigt dadurch. Eine weitere Erklärung sind externe Schocks (MonsunEffekt). Die Erhöhung der US-Zinssätze wirkt sich auf die US-Dollar-dominierte
Fremdwährungsverschuldung aus. Daraus folgt, dass internationale Zinssätze
ein Indikator der Früherkennung sein können. Eine sinkende internationale
Nachfrage aufgrund abflachender Konjunktur oder drastisch gesunkene Weltmarktpreise sind ebenfalls zusätzliche und beobachtbare Indikatoren.
Modelle der 1. Generation haben gezeigt, dass Länder mit schwachen Fundamentaldaten anfälliger für spekulative Attacken sind. Insbesondere ein kontinuierliches Haushaltsdefizit, finanziert durch eine Geldmengenausweitung, ist
nicht konsistent mit einem fixierten Wechselkursregime. Modelle der 2. Genera53
Vgl. Pesenti und Tille (2000), S. 8 f., Eichengreen, Rose und Wyplosz (1996), S. 3 und Nitithanprapas und Willett (2000), S. 13.
54
Vgl. Kawai, Newfarmer und Schmukler (2001), S. 3 f.
55
Vgl. Aschinger (2001b), S. 154 und Eichengreen, Rose und Wyplosz (1996), S. 3.
Zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit sind Abwertungswettläufe denkbar, private Investoren werden verstärkt ihr kurzfristiges Kapital abziehen.
56
Vgl. McKibbin und Martin (1999), S. 3 f., Kawai, Newfarmer und Schmukler (2001), S. 17 f.
25
tion verdeutlichen den Zusammenhang zwischen selbsterfüllenden spekulativen
Attacken und inkonsistenten wirtschaftspolitischen Zielen. Ausgangspunkt sind
wiederum schwache Fundamentaldaten.
„Thus under both types of model, the evolution or deterioration of various economic
fundamentals could be key indicators of an impending crisis, though its timing is
harder to predict.”57
Modelle der 3. Generation zeigen, dass neben schwachen Fundamentaldaten
Unsicherheiten im Finanz- und Unternehmenssektor wesentliche Krisenursachen sind. Ausgehend von den theoretischen Modellen wird nachfolgend das
Verhalten makroökonomischer Variablen und deren Relevanz als Frühwarnindikatoren untersucht.
3 Variablen mit Frühwarnpotential
Zur genauen Spezifizierung der unterschiedlichen Erklärungsansätze und anschließenden Konstruktion von Frühwarnsystemen kommt grundsätzlich eine
Vielzahl von ökonomischen Bestimmungsfaktoren in Betracht. Die Auswahl der
Indikatoren ist durch das Zusammenspiel von Banken- und Zahlungsbilanzkrisen, Ansteckungs- oder Ausbreitungseffekten, institutionellen Ausgestaltungen
von Währungsarrangements, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen
nahezu grenzenlos erweiterbar. Die ausgewählten Indikatoren in empirischen
Krisenmodellen sollen eine systematische ex-post-Analyse des Verhaltens vor
Währungs- und Bankenkrisen ermöglichen und Rückschlüsse auf zukünftige
Krisenszenarien erlauben. Eine Reflexion aller potentiellen Krisenursachen in
einem einheitlichen empirischen Modell ist nicht zu realisieren. Relevante Krisenursachen, Zusammenhänge und die Auswahl entsprechender Variablen
sind umstritten. Potentielle Variablen und Indikatoren können in vier grundlegende Kategorien eingeteilt werden:58
1. Variablen des externen Sektors
2. Variablen des Finanzsektors
3. Variablen des realwirtschaftlichen und öffentlichen Sektors
4. Variablen der globalen Wirtschaft
57
58
Chui (2002), S. 18.
Vgl. u.a. Kaminsky und Reinhart (1999), S. 483 ff. und Schnatz (1998), S. 17 ff.
26
Einige Variablen und mögliche Zusammenhänge werden entsprechend der Kategorien nachfolgend nochmals vorgestellt.59
zu 1: Variablen des externen Sektors
Realer Wechselkurs (WK/BK+)60
Die Veränderung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit wird vom realen
Wechselkurs 61 determiniert. Je stärker die Währung gegenüber dem Vorjahr
aufgewertet ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von Wettbewerbsnachteilen. Eine Überbewertung62 führt zu der Notwendigkeit und der Erwartung einer
Anpassung der Währungsrelation und impliziert eine gestiegene Anfälligkeit für
Finanzkrisen.
Exportwachstum (WK-)
Der Verlust von Wettbewerbsfähigkeit auf internationalen Gütermärkten kann
sich in einer Abschwächung des Exportwachstums niederschlagen. Ausschlaggebend ist eine Überbewertung der nationalen Währung. Ist ein sinkendes Exportwachstum nicht die Folge einer Überbewertung (eventuell Währungsabwertungen relevanter Wettbewerber), steigt ebenfalls der Abwertungsdruck. In beiden Fällen sind sinkende Wachstumsraten der Exporte ein grundlegender Indi-
59
Die Auswahl und Darstellung der Variablen folgen im wesentlichen den eingängigen Präsentationen von Lestano und Kuper (2003), S. 7 ff., Kamin, Schindler und Samuel (2001), S. 8 ff.
60
Anmerkung: WK repräsentiert Währungskrisen und BK repräsentiert Bankenkrisen. Positive
Zeichen weisen darauf hin, dass hohe Werte der Indikatoren gleichbedeutend mit einer höheren
Krisenwahrscheinlichkeit sind. Negative Zeichen weisen darauf hin, dass niedrige Werte der
Indikatoren gleichbedeutend mit einer sinkenden (niedrigeren) Krisenwahrscheinlichkeit sind.
61
Realer Wechselkurs: bilateral gegenüber US$, Yen oder € auf Basis der Konsumentenpreise.
62
Der reale Wechselkurs kann als Veränderungsrate oder als Abweichung vom Trend in empirische Modelle eingehen. Ein positiver Wert der Veränderung steht für eine reale Abwertung,
ein negativer Wert für eine reale Aufwertung. Die Einführung einer Trendvariablen eröffnet
Spielräume für die Berücksichtigung wirtschaftlicher Entwicklungs- und Aufholprozesse. Vgl.
Schnatz (1998), S. 18.
Als Ergebnis empirischer Studien ist die Überbewertung des realen Wechselkurses ein sehr
kontrovers diskutierter Indikator. U.a. Goldfajn und Valdés (1998), S. 876 ff. erkennen den realen Wechselkurs als einen guten Indikator. Siebert (2002), S. 1 ff., zeigt, dass nahezu alle Krisen der 90er Jahre durch eine Abweichung nominaler und (überbewerteter) realer Wechselkurse gekennzeichnet waren. Ebd., S. 3: „This seems to be an iron law of currency crises.“ Furman
und Stiglitz (1998), S. 36 ff., hingegen sehen den Koeffizienten Überbewertung im Verhältnis zu
Gleichgewichtswerten in Ländern mit geringen Reserven und schwachen Fundamentaldaten
nur marginal signifikant. Dies ist gleichbedeutend mit einer unbedeutenden Rolle für den Krisenausbruch in Asien. Dazu auf S. 39: „…the analysis of the real exchange rate makes it very
difficult to explain nominal devaluations well in excess of any estimate of real overvaluation.“
Hier wird ein generelles Problem der Früherkennung sichtbar: Krisen sind spezielle Einzelereignisse. Zwingende kausale Zusammenhänge sind theoretisch und empirisch kaum zu erfassen;
abweichende Modelle, Länderauswahl und Perioden können zu unterschiedlichen Ergebnissen
und Interpretationen führen.
27
kator für größere zukünftige Abwertungen. Eine einseitige Orientierung auf den
Exportsektor und die Vernachlässigung des Binnenmarktes ist ein strukturelles
Problem. Die Volkswirtschaft wird dadurch anfällig für externe Schocks und Krisen.
Importwachstum (WK+)
Reale Aufwertungen oder Überbewertungen verbilligen Importe und verteuern
Exporte. Steigende Importe und sinkende Exporte können zu einer Verschlechterung der nationalen Handels- und Zahlungsbilanzposition führen und waren in
der Vergangenheit oft mit Währungskrisen verbunden.63
Terms-of-trade (WK/BK-)
Die nationale Zahlungsbilanzposition wird durch steigende terms-of-trade (Exportpreise/Importpreise) verbessert, damit geht eine sinkende Krisenwahrscheinlichkeit einher.
Leistungsbilanz (WK/BK-)
Ein Anstieg des Verhältnisses der Leistungsbilanz zum BIP ist generell mit großen externen Kapitalzuflüssen, d.h. steigende Auslandsverschuldung, verbunden. Das inländische Bankensystem fungiert als Intermediär. Hohe, von kurzfristigen Anteilen dominierte Zuflüsse erleichtern die Entstehung von Aktien-,
Kredit- und Immobilienblasen. Die Rückzahlungsfähigkeit und die Kreditwürdigkeit nehmen ab. Leistungsbilanzüberschüsse induzieren eine nachlassende
Abwertungs- und eine damit verbundene abnehmende Krisenwahrscheinlichkeit.64
Reserven (WK/BK+)
Das Verhältnis der Geldmenge M2 (weites Geldmengenaggregat) zu den verfügbaren Zentralbankreserven ist Ausdruck der Abdeckung der Bankenverbindlichkeiten durch die Reserven. In der Krisensituation werden Individuen ihre in
inländischer Währung gehaltenen Depositen in Fremdwährungen umtauschen.
Die Höhe der Reserven und das Verhältnis der Geldmenge zu Reserven sind
ausschlaggebend für die Befriedigung dieser gestiegenen Nachfrage. Ist das
Bankensystem fragil, könnte die Zentralbank sich gezwungen sehen, mit den
verfügbaren Reserven neben der Geldbasis gleichzeitig andere liquide Einlagen
in ihrer Funktion als lender-of-last-resort decken zu müssen. Die Relation von
63
64
Vgl. u.a. Schnatz (1998), S. 18, Kamin und Babson (1999) S. 8
Vgl. u.a. Sachs, Tornell und Velasco (1996b), S. 15 ff., Siebert (2002), S. 1 ff.
28
Reserven zu Importen verdeutlicht, wie lange allein aus Reserven die Importe
finanziert werden können.65
Wachstum der Reserven (WK-)
Eine deutliche Abnahme der Reserven ist ein wesentlicher Indikator für die Erhöhung des Abwertungsdrucks. Sinkende Reserven sind nicht zwangsläufig mit
der Abwertung der Währung verbunden, aber auch eine erfolgreiche Verteidigung des Wechselkurses ist mit starken Verlusten verbunden. Vielen Krisen
gehen Perioden mit verstärkten Versuchen der Wechselkursverteidigung voraus. Der Umfang der Reserven (die absolute Höhe) ist ebenfalls ein Indikator
für wachsende Probleme der Schuldentilgung.
zu 2: Variablen des Finanzsektors
Wachstum M1 und M2 (WK/BK+)
Diese Indikatoren sind Maßeinheiten der Liquidität. Steigt das Risiko einer Währungskrise, vermindern sich die Anreize, inländische Zahlungsmittel zu halten.
Überdurchschnittlich hohe Wachstumsraten führen zu Überschussliquidität, dies
kann spekulative Attacken und anschließende Krisen begünstigen.66
Inländische Kredite (WK/BK+)
Sehr hohe inländische Kreditwachstumsraten können Indikator für die Fragilität
des Bankensystems sein. Das Verhältnis heimischer Kredite zum BIP steigt in
frühen Phasen von Bankenkrisen. Im Krisenfall kann sich die Zentralbank gezwungen sehen, das angeschlagene Bankensystem monetär zu stützen. Hohe
Wachstumsraten können aber auch Ausdruck einer übermäßig expansiven
Wirtschaftspolitik oder eines größeren Spielraums der Banken bei der Kreditvergabe in Folge von Deregulierungsmaßnahmen sowie erhöhten Transmissionen ausländischer Kapitalzuflüsse in den Bankensektor sein.67
Differenz inländischer und ausländischer Zins (WK/BK+)
Ein niedriges Zinsniveau in den Industrieländern begünstigt Kapitalzuflüsse in
Schwellenländer mit relativ hohen und für Investoren attraktiven Zinsniveaus.
Anschließende Zinssteigerungen in den Industrieländern können zu einer Umkehrung der Kapitalflüsse führen.
65
Vgl. u.a. Frankel und Rose (1996), S. 4, Schnatz (1998), S. 17 f.
Vgl. u.a. Schnatz (1998), S. 17.
67
Vgl. ebd., S.17.
66
29
Kurzfristige Kapitalzuflüsse (WK/BK+) und FDI (WK/BK-)
Exzessive Kapitalzuflüsse erhöhen die Krisenwahrscheinlichkeit, ausschlaggebend ist aber letztendlich ihre Zusammensetzung. Kurzfristige Zuflüsse können
jederzeit umgekehrt werden. Langfristige Investitionen (FDI) in den realen Sektor zur Ausweitung des Produktionspotentials und Verbesserung der Infrastruktur sind gegenüber Investitionen in den Konsum (staatlich und privat) und Portfolioinvestitionen zu bevorzugen. Zukünftige Rückzahlungsverpflichtungen können durch die Schaffung der Basis für künftige Exporterlöse besser abgesichert
werden. FDI ist eine stabilere Investitionsform, im Krisenfall ist ein schneller
Rückzug nicht ohne erhebliche Verluste möglich.68
Differenz Kredit- und Einlagenzins (WK+)
Das Ansteigen dieses Indikators über einen bestimmten Schwellenwert reflektiert eine Erhöhung der Kreditrisiken. Banken sind nicht gewillt, weitere Darlehen zu gewähren und weitere Kreditrisiken einzugehen. Daraus können Kreditrationierungen folgen.
zu 3: Variablen des realen und öffentlichen Sektors
Fiskalbalance (BK+)
Wachsende Fiskaldefizite können Ausgangspunkt für Leistungsbilanzdefizite,
reale Überbewertung der Währung und steigendes Geldmengenwachstums
sein. Die Wahrscheinlichkeit einer Krise erhöht sich, die Anfälligkeit für Schocks
und Erwartungsänderungen nimmt zu.69
Staatsverschuldung (WK/BK+)
Steigende Staatsverschuldung wird mit erhöhter Anfälligkeit für die Umkehr der
Kapitalzuflüsse und sinkende internationale Kreditwürdigkeit in Verbindung gebracht. Die Krisenwahrscheinlichkeit steigt damit also.
Industrieproduktion (WK-)
Je geringer das realwirtschaftliche Wachstum ausfällt, desto weniger wird die
Bereitschaft zu einer restriktiven Geldmengenpolitik bestehen. Eine Wachs-
68
Vgl. Frankel und Rose (1996), S. 6, Siebert (2002), S. 2, Sachs, Tornell und Velasco (1996b),
S. 15 ff.
69
Vgl. Sachs, Tornell und Velasco (1996b), S. 15 ff.
30
tumsschwäche kann andererseits die Importnachfrage senken und die Handelsbilanz verbessern. Rezessionen gehen nicht selten Finanzkrisen voraus.70
Aktienindizes (WK-)
Sind die Erwartungen richtig71, verdeutlichen die Börsenindizes die fragile gesamtwirtschaftliche Situation oder die Antizipation von Krisen. Platzende Aktienblasen gehen oftmals Finanzkrisen voraus.
Inflationsrate (WK/BK+)
Die Inflation ist assoziiert mit hohen nominalen Zinsraten. Sie kann so makroökonomisches Missmanagement provozieren.
zu 4: Variablen der globalen Wirtschaft
US Zinssatz (WK/BK+)
Steigende Zinssätze in Industrieländern erhöhen die Attraktivität von Anlagen in
diesen Ländern. Portfolioumschichtungen der Anleger und/oder die Abnahme
von Kapitalzuflüssen in „emerging markets“ sind zu erwarten. Angleichende
Zinserhöhungen hätten unerwünschte Auswirkungen auf die Inlandskonjunktur
und das einheimische Bankensystem. Der Einfluss ausländischer Zinsen deutet
darauf hin, dass auch Faktoren die Anfälligkeit vor Währungskrisen beeinflussen, die nicht von wirtschaftspolitischen Entscheidungsträgern in den später
betroffenen Krisenländern unmittelbar zu verantworten sind.72
Ölpreis (WK/BK+)
Steigende Ölpreise erhöhen die Gefahr von Rezessionen.
OECD BIP-Wachstum (WK/BK-)
Positive Wachstumsraten sind verbunden mit wachsender Importnachfrage in
den OECD-Staaten. Exporte aus „emerging markets“ steigen, dies senkt die
Wahrscheinlichkeit von Krisen (mitunter aber nur vorübergehend).
Die bisher genannten Indikatoren ermöglichen nur einen eingeschränkten Blick
auf potentielle Krisenursachen. Zusätzliche Variablen, Symptome, Zusammen-
70
Vgl. Schnatz (1998), S. 20.
Das Beispiel Asienkrise zeigt, dass die Märkte nicht zwangsläufig kommende Krisen antizipieren können. Die Währungsturbulenzen waren für einen Großteil der Marktteilnehmer und
Beobachter sehr überraschend und unerwartet.
72
Vgl. Schnatz (1998), S. 19.
71
31
hänge und Rückschlüsse auf theoretische Grundlagen werden in Tabelle 1 zusammengefasst.
Tabelle 1: Potentielle Krisenindikatoren
Kategorie
Variablen
Ergänzungen
Kapitalbilanz
Reserven, Kapitalflüsse (kurzund langfristig), FDI, Zinsunterschiede
Schuldenstruktur
staatliche Außenverschuldung,
private Schulden, kurzfristige
Schulden, Schuldendienst,
internationale Hilfen
realer Wechselkurs, Leistungsbilanz, Handelsbilanz, Exporte,
Importe, terms-of-trade, Exportpreise, Sparvolumen, Investitionen, regionale Handelsverbindungen
Diese Variablen stehen in
enger Beziehung zu theoretischen Modellen der 1. Generation.
Das Schuldenprofil verdeutlicht Liquiditätsrisiken und die
Nachhaltigkeit der Währungsreserven.
Leistungsbilanzvariablen sind
eng mit volkswirtschaftlichen
Fundamentaldaten verbunden.
Handelsverbindungen können
erklärende Variablen für Ansteckungseffekte (Krisenausbreitung) sein.
Exporte, Importe und terms-oftrade sind auch abhängig von
internationalen Variablen.
Unvollständige und/oder unkontrollierte Finanzmarktliberalisierung und fehlende
Transparenz sind eng mit dem
Problem moral hazard verbunden.
Leistungsbilanz
internationale Variablen
OECD BIP-Wachstum, Zinssätze, Preislevel
Finanzmarktliberalisierung
Kreditwachstum, Veränderungen des M2-Multiplikators,
reale Zinssätze, Differenz Kredit- und Einlagenzins
weitere Finanzvariablen
Kredite Zentralbank an Bankensystem, Geldmengenwachstum
reales BIP-Wachstum, Produktionsmenge, Beschäftigung
oder Arbeitslosigkeit, Lohnsätze, Aktienpreise
realer Sektor
Fiskalvariablen
Fiskaldefizit, Staatsausgaben
für konsumptive Zwecke, Kredite an staatlichen Sektor
politische Variablen
Indizes politischer Stabilität
(Wahlsystem, Zeitpunkt der
Wahlen, Stabilität der Regierung)
institutionelle Faktoren
Offenheit, Devisenmarktkontrollen, Dauer des Festkursregimes, Unabhängigkeit der
Zentralbank, wirtschaftliche
Strukturen und Verflechtungen
(fehlende Transparenz)
Quelle: Vgl. Chui (2002), S. 21 und eigene Ergänzungen
hauptsächlich basierend auf
Modellen der 1. Generation
Unterschiedliche, nicht kompatible makroökonomische Ziele
können multiple Gleichgewichte verdeutlichen.
ebenfalls hauptsächlich auf
Modellen der 1. Generation
basierend
maßgebliche Beeinflussung
der Erwartungen von Marktteilnehmern
32
Häufig treten Banken- und Währungskrisen gemeinsam oder aufeinander folgend auf. Einige Indikatoren mit Auswirkungen auf beide Krisenformen, Zusammenhänge und gegenseitige Abhängigkeiten werden in Tabelle 2 kurz verdeutlicht.
Tabelle 2: Symptome und Indikatoren von Finanzkrisen
Symptome
Indikatoren
Auswirkungen
übermäßige
Kreditaufnahme
M2-Multiplikator
inländische Kredite/BIP
Finanzmarktliberalisierung
Bankenansturm
Bankeinlagen
Geldpolitik
„Exzess“ M1
Leistungsbilanz
Exporte
Importe
terms-of-trade
realer Wechselkurs
Kapitalbilanz
Reserven
M2/Reserven
Zinsdifferenzen
realer Weltzinssatz
Fremdverschuldung
Kapitalflucht
kurzfristige Fremdverschuldung
Output
inländischer Zinssatz
Verhältnis Kredit- zu Einlagenzins
Aktienpreise
Banken- und Währungskrisen sind verbunden
mit schnellem Kreditwachstum; Grundlage ist
oftmals die Liberalisierung der inländischen
Finanzmärkte, verbunden mit einem Wegfall
von Restriktionen.
Banken- und Währungskrisen können durch
bank runs ausgelöst werden.
Nicht konsistente Geldpolitik kann eine Währungskrise verursachen. Abwertungen verschlechtern die Lage des Bankensektors,
eine Bankenkrise ist möglich.
Überbewertungen des realen Wechselkurses
und Wettbewerbsnachteile sind Teil einer
Währungskrise. Wettbewerbsverluste können
Rezessionen, Firmeninsolvenzen und die
Verschlechterung der Kreditqualität nach sich
ziehen.
Hohe Weltzinssätze beschleunigen Kapitalabflüsse. Kapitalbilanzprobleme nehmen zu,
wenn die Auslandsverschuldung hoch ist und
wachsende Kapitalflucht Probleme der Schuldenbedienung verdeutlicht. Überwiegen kurzfristige Anteile der Verschuldung (besonders
Fremdwährungsverschuldung), steigt die
Anfälligkeit für externe Schocks und Erwartungsänderungen.
Rezessionen und zerplatzende Aktienblasen
beschleunigen Finanzkrisen. Hohe Zinssätze
als ein Ausdruck für Liquiditätsprobleme verringern die Nachfrage der Wirtschaft nach
Krediten und fördern weitere Verschlechterungen der Bankenlage. Ein wachsendes
Verhältnis der Kreditvergabe gegenüber den
Einlagen verschlechtert die Kreditqualität.
Wirtschaftswachstum
Quelle: Kaminsky (1999), S. 9
Empirische Krisenmodelle und Frühwarnsysteme unterscheiden sich hinsichtlich der Auswahl und der Anzahl der als relevant angesehenen Variablen erheb-
33
lich. Die Zusammenstellung73 einiger Modelle und die Auflistung verwendeter
Variablen und Indikatoren in Tabelle 3 verdeutlicht diesen Umstand.
Tabelle 3: Variablen in Frühwarnmodellen (ERW, FR, STV, KLR, BP, K)
Autoren
ERW
FR
STV
KLR
BP
K
■
■
■
externer Sektor (Leistungsbilanz)
realer Wechselkurs
■
realer Wechselkurs (Trend)
■
Überbewertung Währung
■
■
(∆) Exportwachstum
■
■
■
■
(∆) Importwachstum
■
■
■
■
■
■
■
terms-of-trade
Leistungsbilanz/BIP
■
■
■
■
■
Handelsbilanz/BIP
externer Sektor (Kapitalbilanz)
M2/Reserven
(%∆) Wachstum Reserven
■
■
■
■
■
■
■
■
■
■
■
■
Reserven/Importe
Finanzsektor
Wachstum M1 und/oder M2
■
M2-Multiplikator
■
■
inländische Kredite/BIP
Fremdverschuldung(/BIP)
■
kurzfristige Verschuldung
■
■
■
kurzfristige Fremdverschuldung
■
private inländische Kredite/BIP
FDI/ Gesamtverschuldung
■
Portfoliostruktur
■
Struktur Kapitalzuflüsse
■
■
■
■
Zinsdifferenz In- und Ausland
■
■
■
Verhältnis Kredit- und Einlagenzins
■
■
■
Einlagen in kommerziellen Banken
■
■
■
■
■
■
inländischer realer Zinssatz
(inländisches) Kreditwachstum
■
■
■
realer u. öffentlicher Sektor
Inflation
■
Arbeitslosigkeit
■
Beschäftigungswachstum
■
∆ Lohnraten
■
BIP (Wachstum nominal/real)
■
∆ Börsenindex
■
■
73
Die Vielzahl verschiedener Modelle und Frühwarnsysteme, begrenzter Zugang (private Institutionen) und die Eingrenzung des Themas erlauben an dieser Stelle nur einen Einblick. Nicht
alle verwendeten Variablen (hauptsächlich politische und spezielle Finanzmarktvariablen), individuelle Definitionen und Indizes wurden bei der Auflistung in den Tabellen berücksichtigt. Weitere Studien sind in den Tabellen A1 bis A5 im Anhang zu finden. Die Reihenfolge der Autoren
und Modelle in den Tabellen unterliegt keinem speziellen Ordnungsschema.
34
Autoren
ERW
FR
STV
KLR
BP
K
■
■
■
Wachstum Industrieproduktion
■
öffentliche Verschuldung/BIP
Budgetdefizit/BIP
■
politische Variablen
■
■
Fiskaldefizit/BIP
■
globale Wirtschaft
US (Welt) Zinssatz
■
OECD BIP-Wachstum
■
■
Quellen: ERW: Eichengreen, Rose und Wyplosz (1995); FR: Frankel und Rose (1996); STV:
Sachs, Tornell und Velasco (1996a,b); KLR: Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997); BP: Berg
und Patillo (1999b), K: Kaminsky (1999).
Realer Wechselkurs (Trendabweichung), Leistungsbilanz (in Relation zum BIP)
und Reserven (Verhältnis M2 zu Reserven oder Wachstum) sind die am häufigsten einbezogenen Variablen. In theoretischen Modellen der 1. Generation
wurden diese Variablen als relevante und prognostizierbare Krisenursachen
identifiziert. Neben Exporten, Importen, dem inländischen Zinssatz und Kreditwachstum werden Börsenindizes bzw. Aktienpreise ebenfalls in vielen empirischen Modellen als Variablen herangezogen. Dies zeigt, dass, unabhängig von
der theoretischen Zuordnung der Krisen, schwache Fundamentaldaten für Währungsturbulenzen verantwortlich gemacht werden.
Tabelle 4: Empirisch relevante Variablen
reale Währungsaufwertung
FR
STV
KLR
BP
■
■
■
■
Verhältnis kurzfristige Verschuldung/Reserven
■
Verhältnis M2/Reserven
Kreditvergabe inländischer Banken
■
Reserven
Wachstum BIP
■
■
■
■
■
■
BM
V
■
■
■
■
■
■
■
■
■
Verhältnis Leistungsbilanz/BIP
Wachstum Exporte
K
■
■
■
■
Quelle: In Anlehnung an Bustelo (2000), S. 26 und eigene Erweiterung.
FR: Frankel und Rose (1996); STV: Sachs, Tornell und Velasco (1996b); KLR: Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997); BP: Berg und Pattillo (1999a); K: Kaminsky (1999); BM: Bussière
und Mulder (1999b); V: Vlaar (1999).
35
Allein die Verwendung dieser Variablen lässt jedoch keine Rückschlüsse auf die
empirische Relevanz und die Prognosequalität zu. In Tabelle 4 (Seite 34) werden, exemplarisch für ausgewählte Frühwarnmodelle, empirisch signifikante
Variablen aufgelistet.74 Die Zahl der empirisch relevanten Indikatoren ist zum
Teil wesentlich geringer ist als die Zahl der in den Frühwarnmodellen verwendeten Indikatoren. Zudem wurden am Beispiel eines überbewerteten realen
Wechselkurses voneinander abweichende Ergebnisse hinsichtlich der empirischen Signifikanz verdeutlicht.
Frühwarnmodelle unterscheiden sich neben der Zahl der verwendeten Indikatoren und voneinander abweichenden Interpretationen der empirischen Relevanz
hauptsächlich durch die zu Grunde liegende statistische und ökonometrische
Methodik. Grundlegende empirische Ansätze und Modelle zur Prognose von
Währungskrisen werden im folgenden Kapitel näher betrachtet.
4 Empirische Frühwarnmodelle
Frühwarnsysteme enthalten eine präzise empirische Definition der abhängigen
Variablen zur statistischen Erfassbarkeit von Währungsturbulenzen. Ebenfalls
notwendig ist die Festlegung des Ziels: Wird eine präzise Analyse vergangener
oder eine Prognose zukünftiger Krisen angestrebt, oder ist das Aufzeigen fundamentaler Schwächen der Volkswirtschaft als Anzeichen für mögliche Krisen
zentrales Anliegen? Ist das System generell geeignet, Vorhersagen zu generieren? Ausgehend von diesen Festlegungen und Fragestellungen ist der Mechanismus (die statistische oder ökonometrische Methodik) zur Beantwortung der
gestellten Aufgabe auszuwählen. Von theoretischen Modellen und der Verfügbarkeit und Frequenz von Daten ausgehend wird eine Gruppe von erklärenden
Variablen festgelegt, die die abhängige Variable beeinflussen und im Verhalten
vor Krisenperioden abweichen vom Verhalten in ruhigen Perioden. Die Länderauswahl (Stichprobenumfang), der zeitliche Rahmen der Beobachtung und ein
74
Im Rahmen der in Kapitel 4 vorgestellten Ansätze wird auf empirisch signifikante Variablen
nochmals eingegangen.
36
Prognosehorizont (Zeitspanne der Vorhersage) sind weitere wesentliche Bestandteile von Frühwarnsystemen.75
In Kapitel 2.1 wurde auf die bestehenden Schwierigkeiten einer einheitlichen
theoretischen Definition von Währungskrisen hingewiesen. Eine objektive, allgemein anerkannte empirische Krisendefinition ist ebenso nicht bekannt. Dieser
Umstand ist bei Vergleichen von Frühwarnmodellen zu berücksichtigen.
Gleichwohl wird in vielen Modellen ein vergleichbarer, nahezu einheitlicher Devisenmarktindikator oder Devisenmarktindex zur Messung und Feststellung von
Währungsturbulenzen/Währungskrisen herangezogen.
4.1
Empirische Krisendefinition
Zur ex-post-Identifizierung und -Datierung von Währungsturbulenzen können
zwei unterschiedliche Methoden angewendet werden. Die Sammlung turbulenter Ereignisse an den Devisenmärkten aus der vorhandenen Literatur bezieht
überwiegend nur erhebliche Abwertungen in die Betrachtung ein. Episoden mit
erfolgreicher Verteidigung des Wechselkurses werden nicht hinlänglich erfasst.
Das Verhalten von Variablen vor Währungsturbulenzen ist unabhängig 76 von
der letztendlichen Entscheidung zur Verteidigung des Wechselkurses. Die Einführung eines Devisenmarktindikators mit dem Ziel, den Druck auf eine Währung zu messen, bietet einige Vorteile. Ein Index77 kann auch Krisenepisoden
mit erfolgreicher Verteidigung systematisch diagnostizieren. Die unterschiedlichen Werte der Indizes ermöglichen Einstufungen in sich unterscheidende Krisenintensitäten.
Folgende Symptome bieten sich zur Konstruktion eines Indexes an:
1. Eine unvermittelte und außergewöhnlich starke Abwertung der Währung
(Inflationsbereinigungen sind möglich),
2. eine sprunghafte Abnahme der Währungsreserven und
75
Vgl. u.a. Edison (2000), S. 2, Gaytán und Johnson (2002), S. 2 ff., Lestano und Kuper (2003),
S. 3.
76
Relevante Variablen zeigen abweichendes Verhalten nicht nur vor der Aufgabe des fixierten
Wechselkurses. Eine letztendlich erfolgreiche Verteidigung der Parität ist ebenfalls mit Änderungen von Variablen verbunden.
77
Die Einführung von Devisenmarktindizes geht auf eine Reihe von Studien von Eichengreen,
Rose und Wyplosz (1994, 1995 und 1996) zurück.
37
3. abrupt steigende kurzfristige Zinssätze.78
Ist die spekulative Attacke erfolgreich, folgen Abwertung oder Freigabe des
Wechselkurses. Zur Abwehr spekulativer Attacken (exzessive Nachfrage nach
Reserven) können wirtschaftspolitische Behörden oder Institutionen mit einem
Verkauf von Reserven oder der Erhöhung der Zinsrate – um den Druck auf die
Währung zu reduzieren – antworten.79 Der Devisenmarktindex wird als gewichteter Durchschnitt der Veränderungen des Wechselkurses, der Reserven und
des Zinssatzes80 konstruiert. Die Indikatoren für diesen Index werden mit der
gleichen Standardabweichung gewichtet, so dass kein Indikator den Index dominieren kann.81
Devisenmarktindex82 (Exchange Market Pressure Index – EMP) in einem Land i
zum Zeitpunkt t:
EMP i ,t = [(α %∆ e i ,t ) + (β∆(i i ,t − i USA,t )) − (γ %∆ r i ,t )]
(1)
ei,t
Preis US$ in Währung Land i zum Zeitpunkt t
ii,t
kurzfristiger Marktzins in Land i zum Zeitpunkt t
iUSA,t
vergleichbarer Zinssatz in USA oder anderem Reverenzland zum
Zeitpunkt t
ri,t
Devisenreserven (ohne Gold) in Land i zum Zeitpunkt t
α, β und γ
Gewichtungsfaktoren (gleiche Standardabweichung der Faktoren)
%∆ei,t
prozentuale Abwertung der nominalen Wechselkursrate
∆(ii,t – iUSA)
Veränderung der Zinsdifferenz gegenüber risikoarmen Ländern
%∆ri,t
prozentuale Änderung des Devisenbestandes
78
Vgl. Schnatz (1998), S. 6 f.
Vgl. Eichengreen, Rose und Wyplosz (1996), S. 20 f.
80
Hier im Vergleich zu Variablen in den USA oder BRD, dem jeweiligen Referenzland.
81
Einfacher zu handhaben wäre ein ungewichteter Devisenmarkindex. Reserven, Wechselkurs
und Zinssätze unterliegen aber sehr unterschiedlichen Schwankungen. Der Indikator mit den
stärksten Schwankungen würde den Index dominieren und den Einfluss dieses Indikators überbewerten.
82
Die Darstellung folgt im wesentlichen Eichengreen, Rose und Wyplosz (1994), S. 14 f. und
Eichengreen, Rose und Wyplosz (1996), S. 20 f.
79
38
Ein steigender Wechselkurs und steigende Zinsen (jeweils positives Vorzeichen) im Inland erhöhen den Index, abnehmende Reserven (negatives Vorzeichen) verdeutlichen Aktivitäten der Zentralbank und erhöhen den Index ebenfalls. Überschreitet der Index einen vorher festgelegten Schwellenwert83, werden Währungskrisen definiert.
Krisei,t = 1, wenn EMPi,t > 1,5σEMP + µEMP
(2)
= 0, sonstige Werte
σEMP
Standardabweichung des Krisenindex in Land i,
µEMP
Mittelwert des Index
Dieser Ansatz ist mit einigen Problemen verbunden. Die Gewichtungen sind
willkürlich und unterliegen keinen fundierten theoretischen Festlegungen. Die
Länder- und Periodenauswahl ermöglichen Spielräume für abweichende Varianzen und Mittelwerte der Stichprobe. Der Index kann – durch das Verhältnis
M2/Reserven oder Inflation – erweitert oder – durch den Wegfall der Zinssätze
– verkürzt werden. Unterschiedliche Gewichtungsschemata sind ebenfalls
denkbar. Ungewichtete Indizes unterliegen dem dominierenden Einfluss der
Veränderungen der Reserven, extremen Werten in einigen Ländern und hohen
Schwankungen über die Zeit.84
Theoretische Grundlagen wurden ebenfalls angezweifelt:
„Immediately following the devaluation, however, domestic-currency interest rates
will fall back to the level of foreign-currency interest rates. Reserves … will flow
back into the domestic country to satisfy increased money demand. … two of the
three ERW indicators point in the wrong direction at the devaluation time.”85
Wird die Abwertung antizipiert (nach Krugman), dann können Veränderungen
der Reserven und der Zinsrate teilweise Änderungen der Wechselkursrate ausgleichen: positive ∆ri,t und negative ∆ii,t können positive Effekte von ∆ei,t auf den
Devisenmarktindex (Erhöhung) dämpfen. Der Index zeigt Erhöhungen des
Drucks auf eine Währung ex post an. Verzerrungen auf Grund eben geschilderter Effekte und der verzögerten Datenverfügbarkeit beeinträchtigen die Identifi83
Schwellenwert für EMP: 1,5fache Standardabweichung über Mittelwert der Stichprobe.
Vgl. Eichengreen, Rose und Wyplosz (1994), S. 15 f.
85
Flood and Marion (1998), S. 39 f. ERW ist die Kurzform für Eichengreen, Rose und Wyplosz.
84
39
kation der tatsächlichen Veränderungen. Die Auswahl extremer Schwellenwerte
kann so Krisen in der Stichprobe zunehmend als nicht prognostizierbar erscheinen lassen.86 Vergangene Episoden können identifiziert, zukünftige Krisen nur
begrenzt antizipiert werden. Die willkürliche Festlegung der Schwellenwerte
kann unter Umständen einen Regimewechsel oder Krisen nicht identifizieren.
Ist der Schwellenwert zu hoch und sind unterschiedliche Regime in der Stichprobe, dominieren stark volatile Regime die gesamte Stichprobe und Krisen in
schwach volatilen Volkswirtschaften werden nicht angezeigt.87
Die Einbeziehung kurzfristiger Zinssätze wird ebenso kritisiert. In Schwellenländern stellt sich auf Grund nicht vollständig liberalisierter Märkte und staatlicher
Eingriffe kaum ein Marktzins ein. Zudem ist die Datenverfügbarkeit für einige
Zeiträume sehr eingeschränkt. Krisenindizes anderer Studien, in denen überwiegend Schwellen- und Entwicklungsländer in die Stichprobe einbezogen sind,
werden – sofern keine Daten verfügbar sind – ohne kurzfristige Zinssätze berechnet.
Ein Kritikpunkt (kurzfristiger Zinssatz) wurde bei der Konstruktion eines geringfügig abweichenden Indexes berücksichtigt. Eine Krise ist jetzt definiert als Situation, in der spekulative Attacken auf eine Währung zu abrupten Abwertungen
führen und/oder internationale Devisenreserven stark abnehmen. Die Definition
bezieht erfolgreiche und nicht erfolgreiche spekulative Attacken ein und ist nicht
auf feste Wechselkursregime beschränkt. Die Krise wird wiederum ex post identifiziert durch einen für jedes einzelne Land der Stichprobe ohne Zinssätze konstruierten Devisenmarktindikator:88
EMP t = %∆ et − α 1%∆ r t
(3)
86
Vgl. Flood and Marion (1998), S. 40.
Vgl. Zhang (2001), S. 4 f.: Der Index von Eichengreen, Rose und Wyplosz zeigt keine weiteren Attacken im Abwertungszeitraum an (Philippinen) und konnte die Krise in Thailand (Mai
1997) auf Grund eines zu hohen Schwellenwertes nicht identifizieren.
Bei Kritik ist immer zu berücksichtigen, dass der Index zur Erklärung von Zusammenhängen der
Krise des Europäischen Währungssystems und für eine Länderauswahl von 20 Industrienationen entwickelt wurde. Die Nichtidentifikation anderer Krisen kann und muss nicht überraschen
und zeigt, dass empirische Modelle für eine bestimmte zurückliegende Krise nicht zwangsläufig
spätere Krisen erklären können.
88
Vgl. Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), S. 15 f. und in Anlehnung an erstgenannte siehe als ein Beispiel Edison (2003), S. 16 f.
87
40
EMPt
Exchange Market Pressure Index
et
Preis US$ oder € in lokaler Währung, bilateraler nominaler 89
Wechselkurs
rt
Reserven
α1
Verhältnis der Standardabweichung der Änderungsrate des
Wechselkurses zur Standardabweichung der Änderungsrate der
Reserven (σe/σr)
Die Gewichtung der Komponenten ist so gewählt, dass sie die gleiche bedingte
Varianz aufweisen. Der Index erhöht sich mit der Abwertung der Währung und
dem Verlust von Reserven. Dies verdeutlicht den zunehmenden Verkaufsdruck
auf die Währung. Perioden, in denen der Index über einem bestimmten Schwellenwert liegt, werden als Krise identifiziert:
Krise
= 1, wenn EMPi,t > 3σEMP + µEMP
(4)
= 0, sonstige Werte
σEMP , µEMP
Standardabweichung und Mittelwert der Stichprobe.
Die Kritik an einem zu hoch festgelegten Schwellenwert kann zum Teil durch
die Einführung unterschiedlicher Werte zur Messung der Krisenintensität entkräftet werden. Die willkürliche Festlegung der – wenn auch unterschiedlichen –
Schwellenwerte bleibt bestehen. Tabelle 5 (Seite 41) zeigt den Anteil, den der
reale90 Wechselkurs zur Erklärung des Indexes beiträgt. Liegt der Beitrag über
89
Die Krisenkriterien werden für Hochinflationsländer modifiziert. Die Verwendung eines einzigen Schwellenwertes würde Krisen in Perioden mit moderater Inflation nicht anzeigen, da der
historische Mittelwert und die Varianz dominiert werden von Episoden mit sehr hoher Inflation.
Aus diesem Grund erfolgt eine Einteilung der Stichprobe: Ist die Inflation in den zurückliegenden 6 Monaten höher als 150%, wird ein abweichender Schwellenwert (basierend auf anderem
Mittelwert und Varianz) für die Identifikation von Währungskrisen in Unterstichproben herangezogen.
90
Schnatz (1998), S. 7 f., sieht Vorteile des realen Wechselkurses gegenüber dem nominalen.
Die separate Betrachtung von Perioden und Ländern mit sehr hoher Inflation wird so nicht nötig.
Hohe Inflation ist mit teilweise beträchtlichen nominalen Abwertungen verbunden, die nicht notwendigerweise Ausdruck spekulativer Attacken und von Währungsturbulenzen sind. Schwankungen werden über die Gewichtung der Indikatoren korrigiert. Die Gewichtung erfolgt für jedes
Land. Vorteil: ungewöhnliche Schwankungen werden ausgeglichen und die tatsächliche Abweichung von der Norm erfasst. Eine Dominanz der am stärksten schwankenden Komponente wird
verhindert.
41
60%, kann von einer erfolgreichen spekulativen Attacke (Krise) ausgegangen
werden, unter 60% von einer nicht erfolgreichen Attacke. Die aufgeführten
Schwellenwerte (Vielfaches der Standardabweichung σ über dem Mittelwert)
sind Maße der Krisenintensität.
Der Vorteil ist, dass aufgrund zu hoher Schwellenwerte ursprünglich nicht einbezogene Krisen zusätzlich identifiziert werden können. Aufgrund zu niedriger
Schwellenwerte irrtümlich als Krisen bezeichnete Episoden können neu bewertet und eingeordnet werden.
Tabelle 5: Einstufung der Intensität von Turbulenzen
Krisenintensität
Abweichung
> 60%
< 60%
größer als 3σ
gravierende Krise
gravierende Attacke
schwerwiegende Krise
schwerwiegende Attacke
ernsthafte Krise
ernsthafte Attacke
zwischen 2σ und 3σ
zwischen 1,5σ und 2σ
unter 1,5σ
ruhige Periode
Quelle: Schnatz (1998), S. 9.
Empirische Krisendefinitionen unterscheiden sich hinsichtlich der verwendeten
Maßzahlen, Indizes und Schwellenwerte. In Tabelle 6 werden an ausgewählten
Beispielen aus der Literatur Unterschiede aufgeführt.
Tabelle 6: Krisendefinitionen
Autoren
Krisendefinition
b
Berg und Patillo (1999 )
Brüggemann und Linne
(2002)
Bussière und Fratzscher
(2002)
Collins (2003)
Edison (2000, 2003)
gewichteter Durchschnitt der Veränderungen der Wechselkursrate und der Reserven; Schwellenwert für Krise ist 3fache länderspezifische Standardabweichung über dem Mittelwert des
Devisenmarktindexes; separate Kalkulationen für Hochinflationsländer (>150% in 6 Monaten)
20% Abwertung gegenüber US$ in 6 Handelstagen
gewichteter Durchschnitt der Veränderung des realen Wechselkurses, der Reserven und der Zinsrate; Schwellenwert
2fache Standardabweichung über dem Mittelwert
gewichteter Durchschnitt der Veränderungen des Wechselkurses und der Reserven; Schwellenwert 3fache länderspezifische
Standardabweichung über dem Mittelwert; separate Kalkulationen für Hochinflationsländer (>150% in 6 Monaten)
gewichteter Durchschnitt der Veränderungen des Wechselkurses und der Reserven; Schwellenwert ist 2,5fache länderspezifische Standardabweichung über dem Mittelwert; separate
42
Autoren
Eichengreen, Rose und
Wyplosz (1996)
Ghosh und Ghosh (2002)
Hawkins und Klau (2000)
Herrera und García (1999)
Kamin, Schindler und Samuel (2001)
Kaminsky, Lizondo und
Reinhart (1997)
Kumar, Moorthy und Perraudin (2002)
Osband und Van Rijckeghem (2000)
Zhang (2001)
Krisendefinition
Kalkulationen für Hochinflationsländer (>150% in 6 Monaten)
gewichteter Durchschnitt der Veränderung des Wechselkurses,
der Reserven und der kurzfristigen Zinsrate; Schwellenwert
1,5fache Standardabweichung über dem Mittelwert
schwere Währungskrisen; gewichteter Durchschnitt der Änderung des Wechselkurses und der Reserven; Schwellenwert
>2fache länderspezifische Standardabweichung über dem
Mittelwert
Einteilung von -2 bis 2; basierend auf Änderungen des Wechselkurses, der Reserven und des realen Zinssatzes
ungewichtete Summe der Änderungen von Wechselkurs, Reserven und Zinsrate; Schwellenwert 1,5fache Standardabweichung über dem Mittelwert; separate Kalkulation für Hochinflationsländer
gewichteter Durchschnitt der 2monatlichen Änderung des realen Wechselkurses und der Reserven; Schwellenwert
1,75fache länderspezifische Standardabweichung über dem
Mittelwert; keine separate Kalkulation hoher Inflation
gewichteter Durchschnitt der monatlichen Veränderung des
Wechselkurses und der Reserven; Schwellenwert 3fache
Standardabweichung über dem Mittelwert; separate Betrachtung Hochinflationsländer
5% oder 10% Abwertung der Währung
Änderung Wechselkursrate >10% und größer als Mittelwert
plus 2fache Standardabweichung
separate Schwellenwerte für die Änderung der Wechselkursrate und der Reserven; Schwellenwerte 3fache Standardabweichung über Mittelwert (berechnet über einen beweglichen Zeitraum von 3 Jahren)
Quelle: In Anlehnung an Abiad (2002), S. 46 ff. und eigene Ergänzungen.
Niedrigere Schwellenwerte sind gleichbedeutend mit dem Anzeigen „schwächerer“ Währungsturbulenzen, höhere Schwellenwerte zeigen unter Umständen
diese schwachen Krisen nicht an.
Empirische Frühwarnmodelle wurden im Anschluss an neue Krisenereignisse
entwickelt, um – ausgehend von historischen Daten – diese Krisen zu erklären
und Schlüsse für zukünftige Krisen zu ziehen. Die zu Grunde liegende Krisendefinition ist für den anschließend zu prognostizierenden Tatbestand wesentlich. Vergleiche und Kritik sollten diese unterschiedlichen Definitionen berücksichtigen. Außerdem verdeutlichen die vorgestellten Devisenmarktindizes nur
einen kleinen Ausschnitt möglicher Zusammenhänge.91
91
Krisenindizes (die einbezogenen Variablen) basieren auf Annahmen theoretischer Modelle
der 1. Generation. Weitergehende Zusammenhänge können kaum erfasst und erklärt werden.
43
Die Einbeziehung zusätzlicher erklärender Variablen und Zusammenhänge zur
Vorhersage von Währungsturbulenzen wird durch weiterreichende empirische
Methoden in unterschiedlichen Ansätzen ermöglicht.
4.2
Empirische Ansätze
Empirische Frühwarnmodelle können drei Gruppen92 zugeordnet werden.
1. qualitative Vergleiche
2. ökonometrische Modelle
3. nicht-parametrische Schätzungen
Die Grenzen zwischen den Gruppen sind nicht immer deutlich herauszuarbeiten
und offensichtlich. Verschiedene Autoren von Studien kombinieren unterschiedliche Ansätze. Auch aus diesem Grund gibt es eine Vielzahl alternativer Einteilungen. Eine konsequente Zuordnung empirischer Frühwarnmodelle ist somit
schwierig.93
Qualitative Vergleiche94 untersuchen systematische Unterschiede des Verhaltens von Variablen in Perioden unmittelbar vor Krisen. Dieses Verhalten wird
verglichen mit ruhigen Phasen oder Kontrollgruppen (Volkswirtschaften), die
nicht von Krisen betroffen sind. Formale Tests zur Ermittlung der Prognosefähigkeit von Variablen werden nicht durchgeführt. Dies deutet einerseits darauf
hin, dass die Prognose zukünftiger Krisen nicht zentrales Anliegen der betreffenden Studien ist. Weitere Gründe sind den entsprechenden Publikationen
nicht zu entnehmen. Andererseits kann dies darauf hinweisen, dass es solche
Tests nicht gibt. Gibt es sie, kann aus Vereinfachungsgründen oder aufgrund
von Problemen mit der formalen Umsetzung auf sie verzichtet worden sein.
92
Vgl. Hawkins und Klau (2000), S. 2 und Goldman Sachs (1998), S. 2.
Alternative Einordnungen sollen nicht unerwähnt bleiben; Überschneidungen mit der oben
genannten Gruppierung sind möglich; Abgrenzungen oder Unterscheidungen können an anderen Stellen vorgenommen werden.
Collins (2003), S. 2 f., unterscheidet (1) Signalansätze, (2) die Verdeutlichung der Krisenwahrscheinlichkeit als limitiert abhängige Variable durch die Verwendung von Logit/Probit-Analysen
und (3) Verhaltensmodelle von Finanzkrisen (Regimewechsel-Modelle, „Markov-switchingModelle“). Peltonen (2002), S. 4, unterteilt in 3 Gruppen: (1) empirische Arbeiten, basierend auf
Modellen der 1. Generation: binäre Krisenvariablen werden durch ökonomische Fundamentaldaten erklärt, (2) Studien zu „Markov-switching-Modellen“ und (3) empirische Studien zur Krisenausbreitung (Contagion). Brüggemann und Linne (2002), S. 2 f., unterscheiden qualitative
Reaktionsansätze (Probit/Logit-Modelle) und Signalansätze. Schnatz (1998), S. 20 ff., unterscheidet parametrische und nicht-parametrische Tests, Ereignisanalysen und den Signalansatz.
94
Siehe als grundlegende Vertreter u.a. Eichengreen, Rose und Wyplosz (1994, 1995), Frankel
und Rose (1996) und den ersten Teil von Kaminsky und Reinhart(1999).
93
44
Vorstellbar ist ebenfalls, dass solche Tests das eigene Modell in Frage stellen
können und deshalb auf formale Tests verzichtet wird. Graphische Illustrationen
als individuelle Ereignisanalysen und des durchschnittlichen Verhaltens von
makroökonomischen Variablen über bestimmte Beobachtungszeiträume können dieser Gruppe ebenfalls zugeordnet werden.
Ökonometrische Modelle 95 umfassen Regressionsanalysen zur Messung des
Wechselkursdrucks oder Probit/Logit-Modelle96, die die Wahrscheinlichkeit von
Finanzkrisen als Funktion ökonomischer Fundamentaldaten ermitteln. Es kann
ebenfalls gezeigt werden, welche Indikatoren mit höheren Krisenwahrscheinlichkeiten verbunden sind. Zu dieser Gruppe werden auch Studien gezählt, die
theoretische Modelle mit Daten auf ihre Anwendbarkeit testen.97
Nicht-parametrische Schätzungen analysieren Variablen, die zur Signalisierung
potentieller oder bevorstehender Krisen geeignet sind. Es wird nicht mehr nur
das durchschnittliche, von normalen Perioden abweichende Verhalten vor allen
Episoden betrachtet, sondern jede Krisenepisode einzeln untersucht. Abweichungen von normalen Werten werden mit einem vorher festgelegten Schwellenwert verglichen. Liegen aktuelle Werte über diesen Schwellenwerten, signalisieren die Variablen eine potentielle Krisengefahr für einen ebenfalls vorher
festgelegten Zeithorizont.98
Unabhängig vom jeweils gewählten Ansatz gibt es überwiegend zwei Gemeinsamkeiten:
1. die Verwendung von Devisenmarktindizes zur Anzeige von Währungsdruck und Währungskrisen
2. die Verwendung von Daten für eine Ländergruppe, die eine bestimmte
Zeit vor großen internationalen Krisenepisoden repräsentieren.99
95
Siehe u.a. Corsetti, Pesenti und Roubini (1998a), Eichengreen, Rose und Wyplosz (1995),
Frankel und Rose (1996) und Milesi-Ferretti und Razin (1998).
96
Probit/Logit-Modelle: Die abhängige Variable (Währungskrise) wird als Wahrscheinlichkeit
berechnet bzw. geschätzt. Logit-Modelle: Es wird von einer identischen Wahrscheinlichkeitsverteilung ausgegangen, die Anwendung ist weniger aufwändig. Probit-Modelle: Geschätzte Wahrscheinlichkeiten sind normalverteilt, unterschiedliche Standardabweichungen sind möglich. Das
Modell ist realitätsnäher, im Anwendungsfall mit mehr als zwei Alternativen aber sehr rechenaufwändig.
97
Siehe als Beispiel Sachs, Tornell und Velasco (1996a, 1996b).
98
Vgl. Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), S. 9. Weitere Studien zu diesem Ansatz:, Kaminsky (1999), Goldstein, Kaminsky und Reinhart (2000) und Edison (2000, 2003).
99
Vgl. Chui (2002), S. 18 f. Chui (2002), S. 20 verwendet eine weitere alternative Einordnung
unterschiedlicher Ansätze von Frühwarnmodellen, die in Abbildung 2 dargestellt ist.
45
Abbildung 2: Vergleich von Indikatormodellen
∆% Abwertung
∆% Verlust Reserven
Index
Wechselkursdruck
(Index>Schwellenwert?)
binärer Krisenindex
ja, 1 - Krise
nein, 0 - keine Krise
diskreter Wahlansatz
(discrete choise)
Probit/Logit;
bedingte Wahrscheinlichkeit einer Krise verdeutlicht durch Kombination von Indikatoren
Signal-Ansatz
Minimierung
Noise-to-signal-Quotient
bei Festlegung Schwellenwert der einzelnen
Indikatoren; Krisensignale von individuellen Indikatoren
struktureller Ansatz
Querschnitts-Studien
einer Ländergruppe über
fixierte Zeitperiode
prognostizierte Wahrscheinlichkeit
> cut-off Wahrscheinlichkeit, Vorhersage
einer Krise
Gegenüberstellung
prozentualer Anteil
Fehlalarm, korrekter
Signale und nicht prognostizierter Krisen
Einstufung der Werte
außerhalb der Stichprobe; Berechnung der
Korrelation mit der aktuellen Rangfolge
anschließend out-of-sample Vorhersagen
(außerhalb des Stichprobenumfangs)
Quelle: Chui (2002), S. 20.
Ausgehend von diesen Gemeinsamkeiten verdeutlicht Abbildung 2 nochmals
drei unterschiedliche Ansätze, die anhand grundlegender Studien in den Abschnitten 4.2.1 bis 4.2.3 hinsichtlich der wesentlichen Methoden und auftretenden Probleme untersucht werden.
46
4.2.1 „Signal“-Ansatz
In der grundlegenden Studie100 wurden 76 Währungskrisen (identifiziert durch
den eigenen Krisenindex101) in 15 Entwicklungs- und 5 Industrieländern über
einen Zeitraum von 1970 bis 1995 untersucht. Ausgehend von theoretischen
Modellen und der Verfügbarkeit von Informationen auf monatlicher Datenbasis
wurden 15 Indikatoren102 ausgewählt, die geeignet erscheinen, durch abweichendes Verhalten vor Währungskrisen potentielle Krisengefahr zu signalisieren. Die Indikatoren in einem gegebenen Monat werden definiert als prozentuale Veränderung gegenüber dem Vorjahreswert. Dies ermöglicht eine internationale Vergleichbarkeit und Saisonbereinigung. Als Signalhorizont wurden –
ausgehend von der Erwartung besserer Prognosefähigkeiten in diesem Zeitraum – 24 Monate definiert. Ein Signal, dem innerhalb von 24 Monaten eine
Krise folgte, ist ein „gutes“ Signal, während ein Signal ohne anschließende Krise ein „falsches“ Signal („noise“) ist. Die Indikatoren zeigen Signale an, wenn
der aktuelle Wert über einen bestimmten Schwellenwert hinaus abweicht.
Die Festlegung der Schwellenwerte erfolgt mit dem Ziel einer Balance zwischen zu vielen falschen Signalen und dem Risiko, viele Krisen nicht anzuzeigen. Für jeden Indikator wird der optimale Schwellenwert103 mit dem Ziel ermittelt, das Verhältnis falscher Signale zu guten Signalen zu minimieren. Tabelle 7
(Seite 47) verdeutlicht ein Schema mit vier möglichen Zuständen.
100
Siehe Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997). Die folgende Darstellung orientiert sich an
der Originalstudie, vgl. S. 17 ff.
101
Siehe Kapitel 4.1, S.39, Formel (3).
102
Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), S. 16 f.: (1) internationale Reserven, (2) Importe, (3)
Exporte, (4) terms-of-trade, (5) Abweichungen des realen Wechselkurses vom Trend, (6) Differenz zwischen ausländischen und inländischen realen Zinssätzen für Einlagen, (7) „excess“
reale M1-Bilanz, (8) M2-Multiplikator, (9) Verhältnis inländischer Kredite zum BIP, (10) realer
Einlagenzinssatz, (11) Verhältnis Kredit- zu Einlagenzins, (12) Bestand an Einlagen in kommerziellen Banken, (13) Verhältnis weitgefasste Geldmenge zu Reservenbestand, (14) output-Index
und (15) Aktienpreisindex.
103
Vgl. Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), S. 17: Die Schwellenwerte werden kalkuliert
über den Quantilsrang für jede landestypische Verteilung der Beobachtungen einer Variablen.
Ein optimaler Schwellenwert für einen gegebenen Indikator, z.B. die Wachstumsrate der Importe liegt bei 80, bedeutet, dass ein Signal immer dann gesendet wird, wenn das Importwachstum
in einem Land zu den 20% der höchsten beobachteten Werte in diesem Land gehört. Das
Spektrum der Quantilsränge wird zwischen 10% und 20% festgelegt. Der optimale Schwellenwert der Quantilsränge der Indikatoren ergibt sich aus der Minimierung des Noise-to-signalQuotienten über die gesamte Länderstichprobe. Der optimale Quantilsrang ist für alle Länder
gleich, die korrespondierenden länderspezifischen Schwellenwerte unterscheiden sich.
47
Tabelle 7: „Signal“-Ansatz – Klassifizierung der Signale
24 Monate Frühwarnhorizont
Währungsturbulenz
keine Währungsturbulenz
Signal
A
B
kein Signal
C
D
Quelle: Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), S. 18.
Eine Variable sendet immer dann ein gutes Signal,
wenn der Schwellenwert überschritten wird und innerhalb von 24 Monaten Währungsturbulenzen folgen (A), sowie
wenn der Schwellenwert nicht überschritten wird und keine Turbulenzen folgen (D).
Fehlerhafte Signale werden katalogisiert, wenn
wenn der Schwellenwert überschritten wird (Signal gesendet) und innerhalb von 24 Monaten keine Turbulenzen (Fehlalarm, „noise“) folgen
(B), sowie
wenn der Schwellenwert nicht überschritten wird und Turbulenzen folgen (C).
Ein perfekter Indikator würde nur Signale A und D anzeigen, genauer ein Signal
in jedem Monat, auf das innerhalb des Zeitfensters von 24 Monaten eine Krise
folgt, so dass A>0 und C=0. Keine Signale werden angezeigt, wenn auch keine
Krisen folgen, so dass B=0 und D>0.104 Welche der Indikatoren hinsichtlich der
Prognosequalität besser oder weniger gut geeignet sind, kann durch einfache
Tests ermittelt werden, um anschließend eine Rangfolge der Indikatoren aufstellen zu können.
Die Tendenz individueller Indikatoren, gute Signale zu senden, lässt sich am
Verhältnis
A
(A + C)
(5)
104
Vgl. Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), S. 18. Ergebnisse: Jeder der Indikatoren signalisierte mindestens 50% der Krisen korrekt, im Durchschnitt aller Indikatoren wurden 70% der
Turbulenzen korrekt signalisiert (innerhalb der Stichprobe).
48
zeigen. Je höher der Wert des Quotienten, desto besser ist die Signalqualität.105
Die Tendenz der individuellen Indikatoren, schlechte Signale zu senden, lässt
sich am Verhältnis
B
(B + D)
(6)
zeigen. Je niedriger der Wert des Verhältnisses, desto besser ist der Indikator.
Informationen über die Fähigkeit des Indikators, gute Signale zu senden und
schlechte zu vermeiden, können durch einen „Noise-to-signal“-Quotienten
B
(B + D )
A
(A + C )
(7)
veranschaulicht werden.
Ein hilfreicher Indikator sollte möglichst selten „Fehlalarm“ auslösen und möglichst oft Signale senden, wenn Turbulenzen folgen. Eine bestimmte Variable
verdeutlicht eine fragile volkswirtschaftliche Lage besser, je mehr der Wert gegen Null tendiert.106 Die Ergebnisse werden herangezogen, um zu entscheiden,
welche Indikatoren von der Liste potentieller Variablen gestrichen werden sollten, da zu viele falsche Signale nicht hilfreich für die Krisenprognose sind.107
Diese ex-post-Ergebnisse lassen sich nicht prinzipiell generalisieren. Sie sind
aus der Betrachtung ausgewählter vergangener Episoden in einer eingegrenzten Länderauswahl abgeleitet und müssen nicht zwangsläufig auf zukünftige
Episoden und andere Volkswirtschaften zutreffen. Die ex-post-Prognosequalität
der Indikatoren ist keinesfalls durch perfekte Sicherheit gekennzeichnet. Falsche Signale oder nicht signalisierte Währungsturbulenzen zeigen schon an
dieser Stelle, dass die Möglichkeiten von Frühwarnsystemen sehr begrenzt
sind. Generelle Schwächen der wirtschaftlichen Lage und Fehlentwicklungen
105
Vgl. Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), S. 19.
Ein Wert von 100% setzt voraus, dass jeden Monat während der 24 Monate vor jeder Krise ein
Signal gesendet wird. Die höchste Prozentzahl möglicher guter Signale erreichte der reale
Wechselkurs mit 25 %, Importe mit 9% die geringste Prozentzahl.
106
Vgl. Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), S. 19: Der beste Indikator – Indikator mit dem
niedrigsten Noise-to-signal-Verhältnis – ist der reale Wechselkurs (0,19) und mit dem höchsten
Wert das Verhältnis Kredit- zu Einlagenzins (1,69).
107
Ebd., S.19. Für eine Auflistung der „besten“ Indikatoren für diese Studie siehe S. 37: realer
Wechselkurs, Exporte, Aktienpreise, Verhältnis M2/Reserven, die Höhe der Reserven und output.
49
einiger Fundamentaldaten und ein damit verbundener Anstieg der Krisenwahrscheinlichkeit bzw. Krisengefahr lassen sich aber verdeutlichen. Die Notwendigkeit für korrigierende wirtschaftspolitische Eingriffe kann gezeigt werden.
Der methodische Ansatz ist trotz seiner Popularität ebenfalls mit einigen Problemen verbunden. Sofern sich Ungleichgewichte über einen längeren Zeitraum
beobachten lassen und sich Reaktionsmöglichkeiten für nationale Behörden für
Kurskorrekturen eröffnen, werden zwar Signale angezeigt, die sich nach der
Korrektur aber als falsch erweisen (B in der Tabelle 6). Dies verschlechtert die
Qualität der Ergebnisse.108
Die „Signal“-Methode vermittelt weiterhin keine Informationen über die Dynamik
und die Dauer einer Krise. Hilfreich wären in dieser Hinsicht Aussagen über
Variablen, die die Wahrscheinlichkeit des Endes einer Krise erhöhen. 109 Die
Umwandlung der Variablen in binäre Variablen (Signal ja/nein) ist ebenfalls mit
erheblichen Informationsverlusten verbunden.110
Die Festlegung der Schwellenwerte erfolgt „willkürlich“ und im Ermessen der
Urheber der jeweiligen Studien. Daraus können sich Klassifizierungsfehler ergebenden. Ist der Schwellenwert zu hoch, können Perioden der Anfälligkeit in
einigen Ländern nicht berücksichtigt werden.111 Die Festlegung des Schwellenwertes anhand der Minimierung des Noise-to-signal-Quotienten ist ebenso umstritten. Der Quotient gibt nur die reine Proportion der falschen und guten Signale an, absolute Zahlenangaben erfolgen nicht. 112 Weiterhin wird kritisiert,
dass der optimale Quantilsrang für alle Länder identisch ist, d.h. indikatorspezi-
108
Vgl. Schnatz (1998), S. 34.
Die Qualität der Signale ist unabhängig von dem Signalzeitpunkt (1 oder 12 Monate) vor den
späteren Währungsturbulenzen. Dies verdeutlicht die Schwierigkeiten einer genauen zeitlichen
Prognose von Währungskrisen.
109
Vgl. Mariano et al. (2002), S. 5.
110
Vgl. Abiad (2003), S. 4, Bussière und Fratzscher (2002), S. 11. Liegt z.B. der relevante Wert
der Reserven 1%, 5% oder 10% über dem Schwellenwert, wird in allen Fällen die gleiche Information vermittelt, ein Signal gesendet. Oka (2003), S. 29, kritisiert, dass wichtige Informationen verloren gehen, wenn der Wert der Variable nur gering unter dem Schwellenwert liegt und
kein Signal gesendet wird.
111
Vgl. Mariano et al. (2003), S. 5 und Oka (2003), S. 14.
Im Zusammenhang mit Devisenmarktindizes wurden Spielräume bei der „willkürlichen“ Festlegung der Schwellenwerte ebenfalls deutlich. Willkürlich bedeutet aber nicht, dass die Festlegung jeglicher empirischer und theoretischen Grundlagen entbehrt. Vielmehr wird erheblicher
Ermessensspielraum sichtbar.
112
Vgl. Oka (2003), S. 14: Liegt das Noise-to-signal-Verhältnis bei 10%, kann dies 1 falsches
Signal von 10 oder auch 10 falsche Signale von 100 bedeuten.
50
fisch.113 Inwiefern dies ein Mangel des Ansatzes ist, bleibt fraglich bzw. ungeklärt, denn die Länderauswahl der Originalstudie umfasste nur Volkswirtschaften, die von einer oder mehreren Krisen betroffen waren. Individuelle, länderspezifische optimale Quantilsränge dürften nicht mit weiteren Informationen
verbunden sein, da fraglich ist, ob sie wesentlich vom optimalen Quantilsrang
für alle Länder abweichen. Außerdem wird aufgrund der landestypischen Beobachtungen der Schwellenwert der Variable länderspezifisch114.
Der bisher vorgestellte „Signal“-Ansatz betrachtet das Verhalten jeder einzelnen
Variablen unabhängig von anderen Variablen. Korrelationen untereinander
werden nicht berücksichtigt. Die Konstruktion eines zusammengesetzten Indikators 115 , der die Signale verschiedener Indikatoren aggregiert, kann nicht alle
Probleme beseitigen. Der Indikator als Ausdruck gewichteter Signale kann noch
immer nicht als Krisenwahrscheinlichkeit interpretiert werden, Korrelationen
nicht verdeutlichen und die Gewichtung der einzelnen Anteile kann nicht eindeutig bestimmt werden.
Ebenso ergeben sich mit der Anwendung des „Signal“-Ansatzes Schwierigkeiten hinsichtlich der Unterscheidungen kritischer Zonen oder Stadien einer
Volkswirtschaft. Eine Ursache ist die Verwendung binärer Variablen – über/unter Schwellenwert, Krise ja/nein – die nur eine sehr begrenzte Zustandsbeschreibung der wirtschaftlichen Situation ermöglichen. Außerdem vermittelt die
Methode unzureichende Informationen darüber, welche Variablen entscheidend
für kritische Situationen sind. Auch wenn Variablen für alle Länder als relevant
ermittelt wurden, können sich die Einflüsse auf potentielle Krisen in verschiedenen Ländern unterscheiden.116
Kritisiert wird auch, dass der „Signal“-Ansatz nicht auf stochastischen Modellen
basiert und somit eine Evaluierung mit Hilfe statistischer Tests nicht möglich ist.
Dies verringert die Vergleichbarkeit der Funktionalität der Methode mit anderen
Ansätzen.117 Diese Kritik betrifft sicher alle Frühwarnmodelle. Aufgrund unterschiedlichster empirischer Methoden und Krisendefinitionen, einer Vielzahl ver-
113
Vgl. Eichengreen (2002b), S. 3.
Vgl. Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), S. 17.
115
Siehe Schnatz (1998), S. 38 ff., Goldstein, Kaminsky und Reinhart (2000), S. 62 ff.
116
Vgl. Bussière und Fratzscher (2002), S. 11, Mariano et al. (2002), S. 5.
117
Vgl. Mariano et al. (2002), S. 5.
114
51
schiedener Variablen, ausgewählter Länder und Beobachtungszeiträume ist die
Vergleichbarkeit generell sehr eingeschränkt.
4.2.2 Ökonometrische Modelle (Probit/Logit-Regressionen)
Der vorgestellte „Signal“-Ansatz analysiert Krisensignale jedes einzelnen ausgewählten Indikators. Korrelationen zwischen den Variablen und zusammengefasste Aussagen über die Krisenwahrscheinlichkeit können mit der Anwendung
von Probit/Logit-Modellen besser generiert werden.
In einer grundlegenden Studie wurden Daten von 105 Entwicklungsländern 118
in einer Periode von 1971 bis 1992 ausgewertet, um Währungskrisen zu charakterisieren. Die Währungskrisen sind definiert als mindestens 25%ige Abwertung des nominalen Wechselkurses und weiterhin ein mindestens 10%iger Anstieg gegenüber dem Vorjahreswert. Diese Definition betrachtet nur erfolgreiche
spekulative Attacken. Der cut-off-Punkt von 25% ist willkürlich festgelegt.119 Die
abhängige Variable (Y = Währungskrise) wird in eine binäre Krisenvariable umgewandelt und mittels eines multivariaten Probit-Modells mit erklärenden Variablen verbunden, um eine zusammenhängende Wahrscheinlichkeit zu berechnen.
Y
=1
Währungskrise, falls Y>Schwellenwert
=0
keine Krise, falls Y<Schwellenwert
(8)
Die einbezogenen Variablen werden eingeteilt in Verschuldungsregressoren,
externe Variablen, inländische makroökonomische und globale Variablen120 und
das Probit-Modell mit Maximum-Likelihood berechnet. Problematisch ist dabei
118
Vgl. Frankel und Rose (1996), S. 9 f.
Vgl. Frankel und Rose (1996), S. 3. Die Autoren stellen anhand von Sensibilitätsanalysen
fest, dass der exakte Wert des Cut-off-Punktes nicht wesentlich ist.
120
Vgl. Frankel und Rose (1996), S. 15 ff. Folgende Variablen wurden in die Regressionsanalyse einbezogen: als Verschuldungsregressoren (1) Kredite kommerzieller Banken, (2) konzessionelle Verschuldung, (3) Verschuldung zu variablen Zinsen, (4) kurzfristige Verschuldung, (5)
FDI, (6) Verschuldung des öffentlichen Sektors und (7) multilaterale Verschuldung; als externe
Variablen (1) das Verhältnis Reserven zu monatlichen Importen, (2) Leistungsbilanz als prozentualer Anteil des BIP, (3) externe Verschuldung als prozentualer Anteil des BIP und (4) Divergenz der realen Wechselkursrate (Überbewertung); als inländische makroökonomische Variablen (1) Haushaltsbudget als Prozent des BIP, (2) prozentuales Wachstum der heimischen Kredite, (3) reale Produktionsmenge pro Einwohner; und als globale Variablen (1) ausländische Zinsrate und (2) Wachstum in nördlichen Industriestaaten.
119
52
die Interpretation des ermittelten Probit-Koeffizienten. Aus diesem Grund werden die Auswirkungen der Veränderungen der Regressoren um eine Einheit auf
die Wahrscheinlichkeit einer Krise – ausgedrückt in Prozentpunkten – betrachtet.
Als ein wesentliches Ergebnis der Analyse wurde festgestellt, dass die meisten
der Verschuldungskomponenten statistisch nicht signifikant sind. Die schlechten
Ergebnisse können dabei auch Ausdruck der Korrelationen der unterschiedlichen Verschuldung sein. 121 Direkte Auslandsinvestitionen sind signifikant und
eng mit Krisen verbunden. Das Absinken von FDI um ein Prozent führt zu einer
Erhöhung der Krisenwahrscheinlichkeit um 0,3%.122 Eine höhere Verschuldung,
geringere Reserven, eine überbewertete Wechselkursrate, hohes inländisches
Kreditwachstum und Rezessionen erhöhen ebenfalls die Krisenwahrscheinlichkeit. Steigen die ausländischen Zinsen um ein Prozent, steigt die Krisenwahrscheinlichkeit um über ein Prozent. Das wirtschaftliche Wachstum in den Industrieländern hingegen hat geringe Auswirkungen auf die Krisenwahrscheinlichkeit.123
Ausgangspunkt für Probit/Logit-Modelle sind wiederum eine im Voraus festgelegte Länderauswahl, N Länder i={1,2,…N}, und ein Beobachtungszeitraum mit
T Perioden t={1,2,…T}.124
Für jedes Land und jede(n) Monat/Woche/Jahr wird eine binäre abhängige Variable Y definiert:
Y
=1
Krise, mit Wahrscheinlichkeit (Pr)
Pr(Y=1)=P
=0
keine Krise, mit Wahrscheinlichkeit
Pr(Y=0)=1-P
(9)
121
Eine Bedingung für die Anwendung von Maximum-Likelihood ist die lineare Unabhängigkeit
der verwendeten Variablen. Nicht signifikante Ergebnisse können auch auf lineare Abhängigkeiten der Verschuldungskomponenten hinweisen.
122
Hier wird ein Interpretationsproblem der Krisenwahrscheinlichkeit deutlich. Welche Aussage
ist mit der Erhöhung der Krisenwahrscheinlichkeit um 0,3% verbunden? Ist diese Erhöhung
überhaupt messbar bzw. wahrzunehmen? Es werden keine Aussagen hinsichtlich anderer prozentualer Änderungen von FDI getroffen. Reduziert sich FDI um 10% (100%), steigt dann die
Krisenwahrscheinlichkeit um 3% (30%)? Offen bleiben ebenfalls die Gesamtkrisenwahrscheinlichkeit und die Interpretation.
123
Vgl. Frankel und Rose (1996), S. 16 f.
124
Die Darstellung folgt hier Bussière und Fratzscher (2002), S. 11 f. und Chui (2002), S. 25 f.,
da Frankel und Rose (1996), Eichengreen, Rose und Wyplosz (1995, 1996) als oft genannte
grundlegende Vertreter dieser Ansätze auf eine formale Darstellung der Grundlagen der verwendeten Probit/Logit-Modelle verzichten.
53
Die Erklärung des Krisenindexes Y erfolgt mit K unabhängigen Variablen X,
wobei X eine (KN · T) Beobachtungsmatrix verdeutlicht.
Ziel des Modells ist die Schätzung der Auswirkungen der Indikatoren X auf die
Wahrscheinlichkeit P einer Krise Y.
In Probit/Logit-Modellen ist die Krisenwahrscheinlichkeit eine nichtlineare Funktion der eingesetzten Indikatoren, β ein Vektor von Parametern (berechnet mit
Maximum-Likelihood):
Pr (Y = 1) = F ( Xβ )
(10)
Die Verwendung einer logistischen Verteilung definiert das Logit-Modell125:
Xβ
1
Pr (Y = 1) = F ( Xβ ) = e Xβ , Pr (Y = 0 ) =
Xβ
1+ e
1+ e
(11)
Im Logit-Modell werden die Auswirkungen der Indikatoren auf die Wahrscheinlichkeiten/Chancen einer Krise definiert als:
Ω(Y = 1 X ) =
P
Xβ
=e
1− P
(12)
Der Einfluss der Indikatoren auf das Wahrscheinlichkeitsverhältnis, ausgehend
von zwei Ausprägungen von X, hier X1 und X2, ist:
Ω(Y = 1 X 1)
Ω(Y = 1 X 2 )
=e
( X1 − X 2 )β
(13)
Das Verhältnis zeigt an, wie die Wahrscheinlichkeit, Y=1 zu beobachten (also
eine Krise), sich verändert, wenn sich X von X1 zu X2 bewegt (verändert).
125
Probit-Modelle gehen von normalverteilten Wahrscheinlichkeiten aus.
54
Die Anwendung von Probit/Logit-Modellen ist mit einigen Vorteilen verbunden.
Korrelationen zwischen den Variablen mit Auswirkungen auf die Krisenwahrscheinlichkeit werden einbezogen und die erklärenden Variablen sind nicht dichotom (binär) wie im „Signal“-Ansatz.126 Informationsverluste werden dadurch
verringert. Ein weiterer Vorteil von Logit-Modellen kann am Beispiel der „Greenspan-Guidotti-Regel“ verdeutlicht werden. Sie besagt, dass das Verhältnis von
kurzfristiger Verschuldung zu Reserven nicht größer als 100 sein sollte. Dies
impliziert, dass der Anstieg dieses Indikators von 90 auf 110 mehr Anlass zur
Sorge gibt als ein Anstieg von 110 auf 130. Der „Signal“-Ansatz signalisiert eine
Krise, wenn der Schwellenwert von 100 überschritten wird. Eine Erhöhung von
99 auf 101 ist gleichbedeutend mit einem „Sprung“ in die Krise. Eine Erhöhung
von 90 auf 110 ist mit keinen zusätzlichen Informationen verbunden. Es wird
wiederum nur eine potentielle Krise signalisiert.
Abbildung 3: Nicht-Linearität von Logit-Modellen
Krisenwahrscheinlichkeit/Krise
1
a
b
0
Schwellenwert (T)
X
Quelle: Bussière und Fratzscher (2002), S. 13.
Anmerkung: a „Signal“-Ansatz: Wird der Schwellenwert erreicht, folgt ein Sprung von 0 auf 1.
b Logit-Modelle:
Die Krisenwahrscheinlichkeit erhöht sich nicht-linear, nicht
sprunghaft.
126
Vgl. Berg und Pattillo (1999b), S. 571, Collins (2003), S. 2.
55
Der Übergang von einer ruhigen Periode ohne Krise zu einer Situation mit potentieller Krisengefahr und anschließender Krise ist allerdings fließend und nicht
sprunghaft. Aus diesem Grund widerspiegeln Logit-Modelle mehr der Realität,
da dieser in der Realität nicht sprunghafte Effekt von einer s-förmigen Kurve
verdeutlicht wird.127. In Abbildung 3 (Seite 54) wird dieser Unterschied zwischen
„Signal“-Ansatz und Logit-Modellen dargestellt.
Die Festlegung des kritischen Schwellenwertes bleibt auch in diesen Modellen
problematisch. Dies bezieht sich jedoch nicht auf die einzelnen Schwellenwerte
der Indikatoren, sondern vielmehr auf die zusammengesetzte Wahrscheinlichkeit. Um die Ergebnisse der Frühwarnmodelle zu evaluieren, wäre ein Vergleich
der prognostizierten Krisenwahrscheinlichkeit mit der aktuellen Wahrscheinlichkeit notwendig. Diese ist aber nicht direkt zu beobachten. Daraus folgt, dass nur
ein Vergleich der Prognosewerte mit aktuell ausgebrochenen Krisen möglich ist.
Die prognostizierte Krisenwahrscheinlichkeit ist eine kontinuierliche Variable, so
dass ein kritischer Wert (cut-off) festgelegt werden muss, der zuverlässig zukünftige Krisen signalisiert. Das Problem ist die Festlegung eines „optimalen“
Schwellenwertes. Ist der Wert zu niedrig, wird eine Vielzahl möglicher Krisen
angezeigt mit dem Nachteil vieler falscher Signale (Fehler Typ 2). Ist der kritische Wert zu hoch, werden Krisen nicht signalisiert, die später ausbrechen
können (Fehler Typ 1).128 Tabelle 8 zeigt diese Problematik (ähnlich „Signal“Ansatz, Tabelle 7, Seite 47).
Tabelle 8: Trade-off Problem optimaler Schwellenwerte
kein Signal
Signal
Y=0,
keine Krise in festgelegter Zeit (H)
A
korrekte Anzeige keiner
Krise
Y=1,
Krise in festgelegter
Zeit (H)
C
kein Signal
Fehler Typ 1
B
falsches Signal
Fehler Typ 2
D
korrekte Anzeige einer
Krise
Quelle: Bussière und Fratzscher (2002), S. 14.
127
128
Vgl. Bussière und Fratzscher (2002), S. 13.
Vgl. Bussière und Fratzscher (2002), S. 13 f.
56
Entscheidend für die Festlegung des Schwellenwertes ist die Zielgruppe von
Frühwarnsystemen. Fehler des Typs 2 sind hinsichtlich der Wohlfahrtssituation
weniger kostenintensiv als Fehler des Typs 1. Fehler des Typs 2 können ebenfalls Ausdruck schon erfolgter wirtschaftspolitischer Maßnahmen sein, die auf
Grund anfälliger makroökonomischer Fundamentaldaten zur Verhinderung einer Krise durch politische Entscheidungsträger eingeleitet wurden. Die Schwierigkeit besteht grundsätzlich in einem trade-off zwischen Falschalarm und nicht
signalisierter Krise. Die Erhöhung des Schwellenwertes und die Verlängerung
des Zeithorizontes (H) reduziert die Zahl falscher Signale, erhöht aber die Zahl
nicht signalisierter Krisenmonate.129
Die Festlegung des Schwellenwertes orientiert sich an einer politischen Verlustfunktion, da nicht signalisierte Krisen und Signale mit anschließenden wirtschaftspolitischen Eingriffen mit Kosten verbunden sind. Die zu minimierende
Verlustfunktion lautet:130
L(T ) ≡ θ ⋅ prob NS / C (T ) + (1 − θ ) ⋅ prob S (T )
(14)
prob NS / C
Wahrscheinlichkeit einer nicht angezeigten Krise
prob S
Wahrscheinlichkeit eines Signals für nachfolgende Krise
T
Schwellenwert
θ
relative Kosten einer nicht angezeigten Krise (Ausdruck für relative
Risikoaversion der Politik gegenüber nicht angezeigten Krisen)
(1 − θ )
Kosten zuvorkommender Maßnahmen
Für ein multinominales Logit-Modell ergeben sich folgende Resultate:131
1. Je höher das Ausmaß der Risikoaversion θ, desto niedriger ist der optimale Schwellenwert festzulegen.
2. Für ein gegebenes Maß der Risikoaversion θ und einen größeren Zeithorizont H steigt der optimale Schwellenwert.
129
Vgl. ebd., S. 32.
Vgl. Bussière und Fratzscher (2002), S. 32 f.
131
Vgl. ebd., S. 35 f.
130
57
3. Je niedriger das Maß der Risikoaversion θ, desto niedriger ist der optimale Zeithorizont des Frühwarnmodells.
Anhand dieses Beispiels wird deutlich, dass die Festlegung des Schwellenwertes auch in Abhängigkeit der Risikopräferenzen wirtschaftspolitischer Entscheidungsträger erfolgt. Dies zeigt, dass Frühwarnmodelle auf ein bestimmtes Zielland zugeschnitten sein können, um landesspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen. Unter diesem Gesichtspunkt dürfte ein auf eine Vielzahl unterschiedlicher Länder anwendbares allgemeingültiges Frühwarnsystem illusorisch
sein. Andererseits bieten die bisher vorgestellten Ansätze die Möglichkeit, durch
die Einbeziehung unterschiedlicher relevanter Variablen (basierend auf Krisenmodellen der 1. und 2. Generation und politischer Ökonomie), Schwellenwerte
und Zeithorizonte länderspezifische Besonderheiten zu modellieren.
Die im Zusammenhang mit dem „Signal“-Ansatz dargestellte Kritik – abgesehen
von der fehlenden Korrelation der Variablen – kann ebenfalls auf Probit/LogitModelle übertragen werden. Neben fehlenden Informationen über die Dynamik
von Krisen, Nichtberücksichtigung von Regimewechseln und Klassifizierungsfehlern durch die Festlegung der Schwellenwerte schränkt die Anwendung eines binären Krisenindexes die Betrachtung von Währungsturbulenzen unmittelbar nach einer erstmalig signalisierten Krise erheblich ein.132
Weiterhin kann der Einfluss von individuellen Variablen weniger leicht ermittelt
werden, da in nicht-linearen Probit/Logit-Modellen der Beitrag dieser Indikatoren
auch von allen anderen in die Berechnung einbezogenen Variablen beeinflusst
wird.133
Ein praktisches Problem ergibt sich durch die relativ geringe Zahl von Währungskrisen (Y=1). In den Stichproben dominieren die Nichtkrisenereignisse
(Y=0). Das kann zu Verzerrungen der berechneten Ergebnisse führen. Um diesen Nachteil auszugleichen, werden in vielen Studien die Daten von Industrieund Entwicklungsländern herangezogen. Die Stichprobe wird demzufolge zunehmend heterogen, somit sind länderspezifische Besonderheiten schwerer zu
identifizieren.134
132
Vgl. Mariano et al. (2002), S. 5 und Collins (2003), S. 1.
Vgl. Vlaar (2000), S. 256.
134
Vgl. u.a. Vlaar (2000), S. 256 und Mariano et al. (2002), S. 5.
133
58
Während der „Signal“-Ansatz und Probit/Logit-Regressionen die Wahrscheinlichkeit von Währungskrisen in einer Volkswirtschaft untersuchen, stehen in
strukturellen Ansätzen die Ursachen von Währungskrisen im Mittelpunkt. Einzelereignisse werden dahingehend untersucht, welche Faktoren ausschlaggebend für die Anfälligkeit eines Landes für spekulative Attacken sein können.
Auch wenn dieser Ansatz keine Prognosen über den genauen Zeitpunkt einer
Krise vermitteln kann, ist er nicht weniger attraktiv. Die genaue zeitliche Vorhersage von Krisen ist kaum möglich, während die Determinanten unterschiedlicher Krisenepisoden und die Häufigkeit der Ausbreitung über mehrere Länder
unter Umständen besser zu prognostizieren sind. Die Determinanten von Krisen
variieren erheblich. Strukturelle Ansätze verdeutlichen die ökonomische Struktur einer speziellen Krisenepisode und ermöglichen die Identifikation relevanter
Indikatoren, die wiederum für die Konstruktion von Frühwarnsystemen unerlässlich sind.
4.2.3 Struktureller Ansatz
Eine grundlegende Studie untersucht anhand des „Tequila-Effekts“ die Anfälligkeit von 20 Volkswirtschaften (hier „emerging markets“). Der Augenmerk liegt
dabei auf einer panikartigen Umkehr der Kapitalzuflüsse und der daraus resultierenden Ausbreitung der Krise auf andere Länder.135 Dieses spezielle Einzelereignis verdeutlicht die generell eingeschränkten Möglichkeiten von Frühwarnsystemen:
„The literature includes several hypotheses about capital inflows, the corresponding policy reactions, and the vulnerability of the economy to shocks are linked. For
each hypothesis, it is possible to find a few country case examples that support it.
However, it is not clear that any of these hypotheses can be applied broadly to
many countries.”136
Diese Feststellung ist für alle im Zusammenhang mit Finanzkrisen auftretende
Phänomene zutreffend. Es ist unmöglich, alle in Frage kommenden potentiellen
Determinanten und Schocks, die letztendlich zu Währungskrisen führen, in einem Frühwarnsystem zu berücksichtigen.
135
136
Siehe Sachs, Tornell und Velasco (1996b). Länderauswahl siehe ebd., S. 12.
Sachs, Tornell und Velasco (1996b), S. 3.
59
Trotzdem bietet dieser Ansatz die Möglichkeit, ausgehend von einem theoretischen Modell, eine gestiegene Krisenanfälligkeit aufgrund schwacher makroökonomischer Fundamentaldaten zu verdeutlichen. Schwache Fundamentaldaten (angeschlagenes Bankensystem und überbewerteter Wechselkurs) und
niedrige Reserven in den später betroffenen Ländern und die Krise in Mexiko
(1994) als externer Schock führten im Jahr 1995 zu einer Ausbreitung der Krise.
Gemessen wird diese Ausbreitung mittels eines Krisenindexes137 (IND), der den
Druck auf den Devisenmarkt beziffert. Der Index ist ein gewichteter Durchschnitt der Abwertungsrate und der prozentualen Veränderung der Reserven.
Ziel ist die Identifizierung extremer Überbewertungen von 30% bis 60% als eine
Ursache der Krisen. Die Bemessungsgrundlage der Veränderungen des realen
Wechselkurses (RER) als eine erklärende Variable ist die gewichtete Summe
der bilateralen Wechselkurse (gegenüber US$, DM und ¥). Die Gewichtung erfolgt proportional anhand des bilateralen Handelsverkehrs. Die Summe der
Gewichtungsfaktoren der bilateralen Wechselkurse ist eins. Niedrige Werte von
RER (Aufwertungen) verdeutlichen eine höhere Anfälligkeit für eine Krisenansteckung. Die Schwäche des Bankensektors wird indirekt durch die Erhöhung
des Kreditvergabevolumens (LB, Kreditboom) ausgedrückt. Länder mit starken
Anstiegen der Kreditvergabe von Banken sind Fälle eines Kreditbooms (hoher
Wert für LB) und anfälligen Bankensektoren. Das Verhältnis M2/Reserven geht
als weiterer erklärender Indikator für adäquate Reserven in den Index ein. Ist
das Verhältnis gering, wird keine spekulative Attacke erwartet. Attacken erfolgen nur, wenn Fundamentaldaten und Reserven angreifbar sind.138
Zur weiteren Analyse werden schwache und starke Fundamentaldaten und Reserven definiert139 und anschließend in Dummies (DWF, DLR) umgewandelt. Eine
137
Vgl. Sachs, Tornell und Velasco (1996b), S. 10. Aufgrund der unterschiedlichen Volatilitäten
(Schwankungen) der zwei Datenserien (Wechselkurs und Reserven) erfolgt die Gewichtung
anhand der relativen Standardabweichung jeder Serie über die letzten 10 Jahre. Auf eine Umkehrung der Kapitalzuflüsse kann seitens der wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger mit
einer Abwertung des Wechselkurses oder mit dem Verkauf von Reserven geantwortet werden.
Alternativ sind Zinserhöhungen denkbar. Vergleichbare Zinsdaten sind allerdings nicht immer
verfügbar, so dass die Zinsrate nicht einbezogen wird. Ein ähnlicher Index wird sehr häufig verwendet, u.a Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), und wurde im Kapitel 4.1, S. 35 ff., dargestellt.
138
Vgl. Sachs, Tornell und Velasco (1996b), S. 10 ff. Die weitere Darstellung folgt dieser Originalstudie.
139
Die Definition schwacher und starker Fundamentaldaten und äquivalenter Reserven erfolgt
nicht anhand von konkreten (optimalen) Wertangaben. Die Definition ist somit immer abhängig
von der gewählten Länderstichprobe und vom Zeithorizont und kann stark variieren, wenn eini-
60
Volkswirtschaft hat gute Fundamentaldaten, wenn die reale Abwertung im
höchsten Quantil der Stichprobe und der Kreditboom im niedrigsten Quantil liegen.
D WF = 0 , signifikant gute Fundamentaldaten
(15)
D WF = 1 , signifikant schwache Fundamentaldaten
Länder haben hohe Reserven, wenn das Verhältnis M2/Reserven im höchsten
Quantil und niedrige Reserven, wenn dieses Verhältnis im niedrigsten Quantil
der Stichprobe liegt.
D LR = 0 , hohe Reserven
(16)
D LR = 1 , niedrige Reserven
Die Dummies werden in eine Regressionsanalyse des Devisenmarktindexes
einbezogen. Dieser ist im Gegensatz zu häufig verwendeten Indizes kontinuierlich und wird nicht in eine binäre abhängige Variable umgewandelt. Daraus
folgt, dass weniger Informationen verloren gehen. Die Auswirkungen von RER
und LB auf den Index IND sollten nur dann groß sein, wenn DWF und DLR gleich
eins sind. Das heißt, nur ein gleichzeitiges Auftreten schwacher Fundamentaldaten und niedriger Reserven führt zur Anfälligkeit des Landes. Anhand des
folgenden Indexes werden Null-Hypothesen getestet, um diesen Zusammenhang zu bestätigen:
(
)
(
⋅ LB ) + ε
IND = β1 + β 2 (RER ) + β 3 (LB ) + β 4 D LR ⋅ RER + β 5 D LR ⋅ LB
(
)
(
+ β 6 D LR ⋅ D WF ⋅ RER + β 7 D LR ⋅ D WF
)
(17)
Tabelle 9 (Seite 61) zeigt einige der getesteten Null-Hypothesen. Länder mit
guten Fundamentaldaten und geringen Reserven sind nicht Ziel spekulativer
ge zusätzliche Länder mit guten oder schlechten Fundamentaldaten und Reserven in die Stichprobe einbezogen werden. Ähnliche Einschränkungen sind auch mit der Festlegung von
Schwellenwerten in anderen Ansätzen verbunden. Konkrete Handlungshinweise für wirtschaftspolitische Korrekturen sind so kaum möglich. Das schränkt die Möglichkeiten und den
praktischen Nutzen der Frühwarnsysteme erheblich ein.
61
Attacken, d.h. β2+β4 und β3+β5 sind nicht signifikant verschieden von Null. Diese Indikatoren – Reserven und Fundamentaldaten – sind nicht zu Prognosezwecken geeignet, wenn die Reserven adäquat oder die Fundamentaldaten gut
sind. In Ländern mit schwachen Fundamentaldaten und geringen Reserven
führt eine stärkere Abwertung des realen Wechselkurses zu einem geringeren
Wert des Indexes IND (β2+β4+β6 ist negativ). Ein gestiegener Kreditboom führt
in der gleichen Ausgangssituation zu einem höheren Wert von IND (β3+β5+β7 ist
positiv). Ein höherer Wert von IND ist gleichbedeutend mit einer gestiegenen
Abwertung und/oder verstärkten Abnahme der Reserven.
Tabelle 9: Null-Hypothesenmatrix
Fundamentaldaten
schwach
gut
(D
(
hoch D LR = 0
Reserven
(
WF
=0
)
(D
WF
)
=1
)
β2 = 0
)
β2 + β4 = 0
β2 + β4 + β6 < 0
β3 + β5 = 0
β3 + β5 + β7 > 0
niedrig D LR = 1
β3 = 0
Quelle: Chui (2002), S. 31.
Daraus kann ein erhöhter „Tequila-Effekt“ resultieren und das Land ist stärker
von der Krise betroffen. 140 Zusammenfassend können die Variablen niedrige
Reserven, Überbewertung des realen Wechselkurses und die Ausweitung der
Bankkredite an den privaten Sektor als signifikante Krisenursachen angesehen
werden.
Die drei vorgestellten Ansätze sind die am häufigsten verwendeten Methoden
zur Vorhersage von Finanzkrisen. Auf einige weitere Ansätze sei nachfolgend
kurz hingewiesen.
140
Vgl. Sachs, Tornell und Velasco (1996b), S. 13 f., Furman und Stiglitz (1998), S. 107 f.
62
4.2.4 Weitere Ansätze
Neben den vorgestellten Ansätzen gibt es eine Vielzahl weiterer unterschiedlicher Ansätze, um Währungskrisen zu prognostizieren. Regimewechsel-Modelle
(regime-switching), künstliche neuronale Netzwerke (artificial neural networks)
und die Orientierung an internationalen Kredit-Rating-Agenturen sind ausgewählte Beispiele und mögliche Alternativen.141
Regimewechsel-Modelle
Die zunehmende Popularität dieser Modelle ist auf einige entscheidende Unterschiede zu den etablierten Ansätzen zurückzuführen. Markov-switchingModelle142 ermöglichen eine simultane Schätzung der Veränderungen der abhängigen und unabhängigen Variablen, so dass das Stadium einer Volkswirtschaft zu jeder Zeit endogen definiert werden kann. Weniger Aufmerksamkeit
wird auf die statistische Verteilung der Variablen gelegt. Daraus folgt, dass dieser Ansatz flexibler sein kann.143 Ausgehend von der Annahme einer ruhigen
und einer Periode mit spekulativen Attacken können diese Modelle Warnsignale
senden, wenn eine signifikante Anpassung des Wechselkursregimes bevorsteht. Die Existenz direkt beobachtbarer Indikatoren, deren Verhalten sich in
Abhängigkeit des Wertes der abhängigen Krisenvariable verändern, ist eine
weitere Annahme dieser Modelle. Ausgehend von einer gegebenen Ausgangssituation gibt es eine bestimmte Wahrscheinlichkeit, in diesem Zustand zu bleiben oder in einen anderen zu wechseln. Die Wahrscheinlichkeit, von einem Zustand ohne Krisenereignisse in ein Krisenregime zu wechseln, ist abhängig von
der Stärke oder der Schwäche der Fundamentaldaten der Volkswirtschaft.144
Eine direkte Beobachtung der unterschiedlichen Zustände wird, im Gegensatz
zu bisher vorgestellten Methoden, nicht vorgenommen. Die Krisenvariable ist
latent. Die Nichtverwendung einer binären Krisenvariablen führt zu weniger In-
141
Abiad (2003), S. 13 ff., zeigt einen kurzen Überblick über eine Vielzahl weiterer, hier nicht
erwähnter Ansätze und Modelle. Mariano et al. (2002) untersuchen anhand von drei erklärenden Variablen (Abweichung des realen Wechselkurses vom Trend, monatliche prozentuale
Veränderungen des Verhältnisses M2/Reserven und monatliche Veränderung der realen inländischen Kredite) die Prognosefähigkeiten eines Markov-switching-Modells für Währungskrisen,
speziell für südostasiatische Staaten.
142
Markov-Modelle basieren auf stochastischen Verteilungen.
143
Vgl. Arias und Erlandsson (2004), S. 7.
144
Vgl. Abiad (2003), S. 19.
63
formationsverlusten. Die Dynamik des Wechselkurses an sich kann ergänzend
Aufschluss über die Wahrscheinlichkeit spekulativer Attacken geben.145
Kredit-Rating-Agenturen
Die Einstufung der Kreditwürdigkeit von Staaten wurde auch entwickelt, um
Kreditausfallrisiken zu prognostizieren. Währungskrisen erhöhen das Kreditausfallrisiko, und im Anschluss an Krisen erfolgte in den meisten Fällen eine Herunterstufung der Kreditwürdigkeit des betroffenen Landes. Dies legt die Vermutung nahe, dass Rating-Agenturen die Herunterstufung früher vorgenommen
hätten, wenn sie Währungskrisen vorhersehen könnten.146
Die Prognosefähigkeit erwies sich bisher als überwiegend unzureichend. Die
Veränderung der Einstufung eines Landes ist kein guter Prognoseindikator für
Währungskrisen.147 Dies kann auf verschiedene Gründe zurückgeführt werden:
(1) die Prognose von Währungskrisen ist nicht vorrangiges Ziel, (2) RatingAgenturen verfügen nicht über zeitnahe, akkurate und umfassende Informationen und (3) kann es unter Umständen keine Veranlassung der Herunterstufung
geben, da die Agenturen Zahlungen von den einzustufenden Staaten erhalten.148
Die grundlegenden Ansätze zur Früherkennung von Währungskrisen – basierend auf als relevant angesehenen Variablen – sind mit Vor- und Nachteilen
verbunden. Strukturelle Ansätze und Fallstudien sind auf spezielle Einzelereignisse, also auf Krisenzeiten ausgerichtet. Informationen aus ruhigen Perioden
werden kaum einbezogen. Ihrem Ziel entsprechend, Einzelereignisse und
grundlegende Ursachen zu erklären, sind sie nicht oder nur bedingt für Vorhersagen geeignet. Der Hauptvorteil des „Signal“-Ansatzes ist die Untersuchung
jedes einzelnen Indikators und die Feststellung der Prognosefähigkeit auf individueller Variablenbasis. Indikatoren können so hinsichtlich des Einflusses auf
potentielle Krisen und der Vorhersagequalitäten eingestuft werden. Korrigieren145
Vgl. ebd., S. 19.
Vgl. Berg, Borensztein und Pattillo (2004), S. 9 ff.
147
Vgl. Sy (2003), S. 3, Berg, Borensztein und Pattillo (2004), S. 9 ff., Goldstein, Kaminsky und
Reinhart (2000), S. 45 ff. Kredit-Ratings werden andererseits in einigen Studien als Frühwarnindikator herangezogen: Rose (1998), Hawkins und Klau (2000). Moody’s Kredit-Rating wird
u.a. von Morgan Stanley Dean Witter (2001) verwendet.
148
Vgl. Sy (2003), S. 3.
146
64
de wirtschaftspolitische Eingriffe sind leichter möglich, da ökonomische Variablen, die Warnsignale senden, schnell identifiziert werden können. Nachteilig
wirkt sich die fehlende Berücksichtigung von Korrelationen der Variablen untereinander aus. Der Ansatz vermittelt keine zusammengefassten Informationen
über die Krisenwahrscheinlichkeit unter Berücksichtigung aller Indikatoren. Eine
weitere Problematik besteht hinsichtlich des binären Charakters der Variablen.
Es erfolgt keine Unterscheidung, inwieweit der Indikator gering unterhalb/oberhalb des Schwellenwertes liegt, oder ob der Schwellenwert weit überschritten wird. Die Krisenwahrscheinlichkeit kann sprunghaft erscheinen, wenn
die Werte der Variablen in die Signalzone kommen oder sie wieder verlassen.
Interpretationen werden dann schwierig. Grauzonen werden so nicht betrachtet.
Dies ist mit erheblichen Informationsverlusten über den momentanen Zustand
der Volkswirtschaft verbunden.
Bedingt abhängige Regressionsmodelle (Probit/Logit-Modelle) bieten einige
Vorteile. Die Wahrscheinlichkeit einer Krise kann mittels eines zusammengefassten Wertes angegeben und leichter interpretiert werden. Korrelationen der
Variablen werden in nichtlinearen Modellen berücksichtigt. Die Entwicklung einer Variablen ist von Änderungen anderer Variablen abhängig. Der Einfluss
einer einzelnen Variable auf die Krisenwahrscheinlichkeit ist damit schwieriger
zu ermitteln. Problematisch sind auch hier wieder die willkürlichen Schwellenwertfestlegungen und der binäre Charakter der abhängigen bzw. zu erklärenden Krisenvariablen. Ein weiteres Problem ergibt sich aus der in vielen Stichproben zu geringen Zahl von Krisenperioden und der daraus folgenden eingeschränkten Qualität der statistischen Resultate.
Eine Empfehlung, welcher dieser Ansätze für die praktische Nutzung vorzuziehen ist, kann an dieser Stelle noch nicht unterbreitet werden. Entscheidend für
die Auswahl eines Ansatzes und die Beurteilung der Möglichkeiten und Grenzen von Frühwarnsystemen ist letztendlich die Prognosequalität und die damit
verbundene Relevanz für potentielle, zukünftige Krisen.
5 Prognosequalität
Die zur Verfügung stehende Literatur gibt wenig Aufschluss über die ex-antePrognosequalität von Frühwarnsystemen. Keines der vorgestellten grundlegen65
den Modelle wurde mit einem Warnhinweis versehen, dass eine schwerwiegende Krise in der näheren Zukunft ausbrechen könnte.
Die Evaluierung von Frühwarnsystemen wird in der wissenschaftlichen Literatur
durch Vergleiche mit anderen Studien innerhalb der gewählten Stichprobe (insample) vorgenommen. Aussagen über die Güte eines Modells sind erst mit der
Analyse anderer Krisenepisoden möglich.
„Indeed, in-sample properties do not ensure that the model can predict future crises if the causes of currency crises drastically vary from one episode to the
next.“149
Die weit verbreitete Praxis für die Beurteilung der Prognosequalität besteht in
der Erweiterung (out-of-sample) des vorhandenen Modells um zusätzliche Beobachtungsperioden und neue, bei der Entwicklung des Modells noch nicht ausgebrochene Krisen. Anschließend werden Tests durchgeführt, um die Frage zu
beantworten, ob dieses Modell diese neuen Krisen unter Einbeziehung zusätzlicher Länder und Daten prognostiziert hätte. Diese Analysen sind allerdings nur
ex post möglich.150
In zwei grundlegenden vergleichenden Studien 151 wurden die auch in dieser
Arbeit analysierten Ansätze hinsichtlich der eben gestellten Frage untersucht:
Hätten diese Modelle die Asienkrise prognostizieren können? Als Ergebnis ist
der „Signal“-Ansatz erfolgreicher als die anderen Modelle und hilfreich für die
Einstufung des Krisenausmaßes. Gemischte Resultate ergaben sich hinsichtlich der Analysequalität der Ereignisse. Eine gewichtete Summe der Indikatoren
hätte die Krisenwahrscheinlichkeit signifikant prognostizieren können, aber der
erklärende Gehalt der Zusammenhänge bleibt sehr begrenzt.152 Auch wenn der
„Signal“-Ansatz Krisen ex post recht gut prognostizieren kann, müssen die der
149
Furman und Stiglitz (1998), S. 29.
Die in der Literatur verwendete Formulierung der ex-post-Prognosequalität ist widersprüchlich und irreführend. Eine gute „ex-post-Prognosequalität“ verschleiert die Unsicherheit hinsichtlich zukünftiger Krisen bzw. die fehlende ex-ante-Prognosequalität der Modelle. Aus diesem
Grund werden in dieser Arbeit die Begriffe ex-post-Analyse bzw. ex-post-Analysequalität verwendet.
151
Siehe (1) Berg und Pattillo (1999a) und (2) Furman und Stiglitz (1998). Verglichen wurden
der „Signal“-Ansatz von Kaminsky, Lizondo und Reinhart (1997), der strukturelle Ansatz von
Sachs, Tornell und Velasco (1996a, 1996b) und das Probit-Modell von Frankel und Rose (1996).
152
Vgl. Berg und Pattillo (1999a), S. 112 ff.
150
66
Analyse zugrunde liegenden Indikatoren nicht für die Auslösung der Krise verantwortlich sein. Das kann die Relevanz des Ansatzes einschränken.153
Der Krisendefinition des Probit-Modells folgend gab es aufgrund der nur jährlichen Analyseintervalle im Jahr 1997 keine Asienkrise. Hier wird deutlich, dass
bei out-of-sample-Analysen die dem zu testenden Modell zugrunde liegende
Krisendefinition beachtet werden muss. Die Analysen für 1998 sind nicht sehr
erfolgreich. Insgesamt gesehen ist die Studie wenig hilfreich für eine ex-postErklärung der Asienkrise.154
Keine der Analysen des strukturellen Ansatzes ergab zufrieden stellende Ergebnisse hinsichtlich der Asienkrise. Nur geringfügige Veränderungen der Studie führten zu wesentlich besseren ex-post-Ergebnissen.155 Dies zeigt, dass die
angewendete Methode der out-of-sample-Analyse zur Beurteilung der Prognosequalität von Frühwarnsystemen zu besseren empirischen Erklärungen vergangener Krisenepisoden führen kann. Insgesamt ist aber die out-of-sampleAnalysequalität der grundlegenden Modelle relativ schlecht. Für die schlechten
Analyseergebnisse gibt es unterschiedlichste Ursachen und Erklärungen:
1. die Vernachlässigung oder Nichtberücksichtigung wichtiger Informationen, z.B. durch die nur jährlich vorliegende Höhe und die Zusammensetzung der externen Verschuldung
2. die Vernachlässigung institutioneller Strukturen und gesetzlicher Rahmenbedingungen
3. die fehlende Einbeziehung politischer Determinanten und Nichtberücksichtigung des Willens und der Fähigkeit einer Regierung, spekulative Attacken zu verhindern
4. Krisen sind heterogen. Sie brechen aus unterschiedlichsten Gründen
aus. Modelle können immer nur einen Bruchteil der Ursachen erfassen.156
153
Vgl. Furman und Stiglitz (1998), S. 46. Als ein Beispiel führen sie sinkende Aktienpreise an.
Sinkende Aktienpreise auf den Aktienmärkten können eventuell eine Krise antizipieren, sind
aber nicht Ursache der Währungskrise. Werden Schritte unternommen, das weitere Absinken
zu verhindern, würden die eigentlichen und zugrunde liegenden Krisenursachen nicht korrigiert.
154
Vgl. Berg und Pattillo (1999a), S. 118 ff. und Furman und Stiglitz (1998), S. 40 f.
155
Vgl. Berg und Pattillo (1999a), S. 121 ff. Die Modifizierungen durch Tornell (1999) verbesserte die Ergebnisse. Diese ex-post-Ergänzungen sind allerdings wenig hilfreich für die Beurteilung
der Prognosequalität.
156
Vgl. Eichengreen (2002b), S. 5 ff.
67
Ausgehend von u.a. diesen Argumenten wird versucht, die ex-post-Analysequalität durch hinzufügen neuer, für vergangene Krisenepisoden noch nicht relevanter Variablen zu verbessern.
„This would provide a rationale for using an extended EWS model adding a broader
variety of variables.”157
Besonders spezielle, auf die jeweils zu betrachtenden Krisen zugeschnittene
Variablen sollen und können die Analysequalität ex post erhöhen. Eine gute
Analysequalität ist aber noch immer kein Ausdruck für die zukünftige Relevanz
eines Modells. Es bestehen keinerlei Sicherheiten, dass auch kommende Krisen den Ursachen, Ablaufmustern und bisher bekannten Zusammenhängen
vergangener Krisen entsprechen. Indikatoren, die für eine Krise relevant sind,
müssen für spätere Krisen nicht zwangsläufig ursächlich sein. Gute Ergebnisse
ex post – in-sample und out-of-sample – sind keine Garantie, dass zukünftige
Krisen vorhergesagt werden können.
„We can be confident that future papers will predict past crises. … while crisis forecasting models may help indicate vulnerability, the predictive power of even the
best of them may be limited.”158
Versuche, mehr Indikatoren in Frühwarnsysteme einzubeziehen, führen nicht
zwangsläufig zum Erfolg. So wird nur eine große Zahl zusätzlicher, aber krisenspezifischer Indikatoren mit geringem generellen Wert oder Nutzen in die Modelle einbezogen.159 Bei der Vielzahl potentieller Schocks und Einflussfaktoren
sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass eine immer größere Variablenzahl in einem
Modell die ex-ante-Prognosequalität erhöht.
Generell kann davon ausgegangen werden, dass die Vergangenheit nicht
zwangsläufig hilfreich für die Zukunft ist. So werden strukturelle Anpassungen
der Wechselkurspolitik und des Finanzsystems nach vergangenen Problemen
vorgenommen, um zukünftig Krisen zu vermeiden. Verändern sich die ökonomischen Zusammenhänge, hat dies auch Auswirkungen auf die Beziehungen
zwischen ökonomischen Variablen, deren Verhalten in Frühwarnsystemen beobachtet wird. Insbesondere das Verhältnis zwischen einzelnen Krisensignalen
157
Furman und Stiglitz (1998), S. 30. Anmerkung: EWS ist hier die Abkürzung für Early Warning
System.
158
Berg und Pattillo (1999a), S. 129.
159
Vgl. Schnatz (1998), S. 39 und Reagle und Salvatore (2000), S. 250.
68
und den Krisen selbst kann sich verändern.160 Eingriffe der Politik können demzufolge alle bisher geschätzten und berechneten Parameter verändern. Dieser
als „Lukas-Kritik“ bekannte Effekt ist ein wichtiger Grund, die Ergebnisse von
Frühwarnsystemen mit Vorsicht zu bewerten und die Erwartungen in Frühwarnsysteme realistisch zu gestalten. Erhalten andere Marktteilnehmer ein taugliches Prognoseinstrument, dann fließen diese Informationen in das Entscheidungskalkül mit ein. Veränderungen oder Änderungen bisheriger Verhaltensmuster können folgen. Strukturelle Zusammenhänge der Vergangenheit wären
dann nicht mehr in die Zukunft fortzuschreiben.161
Eng mit der „Lukas-Kritik“ verbunden ist „Goodharts Gesetz“, wonach ein Indikator für öffentliche oder staatliche Politik den Informationsgehalt verliert, wenn
seine Rolle erst öffentlich und allgemein bekannt ist. Werden Frühwarnsysteme
publik gemacht, können Indikatoren für die Identifizierung spekulativer Attacken
ihren Informationswert einbüßen oder verlieren. Der Grund ist relativ einfach.
Wird eine bestimmte Gruppe von Indikatoren verwendet, um Krisen zu antizipieren, können Entscheidungen so getroffen werden, dass die Frühwarnsignale
keine Krise anzeigen. Die Indikatoren werden das eigentliche politische Ziel.
Dies kann Krisen verhindern, andererseits ist es vorstellbar, dass entsprechende Daten so verändert, manipuliert oder verzögert veröffentlicht werden, dass
die Frühwarnsysteme keine Krisen anzeigen können. Ist dies der Fall, sind Krisen nur noch sehr eingeschränkt vorhersehbar.162
Die Vermeidung dieser Probleme kann durch die Geheimhaltung der Frühwarnindikatoren und Frühwarnsysteme – nicht der Daten, auf denen sie basieren –
erfolgen. Unter diesen Gesichtspunkten ist auch nachvollziehbar, warum private
Investmentbanken und andere private Institutionen den Zugang zu den Modellen stark einschränken. Nachteilig auswirken kann sich die Geheimhaltung potentieller Krisensignale durch relevante Indikatoren, indem sie durch das Fehlen
160
Vgl. Rose (1998), S. 11 ff. und Chui (2002), S. 41 ff.
Im Anschluss an Krisen werden häufig Reformen initiiert bzw. beschleunigt durchgesetzt: Änderungen der Wechselkursregime (reduziert Krisenanfälligkeit drastisch), Reformen des Bankensektors, die Einführung von Kapitalkontrollen, eine verbesserte Finanzmarktaufsicht und die
Erhöhung der Transparenz auf den Finanzmärkten sind nur einige Beispiele, die die Veränderungen ökonomischer Zusammenhänge nach sich ziehen. Die statistischen Ergebnisse sollten
immer im strukturellen Zusammenhang interpretiert werden. Die ausschließliche Betrachtung
der statistischen Berechnungen ist zu vermeiden.
161
Vgl. Deutsche Bundesbank (1999), S. 28.
162
Vgl. Rose (1998), S. 12 f.
69
einer kritischen Öffentlichkeit ignoriert werden. Eine vollständige Geheimhaltung
ist allerdings in vielen Fällen unerwünscht, da das erklärte Ziel der meisten Modelle eine Politikberatung der relevanten Ministerien, Behörden und Institutionen ist. Auch bei den zugänglichen Modellen ist davon auszugehen, dass nicht
alle relevanten Details veröffentlicht werden oder die Modelle nur von einem
eingegrenzten Personenkreis angewendet werden können. Dies kann den
Missbrauch der Modelle erschweren und schränkt gleichzeitig die fundierte
Vergleichbarkeit der Frühwarnsysteme und die Beurteilung der Möglichkeiten
und Grenzen erheblich ein. Es zeigt aber auch, dass unterschiedliche strategische Interessen keine unbedeutende Rolle spielen.
Die zur Verfügung stehenden Daten sollten ebenfalls jederzeit mit Vorsicht behandelt werden. Strategische Datenpolitik, nachträgliche Revisionen und unterschiedliche Standards und Maßstäbe der Datenerhebung erschweren die Verwendung von Daten in empirischen Modellen und können die Ergebnisse verzerren. Besonders in Entwicklungsländern ist die Verfügbarkeit qualitativ guter
Daten nicht immer gegeben. Andererseits sind viele wichtige Daten (z.B. BIP)
auch in Schwellen- und Industrieländern nur in Quartalsabständen zu erhalten.163 Diese Probleme beeinträchtigen die ex-ante-Prognosequalität von Frühwarnsystemen. Hinweise auf solche bestehenden Probleme fehlen in fast allen
Studien.
Die Entwicklung einer Vielzahl empirischer Modelle zur Vorhersage von Währungskrisen wurde auch unterstützt durch theoretische Krisenmodelle, die zumindest teilweise eine Prognostizierbarkeit von Währungskrisen suggerieren.
Die Verwendung von Frühwarnindikatoren, die auf theoretischen Modellen der
1. und 2. Generation basieren, widerspiegelt diesen Zusammenhang. Modelle
der 2. und 3. Generation verdeutlichen die Möglichkeit der Existenz multipler
Gleichgewichte und nicht prognostizierbarer Erwartungsänderungen. Sind multiple Gleichgewichte nicht nur ein theoretisches Phänomen, ergeben sich
Schwierigkeiten von Krisenvorhersagen auf der Basis von Fundamentaldaten.
Wenn für gegebene Fundamentaldaten eine Krise ausbrechen kann oder auch
nicht (multiple Gleichgewichte), dann muss kein Eins-zu-eins-Zusammenhang
zwischen Fundamentaldaten und der Wahrscheinlichkeit einer Währungskrise
163
Vg. Chui (2002), S. 41 ff.
70
bestehen.164 Je mehr eine Krise nicht prognostizierbar ist, desto weniger signifikant korreliert kann sie unter Umständen mit den ausgewählten Variablen als
mögliche Krisendeterminanten sein.165
Frühwarnmodelle können einen gewissen Grad der Anfälligkeit gegenüber spekulativen Attacken feststellen. Der genaue Zeitpunkt der Krise kann allerdings
nicht mehr prognostiziert werden, da Markterwartungen generell schwer zu
prognostizieren sind. Verschiedene Marktteilnehmer haben unterschiedliche
Sichtweisen, unterschiedliche Erwartungen und voneinander abweichende Interpretationen der aktuellen Situation sind vorstellbar. Wann genau Erwartungsänderungen auftreten, kann nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden:
„… findings do not imply that there is a simple relation between fundamentals and
the timing of a crisis in a given country. The fact that a country is vulnerable does
not imply that it must suffer a crisis in the near future. It only implies that if investors
expectations turn pessimistic, a crisis will ensue because the government will be
forced to close the external gap through a large depreciation, thereby justifying investor’s expectations. To the extent that investors expectations are unpredictable,
the timing of a crisis in a particular country is unpredictable.”166
Der genaue Krisenzeitpunkt kann aus weiteren Gründen nicht mit Sicherheit
vorhergesagt werden. Die Reaktionsgeschwindigkeit der Marktteilnehmer wird
sich im Zuge der zunehmenden internationalen Vernetzung und weiterer Finanzmarktliberalisierungen erhöhen. Die Kapitalmobilität wird in der Folge zunehmen. 167 Im Gegensatz dazu verändern sich einige Fundamentaldaten –
ausgenommen der reale Wechselkurs – im Vorfeld von Währungskrisen nur
sehr langsam.168 Sowohl sehr kurzfristige Veränderungen auf der einen Seite
als auch nur langsame Änderungen auf der anderen Seite sind kaum innerhalb
eines Modells zu prognostizieren. Generell gilt für die Früherkennung von
Währungskrisen:
164
Vgl. Osband und van Rijckghem (2000), S. 239.
Vgl. Flood und Marion (1998), S. 40.
166
Tornell (1999), S. 25. Furman und Stiglitz (1998), S. 8: „… irrationality is not inconsistent with
predictability. But while regressions based on past behaviour provide insight into the information
of expectations in the past, they provide little assurance that such patterns will continue in the
future. Indeed, when there are systematic but irrational patterns and these can be analyzed,
there typically will be opportunities for arbitrage. The irrationalities that persist are, by definition,
unpredictable.” Siehe auch Reagle und Salvatore (2000), S. 250: „To be sure, no one can predict a crisis or its timing with certainty.“
167
Vgl. Deutsche Bundesbank (1999), S. 28 f.
168
Vgl. Frankel und Rose (1996), S. 14.
165
71
„Currency crises by their nature are uncertain and hence are difficult to predict.
Some variables provide early indications, but there are many false alarms. The
early warning model helps to identify the countries that are most vulnerable to crisis, but the model does relatively poorly at predicting the exact timing of crises.”169
Trotz aller Fortschritte bleibt die Fähigkeit von Vorhersagen und Simulation
komplexer Prozesse limitiert:
„Economic forecasting is like weather forecasting except that our knowledge of the
underlying science is less complete. … And in financial markets, unlike meteorology, there is the fact that the behaviour of the components can be affected by the
forecast.” 170
6 Zusammenfassung
In der vorliegenden Arbeit wurden theoretische Modelle zur Erklärung von Währungskrisen beschrieben und analysiert. Ausgehend von diesen theoretischen
Modellen wurden Fundamentaldaten identifiziert, die Grundlage für die Entwicklung von Prognosesystemen sind. Wesentliche Fundamentaldaten sind insbesondere die Höhe der Reserven, das Verhältnis der Geldmenge M2 zu Reserven, die inländische Kreditausweitung, der Anteil kurzfristiger Fremdverschuldung und der reale Wechselkurs – als Überbewertung oder als Abweichung
vom Trend. Diese Variablen konnten anschließend auch von empirischen
Frühwarnsystemen als Krisenursachen ermittelt werden.
Die Forderungen an die Leistung von Frühwarnsystemen sind nutzerabhängig.
Behörden, staatliche Banken und private Akteure erwarten frühzeitige Warnungen über abweichendes Verhalten der für sie relevanten Variablen, um rechtzeitig korrigierend eingreifen und damit Krisensituationen vermeiden zu können.
Es hat sich gezeigt, dass die verwendeten Modelle in der Lage sind, auf Veränderungen einiger Variablen in den verschiedenen Bereichen der Volkswirtschaft
zu reagieren. Frühwarnsysteme können eine generelle Schwäche, Angreifbarkeit oder Krisenanfälligkeit der Volkswirtschaft verdeutlichen. Dabei sind bisher
weder der genaue Krisenzeitpunkt noch die Intensität und die Auswirkungen der
Krise auf andere volkswirtschaftliche Bereiche und andere Volkswirtschaften
169
170
Edison (2000), S. 36.
Eichengreen (2002b), S. 2.
72
prognostizierbar. Bei insgesamt positivem Ansatz in der Zielrichtung zeigt sich,
dass
1. die theoretischen Modelle um Erklärungen vergangener Währungskrisen
bemüht sind. Neue Krisen werden aber zum Teil durch bisher unbekannte oder nicht als relevant eingeschätzte Zusammenhänge und Schocks
ausgelöst oder begünstigt.
2. empirische Frühwarnsysteme versuchen, anhand historischer Daten
Rückschlüsse auf zukünftige Ereignisse zu ermöglichen. Vergangene
Zusammenhänge müssen aber nicht zwangsläufig für zukünftige Krisen
relevant sein. Welche Schocks genau eine zukünftige Krise auslösen
werden, ist nur schwer vorherzusehen. Die Vielzahl potentieller Schocks
und sich verändernde ökonomische Zusammenhänge schränken die Relevanz der Frühwarnsysteme erheblich ein, weil jeder Eingriff in das System zugleich auch die „Messbedingungen“ ändert.
3. eine Erklärung, warum eine anfällige Situation in einem Land ohne Folgen bleibt und in einem anderen Land zu schwerwiegenden Krisen führt,
von den theoretischen Modellen und den vorgestellten Frühwarnsystemen nicht geleistet werden kann.
4. Erwartungsänderungen der Marktteilnehmer und irrationales Verhalten
ebenso nur sehr bedingt prognostizierbar sind.
5. Währungskrisen ihrer Natur entsprechend nur sehr eingeschränkt und
vor allem nur für bestimmte Interessengruppen im Ansatz prognostizierbar sind.
Dies ist ein alles prägendes Problem der wissenschaftlichen Diskussion und
zeigt deutlich die begrenzten Möglichkeiten von Frühwarnsystemen.
Es konnte weiter gezeigt werden, dass Frühwarnsysteme entgegen der oftmals
geäußerten Meinung nicht objektiv und neutral sind (und auch nicht sein können, s.o.).
„Although EWS models can not replace the sound judgment of policy-makers in
guiding policy, they can play an important complementary role as a neutral and objective measure of vulnerability.”
171
171
Bussière und Fratzscher (2002), S. 6. Berg, Borensztein und Pattillo (2004), S. 30, sehen
ebenfalls einen großen Vorteil der Frühwarnsysteme in ihrer Objektivität.
73
Die Auswahl der als relevant angesehenen Variablen, die Festlegung der
Schwellenwerte und Prognosehorizonte, die Gewichtungen und Zusammensetzung der Krisenindizes und die Wahl der empirischen Methode erfolgt subjektiv.
Zusätzlich verdeutlicht wird die fehlende Objektivität noch durch die unterschiedliche Signifikanz eingesetzter Indikatoren, fehlende einheitliche Maßstäbe
der Krisendefinition und den fehlenden Konsens hinsichtlich der theoretischen
Krisenursachen.
Neue Krisenepisoden führten zu systematischen Erweiterungen der Modelle
und zur Einbeziehung neuer Erkenntnisse sowohl hinsichtlich der Variablen als
auch der Prognosemethodik. Damit verbunden sind Verbesserungen der expost-Analysequalität. Eine Reihe von Studien ließ den Eindruck entstehen, dass
die Qualität und Möglichkeit von Vorhersagen von Frühwarnsystemen dadurch
verbessert werden könnte, dass in die Analyse vergangener Krisen immer neue
Variablen einbezogen wurden. Es ist bisher kein Beweis dafür erbracht worden,
dass dadurch die Prognosemöglichkeit und Prognosesicherheit zunimmt (es ist
keine erfolgreiche ex-ante-Prognose einer Währungskrise bekannt). Ziel sollte
deshalb sein, einerseits einfache Modelle mit wenigen speziellen Indikatoren zu
nutzen, um grundlegende Gemeinsamkeiten und Ursachen von Krisen zu verdeutlichen.
„As a result, it is fair to conclude that: (1) the leading indicators literature is still in
its infancy and more rigorous and precise data (especially on financial fragility and
investment efficiency) should be explored; and (2) researchers should refrain from
creating and developing predictors of crises (after all, financial crises might perfectly be unpredictable) and focus instead on simpler early-warning indicators.”172
Andererseits werden zukünftig Modelle zu entwickeln sein, die in der Lage sind,
komplexe ökonomische Zusammenhänge und dynamische Entwicklungen erfassen und erklären zu können. Die bisher verwendeten grundlegenden Methoden sind aufgrund der fehlenden Flexibilität und der binären Betrachtung kaum
geeignet, über die Identifikation von fundamentalen Frühwarnindikatoren hinaus
172
Bustelo (2000), S. 28. Reagle und Salvatore (2000) verwenden sechs Indikatoren und Mariano et al. (2002) beziehen nur drei Variablen in ein Frühwarnmodell ein. Von Interesse hinsichtlich der ex-post-Analyseergebnisse eines Modells mit weniger speziellen Indikatoren könnte ein
im Juni erscheinender Artikel sein: Salvatore, Dominick (2005): Robustness of forecasting financial crises in emerging market economies with data revisions, Open Economies Review.
Für Herrera und García (1999), S. 1, ist die Entwicklung eines einfachen Modells zu möglichst
geringen Kosten das Hauptziel.
74
Krisen vorherzusagen. Diese fehlende Flexibilität und Dynamik bei der Erklärung komplexer wirtschaftlicher Zusammenhänge könnten aus den Naturwissenschaften bekannte und erfolgreich angewendete Ansätze der ChaosTheorie und neuronaler Netzwerke als selbstlernende Systeme ausgleichen.
Eine weitere Chance bietet die unscharfe Logik (fuzzy logic), die die Verwendung von unscharfen Variablen erlaubt. Durch die Einbeziehung länderspezifischer ökonomischer und politischer Besonderheiten in auf diese Länder zugeschnittene komplexere Modelle könnten zusätzliche Zusammenhänge verdeutlicht und somit sowohl die ex-post-Analyse verbessert als auch die ex-antePrognosequalität erhöht werden.
Die Einschränkung der erreichten Prognosequalität würde sicherlich geringer
ausfallen, wenn es möglich wäre, den Veröffentlichungen zuzuordnen, wer mit
welchen Modellen beraten wird und welche genauen Erfahrungen mit deren
praktischen Umsetzungen verbunden sind.
Boten die Frühwarnsignale Anlass, konkrete Maßnahmen zu ergreifen? War es
auf diesem Wege möglich, Krisen zu verhindern oder zumindest die verheerenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen zu begrenzen? Aus
den bereits ausgeführten Gründen ist dieser Einblick in die praktischen Erfahrungen privater Institutionen und ihrer Modelle weitestgehend verwehrt.
Die Arbeit zeigt weiter, dass Frühwarnsysteme allein als Politikberatung nicht
ausreichend sind. Sie sind zwar als Beratungsinstrumente ausgelegt, aber in
keiner der Studien werden Auskünfte über konkrete Werte der Fundamentaldaten publiziert, die nicht anfällig für spekulative Attacken sind. Zumindest die öffentlich zugänglichen Modelle sind nicht mit konkreten Hinweisen verbunden,
wie in einer Situation mit Krisengefahr Werte der Indikatoren zu verändern sind,
um eine Krise zu verhindern. Ähnlich ist die Situation hinsichtlich der Festlegung optimaler Fundamentaldaten. In der Arbeit konnte aufgrund der verfügbaren Literatur nicht gezeigt werden, dass es diese überhaupt gibt und wie sich
diese optimalen Werte darstellen lassen.
Es ist aus Sicht der unterschiedlichen volkswirtschaftlichen Akteure auch nicht
zu erwarten, dass ein einheitliches Interesse daran besteht, ein für alle identi75
sches Frühwarnsystem zu verwenden. Es besteht immer ein Interesse, relevante Informationen vor anderen zu erhalten, um zu einem früheren Zeitpunkt agieren zu können. Außerdem sind die zugrunde liegenden Interessen, Erwartungen und das Risikoverhalten unterschiedlich. Frühwarnsysteme privater Investmentbanken arbeiten mit kürzeren Prognosehorizonten. Teilweise werden
den Kunden wöchentliche Berichte zur Verfügung gestellt. Ziel ist hier nicht die
korrigierende Politikberatung zur Vermeidung von Währungskrisen, sondern
das Vermeiden von Verlusten z.B. an den Devisenmärkten. Vorausgesetzt, es
gäbe ein Modell, dass eine 100%ige Prognosesicherheit verspricht, wäre das
für den Anbieter und den Nutzer des Modells die „Lizenz zum Gelddrucken“.
Der missbräuchliche Einsatz eines Prognoseinstrumentes – zur Beschleunigung oder Vertiefung der Krise – könnte dann nicht vermieden werden. Die
Nutzung von Frühwarnsystemen – nicht nur für Währungskrisen – ist mit strategischen und wirtschaftlichen Interessen verbunden.
In der Arbeit konnte darüber hinaus gezeigt werden, dass eine Vielzahl von Autoren sich mit den Möglichkeiten und auch den Grenzen von Prognosesystemen für Währungskrisen auseinandersetzt. Es zeigt sich, dass die Problematik
der Entwicklung von Frühwarnsystemen so vielschichtig ist, dass ein homogenes System mit einem Prognosehorizont unrealistisch erscheint. Damit sind die
Möglichkeiten der Prognose von Währungskrisen stark eingeschränkt. Zu den
Möglichkeiten gehört dennoch, dass die in Frühwarnsystemen verwendeten
makroökonomischen Variablen/Indikatoren hilfreich für die Vorhersage von
Währungskrisen sein können und deshalb auf den Einsatz von Frühwarnsystemen als einem ergänzenden Prognoseinstrument nicht verzichtet werden sollte.
76
Anhang I: Variablen in Frühwarnmodellen
Tabelle A1: Variablen in Frühwarnmodellen (KSS, E, LK, BL, T, BM)
Autoren
KSS
E
LK
BL
T
BM
■
■
■
■
■
■
■
■
■
■
■
■
■
■
■
■
■
■
■
■
■
externer Sektor (Leistungsbilanz)
realer Wechselkurs
realer Wechselkurs (Trend)
Überbewertung Währung
(∆) Exportwachstum
(∆) Importwachstum
terms-of-trade
■
■
Leistungsbilanz/BIP
■
■
Nominaler Wechselkurs
externer Sektor (Kapitalbilanz)
M2/Reserven
■
(%∆) Wachstum Reserven
■
■
■
■
■
■
Reserven/BIP
Reserven/kurzfristige Verschuldung
■
externe Verschuldung/Exporte
■
Finanzsektor
(Wachstum) M1 und M2
■
■
M2-Multiplikator
■
inländische Kredite/BIP
■
■
■
Fremdverschuldung/BIP
■
private inländische Kredite/BIP
FDI/ Gesamtverschuldung
inländischer realer Zinssatz
■
■
■
Verhältnis Kredit- und Einlagenzins
■
■
■
Einlage kommerzielle Banken/(BIP)
■
■
■
inländisches Kreditwachstum
■
■
realer u. öffentlicher Sektor
■
Inflation
BIP (Wachstum nominal/real)
■
∆ Börsenindex
■
■
■
■
■
∆ Produktionsindex
Wachstum Industrieproduktion
öffentliche Verschuldung/BIP
■
■
■
Budgetbilanz/BIP
Fiskaldefizit/BIP
■
■
■
■
politische Variablen
globale Wirtschaft
Wachstum Ölpreis
■
■
US Zinssatz
■
■
■
OECD BIP-Wachstum
■
■
■
Quelle: KSS: Kamin, Schindler und Samuel (2001); E: Edison (2003); LK: Lestano und Kuper
(2003); BL: Brüggemann und Linne (2002); T: Tornell (1999); BM: Bussière und Mulder (1999a).
77
Tabelle A2: Variablen in Frühwarnmodellen (BM, C, GG, HK, HG, KMP)
Autoren
BM
C
GG
HK
HG
KMP
realer Wechselkurs
■
■
■
■
■
■
realer Wechselkurs (Trend)
■
externer Sektor (Leistungsbilanz)
■
Überbewertung Währung
■
■
Leistungsbilanz/BIP
■
■
nominaler Wechselkurs
■
(∆) Exportwachstum
■
■
(∆) Importwachstum
terms-of-trade
■
■
externer Sektor (Kapitalbilanz)
M2/Reserven
■
■
(%∆) Wachstum Reserven
■
■
■
■
Reserven/BIP
Reserven/Importe
Reserven/Gesamtverschuldung
kurzfristige Verschuldung/Reserven
■
Finanzsektor
(Wachstum) M1 und M2
■
Struktur Auslandsverschuldung
■
inländische Kredite/BIP
■
Fremdverschuldung/BIP(/Reserven)
private inländische Kredite/(BIP)
■
■
FDI
■
Portfoliostruktur
■
Kapitalmarktliberalisierung
■
■
inländischer realer Zinssatz
Verhältnis Kredit- und Einlagenzins
Einlage kommerzielle Banken/(BIP)
■
(inländisches) Kreditwachstum
■
realer u. öffentlicher Sektor
■
Inflation
■
■
BIP (Wachstum nominal/real)
∆ Börsenindex (Aktienpreise)
■
■
Ø Kredit-Rating
Wachstum Industrieproduktion
öffentliche Verschuldung/BIP
Budgetbilanz/BIP
■
■
Fiskaldefizit/BIP
politische Variablen/Governance
■
globale Wirtschaft
US Zinssatz
OECD BIP-Wachstum
Quelle: BM: Bussière und Mulder (1999b); C: Collins (2003); GG: Ghosh und Ghosh (2002); HK:
Hawkins und Klau (2000); HG: Herrera und Garcia (1999); KMP: Kumar, Moorthy und Perraudin
(2002).
78
Tabelle A3: Variablen in Frühwarnmodellen (NW, OVR, V, Z, A, P)
Autoren
NW
OVR
V
Z
■
■
■
■
A
P
externer Sektor (Leistungsbilanz)
realer Wechselkurs
■
■
realer Wechselkurs (Trend)
■
(∆) Exportwachstum
■
■
Importe/Exporte
■
terms-of-trade
Leistungsbilanz(/BIP)
■
■
Importwachstum
■
■
■
externer Sektor (Kapitalbilanz)
■
M2/Reserven (oder Reserven/M2)
■
■
■
(%∆) Wachstum Reserven
■
■
■
■
■
■
■
Reserven/Importe
kurzfristige Verschuldung/Reserven
■
■
M2/Reserven - Wachstum
■
Reserven/kurzfristige Verschuldung
■
externe Verschuldung/Exporte
■
Schuldendienst/Exporte
■
■
Contagion
Finanzsektor
(Wachstum) M1 und/oder M2
■
M2-Multiplikator
■
inländische Kredite/BIP
■
Fremdverschuldung/BIP
private inländische Kredite(/BIP)
■
■
FDI(/ Gesamtverschuldung)
■
■
■
Portfoliostruktur u. -investment
■
■
inländischer realer Zinssatz
■
■
Zinsunterschied Inland/Ausland
Bankreserven/Bankvermögen
■
Bankeinlagen(/M2)
■
■
Bankverschuldung/-einlagen
■
■
inländisches Kreditwachstum
■
■
kurzfristige Verschuldung
Kreditwachstum an Regierung
■
Anteil staatliche Verschuldung
■
realer u. öffentlicher Sektor
■
Inflation
BIP (Wachstum nominal/real)
■
■
■
∆ Börsenindex
■
Wachstum Industrieproduktion
■
■
Budgetbilanz(/BIP)
Fiskaldefizit(/BIP)
■
■
■
globale Wirtschaft
US Zinssatz
OECD BIP-Wachstum
Quelle: NW: Nitithanprapas und Willett (2000); OVR: Osband und Van Rijckeghem (2000), V:
Vlaar (2000); Z: Zhang (2001); A: Abiad (2003); P: Pasternak (o.J.).
79
Tabelle A4: Variablen in Frühwarnmodellen (RS, KB, Sx, BF, R, Sz)
Autoren
RS
KB
Sx
BF
R
Sz
■
■
externer Sektor (Leistungsbilanz)
■
realer Wechselkurs
■
realer Wechselkurs (Trend)
■
■
Überbewertung Währung
■
(∆) Exportwachstum
■
■
■
■
(∆) Importwachstum
■
■
■
Exporte/Importe
■
terms-of-trade
■
■
Handelsbilanz(/BIP)
(Leistungsbilanz)/BIP
■
(Leistungsbilanz – FDI)/BIP
■
Schuldendienst/Exporte
■
■
■
■
■
■
■
■
Schuldendienst/BIP
externer Sektor (Kapitalbilanz)
■
M2/Reserven
(%∆) Wachstum Reserven
■
■
■
■
■
■
■
Wachstum (M2/Reserven)
■
(∆) Reserven/M1 oder M2
(∆) Reserven/Importe
■
Reserven/kurzfristige Verschuldung
■
■
kurzfristige Verschuldung/Reserven
■
Gesamtverschuldung/Reserven
■
Finanzsektor
■
(Wachstum) M1 und/oder M2
langfristige Verschuldung/BIP
■
kurzfristige Verschuldung/BIP
■
■
Struktur Verschuldung
Fremdverschuldung/BIP
■
FDI(/ Gesamtverschuldung)
■
Portfoliostruktur
■
Struktur Kapitalzuflüsse
■
■
Verhältnis Kredit- und Einlagenzins
■
Einlage kommerzielle Banken/(BIP)
inländisches Kreditwachstum
■
■
M1/BIP, M2/BIP
■
■
■
inländische Kredite/BIP
■
private inländische Kredite/BIP
■
Kredit-Rating Land
realer u. öffentlicher Sektor
■
Inflation
BIP (Wachstum nominal/real)
■
■
∆ Börsenindex
■
■
■
∆ Produktionsindex
Wachstum Industrieproduktion
■
■
■
■
öffentliche Verschuldung/BIP
Budgetbilanz/BIP
■
■
■
80
Autoren
Fiskaldefizit(/BIP)
RS
KB
Sx
BF
R
Sz
■
globale Wirtschaft
■
Wachstum Ölpreis
US Zinssatz
■
■
OECD BIP-Wachstum
■
Contagion
■
Quelle: RS: Reagle und Salvatore (2000); KB: Kamin und Babson (1999); Sx: Schardax (2003);
BF: Bussière und Fratzscher (2002); R: Rose (1998); Sz: Schnatz (1998).
81
Tabelle A5: Variablen in Frühwarnsystemen (MFR, GKR, LB, DB, MSDW, GS)
Autoren
MFR
GKR
LB
DB
■
■
■
■
MSDW
GS
■
■
■
■
externer Sektor (Leistungsbilanz)
realer Wechselkurs
Überbewertung Währung
(∆) Exportwachstum
■
(∆) Importwachstum
■
terms-of-trade
■
■
Leistungsbilanz(defizit)(/BIP (%))
■
Leistungsbilanz/Investitionen
■
■
■
■
■
■
nominaler Wechselkurs
externer Sektor (Kapitalbilanz)
M2/Reserven
■
■
■
■
■
Reserven/M2
■
Wachstum M2/Reserven
■
(%∆) Wachstum Reserven
Reserven/Importe
■
■
■
■
■
Reserven/kurzf. Fremdverschuldung
■
kurzfristige Verschuldung/Reserven
Finanzsektor
„Exzess“ M1
■
M2-Multiplikator
■
■
kurzf. Fremdverschuldung %Exporte
inländische Kredite/BIP (%)
■
■
■
■
■
Fremdverschuldung/BIP(/Reserven)
■
private inländische Kredite(/BIP)
■
öffentliche Kredite/BIP
■
kurzfristiger Kapitalzufluss/BIP
■
■
FDI(/BIP)
■
■
Portfoliostruktur
■
inländischer realer Zinssatz (kurzf.)
■
■
Zinsunterschied In- und Ausland
■
■
Verhältnis Kredit- und Einlagenzins
Einlagenzins
■
Bankeinlagen
■
■
„faule“ Kredite
■
(inländisches) Kreditwachstum
■
ZB Kredite öffentlicher Sektor/BIP
realer u. öffentlicher Sektor
■
BIP (Wachstum nominal/real)
Inflation
■
∆ Börsenindex (Aktienpreise)
■
Vermögenswertpreise
■
Kredit-Rating (Moody’s)
■
politische Variablen/Governance
■
■
■
■
■
(Wachstum) Industrieproduktion
Budgetdefizit/BIP
■
■
■
■
globale Wirtschaft
82
Autoren
MFR
GKR
LB
DB
MSDW
■
globale Liquidität
US (Ausland) Zinssatz
GS
■
Wachstum Ölpreis
■
■
■
OECD BIP-Wachstum
Contagion (Abwertung)
■
Contagion (Marktdruck)
■
■
Quelle: MFR: Milesi-Ferretti und Razin (1998); GKR: Goldstein, Kaminsky und Reinhart (2000);
LB: Lehman Brothers (2003); DB: Deutsche Bank (2002), MSDW: Morgan Stanley Dean Witter
(2001); GS: Goldman Sachs (1998).
83
Anhang II:
Krisenmodell der 1. Generation
Modellannahmen
Ausgangspunkt der Modellbetrachtung ist eine kleine Volkswirtschaft, die ihren
Wechselkurs gegenüber einer großen Volkswirtschaft fixiert. Es wird angenommen, dass die Fixierung des Wechselkurses allein der Währungsbehörde
der kleinen Volkswirtschaft obliegt. Dies liegt primär im Interesse des kleinen
Landes.
Gleichung (1), die den inländischen Geldmarkt beschreibt, ist die zentrale Gleichung des Modells. Die Gleichungen (2) bis (4) spezifizieren die in (1) verwendeten Variablen. Aus Vereinfachungsgründen werden die Beziehungen in den
Gleichungen (1) bis (4) in logarithmierter Form (Log-Linearisierung) dargestellt.
Inländisches Geldmarktgleichgewicht:
m − p = − α (i )
m
inländisches Geldangebot
p
inländisches Preisniveau
α(i)
vom inländischen Zinssatz i negativ abhängige reale Geldnachfrage
(1)
Inländisches Geldangebot:
m =d +r
d
inländische Kredite
r
Währungsreserven
(2)
Das Preisniveau des kleinen Landes wird auf Grund internationaler Arbitrage
auf den Gütermärkten bestimmt. Es gilt die absolute Form der Kaufkraftparitätentheorie.
Kaufkraftparität:
p = pa + e
p
inländisches Preisniveau
pa
ausländisches Preisniveau
(3)
84
e
Wechselkurs, ausgedrückt durch Preis einer Fremdwährungseinheit in
heimischer Währung
Der internationale Kapitalmarkt wird mittels der ungesicherten (ungedeckten)
Zinsparität in das Modell einbezogen. Es wird ein vollkommener internationaler
Kapitalmarkt vorausgesetzt. In- und ausländische Finanzanlagen sind vollkommene Substitute. Die Kapitalmobilität ist nicht eingeschränkt.
Ungedeckte Zinsparität:
i = i a + ∆e erw
i
inländischer Zins
ia
ausländischer Zins
(4)
∆eerw Änderungsrate des erwarteten Wechselkurses
Unter einem flexiblen Wechselkurssystem kann die Höhe der Reserven konstant gehalten werden. Die sich verändernde Wechselkursrate „reguliert“ das
Geldmarktgleichgewicht.
Ist der Wechselkurs fixiert, „regulieren“ die internationalen Währungsreserven r
das Gleichgewicht auf dem heimischen Geldmarkt. Zur Erklärung von Währungskrisen werden im Rahmen dieses einfachen Modells zwei unterschiedliche
Szenarien betrachtet:
feste Wechselkurse bei vollkommener Sicherheit
feste Wechselkurse bei Unsicherheit
Einer Krise gehen Defizite des Staatshaushaltes voraus, die durch eine Ausweitung der heimischen Geldmenge (Ausweitung der heimischen Kreditvergabe d)
finanziert werden. Ein Krisenszenario tritt ein, wenn der ursprünglich fixierte
Wechselkurs freigegeben wird, oder ein neuer fester Wechselkurs festgelegt
wird. Zum Zeitpunkt der Krise wird die Neutralisierungspolitik hinsichtlich der
heimischen Geldmenge aufgegeben.
Feste Wechselkurse und vollkommene Sicherheit
Es wird ein fester Wechselkurs (e konstant) unterstellt:
e=e
85
Das ausländische Preisniveau pa ist gegeben und konstant. Aus Gleichung (3)
folgt, dass das inländische Preisniveau p ebenfalls gegeben und konstant ist.
Bei glaubhafter Fixierung des Wechselkurses ist
∆e erw = 0 , und es gilt i = i a , wobei i a als konstant
angenommen wird.
Werden die Gleichungen (2) bis (4) und die eben gemachten weiteren Annahmen in Gleichung (1) eingesetzt, so gilt
r + d − pa − e = − α (i a )
(5)
r + d = pa + e − α (i a ) .
(6)
oder
Die wachsenden Haushaltsdefizite werden durch ein Wachstum der inländischen Kredite d finanziert. Die Wachstumsrate von d (∆d) wird mit µ bezeichnet.
Aus den oben genannten Annahmen und (6) folgt
∆r = −∆d = − µ bzw.
− ∆r = µ .
Anhand dieses einfachen Modells wird deutlich, dass eine Ausweitung der inländischen Kreditmenge zwangsläufig zu abnehmenden staatlichen Devisenreserven führt. Sind diese erschöpft, kann die Zentralbank zur Stützung des fixierten Wechselkurses nicht mehr an den Devisenmärkten intervenieren. Die Aufgabe des Wechselkurses (Währungskrise) ist ein „natürlicher Kollaps“. Zur
Vermeidung von erheblichen Vermögensverlusten werden die spekulierenden
Akteure - unter der Annahme vollkommener Sicherheit bzw. perfekter Voraussicht - diesen „natürlichen Kollaps“ nicht abwarten. Vielmehr können spekulative
Attacken zum vorzeitigen Ende des festen Wechselkursregimes führen. Hier
stellt sich die Frage, wann die spekulative Attacke erfolgt und der Wechselkurs
freigegeben wird. Zur Erklärung wird ein Schattenwechselkurs ( e~ ) 173 einge-
173
Definiert als flexibler Wechselkurs, der sich einstellen würde, wenn Spekulanten die verbliebenen Reserven kaufen (spekulative Attacke) und die staatlichen Behörden von weiteren Interventionen absehen.
86
führt. Der Schattenwechselkurs ist entscheidend für die Gewinnerwartung und
dementsprechend für das Spekulationskalkül.
Schattenwechselkurs
Vor der Aufgabe des festen Wechselkurses nahmen die Devisenreserven mit
der negativen Wachstumsrate der inländischen Kreditvergabe µ ab. Das Geldmarktgleichgewicht wurde durch abnehmende Devisenreserven gehalten, während die Geldnachfrage konstant blieb. Vor der Attacke galt die Beziehung
∆r = − ∆d = − µ .
Nach der Aufgabe des festen Wechselkurses wächst neben der Kreditmenge d
auch die Geldmenge m weiter mit der Rate µ.
Ausgehend von der Situation mit festen Wechselkursen ergibt sich unter der
vereinfachenden Annahme von
i a = pa = 0
aus Gleichung (1) im Gleichgewicht
∆m − ∆p = 0 .
Bis zur Aufgabe der Wechselkursfixierung wurde eine Situation mit Neutralisierung betrachtet, in der sich m und p nicht änderten. Im Anschluss an die Aufgabe der Wechselkursverteidigung stehen keine Reserven für weitere Interventionen zur Verfügung:
r = 0.
Aus diesem Grund muss die bisher verfolgte Neutralisierungspolitik aufgegeben
werden. Es gilt nun
∆m = ∆p = µ .
Ausgehend von Gleichung (3) erhält man
∆e = ∆p .
Dies wird in Gleichung (4) berücksichtigt. In einer Situation mit perfekter Voraussicht entsprechen die erwarteten den später auch realisierten Größen, d.h.
87
∆e erw = ∆e .
Aus Gleichung (4) ergibt sich weiter
i = ∆e erw = ∆e = µ .
(7)
Das Geldmarktgleichgewicht nach Wechselkursfreigabe und dem Ende der Interventionen bzw. der Neutralisierungspolitik kann beschrieben werden mit:
r + d − e~ = − α ⋅ ∆e erw .
(8)
Unter Berücksichtigung von (7) folgt aus (8) unter der Annahme von r = 0
d − e~ = −αµ .
Somit kann der Schattenwechselkurs dargestellt werden als
e~ = αµ + d .
(9)
(10)
Die Spekulanten erwarten, ihre im Zusammenhang mit spekulativen Attacken
erworbenen Devisenreserven zum Schattenwechselkurs wieder in inländische
Währung zurückzutauschen. Mit einem Spekulationsgewinn ist zu rechnen,
wenn
e~ > e .
In Abbildung A1 (S. 98) wird neben der Gleichung (10) und dem zuvor fixierten
Wechselkurs e auch der Zusammenhang zwischen Schattenwechselkurs, Gewinnerwartung und Spekulationskalkül dargestellt.
Im Schnittpunkt A entspricht der Schattenwechselkurs dem vorher fixierten
Wechselkurs:
e~ = e .
Links des Schnittpunktes A, also bei
A
d < d und e~ < e , sind spekulative Attacken uninte-
ressant. Spekulationen gegen die inländische Währung wären mit Verlusten
verbunden.
88
Rechts des Schnittpunktes A, wenn
A
d > d und e~ > e ,
sind spekulative Attacken mit Gewinnmöglichkeiten verbunden. Unter der Annahme vollkommener Sicherheit sind diese Gewinnchancen für jeden Spekulanten vorhersehbar. Dies führt zu einem Wettbewerb untereinander. Ziel ist,
früher als andere Wettbewerber zu attackieren. Daraus folgt, dass eine vorhersehbare Attacke zum Zeitpunkt T stattfindet, wenn
d =d
A
und e~ = e .
Abbildung A1: Spekulative Attacke unter Sicherheit
e
e~
A
e
e
αµ
d
d
A
Quelle: Flood und Marion (1998)
Die Wettbewerbssituation der Spekulanten hat zur Folge, dass es zu keiner
sprunghaften Wechselkursänderung kommt.
89
Eine Krisensituation ist schließlich gekennzeichnet durch plötzlich sinkende
Währungsreserven ( − ∆r ) zum Zeitpunkt T (siehe Abbildung A4, S. ). Aus Gleichung (10) folgt, dass der Wechselkurs nach erfolgter spekulativer Attacke mit
der Rate µ steigt. Die Gleichungen (4) und (7) zeigen, dass der inländische Zins
sich nach der Attacke um µ verändern muss. Dies ist zentral für Modelle der 1.
Generation. Zum Zeitpunkt der vorhergesehenen spekulativen Attacke steigt
der inländische Zins, um den entsprechenden Wertverlust der Währung zu reflektieren. Für das Gleichgewicht auf dem Geldmarkt ergibt sich daraus:
1)
Das Geldangebot verringert sich um das Ausmaß der Attacke
( ∆r ).
2)
Die Geldnachfrage sinkt aufgrund des gestiegenen inländischen
Zinssatzes genau um dieses Ausmaß.
Im Zeitpunkt der Attacke ändern sich e und d nicht. Der gestiegene Zins berücksichtigt die jetzt für die Zukunft bestehende Abwertungserwartung. Aus den
Gleichungen (7) und (8) lässt sich ableiten, dass:
∆r = −αµ .
(11)
Gemäß Gleichung (2) setzt sich das Geldangebot aus inländischen Krediten
und Währungsreserven zusammen. Vor der Attacke ergibt sich für die Währungsreserven bei festem Wechselkurs
rt = r0 − µt .
r0
Anfangsbestand an Währungsreserven
rt
Währungsreserven zum Zeitpunkt t
(12)
Zum Zeitpunkt T der spekulativen Attacke fallen die Reserven auf Null. Aus
Gleichungen (11) und (12) ergibt sich:
− ∆r = r0 − µT = αµ .
(13)
Interessiert jetzt der Zeitpunkt T der spekulativen Attacke und der anschließenden Wechselkursfreigabe, dann folgt aus Gleichung (13):
T =
r0 − αµ
.
µ
(14)
90
Gleichung (14) verdeutlicht, dass der Zeitpunkt für die Aufgabe des festen
Wechselkursregimes abhängig ist vom Ausgangsniveau der Reserven r0 und
der Wachstumsrate der Kreditvergabe µ. Der feste Wechselkurs kann umso
länger verteidigt werden, je höher die Reserven r0 und je geringer µ sind.
Nach der Attacke kann nicht mehr auf den Devisenmärkten interveniert werden.
Der Wechselkurs stellt sich gemäß Gleichung (10) ein.
Die Abbildungen A2 bis A4 verdeutlichen nochmals die Zusammenhänge eines
Zusammenbruchs des festen Wechselkurssystems. Abbildung A2 zeigt den
Zeitpunkt T der spekulativen Attacke.
Abbildung A2: Logarithmierte Wechselkursrate
e
e~t
e
Zeit t
T
T&
Quelle: Obstfeld (1994)
91
Abbildung A3: Logarithmiertes Geldangebot
m
m
Zeit t
T
T&
Quelle: Obstfeld (1994)
Abbildung A3 zeigt das Gleichgewicht auf dem Geldmarkt. Zum Zeitpunkt T der
spekulativen Attacke sinkt das vorher konstante Geldangebot drastisch. Das
Gleichgewicht auf dem Geldmarkt - dem Ausgangspreisniveau
p = e entsprechend kann nur gehalten werden, wenn das sinkende Geldangebot die ebenfalls gesunkene Geldnachfrage kompensiert.
In Abbildung A4 wird deutlich, dass zum Zeitpunkt T der spekulativen Attacke
die verbliebenen Reserven auf Null springen, anstatt weiter langsam abzunehmen und schließlich zum Zeitpunkt
T&
erschöpft zu sein. Dieser Sprung der Reserven ist notwendig, um eine sprunghafte Änderung des Wechselkurses zu vermeiden.
92
Abbildung A4: Logarithmierte Reserven
r
r0
rT
Zeit t
T
T&
Quelle: Obstfeld (1994).
93
Feste Wechselkurse bei Unsicherheit
Die sehr restriktive Annahme der vollkommenen Sicherheit wird aufgehoben.
Hierfür wird Gleichung (4) durch einen Risikozuschlag für Wechselkursänderungen erweitert.
i = i a + ∆e erw + β
β
(15)
Risikoprämie, Risikozuschlag
Änderungen des Wechselkurses - hier eine Abwertung - führen bei Finanzanlagen in inländischer Währungen zu Verlusten. Die Risikoeinschätzungen der
Marktteilnehmer kommen werden durch die positive Größe β berücksichtigt.
Analog zum Modell mit vollkommener Sicherheit erhält man, wiederum unter
der Annahme
i a = pa = 0 ,
aus Gleichung (6):
(
)
r + d = e − α ∆e erw + β .
(16)
Gehen die Wirtschaftssubjekte noch immer davon aus, dass der fixierte Wechselkurs glaubhaft verteidigt wird, ist
∆e erw = 0 ( e konstant).
Die Währungsreserven nehmen wie zuvor dargestellt auch im Modell mit Unsicherheit ab, solange β konstant bleibt. Auch hier kommt es zum Zeitpunkt T zu
einer spekulativen Attacke, da nicht mehr erwartet wird, dass das feste Wechselkursregime verteidigt werden kann. Der Schattenwechselkurs wird - analog
zum Modell mit vollkommener Sicherheit - als Wechselkurs betrachtet, der sich
nach Aufgabe des Festkursregimes (dem Ende der Neutralisierungspolitik, also
ohne Marktintervention) am Devisenmarkt einstellt. Somit ist er entscheidend
für das Spekulations- und Gewinnkalkül. Aus Gleichung (16) ergibt sich
d = e~ − α ∆e erw + β .
(
)
(17)
Analog zu Gleichung (10) kann der Schattenwechselkurs bestimmt werden:
e~ = αµ + αβ + d .
(18)
94
Im Vergleich zur Situation mit perfekter Voraussicht wird der Schattenwechselkurs zusätzlich durch die Höhe der Risikoprämie beeinflusst. Steigt die Risikoprämie, steigt der Schattenwechselkurs.
Der Risikozuschlag β kann als Bewertung der ökonomischen Situation interpretiert werden. Fällt die ökonomische Bewertung schlechter oder pessimistisch
aus, steigt β. Dies kann eine der Ursachen für den Abwertungsdruck auf die
inländische Währung sein. Wie gezeigt, erhöht ein steigender Schattenwechselkurs die Gewinnchancen der Spekulanten.
Abgeleitet aus den Gleichungen (12), (13) und (17) ergibt sich für die Reserven
r zum Zeitpunkt der spekulativen Attacke T - unter der Voraussetzung, dass im
Zeitraum von
t = 0 bis t = T
keine Änderungen von β eingetreten sind − ∆r = r0 − µT = αµ + α∆β .
(19)
Der Zeitpunkt T ergibt sich aus
T =
r0 − αµ − α∆β
µ
(20)
Eine Veränderung der Risikoprämie beeinflusst den Zeitpunkt der Attacke.
Steigt β, erhöhen sich auch Substitutionstendenzen in andere Währungen. Dies
erhöht den Druck auf die inländische Währung.
Der entscheidende Unterschied zum Modell mit vollkommener Sicherheit besteht darin, dass nicht vorherzusagen ist, wie sich der Markt hinsichtlich der
Risikoprämie β positioniert. Auch wenn angenommen wird, dass die Erwartungsbildung homogen erfolgt, kann der Zeitpunkt der spekulativen Attacke
nicht mehr vorausgesagt werden.
Das Verhalten privater Marktteilnehmer ist nicht mehr prognostizierbar.
95
Anhang III:
Krisenmodell der 2. Generation
In Modellen der 1. Generation agiert der Staat vollkommen situationsunabhängig. In Modellen der 2. Generation reagiert der Staat auf Aktionen privater Akteure.
Modellrahmen
Der Modellrahmen entspricht den im Anhang II vorgenommenen Annahmen. In
dem dargestellten Modell der 1. Generation blieb die Wachstumsrate µ als Parameter in jedem Fall unverändert. Im hier folgenden einfachen Modell der 2.
Generation kommt die situationsabhängige Reaktion des Staates durch eine im
Zeitablauf veränderte Wachstumsrate µ zum Ausdruck.
µ0
inländische Kreditwachstumsrate, solange keine spekulative Attacke auf
das fixierte Wechselkursregime
µ1
erhöhte inländische Kreditwachstumsrate als Reaktion auf eine spekulativen Attacke
Abbildung A2 (S. 104) beinhaltet in Erweiterung der Abbildung A1 zwei mit µ0
und µ1 korrespondierende Schattenwechselkurse.
e~0
mit µ = µ 0 , wobei zur Vereinfachung der Darstellung µ 0 = 0 gesetzt wird
e~1
mit µ = µ1 , wobei µ1 > 0
Ist d < d B , dann liegt der Schattenwechselkurs ohne Attacke auf der Kurve e~0 .
Erfolgt eine spekulative Attacke, springt der Schattenwechselkurs auf die Kurve
e~ , die noch immer unter dem fixierten Wechselkurs e liegt. Eine Attacke auf
1
die inländische Währung ist in dieser Situation mit Verlusten verbunden, also
uninteressant.
Ist d = d B , so ist eine Attacke bei e~0 (Punkt C) uninteressant. Gleichzeitig könnte aber eine Attacke stattfinden, da für das Spekulationskalkül die Kurve e~1 re96
levant ist. Der Schattenwechselkurs würde von C auf B springen. In Punkt B gilt
e~ = e . Eine Attacke könnte erfolgreich sein und zur Aufgabe des fixierten
Wechselkurses führen, ist aber nicht mit Spekulationsgewinnen verbunden.
Abbildung A5: Spekulative Attacke und staatliche Reaktion
e
e~1
e~0
e
e
B
A
C
αµ1
d
d
B
d
A
Quelle: Flood und Marion (1998)
Liegt die inländische Kreditvergabe zwischen
d A und d B ( d A < d < d B ),
sind multiple Gleichgewichte möglich. Entscheidend ist die Erwartungsbildung
der privaten Akteure. Sind die Marktteilnehmer klein, ihre Erwartungen unkoordiniert und sehen sie keine Chance für eine Attacke des Marktes, kann der
niedrigere Schattenwechselkurs weiterhin gelten.
Ebenso ist denkbar, dass ein Ansturm auf die inländische Währung erfolgt. Die
Volkswirtschaft springt auf einen höheren Schattenwechselkurs. Wird dieser
97
Ansturm erwartet, erscheint ein Halten von inländischer Währung wenig sinnvoll. Im Falle einer sicheren spekulativen Attacke und dem Kollaps des fixierten
Wechselkursregimes sind Verluste die Folge. Dementsprechend kommt es zu
einer sich selbsterfüllenden Attacke und anschließenden Krise.
Eine spekulative Attacke ist bei
d > d A in jedem Fall interessant, da
e~0 > e und e~1 > e .
98
Anhang IV:
Staatliche Verlustfunktion
In Anhang III wurde eine sehr einfache staatliche Reaktion auf spekulative Attacken erläutert. Unter Einbeziehung einer Verlustfunktion kann staatliches Verhalten wesentlich differenzierter betrachtet werden. Staatliches Handeln wird
anhand einer Verlustfunktion optimiert.
Modell
Zu minimierende Verlustfunktion:
v t = (y t − y~) + φπ t + C (π t )
2
2
(1)
yt
realer Output, reales Volkseinkommen
y~
geplantes bzw. angestrebtes Volkseinkommen
πt
Inflationsrate
φ
mit 1 > φ > 0 , Gewichtung der Inflationskosten relativ zum suboptimalen
Output
C
Einbeziehung der Kreditprobleme
Es gilt die absolute Form der Kaufkraftparität. Das ausländische Preisniveau
wird normiert auf
pa = 0 .
Daraus folgt für den logarithmierten Wechselkurs und das logarithmierte Preisniveau
e = p.
Die Inflationsrate korrespondiert mit der realen Abwertung der inländischen
Währung
π t = et − et −1 .
Weiterhin wird angenommen, dass das Wechselkursregime fixiert, aber nicht für
immer unveränderlich ist.
Jeder Anstieg des Wechselkurses e (gleichbedeutend mit einer Abwertung der
inländischen Währung - dies impliziert
99
πt > 0 )
ist mit zusätzlichen staatlichen Kosten in Höhe von
C (π t ) = c verbunden.
Sinkt der Wechselkurs, sind damit ebenfalls zusätzliche staatliche Kosten verbunden:
C (π t ) = c .
Ändert sich der Wechselkurs nicht, gilt für C:
C (0 ) = 0 .
Der Output der Volkswirtschaft wird mit einer um Erwartungen erweiterten Phillips-Kurve beschrieben:
(
)
y = y + π −π e − ε .
ε
bedingte Schockvariable (Angebotsschock) mit Erwartungswert Null
πe
Exponent e Ausdruck für Erwartungen
(2)
Es wird weiter angenommen, dass ein Bereich k existiert, der zwischen dem
staatlichen Outputziel und dem natürlichen Volkseinkommen liegt. Es gilt
y~ − y = k > 0 .
y
(3)
natürlicher Output
Die staatlichen Behörden (Ermessensspielraum) wählen π mit dem Ziel aus, die
Verlustfunktion (1) abhängend von (2) zu minimieren. Dabei wird der Kostenterm C ignoriert.
∂v t
= 0.
∂π
Daraus folgt für π:
π=
k + ε +πe
.
1+ φ
(4)
Durch Einsetzen von (4) in Gleichung (2) ergibt sich die Höhe des Outputs
100
y=y+
k − φπ e − φε
.
1+ φ
(5)
und der korrespondierende ex-post-Verlust ist
v tE =
(
)
2
φ
k +πe + ε .
1+ φ
(6)
Wird der Wechselkurs unter keinen Umständen freigegeben, gilt für den expost-Verlust:
(
)
2
v tR = k + π e + ε .
(7)
Ein Vergleich von Gleichung (6) und (7) zeigt deutlich, dass
v tR > v tE .
Ist das Ziel der Wechselkursverteidigung glaubhaft, dann kann
π = 0 ex-post nicht als optimal angesehen werden.
Jetzt werden die mit einer Wechselkursanpassung verbundenen Kosten C(π)
seitens der staatlichen Behörden berücksichtigt. Vom festen Wechselkurs abzuweichen erscheint nur sinnvoll, wenn der Schock ε so groß ist, dass gilt:
v tR − v tE > c .
In diesem Fall wird die inländische Währung abgewertet.
Die inländische Währung wird aufgewertet, wenn ε so gering ist, dass
v tR − v tE > c .
Eine Abwertung erfolgt, wenn
ε > ε = c (1 + φ ) − k − π e .
(8)
Eine Aufwertung erfolgt analog, wenn
ε < ε = c (1 + φ ) − k − π e .
(9)
Für Schockausprägungen
ε ∈ [ε, ε ]
101
wird am fixierten Wechselkurssystem festgehalten.
Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass das fixierte Wechselkurssystem
unter den hier gemachten Annahmen gegen fast alle Schocks verteidigt wird.
Die Zahlung von Abwertungs-/Aufwertungskosten wird zur Stabilisierung des
Outputs gegenüber dem Instrument der Geldpolitik vorgezogen. Ausnahmen
sind erhebliche absolute Schocks.
Die rationalen Inflationserwartungen (Abwertung) für die nächste Periode gehen
in die Erwartungen π e der Lohnverhandlungspartner ein:
[
]
[
]
Eπ = E π ε < ε Pr (ε < ε ) + E π ε > ε Pr (ε > ε )
E
Erwartungsoperator
Pr
Wahrscheinlichkeit
(10)
Gleichungen (8) und (9) - also
ε und ε -
sind Funktionen der erwarteten Inflation. Diese Erwartungen determinieren die
Inflationsrate, die für die staatlichen Behörden maßgeblich sind, den fixierten
Wechselkurs zu verteidigen oder aufzugeben. Gleichzeitig gehen die Erwartungen in die Wahrscheinlichkeit einer Neuordnung des Wechselkurssystems ein.
Die Erwartungsbildung ist ein wesentliches Merkmal der Modelle der 2. Generation.
Verlustfunktion
Es wird angenommen, dass die Wechselkurspolitik in Abhängigkeit von
(δ − Eδ − u − k )
θ
min L = δ 2 +
2
2
2
(1)
gestaltet wird.
L
soziale Verlustfunktion
δ
Abwertungsrate der inländischen Währung
Eδ
erwartete Abwertungsrate
u
Schockvariable mit Erwartungswert Null und Varianz σ 2
102
k
Störfaktor
θ
relatives Gewicht von Preisänderungen (Stellenwert, der Preisänderungen eingeräumt wird)
Bis auf E werden alle Variablen in einer Periode realisiert. E basiert hingegen
auf Informationen aus vorherigen Perioden.
Folgen die staatlichen Behörden ungeachtet des aktuellen Zustandes der
Volkswirtschaft einer Regel, hier der strikten Fixierung des Wechselkurses, gilt:
δ = 0.
Der private Sektor gestaltet seine Erwartungen entsprechend:
Eδ = 0 .
Aus Gleichung (1) ergibt sich:
E LR =
E LR
σ2 +k2
.
2
(2)
erwarteter Wert der Verlustfunktion, wenn die staatlichen Behörden dieser Regel folgen.
Reagieren staatliche Behörden mit einem gewissen Ermessensspielraum auf
den aktuellen Zustand der Volkswirtschaft und werden Erwartungen in das
Handlungskalkül einbezogen, wird dies von den privaten Akteuren erkannt und
entsprechend gestaltet sich die Erwartungsbildung:
Eδ E =
k
.
θ
Für den erwarteten Wert der sozialen Verlustfunktion ergibt sich unter der vereinfachenden Annahme von
θ =1
E LE =
E LE
σ2
+ k2.
4
(3)
erwarteter Wert der Verlustfunktion mit Ermessensspielraum
103
Gleichungen (2) und (3) illustrieren, dass ohne Schocks ( σ 2 = 0 ) die Verluste
unzweifelhaft geringer sind, wenn entsprechend der festen Regel gehandelt
wird.
Eröffnet die staatliche Verhaltensregel aber keine Optionen für eventuell auftretenden Schocks, kann genutzter Entscheidungsspielraum mit Vorteilen verbunden sein. Für relativ zu k sehr hohe
σ 2 ist
E LE besser (niedriger) als E LR .
Bei rationalen Erwartungen ist die Bindung an einen festen Wechselkurs nur
glaubwürdig, wenn Abweichungen von der Regel (Ausstiegsklausel) mit Kosten
verbunden sind und die Anreize einer Abwertung diesen Kosten gegenüberstehen. Die Behörden folgen der Regel, solange gilt:
LR < LE + C
C
(4)
Kosten einer Wechselkursfreigabe
Für einen gegebenen Wert von C ist es für die Behörden schwierig, zu bestimmen, welchen Wert die Störung hat, die einen Ausstieg erlaubt.
u
Wert dieser Störung
LR (u ) = LE (u ) + C
(5)
Private Marktteilnehmer bilden ihre Erwartungen hinsichtlich des Wechselkurses und eventueller Abwertungen zu Beginn der Periode, ohne zu wissen, wie
die staatlichen Behörden agieren (Festhalten an der Regel oder Nutzung Ermessensspielraum). Private Akteure kalkulieren die Erwartungen mittels eines
gewichteten Durchschnitts (gewichtet mit Wahrscheinlichkeiten) aus
Eδ R = 0 und Eδ E > 0 .
104
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