Vektoranalysis - math.uni

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Vektoranalysis
Vorlesungsskript
Wintersemester 2010/11
Bernd Schmidt∗
Version vom 10. Februar 2011
Zentrum Mathematik, Technische Universität München, Boltzmannstr. 3, 85747
Garching, [email protected]
∗
1
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
2
1 Einleitung
3
2 Mannigfaltigkeiten
2.1 Definition und Charakterisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Tangential- und Normalraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3 Ausblick: Allgemeine Mannigfaltigkeiten . . . . . . . . . . . . . .
5
5
15
19
3 Oberflächenintegrale
3.1 Erinnerung: Lebesgue-Integration im Rn . . . . . . . . . . . . . .
3.2 Die Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3 Beispiele & Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
22
24
29
4 Orientierung und Teilmengen mit Rand
4.1 Orientierte Mannigfaltigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2 Teilmengen mit glattem Rand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
36
40
5 Die
5.1
5.2
5.3
5.4
5.5
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46
46
48
52
58
61
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66
66
70
75
77
klassischen Integralsätze
Vektorfelder . . . . . . . . . . . . . .
Integrabilität . . . . . . . . . . . . .
Der Integralsatz von Gauß . . . . . .
Anwendungen des Gaußschen Satzes
Der Integralsatz von Stokes . . . . .
6 Differentialformen
6.1 Multilineare Algebra . . . . . . .
6.2 Differentialformen im Rn . . . . .
6.3 Integration von Differentialformen
6.4 Der allgemeine Satz von Stokes .
Literaturverzeichnis
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80
2
Kapitel 1
Einleitung
Die Vektoranalysis handelt – kurz gesagt – von Integralen über “gekrümmte Mengen”, Differentialen von (vektorwertigen) Funktionen und deren Zusammenhang.
Klassische “gekrümmte Mengen” sind hier etwa glatte Flächen im Raum, wie
die Oberfläche einer Kugel oder eines Torus, das Dach des Münchner Olympiastadions, Bahnen von glatten Kurven, wie sie als Trajektorien dynamischer
Systeme z.B. in der Mechanik auftreten, oder auch die “gekrümmte Raumzeit”
der Relativitätstheorie. Ganz allgemein entstehen solche gekrümmten Mengen,
die man in der Mathematik Mannigfaltigkeiten nennt, als Lösungsmenge nichtlinearer Gleichungen auch in höheren Dimensionen. Diese Objekte sind sowohl
innermathematisch als auch in Anwendungen von großem Interesse.
Die Vektoranalysis ist nun eine Analysis auf Mannigfaltigkeiten: Sie beschreibt
die Differential- und Integralrechnung von Funktionen auf diesen Mengen und liefert mit den zentralen Integralsätzen einen den Hauptsatz der Differential- und
Integralrechnung wesentlich verallgemeinernden Zusammenhang von Differentiation und Integration. Weiterführende Aspekte von Mannigfaltigkeiten werden
insbesondere in den angrenzenden Gebieten der Differentialgeometrie und der
Differentialtopologie untersucht.
Überblick
Im Kapitel 2 untersuchen wir zunächst, wie wir Mannigfaltigkeiten adäquat mathematisch beschreiben können. Wir besprechen dabei verschiedene äquivalente
Bedingungen, die durch unterschiedliche Blickpunkte und Anwendungen motiviert sind. Als ersten Schritt zum Aufbau einer Analysis auf Mannigfaltigkeiten
führen im Kapitel 3 die Integration über gekrümmte Flächen ein. Da Mannigfaltigkeiten typischerweise “niederdimensionale Mengen” im umgebenden Raum
und also Nullmengen sind, ist es dabei wesentlich, genau zu verstehen, wie “niederdimensionale Volumina” gekrümmter Mengen zu messen sind. Das darauf folgende Kaptiel 4 geht dann noch einmal auf weitere Aspekte von Mannigfaltigkeiten ein: Orientierung und Teilmengen mit glattem Rand. Das Kapitel 5 behan3
delt schließlich die Kernaussagen dieser Vorlesung: die Integralsätze von Gauß
und Stokes, wobei wir zweiteren zunächst nur im klassischen dreidimensionalen
Fall behandeln. Der zentrale Satz von Gauß kann als eine n-dimensionale Version des Hauptsatzes der Differential- und Integralrechnung aufgefasst werden. Im
abschließenden Kapitel 6 gehen wir noch auf den allgemeinen Satz von Stokes
im Differentialformenkalkül ein. Dies ist eine weitreichende Verallgemeinerung
des Hauptsatzes der Differential- und Integralrechnung in beliebgen Dimensionen
über gekrümmte Flächen.
Voraussetzungen
Vorkenntnisse sollten Sie haben über:
• Lineare Algebra,
• Differentialrechnung im Rn (insbesondere den Satz über implizite Funktionen bzw. die Inverse)
• Maß- und Integrationstheorie (Lebesgue-Integral, Satz von Fubini, Transformationsformel).
Sie können der Vorlesung allerdings auch folgen, ohne die Maß- und Integrationstheorie gehört zu haben. Alles was wir hieraus benötigen, finden Sie in Abschnitt
3.1 zusammengestellt. Es genügt, wenn sie diese Ergebnisse zunächst einfach glauben.
Literatur
Die Vektoranalysis im Rn , wie wir sie hier behandeln, finden Sie in vielen allgemeinen Lehrbüchern zur Analysis. Empfehlenswert sind insbesondere die Bücher
[For] von Forster und [Kö] von Königsberger. Das Skript [Br] von Brokate entwickelt außerdem eine mehrdimensionale Riemannsche Integrationstheorie und
eignet sich daher besonders, wenn Sie die Maß und Integrationstheorie noch nicht
gehört haben. Das ausgezeichnete weiterführende Buch [Jä] von Jänich schließlich
bietet eine Einführung in die moderne Vektoranalysis im Differentialformenkalkül.
4
Kapitel 2
Mannigfaltigkeiten
Zuallererst müssen wir natürlich den Hauptgegenstand unserer Untersuchungen,
die Mannigfaltigkeiten mathematisch sauber einführen. Wir werden in dieser Vorlesung nur Untermannigfaltigkeiten des Rn betrachten. Das ist technisch einfacher, da man in diesem Fall einen “umgebenden Raum” zur Verfügung hat. Im
letzten Abschnitt dieses Kapitels werden wir allerdings kurz noch auf den allgemeinen Mannigfaltigkeitsbegriff eingehen.
2.1
Definition und Charakterisierung
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Untermannigfaltigkeiten des Rn zu definieren; der Leitgedanke ist aber immer der gleiche: Wenn die “geraden”, “nicht
gekrümmten” Teilmengen, also die affinen Unterräume durch affine Funktionen
beschrieben werden können, so müssen wir die Mannigfaltigkeiten mit Hilfe nichtlinearer Funktionen beschreiben. Indem wir differenzierbare Funktionen betrachten, erhalten wir allgemeine Teilmengen, auf denen sich eine “differenzierbare
Struktur” definieren lassen wird.
Im Wesentlichen gibt es drei äquivalente Charakterisierungen:
• durch äußere Karten,
• als Lösungsmenge von Gleichungen oder
• durch Parametrisierungen bzw. innere Karten.
Motiviert sind diese Darstellungen durch die Beschreibung von Unterräumen des
Rn : V ⊂ Rn ist ein k-dimensionaler Unterraum genau dann, wenn eine der drei
folgenden äquivalenten Bedingungen erfüllt ist:
• Es gibt einen Isomorphismus Φ : Rn → Rn (eine “äußere Karte”), so dass
Φ(V ) = Rk × {0} ⊂ Rn ist.
5
• Es gibt eine lineare Abbildung f : Rn → Rn−k mit vollem Rang (also
Rang f = n − k), so dass V = Kern f = {x ∈ Rn : f (x) = 0} gilt.
• Es gibt eine lineare Abbildung (eine “Parametrisierung”) Ψ : Rk → Rn mit
Rang Ψ = k und V = Bild f = Ψ(Rk ).
Für Mannigfaltigkeiten werden wir die entsprechenden Eigenschaften nur lokal fordern, d.h. auf kleinen Umgebungen ihrer Punkte. Eine globale Parametrisierung ist z.B. schon für die schöne runde Kugel nicht möglich, die sicherlich
eines unserer Paradebeispiele einer Mannigfaltigkeit sein wird. Wir definieren also Objekte, die lokal wie ein verformter k-dimensionaler Teilraum im Rn liegen,
k ∈ {0, 1, . . . , n}.
Untermannigfaltigkeiten: Die Definition
Wir wählen die Beschreibung als Lösungsmenge nichtlinearer Gleichungen als
Definition, da sie am schnellsten zu interessanten Beispielen führt.
Definition 2.1 Es seien n, k ∈ N0 , α ∈ N ∪ {∞}. M ⊂ Rn heißt k-dimensionale
C α -Untermannigfaltigkeit des Rn , wenn es zu jedem p ∈ M eine offene Umgebung
U ⊂ Rn und eine C α -glatte Funktion f : U → Rn−k mit Rang Df (p) = n − k
gibt, so dass
M ∩ U = {x ∈ U : f (x) = 0}
gilt.
Abbildung 2.1: M ∩ U als lokale Nullstellenmenge.
Die Bedingung an den Rang der Ableitung Df (p) (bzw. nach Wahl von Koordinaten deren Jacobimatrix) ist offenbar das Analogon zur Bedingung in Punkt 2
im linearen Fall oben. Sie besagt, dass die lineare Abbildung Df (p) : Rn → Rn−k
6
surjektiv ist. Nach Verkleinerung von U kann man annehmen, dass diese Bedingung auf ganz U erfüllt ist. (Eine solche Abbildung nennt man auch Submersion).
Schreibt man f = (f1 , . . . , fn−k ), so ist sie äquivalent dazu, dass die n − k Gradienten
∇f1 (p), . . . , ∇fn−k (p)
linear unabhängig sind. Im Falle k = n − 1 spricht man auch von Hyperflächen.
Wir werden auch einfach nur von “Mannigfaltigkeiten” sprechen und α sowie k nicht extra erwähnen. Mit Ausnahme von Abschnitt 2.3 sind aber immer
Untermannigfaltigkeien im Rn gemeint, wie eben definiert.
Beispiele:
1. Affine Unterräume sind C ∞ -Mannigfaltigkeiten.
2. Die n-dimensionale Sphäre S n = {x ∈ Rn+1 : |x| = 1} ⊂ Rn+1 ist eine ndimensionale C ∞ -Untermannigfaltigkeit des Rn+1 , denn S n = {x ∈ Rn+1 :
f (x) = 0} für f (x) = |x|2 − 1 und ∇f (x) = 2x 6= 0 auf S n .
3. Das Hyperboloid Hc := {x ∈ R3 : x21 + x22 = x23 + c}, c 6= 0, ist eine
zweidimensionale C ∞ -Mannigfaltigkeit im R3 .
Übung: Zeigen Sie dies sowie, dass Hc für c = 0 keine Untermannigfaltigkeit des R3 ist. Welche geometrische Figur ist H0 ?
∼
2
4. Wir bezeichnen mit Rn×n = Rn den Vektorraum der reellen n×n-Matrizen.
Die Menge der orthogonalen Matrizen
O(n) = {A ∈ Rn×n : AT A = Id}
(Id die Einheitsmatrix) ist eine
keit des Rn×n .
n(n−1)
-dimensionale
2
C ∞ -Untermannigfaltig-
Um das einzusehen, bemerken wir zunächst, dass O(n) = {A ∈ Rn×n :
n×n
n×n
f (A) = 0} für f : Rn×n → Rsym
mit f (A) = AT A−Id} gilt, wobei Rsym
den
n(n+1)
-dimensionalen Vektorraum der symmetrischen reellen n×n-Matrizen
2
bezeichnet. Offensichtlich ist f C ∞ -glatt. Die Ableitung Df (A) ist gegeben
durch
f (A + tH) − f (A)
t→0
t
(A + tH)T (A + tH) − AT A
= lim
t→0
t
= lim H T A + AT H + tH T H
Df (A)H = lim
t→0
T
= H A + AT H.
7
Tatsächlich ist Df (A) für A ∈ O(n) surjektiv, denn zu gegebenem B ∈
n×n
Rsym
gilt Df (A)H = B etwa für H := 12 AB:
Df (A)H =
1
1
(AB)T A + AT AB =
B T AT A + AT AB = B.
2
2
In all diesen Beispielen ergab sich die Mannigfaltigkeit sogar als Lösungsmenge
{x : f (x) = 0} einer einzigen Funktion f . Wir halten daher die folgende wichtige
Beobachtung, die sich direkt aus unserer Definition ergibt, fest:
Beobachtung: Ist U ⊂ Rn offen, f ∈ C α (U; Rn−k ) und c ein regulärer Wert
von f , also Rang Df (p) = n − k für alle p ∈ M := f −1 ({c}), so ist M eine
k-dimensionale C α -Untermannigfaltigkeit des Rn .
Äußere Karten
Zur theoretischen Untersuchung ist es oft nützlich, Untermannigfaltigkeiten im
Rn auf eine alternative Art und Weise mittels äußerer Karten zu charakterisieren.
Anschaulich besagt diese Charakterisierung, dass eine k-dimensionale Untermannigfaltigkeiten – bis auf eine glatte Koordinatentransformation – lokal genau so
∼
im Rn liegt wie der Rk = {x ∈ Rn : xk+1 = . . . xn = 0} im Rn . Diese Charakterisierung hat außerdem den Vorteil, dass sie in natürlicher Weise zum allgemeinen
Konzept der Untermannigfaltigkeit einer Mannigfaltigkeit führt.
Mit Rk × {0} bezeichnen wir den Unterraum {x ∈ Rn : xk+1 = . . . = xn = 0}
des Rn . Ist f : U → V , U, V ⊂ Rn offen, bijektiv und sind sowohl f als auch f −1
C α -glatt, α ∈ N ∪ {∞}, so nennt man f einen C α -Diffeomorphismus.
Satz 2.2 M ⊂ Rn ist genau dann eine k-dimensionale C α -Mannigfaltigkeit,
wenn es zu jedem p ∈ M eine offene Umgebung U ⊂ Rn , eine offene Menge
V ⊂ Rn und einen C α -Diffeomorphismus ϕ : U → V gibt, so dass
ϕ(M ∩ U) = (Rk × {0}) ∩ V
gilt.
Eine solche Abbildung ϕ nennt man äußere Karte oder manchmal auch einen
Flachmacher, da sie die Mannigfaltigkeit in U in den linearen Raum Rk × {0}
“plattbügelt”, vgl. Abb. 2.2.
Beweis. “⇒”: Sei p ∈ M, M k-dimensionale Mannigfaltigkeit. Wähle eine Umgebung Ũ von p und eine Funktion f ∈ C α (Ũ ; Rn−k ) mit Rang Df (p) = n − k und
M ∩ Ũ = {x ∈ Ũ : f (x) = 0}. Durch Umnummerieren der Koordinaten können
wir erreichen, dass die letzten n − k Spalten von Df (p) linear unabhängig sind.1
1
Genauer: Sind die letzten n − k Spalten von Df (p) linear unabhängig, so verfahren wir wie
beschrieben. Der allgemeine Fall lässt sich durch Vorschalten einer linearen Abbildung, welche
durch eine geignete Permutationsmatrix gegeben ist, darauf zurückführen.
8
Abbildung 2.2: Der Flachmacher.
Schreibt man x = (ξ, η), ξ ∈ Rk , η ∈ Rn−k , so ist also Dη f (p) invertierbar und
der Satz über implizite Funktionen liefert offene Mengen U1 und U2 in Rk bzw.
Rn−k , so dass p ∈ U1 × U2 ⊂ Ũ gilt, sowie ein ψ ∈ C α (U1 ; Rn−k ) existiert mit
M ∩ (U1 × U2 ) = {(ξ, ψ(ξ)) : ξ ∈ U1 }.
Definiere nun ϕ : U := U1 × U2 → Rn durch
ϕ(ξ, η) := (ξ, η − ψ(ξ)).
Idk
0
Offenbar ist ϕ injektiv und Dϕ(ξ, η) = −D ψ Id
invertierbar, so dass nach
ξ
n−k
dem Satz über inverse Funktionen ϕ ein Diffeomorphismus von U nach V := ϕ(U)
ist. Außerdem ist natürlich
(ξ, η) ∈ M ∩ U ⇐⇒ ϕ(ξ, η) ∈ (Rk × {0}) ∩ V.
“⇐”: Sind nun umgekehrt p ∈ M, eine offene Umgebung U ⊂ Rn , eine offene
Menge V ⊂ Rn und ein C α -Diffeomorphismus ϕ : U → V gegeben, so dass
ϕ(M ∩ U) = (Rk × {0}) ∩ V
gilt, so ist
M ∩ U = ϕ−1 ((Rk × {0}) ∩ V ) = {x ∈ U : ϕk+1 (x) = . . . = ϕn (x) = 0}.
Da Dϕ(x) für jedes x ∈ U vollen Rang n hat, sind die ∇ϕk+1 (x), . . . , ∇ϕn (x) in
der Tat linear unabhängig.
Topologie
Da jede Mannigfaltigkeit im Rn insbesondere eine Teilmenge des Rn ist, “erbt”
sie die Topologie des umgebenden Raums. Genauer: Durch Einschränkung der
9
üblichen Metrik des Rn auf eine beliebige Teilmenge M ⊂ Rn wird M zu einem
metrischen Raum. Für Teilmengen von M sind also die Eigenschaften “offen”,
“abgeschlossen” und “kompakt” wohldefiniert, wobei man – zumindest in den ersten beiden Fällen – der Genauigkeit halber lieber “offen in M” bzw. “abgeschlossen in M” sagen sollte, da dies nicht äqivalent dazu ist, dass sie als Teilmengen
des Rn offen bzw. abgeschlossen sind. Nun ist jedoch die vom Rn geerbte Metrik
oft nicht die “richtige” Metrik auf M. (Ein “besserer” Distanzbegriff zwischen
zwei Punkten auf M wäre etwa durch die Länge eines minimalen, ganz in M
verlaufenden Verbindungspfads gegeben.) Die topologischen Begriffe wie “offen”
und “abgeschlossen” ergeben sich jedoch auch direkt aus den entspre chenden
Begriffen im Rn ohne Rückgriff auf die metrische Struktur.
Abstrakt definiert man:
Definition 2.3 Ist T eine Menge und τ ⊂ P(T ) ein System von Teilmengen von
T mit der Eigenschaft, dass
(i) beliebige Vereinigungen von Mengen aus τ wieder in τ liegen,
(ii) endliche Durchschnitte von Mengen aus τ wieder in τ liegen und
(iii) ∅, T ∈ τ sind,
so nennt man (T, τ ) einen topologischen Raum. Jede Menge U ∈ τ nennt man
offen.
Indem man in einem metrischen Raum T die Menge der (bzgl. der Metrik)
offenen Mengen mit τ bezeichnet, wird (T, τ ) zu einem topologischen Raum.
Das ergibt sich unmittelbar aus den bekannten Eigenschaften offener Mengen in
metrischen Räumen. Der Begriff des topologischen Raumes verallgemeinert den
Begriff des metrischen Raumes also in natürlicher Weise, genauso, wie der Begriff
des metrischen Raumes eine natürliche Varallgemeinerung der normierten Räume
darstellt.
Definition 2.4 Eine Teilmenge Ω ⊂ M heißt offen/abgeschlossen in M, wenn
es eine offene/abgeschlossene Menge Ω̃ ⊂ Rn gibt, so dass Ω = Ω̃ ∩ M ist.
Übung: Überlegen Sie sich, dass
(a) auf diese Weise M zu einem topologischen Raum wird und
(b) diese Topologie mit der von der ererbten Metrik induzierten übereinstimmt.
Der Begriff der Stetigkeit überträgt sich auf topologische Räume, indem man
eine Abbildung zwischen zwei topologischen Räumen stetig nennt, wenn Urbilder offener Mengen offen sind. Für metrische Räume ist das ja eine bekannte
äquivalente Charakterisierung der Stetigkeit.
10
Parametrisierungen
Wir geben noch eine weitere Charakterisierung von Mannigfaltigkeiten mittels
Parametrisierungen bzw. inneren Karten an. Diese Beschreibung wird uns später
den Weg weisen, wie allgemeine Mannigfaltigkeiten auch ohne einen umgebenden
Euklidischen Raum zu definieren sind.
Man nennt eine Abbildung f zwischen metrischen Räumen (oder allgemeiner
topologischen Räumen) einen Homöomorphismus, wenn sie bijektiv ist und wenn
sowohl f als auch f −1 stetig sind.2
Satz 2.5 M ⊂ Rn ist genau dann eine k-dimensionale C α -Mannigfaltigkeit,
wenn es zu jedem p ∈ M eine in M offene Umgebung U ⊂ M, eine offene
Menge V ⊂ Rk und einen Homöomorphismus Φ : V → U gibt, so dass
Φ ∈ C α (V ; Rn ) mit
Rang DΦ(x) = k
∀x ∈ V
gilt.
Eine solche Abbildung Φ nennt man auch eine lokale Parametrisierung oder
eine (innere) Karte3 von M. Abbildungen Ψ ∈ C α (V ; Rn ), V ⊂ Rk offen, mit
Rang DΨ = k auf V , d.h. DΨ(x) : Rk → Rn injektiv für alle x ∈ V , nennt man
Immersionen.
Beweis. “⇒”: Ist M eine k-dimensionale Mannigfaltigkeit, so gibt es nach Satz
2.2 zu jedem p ∈ M eine Umgebung Ũ ⊂ Rn , eine offene Menge Ṽ ⊂ Rn und
einen C α -Diffeomorphismus ϕ : Ũ → Ṽ , so dass
ϕ(M ∩ Ũ) = (Rk × {0}) ∩ Ṽ
gilt. Definieren wir nun V := {ξ ∈ Rk : (ξ, 0) ∈ Ṽ } und Φ : V → M ∩ Ũ =: U
durch
Φ(ξ) = ϕ−1 (ξ, 0),
so sind V und U offen in Rk bzw. M mit p ∈ U sowie Φ ein C α -glatter Homöomorphismus. Es gilt
−1 Idk
Idk
−1
−1
= Dϕ(ϕ (ξ, 0))
DΦ(ξ) = Dϕ (ξ, 0)
0
0
nach der Kettenregel für Φ = ϕ−1 ◦ P mit P : Rk → Rn , P (ξ)= (ξ, 0). Da
(Dϕ(ϕ−1 (ξ, 0)))−1 nicht singulär ist, folgt Rang DΦ(ξ) = Rang Id0k = k.
2
Ein Homöomorphismus f : T1 → T2 zwischen zwei topologoischen Räumen induziert eine
Bijektion zwischen den offenen Mengen in T1 und T2 . Vom topologischen Standpunkt sind diese
Räume nicht zu unterscheiden.
3
Achtung: Diese Bezeichnung ist zwar für Untermannigfaltigkeiten des Rn gebräuchlich. In
der allgemeinen Theorie der Mannigfaltigkeiten bezeichnet man jedoch meist die Inverse Φ−1 ,
die von M in den Euklidischen Raum abbildet als Karte, s. Abschnitt 2.3.
11
“⇐”: Es seien p, U, V und Φ wie im Satz angegeben. Durch eventuelles
Umnummerieren der Koordinaten dürfen wir annehmen, dass die ersten k Zeilen
von DΦ(Φ−1 (p)) linear unabhängig sind. Betrachten wir die Abbildung
Φ′ = (Φ1 , . . . , Φk ) : V → Rk ,
die sich durch Streichen der letzten n − k Einträge aus Φ ergibt, so ist dann
DΦ′ (Φ−1 (p)) nicht singulär und nach dem Satz über inverse Funktionen gibt es
eine Umgebung V ′ von Φ−1 (p) und eine offene Menge U ′ ⊂ Rk , so dass Φ′ : V ′ →
U ′ ein C α -Diffeomorphismus ist.
Definiere nun Ψ : V ′ × Rn−k → U ′ × Rn−k durch
Ψ(ξ, η) = Φ(ξ) + (0, η).
Abbildung 2.3: Φ, Φ′ und Ψ.
Ψ ist bijektiv, denn für alle ξ, ξ˜ ∈ V ′ und η, η̃ ∈ Rn−k gilt
˜ η̃) ⇒ Φ′ (ξ) = Φ′ (ξ)
˜ ⇒ ξ = ξ˜ ⇒ η = η̃
Ψ(ξ, η) = Ψ(ξ,
und für (ξ ′, η ′ ) ∈ U ′ × Rn−k ist ξ = (Φ′ )−1 (ξ ′) ∈ V ′ und
Ψ(ξ, η) = Φ(ξ) + (0, η) = (ξ ′, η ′ )
für ein geeignetes η ∈ Rn−k . Des Weiteren ist
DΦ′ (ξ)
0
DΨ(ξ, η) =
∗
Idn−k
12
invertierbar und, weil Ψ außerdem C α -glatt ist, ist Ψ nach dem Satz über inverse
Funktionen ein C α -Diffeomorphismus.
Da Φ ein Homöomorphismus ist, ist Φ(V ′ ) offen in M. Wählen wir Ũ ⊂ Rn
offen mit Φ(V ′ ) = Ũ ∩ M und setzen Û = (U ′ × Rn−k ) ∩ Ũ , so ist Ψ−1 : Û →
V̂ := Ψ−1 (Û ) ein C α -Diffeomorphismus mit
Ψ(V̂ ∩ (Rk × {0})) = Ψ(V̂ ∩ (V ′ × Rn−k ) ∩ (Rk × {0}))
= Ψ(V̂ ∩ (V ′ × {0})) = Ψ(V̂ ) ∩ Ψ(V ′ × {0})
= Û ∩ Φ(V ′ ) = Û ∩ Ũ ∩ M = Û ∩ M,
wobei wir V̂ ⊂ (V ′ × Rn−k ) und Û ⊂ Ũ ausgenutzt haben, und damit
V̂ ∩ (Rk × {0}) = Ψ−1 (Û ∩ M).
Ψ−1 ist also ein Flachmacher für M in der Nähe von p, so dass die Behauptung
aus Satz 2.2 folgt.
Im Allgemeinen kann man eine Mannigfaltigkeit nicht mit einer einzigen Karte
parametrisieren. Zur vollständigen Beschreibung benötigt man daher eine Sammlung von Karten, die ganz M überdecken: einen Atlas also.
Definition 2.6 Eine Familie (Φj ) von Karten
S Φj : Vj → Uj wie in Satz 2.5
definiert heißt ein Atlas von M, wenn M ⊂ j Uj gilt.
Bei der Untersuchung von Mannigfaltigkeiten mit Hilfe von Karten ist es wichtig zu verstehen, inwiefern Eigenschaften der Mannigfaltigkeit von einer speziell
gewählten Karte abhängen.
Abbildung 2.4: Kartenwechsel.
13
Wir betrachten daher den Kartenwechsel
′
−1
′
−1
Φ−1
2 ◦ Φ1 : V1 := Φ1 (U1 ∩ U2 ) → V2 := Φ2 (U1 ∩ U2 )
(2.1)
für zwei sich überlappende Karten Φj : Vj → Uj , j = 1, 2, mit U1 ∩ U2 6= ∅.
Satz 2.7 Sind Φ1 , Φ2 zwei sich überlappende Karten einer C α -Mannigfaltigkeit
wie in (2.1), so sind V1′ und V2′ offen in Rk und der Kartenwechsel Φ−1
2 ◦ Φ1 :
′
′
α
V1 → V2 ist ein C -Diffeomorphismus.
Beweis. Da U1 und U2 und damit auch U1 ∩U2 offen in M und Φ1 , Φ2 Homöomor′
′
phismen sind, sind V1′ und V2′ offen. Offensichtlich ist Φ−1
2 ◦ Φ1 : V1 → V2 bijektiv.
−1
−1
−1
α
′
′
−1
Es genügt also, noch Φ2 ◦ Φ1 ∈ C (V1 ; V2 ) und (Φ2 ◦ Φ1 ) = Φ1 ◦ Φ2 ∈
C α (V2′ ; V1′ ) zu zeigen.
Es sei p ∈ U1 ∩ U2 . Nach Satz 2.2 gibt es offene Mengen U ⊂ U1 ∩ U2 und V
im Rn mit p ∈ U und einen C α -Diffeomorphismus ϕ : U → V , so dass
ϕ(M ∩ U) = V ∩ (Rk × {0})
erfüllt ist. Wie oben sieht man, dass die Mengen
k
Wj := Φ−1
j (M ∩ U) ⊂ R ,
j = 1, 2,
offen sind.
Abbildung 2.5: Φ1 , Φ2 und ϕ.
Die Bilder der C α -glatten und bijektiven Abbildungen
ϕ ◦ Φj : Wj → ϕ(M ∩ U)
14
liegen in Rk × {0}, so dass wir
ϕ ◦ Φj = (Ψj , 0) mit Ψj : Wj → Rk
schreiben können, vgl. Abb. 2.5. Wegen Rang Dϕ = n und Rang DΦj = k ist
dabei Rang DΨj = k. Der Satz über inverse Funktionen zeigt nun, dass die
Ψj : Wj → Ψj (Wj ) = {ξ ∈ Rk : (ξ, 0) ∈ ϕ(M ∩ U)}
C α -Diffeomorphismen sind. Da nun
−1
Φ−1
2 ◦ Φ1 = Ψ2 ◦ Ψ1
und
−1
Φ−1
1 ◦ Φ2 = Ψ1 ◦ Ψ2
−1
auf W1 mit Φ−1
1 (p) ∈ W1 bzw. W2 mit Φ2 (p) ∈ W2 gilt, wobei p ∈ U1 ∩ U2
beliebig war, folgt die Behauptung.
n
α
Beispiel: Ist γ : I → R , I ein Intervall, eine C -Kurve mit γ̇ 6= 0, so dass
γ : I → γ(I) ein Homöomorphismus ist, so ist γ(I) eine Mannigfaltigkeit mit
Parametrisierung γ.
Abbildung 2.6: Kurven im Rn .
2.2
Tangential- und Normalraum
Wie man in der Analysis Funktionen durch ihre Ableitung, also durch lokale
Linearisierungen, untersucht, werden wir nun k-dimensionale Mannigfaltigkeiten
lokal durch k-dimensionale lineare Räume beschreiben. Die Grundidee ist hierbei,
dass kleine Umgebungen U ⊂ M von Punkten p ∈ M bis auf kleine Fehler (“Terme höherer Ordnung”) in einem k-dimensionalen affinen Raum p + Tp M liegen,
wobei Tp M ein k-dimensionaler Unterraum, der sogenannte Tangentialraum ist.
p + Tp M liegt bei p tangential an M an. Mannigfaltigkeiten sind also “infinitesimal Euklidisch” und deshalb kann man Analysis auf ihnen betreiben. In diesem
Abschnitt betrachten wir immer Mannigfaltigkeiten der Klasse C 1 .
Die wesentliche Idee zur Definition des Tangentialraums ist, dass eine jede
ganz in M verlaufende differenzierbare Kurve γ nur an M tangentiale Ableitungsvektoren (“Geschwindigkeiten”) γ̇ hat und umgekehrt jeder an M bei p
15
tangentiale Vektor als ein solcher Geschwindigkeitsvektor einer geeigneten Kurve
in M durch p entsteht.
Definition 2.8 Es sei M eine Mannigfaltigkeit im Rn und p ∈ M. Ein Vektor
v ∈ Rn heißt Tangentialvektor an M im Punkt p, wenn es eine stetig differenzierbare Kurve γ : (−ε, ε) → M für ein geeignetes ε > 0 gibt, so dass
γ(0) = p
und γ̇(0) = v
gilt. Die Gesamtheit der Tangentialvektoren wird der Tangentialraum an M bei p
genannt und mit Tp M bezeichnet.
Abbildung 2.7: Der Tangentialraum.
Oft denkt man sich den Tangentialraum bei p ∈ M angeheftet. Beachte aber,
dass Tp M ein Vektorraum ist. Die Bezeichnung “Tangentialraum” wird durch
Punkt (i) des folgenden Satzes gerechtfertigt. Dieser Satz gibt außerdem eine
Charakterisierung des Tangentialraums durch Karten und durch die Abbildung,
als deren Nullstellenmenge M lokal beschrieben wird.
Satz 2.9 Es sei M eine Mannigfaltigkeit im Rn und p ∈ M.
(i) Tp M ist ein k-dimensionaler Unterraum des Rn .
(ii) Ist Φ : V → U eine (innere) Karte von M mit p ∈ U und a := Φ−1 (p),
dann gilt
Tp M = Bild DΦ(a).
Insbesondere bilden die Vektoren
∂1 Φ(a), . . . , ∂k Φ(a)
(also die Spaltenvektoren von DΦ(a)) eine Basis von Tp M.
16
(iii) Ist Ũ ⊂ Rn eine Umgebung von p und f ∈ C 1 (Ũ ; Rn−k ) mit Rang Df (p) =
n − k, so dass
M ∩ Ũ = {x ∈ Ũ : f (x) = 0}
gilt, so ist
Tp M = Kern Df (p).
(iv) Ist ϕ : U ′ → V ′ eine äußere Karte von M mit p ∈ U ′ , dann ist
Tp M = (Dϕ(p))−1 (Rk × {0}).
Beweis. Wir werden
Bild DΦ(a) ⊂ Tp M ⊂ Kern Df (p)
(2.2)
zeigen. Aus
dim Bild DΦ(a) = Rang DΦ(a) = k = n − Rang Df (p) = dim Kern Df (p)
folgt dann, dass diese Mengen sogar gleich sind, was alle Behauptungen in (i),
(ii) und (iii) beweist.
(iv) ergibt sich aus (ii), indem man wie im ersten Teil des Beweises von Satz
2.5 bemerkt, dass durch Φ : V → M, Φ(ξ) = ϕ−1 (ξ, 0) eine innere Karte auf
V := {ξ ∈ Rk : (ξ, 0) ∈ V ′ } gegeben ist, für die mit a = Φ−1 (p)
−1 Idk
k
−1
Rk = (Dϕ(p))−1 (Rk × {0})
Tp M = DΦ(a)R = Dϕ(ϕ (a, 0))
0
gilt.
Es bleibt (2.2) zu begründen. Sei also v ∈ Bild DΦ(a), etwa v = DΦ(a)w,
w ∈ Rk . Für hinreichend kleines ε ist dann
γ : (−ε, ε) → M,
γ(t) = Φ(a + tw)
eine stetig differenzierbar Kurve in M mit
γ(0) = Φ(a) = p und γ̇(0) = DΦ(a)w = v
(Kettenregel), was die erste Inklusion zeigt.
Ist nun v ∈ Tp M vorgelegt, so wählen wir eine Kurve γ gemäß Definition 2.8.
Für t genügend nahe bei 0 gilt dann γ(t) ∈ Ũ und somit f (γ(t)) = 0. Daraus
ergibt sich aber direkt
d 0 = f (γ(t)) = Df (a)γ̇(0) = Df (a)v,
dt t=0
d.h. v ∈ Kern Df (a).
17
Beispiele:
1. Es sei γ(I) die am Ende von Abschnitt 2.1 diskutierte eindimensionale
Mannigfaltigkeit, die durch eine C α -Kurve γ : I → Rn mit γ̇ 6= 0 und
γ : I → γ(I) ein Homöomorphismus entsteht. Dann ist Tp γ(I) = Rγ̇(a) für
γ(a) = p.
2. Nach Abschnitt 2.1 ist die Mannigfaltigkeit der orthogonalen Matrizen O(n)
durch O(n) = {A ∈ Rn×n : f (A) = 0} mit f (A) = AT A−Id gegeben, wobei
Df (A)H = AT H + H T A
ist. Damit ist
TA O(n) = Kern Df (A) = {H ∈ Rn×n : H T A + AT H = 0}.
Speziell für A = Id ergibt sich
n×n
TId O(n) = {H ∈ Rn×n : H T = −H} =: Rantisym
.
Für allgemeine A ∈ O(n) erhält man gerade den entsprechend “gedrehten
Raum”:
TA O(n) = {H ∈ Rn×n : (AT H)T = −AT H}
n×n
n×n
= {H ∈ Rn×n : AT H ∈ Rantisym
} = A Rantisym
.
Die Normalenvektoren am Punkte p sind natürlich genau diejenigen Vektoren
in Rn , die senkrecht auf Tp M stehen:
Definition 2.10 Es sei M eine Mannigfaltigkeit im Rn und p ∈ M. Np M :=
(Tp M)⊥ heißt der Normalenraum an M im Punkt p, seine Elemente Normalenvektoren an M bei p.
Abbildung 2.8: Der Normalenraum.
Unmittelbar aus Satz 2.9 ergibt sich das folgende
18
Korollar 2.11 Es sei M eine Mannigfaltigkeit im Rn und p ∈ M. Ist Ũ ⊂ Rn
eine Umgebung von p und f ∈ C 1 (Ũ ; Rn−k ) mit Rang Df (p) = n − k, so dass
M ∩ Ũ = {x ∈ Ũ : f (x) = 0}
gilt, so bilden die Vektoren
∇f1 (p), . . . , ∇fn−k (p)
(also die Zeilenvektoren von Df (p)) eine Basis von Np M.
Beweis. Da Tp M = Kern Df (p) k-dimensional ist, genügt es zu bemerken, dass
Kern Df (p) = (span{∇f1 (p), . . . , ∇fn−k (p)})⊥ gilt.
Beispiele:
1. Im letzten Abschnitt haben wir insbesondere gesehen, dass für U ⊂ Rn
offen, f ∈ C 1 (U; R) mit regulärem Wert c, die Niveaufläche M = f −1 ({c})
eine C 1 -Hyperfläche im Rn ist. Korollar 2.11 zeigt, dass in diesem Fall ∇f (p)
immer senkrecht auf Tp M, p ∈ M, steht.
2. Der Normalenraum an O(n) bei Id ist
n×n
NId O(n) = (TId O(n))⊥ = Rantisym
2.3
⊥
n×n
= Rsym
.
Ausblick: Allgemeine Mannigfaltigkeiten
Im letzten Abschnitt dieses Kapitels gehen wir kurz auf die allgemeine Definition
einer Mannigfaltigkeit ein. Dies dient lediglich Ihrer Allgemeinbildung; wir werden
diesen allgemeinen Rahmen im Folgenden nicht weiter verwenden. Wir starten
mit einem allgemeinen topologischen Raum M und nennen nun Homöomorphismen von offenen Teilmengen von M auf offene Teilmengen des Rk Karten4 . Eine
Menge von Karten, deren Definitionsgebiete ganz M überdecken, nennt man wieder einen Atlas.
Da wir nun aber keinen umgebenden Euklidischen Raum mehr voraussetzen,
ist es zunächst nicht klar, wie man Differenzierbarkeit auf M definieren soll. Die
wesentliche Idee hierzu ist nun, alles mittels Karten auf den Rk zurückzuspielen.
Dazu muss man jetzt allerdings voraussetzen, dass die Kartenwechsel differenzierbar sind: Gilt für je zwei überlappende Karten Φ1 : U1 → V1 , Φ2 : U2 → V2 mit
Uj offen in M, Vj offen in Rk , j = 1, 2, und U1 ∩ U2 6= ∅ eines Atlas, dass
Φ2 ◦ Φ−1
1 : Φ1 (U1 ∩ U2 ) → Φ2 (U1 ∩ U2 )
ein C α -Diffeomorphismus ist, so nennen wir den Atlas (C α -)differenzierbar.
4
Vgl. die Definition der inneren Karten zuvor, wo die Karten in die andere Richtung gehen.
19
Nun kann man zu jedem Atlas A all jene Karten hinzunehmen, die mit allen
Karten aus A differenzierbar wechseln. Die so gewonnene Menge von Karten
bezeichent man mit D(A). Sie ist in der Tat wieder ein Atlas, sogar ein maximaler,
was man wie folgt einsieht: Sind Φ1 : U1 → V1 , Φ2 : U2 → V2 überlappende Karten
aus D(A), so kann man um jeden Punkt p ∈ U1 ∩ U2 eine Karte Φ aus A finden,
so dass
−1
Φ2 ◦ Φ−1
◦ Φ ◦ Φ−1
1 = Φ2 ◦ Φ
1
−1
und Φ1 ◦ Φ−1
◦ Φ ◦ Φ−1
2 = Φ1 ◦ Φ
2
in entsprechend kleinen Umgebungen von Φ1 (p) bzw. Φ2 (p) differenzierbar sind.
Einen maximalen differenzierbaren Atlas D nennt man auch eine differenzierbare
Struktur.
Um Pathologien auszuschließen verlangt man noch, dass M ein Hausdorffraum
mit einer abzählbaren Basis der Topologie ist. Motiviert durch Satz 2.5 definieren
wir nun:
Definition 2.12 Einen Hausdorffraum M, der dem zweiten Abzählbarkeitsaxiom
genügt, zusammen mit einer differenzierbaren Struktur D nennt man eine kdimensionale Mannigfaltigkeit.
Wie oben angedeutet werden nun typische Eigenschaften durch “Zurückholen
mittels Karten” definiert. So nennt man eine Abbildung f : M → N zwischen
zwei Mannigfaltigkeiten differenzierbar, wenn die Abbildung
Ψ ◦ f ◦ Φ−1
für Karten Φ von M und Ψ von N mit geeignetem Definitionsbereich differenzierbar ist. (Beachte, dass dies unabhängig von der Wahl der Karten Φ und Ψ
ist.)
Der Tangentialraum muss nun auch ohne einen gegebenen Raum definiert
werden. Eine Möglichkeit – in Anlehnung an Definition 2.8 – besteht darin, zu
gegebenem p ∈ M alle Kurven
Cp (M) = {γ ∈ C 1 ((−ε, ε); M) für ein ε > 0}
zu betrachten und auf dieser Menge durch
d d γ1 ∼ γ2 ⇐⇒
Φ ◦ γ1 = Φ ◦ γ2
dt t=0
dt t=0
für eine Karte Φ um p eine Äquivalenzrelation einzuführen. (Diese ist unabhängig
von der Wahl der Karte Φ.) Die Äquivalenzklassen [γ] ∈ Cp (M)/ ∼ nennt man
nun Tangentialvektoren und deren Gesamtheit wird wieder der Tangentialraum
an M bei p genannt und mit Tp M bezeichnet. Mehr hierzu findet man etwa in
[Jä].
20
Zum Schluss dieses Ausflugs in die allgemeine Theorie der Mannigfaltigkeiten wollen wir noch zwei Punkte kurz anreißen. Erstens besagt der Whitneysche
Einbettungssatz, dass wir, selbst wenn wir nur Untermannigfaltigkeiten des Rn
betrachten, in gewisser Weise schon den allgemeinen Fall behandeln, denn jede
k-dimensionale Mannigfaltigkeit M kann in den R2k+1 eingebettet werden: Es
existiert eine Abbildung f : M → R2k+1 , so dass f (M) eine Untermannigfaltigkeit von R2k+1 und f : M → f (M) ein Diffeomorphismus ist. Das soll nun
jedoch nicht heißen, dass die Beschäftigung mit allgemeinen Mannigfaltigkeiten
überflüssig wäre. Allein schon deshalb, weil diese Einbettung nicht kanonisch gegeben ist und viele Konzepte in der “einbettungsfreien” Darstellung transparenter
bleiben.
Zweitens legt der topologische Raum M (in Dimensionen ≥ 4) die differenzierbare Struktur nicht eindeutig fest. Für Untermannigfaltigkeiten des Rn ergibt
sich diese etwa durch die Differenzierbarkeit äußerer Karten als Abbilung des
umgebenden Euklidischen Raums. Im Allgemeinen kann es jedoch auf M verschiedene differenzierbare Strukturen geben, so dass zwei Mannigfaltigkeiten, die
nicht diffeomorph sind, dennoch homöomorph sein können.
21
Kapitel 3
Oberflächenintegrale
In diesem Kapitel führen wir die Integration von Funktionen über Mannigfaltigkeiten ein. Dabei müssen wir uns insbesondere überlegen, wie wir das kdimensionale Volumen (die Oberfläche) einer Mannigfaltigkeit zu messen haben.
3.1
Erinnerung: Lebesgue-Integration im Rn
Wir tragen zunächst kurz die wesentlichen Begriffe und Tatsachen aus der Lebesgueschen Integrationstheorie im Rn zusammen. Wenn Sie das Lebesgue-Integral
nicht kennen sollten, werden Sie hier alles, was wir brauchen werden, so zusammengestellt finden, dass Sie diese Lücke auch später noch schließen können. Für
diese Vorlesung müssen Sie das Folgende dann einfach ohne Begründung akzeptieren.
Das Mengensystem der (Lebesgue-)messbaren Mengen im Rn ist eine (sehr
große) Klasse von Teilmengen des Rn , zu der insbesondere alle offenen und abgeschlossenen Mengen gehören sowie mit einer höchstens abzählbaren Familie von
Mengen auch deren Vereinigung und Durchschnitt. (Merke: “So gut wie jede”
Teilmenge ist messbar.1 ) Eine (große) Klasse von reellwertigen Funktionen auf
einer messbaren Menge wird ebenfalls (Lebesgue-)messbar genannt. Z.B. ist jede stetige Funktion messbar und mit einer punktweise konvergenten Folge auch
deren Grenzwert. (Merke: “So gut wie jede” Funktion ist messbar.2 ) Für eine
positive messbare Funktion auf einer messbaren Menge ist das Lebesgue-Integral
immer zumindest im uneigentlichen Sinne erklärt und man nennt f : U → R
(Lebesgue-)integrierbar, wenn
Z
kf k1 :=
|f (x)| dx < ∞
U
1
Natürlich stimmt das nicht ganz. Ein Gegenbeispiel kann man mit dem Auswahlaxiom
konstruieren.
2
Natürlich stimmt auch das nicht.
22
ist. Insbesondere ist jede stetige beschränkte Funktion über eine beschränkte
offene Menge U integrierbar. Die Abbildung
Z
f 7→
f (x) dx
U
ist hierbei eine lineare Abbildung vom Vektorraum der integrierbaren Funktionen nach R. Diesen Raum bezeichnen wir im Folgenden mit L1 (U), wobei wir
die üblichen Vorsichtsmaßnahmen beachten müssen, da es sich ja eigentlich um
Äquivalenzklassen bezüglich “Übereinstimmung bis auf eine Nullmenge” handelt.
(L1 (U), k · k1 ) ist ein Banachraum. (Nullmengen sind kleine Ausnahmemengen,
die man in der Lebesgueschen Theorie getrost vernachlässigen darf. Wenn Sie die
noch nicht kennen, so ignorieren Sie diese technische Feinheit hier und im Folgenden einfach. Üblicherweise gelten Eigenschaften von Lebesgue-integrierbaren
Funktionen “fast überall (f.ü.)” bzw. “für fast alle x (f.f.a. x)”. Für stetige Funktionen kann man diese Einschränkung aber meist weglassen, d.h. die Ausnahmenullmenge N als leer annehmen.)
Für das Lebesgue-Integral gelten starke Konvergenzsätze:
Satz 3.1 (Satz von der monotonen Konvergenz) Es sei (fk ) ⊂ L1 (U) eine
Folge mit f1 ≤ f2 ≤ . . . (f.ü.). Gilt
Z
fk (x) dx < ∞,
lim
k→∞
U
so ist auch f mit f (x) := limk→∞ fk (x) (f.f.a. x) in L1 (U) und es ist
Z
Z
fk (x) dx =
f (x) dx.
lim
k→∞
U
U
Satz 3.2 (Satz von der majorisierten Konvergenz) Es sei (fk ) ⊂ L1 (U)
eine Folge mit limk→∞ fk (x) = f (x) (f.f.a. x) und es existiere eine Funktion
g ∈ L1 (U) mit |fk (x)| ≤ g(x) für (fast) alle x und alle k. Dann ist auch f in
L1 (U) und es gilt
Z
Z
fk (x) dx =
lim
k→∞
U
f (x) dx.
U
Der nächste Satz zeigt, dass man n-dimensionale Integrale durch iterierte
Integration berechnen darf.
Satz 3.3 (Satz von Fubini) Ist f ∈ L1 (U × V ), U ⊂ Rk und V ⊂ Rm messbar
(und damit U × V messbar in Rk × Rm ∼
= Rk+m), so gibt es eine Nullmenge
N ⊂ U, so dass für jedes y ∈ U \ N die Abbildung
f (·, y) : U → R,
23
x 7→ f (x, y)
in L1 (U) liegt. Des weiteren gilt
Z
Z Z
f (x, y) d(x, y) =
f (x, y) dx dy,
U ×V
V
U
wobei das innere Integral für y ∈ N durch 0 ersetzt werde.
Besonders wichtig für unsere Untersuchungen ist das Transformationsverhalten unter Änderungen des Integrationsbereichs.
Satz 3.4 (Transformationssatz) Es seien U, Ũ ⊂ Rn offen und ϕ : Ũ → U
ein C 1 -Diffeomorphismus. Ist nun f ∈ L1 (U), so ist f ◦ ϕ · | det Dϕ| ∈ L1 (Ũ ) und
es gilt
Z
Z
f (x) dx =
f (ϕ(x))| det Dϕ(x)| dx.
U
3.2
Ũ
Die Definition
Wir wollen nun Funktionen f über C 1 -Mannigfaltigkeiten integrieren. Heuristisch
kann man sich dazu die Mannigfaltigkeit M in viele kleine “Maschen” Mi zerlegt
denken und versuchen, eine zugehörige Riemannsumme zu berechnen:
Z
X
f≈
f (pi) × k-dimensionales Volumen von Mi .
M
i∈I
Ist z.B. M durch eine einzige Karte Φ : V → M parametrisiert, so könnte man V
durch ein feines reguläres Gitter partitionieren und erhielte auf diese Weise eine
Partitionierung von M aus den Bildern Mi von kleinen Quadern Qi in V unter
Φ.
Abbildung 3.1: Partitionierung von V und M.
Doch was ist das k-dimensionale Volumen Volk (Mi ) von Mi ? Für immer feinere Zerteilungen ist ja Mi = Φ(Qi ) bis auf Translation approximativ durch
24
DΦ(Φ−1 (pi ))(Qi ) gegeben und wir müssen das k-dimensionale Volumen eines sogenannten k-Spates bzw. k-dimensionalen Parallelotops bestimmen. Genauer:
Definition 3.5 Sind v1 , . . . , vk ∈ Rn linear unabhängig, so heißt
P (v1 , . . . , vk ) := {x ∈ Rn : ∃ λ1 , . . . , λk ∈ [0, 1] mit x = λ1 v1 + . . . + λk vk }
(k-)Spat oder (k-)Parallelotop.
k Vektoren v1 , . . . , vk ∈ Rn sind genau dann linear unabhängig, wenn die n × kMatrix A = (v1 , . . . , vk ) vom Rang k ist. Offenbar ist
P (v1 , . . . , vk ) = A([0, 1]k ).
Für k = n ergibt sich daraus
p
Voln (P (v1 , . . . , vn )) = Voln (A[0, 1]n ) = | det A| = det(AT A).
Es sei nun k < n. Sind alle vi von der Form vi = w0i ∈ Rk ×{0}, d.h. A =
mit B = (w1 , . . . , wk ), so sollte sicherlich
B
0
Volk (P (v1, . . . , vk )) = Volk (P (w1 , . . . , wk )) = | det B|
gelten. Hier ist
| det B| =
p
p
det(B T B) = det(AT A).
Im allgemeinen Fall betrachten wir eine orthogonale Matrix O ∈ Rn×n mit
O span{v1 , . . . , vk } ⊂ Rk × {0},
so dass OA von der Form B0 ist. (Ergänze eine Orthonormalbasis (y1 , . . . yk ) von
span{v1 , . . . , vk } zu einer Orthonormalbasis (y1 , . . . yn ) des Rn und wähle O linear
mit Oyj = ej , j = 1, . . . n.) Da eine orthogonale Matrix eine starre Bewegung
beschreibt, sollte eine solche Transformation das Volumen nicht ändern und wir
erhalten
Volk (P (v1 , . . . , vk )) = Volk (A[0, 1]k ) = Volk (OA[0, 1]k )
p
p
= det((OA)T (OA)) = det(AT A).
Diese Vorüberlegungen führen zu folgender Definition.
Definition 3.6 Es seien v1 , . . . , vk ∈ Rn . Das k-dimensionale Volumen des von
ihnen aufgespannten Parallelotops ist
p
Volk (P (v1 , . . . , vk )) := det(AT A)
für A = (v1 , . . . , vk ) ∈ Rn×k .
25
Beispiel: Für k = 2 ist A = (v1 , v2 ) und
v1 · v1 v1 · v2
T
= |v1 |2 |v2 |2 − (v1 · v2 )2
det(A A) = det
v2 · v1 v2 · v2
(v1 · v2 )2
2
2
= |v1 |2 |v2 |2 1 − cos2 <
) (v1 , v2 )
= |v1 | |v2 | 1 −
2
2
|v1 | |v2 |
2
2
2
= |v1 | |v2 | sin <
) (v1 , v2 ),
so dass
Vol2 (P (v1 , v2 )) = |v1 ||v2 | | sin <
) (v1 , v2 )|
gilt.
Definition 3.7 Es sei M ⊂ Rn eine k-dimensionale C 1 -Mannigfaltigkeit und
Φ : V → U eine (innere) Karte. Wir definieren den Maßtensor (oder auch
metrischen Tensor) als die matrixwertige Abbildung
G = (gij ) : V → Rk×k ,
G(x) = (DΦ(x))T DΦ(x).
Ihre Determinante det G(x) heißt die Gramsche Determinante und wird oft mit
g(x) bezeichnet.
Nach unseren Vorüberlegungen ist nun die folgende Definition des Integrals
über einem Kartenbereich sinnvoll.
Definition 3.8 Es sei M ⊂ Rn eine k-dimensionale C 1 -Mannigfaltigkeit und
Φ : V → U eine (innere) Karte. Ist f : M → R eine Funktion, so dass f auf
M \ U verschwindet, so heißt f integrierbar, wenn die Abbildung
p
x 7→ f (Φ(x)) g(x)
in L1 (V ) liegt. Man setzt dann
Z
Z
p
f (x) dS(x) :=
f (Φ(x)) g(x) dx.
M
V
Hiebei steht dS(x) für das infinitesimale Oberflächenelement (engl. surface
element), welches
psich aus dem infinitesimalen Euklidischen Volumenelement dx
gemäß dS(x) = g(x)dx ergibt. Dass dieses Integral wohldefiniert ist, ergibt sich
direkt aus dem folgenden Lemma.
Lemma 3.9
(i) Positivität: Die Gramsche Determinante g ist immer positiv.
(ii) Sind Φ1 : V1 → U1 , Φ2 : V2 → U2 überlappende Karten mit U1 ∩ U2 6= ∅
′
′
und Gramscher Determinante g1 bzw. g2 , so ist ϕ = Φ−1
2 ◦ Φ1 : V1 → V2 ,
−1
′
Vj := Φj (U1 ∩ U2 ), j = 1, 2, ein Diffeomorphismus (vgl. Satz 2.7) und es
gilt
g1 (x) = (det Dϕ(x))2 g2 (ϕ(x))
für x ∈ Φ−1
1 (U1 ∩ U2 ).
26
Sind also zwei Karten Φ1 : V1 → U1 und Φ2 : V2 → U2 gegeben, so dass f auf
M \ U1 und M \ U2 verschwindet, so ist tatsächlich nach dem Transformationssatz
√
3.4 mit f ◦ Φ2 · g2 über V2′ auch
f ◦ Φ2 ◦ ϕ ·
√
g2 ◦ ϕ| det Dϕ| = f ◦ Φ1 ·
√
g1
über V1′ integrierbar und es gilt
Z
Z
p
p
f (Φ2 (x)) g2 (x) dx =
f (Φ1 (x)) g1 (x) dx.
V2
V1
Beweis von Lemma 3.9. (i) Wähle orthogonale Matrizen O(x) ∈ Rn×n , so dass
ODΦ = B0 für die betrachtete Karte Φ gilt, wobei B ∈ Rk×k nicht singulär ist,
da Rang B = Rang DΦ = k gilt. Dann ist
g = det (DΦ)T DΦ = det (ODΦ)T ODΦ = det B T B = (det B)2 > 0.
(ii) Dass ϕ ein Diffeomorphismus ist, haben wir schon in Satz 2.7 gesehen.
Auf V1′ gilt außerdem
g1 (x) = det (DΦ1 (x))T DΦ1 (x) = det (D(Φ2 ◦ ϕ)(x))T D(Φ2 ◦ ϕ)(x)
= det (Dϕ(x))T (DΦ2 (ϕ(x)))T DΦ2 (ϕ(x))Dϕ(x)
= det Dϕ(x) det (DΦ2 (ϕ(x)))T DΦ2 (ϕ(x)) det Dϕ(x)
= (det Dϕ(x))2 g2 (ϕ(x)).
Wir wenden uns nun der Definition des Oberflächenintegrals auf Mannigfaltigkeiten zu, die nicht notwendig durch eine einzige Karte parametrisiert werden.
Dabei behandeln wir jedoch nicht den allgemeinsten Fall, sondern setzen voraus,
dass es einen endlichen Atlas gibt. Das wird für die meisten interessanten Beispiele genügen. Beachten Sie, dass insbesondere jede kompakte Mannigfaltigkeit
einen endlichen Atlas hat:
Beobachtung: Ist M eine kompakte Mannigfaltigkeit in Rn , so hat M einen
endlichen Atlas. Ist nämlich (Φj )j∈J , Φj : Vj → Uj , ein Atlas von M, so lässt sich
S
S
aus M = j∈J Uj eine endliche Teilüberdeckung auswählen, etwa M = N
m=1 Ujm ,
so dass also auch (Φjm )1≤m≤N ein Atlas ist.
Um die Beiträge verschiedener Kartenbereiche “zusammenzustückeln” benötigen wir das folgende technische Hilfsmittel:
Definition 3.10 Es sei (Uj )j=1,...,N eine Überdeckung von M ⊂ Rn , d.h. M =
SN
j=1 Uj . Eine Familie (αj )j=1,...,N von Funktionen αj : M → R heißt eine
der Überdeckung (Uj ) untergeordnete Zerlegung (oder Teilung) der Eins, wenn
27
(i) 0 ≤ αj ≤ 1 für j = 1, . . . , N,
(ii) αj ≡ 0 auf M \ Uj für j = 1, . . . , N und
PN
(iii)
j=1 αj ≡ 1 auf M gilt.
Es ist leicht zu sehen, dass für einen endlichen Atlas (Φj : Vj → Uj ) eine
der Überdeckung (Uj ) untergeordnete Zerlegung der Eins (αj ) existiert, so dass
αj ◦ Φj messbar ist: Wähle etwa
α2 = χU2 \U1 , . . . ,
α1 = χU1 ,
αj = χUj \(U1 ∪...∪Uj−1 ) ,
...,
wobei χW die charakteristische Funktion einer Menge W bezeichnet. Dann ist
αj ◦ Φj = χVj \Φ−1 (U1 ∪...∪Uj−1 ) .
j
Definition 3.11 Es sei M ⊂ Rn eine k-dimensionale C 1 -Mannigfaltigkeit mit
endlichem Atlas (Φj : Vj → Uj )j=1,...,N . Eine Funktion f : M → R heißt
integrierbar, wenn χUj f im Sinne von Definition 3.8 integrierbar ist für alle j.
Ist (αj ) eine der Überdeckung (Uj ) untergeordnete Zerlegung der Eins, so dass
αj ◦ Φj messbar ist, so wird das Integral von f über M definiert durch
Z
f (x) dS(x) :=
M
N Z
X
j=1
αj (x)f (x) dS(x),
M
wobei auf der rechten Seite die schon in Definition 3.8 erklärten Integrale stehen.
Es ist also
Z
f (x) dS(x) :=
M
N Z
X
j=1
αj (Φj (x))f (Φj (x))
Vj
p
g(x) dx.
Wir müssen rechtfertigen, dass dies wohldefniert ist: Zunächst ist klar, dass
wegen 0 ≤ αj ≤ 1 mit χUj f auch αj f integrierbar ist. Es seien nun (Φj : Vj →
Uj )j=1,...,N und (Φ′j : Vj′ → Uj′ )j=1,...,N ′ Atlanten mit untergeordneten Zerlegungen
der Eins (αj ) bzw. (αj′ ). Ist χUj f für alle j integrierbar,
so auch χUi′ αj f für alle
P
i, j. Nach Definition 3.8 ist dann auchχUi′ f = j χUi′ αj f integrierbar und es gilt
tatsächlich
N X
N′ Z
N Z
X
X
αj (x)f (x) dS(x) =
αi′ (x)αj (x)f (x) dS(x)
j=1
M
j=1 i=1
M
′
=
N Z
X
i=1
αi′ (x)f (x) dS(x).
M
Damit lässt sich nun auch der Begriff des k-dimensionalen Volumens auf allgemeine Mannigfaltigkeiten übertragen:
28
Definition 3.12 Es sei M ⊂ Rn eine k-dimensionale C 1 -Mannigfaltigkeit mit
endlichem Atlas. Ist A ⊂ M eine Teilmenge, so dass χA integrierbar ist, so
nennen wir A selbst integrierbar und definieren das k-dimensionale Volumen von
A durch
Z
Volk (A) :=
χA (x) dS(x).
M
Ist Volk (A) = 0, so nennt man A eine k-dimensionale Nullmenge.
Eine Funktion f : A → R heißt über A integrierbar, wenn χA f integrierbar
ist. In diesem Falle setzt man
Z
Z
f (x) dS(x) :=
χA (x)f (x) dS)(x).
A
M
Überlegen Sie sich, dass für A ⊂ M offen, wenn also A selbst eine Mannigfaltigkeit ist, diese Definition mit dem Begriff der Integrierbarkeit über die
Mannigfaltigkeit A gemäß Definition 3.11 übereinstimmt.
Wir schließen diesen Abschnitt mit der folgenden
Beobachtung: Es seien M ⊂ Rn eine k-dimensionale Mannigfaltigkeit mit endlichem Atlas, f, f˜ : M → R mit f ≡ f˜ außerhalb einer k-dimensionalen
R
R Nullmenge.
˜
Ist f integrierbar, so ist auch f integrierbar und es gilt M f dS = M f˜ dS.
Begründung: Ist A ⊂ M eine k-dimensionale Nullmenge, so gilt für jede Karte
Φ : V → U mit Gramscher Determinante g
Z
Z
Z
p
p
g(x) dx.
0 = Volk (A) ≥
χA∩U dS =
χA (Φ(x)) g(x) dx =
M
Φ−1 (A)∩V
V
Da g nach Lemma 3.9 positiv ist, folgt daraus |V ∩ Φ−1 (A)| = 0. Für jede Karte
Φ ist also f˜ ◦ Φ = f ◦ Φ fast überall in V . Daraus folgt die Behauptung.
3.3
Beispiele & Anwendungen
Kurvenintegrale
Es sei M die eindimensionale Mannigfaltigkeit M = γ(I) für eine Kurve γ mit
γ̇ 6= 0, die I homöomorph auf M abbildet. Wir haben schon gesehen, dass dann γ
selbst eine Parametrisierung von M ist. Die zugehörige Gramsche Determinante
ist gegeben durch
g = det(γ̇ T γ̇) = γ̇ · γ̇ = |γ̇|2 .
Für eine integrierbare Funktion f : M → R ist hier
Z
Z
f (x) dS(x) = f (γ(t))|γ̇(t)| dt,
M
I
ein Kurvenintegral.
29
Ist I endlich und etwa γ̇ beschränkt, so hat die Kurve die (endliche) Länge
Z
Vol1 (M) = |γ̇(t)| dt.
I
Wenn Sie aus früheren Vorlesungen schon eine andere Definition der Kurvenlänge
kennen, dann überlegen Sie sich, dass diese mit der hier angegebenen übereinstimmt.
Funktionsgraphen
Eine wichtige Klasse von Mannigfaltigkeiten sind Hyperflächen, die durch Funktionsgraphen gegeben sind. Ist U ⊂ Rn−1 offen und h ∈ C α (U, R), so ist
M = Graph h = {x ∈ Rn : x′ ∈ U, xn = h(x′ )},
wobei wir x′ = (x1 , . . . , xn−1 ) abgekürzt haben, eine (n − 1)-dimensionale C α n
′
′
′
Mannigfaltigkeit
im
R mit Parametrisierung x 7→ (x , h(x )). Dies folgt daraus,
dass Dh =
rung
Idn−1
Dx ′ h
Rang n − 1 hat und die Umkehrabbildung der ParametrisieM ∋ x = (x′ , xn ) 7→ x′
offenbar auch stetig ist.
Der zugehörige metrische Tensor ergibt sich zu
T Idn−1
Idn−1
g=
Dx ′ h
Dx ′ h




1
0 ···
0
1 0 · · · 0 ∂1 h
.. 
..
.
..  
0
1
. 
. . ..


. .
.  .
0 1

.
.
= . .

  ..
..
..
.
0
.

.. 0
..  
 .. . .
 0 ··· 0
1 
0 · · · 0 1 ∂n−1 h
∂1 h · · · · · · ∂n−1 h
= (δij + ∂i h ∂j h)1≤i,j≤n−1 = Idn−1 +(Dh)T Dh.
Ist Dh(x′ ) 6= 0, so hat diese Matrix den einfachen Eigenwert 1 + |Dh(x′ )|2 (mit
Eigenvektor (Dh(x′ ))T ) und den (n − 1)-fachen Eigenwert 1 (mit Eigenraum
{(Dh(x′ ))T }⊥ ). Die Gramsche Determinante ist somit
g(x′ ) = (1 + |Dh(x′ )|2 ) · 1 · . . . · 1 = 1 + |Dh(x′ )|2 ,
was auch für Dh(x′ ) = 0 richtig bleibt.
Zusammengefasst zeigen diese Überlegungen:
Proposition 3.13 Ist h ∈ C 1 (U, R), U ⊂ Rn−1 offen, und f eine integrierbare
Funktion auf M = Graph h, so gilt
Z
Z
p
f (x) dS(x) =
f (x′ , h(x′ )) 1 + |Dh(x′ )|2 dx.
M
U
30
Skalierungen
Das Transformationsverhalten unter Reskalierungen und Verschiebungen einer
Mannigfaltigkeit ist besonders einfach (und wichtig).
Proposition 3.14 Es seien x0 ∈ Rn , r > 0 und M ⊂ Rn eine k-dimensionale
Mannigfaltigkeit. Dann ist auch x0 + rM eine k-dimensionale Mannigfaltigkeit.
Ist f : x0 + rM → R integrierbar, so ist3 f (x0 + r·) auf M integrierbar und es
gilt
Z
Z
k
f (x0 + rx) dS(x).
f (x) dS(x) = r
x0 +rM
M
Beweis. Ist (Φj : Vj → Uj ) ein Atlas für M, so ist (x0 + rΦj ) ein Atlas für
x0 + rM, womit diese Menge insbesondere eine Mannigfaltigkeit ist. Dabei ist
D(x0 + rΦj ) = rDΦj und daher
(r)
gj = det(r(DΦj )T rDΦj ) = r 2k det((DΦj )T DΦj ) = r 2k gj
(r)
für die Gramschen Determinanten gj und gj bezüglich Φj bzw. x0 +rΦj . Für eine
(x0 + rUj ) untergeordnete Zerlegung der Eins (αj ) ersieht man die Behauptung
nun leicht aus
Z
XZ
αj (x)f (x) dS(x)
f (x) dS(x) =
x0 +rM
x0 +rM
j
=
XZ
j
=r
k
αj (x0 + rΦj (x))f (x0 + rΦj (x))
Vj
XZ
j
=r
k
XZ
j
=r
k
Z
q
αj (x0 + rΦj (x))f (x0 + rΦj (x))
Vj
(r)
gj (x) dx
q
gj (x) dx
αj (x0 + rx)f (x0 + rx) dS(x)
M
f (x0 + rx) dS(x),
M
denn (αj (x0 + r·)) ist eine (Uj ) untergeordnete Teilung der Eins auf M.
Ist M integrierbar, so folgt aus Proposition 3.14 unmittelbar
Volk (x0 + rM) = r k Volk (M).
Dieses Transformationsverhalten sollten wir für k-dimensionale Objekte ja auch
erwarten.
3
f (x0 + r·) steht abkürzend für die Abbildung x 7→ f (x0 + rx).
31
Faserung in Kugelschalen
Ähnlich wie man beim Satz von Fubini den n-dimensionalen Raum durch affine
Unterräume fasert und das Integral einer Funktion sukzessive berechnet, indem
man zuerst über diese Unterräume integriert, können wir den Rn nun durch Ku(n)
gelschalen ausschöpfen. Für r > 0 bezeichnen wir mit Br (x) oder genauer Br (x)
die offene Kugel {y ∈ Rn : |y − x| < r}.
Satz 3.15 Ist f ∈ L1 (Rn ), so ist f für fast alle r ∈ (0, ∞) über die Sphäre
∂Br (0) integrierbar. Es gilt
Z
Z ∞Z
Z ∞Z
f (x) dx =
f (x) dS(x) dr =
f (ry) dS(y) r n−1 dr.
Rn
0
∂Br (0)
0
∂B1 (0)
Beweis. Wir berechnen zunächst das Integral über den oberen Halbraum {x ∈
Rn : xn > 0}, kurz {xn > 0}. Die Abbildung
p
(n−1)
ϕ : B1
(0) × (0, ∞) → {xn > 0},
ϕ(x′ , r) = (rx′ , r 1 − |x′ |2 )
ist ein Diffeomorphismus: Sie ist injektiv, denn
p
p
(rx′ , r 1 − |x′ |2 ) = (r̃x̃′ , r̃ 1 − |x̃′ |2 )
impliziert, indem man das Quadrat der Normen vergleicht, zunächst
r 2 = r 2 |x′ |2 + r 2 (1 − |x′ |2 ) = r̃ 2 |x̃′ |2 + r̃ 2 (1 − |x̃′ |2 ) = r̃ 2 ,
also r = r̃, und dann, indem man die ersten n − 1 Koordinaten vergleicht, auch
x′ = x̃′ . ϕ ist zudem surjektiv, denn zu gegebenem x = (x′ , xn ) mit xn > 0 ist
s
!
′
p
p
x
x′
|x′ |2
′
2 − |x′ |2 ) = (x′ ,
|x|
ϕ
, |x| = |x| , |x| 1 −
=
(x
,
x2n ) = x.
|x|
|x|
|x|2
ϕ ist glatt mit
Dϕ(x′ , r) =
r Idn−1
x′
p
′ T
r √−(x ) ′ 2
1 − |x′ |2
1−|x |
so dass




det 
det Dϕ(x′ , r) = p
′
2

1 − |x |

r n−1
1
0
..
.
0
−x1
32
!
,

···
0
x1
..
..
..

.
1
.
.


..
..
..

.
.
0
.

··· 0
1
xn−1 
· · · · · · −xn−1 1 − |x′ |2
0
ist. Diese Determinante kann man etwa dadurch bestimmen, dass man für alle
i = 1, . . . , n − 1 das xi -fache der i-ten Zeile zur n-ten Zeile addiert, so dass sich


1 0 · · · 0 x1
.. 
. . ..

. .
0 1
. 

n−1
r n−1
r
. .
′
.. 
.
p
det  .. . .
6= 0
=
det Dϕ(x , r) = p

.
. 0
. 
′ |2

1 − |x′ |2
1
−
|x
0 · · · 0 1 xn−1 
0 ··· ··· 0
1
ergibt. Daraus folgt nun auch die Glattheit von ϕ−1 aus dem Satz über die Umkehrfunktion.
Der Transformationssatz 3.4 und der Satz 3.3 von Fubini liefern daher
Z
Z
f (x) dx =
f (ϕ(x′ , r))| det Dϕ(x′ , r)| d(x′, r)
ϕ−1 ({xn ≥0})
{xn ≥0}
Z
p
r n−1
d(x′ , r)
1 − |x′ |2 ) p
′ |2
(n−1)
1
−
|x
B1
(0)×(0,∞)
!
Z ∞ Z
n−1
p
r
=
f (rx′ , r 1 − |x′ |2 ) p
dx′ dr,
′
2
(n−1)
1 − |x |
0
B1
(0)
=
f (rx′ , r
wobei das innere Integral für fast alle r definiert ist. Nun ist
p jedoch der Funkti(n−1)
′
′
onsgraph der Abbildung h : B1
(0) → R mit h(x ) = (x , 1 − |x′ |2 ) die obere
′ T
(n)
1
Halbsphäre ∂B1 (0) ∩ {xn > 0} mit Dh = √−(x ) ′ 2 , also 1 + |Dh(x′ )|2 = 1−|x
′ |2 ,
1−|x |
so dass nach Proposition 3.13 (angewendet auf y 7→ f (ry)r n−1 für festes r)
!
Z
Z
Z
∞
f (x) dx =
{xn ≥0}
(n)
∂B1 (0)∩{xn >0}
0
f (ry)r n−1 dS(y)
dr
(n)
gilt. Da ∂B1 (0) ∩ {xn > 0} eine (n − 1)-dimensionale Mannigfaltigkeit ist, folgt
daraus mit Proposition 3.14 schließlich auch
Z
Z ∞ Z
f (x) dx =
f (x) dS(x) dr.
{xn ≥0}
0
(n)
∂Br (0)∩{xn >0}
Ganz analog zeigt man die entsprechenden Gleichungen auf dem negativen
Halbraum {xn < 0}.
Die Hyperebene {xn = 0} ist eine Nullmenge im Rn . Genauso ist der Schnitt
{xn = 0} ∩ ∂Br (0) für alle r > 0 eine (n − 1)-dimensionale Nullmenge. Damit ist
nun tatsächlich
Z
Z ∞Z
Z ∞Z
f (x) dx =
f (x) dS(x) dr =
f (ry) dS(y) r n−1 dr
Rn
0
∂Br (0)
0
33
∂B1 (0)
gezeigt, denn wir dürfen, ohne den Wert der auftretenden Integrale zu verändern,
f durch χ{xn >0} f + χ{xn <0} f oder – äquivalent dazu – Rn durch Rn \ {xn = 0}
und die ∂Br (0) jeweils durch ∂Br (0) \ {xn = 0} ersetzen.
Dieser Satz ist natürlich vor allem bei der Integration rotationssymmetrischer
Funktionen hilfreich: Ist f ∈ L1 (Rn ) mit f (x) = f˜(r) für r = |x|, so gilt
Z
Z ∞Z
f (x) dx =
f (ry) dS(y) r n−1 dr
n
R
0
∂B1 (0)
Z ∞
= Voln−1 (∂B1 (0))
r n−1 f˜(r) dr.
0
Wir werden gleich sehen, wie man Voln−1 (∂B1 (0)) explizit bestimmen kann.
Die Kugeloberfläche
Als Beispiel berechnen wir das (n − 1)-dimensionale Volumen der Kugeloberfläche S n−1 . Dazu erinnern wir zunächst an die Formel für das Volumen einer
n-dimensionalen Kugel vom Radius r: Es gilt
n
Voln (Br(n) )
π 2 rn
,
=
Γ(1 + n2 )
wobei Γ die Gamma-Funktion4 bezeichnet. Dies ergibt sich z.B. durch Induktion
nach n: Zunächst ist
√
1
r π
πr 2
π2r
πr 2
(1)
Vol1 (Br ) = 2r = 1 1 = 3 ,
=
.
Vol2 (Br(2) ) = πr 2 =
1 · Γ(1)
Γ(2)
Γ( 2 )
Γ( 2 )
2
Weiter gilt
Voln (Br(n) )
=
Z
χ{x21 +...+x2n <r2 } (x) dx
Z
Z
=
χ{x23 +...+x2n <r2 −x21 −x22 } (x) dx3 . . . dxn dx1 dx2
(2)
Br
Rn−2
Z
(n−2)
=
Voln−2 B√ 2 2 2 dx1 dx2
(2)
r −x1 −x2
Br
Z
n−2
(n−2)
2
2
2
2
dx1 dx2 Voln−2 B1
=
r − x1 − x2
Rn
(2)
Br
für n ≥ 3, wobei wir den Satz 3.3 von Fubini und die Skalierungseigenschaft
aus Proposition 3.14 ausgenutzt haben. Das hier auftretende zweidimensionale
4
Diese Funktion interpoliert die Fakultäten natürlicher
√ Zahlen. Insbesondere erfüllt sie die
Funktionalgleichung xΓ(x) = Γ(x + 1) und es ist Γ( 21 ) = π sowie Γ(1) = 1.
34
Integral lässt sich mit Polarkoordinaten explizit berechnen und wir erhalten, wenn
die Formel in n − 2 Dimensionen schon etabliert ist,
Z r Z 2π
(n−2)
(n)
2
2 n−2
2
Voln (Br ) =
dθ s ds Voln−2 B1
(r − s )
0
0
s=r
1 2
(n−2)
2 n
2
Voln−2 B1
= 2π − (r − s )
n
s=0
n−2
n
n
2πr n
π 2
π 2 rn
π 2 rn
=
=
=
.
n
n Γ(1 + n−2
Γ(1 + n2 )
Γ( n2 )
)
2
2
Zur Berechnung der Oberfläche Voln−1 (S n−1 ) bemerken nun, dass nach Satz
3.15
Z
(n)
Voln (B (0)) =
χB(n) (0) (x) dx
Rn
Z 1Z
=
dS(x) r n−1 dr
0
∂B (n) (0)
= Voln−1 (∂B
(n)
(0))
Z
1
r n−1 dr
0
1
= Voln−1 (∂B (n) (0))
n
gilt, so dass
n
Voln−1 (S
n−1
n
n
nπ 2
nπ 2
2π 2
)=
n =
n = n
Γ( 2 )
Γ(1 + 2 )
Γ( n2 )
2
ist. Nach Proposition 3.14 ist dann allgemein
n
Voln−1 (rS
n−1
2π 2 r n−1
)=
.
Γ( n2 )
35
Kapitel 4
Orientierung und Teilmengen mit
Rand
In diesem Kapitel untersuchen wir zunächst, wie auf Mannigfaltigkeiten der Begriff einer Orientierung eingeführt werden kann, und wenden uns dann besonders
gutartigen Teilmengen zu. Wir nehmen an, dass alle Mannigfaltigkeiten von der
Klasse C 1 sind und überlegen uns ganz zum Schluss kurz, was für eine allgemeine
Differenzierbarkeitsordnung C α noch zu bedenken ist.
4.1
Orientierte Mannigfaltigkeiten
Oft ist es bei der Integration über Mannigfaltigkeiten wichtig, eine Orientierung des Integrationsbereiches zuR berücksichtigen. Das Phänomen ist aus der
b
Analysis 1 bekannt: Ein Integral a f (x) dx ändert das Vorzeichen, wenn man a
und b vertauscht und damit den “Durchlaufsinn” des Integrationsbereichs umkehrt. Die zweisdimensionale Ebene kann man “gegen” oder “mit dem Uhrzeigersinn” orientieren und im dreidimensionalen Raum kann man eine Orientierung
durch “Rechts-” oder “Linkshändigkeit” festlegen. Allgemein lässt sich ein kdimensionaler Raum, k ≥ 1, durch die Wahl einer Basis orientieren: Genauer
gesagt, definiert man zunächst, dass zwei Basen gleichorientiert sind, wenn die
Matrix des Basiswechsels positive Determinante hat. Dies ist eine Äquivalenzrelation mit zwei Äquivalenzklassen, die man dann die beiden Orientierungen
nennt. Im Rk nennt man die durch die kanonische Basis (e1 , . . . , ek ) gegebene
Orientierung positiv, die andere (etwa durch (−e1 , e2 , . . . , ek ) induzierte) negativ.
Für Mannigfaltigkeiten definieren wir:
Definition 4.1 Es sei M eine k-dimensionale Mannigfaltigkeit im Rn , k ≥ 1.
(i) Zwei Karten Φ1 : V1 → U1 , Φ2 : V2 → U2 heißen gleich orientiert, wenn für
U1 ∩ U2 6= ∅ der Kartenwechsel
−1
−1
ϕ = Φ−1
2 ◦ Φ1 : Φ1 (U1 ∩ U2 ) → Φ2 (U1 ∩ U2 )
36
die Bedingung det Dϕ > 0 erfüllt. (Man sagt dann ϕ sei orientierungstreu.)
(ii) M heißt orientierbar, wenn M einen Atlas A aus gleichorientierten Karten
besitzt. A heißt dann orientiert.
Beispiel: Jede Mannigfaltigkeit, die durch eine einzige Karte parametrisiert werden kann, ist orientierbar. Insbesondere ist jede offene Menge im Rn orientierbar,
da sie ja z.B. durch die identische Abbildung parametrisiert wird.
Die Wahl eines orientierten Atlas A legt nun eine Orientierung auf M fest.
Genauer gesagt: Ist Do (A) die Menge aller Karten, die gleichorientiert zu allen
Karten aus A sind, so ist Do (A) selbst ein orientierter Atlas, was man ähnlich
wie in Abschnitt 2.3 einsieht: Sind Φ1 : V1 → U1 , Φ2 : V2 → U2 überlappende
Karten aus Do (A), so kann man um jeden Punkt p ∈ U1 ∩ U2 eine Karte Φ aus
A finden, so dass
−1
−1
Φ−1
◦ Φ1 )
2 ◦ Φ1 = (Φ2 ◦ Φ) ◦ (Φ
−1
−1
in einer entsprechend kleinen Umgebung von Φ−1
◦Φ1
1 (p) gilt. Da Φ2 ◦Φ und Φ
−1
orientierungstreu sind, folgt dies auch für Φ2 ◦Φ1 , denn aus der Kettenregel folgt,
dass die Verkettung orientierungstreuer Abbildungen wieder orientierungstreu ist.
Do (A) ist der maximale A enthaltende orientierte Atlas. Wir können dann ganz
exakt definieren:
Definition 4.2 Eine Orientierung auf einer orientierbaren Mannigfaltigkeit ist
ein maximaler orientierter Atlas.
Bemerkungen:
1. Eine Orientierung auf M induziert auch eine Orientierung der Tangentialräume Tp M: Ist M durch den Atlas A orientiert, so legt die Basis
(∂1 Φ(a), . . . , ∂k Φ(a)), a = Φ−1 (p), (vgl. Satz 2.9) eine Orientierung auf
Tp M fest. Diese ist unabhängig von der Wahl von Φ ∈ A.
Übung: Zeigen Sie dies.
Da umgekehrt zwei nicht gleichorientierte Karten an mindestens einem
Punkt p unterschiedliche Orientierungen auf Tp M induzieren, ist eine Orientierung von M eindeutig durch die induzierten Orientierungen von Tp M
gegeben.
2. Für den nulldimensionalen Raum legt man +1 und −1 als seine beiden
Orientierungen fest. Damit lassen sich allgemein nulldimensionale Mannigfaltigkeiten, die ja nichts anderes sind als eine diskrete Menge von Punkten
im Rn , dadurch orientieren, dass man an jedem Punkt eine der beiden Orientierungen ±1 vorschreibt.
37
Beispiel: Es sei γ : I → Rn eine C 1 -Kurve mit γ̇ 6= 0, so dass γ : I → γ(I)
ein Homöomorphismus ist. Dann ist γ(I) eine Mannigfaltigkeit. γ induziert eine
Orientierung auf γ(I), die eindeutig durch die induzierte Orietierung aller Tp γ(I)
gegeben ist. Die Orientierung von Tp γ(I) ist dabei durch die eindimensionale
γ̇(s)
,
Basis γ̇(s) oder – äquivalent – durch den Tangenteneinheitsvektor t(p) := |γ̇(s)|
−1
s = γ (p), gegeben.
Für den Fall von Mannigfaltigkeiten der Dimension n − 1, also Hyperflächen,
gibt es ein nützliches Kriterium für die Orientierbarkeit:
Satz 4.3 Eine Hyperfläche M ⊂ Rn ist genau dann orientierbar, wenn es auf M
ein stetiges Einheitsnormalenfeld, also eine stetige Abbildung ν : M → Rn mit
ν(p) ∈ Np M und |ν(p)| = 1 für alle p ∈ M, gibt.
Beweis. “⇒”: Es sei M orientierbar und A ein orientierter Atlas. Ist Φ : V →
U aus A und p ∈ U, so wählen wir denjenigen Einheitsvektor ν(p) aus dem
eindimensionalen Normalenraum Np M, der der Bedingung
det(ν(p), ∂1 Φ(a), . . . , ∂n−1 Φ(a)) > 0
genügt, wobei a = Φ−1 (p) ist. Dies ist wohldefiniert, denn sind Φ1 : V1 → U1 ,
Φ2 : V2 → U2 Karten mit p ∈ U1 ∩ U2 und entsprechenden Wahlen von Einheitsvektoren ν1 bzw. ν2 sowie a1 = Φ−1 (p), a2 = Φ−1
2 (p), so ist
DΦ1 (a1 ) = DΦ2 (a2 )Dϕ(a1 ),
wenn ϕ den Kartenwechsel Φ−1
2 ◦ Φ1 in einer Umgebung von a1 bezeichnet, und
daher
det(ν2 (p), DΦ1 (a1 )) = det(ν2 (p), DΦ2 (a2 )Dϕ(a1 ))
1
0
> 0,
= det (ν2 (p), DΦ2 (a2 ))
0 Dϕ(a1 )
also ν1 (p) = ν2 (p).
Es bleibt zu zeigen, dass ν stetig ist. Dazu wählen wir für gegebenes p ∈ M
eine Umgebung U von p in Rn und eine C 1 -Funktion f : U → R, so dass M ∩U =
∇f
{x ∈ U : f (x) = 0} ist, gemäß Definition 2.1. Nach Korollar 2.11 ist dann ν ′ : |∇f
|
ein stetiges Einheitsnormalenfeld auf M ∩ U. Indem wir f gegebenenfalls durch
−f ersetzen, können wir außerdem annehmen, dass
det ν ′ (p), ∂1 Φ(Φ−1 (p)), . . . , ∂n−1 Φ(Φ−1 (p)) > 0
für eine Karte Φ ∈ A um p und also ν ′ (p) = ν(p) gilt. Aus Stetigkeitsgründen ist
dann aber
det ν ′ (q), ∂1 Φ(Φ−1 (q)), . . . , ∂n−1 Φ(Φ−1 (q)) > 0
38
für alle q in einer (kleinen) Umgebung von p. Dort ist demnach ν = ν ′ und
insbesondere ν auch stetig.
“⇐”: Es sei nun ν ein stetiges Einheitsnormalenfeld auf M. Zu p ∈ M wähle
eine Karte Φ : V → U mit p ∈ U. Indem man Φ : V → U gegebenenfalls
durch Φ ◦ P : P (V ) → U ersetzt, wobei P die Spiegelung P (x1 , . . . , xn−1 ) =
(−x1 , x2 , . . . , xn−1 ) ist, kann man erreichen, dass
det ν(p), ∂1 Φ(Φ−1 (p)), . . . , ∂n−1 Φ(Φ−1 (p)) > 0
ist. Durch eventuelles Verkleinern von V können wir aus Stetigkeitsgründen sogar
det (ν(Φ(x)), ∂1 Φ(x), . . . , ∂n−1 Φ(x)) > 0
für alle x ∈ V annehmen. All diese Karten sind nun tatsächlich gleichorientiert:
−1
−1
Ist ϕ = Φ−1
2 ◦ Φ1 : Φ1 (U1 ∩ U2 ) → Φ2 (U1 ∩ U2 ) ein Kartenwechsel, so ist für
−1
x ∈ Φ−1
1 (U1 ∩ U2 ) (also ϕ(x) ∈ Φ2 (U1 ∩ U2 ))
0 < det ν(Φ1 (x)), DΦ1 (x) = det ν(Φ2 (ϕ(x))), DΦ2 (ϕ(x))Dϕ(x)
1
0
.
= det ν(Φ2 (ϕ(x))), DΦ2 (ϕ(x))
0 Dϕ(x)
Dann aber muss auch det Dϕ(x) > 0 sein.
Beobachtung: Der zweite Beweisteil zeigt, dass ν in eindeutiger Weise eine
Orientierung auf M induziert:
Definition 4.4 Es sei M ⊂ Rn eine Hyperfläche mit stetigem Einheitsnormalenfeld ν. Die durch die Bedingung
det ν(p), ∂1 Φ(Φ−1 (p)), . . . , ∂n−1 Φ(Φ−1 (p)) > 0
für Karten Φ um p ∈ M eines orientierten Atlas festgelegte Orientierung heißt
die durch ν induzierte Orientierung von M.
Beispiele:
1. Ist U ⊂ Rn offen, f : U → R stetig differenzierbar und c ein regulärer
Wert von f , so ist M := f −1 ({c}), das nach der Beobachtung von Seite 8
ja eine Hyperfläche ist, orientierbar. Ein stetiges Einheitsnormalenfeld ist
∇f (p)
gegeben durch p 7→ |∇f
. Insbesondere ist die n-dimensionale Sphäre S n−1
(p)|
orientierbar.
2. Das Bild M der Abbildung Ψ : R × (− 21 , 21 ) → R3 ,


  


 
cos s
0
(1 + t cos 2s ) cos s
cos s
s
s
Ψ(s, t) =  sin s +t cos  sin s  + sin 0 =  (1 + t cos 2s ) sin s 
2
2
0
1
t sin 2s
0
ist ein sogenanntes Möbiusband, s. Abb. 4.1.
Übung: Zeigen Sie, dass M eine nicht orientierbare Mannigfaltigkeit ist.
39
Abbildung 4.1: Möbiusband.
3. Ist M ⊂ R3 eine orientierbare zweidimensionale Mannigfaltigkeit (also eine
Fläche im Raum) mit orientiertem Atlas A, so ist ein stetiges Einheitsnormalenfeld durch
∂1 Φ × ∂2 Φ −1
ν(p) :=
(Φ (p))
|∂1 Φ × ∂2 Φ|
gegeben, wobei Φ eine beliebige Karte aus A um p ist und × das Kreuzprodukt im R3 bezeichnet. In der Tat ist die rechte Seite für jede Wahl von
Φ ein Einheitsvektor des eindimensionalen Np M, da ja ∂1 Φ und ∂2 Φ den
Tp M aufspannen und es gilt
∂1 Φ × ∂2 Φ
det
(a), ∂1 Φ(a), ∂2 Φ(a) > 0
|∂1 Φ × ∂2 Φ|
für a = Φ−1 (p) (s.u.), so dass ν wie im ersten Beweisteil von Satz 4.3
angegeben ist und dieselbe Orientierung wie A induziert.
Übung: Für a, b ∈ R3 ist det(a × b, a, b) = |a × b|2 .
4.2
Teilmengen mit glattem Rand
Wir untersuchen nun Teilmengen von Mannigfaltigkeiten mit besonders gutartigem Rand. Solche Mengen werden als Integrationsbereiche bei den Integralsätzen
der folgenden Kapitel auftreten. Dass der Rand eines Integrationsgebietes eine besondere Rolle spielt, sieht man ja schon im Eindimensionalen, wenn man Integrale
mittels Stammfunktionen berechnet.
Ist Ω ⊂ M, M eine Mannigfaltigkeit im Rn , so bezeichnen wir mit ∂Ω = Ω\Ω◦
deren Rand. Hierbei ist immer der Abschluss Ω bzw. das Innere Ω◦ in der Toplogie
von M gemeint (vgl. Abschnitt 2.1).
40
Definition 4.5 Es sei M eine k-dimensionale Mannigfaltigkeit im Rn und Ω ⊂
M eine Teilmenge. Man sagt, dass Ω glatten Rand hat, wenn für alle p ∈ ∂Ω
eine Karte Φ : V → U mit p ∈ U und
Φ(V ∩ {x1 ≤ 0}) = Ω ∩ U
sowie
Φ(V ∩ {x1 = 0}) = ∂Ω ∩ U
existiert. Eine Karte mit diesen beiden Eigenschaften nennt man Rand-adaptiert.
Hierbei steht {x1 ≤ 0} als Abkürzung für den Halbraum {x ∈ Rk : x1 ≤ 0} und
{x1 = 0} für dessen Rand ∂{x1 ≤ 0} = {x ∈ Rk : x1 = 0}. Lokal liegt dann
Ω bis auf eine glatte Koordinatentransformation in M wie ein k-dimensionaler
Halbraum im Rk (s. Abb. 4.2).
Abbildung 4.2: Rand-adaptierte Karte.
Lemma 4.6 Es sei M eine k-dimensionale Mannigfaltigkeit im Rn und Ω ⊂ M
eine Teilmenge mit glattem Rand. Dann gibt es einen Atlas aus Rand-adaptierten
Karten. Ist M orientiert und k ≥ 2, so gibt es sogar einen orientierten Atlas aus
Rand-adaptierten Karten, der die gegebene Orientierung induziert.
Beweis. Um jeden Randpunkt von Ω gibt es nach Definition eine Rand-adaptierte
Karte. Ist dagegen p ∈
/ ∂Ω, so kann man immer eine Karte Φ : V → U wählen,
so dass V ⊂ {x1 < 0} und p ∈ U ⊂ Ω oder V ⊂ {x1 > 0} und p ∈ U ⊂ M \ Ω
gilt. Die Menge all dieser Rand-adaptierten Karten ist ein Atlas A.
Es sei nun M durch den orientierten Atlas A′ orientiert. Indem wir in der
Konstruktion von A die Definitionsbereiche hinreichend klein wählen, dürfen wir
annehmen, dass für jedes Φ : V → U aus A ein Φ′ : V ′ → U ′ aus A′ existiert, so
dass U ⊂ U ′ gilt und det D(Φ′ −1 ◦ Φ) auf V das Vorzeichen nicht wechselt.
Ersetzt man nun alle Karten Φ aus A, für die dieses Vorzeichen negativ ist,
durch die Karte Φ ◦ P , wobei P die Spiegelung x 7→ (x1 , . . . , xk−1 , −xk ) ist, so
erhält man einen Atlas A′′ , der offenbar wieder Rand-adaptiert ist und
det D(Φ′
−1
◦ Φ) > 0 ∀ Φ ∈ A′′
41
mit entsprechend gewähltem Φ′ ∈ A erfüllt. Damit ist tatsächlich für je zwei
Karten Φ1 : V1 → U1 , Φ2 : V2 → U2 aus A′′ mit U1 ∩ U2 6= ∅ und entsprechenden
Karten Φ′1 : V1′ → U1′ ⊃ U1 bzw. Φ′2 : V2′ → U2′ ⊃ U2
−1
′
′−1
Φ−1
◦ Φ′1 ◦ Φ′−1
◦ Φ1
2 ◦ Φ1 = Φ2 ◦ Φ2 ◦ Φ2
1
′
−1
′−1
′
= (Φ2 ◦ Φ2 ) ◦ (Φ2 ◦ Φ1 ) ◦ (Φ′−1
◦ Φ1 )
1
orientierungstreu, da Verkettungen und Umkehrungen orientierungstreuer Abbildungen wieder orientierungstreu sind. A′ und A′′ induzieren die gleiche Orientierung, da für Karten Φ1 : V1 → U1 aus A′′ mit entsprechender Karte Φ′1 : V1′ →
U1′ ⊃ U1 aus A′ und beliebiger Karte Φ2 : V2 → U2 aus A′ mit U1 ∩ U2 6= ∅ auch
der Kartenwechsel
−1
′
′−1
Φ−1
◦ Φ1 ),
2 ◦ Φ1 = (Φ2 ◦ Φ1 ) ◦ (Φ1
wo er definiert ist, orientierungstreu ist.
Wir kommen nun zum wesentlichen Ergebnis dieses Abschnitts: Der Rand
einer glatt berandeten Teilmenge ist selbst eine Mannigfaltigkeit.
Satz 4.7 Es sei M eine k-dimensionale Mannigfaltigkeit im Rn , k ≥ 1, und
Ω ⊂ M eine Teilmenge mit glattem Rand. Dann ist ∂Ω eine (k − 1)-dimensionale
Mannigfaltigkeit. Ist M orientierbar, so auch ∂Ω.
Beweis. Ist A ein Rand-adaptierter Atlas für M und Φ : V → U eine Karte aus A
mit ∂Ω∩U 6= ∅, so definieren wir die stetige bijektive Abbildung Φ′ : V ′ → ∂Ω∩U
durch
V ′ := {x′ ∈ Rk−1 : (0, x′1 , . . . , x′k−1 ) ∈ V },
Φ′ (x) = Φ(0, x′1 , . . . , x′k−1 ).
V ′ ist offenbar eine offene Teilmenge von Rk−1 und ∂Ω ∩ U eine offene Teilmenge
von ∂Ω. (Ist Ũ offen im Rn mit U = Ũ ∩ M, so gilt ∂Ω ∩ U = ∂Ω ∩ Ũ .) Da
die Umkehrabbildung, gegeben durch Φ′−1 = P ◦ Φ−1 |∂Ω∩U mit P : Rk → Rk−1 ,
P (x) = (x2 , . . . , xk ), auch stetig ist, ist Φ′ ein Homöomorphismus. Wegen DΦ′ =
(∂2 Φ, . . . , ∂k Φ) und Rang DΦ = k ist DΦ′ außerdem vom Rang k − 1. Nach
Satz 2.5 ist damit ∂Ω als (k − 1)-dimensionale Mannigfaltigkeit nachgewiesen.
Die Menge A′ all dieser aus Karten Φ ∈ A, deren Kartenbereich ∂Ω schneidet,
gewonnenen Karten Φ′ bildet einen Atlas für ∂Ω.
Es sei nun M orientiert. Der Fall k = 1 ist trivial, da nulldimensionale Mannigfaltigkeiten immer orientierbar sind. Ist nun k ≥ 2, so dürfen wir nach Lemma 4.6
annehmen, dass A aus gleichorientierten Rand-adapierten Karten besteht. Wir
beschließen den Beweis, indem wir zeigen, dass dann alle Φ′ ∈ A′ gleichorientiert
sind:
Dazu seien Φ1 : V1 → U1 und Φ2 : V2 → U2 mit U1 ∩ U2 ∩ ∂Ω 6= ∅ aus A
und Φ′1 : V1′ → ∂Ω ∩ U1 bzw. Φ′2 : V2′ → ∂Ω ∩ U2 die entsprechenden induzierten
Karten aus A′. Der Kartenwechsel
−1
◦ Φ′1 : Φ−1
ϕ′ = Φ′−1
1 (∂Ω ∩ U1 ∩ U2 ) → Φ2 (∂Ω ∩ U1 ∩ U2 )
2
42
ist gegeben durch
′
′
′
ϕ′ (x′ ) = P ◦ Φ−1
2 ◦ Φ1 (0, x ) = (ϕ2 (0, x ), . . . , ϕk (0, x ))
für x′ ∈ Φ−1
1 (∂Ω ∩ U1 ∩ U2 ), wobei ϕ den Kartenwechsel
−1
−1
ϕ = Φ−1
2 ◦ Φ1 : Φ1 (U1 ∩ U2 ) → Φ2 (U1 ∩ U2 )
2 ,...,ϕk )
(0, x′ ) die rechte untere (k − 1) ×
bezeichnet. Insbesondere ist Dϕ′ (x′ ) = ∂(ϕ
∂(x2 ,...,xk )
(k − 1)-Untermatrix von Dϕ(0, x′ ).
Da Φ1 und Φ2 Rand-adaptiert sind, gilt außerdem ϕ1 (0, x2 , . . . , xk ) = 0 und
ϕ1 (x1 , . . . , xk ) ≤ 0 für x1 ≤ 0. Daraus folgt aber
(
= 0 für i ≥ 2,
∂i ϕ1 (0, x2 , . . . , xk )
≥ 0 für i = 1.
Zusammengefasst zeigt dies
∂ ϕ (0, x′ )
0
0 < det Dϕ(0, x ) = det 1 1
∗
Dϕ′ (x′ )
′
= ∂1 ϕ1 (0, x′ ) det Dϕ′ (x′ )
und daher tatsächlich det Dϕ′ (x′ ) > 0.
Die Konstruktion des Atlas für ∂Ω aus dem von M induziert nun eine bestimmte Orientierung:
Definition 4.8 Es sei M eine k-dimensionale Mannigfaltigkeit im Rn , k ≥ 2,
und Ω eine glatt berandete Teilmenge. Ist Do (A) eine Orientierung auf M, wobei
A o.B.d.A. Rand-adaptiert sei (vgl. Lemma 4.6), so definiert der im Beweis von
Satz 4.7 konstruierte Atlas die durch Do (A) induzierte Orientierung auf ∂Ω.
Bemerkung: Für k = 1 muss die zweite Behauptung in Lemma 4.6 nicht gelten.
(Warum?) Die induzierte Orientierung lässt sich aber immer noch erklären: Ist
M durch A orientiert, so kann man A so wählen, dass für alle p ∈ ∂Ω eine Karte
Φ : V → U mit p ∈ U, Φ(0) = p und
Φ(V ∩ {x1 ≤ 0}) = Ω ∩ U
oder
Φ(V ∩ {x1 ≥ 0}) = Ω ∩ U
gilt. Im ersten Fall wählen wir +1 und im zweiten Fall −1 als Orientierung bei
p ∈ ∂Ω.
Beispiel: Ist M ⊂ R3 eine zweidimensionale Mannigfaltigkeit, Ω ⊂ M eine
Teilmenge mit glattem Rand und A ein orientierter Atlas aus Rand-adaptierten
Karten, so wird ∂Ω durch die Kurven s 7→ Φ(0, s) für Φ : V → U aus A mit
∂Ω ∩ U 6= ∅ parametrisiert und orientiert. In einem Punkt p ∈ ∂Ω sind die
Tangentialräume Tp M und Tp ∂Ω entsprechend durch
(∂1 Φ(a), ∂2 Φ(a))
bzw.
43
t(p) := ∂2 Φ(a),
Abbildung 4.3: Berandetes Flächenstückchen.
a = Φ−1 (p), orientiert. Dabei gibt t(p) den Durchlaufsinn der Randkurve an,
während ∂1 Φ(a) von Ω weg zeigt.
Die Kurve wird also so durchlaufen, dass Ω immer zur Linken liegt. Mit der
Φ×∂2 Φ
gilt die “Rechte-Hand-Regel” (vgl. Abb. 4.3):
Normalen ν(p) = |∂∂11 Φ×∂
2 Φ|
ν × t zeigt in Richtung Ω.
Zum Schluss dieses Kapitels bemerken wir noch, dass es für glatt berandete
Teilmengen im Rn eine spezielle eindeutige Wahl eines Einheitsnormalenfeldes
gibt: das äußere Einheitsnormalenfeld:
Satz 4.9 Es sei Ω ⊂ Rn eine Teilmenge mit glattem Rand. Dann existiert auf
∂Ω genau ein Einheitsnormalenfeld ν, so dass für jedes p ∈ ∂Ω ein ε > 0 existiert
mit
p + sν(p) ∈
/ Ω ∀s ∈ (0, ε).
ν ist stetig.
Beweis. Es sei A ein Rand-adaptierter Atlas von Rn . Ist Φ : V → U eine Karte
aus A mit p ∈ ∂Ω ∩ U und Inverser Ψ = (Ψ1 , . . . , Ψn ) = Φ−1 , so wird nach
Korollar 2.11 der eindimensionale Normalenraum Np ∂Ω von ∇Ψ1 aufgespannt,
denn es ist ja ∂Ω ∩ U = {x ∈ U : Ψ1 (x) = 0}.
∇Ψ1 (p)
Setzen wir ν(p) := |∇Ψ
, so ist jedes Einheitsnormalfeld +ν(p) oder −ν(p)
1 (p)|
bei p. Des Weiteren gilt
Ψ1 (p + sν(p)) = Ψ1 (p) + s∇Ψ1 (p)ν(p) + o(s) = 0 + |∇Ψ1 (p)|s + o(s) > 0
für hinreichend kleine s > 0 und somit Ψ(p + sν(p)) ∈ V ∩ {x1 > 0}, also
p + sν(p) ∈
/ Ω. Analog ergibt sich, dass p − sν(p) für hinreichend kleine s in Ω
liegt. Damit ist das gesuchte äußere Einheitsnormalenfeld eindeutig durch ν(p)
gegeben und insbesondere ist dieser Wert von der Wahl der Karte Φ unabhängig.
ν ist zudem offensichtlich stetig.
n
Beispiel: Der glatte Rand einer Teilmenge in R ist nach den Sätzen 4.9 und
4.3 orientierbar. Das äußere Einheitsnormalenfeld legt dabei in eindeutiger Weise
44
eine Orientierung fest. Insbesondere folgt daraus wieder, dass die n-dimensionale
Sphäre S n−1 = ∂B 1 (0) orientierbar ist.
Bemerkung: Betrachtet man nun spezieller C α -Mannigfaltigkeit, α ≥ 1, so
ändert sich in diesem Kapitel nichts, außer dass die betrachteten Einheitsnormalenfelder nun nicht nur stetig, sondern sogar C α−1 sind. Darüberhinaus sieht man
leicht, dass der glatte Rand einer Teilmenge selbst wieder eine C α -Mannigfaltigkeit
ist.
45
Kapitel 5
Die klassischen Integralsätze
Die klassischen Integralsätze der Vektoranalysis involvieren nicht nur skalare Integranden sondern vielmehr Vektorfelder, die über orientierte Kurven und Hyperflächen in einer Weise zu integrieren sind, die die zugrunde liegende Orientierung
berücksichtigt. Wir beschäftigen uns daher zunächst etwas allgemeiner mit Vektorfeldern, bevor wir zu den zentralen Sätzen von Gauß und Stokes kommen.
5.1
Vektorfelder
Eine Abbildung f : U → Rn , wobei U eine offene Teilmenge von Rn ist, nennt
man ein Vektorfeld. Solche Abbildungen kommen vor allem in der Physik häufig
vor, z.B. als Kraftfeld (etwa der Gravitation), elektrisches Feld, magnetisches Feld,
Geschwindigkeitsfeld der Strömung von Gasen und Flüssigkeiten. Dabei gibt f (x)
gerade den betrachteten physikalischen Wert im Raumpunkt x ∈ U an.
Kurvenintegrale
Es sei γ : I → Rn , I ein Intervall, eine (stückweise) stetig differenzierbare Kurve
und f : U → Rn ein stetiges Vektorfeld. Ganz allgemein definieren wir:
Definition 5.1 Das (orientierte) Kurvenintegral von f längs γ ist
Z
Z
f (x) · dx := f (γ(s)) · γ̇(s) ds.
γ
I
Es geht also darum, nur den zur Kurve tangentialen Anteil von f aufzuintegrieren.
Ist sogar γ̇ 6= 0 und γ : I → γ(I) ein Homöomorphismus, so ist γ(I) eine
Mannigfaltigkeit. γ induziert eine Orientierung auf γ(I), die Tp γ(I) durch den
46
γ̇(s)
, s = γ −1 (p), orientiert. Es gilt dann
Tangenteneinheitsvektor t(p) := |γ̇(s)|
Z
Z
f (x) · dx = f (γ(s)) · γ̇(s) ds
γ
ZI
Z
= f (γ(s)) · t(γ(s)) |γ̇(s)| ds =
f (x) · t(x) dS(x).
I
γ(I)
Insbesondere ersieht man hieraus, dass das Kurvenintegral unabhängig von der
Parametrisierung ist und bei Orientierungsumkehr das Vorzeichen wechselt, was
für allgemeine Kurven, deren Spur nicht notwendig eine Mannigfaltigkeit ist, auch
noch richtig bleibt, genauer:
Lemma 5.2 Es sei γ : [a, b] → U, U ⊂ Rn offen, eine stückweise stetig differenzierbare Kurve und f ∈ C(U; Rn ) ein stetiges Vektorfeld. Ist nun ϕ : [a′ , b′ ] →
[a, b] stetig differenzierbar mit ϕ(a′ ) = a und ϕ(b′ ) = b, so gilt
Z
Z
f (x) · dx = f (x) · dx.
γ
γ◦ϕ
′
′
Ist dagegen ϕ : [a , b ] → [a, b] stetig differenzierbar mit ϕ(a′ ) = b und ϕ(b′ ) = a,
so gilt
Z
Z
f (x) · dx = − f (x) · dx.
γ◦ϕ
γ
Beweis. Übung!
Motivation: Als motivierendes Beispiel für diese Begriffsbildung nehmen wir an,
dass γ die Bahn eines physikalischen Teilchens in einem Kraftfeld f sei. Gemäß
dem physikalischen Gesetz
Arbeit = Kraft × Weg,
wobei hier
R nur der in Richtung des Wegs zeigende Anteil der Kraft zu nehmen
ist, gibt γ(I) f (x) · t(x) dS(x) nun tatsächlich die verrichtete Arbeit des Teilchens
an.
Integrale über Hyperflächen
Ist nun M eine durch das Einheitsnormalenfeld ν orientierte Hyperfläche, so
definieren wir:
Definition 5.3 Das (orientierte) Oberflächenintegral von f über M ist
Z
Z
~ :=
f (x) · dS
f (x) · ν(x) dS(x).
M
M
Motivation: Eine physikalische Motivation für diese Definition ergibt sich, wenn
fR etwa das Geschwindigkeitsfeld einer Strömung ist. Das Oberflächenintegral
f (x) · ν(x) dS(x) gibt dann die Menge an Substanz an, die pro Zeiteinheit
M
die Fläche M durchfließt.
47
Die klassischen Differentialoperatoren
Es sei U ⊂ Rn offen. Bekanntlich bezeichnet ∇f = (∂1 f, . . . , ∂n f ) den Vektor der
partiellen Ableitungen von f : U → R, wenn f differenzierbar ist. Für Vektorfelder sind die beiden folgenden Operationen besonders wichtig:
Definition 5.4 Ist f : U → Rn ein differenzierbares Vektorfeld, so bezeichnen
wir mit
(i) div f : U → R,
div f =
n
X
∂i fi
i=1
(= Spur Df = “ ∇ · f ”),
die Divergenz von f und,
(ii) falls außerdem n = 3 ist, mit rot f : U → R3 ,


∂2 f3 − ∂3 f2
rot f = ∂3 f1 − ∂1 f3  (= “ ∇ × f ”),
∂1 f2 − ∂2 f1
die Rotation von f . (Im Englischen: curl f.)
∇, div und rot kann man dann als Abbildungen auf Funktionenräumen (“Operatoren”) interpretieren:
∇ : C α (U) → C α−1 (U; Rn ),
div : C α (U; Rn ) → C α−1 (U),
rot : C α (U; R3 ) → C α−1 (U; R3 )
für α ≥ 1.
Übung: Zeigen Sie rot ◦∇ = 0 und div ◦ rot = 0, genauer: Für U ⊂ R3 offen und
f ∈ C 2 (U), g ∈ C 2 (U; R3 ) gilt
rot ∇f = 0,
5.2
div rot g = 0.
Integrabilität
Eine wichtige Beispielklasse von Vektorfeldern sind die sogenannten konservativen
Vektorfelder:
48
Definition 5.5 Ein stetiges Vektorfeld f : U → Rn heißt konservativ, wenn für
jede stückweise stetig differenzierbare Kurve γ : [0, 1] → U mit γ(0) = γ(1) gilt
Z
f (x) · dx = 0.
γ
Beispiel: Viele Kraftfelder in der Mechanik sind konservativ: Wenn ein Teilchen
wieder am Ausgangspunkt angekommen ist, ist dann die gesamte geleistete Arbeit
gleich Null.
Außer im Eindimensionalen hat nicht jedes Vektorfeld eine Stammfunktion.
Ist z.B. f (x) = (−x2 , x1 ), so kann es kein F mit ∇F = f geben, da nach dem
Satz von Schwarz sonst
−1 = ∂2 f1 = ∂2 ∂1 F = ∂1 ∂2 F = ∂1 f2 = 1
wäre. Physikalisch motiviert, nennt man ein F mit −∇F = f auch ein Potential für f . Aus dem Satz von Schwarz ergibt sich also allgemein die notwendige
Integrabilitätsbedingung
∀ i, j ∈ {1, . . . , n}
∂i fj = ∂j fi
(5.1)
dafür, dass f ∈ C 1 (U; Rn ) ein Potential besitzt.
Bemerkung: Ist n = 3, so bedeutet (5.1) gerade rot f = 0.
Der folgende Satz besagt insbesondere, dass konservative Vektorfelder gerade
solche mit Stammfunktionen sind:
Satz 5.6 Es sei U ⊂ Rn offen und f ∈ C(U; Rn ) ein Vektorfeld. Dann sind
äquivalent:
(i) f ist konservativ.
(ii) Es existiert ein F ∈ C 1 (U) mit ∇F = f .
(iii) Für
alle stückweise stetig differenzieraren Kurven γ : [a, b] → U hängt
R
f
(x)
· dx nur von den Endpunkten γ(a) und γ(b) ab.
γ
Beweis. (i) ⇒ (iii): Sind γ : [a, b] → U und γ ′ : [a′ , b′ ] → U stückweise stetig
differenzierbare Kurven mit γ(a) = γ ′ (a′ ) und γ(b) = γ ′ (b′ ), so ist auch γ̃ :
[0, 1] → U mit
(
γ(a + 2(b − a)t)
für 0 ≤ t ≤ 21 ,
γ̃(t) =
γ ′ (b′ + 2(a′ − b′ )(t − 21 )) für 21 ≤ t ≤ 1
stückweise stetig differenzierbar, und es gilt γ̃(0) = γ(a) = γ ′ (a) = γ̃(1) = 0, also
Z
Z
Z
0 = f (x) · dx = f (x) · dx −
f (x) · dx
γ̃
γ′
γ
49
nach Lemma 5.2.
(iii) ⇒ (ii): Es sei V eine Zusammenhangskomponente1 von U. Nach Lemma
5.7 (s.u.) gibt es für alle x, y ∈ V einen stückweise stetig differenzierbaren Weg
γx,y : [0, 1] → V mit γx,y (0) = x und γx,y (1) = y. Wir fixieren x0 ∈ V und setzen
Z
f (y) · dy
∀ x ∈ V.
F (x) :=
γx0 ,x
Da Kurvenintegrale über f nur von den Endpunkten der Kurve abhängen, folgt
für hinreichend kleine |h|
!
Z
F (x + h) − F (x) − f (x) · h
= |h|−1
f (y) · dy − f (x) · h
|h|
γx,x+h
Z 1
−1
f (x + th) · h dt − f (x) · h
= |h|
0
Z 1
−1
f (x + th) − f (x) · h dt,
= |h|
0
was für |h| → 0 gegen 0 konvergiert, und somit ∇F (x) = f (x).
(ii) ⇒ (i): Es sei γ : [0, 1] → U eine stückweise stetig differenzierbare Kurve
mit γ(0) = γ(1) und f = ∇F . Dann ist
Z
Z 1
f (x) · dx =
∇F (γ(t)) · γ̇(t) dt
0
γ
Z
1
d
(F (γ(t)) dt
0 dt
= F (γ(1)) − F (γ(0))
= 0.
=
Es bleibt noch zu zeigen:
Lemma 5.7 Es sei V ⊂ Rn eine offene zusammenhängende Menge. Dann gibt
es für alle x, y ∈ V einen stückweise stetig differenzierbaren Weg γ : [0, 1] → V
mit γ(0) = x und γ(1) = y.
Erinnerung: Eine Menge V ⊂ Rn heißt zusammenhängend, wenn sie nicht als disjunkte
˙ 2 von nicht leeren Mengen V1 , V2 geschrieben werden kann, die offen
Vereinigung V = V1 ∪V
in V sind, d.h. für die Vi = V ∩ Ui mit offenen Mengen Ui gilt, i = 1, 2. Man nennt V
wegzusammenhängend, wenn es für alle x, y ∈ V einen stetigen Weg γ : [0, 1] → V mit γ(0) = x
und γ(1) = y gibt. Ist V offen, so fallen diese Begriffe zusammen.
Ṡ
Jede Menge V ⊂ Rn zerfällt in disjunkte (Weg-)Zusammenhangskomponenten: V = j∈J Vj ,
wobei die Vj die maximalen (weg-)zusammenhängenden Teilmengen von V sind. Ist V offen,
so auch jedes Vj .
1
50
Beweis. Es sei γ̃ : [0, 1] → V ein stetiger Weg mit γ̃(0) = x und γ̃(1) = y.
Da γ̃([0, 1]) kompakt und Rn \ V abgeschlossen ist, gibt es ein ε > 0, so dass
|γ̃(t) − y| ≥ ε für alle t ∈ [0, 1] und y ∈
/ V ist. Wir definieren nun γ als den durch
lineare Interpolation der Punkte γ̃(0), γ̃( m1 ), . . . , γ̃(1) entstehenden Polygonzug:
k
k+1
k
k+1
γ(t) = (1 + k − mt)γ̃
+ (mt − k)γ̃
für
≤t≤
.
m
m
m
m
Aus der gleichmäßigen Stetigkeit von γ̃ folgt, dass |γ(t)−γ̃(t)| < ε für alle t ∈ [0, 1]
gilt, wenn nur m genügend groß gewählt ist. Das aber zeigt, dass tatsächlich γ
ganz in V verläuft.
Für besonders gutartige Gebiete, stellt sich nun heraus, dass die Integrabilitätsbedingung (5.1) sogar schon hinreichend für die Existenz eines Potentials
ist.
Definition 5.8 Wir nennen eine Teilmenge U ⊂ Rn sternförmig bezüglich x0 ∈
U, wenn mit x ∈ U auch die Verbindungsstrecke
[x0 , x] = {(1 − t)x0 + tx : t ∈ [0, 1]}
ganz in U liegt. U heißt schlicht sternförmig, wenn es sternförmig bezüglich eines
x0 ∈ U ist.
Satz 5.9 (Das Lemma von Poincaré) Es sei U ⊂ Rn offen und sternförmig
und f ∈ C 1 (U; Rn ) ein Vektorfeld. Dann sind äquivalent:
(i) Es gilt ∂i fj = ∂j fi für i, j = 1, . . . , n.
(ii) Es existiert ein F ∈ C 2 (U) mit ∇F = f .
Bemerkung: Es genügt anzunehmen, dass U einfach zusammenhängend ist, was
wir hier aber nicht vertiefen wollen.
Beweis. (ii) ⇒ (i): Das ist der Satz von Schwarz.
(i) ⇒ (ii): Es sei U sternförmig bezüglich x0 . Setze
Z
Z 1
F (x) =
f (y) · dy =
f ((1 − t)x0 + tx) · (x − x0 ) dt.
[x0 ,x]
0
Dann gilt F ∈ C 1 (U) und
Z 1 X
n
∂i F (x) =
∂i
fk ((1 − t)x0 + tx)(xk − x0k ) dt
0
=
Z
0
n
1X
k=1
k=1
(∂i fk )((1 − t)x0 + tx)t (xk − x0k ) + fk ((1 − t)x0 + tx) ∂i (xk − x0k ) dt.
51
Mit Hilfe der Integrabilitätsbedingung und ∂i xk = δik (“Kronecker-delta”) folgt
∂i F (x) =
Z
Z
1
0
n
X
k=1
1
(∂k fi )((1 − t)x0 + tx)t (xk − x0k ) + fk ((1 − t)x0 + tx) δik dt
d
fi ((1 − t)x0 + tx) + fi ((1 − t)x0 + tx) dt
dt
0
Z 1
d
=
tfi ((1 − t)x0 + tx) dt
0 dt
= fi (x).
=
t
Also ist ∇F = f und F ∈ C 2 (U).
Beispiel: Das Vektorfeld f (x1 , x2 ) =
−x2
, x1
x21 +x22 x21 +x22
genügt der Integrabilitäts-
bedingung (5.1) auf der (nicht sternförmigen(!) Menge) R2 \ {0}. Es besitzt aber
kein Potential.
Übung: Zeigen Sie dies!
Bemerkung: Es sei U ⊂ R3 offen und sternförmig.
1. Dann ist die wegen rot ◦∇ = 0 notwendige Integrabilitätsbedingung rot f =
0 für ein stetig differenzierbares Vektorfeld f auch hinreichend für die Existenz eine Potentials F mit −∇F = f .
2. Die Bedingung div f = 0 notwendig für die Existenz eines Vektorfeldes g
mit rot g = f ist, denn rot ◦ div = 0. In der Tat gibt es auch für jedes
stetig differenzierbare divergenzfreie Vektorfeld f auf U ⊂ R3 offen und
sternförmig ein Vektorpotential g mit rot g = f .
Übung: Zeigen Sie dies! Tipp: O.B.d.A. sei Usternförmig bezüglich 0. Setze dann
Z 1
g(x) =
tf (tx) × x dt.
0
5.3
Der Integralsatz von Gauß
Wir kommen nun zum zentralen Ergebnis dieser Vorlesung. Zuvor benötigen wir
allerdings noch eine technische Vorbereitung.
Glatte Zerlegungen der Eins
Wir konstruieren nun – ähnlich wie in Definition 3.10 – eine Zerlegung der Eins
für kompakte Mengen, die durch offene Mengen im Rn überdeckt werden, wobei
52
die auftretenden Funktionen auf ganz Rn definiert und überall glatt sind. Wie
zuvor ist dies unser wesentliches Hilfsmittel zur Lokalisierung.
Vorbereitend untersuchen wir die Funktion χ′′ : R → R,
(
0
für t ≤ 0,
χ′′ (t) =
− 1t
e
für t > 0.
Diese Funktion ist C ∞ -glatt.
Übung: Zeigen Sie dies. Tipp: Zeigen Sie zunächst, dass sich die k-ten Ablei1
tungen, k ∈ N, auf (−∞, 0) durch pk ( 1t )e− t für geeignete Polynome pk darstellen
lassen.
Insbesondere ist dann auch die Funktion χ′ : R → R,


für t ≤ 1,
= 1
χ′′ (4 − t)
′
χ (t) := ′′
∈ (0, 1) für 1 < t < 4,
χ (4 − t) + χ′′ (t − 1) 

=0
für t ≥ 4,
C ∞ -glatt und somit χ : Rn → R, χ(x) := χ′ (|x|2 ) ebenfalls C ∞ -glatt und es gilt


für |x| ≤ 1,
= 1
χ(x) ∈ (0, 1) für 1 < |x| < 2,


=0
für |x| ≥ 2.
Satz 5.10 Es sei K ⊂ Rn kompakt und (Uj )j=1,...,N eine offene Überdeckung
S
von K: K ⊂ N
j=1 Uj . Dann gibt es eine der Überdeckung (Uj ) untergeordnete Zerlegung der Eins (αj ) auf einer Umgebung von K mit αj ∈ C ∞ (Rn ) und
supp αj ⊂ Uj .
Beweis. Zu jedem x ∈ K wählen wir j(x) mit x ∈ Uj(x) und eine Kugel Bε(x) (x)
um x mit Radius ε(x) > 0, so dass B3ε(x) (x) ganz in Uj(x) enthalten ist. Da K
kompakt ist, gibt es endlich viele x1 , . . . , xN ∈ K mit
K⊂
N
[
Bε(xi ) (xi ).
i=1
i
), i = 1, . . . , N, und damit
Wir definieren wir nun βi (x) := χ( x−x
ε(xi )
βi (x)
Q
.
k βk (x) +
k (1 − βk (x))
P
Der
Q Nenner verschwindet nirgends,′ denn∞ knβk (x) = 0 =⇒ βk (x) = 0 ∀ k =⇒
k (1 − βk (x)) = 1, und es ist αi ∈ C (R ). Für alle i gilt außerdem wegen
αi′ (x) = P
53
Q
P ′
βi = 1 und somit k (1 − βk ) = 0 auf Bε(xi ) (xi ) tatsächlich
i αi = 1 auf
SN
′
i=1 Bε(xi ) (xi ) ⊃ K. Nun ist supp αi = B2ε(xi ) (xi ) ⊂ Uj(xi ) und wir erhalten die
gesuchte Zerlegung der Eins indem wir
X
αj :=
αi′
i:j(xi )=j
setzen.
Der Gaußsche Satz
Satz 5.11 (Der Gaußsche Integralsatz) Es sei U ⊂ Rn eine offene Menge
und Ω ⊂ U eine kompakte Teilmenge mit glattem Rand und äußerem Einheitsnormalenfeld ν. Ist f ∈ C 1 (U; Rn ) ein stetig differenzierbares Vektorfeld, so gilt
Z
Z
div f (x) dx =
f (x) · ν(x) dS(x).
Ω
∂Ω
Mit der in Definition 5.3 eingeführten Bezeichnung gilt also
Z
Z
~
div f (x) dx =
f (x) · dS(x).
Ω
∂Ω
Bemerkung: Die Annahme, dass Ω glatten Rand hat, kann abgeschwächt werden. Insbesondere darf ∂Ω “Ecken” und “Kanten” haben.
Der Beweis des Gaußschen Satzes wird in mehreren Schritten geführt, wobei
wir der folgenden Strategie folgen:
• Zunächst betrachten wir das Innere von Ω und behandeln den Fall, dass f
kompakten Träger in Ω◦ hat, s. Lemma 5.12.
• In dem zentralen Lemma 5.13 beweisen wir einen Spezialfall für Ränder,
die als Funktionsgraphen gegeben sind.
• Lemma 5.14 zeigt dann, dass wir für hinreichend kleine Umgebungen von
Randpunkten tatsächlich annehmen dürfen, dass sie von der eben behandelten Art sind.
• Mittels einer glatten Teilung der Eins werden diese Ergebnisse schließlich
zusammengefügt.
Lemma 5.12 Ist V ⊂ Rn offen und hat f ∈ C 1 (V ) kompkten Träger in V , so
ist
Z
∂j f (x) dx = 0
∀ j = 1, . . . , n.
V
54
Beweis. Setzt man f durch 0 auf ganz Rn fort, ergibt sich aus dem Satz von
Fubini 3.3
Z
Z
∂j f (x) dx =
∂j f (x) dx
n
V
ZR Z
=
∂j f (x) dxj dx1 . . . dxj−1 dxj+1 . . . dxn = 0.
Rn−1 R
{z
}
|
=0
Lemma 5.13 Es sei U = U ′ ×(a, b) ⊂ Rn eine offene Menge und h ∈ C 1 (U ′ ; (a, b)).
Setze
Ω− := {x = (x′ , xn ) ∈ U : xn ≤ h(x′ )},
Ω+ := {x = (x′ , xn ) ∈ U : xn ≥ h(x′ )},
M := {x = (x′ , xn ) ∈ U : xn = h(x′ )}
(vgl. Abb. 5.1). Dann gilt für f ∈ C 1 (U) mit kompaktem Träger in U
Z
Z
∂j f (x) dx = ∓
f (x)νj (x) dS(x), j = 1, . . . , n,
Ω±
wobei ν durch
gegeben sei.
M
(−∇h(x′ ), 1)
ν(x) = ν(x′ , xn ) = p
1 + |∇h(x′ )|2
Abbildung 5.1: Ωpm , M und supp f .
55
Beweis. In Abschnitt 3.3 haben wir gesehen, dass M eine Mannigfaltigkeit mit
Karte Φ : U ′ → Rn , Φ(x′ ) = (x, h(x′ )) und zugehöriger Gramscher Determinante
1 + |∇h|2 ist. Wir betrachten zunächst Ω− .
Fall 1: j ∈ {1, . . . , n − 1}. Definiere F : U → R durch
Z xn
′
f (x′ , t) dt,
F (x) = F (x , xn ) =
a
so dass
∂i F (x) =
(R x
n
∂i f (x′ , t) dt
f (x′ , xn ) = f (x)
a
für i = 1, . . . , n − 1,
für i = n
(5.2)
ist, und setze G(x′ ) = F (x′ , h(x′ )). G hat kompakten Träger in U ′ hat, so dass
man
Z
∂j G(x′ ) dx′ = 0
U′
erhält, s. Lemma 5.12. Mit der Kettenregel für G = F ◦ P mit P (x′ ) = (x′ , h(x′ ))
sieht man
Z
Z
′
′
0=
∂j G(x ) dx =
(∂j F )(x′ , h(x′ )) + (∂n F )(x′ , h(x′ )) ∂j h(x′ ) dx′.
U′
U′
Zusammen mit (5.2) ergibt sich also nach Fubini
Z
∂j f (x) dx =
Z Z
U′
Ω−
h(x′ )
∂j f (x′ , t) dt dx′
a
Z
(∂j F )(x′ , h(x′ )) dx′
′
UZ
=−
(∂n F )(x′ , h(x′ )) ∂j h(x′ ) dx′
′
ZU
=−
f (x′ , h(x′ )) ∂j h(x′ ) dx′
′
Z U
p
=
f (x′ , h(x′ ))νj (x′ , h(x′ )) 1 + |∇h(x′ )|2 dx′
′
ZU
=
f (x)νj (x) dS(x),
=
M
vgl. Proposition 3.13.
Fall 2: j = n. Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung zeigt
Z h(x′ )
∂n f (x′ , t) dt = f (x′ , h(x′ ))
a
56
für jedes x′ ∈ U ′ , da f (x′ , ·) kompakten Träger in (a, b) hat. Damit ist nach dem
Satz von Fubini 3.3 aber
Z Z h(x′ )
Z
∂n f (x) dx =
∂n f (x′ , t) dt dx′
′
Ω−
ZU a
p
=
f (x′ , h(x′ ))νn (x) 1 + |∇h(x′ )|2 dx′
′
ZU
=
f (x)νn (x) dS(x),
M
vgl. Proposition 3.13.
Für Ω+ ergibt sich nun aus Lemma 5.12 und dem eben Bewiesenen
Z
Z
Z
Z
∂j f (x) dx = −
f (x)νj (x) dS(x)
∂j f (x) dx =
∂j f (x) dx −
Ω
Ω+
Ω−
M
für alle j ∈ {1, . . . , n}.
Das ist der wesentliche Schritt im Beweis von Satz 5.11. ν ist die Normale an
M, die in Richtung Ω+ , also von Ω− aus gesehen nach außen zeigt. Das sieht man
daraus, dass ν senkrecht auf allen ∂j Φ(x′ ) = (0, . . . , 0, 1, 0, . . . , 0, ∂j h(x′ )) steht
(die 1 im j-ten Eintrag) und dass νn > 0 ist.
Lemma 5.14 Es sei U ⊂ Rn eine offene Menge und Ω ⊂ U eine kompakte Teilmenge mit glattem Rand. Zu jedem p ∈ ∂Ω gibt es – ggf. nach Umnummerierung
der Koordinaten – eine offene Menge U ′ ⊂ Rn−1 , ein offenes Intervall I ⊂ R und
ein ψ ∈ C 1 (U ′ ; I), so dass
U = U′ × I
und
∂Ω ∩ U = {(x′ , ψ(x′ )) : x′ ∈ U ′ }
ist. Dabei ist
Ω ∩ U = {x ∈ U : xn ≤ ψ(x)}
oder
Ω ∩ U = {x ∈ U : xn ≥ ψ(x)}.
Beweis. Es sei p ∈ ∂Ω. Indem wir ∂Ω lokal als Nullstellenmenge von Ψ1 , wobei
Ψ = (Ψ1 , . . . , Ψn ) = Φ−1 die Inverse einer Rand-adaptierten Karte ist, schreiben,
erhalten wir wie im ersten Beweisteil von Satz 2.2 nach eventueller Umnummerierung der Koordinaten offene Mengen U ′ ⊂ Rn−1 und I ⊂ R mit p ∈ U := U ′ × I,
∂n Ψ1 < 0 auf U oder ∂n Ψ1 > 0 sowie eine stetig differenzierbare Abbildung
ψ : U ′ → I, so dass
∂Ω ∩ (U ′ × I) = {(x′ , ψ(x′ )) : x′ ∈ U ′ }
gilt, mit Hilfe des Satzes über implizite Funktionen. Indem wir U ′ hinreichend
klein wählen, können wir dabei o.B.d.A. annehmen, dass I ein Intervall ist. Je
nachdem ob ∂n Ψ1 positiv oder negativ auf ∂Ω ∩ U ist, gilt
57
(
{x ∈ U : xn ≤ ψ(x′ )} oder
Ω ∩ U = {x ∈ U : Ψ1 (x) ≤ 0} =
{x ∈ U : xn ≥ ψ(x′ )}.
Beweis von Satz 5.11. Da ∂Ω kompakt ist, gibt es nach Lemma 5.14 endlich viele
Mengen (Uj )j=1,...,N , die ∂Ω überdecken, so dass für jedes Uj nach einer Umnummerierung der Koordinaten (von j abhängige) offene Mengen U ′ ⊂ Rn−1 und
I = (a, b) ⊂ R sowie stetig differenzierbare Abbildungen ψ : U ′ → I existieren
mit Uj = U ′ × I und
∂Ω ∩ (U ′ × I) = {(x′ , ψ(x′ )) : x′ ∈ U ′ },
(
{x ∈ U : xn ≤ ψ(x)} oder
Ω ∩ (U ′ × I) =
{x ∈ U : xn ≥ ψ(x)}.
Ist ν die äußere Normale an ∂Ω, so ist dann
(−∇ψ(x′ ), 1)
ν(x) = p
1 + |∇ψ(x′ )|2
bzw.
(∇ψ(x′ ), −1)
ν(x) = p
1 + |∇ψ(x′ )|2
auf Uj . Es sei nun (αj )j=0,...,N eine (Ω◦ , U1 , . . . , UN ) untergeordnete glatte Teilung
der Eins auf Ω gemäß Satz 5.10. Nach Lemmas 5.12 und 5.13 gilt dann
Z
div f (x) dx =
Z
div (α0 f ) (x) dx +
Ω◦
Ω
=
j=1
N Z
X
j=1
=
N Z
X
j=1
=
Z
∂Ω
N Z
X
n
X
div (αj f ) (x) dx
Ω∩Uj
∂k (αj fk )(x) dx
Ω∩Uj k=1
n
X
(αj fk )(x)νk (x) dS(x)
∂Ω∩Uj k=1
f (x) · ν(x) dS(x).
5.4
Anwendungen des Gaußschen Satzes
Der Satz von Gauß hat unzählige Anwendungen. Wir gehen hier zunächst kurz
auf eine Anwendung in der Modellierung ein, bevor wir zu wichtigen Umformulierungen kommen, die selbst in vielen Anwendungen wichtig sind.
58
Modellierung
Der Gaußche Integralsatz spielt eine wichtige Rolle bei der Formulierung von
physikalischen Gesetzen durch partielle Differentialgleichungen. Es sei u(x, t) die
Konzentration eines Stoffes im Raumpunkt x ∈ U. Wir betrachten ein kompaktes
glatt berandetes
“Testvolumen” V ⊂ U. Die zeitliche Veränderung der KonzenR
tration V u(x, t) dx des Stoffes in V ist dann gegeben durch
Z
Z
d
u(x, t) dx =
∂t u(x, t) dx
dt V
V
(hinreichende Glattheit von u vorausgesetzt). Bezeichnet F (x, t) die (glatte) Flussdichte (Konzentration × Geschwindigkeit), so lässt sich dies auch durch
Z
Z
Z
d
u(x, t) dx = −
F (x, t) · ν(x) dS(x) = −
divx F (x, t) dx
dt V
∂V
V
ausdrücken2 , wobei wir den Satz von Gauß benutzt haben. Insbesondere ist für
jede Kugel Bε (x0 ) ⊂ Rn
Z
∂t u(x, t) + divx F (x, t) dx = 0
Bε (x0 )
und damit die durch den Fluss F bewirkte Konzentrationsänderung
∂t u = − divx F,
weshalb man div F auch die Quellstärke des Feldes F nennt.
Wir nehmen nun an, dass die Flußdichte proportional zum Konzentrationsgradienten sei: F = −a∇u.
ist div F = −a div ∇u = −a∆x u, wobei ∆x den
PDann
n
2
2
Laplace-Operator ∆x = i=1 ∂i bezeichnet. Es gilt dann
∂t u = a∆x u
in U. Das ist die sogenannte Diffusions- oder Wärmeleitungsgleichung.
Dass F wirklich proportional zum Gradienten von u ist, ist eine konstitutive
Annahme an das untersuchte Modell. Je nach physikalischer Bedeutung von u
beschreibt die Gleichung F = −a∇u ein physikalisches Gesetz. Bezeichnet u etwa
eine chemische Konzentration, so ist F = −a∇u das Ficksche Diffusionsgesetz,
ist u die Wärme eines Mediums in U, das Fouriersche Gesetz der Wärmeleitung.
Gibt es zusätzliche Quellen oder Senken, die durch eine Dichte g beschrieben
werden,
sodass sich die Konzentration in Testgebieten V zusätzlich um den Term
R
g(x, t) ändert, erhält man auf diese Weise die inhomogene Gleichung
V
∂t u = a∆x u + g.
2
Das Subskript x ist nur nötig, wenn die betrachteten Funktionen von weiteren Variablen
(hier t) abhängen.
59
Im statischen Fall, der Systeme im Gleichgewicht beschreibt, so dass die Größe
u nicht von der Zeit abhängt, ergibt sich die Laplace-Gleichung
∆u = 0
oder, wenn Quellen und Senken existieren, die inhomogene Poisson-Gleichung
a∆u = g.
Partielle Integration und Greensche Formeln
Als Korollare des Gaußsschen Integralsatzes erhält man wichtige Rechenregeln
für mehrdimensionale Integrale. In den beiden folgenden Korollaren sei U ⊂ Rn
eine offene Menge und Ω ⊂ U eine kompakte Teilmenge mit glattem Rand und
äußerem Einheitsnormalenfeld ν.
Korollar 5.15 (Partielle Integration) Sind u, v ∈ C 1 (U), so gilt
Z
Z
Z
(∂j u) v dx =
u v νj dS −
u ∂j v dx
Ω
Ω
∂Ω
für j ∈ {1, . . . , n}.
Beweis. Wende den Gaußschen Satz auf das Vektorfeld f (x) = u(x)v(x)ej an. Wählt man v ≡ 1, so ergibt sich hieraus die äquivalente Formulierung des
Gaußschen Satzes
Z
Z
∂j u dx =
u νj dS
Ω
∂Ω
1
für u ∈ C (U), j ∈ {1, . . . , n}.
Ist nun x ∈ ∂Ω, u ∈ C 1 (U), so bezeichnen wir die Richtungsableitung in
Richtung ν(x) bei x mit ∂ν u(x) = Du(x)ν(x).
Korollar 5.16 (Greensche Formeln) Sind u, v ∈ C 2 (U), so gilt
(i)
(ii)
(iii)
Z
Z
Ω
Z
∆u dx =
Ω
∇u · ∇v dx =
Ω
Z
∂Ω
∂ν u dS.
∂Ω
u ∂ν v dS −
u ∆v − v∆u dx =
Beweis. Übung!
Z
Z
∂Ω
Z
u ∆v dx.
Ω
u ∂ν v − v ∂ν u dS.
60
5.5
Der Integralsatz von Stokes
Wir kommen nun zu einem weiteren berühmten Satz der klassischen Vektoranalysis: dem Satz von Stokes. Der klassische Satz von Stokes, auf den wir uns hier
beschränken, behandelt Integrale über die Rotation eines Vektorfelds in n = 3
Dimensionen. Er ist insbesondere für die physikalischen Anwendungen wichtig.
Der Stokessche Satz
Satz 5.17 (Der Stokessche Integralsatz) Es sei M ⊂ U, U ⊂ R3 offen, eine
durch das Normalenfeld ν orientierte zweidimensionale C 2 -Mannigfaltigkeit. Ω ⊂
M sei eine kompakte glatt berandete Teilmenge, deren Rand ∂Ω die induzierte
Orientierung trage. Die hierdurch induzierte Orientierung auf Tp ∂Ω, p ∈ ∂Ω, sei
durch die Tangenteneinheitsvektoren t(p) gegeben. Ist nun f ∈ C 1 (U; R3 ), so gilt
Z
Z
rot f (x) · ν(x) dS(x) =
f (x) · t(x) dS(x).
Ω
∂Ω
Wir erinnern daran, dass ν und t durch die Rechte-Hand-Regel “ν × t zeigt in
Richtung Ω” verknüpft sind. Mit der in Definition 5.1 eingeführten Bezeichnung
für die “Randkurve” ∂Ω schreibt man (etwas lax) auch
Z
Z
~
rot f (x) · dS(x) =
f (x) · dx.
Ω
∂Ω
Zum Beweis benötigen wir ein elementares Lemma aus der linearen Algebra:
Lemma 5.18 Für A = (aij ) ∈ R3×3 , x, y ∈ R3 gilt die algebraische Identität


a32 − a23
(Ax) · y − (Ay) · x = a13 − a31  · (x × y).
a21 − a12
Beweis. Für b, x ∈ R3 ist
b × x = Bx,


0 −b3 b2
0 −b1  .
wo B =  b3
−b2 b1
0


a32 − a23
Speziell für b = a13 − a31  ergibt sich
a21 − a12


0
a12 − a21 a13 − a31
0
a23 − a32  = A − AT
B = a21 − a12
a31 − a13 a32 − a23
0
61
und daher
(Ax) · y − (Ay) · x = (A − AT )x · y = (b × x) · y = (x × y) · b.
Beweis von Satz 5.17. Es sei A ein orientierter Atlas aus Rand-adaptierten Karten, s. Lemma 4.6. Wir nehmen zunächst an, dass der Träger von f ganz in einem
Kartengebiet U einer Rand-adaptierten Karte Φ : V → U aus A liegt. Nach Beispiel 3 auf Seite 40 und dem Beispiel von Seite 43 ist die Orientierung auf U
durch die Normale
ν(p) =
∂1 Φ × ∂2 Φ
(a),
|∂1 Φ × ∂2 Φ|
a = Φ−1 (p),
induziert, während die induzierte Orientierung auf ∂Ω ∩ U durch die eindimensionalen Karten s 7→ Φ(0, s) bzw. die entsprechenden Tangenteneinheitsvektoren
t(p) =
∂2 Φ(0, s)
,
|∂2 Φ(0, s)|
(0, s) = Φ−1 (p),
gegeben ist.
Definieren wir das zweidimensionale Vektorfeld u ∈ C 1 (V ; R2 ) durch
(f ◦ Φ) · ∂2 Φ
u=
,
−(f ◦ Φ) · ∂1 Φ
so ist nach Lemma 5.18
div u = ∂1 (f ◦ Φ) · ∂2 Φ − ∂2 (f ◦ Φ) · ∂1 Φ
= (Df ) ◦ Φ ∂1 Φ · ∂2 Φ + (f ◦ Φ) · ∂1 ∂2 Φ
− (Df ) ◦ Φ ∂2 Φ · ∂1 Φ − (f ◦ Φ) · ∂2 ∂1 Φ
= (Df ) ◦ Φ ∂1 Φ · ∂2 Φ − (Df ) ◦ Φ ∂2 Φ · ∂1 Φ.



∂2 f3 − ∂3 f2
= ∂3 f1 − ∂1 f3  ◦ Φ · (∂1 Φ × ∂2 Φ)
∂1 f2 − ∂2 f1
= (rot f ) ◦ Φ · (∂1 Φ × ∂2 Φ) .
Nun ist die Gramsche Determinante der Karte Φ gerade durch
g = |∂1 Φ × ∂2 Φ|2
gegeben.
Übung: Zeigen Sie dies!
62
Es gilt also
Z
Z
∂1 Φ × ∂2 Φ
rot f · ν dS =
(rot f ) ◦ Φ ·
|∂1 Φ × ∂2 Φ| dx
|∂1 Φ × ∂2 Φ|
Ω
V ∩{x1 ≤0}
Z
=
(rot f ) ◦ Φ · (∂1 Φ × ∂2 Φ) dx
V ∩{x1 ≤0}
Z
=
div u dx.
V ∩{x1 ≤0}
u hat kompakten Träger in V , so dass wir u durch 0 auf ganz R2 fortsetzen
können. Angewandt auf eine glatt berandete Teilmenge Ṽ ⊂ R2 mit V ∩ {x1 ≤
0} ⊂ Ṽ ⊂ {x1 ≤ 0} liefert der Gaußsche Satz dann
Z
Z
rot f · ν dS(x) =
u · e1 dS(x)
Ω
V ∩{x1 =0}
Z
=
f (Φ(0, s)) · ∂2 Φ(0, s) ds
{s:(0,s)∈V }
Z
=
f (Φ(0, s)) · t(Φ(0, s)) |∂2 Φ(0, s)| ds
{s:(0,s)∈V }
Z
f (x) · t(x) dS(x).
=
∂Ω
(Man kann Ṽ etwa als das “Stadium”
Ṽ = B R (−R, −R) ∪ B 1 (−R, R) ∪ ([−2R, 0] × [−R, R])
für hinreichend großes R wählen.)
Übung: Zeigen Sie, dass Ṽ tatsächlich eine kompakte glatt berandete Teilmenge
des R2 ist.
Im allgemeinen Fall gibt es,
S da Ω kompakt ist, endlich viele Karten (Φj :
Vj → Ui ) aus A, so dass Ω ⊂ j Uj ist. Ist (αj ) eine (Uj ) untergeordnete glatte
Teilung der Eins auf einer Umgebung von Ω gemäß Satz 5.10, so ergibt sich aus
dem schon behandelten Fall
Z
Z
XZ
XZ
αj f · t dS =
f · t dS.
rot(αj f ) · ν dS =
rot f · ν dS =
Ω
Ω
j
j
∂Ω
∂Ω
Ähnlich wie die Divergenz die Quellstärke eines Feldes angibt, quantifiziert
die Rotation die Wirbelstärke: Ist Ω ⊂ R3 eine Kreisscheibe vom Radius 1 mit
Normale ν und Mittelpunkt x0 ∈ U, so ist nach dem Satz von Stokes
Z
Z
~
rot f (x) · dS(x) =
f (x) · dx
rΩ
r∂Ω
63
für Vektorfelder f ∈ C 1 (U) und r > 0 klein. Die rechte Seite aber misst, wie
stark f um den Punkt x0 in der auf ν senkrechten Ebene “wirbelt”, indem sie f
über die x0 in dieser Ebene umlaufende Kurve r∂Ω aufintegriert. Teilt man durch
Vol2 (rΩ) = πr 2 und schickt r → 0, erhält man
Z
1
rot f (x0 ) · ν = lim 2
f (x) · dx.
r→0 πr
r∂Ω
Eine Anwendung
Mit Hilfe der Sätze von Gauß und Stokes lassen sich physikalische Gesetze in
“integraler Form” in eine “differentielle Form” bringen, die dann mit Methoden
der partielle Differentialgleichungen untersucht werden können. Wir behandeln
hier beispielhaft die Maxwellschen Gleichungen der Elektrodynamik.
Im R3 sei eine Ladungsverteilung durch die Dichte ρ gegeben. Diese Ladung
erzeugt ein elektrisches Feld E, so dass für jedes kompakte glatt berandete Gebiet
Ω ⊂ R3
Z
Z
−1
E(x, t) · ν(x) dS(x) = ǫ0
ρ(x, t) dx
Ω
∂Ω
ist. Hierbei ist ǫ0 die elektrische Feldkonstante. Ist B das Magnetfeld, so gilt
Z
B(x, t) · ν(x) dS(x) = 0.
∂Ω
(Die Ladung ist die Quelle des elektrischen Feldes, während das magnetische Feld
immer quellenfrei ist.) Mit Hilfe des Gaußschen Satzes folgt nun, da Ω beliebig
war:
div E(x, t) = ǫ−1
0 ρ(x, t),
div B(x, t) = 0,
wobei div hier nur auf die Raumkoordinaten x wirkt.
Es sei nun Ω ⊂ R3 ein glatt berandetes orientiertes Flächenstückchen (also
eine glatt berandete Teilmenge einer orientierten zweidimensionalen Mannigfaltigkeit M ⊂ R3 ). Das Faradaysche Induktionsgesetz besagt, dass die zeitliche
Änderung des magnetischen Flusses durch Ω ein elektrisches Feld auf dem Rand
∂Ω induziert, so dass
Z
Z
d
B(x, t) · ν(x) dS(x)
E(x, t) · τ (x) dS(x) = −
dt Ω
∂Ω
Z
= − ∂t B(x, t) · ν(x) dS(x)
Ω
ist, wobei der Tangenteneinheitsvektor τ (x) auf ∂Ω die durch die Normale ν(x)
auf Ω induzierte Orientierung angebe.
64
Umgekehrt induzieren nach dem Ampère-Maxwellschen Gesetz die zeitliche
Änderung des Flusses des elektrischen Feldes und ein durch eine Dichte j gegebener elektrischer Strom durch Ω ein magnetisches Feld gemäß
Z
Z
Z
d
B(x, t) · τ dS(x) = µ0 j(x, t) · ν(x) dS(x) + µ0 ǫ0
E(x, t) · ν(x) dS(x)
dt Ω
∂Ω
Ω
Z
= µ0
j(x, t) + ǫ0 ∂t E(x, t) · ν(x) dS(x),
Ω
wobei µ0 die magnetische Feldkonstante bezeichnet.
Mit dem Stokesschen Satz können wir nun auch diese beiden Gesetze umschreiben und erhalten, da Ω beliebig war,
rot E(x, t) = −∂t B(x, t),
rot B(x, t) = µ0 j(x, t) + ǫ0 ∂t E(x, t) ,
wobei rot hier nur auf die Raumkoordinaten x wirkt.
Zusammengefasst ergeben sich die vier Maxwellschen Gleichungen, die die
elektromagnetische Wechselwirkung vollständig beschreiben:
div E = ǫ−1
0 ρ,
div B = 0,
rot E = −∂t B,
rot B = µ0 j + ǫ0 ∂t E .
Im statischen Fall, wenn B = B(x) und E = E(x) nicht von t abhängen, folgt
insbesondere rot E = 0. Daher gibt es, da R3 sternförmig ist, ein Potential u mit
−∇u = E. Aus div E = ǫ−1
0 ρ erhält man, dass u der Poissongleichung
−∆u = ǫ−1
0 ρ
genügt. Für B existiert wegen div B = 0 ein Vektorpotential A mit rot A = B.
Dieses erfüllt die Gleiching
rot rot A = µ0 j,
die sich auch in der Form
−∆A + ∇ div A = µ0 j
schreiben lässt (s.u.).
Übung: Zeigen Sie rot ◦ rot = −∆ + ∇ div, genauer: Für f ∈ C 2 (U; R3 ), U ⊂ R3
offen, gilt
rot ◦ rot f = −∆f + ∇ div f.
65
Kapitel 6
Differentialformen
Im letzten Kapitel dieser Vorlesung gehen wir noch auf eine weitreichende Verallgemeinerung der klassischen Integralsätze ein: den allgemeinen Satz von Stokes
im Differentialformenkalkül.
Differentialformen der Ordnung k, k ∈ N0 , sind Abbildungen ω auf einer
Mannigfaltigkeit, so dass ω(p) eine alternierende k-Form auf dem Tangentialraum Tp M ist. Diese alternierenden k-Formen sind spezielle Multilinearformen
auf Tp M. Ist k = 0, so handelt es sich schlicht um Funktionen. Für k = 1 ist
ω(p) eine Linearform auf Tp M. Erinnern wir uns, dass Kurvenintegrale gerade
auf den tangentialen Anteil eines Vektorfeldes wirken, so stellen sich im Differentialformenkalkül die Differentialformen der Ordnung 1 gerade als die geeigneten
Integranden über eindimensionale Mannigfaltigkeiten heraus. Das ebenfalls im
vorigen Kapitel untersuchte orientierte Integral eines Vektorfeldes über eine Hyperfläche kann nun als ein Integral über eine Differentialform der Ordnung n − 1
interpretiert werden. Ganz allgemein werden wir Differentialformen der Ordnung
k über k-dimensionale Mannigfaltigkeiten integrieren. Die Multilinearität von
ω(p) stellt dabei sicher, dass wir das k-dimensionale Volumen kleiner ‘Maschen’
auf M (vgl. den Beginn von Abschnitt 3.2) richtig messen. Dass ω(p) außerdem
alterniert, gibt uns die Möglichkeit, zusätzlich die Orientierung solcher Maschen
zu berücksichtigen.
Wir machen uns das Leben hier etwas einfacher, indem wir immer annehmen,
dass ω auf einer Umgebung G von M definiert ist und die alternierenden k-Formen
ω(p) auf ganz Rn wirken.
6.1
Multilineare Algebra
Es sei V ein n-dimensionaler reeller Vektorraum.
Definition 6.1 Eine alternierende k-Form (kurz k-Form) auf V , k ∈ N, ist eine
Abbildung ω : V k → R, die
66
(i) in jedem Argument linear ist und
(ii) bei der Vertauschung zweier Einträge das Vorzeichen wechselt:
ω(v1 , . . . , vi , . . . , vj , . . . , vk ) = −ω(v1 , . . . , vj , . . . , vi , . . . , vk )
für i 6= j.
Der Vektorraum der k-Formen wird mit Altk V bezeichnet, wobei man noch Alt0 V =
R setzt.
Beispiele:
1. Die Determinantenabbildung (v1 , . . . , vk ) 7→ det(v1 , . . . , vk ) ist eine k-Form
auf Rk .
2. Ist k = 1, so ist die Bedingung (ii) leer. Es gilt also Alt1 V = V ∗ , wobei V ∗
den Dualraum von V bezeichnet.
Bemerkung: Ähnlich wie bei der Untersuchung der Eigenschaften der Determinante in der linearen Algebra sieht man, dass für eine Abbildung ω : V k → R,
die (i) genügt, (ii) äquivalent zu jeder der folgenden Bedingungen ist:
(iia) ω(v1 , . . . , vk ) verschwindet, wenn zwei der Einträge gleich sind.
(iib) ω(v1 , . . . , vk ) verschwindet, wenn die v1 , . . . , vk linear abhängig sind.
(iic) Ist π ∈ Sk , also eine Permutation auf {1, . . . , k}, so gilt
ω(v1 , . . . , vk ) = sign(π)ω(vπ(1) , . . . , vπ(k) ).
Neben den Vektorraumoperationen in Altk V gibt es nun eine wichtige zusätzliche Veknüpfung zweier beliebiger Formen:
Definition 6.2 Es seien ω ∈ Altk V und η ∈ Altl V . Dann ist das äußere Produkt
(oder Dachprodukt) ω ∧ η ∈ Altk+l V von ω und η durch
ω ∧ η(v1 , . . . , vk+l ) :=
1 X
sign(π)ω(vπ(1) , . . . , vπ(k) ) η(vπ(k+1) , . . . , vπ(k+l) )
k!l! π∈S
k+l
definiert.
Mit Hilfe von (iic) erkennt man leicht, dass durch diese Vorschrift tatsächlich eine
alternierende (k + l)-Form auf V definiert wird.
Das folgende Lemma fasst die wesentlichen Eigenschaften des Dachprodukts
zusammen.
67
Lemma 6.3 Das Dachprodukt ist
(i) bilinear,
(ii) assoziativ,
(iii) antikommutativ, d.h. ω ∧ η = (−1)kl η ∧ ω für ω ∈ Altk V und η ∈ Altl V
und es gilt
(iv) 1 ∧ ω = ω ∧ 1 = ω für 1 ∈ Alt0 = R und ω ∈ Altk V .
Beweis. (i) und (iv) sind elementar. Für (iii) beachte, dass die Permutation
(1, . . . , k + l) 7→ (k + 1, . . . , k + l, 1, . . . , k) Signum (−1)kl hat.
Es bleibt (ii) zu begründen.1 Dazu werden wir zeigen, dass für ω ∈ Altk V ,
η ∈ Altl V und ζ ∈ Altm V sowohl ω∧(η∧ζ) als auch (ω∧η)∧ζ auf (v1 , . . . , vk+l+m )
durch
X sign(π)
ω(vπ(1) , . . . , vπ(k) ) η(vπ(k+1) , . . . , vπ(k+l) ) ζ(vπ(k+l+1), . . . , vπ(k+l+m) )
k!l!m!
π∈S
k+l+m
(6.1)
gegeben ist.
Wir behandeln nur ω ∧ (η ∧ ζ)(v1 , . . . , vk+l+m), gegeben durch
X
sign(π)
ω(vπ(1) , . . . , vπ(k) ) (η ∧ ζ)(vπ(k+1) , . . . , vπ(k+l+m) ).
k!(l + m)!
π∈S
(6.2)
k+l+m
Dass (ω ∧ η) ∧ ζ(v1 , . . . , vk+l+m ) auch durch (6.1) gegeben ist, folgt analog.
Es sei a = (a1 , . . . , ak ) mit a1 , . . . , ak ∈ {1, . . . , k + l + m} paarweise verschieden. Die Permutationen π mit π(1) = a1 , . . . , π(k) = ak sind gegeben durch
(
τa (j),
j = 1, . . . , k,
π ′ ∈ Sl+m ,
π(j) =
′
τa (k + π (j − k)), j = k + 1, . . . , k + l + m,
wobei τa ∈ Sk+l+m eine beliebige Permutation mit τa (1) = a1 , . . . , τa (k) = ak ist.
Hierbei ist sign(π) = sign(τa ) sign(π ′ ). (Das stimmt, wenn π ′ die Identität, also
π = τa ist, und ergibt sich im allgemeinen Fall durch sukzessives Anwenden von
Tranpositionen.) Indem man (6.1) nun zuerst über solche π aufsummiert, erhält
man
X
X sign(τa )
1
ω(va1 , . . . , va1 )
sign(π ′ )η(vτa (k+π′ (1)) , . . . , vτa (k+π′ (l)) )·
k!
l!m!
′
a
π ∈Sl+m
=
X sign(τa )
a
1
k!
· ζ(vk+τa (π′ (l+1)) , . . . , vτa (k+π′ (l+m)) )
ω(va1 , . . . , va1 ) (η ∧ ζ)(vτa (k+1) , . . . , vτa (k+l+m) ).
Beim ersten Lesen kann man diesen Beweis getrost überspringen.
68
Summiert man (6.2) nun zuerst über solche π, ergibt sich tatsächlich auch
X sign(τa )
k!
a
=
ω(va1 , . . . , va1 )
π ∈Sl+m
X sign(τa )
a
k!
X
1
sign(π ′ )
(l + m)! ′
· (η ∧ ζ)(vτa (k+π′ (1)) , . . . , vτa (k+π′ (l+m)) )
ω(va1 , . . . , va1 )(η ∧ ζ)(vτa (k+1) , . . . , vτa (k+l+m) ),
denn weil η ∧ ζ alternierend ist, liefern alle Summanden in der inneren Summe
den gleichen Beitrag.
Bemerkung: Auf ähnliche Weise erhält man durch Induktion allgemein für N
Summanden: Sind ωi ∈ Altki V , i = 1, . . . N, so gilt
(ω1 ∧ . . . ∧ ωN )(v1 , . . . , vk1 +...+kN )
X
sign(π) Y
ωi (vπ(k1 +...+ki−1 +1) , . . . , vπ(k1 +...+ki ) ).
=
k
1 ! · . . . · kN ! i
π∈S
k1 +...+kN
Sind insbesondere ω1 , . . . , ωk ∈ V ∗ , v1 , . . . , vk ∈ V , so ist also
(ω1 ∧ . . . ∧ ωk )(v1 , . . . , vk ) = det (ωi (vj ))ij .
Mit Hilfe des Dachprodukts können wir aus einer Basis von V (bzw. ihrer
dualen Basis von V ∗ ) Basen aller Altk V konstruieren:
Satz 6.4 Es sei (δ1 , . . . , δn ) eine Basis von V ∗ . Dann ist (δi1 ∧ . . . ∧ δik : i1 <
. . . < ik ) eine Basis von Altk V . Ist (ei ) die zu (δi ) duale Basis von V , so gilt
X
ω=
ai1 ...ik δi1 ∧ . . . ∧ δik ,
ai1 ...ik = ω(ei1 , . . . , eik ).
1≤i1 <...<ik ≤n
Insbesondere ist dim Altk V =
n
k
und somit Altk V = {0} für k ≥ n + 1.
Beweis. Wir zeigen zunächst die angegebene Darstellung von ω. Durch Einsetzen
sieht man, dass die beiden Seiten angewandt auf (ej1 , . . . , ejk ) mit j1 < . . . < jk
übereinstimmen
und damit als alternierende k-Formen sogar schon überall.
P
Ist
i1 <...<ik bi1 ...ik δi1 ∧ . . . ∧ δik = 0, so erhält man durch Einsetzen von
(ej1 , . . . , ejk ) mit j1 < . . . < jk , dass bj1 ...jk = 0 sein muss, was die lineare Unabhängigkeit der betrachteten Menge zeigt.
Besonders wichtig ist es, zu untersuchen, wie die Dachprodukte mit linearen
Transformationen wechselwirken. Ist W ein weiterer reeller Vektorraum und f :
V → W eine lineare Abbildung, so kann man jede k-Form auf W mittels f auf
V zurückholen:
69
Definition 6.5 Es seien V , W endlichdimensionale reelle Vektorräume und f :
V → W linear. Ist ω ∈ Altk W , so ist die zurückgeholte Form f ∗ ω ∈ Altk V
definiert durch
f ∗ ω(v1 , . . . , vk ) = ω(f v1 , . . . , f vk ).
Lemma 6.6 Es seien V , W endlichdimensionale reelle Vektorräume. Das Dachprodukt ist verträglich mit linearen Abbildungen:
f ∗ (ω ∧ η) = (f ∗ ω) ∧ (f ∗ η)
für ω ∈ Altk W und η ∈ Altl W , f : V → W linear.
Beweis. Klar.
Lemma 6.7 Ist speziell W = V und ω eine n-Form, so gilt
f ∗ ω = (det f ) ω.
Beweis. Da Altn V eindimensional (s. Satz 6.4) und die Abbildung f ∗ : Altn V →
Altn V linear ist, gibt es ein c ∈ R, so dass
f ∗ ω = cω
∀ ω ∈ Altn V
gilt. Es sei nun Φ : V → Rn ein Isomorphismus und ω̄ = Φ∗ det (s. Beispiel 1 auf
Seite 67). Dann ergibt sich für die kanonische Basis (ei ) von Rn
c = c det(e1 , . . . , en )
= cω̄(Φ−1 e1 , . . . , Φ−1 en )
= f ∗ ω̄(Φ−1 e1 , . . . , Φ−1 en )
= ω̄(f Φ−1 e1 , . . . , f Φ−1 en )
= det(Φf Φ−1 e1 , . . . , Φf Φ−1 en )
= det f.
6.2
Differentialformen im Rn
Im Folgenden sei G ⊂ Rn eine offene Menge.
Definition 6.8 Eine Differentialform der Ordnung k (kurz k-Form) auf G, k ∈
N0 , ist eine Abbildung ω : G → Altk Rn .
70
Beispiele:
1. Differentialformen der Ordnung 0 sind einfach reellwertige Funktionen auf
G.
2. Ist f ∈ C 1 (G), so ist x 7→ Df (x) eine 1-Form.
Die Menge der k-Formen auf G wird bei punktweiser Addition und punktweiser Multiplikation mit Skalaren wieder zu einem Vektorraum. Auch das Dachprodukt definiert man punktweise gemäß (ω ∧ η)(x) = ω(x) ∧ η(x) für eine k-Form
ω und eine l-Form η.
Das letzte Beispiel führt zu einer Darstellung von Differentialformen in Koordinaten. Ist f : G → R differenzierbar, so schreibt man in der Theorie der
Differentialformen df für Df . Wir betrachten nun die i-te Koordinatenprojektion x 7→ xi . Verwirrenderweise ist es üblich, diese Funktion wieder mit dem
Symbol xi zu belegen, so dass also
xi : G → R,
xi (x) = xi
gilt. (Wenn man sich immer sorgfältig klar macht, welche Rolle “xi ” gerade spielt,
ist das nach etwas Übung gar nicht mehr so verwirrend.) Es ist dann dxi (x)ej = δij
für alle x ∈ G und i, j ∈ {1, . . . , n}, so dass (dxi ) die zur Standardbasis (ei )
duale Basis des (Rn )∗ ist2 . Nach Satz 6.4 lässt sich dann jede Differentialform der
Ordnung k eindeutig durch
X
ω=
ai1 ...ik dxi1 ∧ . . . ∧ dxik ,
ai1 ...ik (x) = ω(x)(ei1 , . . . , eik )
1≤i1 <...<ik ≤n
darstellen.
Beispiel: Ist f : G → R differenzierbar, so gilt
n
X
∂f
df =
dxj ,
∂xj
j=1
denn
Pn
j=1 ∂j f (x) dxj (ei )
= ∂i f (x) = Df (x)ei = df (x)ei .
Ähnlich wie alternierende Formen auf Vektorräumen unter linearen Abbildung
zurückgeholt werden können, wollen wir nun Differentialformen unter differenzierbaren Abbildungen zurückholen.
2
Im allgemeinen Fall, wenn Differentialformen – wie zu
S Beginn dieses Kapitels erwähnt
– nur auf Mannigfaltigkeiten definiert sind und Werte in p∈M Altk Tp M annehmen, ist die
Abbildung xi als die i-te Komponente der Inversen einer Karte definiert. Deren Ableitung
dxi (p) stellt sich dann als lineare Abbildung dxi (p) : Tp M → R heraus, die nun i.A. nicht
konstant in p ist. Selbst in unserer vereinfachten Situation wird sich diese – zunächst vielleicht
etwas umständlich wirkende – Notation jedoch als nützlich erweisen.
71
Definition 6.9 Es seien G1 ⊂ Rm , G2 ⊂ Rn offen f ∈ C 1 (G1 ; G2 ) und ω eine
Differentialform der Ordnung k auf G2 . Die auf G1 zurückgeholte Form f ∗ ω ist
dann definiert durch
f ∗ ω(x) = (Df )∗ ω f (x) .
Mit anderen Worten:
f ∗ ω(x)(v1 , . . . , vk ) = ω(f (x))(Df (x)v1 , . . . , Df (x)vk ).
Die wesentliche Begriffsbildung ist nun die äußere Ableitung von Differentialformen:
Satz 6.10 Es gibt genau eine Möglichkeit, jeder differenzierbaren k-Form ω, k ∈
N0 , eine (k + 1)-Form dω zuzuordnen, so dass
(i) d linear ist,
(ii) df = Df für f : G → R differenzierbar (also k = 0) gilt,
(iii) die Produktregel gilt:
d(ω ∧ η) = (dω) ∧ η + (−1)k ω ∧ (dη),
wo ω eine k-Form und η eine beliebige Differentialform ist, und
(iv) die Komplexitätseigenschaft d ◦ d = 0 erfüllt ist:
ddω = 0
für ω ∈ C 2 (G; Altk Rn ).
P
Ist ω gegeben durch ω = i1 <...<ik ai1 ...ik dxi1 ∧ . . . ∧ dxik , so ergibt sich
X
dω =
dai1 ...ik ∧ dxi1 ∧ . . . ∧ dxik .
i1 <...<ik
Definition 6.11 Die durch Satz 6.10 eindeutig festegelegte Operation wird fortan
mit d bezeichnet. Ist ω eine differenzierbare Differentialform, so heißt dω die
äußere Ableitung (auch Cartansche Ableitung oder Differential) von ω.
Beweis. Es sei d eine solche Operation. Wir bemerken zunächst, dass wir wegen
(ii) weiter dxi schreiben dürfen. Der Reihe nach aus (i), (iii) und (iv) folgt nun
X
X
d
ai1 ...ik dxi1 ∧ . . . ∧ dxik =
dai1 ...ik ∧ dxi1 ∧ . . . ∧ dxik ,
(6.3)
i1 <...<ik
i1 <...<ik
was d eindeutig festlegt. Es bleibt nun umgekehrt zu zeigen, dass die durch (6.3)
gegebene Abbildung d (i)–(iv) erfüllt, wobei d auf der rechten Seite die Ableitung
D bezeichnet.
72
(i) und (ii) sind klar. Insbesondere müssen wir im Folgenden nicht zwischen
Ableitungen D und d unterscheiden.
(iii): Zum Nachweis von (iii) dürfen wir wegen (i) und der Bilinearität von ∧
annehmen, dass
ω = aI dxI ,
η = aJ dxJ
ist, wobei wir abkürzend dxI = dxi1 ∧ . . . ∧ dxik und dxJ = dxi1 ∧ . . . ∧ dxik
für I = (i1 , . . . , ik ) und J = (j1 , . . . , jl ) geschrieben haben und aI sowie aJ
differenzierbare Funktionen sind. Da anderenfalls beide Seiten in (iii) gleich 0
ergeben, dürfen wir außerdem ir 6= js für alle r, s annehmen. Aus der Produktregel
für die gewöhnliche Ableitung folgt nun
d aI dxI ∧ aJ dxJ = d(aI aJ ) ∧ dxI ∧ dxJ
= aJ daI ∧ dxI ∧ dxJ + aI daJ ∧ dxI ∧ dxJ
= (daI ∧ dxI ) ∧ (aJ dxJ ) + (−1)k (aI dxI ) ∧ (daJ ∧ dxJ ).
(iv) Für 0-Formen f gilt nach dem Beispiel von Seite 71
ddf = d
n
X
∂j f dxj =
j=1
n X
n
X
j=1 i=1
=
X
i<j
∂i ∂j dxi ∧ dxj
(∂i ∂j f − ∂j ∂i f )dxi ∧ dxj = 0
nach dem Satz von Schwarz. Allgemein ergibt sich daraus dann mit der Produktregel
X
X
dd
ai1 ...ik dxi1 ∧ . . . ∧ dxik = d
dai1 ...ik ∧ dxi1 ∧ . . . ∧ dxik = 0.
i1 <...<ik
i1 <...<ik
Der Beweis von (iv) zeigt insbesondere, dass die Komplexitätseigenschaft eine
weitreichende Verallgemeinerung des Satzes von Schwarz darstellt.
Beispiele:
1. Ist f : G → R differenzierbar, so haben wir oben gesehen, dass
df =
n
X
∂j f dxj ,
j=1
gilt. Die 1-Form
Pn
j=1
∂j f dxj gibt also den Gradienten von f an.
2. Jede (n − 1)-Form ω kann in der Form
ω=
n
X
j=1
(−1)j−1 fj dx1 ∧ . . . ∧ dxj−1 ∧ dxj+1 ∧ . . . ∧ dxn
73
geschrieben werden. Es gilt dann
dω =
=
n X
n
X
j=1 i=1
n
X
j=1
(−1)j−1∂i fj dxi ∧ dx1 ∧ . . . ∧ dxj−1 ∧ dxj+1 ∧ . . . ∧ dxn
(−1)j−1 ∂j fj dxj ∧ dx1 ∧ . . . ∧ dxj−1 ∧ dxj+1 ∧ . . . ∧ dxn
= (div f ) dx1 ∧ . . . ∧ dxn .
Die äußere Ableitung entspricht hier also der Divergenzbildung.
3. Ist n = 3, so kann jede 1-Form ω als
ω = f1 dx1 + f2 dx2 + f3 dx3
geschrieben werden. Es gilt dann
dω = df1 ∧ dx1 + df2 ∧ dx2 + df3 ∧ dx3
= ∂2 f1 dx2 ∧ dx1 + ∂3 f1 dx3 ∧ dx1 + ∂3 f2 dx3 ∧ dx2 + ∂1 f2 dx1 ∧ dx2
+ ∂1 f3 dx1 ∧ dx3 + ∂2 f3 dx2 ∧ dx3
= (∂2 f3 − ∂3 f2 )dx2 ∧ dx3 + (∂3 f1 − ∂1 f3 )dx3 ∧ dx1
+ (∂1 f2 − ∂2 f1 )dx1 ∧ dx2 .
Definieren wir das vektorielle Linienelement d~s, das vektorielle Flächenelement dF~ und das Volumenelement dV durch
 


dx1
dx2 ∧ dx3
d~s := dx2  , dF~ := dx3 ∧ dx1  und dV := dx1 ∧ dx2 ∧ dx3 ,
dx3
dx1 ∧ dx2
so ergibt sich nach 1, obiger Rechnung und 2 für die skalare Funktion f und
die Vektorfelder g und h
df = ∇f · d~s,
d(g · d~s) = rot g · dF~
und d(h · dF~ ) = div h dV.
Die Differentialoperatoren ∇, rot und div entsprechen also der äußeren
Ableitung d. Die Komplexitätseigenschaft d ◦ d = 0 ist hier nichts anderes
als rot ◦∇ = 0 und div ◦ rot = 0.
Zum Schluss dieses Abschnitts halten wir noch die fundamentale Eigenschaft
fest, dass Zurückholen von Differentialformen und äußere Ableitung vertauschen:
Satz 6.12 Es seien G1 ⊂ Rm , G2 ⊂ Rn offen f ∈ C 2 (G1 ; G2 ) und ω eine
differenzierbare Differentialform auf G2 . Dann ist auch f ∗ ω differenzierbar und
es gilt
d (f ∗ ω) = f ∗ (d ω).
74
Beweis. Es sei zunächst g eine differenzierbare 0-Form. Dann ist f ∗ g = g ◦ f
differenzierbar und
(f ∗ dg)(x)(v) = dg(f (x))(Df (x)v) = D(g ◦ f )(x)v = d(f ∗ g)(x)(v)
für x ∈ G1 und v ∈ Rm ,P
also f ∗ dg = d(f ∗ g).
Für allgemeine ω = i1 <...<ik ai1 ...ik dxi1 ∧ . . . ∧ dxik folgt die Behauptung mit
Lemma 6.6 und dem schon behandelten Fall aus
X
f ∗ dω =
f ∗ dai1 ...ik ∧ f ∗ dxi1 ∧ . . . ∧ f ∗ dxik
i1 <...<ik
=
X
i1 <...<ik
=
X
i1 <...<ik
d(f ∗ ai1 ...ik ) ∧ d(f ∗xi1 ) ∧ . . . ∧ d(f ∗xik )
d(f ∗ ai1 ...ik ) ∧ dfi1 ∧ . . . ∧ dfik
und
df ∗ ω = d
X
i1 <...<ik
=
X
i1 <...<ik
f ∗ ai1 ...ik dfi1 ∧ . . . ∧ dfik
d(f ∗ ai1 ...ik ) ∧ dfi1 ∧ . . . ∧ dfik ,
wobei wir im letzten Schritt die Produktregel und die Komplexitätseigenschaft
von d ausgenutzt haben.
6.3
Integration von Differentialformen
Differentialformen der Ordnung k werden über orientierte k-dimensionale Mannigfaltigkeiten integriert. Wir beginnen mit dem Spezialfall k = n, wobei eine
offene Menge G immer die kanonische Orientierung trage, die durch den nur aus
der identischen Abbildung bestehenden Atlas induziert ist.
Definition 6.13 Eine n-Form ω = f dx1 ∧. . .∧dxn heißt integrierbar über A ⊂ G
messbar, wenn f über A integrierbar ist. Man definiert dann
Z
Z
ω :=
f (x)dx.
A
A
Für Differentialformen gilt die folgende Variante des Transformationssatzes:
Satz 6.14 Sind U, V ⊂ Rn offen, ϕ : V → U ein C 1 -Diffeomorphismus und ω
eine integrierbare n-Form auf U, so gilt
Z
Z
∗
ϕω=
ω,
V
U
wenn ϕ orientierungstreu ist.
75
Beweis. Das ergibt sich direkt aus Lemma 6.7 und dem Transformationssatz 3.4.
Ähnlich wie in Abschnitt 3.2 definieren wir nun Integrale zunächst über Kartenbereiche.
Definition 6.15 Es sei M ⊂ G eine k-dimensionale orientierte Mannigfaltigkeit
und Φ : V → U eine Karte eines die gegebene Orientierung induzierenden Atlas.
Ist ω : G → Altk Rn eine k-Form, so dass ω auf M \ U verschwindet, so heißt ω
integrierbar, wenn die zurückgeholte k-Form
Φ∗ ω
auf V gemäß Definition 6.13 integrierbar ist. Man setzt dann
Z
Z
ω :=
Φ∗ ω.
M
V
Wie nach Definition 3.8 muss man sich wieder davon überzeugen, dass diese
Defnition unabhängig von der gewählten Karte ist. Dies folgt hier in analoger
Weise mit Hilfe von Satz 6.14. Der allgemeine Fall wird wieder mit einer Zerlegung
der Eins nach Definition 3.10 bewerkstelligt:
Definition 6.16 Es sei M ⊂ G eine k-dimensionale durch den endlichem Atlas (Φj : Vj → Uj )j=1,...,N orientierte Mannigfaltigkeit. Eine k-Form ω heißt
integrierbar, wenn χUj ω im Sinne von Definition 6.15 integrierbar ist für alle j.
Ist (αj ) eine der Überdeckung (Uj ) untergeordnete Zerlegung der Eins, so dass
αj ◦ Φj messbar ist, so wird das Integral von ω über M definiert durch
Z
N Z
X
αj ω,
ω :=
M
j=1
M
wobei auf der rechten Seite die schon in Definition 6.15 erklärten Integrale stehen.
Die Wohldefiniertheit ergibt sich ganz analog zu der von Definition 3.11 in
Abschnitt 3.2.
Beispiel: 1-Formen nennt man auch Pfaffsche Formen. Diese werden über eindimensionale Mannigfaltigkeiten integriert. Ist etwa M als Spur γ(I) einer C 1 Kurve mit γ̇ 6= 0 und γ : I → γ(I) ein Homöomorphismus
gegeben, P
so ist für ω =
P ∗
P
n
∗
j=1 fj dxj die durch γ zurückgeholte Form
j (γ fj ) d(γ xj ) =
j fj ◦ γ dγj .
Damit ergibt sich, falls ω integrierbar ist,
Z
Z
Z X
Z
∗
ω= γ ω=
fj (γ(t)) γ̇j (t) dt = f · dx,
M
I
I
γ
j
was ja schon durch unsere Notation für Kurvenintegrale nahegelegt
wird. Wie
R
in Definition 5.1 kann man auf diese Weise Kurvenintegrale γ ω über Pfaffsche
Formen definieren, wenn γ(I) nicht notwendig eine Mannigfaltigkeit ist.
76
6.4
Der allgemeine Satz von Stokes
Satz 6.17 (Allgemeiner Stokesscher Integralsatz) Es seien M ⊂ G eine
orientierte k-dimensionale C 2 -Mannigfaltigkeit, Ω ⊂ M eine kompakte Teilmenge
mit glattem Rand und ω eine stetig differenzierbare (k − 1)-Form auf G, k ≥ 2.
Der Rand ∂Ω trage die induzierte Orientierung. Dann ist
Z
Z
dω =
ω.
Ω
∂Ω
Beispiele:
1. Für k = 1 ist das nichts anderes als der Hauptsatz der Differential- und
Integralrechnung.
2. Für k = n − 1 ist dies eine Umformulierung des Gaußschen Integralsatzes.
3. Im R3 erhalten wir mit der Notation aus dem vorigen Abschnitt
Z
Z
Z
~
div h dV =
d(h · dF ) =
h · dF~ ,
Ω
Ω
∂Ω
für Ω ⊂ R3 kompakt und glatt berandet, also den Gaußschen Satz, und
Z
Z
Z
~
rot g · dF =
d(g · d~s) =
g · d~s
Ω
Ω
∂Ω
für kompakte glatt berandete Flächenstückchen Ω im R3 , was gerade der
klassische Satz von Stokes ist. Dies ergibt sich jeweils aus dF~ = ν · dS,
genauer nach Zurückholen mittels Karten:
Übung: Ist Φ ∈ C 1 (V ; R3 ), V ⊂ R2 offen, so gilt
Φ∗ dF~ = (∂1 Φ × ∂2 Φ) dx1 ∧ dx2 .
Der Beweis von Satz 6.17 ergibt sich im Wesentlichen aus dem folgenden
Spezialfall:
Lemma 6.18 Ist ω eine stetig differenzierbare (k − 1)-Form mit kompaktem
Träger auf Rk , k ≥ 2, so ist
Z
Z
dω =
ω.
{x1 ≤0}
∂{x1 ≤0}
77
P
Beweis. Schreiben wir ω = kj=1(−1)j−1 fj dx1 ∧ . . . ∧ dxj−1 ∧ dxj+1 ∧ . . . ∧ dxk
mit fj ∈ C 1 (Rk ), supp fj kompakt, so folgt
Z
Z
dω =
(div f ) dx1 ∧ . . . ∧ dxk
{x1 ≤0}
{x1 ≤0}
Z
=
div f (x) dx
{x1 ≤0}
nach Beispiel 2 auf Seite 73.
Mit dem Satz von Fubini können wir den j-ten Summanden in der Divergenz
jeweils zuerst über xj intgrieren. Dabei ergibt sich
Z ∞
∂j fj dxj = 0
−∞
für j = 2, . . . , k und
Z
0
∂1 f1 (x) dx1 = f1 (0, x2 , . . . xk )
−∞
für j = 1. Es gilt also
Z
dω =
{x1 ≤0}
Z
f1 (0, x′ ) dx′ .
Rk−1
Um das Randintegral zu berechnen, bezeichnen wir die Elemente von Rk−1
mit x′ = (x′1 , . . . , x′k−1 ) und schreiben entsprechend dx′j , j = 1, . . . , k − 1. Die
identische Abbildung Φ : Rk → Rk , Φ(x) = x induziert die Karte
Φ′ : Rk−1 → ∂{x1 ≤ 0} = {x1 = 0},
x′ 7→ Φ(0, x′ ) = (0, x′ )
von ∂{x1 ≤ 0}. Nach Satz 6.12 gilt
(
dx′j−1
(Φ′ )∗ dxj (v) = d(xj ◦ Φ′ ) =
0
für j ≥ 2,
für j = 1,
so dass mit Lemma 6.6 folgt
Z
Z
ω=
(Φ′ )∗ ω
k−1
∂{x1 ≤0}
R
Z
=
f1 (Φ′ (x′ )) dx′1 ∧ . . . ∧ dx′k−1
k−1
ZR
=
f1 (0, x′ ) dx′ ,
Rk−1
78
was die Behauptung zeigt.
Beweis von Satz 6.17. Es sei A ein orientierter Atlas aus Rand-adaptierten Karten. Da Ω kompakt ist, gibt es endlich viele Karten Φj : Vj → Uj , j = 1, . . . , N, so
S
dass Ω ⊂ N
j=1 Uj ist. Es sei nun (αj ) eine der Überdeckung (Uj ) untergeordnete
glatte Teilung der Eins gemäß Satz 5.10. Dann können wir Φ∗j (αj ω) durch 0 stetig
differenzierbar auf ganz Rk fortsetzen.
Nach Satz 6.12 ist
Z
Z
Z
d(αj ω) =
d(αj ω) =
Φ∗j d(αj ω)
Ω
Ω∩U
Vj ∩{x1 ≤0}
Z j
Z
∗
=
d Φj (αj ω) =
d Φ∗j (αj ω) .
Vj ∩{x1 ≤0}
{x1 ≤0}
Es sei nun Φ′j = Φj ◦ P : Vj′ → Uj mit P (x′ ) = (0, x′ ) die von Φj induzierte
Randkarte (s. den Beweis von Satz 4.7). Dann ist
Z
Z
Z
Z
′ ∗
αj ω =
αj ω =
(Φj ) (αj ω) =
P ∗ Φ∗j (αj ω)
∂Ω
Vj′
∂Ω∩Uj
=
Z
Vj′
Z
Φ∗j (αj ω) =
Vj ∩{x1 =0}
Φ∗j (αj ω)
∂{x1 ≤0}
Aus Lemma 6.18 folgt nun
Z
d(αj ω) =
Ω
Z
αj ω.
∂Ω
Summation über alle j beschließt den Beweis.
79
Literaturverzeichnis
[Br] M. Brokate: Vektoranalysis. Vorlesungsskript. München, 2008. http://wwwm6.ma.tum.de/∼brokate/vek ws08.pdf
[For] O. Forster: Analysis 3. Vieweg Studium: Aufbaukurs Mathematik. Vieweg
+ Teubner, Wiesbaden, 2009.
[Jä] K. Jänich: Vektoranalysis. : Springer-Lehrbuch. Springer, Berlin, 2005.
[Kö] K. Königsberger: Analysis 2. Springer-Lehrbuch. Springer, Berlin, 2004.
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Zugehörige Unterlagen
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