Europäische Schuldenkrise - Bundeszentrale für politische Bildung

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Debatte
Europäische
Schuldenkrise
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
2
Einleitung
Europäische Schuldenkrise (© picture-alliance/dpa)
Das Dossier veranschaulicht die wichtigsten Diskussionsstränge der Europäischen Schuldenkrise.
Der ungelöste Disput zwischen Ausgaben- und Sparpolitik steht im Zentrum und wird anhand
grundlegender Fragen und Infografiken zum Thema erläutert. Über deren Interpretation streiten sich
jeweils zwei ausgewiesene Experten. Weiteres Grundlagenwissen verschaffen eine Zeitleiste, ein
Glossar sowie Videointerviews.
In Kürze werden Sie auf diesen Seiten auch freie Bildungsmaterialien finden. Sie vermitteln Grundlagen
im Bereich makroökonomischer Konzepte. Über Hintergrundtexte können Standpunkte im größeren
Kontext betrachtet und ökonomischen Schulen zugeordnet werden. Daneben gibt es eine Vielzahl an
Datenmaterial und Arbeitsblättern.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
3
Inhaltsverzeichnis
1.
Sparen oder Investieren? Der Streit um Europas Rettung
6
2.
Videos: 6x6 Fragen zur Euro-Krise
9
2.1
Hat die Eurozone in ihrer derzeitigen Form eine Zukunft?
10
2.2
Sparen oder Investieren - wie sollte die Schuldenkrise überwunden werden?
12
2.3
Wie kann Deutschland dazu beitragen, die Euro-Krise zu beenden?
14
2.4
Handelt die EZB ohne demokratische Legitimation?
16
2.5
In welchen Ländern lauern neue Gefahren für den Euro?
18
2.6
Wie kann die Eurozone künftig Krisen besser vermeiden?
20
3.
3.1
Herausforderungen der Währungsunion
Sollten unterschiedlich starke Volkswirtschaften eine Währungsgemeinschaft bilden?
22
23
3.1.1
Ökonomische Zwänge und politische Illusionen der Währungsunion
24
3.1.2
Auch die D-Mark galt von Bayern bis Mecklenburg-Vorpommern
27
3.2
Bedrohen unterschiedliche Lohnkosten die Stabilität der Eurozone?
30
3.2.1
Löhne und Produktivität müssen sich gleich entwickeln
31
3.2.2
Konsum und Löhne in Deutschland müssen anziehen
34
3.3
Droht der Eurozone die Gefahr einer Deflation?
37
3.3.1
Schon "Lowflation" ist problematisch
38
3.3.2
Eine negative Inflationsrate ist noch lange keine Deflation
41
3.4
Ist das Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank sinnvoll?
44
3.4.1
Die Konstruktion der Währungsunion fördert Panikattacken
45
3.4.2
Die EZB handelt gegen die Interessen der Bürger
49
3.5
Kann eine Vermögensabgabe helfen, die Überschuldung von Staaten zu lindern?
52
3.5.1
Nur eine Staatsinsolvenz ist moralisch vertretbar
53
3.5.2
Die Politik muss es nur wollen
56
3.6
Ist die Euro-Krise schon vorbei?
60
3.6.1
Noch ist kein Normalzustand erreicht
61
3.6.2
Falsche Medizin, falsche Symptome
64
Ginge es Europa ohne den Euro besser?
67
3.7
3.7.1
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Es ist nicht der Euro, es ist der Binnenmarkt
68
Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
3.7.2
4.
Eine Währungsunion ist einem System flexibler Wechselkurse überlegen
4
71
Zur Rolle Deutschlands in der Schuldenkrise
74
Ist Deutschland ein Modell für Europa?
75
4.1.1
Die Mär vom gesunden Staat
77
4.1.2
Marktkonform und doch sozial gerecht
80
4.1
4.2
Hat Deutschlands Bilanzüberschuss die Krise beschleunigt?
85
4.2.1
Die Eurokrise ist eine Zahlungsbilanzkrise
86
4.2.2
Europa braucht Deutschland, Deutschland braucht Europa
89
5.
5.1
Zur Lage der Krisenländer
93
Gingen die Reformen in Griechenland zu weit?
94
5.1.1
Ohne Strukturreformen ist alles nichts
95
5.1.2
Der Aderlass hat Griechenland geschadet
98
5.2
Was hat Portugal der Sparkurs gebracht?
101
5.2.1
Die Leiden des lusitanischen Musterschülers
102
5.2.2
Sparen unvermeidbar
105
5.3
Zeigen Spanien, Irland und Portugal, dass die angebotsorientierte Politik sich auszahlt?
108
5.3.1
Es schmerzt, aber die Reformen wirken
109
5.3.2
Crash-Kurs mit jeder Menge Kollateralschäden
112
5.4
Kann Italien wieder auf die Beine kommen?
115
5.4.1
Je südlicher, desto schlimmer
116
5.4.2
Solider als viele denken
119
5.5
Ist Frankreich das nächste Krisenland?
122
5.5.1
Vor der Generalüberholung
123
5.5.2
Frankreich als Zivilisationsthermometer
126
Hat die Sparpolitik Irland aus der Krise geholfen?
129
5.6
5.6.1
Via Dolorosa ohne Alternative
130
5.6.2
Die Generation der stillen Verzweiflung
133
5.7
Ist Spanien über den Berg?
136
5.7.1
Von Gesundung kann keine Rede sein
137
5.7.2
Rückkehr zum Normalzustand
140
5.8
Hat die Politik der Troika Griechenland genutzt?
143
5.8.1
Die Schrumpfpolitik ist gescheitert
144
5.8.2
Griechenland hat alle Möglichkeiten
147
6.
Infografiken: Schlüsseldaten zur Schuldenkrise
150
7.
Glossar
151
8.
Die wichtigsten Stationen von der internationalen Finanz- zur europäischen Schuldenkrise
163
bpb.de
Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
5
(2001-2014)
9.
bpb.de
Redaktion
164
Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
6
Sparen oder Investieren? Der Streit um
Europas Rettung
Von Kai Schöneberg
8.12.2015
Kai Schöneberg, Jg. 1968, Leiter des Ressorts Wirtschaft und Umwelt der tageszeitung in Berlin. Dort federführend in Konzeption
und Planung der Berichterstattung über die Euro-Krise. Bis 2012 Blattmacher und Seite-1-Redakteur der Financial Times
Deutschland.
Das Schlimmste scheint überstanden: Viele von Abschwung und Überschuldung betroffene
Länder des Euroraums stabilisieren sich langsam. Es ist aber viel zu früh, von einem Ende der
Krise zu sprechen. Zudem steht der Kontinent vor neuen Herausforderungen. Wie Europa am
besten auf die Beine kommen soll, ist umstritten.
In Barcelona demonstrieren im Sommer 2012 Tausende gegen die Sparmaßnahmen der Regierung. (© picturealliance, Photoshot)
Welche Krise? Ein gutes halbes Jahrzehnt nach Ausbruch der Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise
in vielen Ländern der Eurozone hat sich die Perspektive für den deutschen Beobachter fundamental
geändert: Musste das Land in der Mitte Europas 2008 und 2009 noch selbst Konjunkturprogramme
schnüren, um nicht in den Strudel der internationalen Finanzkrise zu geraten, steht Deutschland heute
ökonomisch so gut da wie selten zuvor. Während aber die deutsche Wirtschaft boomt, verdunkelt sich
der politische und ökonomische Horizont auf europäischer wie globaler Ebene zusehends.
Viele gravierende Probleme der Eurozone – etwa die hohe Arbeitslosigkeit in Südeuropa, insbesondere
unter Jugendlichen, aber auch die anhaltend niedrige Inflation – sind nicht nur ungelöst, sie scheinen
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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sich sogar verfestigt zu haben. Die Zeit überschuldeter Staatshaushalte und einbrechender Ökonomien
scheint in den meisten Euro-Krisenländern vorerst gebannt. Zudem ist mit Ausnahme Griechenlands
vielerorts Wachstum zu verzeichnen – wenn auch von einem äußerst schwachen Niveau aus. Das
ökonomische Auseinanderdriften innerhalb von EU und Währungszone hat sich indes keineswegs
verlangsamt, die Konvergenz – eines der großen Ziele der Gründungsväter des Euro – scheint weiter
entfernt denn je. Es dürfte noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis die in weiten Teilen des
Währungsgebiets dramatischen Auswirkungen der ökonomischen Flaute effektiv eingedämmt worden
sind.
Gleichzeitig muss sich Europa als politischer und ökonomischer Raum vielen Herausforderungen
stellen: Flüchtlingsbewegungen, neue Nationalismen in einigen Mitgliedsländern, die Bedrohung durch
islamistischen Terror und die im Krimkonflikt aufgebrochenen geopolitischen Unwägbarkeiten in den
Beziehungen zu Russland stellen Einheit und Wohlstand Europas verstärkt in Frage. Auf der
Erfolgsseite ist zu verbuchen, dass der „Grexit“, der Rauswurf Griechenlands aus der Eurozone, im
Sommer 2015 vorerst vermieden wurde. Einige Ökonomen werten dies als Signal an die Märkte, dass
sich die Währungsgemeinschaft nicht auseinanderdividieren lässt. Andere meinen hingegen, der
Verbleib des Landes in der Eurozone werde die Gemeinschaftswährung auf Dauer von innen weiter
schwächen.
Auch die mittel- und langfristigen Konsequenzen der groß angelegten Stützungsprogramme der EZB
sind derzeit nicht absehbar. Genauso wenig, was es für den Zusammenhalt der Staatengemeinschaft
bedeuten könnte, wenn Großbritannien 2017 per Volksabstimmung für den „Brexit“ votiert. Aus diesen
Gründen ist das Thema „Europa in der Krise“ nicht nur weiterhin aktuell, es wird auch immer wieder
neu und kontrovers diskutiert.
In der Staatsschulden-, Wirtschafts- und Bankenkrise des Euroraums vermischen sich ökonomisches
und politisches Handeln auf einmalige Weise. Die zentralen Akteure – Regierungen, Parlamente,
Zentralbanken, die EU-Kommission, der IWF, die Verfassungsgerichte – versuchen dabei, mit teils
unerprobten Rezepten den ökonomischen und sozialen Unwuchten der Eurozone entgegenzuwirken.
Schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme oder strikte Austerität?
Eine Währung, aber divergierende Finanz- und Steuerpolitiken, überschuldete Gemeinwesen und
krisenhafte ökonomische sowie soziale Entwicklungen in mehreren Ländern der Eurozone, Europa
als Austragungsort globaler Friktionen – das ist ein in dieser Form nie dagewesenes Szenario. Es gibt
keine Blaupause, nach der man handeln könnte. Die Akteure bewegen sich bei der Bewältigung der
vielen Teilaspekte der Krise auf unbekanntem Terrain. Das ist eine der Ursachen für den immer wieder
aufflammenden fundamentalen Dissens zwischen – mindestens – zwei sich widerstreitenden
wirtschaftstheoretischen Lagern. Ein Dissens, der auch häufig die obersten Gerichte von EU und
Mitgliedsstaaten beschäftigte. Auch wenn die Realität viel komplexer ist, lautet dabei kurz gesagt eine
der Kernfragen: Sparen oder Investieren?
Vereinfacht streiten Politik, Ökonomie und publizierte Meinung in dieser Debatte in zwei Lagern: Die
eine Seite plädiert für schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme der öffentlichen Hand, um
Investitionen anzukurbeln und so Arbeitsplätze und bessere Lebensbedingungen zu schaffen. Die
andere hält strikte Austerität und Neujustierung der öffentlichen Etats hin zu nachhaltigerem Haushalten
für richtig, um so Grundlagen für die Bildung einer effizienteren Staats- und Wirtschaftsordnung zu
legen. Der Disput spielt sogar in die Auseinandersetzung darüber hinein, ob mehr Integration oder
eine erneute Atomisierung Europas die Krise beseitigen, ob der alte Kontinent durch verstärkte
Transfers oder durch stärkere Einzelstaaten genesen könnte.
Im Kern geht es dabei immer wieder um die Kontroverse zwischen postkeynesianischer
Ausgabenpolitik auf der einen sowie strikter neoklassischer Aus- und Aufgabenbegrenzung auf der
anderen Seite. Das sind die Pole, um die fachliche wie öffentliche Debatten in der Euro-Krise im Grunde
kreisen. Der damit einhergehende Dissens über stärker regulatorische Eingriffe einerseits und Laissez-
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Faire der Märkte andererseits strahlt auch in aktuelle Diskussionen hinein, etwa in die zur Bildung
einer europäischen Bankenunion.
Anknüpfen an Diskussionen und Kontroversen zwischen den
Denkschulen
Genau an die sich zwischen den Denkschulen öffnenden Diskussionen und Kontroversen knüpfen die
vorliegenden Debatten zum Thema "Europäische Schuldenkrise" an. Der ungelöste Disput soll in
diesem Online-Dossier anhand von 17 Fragen zum Thema paradigmatisch erläutert werden.
Die Debatten ergänzen grundlegende Statistiken der Eurozonen-Länder wie die Entwicklung von
Bruttoinlandsprodukt, Arbeitslosigkeit, Lohnentwicklung oder Staatsschulden. Über deren
Interpretation streiten sich jeweils zwei ausgewiesene Expertinnen und Experten aus den sich über
Kreuz liegenden Lagern. Ähnlich diskursiv sind die Videointerviews konzeptioniert: Sechs Fachleute
aus den verschiedenen Denkschulen stellen sich hier vor der Kamera sechs grundlegenden Fragen
zur Eurokrise.
Die Beiträge in der Manier eines Pro und Contra sollen dabei nie rein wissenschaftlicher
Schlagabtausch sein, sondern auch interessierten Laien Einblick in die Kontroverse um die Euro-Krise
verschaffen. Weiteres Grundlagenwissen vermitteln eine Zeitleiste, ein Quiz sowie ein Glossar mit den
wichtigsten Begriffen.
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Kai Schöneberg für bpb.de
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
9
Videos: 6x6 Fragen zur Euro-Krise
25.9.2015
Arbeitslosigkeit, lahmende Wirtschaft, soziales Elend – viele Länder des Kontinents leiden seit Jahren
unter den Folgen der Euro-Krise. Doch was dagegen zu tun ist, darüber sind sich Politiker und
Ökonomen uneins. Um den Stand der Debatte zu beleuchten, beantworten hier sechs Expertinnen
und Experten sechs zentrale Fragen zur Zukunft der Gemeinschaftswährung.
Sechs Expertinnen und Experten antworten auf sechs Fragen zur Euro-Krise Lizenz: cc by-sa/3.0/de (CC, bpb)
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Hat die Eurozone in ihrer derzeitigen Form eine
Zukunft?
6x6 Fragen zur Euro-Krise
18.9.2015
Grexit oder nicht? Über die Mitgliedschaft Griechenlands - und anderer Eurostaaten - in der
Währungsgemeinschaft wird viel diskutiert. Sollte es bei 19 Euro-Ländern bleiben? Braucht
die Eurozone eine gemeinsame Wirtschafts- und Fiskalpolitik und eine größere demokratische
Verankerung? Sechs Antworten.
Thomas Fricke, Wirtschaftsjournalist und Ökonom
Dr. Ulrike Guérot, European Democracy Lab
Ulrike Herrmann, Journalistin und Sachbuchautorin
Prof. Dr. Michael Hüther, Institut der deutschen Wirtschaft Köln
Prof. Dr. Alexander Kritikos, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)
Dr. Daniela Schwarzer, Europa-Programm des German Marshall Funds
Diese Videos sind unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-sa/3.0/ (https://
creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de)
Über die Interviewpartnerinnen und -partner
Thomas Fricke ist Wirtschaftsjournalist und war von 2002 bis Ende 2012 Chefökonom der
Tageszeitung Financial Times Deutschland. Seit Dezember 2013 ist er Chief Economist der European
Climate Foundation und leitet das Internetportal WirtschaftsWunder.
Dr. Ulrike Guérot ist Politikwissenschaftlerin. Seit September 2014 leitet sie das European Democracy
Lab an der European School of Governance in Berlin und unterrichtet an der Europa-Universität
Viadrina in Frankfurt/Oder.
Ulrike Herrmann ist Wirtschaftskorrespondentin der tageszeitung in Berlin und Sachbuchautorin. 2013
erschien ihr Buch "Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam".
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Prof. Dr. Michael Hüther ist Direktor und Mitglied des Präsidiums des Instituts der deutschen Wirtschaft
Köln und Honorarprofessor für Allgemeine Volkswirtschaftslehre an der European Business School
Oestrich-Winkel.
Prof. Dr. Alexander Kritikos ist Forschungsdirektor der Querschnittsgruppe "Entrepreneurship" am
Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Er hat eine Professur an der Universität
Potsdam und ist Research Fellow am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA).
Dr. Daniela Schwarzer ist Leiterin des Europa-Programms des German Marshall Funds of the United
States und Non-Resident Senior Fellow der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-sa/3.0/
(http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)
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Sparen oder Investieren - wie sollte die
Schuldenkrise überwunden werden?
6x6 Fragen zur Euro-Krise
18.9.2015
Die Austeritätspolitik hat in vielen Krisenstaaten spürbare Einschnitte für Staat, Wirtschaft und
Bevölkerung nach sich gezogen. War das alternativlos? Oder hätten die Regierungen mit hohen
Ausgaben die Wirtschaft ankurbeln sollen? Sechs Antworten.
Thomas Fricke, Wirtschaftsjournalist und Ökonom
Dr. Ulrike Guérot, European Democracy Lab
Ulrike Herrmann, Journalistin und Sachbuchautorin
Prof. Dr. Michael Hüther, Institut der deutschen Wirtschaft Köln
Prof. Dr. Alexander Kritikos, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)
Dr. Daniela Schwarzer, Europa-Programm des German Marshall Funds
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creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de)
Über die Interviewpartnerinnen und -partner
Thomas Fricke ist Wirtschaftsjournalist und war von 2002 bis Ende 2012 Chefökonom der
Tageszeitung Financial Times Deutschland. Seit Dezember 2013 ist er Chief Economist der European
Climate Foundation und leitet das Internetportal WirtschaftsWunder.
Dr. Ulrike Guérot ist Politikwissenschaftlerin. Seit September 2014 leitet sie das European Democracy
Lab an der European School of Governance in Berlin und unterrichtet an der Europa-Universität
Viadrina in Frankfurt/Oder.
Ulrike Herrmann ist Wirtschaftskorrespondentin der tageszeitung in Berlin und Sachbuchautorin. 2013
erschien ihr Buch "Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam".
Prof. Dr. Michael Hüther ist Direktor und Mitglied des Präsidiums des Instituts der deutschen Wirtschaft
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Köln und Honorarprofessor für Allgemeine Volkswirtschaftslehre an der European Business School
Oestrich-Winkel.
Prof. Dr. Alexander Kritikos ist Forschungsdirektor der Querschnittsgruppe "Entrepreneurship" am
Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Er hat eine Professur an der Universität
Potsdam und ist Research Fellow am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA).
Dr. Daniela Schwarzer ist Leiterin des Europa-Programms des German Marshall Funds of the United
States und Non-Resident Senior Fellow der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-sa/3.0/
(http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)
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Wie kann Deutschland dazu beitragen, die EuroKrise zu beenden?
6x6 Fragen zur Euro-Krise
18.9.2015
Deutschland ist nicht nur das wirtschaftlich stärkste Land der Eurozone, es hat die Krise des
Währungsraums bislang auch unbeschadet überstanden. Was sollten die hiesige Politik und
Wirtschaft tun, um die Schwäche in anderen Staaten der Währungsunion zu überwinden? Sechs
Antworten.
Thomas Fricke, Wirtschaftsjournalist und Ökonom
Dr. Ulrike Guérot, European Democracy Lab
Ulrike Herrmann, Journalistin und Sachbuchautorin
Prof. Dr. Michael Hüther, Institut der deutschen Wirtschaft Köln
Prof. Dr. Alexander Kritikos, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)
Dr. Daniela Schwarzer, Europa-Programm des German Marshall Funds
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Über die Interviewpartnerinnen und -partner
Thomas Fricke ist Wirtschaftsjournalist und war von 2002 bis Ende 2012 Chefökonom der
Tageszeitung Financial Times Deutschland. Seit Dezember 2013 ist er Chief Economist der European
Climate Foundation und leitet das Internetportal WirtschaftsWunder.
Dr. Ulrike Guérot ist Politikwissenschaftlerin. Seit September 2014 leitet sie das European Democracy
Lab an der European School of Governance in Berlin und unterrichtet an der Europa-Universität
Viadrina in Frankfurt/Oder.
Ulrike Herrmann ist Wirtschaftskorrespondentin der tageszeitung in Berlin und Sachbuchautorin. 2013
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Prof. Dr. Michael Hüther ist Direktor und Mitglied des Präsidiums des Instituts der deutschen Wirtschaft
Köln und Honorarprofessor für Allgemeine Volkswirtschaftslehre an der European Business School
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Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Er hat eine Professur an der Universität
Potsdam und ist Research Fellow am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA).
Dr. Daniela Schwarzer ist Leiterin des Europa-Programms des German Marshall Funds of the United
States und Non-Resident Senior Fellow der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
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Handelt die EZB ohne demokratische Legitimation?
6x6 Fragen zur Euro-Krise
18.9.2015
Die Europäische Zentralbank hat mit Milliardensummen interveniert, um in Schieflage
geratenen Eurostaaten zu helfen. Vor allem in Deutschland glauben viele Kritiker, sie habe mit
der Geldflut ihre Kompetenzen überschritten. Zu Recht? Sechs Antworten.
Thomas Fricke, Wirtschaftsjournalist und Ökonom
Dr. Ulrike Guérot, European Democracy Lab
Ulrike Herrmann, Journalistin und Sachbuchautorin
Prof. Dr. Michael Hüther, Institut der deutschen Wirtschaft Köln
Prof. Dr. Alexander Kritikos, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)
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Über die Interviewpartnerinnen und -partner
Thomas Fricke ist Wirtschaftsjournalist und war von 2002 bis Ende 2012 Chefökonom der
Tageszeitung Financial Times Deutschland. Seit Dezember 2013 ist er Chief Economist der European
Climate Foundation und leitet das Internetportal WirtschaftsWunder.
Dr. Ulrike Guérot ist Politikwissenschaftlerin. Seit September 2014 leitet sie das European Democracy
Lab an der European School of Governance in Berlin und unterrichtet an der Europa-Universität
Viadrina in Frankfurt/Oder.
Ulrike Herrmann ist Wirtschaftskorrespondentin der tageszeitung in Berlin und Sachbuchautorin. 2013
erschien ihr Buch "Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam".
Prof. Dr. Michael Hüther ist Direktor und Mitglied des Präsidiums des Instituts der deutschen Wirtschaft
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Prof. Dr. Alexander Kritikos ist Forschungsdirektor der Querschnittsgruppe "Entrepreneurship" am
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Potsdam und ist Research Fellow am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA).
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States und Non-Resident Senior Fellow der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
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In welchen Ländern lauern neue Gefahren für den
Euro?
6x6 Fragen zur Euro-Krise
18.9.2015
Lange beschäftigte sich die Öffentlichkeit vor allem mit der Krise in Griechenland. Doch auch
anderen Staaten der Eurozone geht es nicht gut, möglicherweise droht von dort neues - und
schlimmeres - Unheil für die Währungsunion. Was ist da los? Sechs Antworten.
Thomas Fricke, Wirtschaftsjournalist und Ökonom
Dr. Ulrike Guérot, European Democracy Lab
Ulrike Herrmann, Journalistin und Sachbuchautorin
Prof. Dr. Michael Hüther, Institut der deutschen Wirtschaft Köln
Prof. Dr. Alexander Kritikos, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)
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Über die Interviewpartnerinnen und -partner
Thomas Fricke ist Wirtschaftsjournalist und war von 2002 bis Ende 2012 Chefökonom der
Tageszeitung Financial Times Deutschland. Seit Dezember 2013 ist er Chief Economist der European
Climate Foundation und leitet das Internetportal WirtschaftsWunder.
Dr. Ulrike Guérot ist Politikwissenschaftlerin. Seit September 2014 leitet sie das European Democracy
Lab an der European School of Governance in Berlin und unterrichtet an der Europa-Universität
Viadrina in Frankfurt/Oder.
Ulrike Herrmann ist Wirtschaftskorrespondentin der tageszeitung in Berlin und Sachbuchautorin. 2013
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Prof. Dr. Michael Hüther ist Direktor und Mitglied des Präsidiums des Instituts der deutschen Wirtschaft
Köln und Honorarprofessor für Allgemeine Volkswirtschaftslehre an der European Business School
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Prof. Dr. Alexander Kritikos ist Forschungsdirektor der Querschnittsgruppe "Entrepreneurship" am
Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Er hat eine Professur an der Universität
Potsdam und ist Research Fellow am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA).
Dr. Daniela Schwarzer ist Leiterin des Europa-Programms des German Marshall Funds of the United
States und Non-Resident Senior Fellow der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
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Wie kann die Eurozone künftig Krisen besser
vermeiden?
6x6 Fragen zur Euro-Krise
18.9.2015
Die Währungsgemeinschaft hat in den Jahren der Krise viele Reformen umgesetzt. Doch einigen
Experten reichen diese noch nicht aus. Sie fordern weitere grundlegende Änderungen für die
Eurozone. Welche könnten das sein? Sechs Antworten.
Thomas Fricke, Wirtschaftsjournalist und Ökonom
Dr. Ulrike Guérot, European Democracy Lab
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Über die Interviewpartnerinnen und -partner
Thomas Fricke ist Wirtschaftsjournalist und war von 2002 bis Ende 2012 Chefökonom der
Tageszeitung Financial Times Deutschland. Seit Dezember 2013 ist er Chief Economist der European
Climate Foundation und leitet das Internetportal WirtschaftsWunder.
Dr. Ulrike Guérot ist Politikwissenschaftlerin. Seit September 2014 leitet sie das European Democracy
Lab an der European School of Governance in Berlin und unterrichtet an der Europa-Universität
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Ulrike Herrmann ist Wirtschaftskorrespondentin der tageszeitung in Berlin und Sachbuchautorin. 2013
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Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Er hat eine Professur an der Universität
Potsdam und ist Research Fellow am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA).
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Herausforderungen der Währungsunion
21.2.2017
Unterschiedliche Lohnkosten, das umstrittene Anleihekaufprogramm der EZB und nicht zuletzt die
Frage, ob verschieden starke Volkswirtschaften überhaupt eine gemeinsame Währung bilden sollten:
Die Herausforderungen der Europäischen Währungsunion sind vielfältig. Die folgenden Debatten
bilden das Spektrum der Meinungen und Perspektiven ab.
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Sollten unterschiedlich starke Volkswirtschaften eine
Währungsgemeinschaft bilden?
30.10.2015
War es ein Geburtsfehler der Euro-Gründung, den schwachen und entwickelteren Staaten Europas
eine gemeinsame Währung zu geben? Die wohlhabenderen Länder des Nordens müssten deshalb
über kurz oder lang die Schulden der anderen bezahlen - das zumindest fürchten einige Ökonomen.
Andere betonen, der Nutzen der Mitgliedschaft für die stärkeren Länder übertreffe die Höhe möglicher
Ausgleichszahlungen bei weitem.
Reales Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf im Vergleich
Grafik als PDF-Version (http://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/170424_02_Grafik_Reales_BIP2015_mm.
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Ökonomische Zwänge und politische Illusionen der
Währungsunion
Von Henning Vöpel
12.10.2016
Prof. Dr. Henning Vöpel, Jahrgang 1972, ist seit 2014 Direktor und Mitglied der Geschäftsführung des Hamburgischen
WeltWirtschaftsInstituts (HWWI). Er ist verantwortlich für die Forschungsbereiche Konjunktur und Weltwirtschaft, weitere
Schwerpunkte sind Spieltheorie und Sportökonomie.
Die Hoffnung, eine gemeinsame Währung werde schon zu der notwendigen wirtschaftlichen
Konvergenz der Mitgliedsländer führen, hat sich offenkundig nicht erfüllt, meint der Hamburger
Ökonom Henning Vöpel. Für eine Währungsunion fehlen ihm in der Eurozone die nötigen
Institutionen.
Eine gemeinsame Währung einzuführen, kann für Volkswirtschaften durchaus sinnvoll sein. Wenn
man in ein Land mit gleicher Währung reist, dort einkauft oder investiert, muss man vorher nicht mehr
eigenes in fremdes Geld umtauschen. Auch das Risiko, dass sich der Wechselkurs ändern könnte,
entfällt – somit müssen sich auch Unternehmen innerhalb der Eurozone nicht mehr gegen
Wechselkursrisiken absichern. Eine gemeinsame Währung reduziert die Kosten, im jeweils anderen
Land wirtschaftliche Transaktionen durchzuführen. Je enger Volkswirtschaften miteinander verflochten
sind, desto sinnvoller ist es, eine Währungsunion zu gründen.
Eine gemeinsame Währung bedeutet aber auch, dass es zwischen den beteiligten Volkswirtschaften
keine Auf- oder Abwertung der Wechselkurse mehr gibt. Dafür müssen sich alle Mitgliedsländer einer
einheitlichen Geld- und Zinspolitik unterwerfen. Eine Volkswirtschaft, der es konjunkturell schlechter
als den übrigen Mitgliedsstaaten geht, kann folglich nicht mehr über eine Abwertung Exporte billiger
oder durch Zinssenkungen Investitionen attraktiver machen, um damit die Wirtschaft anzukurbeln.
Wechselkurs und Zins entfallen als Instrument, um konjunkturelle Unterschiede zwischen den Ländern
auszugleichen. Zwar könnten auch Lohn- und Preissenkungen die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen,
diese sind zumeist jedoch schwierig durchzusetzen. Es verbleibt dann nur die Fiskalpolitik, etwa die
vergleichsweise bequeme Erhöhung von Staatsausgaben als konjunkturpolitisches Instrument. Je
heterogener die Mitgliedsländer einer Währungsunion sind, desto nachteiliger ist es, eine gemeinsame
Währung zu teilen. Ein gemeinsamer Wechselkurs und Zinssatz können nicht für alle Länder
angemessen sein.
Volkswirtschaften, die in diesem Sinne hinreichend homogen sind, können gefahrlos eine
Währungsunion gründen, sie bilden – wie Ökonomen sagen – einen "optimalen Währungsraum". Nach
der Theorie optimaler Währungsräume, die schon in den 1960er-Jahren maßgeblich vom kanadischen
Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften Robert Mundell begründet worden ist, sollte eine
Währungsunion zudem nur dann gegründet werden, wenn zwischen den Mitgliedsländern die
grenzüberschreitende Mobilität der Arbeitskräfte hinreichend groß ist. Dann nämlich können sich die
wirtschaftlichen Ungleichgewichte durch Wanderung der Arbeitskräfte leichter abbauen.
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Entscheidend ist, wie unterschiedlich wirtschaftliche Dynamik und
Konjunkturzyklen sind
In der EU und somit auch innerhalb der Europäischen Währungsunion besteht zwar rechtlich die volle
Freizügigkeit der Arbeit, jedoch nicht faktisch. Vor allem Sprachbarrieren sind der Grund dafür, dass
Arbeitskräfte eben nicht so einfach über Grenzen hinweg wandern. Nach gängiger Auffassung bildet
die Europäische Währungsunion somit keinen optimalen Währungsraum. Als Beispiel dafür, dass eine
Währungsunion mit heterogenen Mitgliedsländern dennoch funktionieren kann, werden bisweilen die
USA genannt. Die Bundesstaaten dort weisen sehr unterschiedliche Pro-Kopf-Einkommen auf. Da es
aber keine Sprachbarrieren gibt, ist die Arbeitskräftemobilität sehr hoch. Insoweit stellen die USA im
Gegensatz zur Eurozone einen optimalen Währungsraum dar. Es ist demnach nicht entscheidend,
wie unterschiedlich die Niveaus zwischen den Mitgliedsländern sind, sondern wie unterschiedlich sich
die wirtschaftliche Dynamik und die Konjunkturzyklen vollziehen. Innerhalb der Eurozone war die
wirtschaftliche Dynamik zuletzt sehr unterschiedlich. Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit
konnten nicht abgebaut werden, sondern haben sich zu immer größeren Ungleichgewichten in den
Leistungsbilanzen aufgebaut.
Die No-Bailout-Klausel war nicht glaubwürdig durchsetzbar
Um zu verhindern, dass die Mitgliedsländer einfach über höhere Staatsausgaben und
Staatsverschuldung ihre konjunkturellen Probleme lösen, sind in den Maastricht-Verträgen Kriterien
der Haushaltsdisziplin festgelegt worden: Das Budgetdefizit darf nicht mehr als drei Prozent des
Bruttoinlandsprodukts betragen, die gesamte Staatsverschuldung nicht mehr als sechzig Prozent.
Gleichzeitig wurde die No-Bailout-Klausel in den Verträgen festgeschrieben, die besagt, dass es den
Mitgliedsländern nicht gestattet ist, untereinander für die Schulden des anderen einzutreten.
Reales Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf im Vergleich (Grafik zum Download (http://www.bpb.de/system/files/
dokument_pdf/170424_02_Grafik_Reales_BIP2015_mm.pdf)) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de (bpb)
Wie sich herausgestellt hat, war diese Klausel nicht glaubwürdig durchsetzbar. Kreditgeber haben
deshalb die wachsenden Schulden der Krisenländer bereitwillig finanziert. Die Kreditgeber und die
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Krisenländer hatten antizipiert, dass die Währungsunion schließlich doch gemeinschaftlich für die
Schulden haften würde, denn eine Staatsinsolvenz und ein möglicher Austritt eines Krisenlandes hätte
über systemische Ansteckungseffekte die gesamte Währungsunion gefährden können. Infolge des
dadurch induzierten Fehlanreizes (moral hazard) ist es über die Jahre zu wachsenden Schulden,
unterlassenen Reformen und sich sogar stetig steigernden Ungleichgewichten gekommen.
Die institutionellen Voraussetzungen für eine Währungsunion sind in
der Eurozone nicht gegeben
Ist nun eine heterogene und in diesem Sinne nicht-optimale Währungsunion notwendigerweise
instabil? Nein. Aber die institutionellen Voraussetzungen sind in der Eurozone nicht gegeben. Es gibt
zwei Optionen, die Währungsunion institutionell zu reformieren: Eine Fiskalunion könnte stabilisierend
wirken. Wenn die Mitgliedsländer wesentliche steuer- und finanzpolitische Hoheitsrechte nach Brüssel
abgäben, um Haushaltsdisziplin und Reformen durchzusetzen, müsste diese zentral von Brüssel
betriebene Politik aber demokratisch legitimiert werden. Nach den Erfahrungen der Krise ist die
Eurozone davon weiter denn je entfernt. Als Alternative zur Fiskalunion müssten die systemischen
Ansteckungsrisiken eines Austritts aus dem Euro deutlich gesenkt werden. Neben der Bankenunion
käme hierfür ein europäisches Staatsinsolvenzrecht in Frage, mit dem es möglich wäre, mit einem
geordneten Verfahren ein Land pleitegehen zu lassen und dessen Austritt aus der Währungsunion zu
ermöglichen. Ein solches Staatsinsolvenzrecht existiert jedoch bis heute nicht.
Insofern stehen wir in Europa derzeit vor der Situation, dass die Gründung einer Währungsunion als
nicht-optimaler Währungsraum die Integration eher gefährdet als befördert hat. Die politisch motivierte
Hoffnung, eine gemeinsame Währung werde zu der notwendigen wirtschaftlichen Konvergenz der
Mitgliedsländer führen, hat sich offenkundig nicht erfüllt. Ökonomische Zwänge lassen sich nicht durch
politische Stabilitätsversprechen außer Kraft setzen. Auch wenn die Gründung der Währungsunion
ein Fehler gewesen ist, erscheint der Einsatz für ihren Erhalt heute dennoch geboten. Eine Umkehr
auf halbem Weg könnte gefährlicher sein, als diesen konsequent weiterzugehen.
Standpunkt Ulrike Herrmann:
"Das wirtschaftliche Gefälle in der Eurozone ist also kein
Sonderfall. Wie die USA zeigen, müsste es eigentlich
verkraftbar sein, dass die Griechen pro Kopf auf nur
etwa 60 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung
kommen."
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Henning Vöpel für bpb.de
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Auch die D-Mark galt von Bayern bis MecklenburgVorpommern
Von Ulrike Herrmann
30.10.2015
Ulrike Herrmann, Jahrgang 1964, hat eine Lehre als Bankkauffrau absolviert. Sie ist Wirtschaftskorrespondentin der taz. Im
September 2016 erschien ihr Buch „Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung.
Die Krise der heutigen Ökonomie oder Was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können“.
Selbst bei einem starken ökonomischen Gefälle können Währungsräume funktionieren, sagt
die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann. Das Problem in der Eurozone sind für sie die
niedrigen Löhne in Deutschland.
Es erscheint widersinnig: Eine effiziente Industrienation wie Deutschland hat die gleiche Währung wie
das vergleichsweise rückständige Griechenland, das vor allem Oliven und Hotelbetten exportiert. Beide
Länder bezahlen in Euro, obwohl sie wenig gemeinsam haben.
Doch wäre es ein Missverständnis zu glauben, dass eine Währung nur funktioniert, wenn sie für ein
ziemlich homogenes Wirtschaftsgebiet gilt. Deutschland selbst ist dafür ein gutes Beispiel. Die D-Mark
galt bekanntlich von Mecklenburg-Vorpommern bis Bayern. Doch der ökonomische Abstand zwischen
beiden Bundesländern ist bis heute groß: In Mecklenburg-Vorpommern liegt die Wirtschaftsleistung
pro Kopf bei knapp 23.000 Euro – in Bayern sind es fast 40.000 Euro.
Diese Unterschiede lassen sich nicht allein auf die Wiedervereinigung zurückführen, sondern sind
typisch für Währungsräume. In den USA zahlen alle Bundesstaaten mit US-Dollar, aber die jährliche
Wirtschaftsleistung von Alabama liegt pro Kopf bei nur etwa 60 Prozent von Connecticut.
Das wirtschaftliche Gefälle in der Eurozone ist also kein Sonderfall. Wie die USA zeigen, müsste es
eigentlich verkraftbar sein, dass die Griechen pro Kopf auf nur etwa 60 Prozent der deutschen
Wirtschaftsleistung kommen.
Allerdings darf man nicht den Fehler machen zu glauben, eine Währungsunion würde automatisch
funktionieren. Sie muss richtig gesteuert werden, wenn man Turbulenzen wie die jetzige Euro-Krise
vermeiden will. Die Euro-Krise ist im Kern eine Wettbewerbskrise. Die Löhne in Griechenland, Portugal
und Spanien sind zu stark gestiegen, während umgekehrt die Deutschen ihre Löhne nach unten
gedrückt haben. Also wurden die deutschen Produkte im Vergleich immer billiger, während die
griechischen oder spanischen Güter zu teuer wurden.
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Man kann nicht eine Währungsunion gründen, ohne auch den Rest
der Politik zu vereinheitlichen
Das Ergebnis sind extreme Ungleichgewichte: Deutschland häuft enorme Exportüberschüsse an,
während fast alle anderen Euroländer wachsende Defizite im Außenhandel hatten und oft noch immer
haben. Wer dauerhaft mehr importiert als exportiert, muss Kredite im Ausland aufnehmen, um die
Einfuhren zu bezahlen. 2010 fiel dann auf, dass der griechische Staat, aber auch die spanischen
Banken überschuldet sind. Seither ist die Eurokrise akut.
Reales Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf im Vergleich (Grafik zum Download (http://www.bpb.de/system/files/
dokument_pdf/170424_02_Grafik_Reales_BIP2015_mm.pdf)) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de (bpb)
Der zentrale Fehler ist eigentlich banal: Man kann nicht eine Währungsunion gründen und damit die
Wechselkurse abschaffen – ohne auch den Rest der Politik zu vereinheitlichen. Um noch einmal in
die Zeit vor den Euro zurückzukehren: Damals hätte man einfach die Wechselkurse verändert, um die
Wettbewerbsprobleme zu lösen, die durch die unterschiedlichen Lohnentwicklungen entstehen. Die
Griechen hätten ihre Drachme und die Spanier ihre Peseta abgewertet, während umgekehrt die DMark aufgewertet hätte – und schon wären die abweichenden Lohnkosten wieder korrigiert worden
und die deutschen Exportüberschüsse weitgehend verschwunden.
Doch mit dem Euro ist es nicht mehr möglich, an den Wechselkursen zu drehen. Daher muss man
nun strikt darauf achten, dass die Lohnpolitik stimmt. Um ein gängiges Missverständnis zu vermeiden:
Damit ist nicht gemeint, dass die Gehälter in der ganzen Eurozone gleich hoch sein sollen. Im Gegenteil.
Die Löhne müssen die unterschiedliche Produktivität der Länder widerspiegeln – also die technische
Entwicklung. In Griechenland müssen die Löhne deutlich niedriger liegen als in Deutschland, weil das
Land kaum Industrie hat. Umgekehrt dürfen aber die Deutschen nicht einfach ihre Reallöhne senken,
sondern müssen die Gehälter regelmäßig erhöhen und an den technischen Fortschritt anpassen.
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Mittelfristig wird selbst Frankreich aus dem Euro gedrängt, weil es
nicht mehr gegen die Deutschen konkurrieren kann
Bisher sind die Deutschen jedoch nicht bereit, ihre Gehälter deutlich anzuheben. 2014 lagen die
Reallöhne nur knapp über dem Niveau von 2000 – während die Produktivität in dieser Zeit um etwa
20 Prozent angestiegen ist. Diese Zahlen mögen etwas abstrakt wirken, doch sie bedeuten, dass die
Eurokrise unvermindert weiter geht. Mittelfristig wird selbst Frankreich aus dem Euro gedrängt, weil
es nicht mehr gegen die Deutschen konkurrieren kann.
Das Problem der Eurozone ist also nicht, dass die Mitgliedsländer unterschiedlich weit entwickelt sind –
sondern dass die Löhne diese ökonomischen Realitäten nicht abbilden. In Griechenland waren die
Gehälter zu hoch, und in Deutschland sind sie immer noch zu niedrig.
Wenn es erst einmal zur Krise kommt, lassen sich die Folgen nicht so
leicht abfedern wie in einem Nationalstaat
Eine Währungsunion kann funktionieren, aber sie hat tatsächlich einen Nachteil: Wenn es erst einmal
zur Krise kommt, lassen sich die Folgen nicht so leicht abfedern wie in einem Nationalstaat. Die USA
ist wieder ein schönes Beispiel. In Florida ist es seit dem zweiten Weltkrieg bereits mehrfach zu
Immobilienblasen gekommen, weil auf Kredit mit Strandhäusern spekuliert wurde. Wäre Florida ein
eigener Staat gewesen, hätte es sich von diesem Irrsinn jahrzehntelang nicht erholt. Da es jedoch Teil
der USA war, kam stets schnelle Rettung: Die insolventen Banken mussten nicht von Florida allein
gerettet oder abgewickelt werden – und auch die Konjunktur wurde gestützt, weil viele Ausgaben wie
Renten oder Krankheitskosten von allen US-Staaten gemeinsam getragen werden.
In der Eurozone ist dies völlig anders: In einer Krise muss jedes Land seine Pleitebanken allein
abwickeln und seine Sozialausgaben kürzen. Die Wirtschaft schrumpft, die Arbeitslosigkeit schnellt in
die Höhe – und ein neuer Aufschwung rückt in weite Ferne.
Doch diese Schwierigkeiten bedeuten nicht, dass man den Euro aufgeben sollte. Richtig wäre, die
Eurozone noch stärker auszubauen – und zum Beispiel einen gemeinsamen Fonds zu schaffen, der
Krisenbanken abwickelt. Das Projekt Euro lohnt sich, und niemand hat davon so sehr profitiert wie die
Deutschen.
Standpunkt Henning Vöpel:
"Je heterogener die Mitgliedsländer einer
Währungsunion sind, desto nachteiliger ist es, eine
gemeinsame Währung zu teilen."
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Ulrike Herrmann für bpb.de
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Bedrohen unterschiedliche Lohnkosten die Stabilität
der Eurozone?
15.10.2014
In den divergierenden Lohnkosten sehen viele Experten eines der größten Hindernisse für das
Fortbestehen der Europäischen Währungsunion. Die gängige Sorge: Die geringen Lohnsteigerungen
und die daraus resultierenden niedrigen Lohnstückkosten führen zu hohen Ungleichgewichten in der
deutschen Außenhandelsbilanz, die wiederum zur Überschuldung der Krisenländer der Eurozone
führen. Während einige Fachleute betonen, der Anteil der Lohnkosten sei für hochindustrialisierte
Länder wie Deutschland immer mehr zu vernachlässigen, glaubt die andere Seite, das deutsche
"Lohndumping" zerstöre die Wettbewerbsfähigkeit Rest-Europas.
Lohnstückkosten in der Eurozone
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Löhne und Produktivität müssen sich gleich
entwickeln
Von Manfred J. M. Neumann
23.11.2014
Prof. Dr. Manfred J. M. Neumann, Jahrgang 1940, ist deutscher Ökonom und war Professor an der Universität Bonn. Er war einer
von 136 deutschen Wirtschaftsprofessoren, die der Europäischen Zentralbank kurz vor den Bundestagswahlen 2013 in einem Aufruf
eine rechtswidrige monetäre Staatsfinanzierung vorwarfen.
Wenn die Löhne in einem Land in zu kurzer Zeit über das Wachstum der Arbeitsproduktivität
hinaus steigen, verliert es dauerhaft an Wettbewerbsfähigkeit, sagt der Ökonom Manfred J. M.
Neumann. Lohnerhöhungen sollten daher stets mit der Produktivitätsentwicklung Schritt halten
und nicht durch Umverteilung beschleunigt werden.
Wenn Unternehmen vergleichbare Produkte gleicher Qualität herstellen und auf denselben Markt
bringen, dann werden nur jene Unternehmen im Wettbewerb um Kundinnen und Kunden bestehen,
die mit einem leistungsangemessenen Verkaufspreis auskommen. Ein Unternehmen, das aufgrund
interner Ineffizienz oder überhöhter Ansprüche seiner Belegschaft einen weit höheren Absatzpreis
benötigt, um seine Kosten decken zu können, wird Nachfrage verlieren. Das führt dazu, dass
Arbeitskräfte freigesetzt und vielleicht sogar ganz aufgegeben werden müssen, wenn es nicht
rechtzeitig zu Lohnanpassung und effizienzsteigerndem technisch-organisatorischen Fortschritt
kommt. In der Eurozone sind die Güter- und Dienstleistungsmärkte heute größer und offener als vor
Einführung des Euro, als noch viele Handelsschranken in Kraft waren. Daher ist der Wettbewerbsdruck
in der Eurozone heute weit stärker.
Für die Produktion vieler Güter bilden die Arbeitskosten einen bedeutenden Kostenfaktor. Diese haben
sich zwischen den Mitgliedsländern der Währungsunion über viele Jahre nicht enger angenähert,
sondern tendenziell auseinanderentwickelt. Dies gilt ganz prononciert für Griechenland auf der einen
und Deutschland auf der anderen Seite. Es ist auch in der Grafik zu erkennen: Jede Kurve zeigt hier,
wie sich in einem Mitgliedsland die durchschnittlichen Lohnkosten je Produkteinheit relativ zu den
gewichteten durchschnittlichen Lohnkosten der übrigen Mitgliedsländer der Eurozone verhalten haben.
Zugleich geben die Kurven für jedes Land an, wie sich diese Lohnkosten im Vergleich zu den 1990er
Jahren entwickelt haben.
"Nach einer alten Lohnregel ist das Ziel einer stabilen Entwicklung der
Volkswirtschaft, dass die Löhne mit der Arbeitsproduktivität steigen,
nicht stärker, aber auch nicht geringer."
In Griechenland sind nach dem Beitritt zur Eurozone 2001 im Verlauf eines enormen
Wirtschaftsaufschwungs Löhne und Preise explodiert. Die relativen Lohnstückkosten stiegen dort bis
2009 um fast 20 Prozent, in Italien waren es 15 Prozent. In Belgien und Frankreich legten sie um sechs
bis sieben Prozent zu, in Deutschland nahmen sie dagegen sogar um acht Prozent ab. Das geht
allerdings nicht allein auf die Entwicklung der Löhne zurück, sondern ebenso auf die unterschiedliche
Entwicklung der Arbeitsproduktivität.
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Lohnstückkosten in der Eurozone (Grafik zum Download (http://www.bpb.de/system/files/
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Wenn die Löhne um zehn Prozent steigen und ebenso die Arbeitsproduktivität, dann bleiben die
Lohnkosten je Produkteinheit unverändert. Sie steigen nur an, wenn die Löhne stärker als die
Arbeitsproduktivität zunehmen, und sie fallen, wie es in Deutschland über viele Jahre bis 2007 der
Fall war, wenn die Arbeitsproduktivität stärker steigt als die Löhne.
Nach einer alten Lohnregel ist das Ziel einer stabilen Entwicklung der Volkswirtschaft, dass die Löhne
mit der Arbeitsproduktivität steigen, nicht stärker, aber auch nicht geringer. Nehmen wir einmal
kontrafaktisch an, in allen Euro-Mitgliedsländern wäre diese Lohnregel befolgt worden, dann wären in
der Grafik die Kurven der relativen Lohnkosten horizontal verlaufen – also weder gestiegen noch
gefallen. Das hätte dann bedeutet, dass die Mitgliedsländer ihre relative Wettbewerbsposition im
Verlauf der Währungsunion unverändert gehalten hätten. Dann wäre kein Land so extrem
zurückgefallen, wie das für Griechenland fraglos zu konstatieren ist.
Es bedarf keiner ausführlichen Erläuterung, dass Länder mit etwa gleichartigen Entwicklungsniveaus
wie Deutschland und Frankreich erfolgreich in einer Währungsunion zusammenarbeiten können, mag
es auch gelegentlich zu Spannungen kommen. Dagegen ist es nicht offensichtlich, dass auch weniger
entwickelte Länder wie etwa Griechenland oder – nicht in der Grafik zu sehen – die Slowakei in einer
solchen Währungsunion auf Dauer erfolgreich mithalten können. Zwar betrugen beispielsweise 2013
die durchschnittlichen Arbeitskosten je Stunde in Griechenland nicht mehr als 13,60 Euro und in der
Slowakei sogar nur 8,50 Euro im Vergleich zu stolzen 31,30 Euro in Deutschland. Aber in diesen
Ländern ist auch die Arbeitsproduktivität weit geringer als hierzulande, weil es sowohl einzel- wie
gesamtwirtschaftlich an vielem fehlt: Etwa an Ausbildung, an Kapital, an Infrastruktur, um nur einige
Faktoren zu nennen. Das alles bremst die Entwicklung.
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"Solange in den Mitgliedsländern der Eurozone darauf geachtet wird,
die Lohn- und Einkommensansprüche im Rahmen der eigenen
Produktivitätsentwicklung zu halten, werden unterschiedliche
Lohnkosten nicht zu destabilisierenden Störfaktoren."
Solange in den Mitgliedsländern der Eurozone darauf geachtet wird, die Lohn- und
Einkommensansprüche im Rahmen der eigenen Produktivitätsentwicklung zu halten, werden
unterschiedliche Lohnkosten nicht zu destabilisierenden Störfaktoren. Ein besonderes Problem bildet
der verständliche Wunsch, möglichst schnell einen höheren Lebensstandard zu erreichen, und zwar
nicht einfach nur durch Leistung, sondern auch durch Umverteilung. Das kann dazu verleiten, die
Löhne in zu kurzer Zeit zu stark ansteigen zu lassen, und zwar über das Wachstum der
Arbeitsproduktivität hinaus. Wenn das in einem Land über viele Jahre hin zugelassen wird, dann verliert
es dauerhaft Wettbewerbsfähigkeit, kann daher nicht mehr hinreichend exportieren und muss sich bei
den Partnerländern immer stärker verschulden.
Das Ende kann die Zahlungsunfähigkeit sein.
Um solchen desaströsen Entwicklungen möglichst frühzeitig vorzubeugen, haben die Euroländer 2011
den Euro-Plus-Pakt vereinbart. Danach sollen jährlich Maßnahmen zur Verbesserung von
Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung vorgeschlagen werden. Leider ist keine Verbindlichkeit
vereinbart worden, daher dürfte der Pakt kaum größere Bedeutung erlangen.
Standpunkt Paul De Grauwe:
"In Frankreich, Italien und Belgien muss die Inflation
sinken, während Konsum und Löhne in Deutschland
anziehen sollten."
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Manfred J. M. Neumann für bpb.de
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Konsum und Löhne in Deutschland müssen
anziehen
Von Paul De Grauwe
23.11.2014
Prof. Paul De Grauwe, Jahrgang 1946, ist Professor für politische Ökonomie an der London School of Economics. Zwischen 1991
und 2003 saß er als Abgeordneter im belgischen Parlament.
Der politische Ökonom Paul De Grauwe ist überzeugt, dass Lohneinschnitte - insbesondere
im öffentlichen Dienst - unweigerlich zu einem starken Abfall des Konsums führen. Tiefgreifende
Rezessionen seien die Folge. Zudem hätten sich sinkende Lohnstückkosten selten in einer
verbesserten Wettbewerbsfähigkeit niedergeschlagen.
Die Grafik mit der Entwicklung der relativen Lohnstückkosten in ausgewählten Ländern zeigt eines
der Hauptprobleme, mit denen die Eurozone derzeit zu kämpfen hat. Es ist deutlich zu erkennen, dass
in den Jahren 2000 bis 2009 die Indizes systematisch auseinanderdriften. Länder wie Griechenland,
aber auch – nicht in der Grafik – Spanien und Irland erlebten in dieser Zeit einen starken ökonomischen
Boom, getrieben von hohem Konsum und einer Blasenbildung im Immobiliensektor. Dies führte zu
starken Steigerungen bei Preisen und Löhnen, die die Arbeitskosten im Vergleich zu anderen Ländern
der Eurozone, vor allem Deutschland, ansteigen ließen.
In Italien, Frankreich und Belgien lief es etwas anders. Die vergleichsweise Verteuerung der
Lohnstückkosten resultierte hier nicht aus einem wirtschaftlichen Aufschwung, sondern aus der
Verringerung des Produktivitätswachstums sowie der Unfähigkeit dieser Staaten, in Folge auch die
Löhne zu senken. Dementsprechend überflügelten die Lohnsteigerungen in diesen Ländern die
Produktivitätszuwächse. Als Folge stiegen die Lohnstückkosten im Vergleich zu anderen Staaten an –
vor allem im Vergleich zum ökonomisch potentesten Eurozonenstaat Deutschland. Hier passierte
genau das Gegenteil: Die Lohnzuwächse waren jahrelang geringer als die Produktionssteigerungen.
Deshalb sanken die Lohnstückkosten in Deutschland im Vergleich zu allen anderen Ländern der
Eurozone.
"Seit dem Crash im Jahr 2010 haben die Länder mit dem größten
Verlust an Wettbewerbsfähigkeit, also Griechenland, Spanien und
Irland, einen Prozess schmerzhafter Reformen erleiden müssen."
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Lohnstückkosten in der Eurozone (Grafik zum Download (http://www.bpb.de/system/files/
dokument_pdf/170426_13_Lohnstueckkosten_mm.pdf)) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de (bpb)
Unterschiedliche Lohnstückkosten sind wichtige Indikatoren für die Wettbewerbsfähigkeit eines
Landes. Ohne Zweifel waren die unterschiedlichen Bewegungen bei der Höhe der Lohnstückkosten
die wichtigsten Faktoren, die zwischen 2000 und 2009 von außen auf die Wettbewerbsfähigkeit
einwirkten. Länder mit sinkender Wettbewerbsfähigkeit hatten gleichzeitig zunehmend mit steigenden
Leistungsbilanzdefiziten zu kämpfen. Die Schuldenstände explodierten vielerorts förmlich, vor allem
in den Peripherieländern Griechenland, Spanien, Irland und Portugal. Deutschland dagegen sammelte
mit seiner stark gesteigerten Wettbewerbsfähigkeit stetig steigende Leistungsbilanzüberschüsse an –
und wurde zum größten Gläubiger der Eurozone. Als offensichtlich wurde, dass die Schuldenstände
der Defizitländer nicht nachhaltig sind, brach das System zusammen.
Seit dem Crash im Jahr 2010 haben die Länder mit dem größten Verlust an Wettbewerbsfähigkeit,
also Griechenland, Spanien und Irland, einen Prozess schmerzhafter Reformen erleiden müssen. Zu
dem Prozess innerer Abwertungen gehörten unter anderem harte Lohneinschnitte. Es zeigte sich,
dass darunter vor allem der öffentliche Dienst zu leiden hatte, nicht so stark betroffen war im Vergleich
dazu die Privatwirtschaft.
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"Während also der Wettbewerbseffekt der Reformen relativ gering
war, haben die Kürzungen in den öffentlichen Haushalten vor allem zu
einem starken Abfall des Konsums geführt. Eine direkte Folge daraus:
tiefgreifende Rezessionen."
Die sinkenden Lohnstückkosten haben in Griechenland seit 2010 kaum zu einer verbesserten
Wettbewerbsfähigkeit geführt als vielmehr vor allem zu sinkenden Löhnen und Gehältern im
öffentlichen Dienst. Ähnliches war in Spanien und Irland zu beobachten. Während also der
Wettbewerbseffekt der Reformen relativ gering war, haben die Kürzungen in den öffentlichen
Haushalten vor allem zu einem starken Abfall des Konsums geführt. Eine direkte Folge daraus:
tiefgreifende Rezessionen.
Der Kontrast zu den anderen Ländern in der Grafik ist frappierend. Weder in Frankreich noch in Italien,
Belgien und auch in Deutschland gab es seit 2010 bedeutende Anpassungen bei den Lohnstückkosten.
Als Ergebnis sind die Leistungsbilanzen auf einem vergleichbaren Niveau geblieben.
"Für Frankreich, Italien und Belgien bedeutet das, dass die Inflation
sinken muss, während Konsum und Löhne in Deutschland anziehen
sollten."
All das verheißt wenig Gutes für die Zukunft der Eurozone. Auf der einen Seite gibt es im Währungsraum
die Peripheriestaaten mit harten Einschnitten und daraus folgenden tiefen Rezessionen und hoher
Arbeitslosigkeit, während die Wettbewerbsfähigkeit hier gleichzeitig nur wenig zugenommen hat. Auf
der anderen Seite haben auch die großen Eurozonenländer Frankreich, Italien und Deutschland einige
Reformen unternommen – oder stehen kurz davor, es zu tun.
Für Frankreich, Italien und Belgien bedeutet das, dass die Inflation sinken muss, während Konsum
und Löhne in Deutschland anziehen sollten. Dennoch gibt es immer noch starke Widerstände gegen
solche unkomfortabel erscheinenden Anpassungen. Letztlich sind derartige Reformen in einer
Währungsunion unumgänglich. Ohne sie wird die Eurozone früher oder später wieder in eine Krise
taumeln. Fraglich, ob sie ein derartige Unwucht ein weiteres Mal aushält.
Standpunkt Manfred J. M. Neumann:
"Nach einer alten Lohnregel ist das Ziel einer stabilen
Entwicklung der Volkswirtschaft, dass die Löhne mit der
Arbeitsproduktivität steigen, nicht stärker, aber auch
nicht geringer."
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Paul De Grauwe für bpb.de
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Droht der Eurozone die Gefahr einer Deflation?
14.10.2014
Verbraucherinnen und Verbraucher halten sinkende oder nur schwach anziehende Preise generell für
etwas grundsätzlich Positives. Allerdings sorgt die schleppende oder sogar teilweise negative
Preisentwicklung in einigen Krisenländern derzeit für erhöhte Unruhe bei Ökonomen in Europa. Ist
das gerechtfertigt?
Harmonisierte Verbraucherpreisindizes (HVPI)
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Schon "Lowflation" ist problematisch
Von Peter Bofinger
23.11.2014
Prof. Dr. Peter Bofinger, Jahrgang 1954, ist Ökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg. Seit März
2004 ist er Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ("Wirtschaftsweiser").
Peter Bofinger plädiert dafür, die aktuelle Inflationsentwicklung nicht zu verharmlosen und das
Risiko einer Deflation ernst zu nehmen. Das Mitglied des Sachverständigenrates fordert, dass
insbesondere Deutschland Möglichkeiten für zusätzliche Staatsausgaben in den Bereichen
Infrastruktur, Umweltschutz, erneuerbare Energien und Bildung nutzen solle, um deflationären
Tendenzen entgegenzuwirken.
Nachdem von vielen sogenannten Experten jahrelang die
Inflationsgefahr für den Euroraum beschworen wurde, beherrscht
nun das Risiko einer Deflation die geldpolitische Diskussion.
Ausschlaggebend hierfür ist die sehr niedrige Inflationsrate des
Euroraums, die mit 0,4 Prozent nun schon seit mehreren Monaten
deutlich unter dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von
"unter, aber nahe bei zwei" Prozent liegt.
Selbst wenn die Inflationsrate nicht weiter absinken würde, ist ein
so geringer Anstieg des Preisniveaus – man spricht hierbei auch
von "Lowflation" – äußerst problematisch. Bei der hohen
Verschuldung vieler Staaten und auch vieler privater Kreditnehmer
Peter Bofinger (© picture-alliance/
bedeutet eine sehr niedrige Inflationsrate, dass es sehr viel
dpa)
schwieriger wird, aus der Verschuldung herauszuwachsen als bei
einer dem Ziel der EZB entsprechenden Inflationsrate von zwei Prozent. Die Effekte sind selbst über
einen kürzeren Zeitraum beachtlich: ein Betrag von 1.000.000 Euro ist nach zehn Jahren preisbereinigt
nur noch rund 804.000 Euro wert, wenn die Inflationsrate bei zwei Prozent liegt. Bei "Lowflation", also
einer Inflationsrate von 0,5 Prozent, sind es dagegen preisbereinigt immerhin noch rund 947.000 Euro.
Auch die Angleichung der Lohnniveaus innerhalb des Euroraums, die zur Verbesserung der
Wettbewerbsfähigkeit in den Problemländern erforderlich ist, lässt sich bei einer Inflationsrate von zwei
Prozent einfacher erreichen als mit "Lowflation". Im ersten Fall genügt es, wenn in den
wettbewerbsschwachen Ländern die Löhne nicht ansteigen. Im zweiten Fall ist eine Lohnsenkung, die
immer mit großen Widerständen verbunden ist, unvermeidlich.
bpb.de
Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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"Das Grundproblem des Euroraums besteht darin, dass die
Austarierung der im vergangenen Jahrzehnt aufgetretenen
Ungleichgewichte asymmetrisch erfolgt."
Aber man kann nicht ausschließen, dass es im Euroraum über die "Lowflation" hinaus sogar zu einer
Deflation kommt. Auf keinen Fall sollte man sich damit beruhigen, dass die Inflationsprognosen eine
solche Entwicklung derzeit nicht vorhersagen. Die Erfahrung der beiden letzten Jahre zeigt, dass diese
Prognosen erhebliche Schwächen aufweisen. So hatte der Survey of Professional Forecasters (http://
www.ecb.europa.eu/stats/prices/indic/forecast/html/index.en.html) im März 2013 für das Jahr 2014
noch mit einem Preisanstieg im Euroraum von 1,8 Prozent gerechnet.
Harmonisierte Verbraucherpreisindizes (HVPI) (Grafik zum Download (http://www.bpb.de/system/files/
dokument_pdf/170425_09_Verbraucherpreisindizes_HVPI_FINAL_mm.pdf)) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de (bpb)
Das Grundproblem des Euroraums besteht darin, dass die Austarierung der im vergangenen Jahrzehnt
aufgetretenen Ungleichgewichte asymmetrisch erfolgt. Nach den Vorstellungen der deutschen
Wirtschaftspolitik liegt es allein bei den Problemländern, mittels Haushaltskonsolidierung und
restriktiver Lohnpolitik wieder wettbewerbsfähiger zu werden und sich zugleich wieder das Vertrauen
der Kapitalanleger zu verschaffen. Aktive deutsche Beiträge durch expansive Fiskalpolitik und
kräftigere Lohnerhöhungen in Deutschland sind nicht vorgesehen. Diese Asymmetrie lässt sich an den
aktuellen Inflationsraten gut erkennen. Zwar weisen Griechenland und Portugal eine leichte Deflation
auf, und in Spanien liegt die Inflationsrate bei null Prozent. Aber in Deutschland, das die
Konjunkturlokomotive des Euroraums bilden soll, bewegt sich der Preisanstieg mit 0,8 Prozent nicht
über, sondern ebenfalls unter den Zielwert der Europäischen Zentralbank.
bpb.de
Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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"In Anbetracht des nicht unerheblichen Deflationsrisikos ist die
Europäische Zentralbank gut beraten, eine proaktive Geldpolitik zu
verfolgen. Für die Geldpolitik ist die Deflation sehr viel
problematischer als die Inflation."
Diese deflationären Tendenzen könnten jederzeit noch dadurch verstärkt werden, dass der Euro stärker
gegenüber dem US-Dollar aufwertet. Dass eine solche Entwicklung nicht völlig unplausibel ist, belegen
die Erfahrungen Japans, das in den beiden vergangenen Jahrzehnten trotz einer deflationären
Preisentwicklung immer wieder mit erheblichen Dollar-Aufwertungen konfrontiert wurde.
In Anbetracht des nicht unerheblichen Deflationsrisikos ist die Europäische Zentralbank gut beraten,
eine proaktive Geldpolitik zu verfolgen. Für die Geldpolitik ist die Deflation sehr viel problematischer
als die Inflation. Eine Notenbank kann eine Inflation grundsätzlich sehr gut in den Griff bekommen, da
für die Zinspolitik nach oben keine Grenzen gesetzt sind. Im Fall der Deflation enden ihre
Handlungsmöglichkeiten jedoch an der Null-Zins-Grenze. Wenn die Deflation Fahrt aufnimmt, wird die
Wirtschaft mit einem gefährlichen Teufelskreis konfrontiert: Je höher die Deflationsrate ist, desto höher
ist auch der Realzins, das heißt der Nominalzins abzüglich Inflationsraten. Eine in einem Abwärtsstrudel
befindliche Wirtschaft, die sinkende Realzinsen benötigen würde, wird dann mit steigenden Realzinsen
konfrontiert.
"Es wäre also gefährlich, die aktuelle Inflationsentwicklung zu
verharmlosen"
Nach einer Phase mit steigender privater und öffentlicher Verschuldung ist die Deflation besonders
gefährlich. Relativ zu den Einkommen steigt die Verschuldung dann immer weiter an und macht es
Schuldnern immer schwerer, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Dies gefährdet die Stabilität des
Banken- und damit des gesamten Finanzsystems.
Es wäre also gefährlich, die aktuelle Inflationsentwicklung zu verharmlosen und darauf zu vertrauen,
dass es ganz von selbst wieder zu einer Preisentwicklung kommt, die dem Zielwert der Europäischen
Zentralbank entspricht. Wenn das Kind einmal in den Brunnen gefallen ist, ist es bekanntlich sehr
schwierig, es unversehrt wieder herauszuholen.
Allerdings sollte man bei der Deflationsvermeidung nicht nur auf die Geldpolitik setzen. Diese verfügt
schon jetzt kaum noch über nennenswerte Handlungsspielräume. Zielführender wäre es, wenn es zu
einer symmetrischeren Fiskalpolitik im Euroraum kommen würde. Insbesondere Deutschland sollte
sehr viel mehr die Möglichkeiten für zusätzliche Staatsausgaben in den Bereichen Infrastruktur,
Umweltschutz, erneuerbare Energien und Bildung nutzen. In Anbetracht der extrem niedrigen Zinsen
spräche nichts dagegen, diese Investitionen über öffentliche Kredite zu finanzieren.
Standpunkt Thomas Mayer:
"Droht der Eurozone die Gefahr einer Deflation? Meine
Antwort auf diese Frage ist eindeutig: Nein."
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Peter Bofinger für bpb.de
bpb.de
Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Eine negative Inflationsrate ist noch lange keine
Deflation
Von Thomas Mayer
23.11.2014
Dr. Thomas Mayer, Jahrgang 1954, war Chefökonom der Deutschen Bank und im Sommer 2014 Gründungsdirektor des Thinktanks
des Kölner Vermögensverwalters Flossbach von Storch.
Für den Ökonomen Thomas Mayer ist eine Deflation sehr unwahrscheinlich, solange die
Zentralbanken die umlaufende Geldmenge weiter erhöhen. Ein Verfall der Preise für Güter und
Vermögenswerte sei im Euro-Raum nicht zu sehen. Kosten- und Preissenkungen in den
Krisenländern seien wiederum wichtig, um deren Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen.
Droht der Eurozone die Gefahr einer Deflation? Meine Antwort auf
diese Frage ist eindeutig: Nein. Dies will ich im Folgenden
begründen, indem ich eine Reihe von vorgelagerten Fragen
diskutiere: Was verstehe ich unter Deflation? Wie kommt es zur
Deflation? Was sind die Konsequenzen von Deflation? Warum ist
die Inflation im Euroraum so niedrig? Warum ist trotz niedriger und
zum Teil sogar negativer Raten für die Konsumentenpreisinflation
eine Deflation in der Eurozone unwahrscheinlich?
Was ich unter Deflation verstehe
Das Gespenst der Deflation geht um in Europa. Auslöser ist der
Fall der Konsumentenpreise weit unter den Zielwert der EZB, der
unter, aber nahe bei zwei Prozent liegt. Doch macht eine Schwalbe bekanntlich keinen Frühling, und
eine negative Inflationsrate ist noch lange keine Deflation. Diese tritt dann auf, wenn die Preise auf
breiter Front und über einen längeren Zeitraum fallen, oder anders ausgedrückt, wenn die Kaufkraft
des Geldes steigt. Es ist daher eine unzulässige Verkürzung, allein die Konsumentenpreise zu
betrachten. In einer Deflation steigt die Kaufkraft des Geldes auch für reale Vermögenswerte, das
heißt, die Preise für diese Werte sinken ebenfalls.
(© picture-alliance)
Wie es zur Deflation kommt
In unserem Kreditgeldsystem produzieren die Banken privates Schuldgeld, indem sie Kredite vergeben
und den Kreditbetrag dem Girokonto des Kreditnehmers gutschreiben. Dieses von den Banken
produzierte Schuldgeld wird auch Innengeld genannt. Daneben produziert die Zentralbank Bargeld
und leiht den Banken Reservegeld für Zahlungen untereinander. Das von der Zentralbank produzierte
Geld wird Außengeld genannt. Das Außengeld passt sich der Nachfrage an, die durch die Produktion
von Innengeld getrieben wird.
Eine Finanzkrise entsteht, wenn Kredite massenweise ausfallen. Schreiben die Banken diese Kredite
ab, vernichten sie das mit ihnen geschaffene Innengeld. Wenn nun die Zentralbank das Außengeld
nicht aktiv ausweitet, schrumpft die gesamte Geldmenge. Wenn Geld knapper wird, steigt seine
Kaufkraft. Dies drückt sich darin aus, dass die Preise für Güter und Vermögenswerte auf breiter Front
sinken.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Die Konsequenzen von Deflation
Thomas Mayer (© picture-alliance)
Oft wird behauptet, dass Deflation die Konsumenten veranlasst, Ausgaben in Erwartung sinkender
Preise zurückzuhalten. Dadurch entstünde eine Spirale von sinkenden Preisen und sinkender
Nachfrage. Entsprechende Untersuchungen widerlegen allerdings diese Behauptung. Ein weiteres
Indiz, das gegen diese Behauptung spricht, ist, dass in Japan auch in den Jahren der Deflation die
Sparquote der privaten Haushalte fiel.
Unbestritten ist dagegen, dass Deflation ausstehende Schulden in preisbereinigter Größe gemessen
steigen lässt. Wenn die realen Einkommen nicht gleichermaßen wachsen, kann es zu Schwierigkeiten
beim Schuldendienst kommen. Im schlimmsten Fall brechen so viele Schuldner unter einer steigenden
realen Schuldenlast zusammen, dass sie ihre Gläubiger mit in die Zahlungsunfähigkeit ziehen.
Schulden werden dann in einem depressiven wirtschaftlichen Umfeld durch Bankrott abgebaut. Irving
Fisher, ein bekannter Ökonom, der die Weltwirtschaftskrise miterlebte, prägte dafür den Begriff der
Schuldendeflation.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Warum die Inflation im Euroraum so niedrig ist
Seit die Inflation im Euroraum auf neue Tiefstände gefallen ist, fürchten sich viele Beobachter vor
Deflation. Ein breiter Verfall der Preise für Güter und Vermögenswerte ist aber nicht zu sehen. Im
Gegenteil: Der 600 im Euroraum ansässige Unternehmen umfassende Aktienpreisindex EURO STOXX
600 ist seit Ende 2008 um rund 47 Prozent gestiegen. In Deutschland steigen zudem die
Immobilienpreise. Auch ist der Rückgang der Konsumentenpreisinflation innerhalb der Eurozone recht
unterschiedlich. So reichten im Juli 2014 die Inflationsraten im Vergleich zum Vorjahr von 1,7 Prozent
in Österreich über 0,8 Prozent in Deutschland bis hin zu -0,8 Prozent in Griechenland. Ein wesentlicher
Grund für niedrige oder negative Raten sind Kosten und Preissenkungen in den Krisenländern zur
Wiederherstellung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Für Griechenland, Irland, Portugal und
Spanien, also Länder mit Anpassungsprogrammen, betrug die durchschnittliche Inflationsrate im Juli
2014 minus 0,4 Prozent. Dadurch erreichen diese Länder eine Abwertung ihres sogenannten "inneren
Wechselkurses" gegenüber anderen Ländern. Die Konsumentenpreisinflation in der gesamten
Eurozone würde nur dann nicht fallen, wenn in diesen anderen Ländern zum Ausgleich die Inflationsrate
kräftig steigen würde. Dagegen scheinen sich die Vertreter dieser Länder im Rat der Europäischen
Zentralbank heftig zu wehren.
Warum trotz niedriger und zum Teil sogar negativer Raten für die
Konsumentenpreisinflation eine Deflation in der Eurozone
unwahrscheinlich ist
Wie eingangs beschrieben entsteht Deflation durch Geldmangel. In einem Kreditgeldsystem kann es
zur Geldvernichtung kommen, wenn von den Banken über Kreditvergabe geschaffenes Innengeld
durch den Ausfall fauler Kredite vernichtet und nicht durch die Zentralbank mit neuem Außengeld
ersetzt wird. Dies war in den 1930er Jahren der Fall. In den USA sank die Geldmenge M1 (Bargeld
und Sichteinlagen) zwischen 1929 und 1933 um mehr als 25 Prozent. Dagegen haben die
Zentralbanken heute ihre Bilanzen und damit das von ihnen produzierte Außengeld stark ausgeweitet.
Seit 2007, dem Jahr in dem die Finanzkrise begann, hat sich das Bilanzvolumen der US-Zentralbank
Federal Reserve und der Bank von England verfünffacht, das der Bank von Japan und der EZB hat
sich immerhin verdoppelt.
Dank dieser Aktion ist die gesamte Geldmenge M3 (M1 und einige länger laufende
Bankverpflichtungen) seit 2007 nicht wie in den 1930er Jahren gefallen, sondern gestiegen, und zwar
um 55 Prozent in den USA und um 15 Prozent in der Eurozone. Jüngst hat sich die Inflation in den
USA beschleunigt, im Euroraum aber verlangsamt. Die Reaktion der Zentralbanken bestand darin,
dass die Federal Reserve einen weniger expansiven, die EZB dagegen einen expansiveren Kurs in
der Geldpolitik eingeschlagen haben. Solange die Zentralbanken alles daran setzen, die umlaufende
Geldmenge trotz Abschreibungen fauler Bankkredite weiter zu erhöhen, ist eine Deflation sehr
unwahrscheinlich.
Standpunkt Peter Bofinger:
"Das Grundproblem des Euroraums besteht darin, dass
die Austarierung der im vergangenen Jahrzehnt
aufgetretenen Ungleichgewichte asymmetrisch erfolgt."
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Thomas Mayer für bpb.de
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Ist das Anleihekaufprogramm der Europäischen
Zentralbank sinnvoll?
15.10.2014
Im Sommer 2012 sprach der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, den
berühmten Satz, er werde im Rahmen des EZB-Mandats "alles tun", was nötig ist, um den Euro zu
retten, also die Währungsunion vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren. Kurz darauf beschloss
der EZB-Rat ein OMT (Outright Monetary Transactions) genanntes Programm. Es beinhaltet die
Selbstermächtigung, aber nicht die Selbstverpflichtung, in unbegrenztem Umfang kurzlaufende
Staatsanleihen aufzukaufen, wenn die Finanzmärkte massiv auf ein Auseinanderbrechen der
Währungsunion spekulieren sollten. Das Bundesverfassungsgericht hat Zweifel an der Vereinbarkeit
dieses Programms mit dem Grundgesetz geäußert und die Frage dem Europäischen Gerichtshof
vorgelegt.
Harmonisierte Verbraucherpreisindizes (HVPI) (Grafik zum Download (http://www.bpb.de/system/files/
dokument_pdf/170425_09_Verbraucherpreisindizes_HVPI_FINAL_mm.pdf)) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de (bpb)
bpb.de
Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Die Konstruktion der Währungsunion fördert
Panikattacken
Von Ulrike Herrmann
23.11.2014
Ulrike Herrmann, Jahrgang 1964, hat eine Lehre als Bankkauffrau absolviert. Sie ist Wirtschaftskorrespondentin der taz. Im
September 2016 erschien ihr Buch „Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung.
Die Krise der heutigen Ökonomie oder Was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können“.
Für Ulrike Herrmann ist die Eurozone falsch konstruiert. Es funktioniere nicht, eine gemeinsame
Währung zu haben, aber 18 verschiedene Staatsanleihen. Das habe es noch nie in der langen
Geschichte des Geldes gegeben – und fördere Panik auf den Finanzmärkten.
Die Europäische Zentralbank muss die Möglichkeit haben, Staatsanleihen aufzukaufen, weil sonst der
Euro auseinanderbricht. Sie muss auf den Finanzmärkten intervenieren können, denn die Eurozone
ist falsch konstruiert. Es funktioniert nicht, eine gemeinsame Währung zu haben, aber 18 verschiedene
Staatsanleihen. Das gab es noch nie in der langen Geschichte des Geldes – und nun erweist es sich
als fatal. Die verheerende Wirkungskette lässt sich sehr gut am Beispiel Italiens studieren, das ab
2011 von panischen Investoren in Richtung Pleite getrieben wurde, obwohl es eigentlich ein
wirtschaftlich gesundes Land war und ist. Diese Beschreibung mag manchen Deutschen wundern.
Doch Fakt ist: Italiens Banken sind stabil und haben die US-Finanzkrise bestens überstanden, weil
sie – anders als viele deutsche Institute – keine letztlich wertlosen amerikanischen Schrottpapiere
aufgekauft hatten. Zudem sind Italiens Staatsschulden zwar hoch, aber nicht neu, sondern werden
seit mehr als 20 Jahren mitgeschleppt und verlässlich bedient.
"Ein solcher Teufelskreis ist nur möglich, weil die Investoren zwischen
18 Staatsanleihen wählen können, die alle auf Euro lauten."
bpb.de
Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
46
(© picture-alliance/dpa)
Italien ist also nicht Griechenland, das tatsächlich pleite ist, weil es jahrelang viel zu hohe Schulden
im Ausland aufgenommen hat. Aber diese objektiven Unterschiede zwischen den beiden Ländern
interessierten die Investoren nicht mehr. Als im Juli 2011 für Griechenland ein erster Schuldenschnitt
diskutiert wurde, fürchteten sie, dass auch andere Euroländer konkursreif seien. Also verkauften sie
hektisch ihre italienischen Staatsanleihen und erwarben dafür deutsche Papiere, die ihnen sicherer
erschienen. Das Gesetz von Angebot und Nachfrage begann zu wirken: Die Zinsen für italienische
Staatsanleihen stiegen auf über sieben Prozent, weil kaum noch jemand die italienischen
Staatsanleihen erwerben wollte. Umgekehrt wurde die deutsche Regierung mit Geld überschwemmt –
und musste für einen zehnjährigen Kredit nur noch 1,4 Prozent bieten.
Die hohen Zinsen waren für Italien jedoch tödlich, weil im Staatshaushalt gekürzt werden musste, was
die Wirtschaft schrumpfen ließ, was wiederum die Staatsverschuldung erhöhte. Dabei sollte diese
doch eigentlich gesenkt werden. Italien geriet in einen Teufelskreis, der die Panik der Investoren erst
recht schürte. Ein solcher Teufelskreis ist nur möglich, weil die Investoren zwischen 18 Staatsanleihen
wählen können, die alle auf Euro lauten. Die Anleger können sich von ihren italienischen Papieren
trennen und dafür deutsche Anleihen kaufen, ohne dass sie einen Wertverlust erleiden. Sie behalten
immer Euro.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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"In der Eurozone fehlt die Bremse namens Währungsrisiko, weil die
Anleger von einem Euroland zum nächsten springen können."
Diese Konstruktion der Währungsunion fördert Panikattacken. Dies zeigt ein Vergleich mit
Großbritannien, das bekanntlich sein Pfund noch besitzt. Stellen wir uns einmal vor, dass viele
Investoren plötzlich Sorge hätten, dass die britische Wirtschaft kollabieren könnte. Also würden sie
versuchen, ihre britischen Staatsanleihen schnellstmöglich abzustoßen, was natürlich Kursverluste
bei diesen Papieren bedeuten würde. Doch was sollten die Anleger mit den Pfund machen, die sie
beim Verkauf der Anleihen erhalten? Sie könnten das Geld zwar in Dollar oder Euro tauschen, doch
würde das Pfund sofort abstürzen, wenn viele Anleger gleichzeitig von der Insel fliehen wollten. Die
Investoren hätten also einen doppelten Kursverlust zu verkraften: erst bei den britischen Staatsanleihen
und dann beim Pfund. Die Panikattacke würde zu teuer – und daher automatisch enden. In der Eurozone
hingegen fehlt die Bremse namens Währungsrisiko, weil die Anleger von einem Euroland zum nächsten
springen können.
Noch wichtiger: Anders als Italien besitzt Großbritannien eine eigene Notenbank, die sofort eingreift,
wenn die Investoren in Panik geraten. Die Anleger können sich darauf verlassen, dass die Bank of
England im Notfall britische Staatsanleihen aufkauft. Die Investoren wissen also, dass sie ihr Geld
garantiert zurückbekommen – und werden gar nicht erst panisch.
"Geld entsteht nicht bei der Zentralbank – sondern in dem Moment, in
dem Privatbanken einen Kredit vergeben und ihn auf das Girokonto
ihrer Kundinnen und Kunden buchen."
Die Europäische Zentralbank hingegen hat sich lange gesträubt, Staatsanleihen aufzukaufen, weil vor
allem die Deutsche Bundesbank fürchtete, dass es eine Inflation auslösen könnte, wenn die Notenbank
Geld "druckt". Diese Angst ist völlig abwegig. Geld entsteht nicht bei der Zentralbank – sondern in dem
Moment, in dem Privatbanken einen Kredit vergeben und ihn auf das Girokonto ihrer Kundinnen und
Kunden buchen. Momentan nehmen jedoch weder Verbraucher noch Firmen Darlehen auf, weil fast
überall Krise herrscht. Die in der Eurozone umlaufende Geldmenge stagniert oder schrumpft sogar
leicht. Europa steuert nicht auf eine Inflation zu – sondern auf eine Deflation. Die Preise sinken in
vielen Ländern, weil die Fabriken leer stehen und sich die Unternehmen Rabattschlachten liefern.
Trotzdem zögerte die Europäische Zentralbank viel zu lange und griff erst im Juli 2012 entschieden
ein. Damals kündigte EZB-Chef Mario Draghi in einer Rede an, dass man "alles" tun würde, um den
Euro zu retten. Die Investoren wussten sofort, was mit diesem kurzen Satz gemeint war: Ab jetzt würde
die Notenbank unbegrenzt Staatsanleihen aufkaufen, um die Zinsen für Italien oder auch für Spanien
nach unten zu drücken. Die Panik verebbte sofort, so dass die EZB keine einzige Staatsanleihe
erwerben musste. Reine Psychologie hatte ausgereicht, um die Anleger zu beruhigen.
Standpunkt Norbert Häring:
"Wenn die EZB bereit wäre, Geld an den Banken vorbei
in Umlauf zu bringen, hätte sie viele Möglichkeiten,
jederzeit und sofort die Kreditklemme zu lösen."
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Ulrike Herrmann für bpb.de
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Die EZB handelt gegen die Interessen der Bürger
Von Norbert Häring
23.11.2014
Dr. Norbert Häring, Jahrgang 1963, ist Wirtschaftswissenschaftler und Redakteur des Handelsblatts, Autor populärer
Wirtschaftsbücher und Betreiber des Weblogs
Geld-und-mehr.eu(http://www.Geld-und-mehr.eu/)
Monetäre Krisen lassen sich jederzeit mit monetären Mitteln entschärfen - dieser Überzeugung
ist der Journalist Norbert Häring. Der EZB wirft er vor, dass die Regierungen von Krisenstaaten
sich effektiver gegen destruktive Finanzspekulation hätten wehren können, wenn die
Zentralbank nicht auf dem Primat der Anleihemärkte bestanden hätte.
Mit der Ankündigung, notfalls so viele Staatsanleihen zu kaufen wie nötig, hat die Europäische
Zentralbank 2012 die Gefahr beseitigt, dass die Finanzspekulation auf ein Ende der Währungsunion
genau dieses Ende herbeiführt. Jede Regierung, die am Anleihemarkt kein Geld mehr zu bezahlbaren
Konditionen bekommt, kann nun auf Hilfe der EZB rechnen. Allerdings nur, wenn sie ein
Reformprogramm beschließt, an dessen Aufstellung und Überwachung die Notenbank regelmäßig
beteiligt ist.
Ihren erklärten Zweck hat die Ankündigung des sogenannten OMT-Programms (Outright Monetary
Transactions)[1] erfüllt. Aber es gab und gibt andere Möglichkeiten, die den nicht gewählten Bankern
in der EZB weniger Macht über das Regierungshandeln gäben. Der Erfolg der OMT-Ankündigung hat
gezeigt: Eine monetäre Krise wie diese lässt sich leicht mit monetären Mitteln entschärfen. Und zwar
jederzeit. Willem Buiter, früheres Mitglied der Bank von England und seit 2010 Chefvolkswirt der
Citigroup hat es auf den Punkt gebracht: "Deflation, Inflation, zu niedrige Inflation, Liquiditätsfallen und
wirtschaftliche Stagnation aufgrund von Nachfragemangel sind unnötig. Es gibt sie, weil man sich
dafür entscheidet", schreibt er in einem Strategiepapier.
Anstatt die Krise ernsthaft anzugehen, hat die EZB sich darauf beschränkt, nur dann einzugreifen,
wenn die Währungsunion ernsthaft in Gefahr gerät. Ansonsten hat sie die Misere der Eurozone nur
genutzt, um ihre demokratisch nicht legitimierte Vorstellung von guter Wirtschaftspolitik durchzusetzen.
Sie war beteiligt an der Konzipierung und Durchsetzung von Wirtschaftsreformen und Sparmaßnahmen
in Krisenländern der Währungsunion. Dazu ließen sich Parlamente der Krisenländer nur nötigen, weil
die EZB auf eine Entschärfung der Finanzkrise verzichtete. Es herrschte nie ein Zweifel daran, dass
der "Reformeifer" schnell erlahmt wäre, wenn die EZB die Finanzkrise gelöst hätte. Das wurde und
wird offen so diskutiert. Die EZB schrieb ungeniert herrische Briefe an die Regierungschefs von Italien
und Spanien. Deren Inhalt: wirtschaftspolitische Bedingungen dafür, dass die EZB im Rahmen eines
inzwischen eingestellten OMT-Vorläuferprogramms deren Anleihen kauft. So würde es auch wieder
werden, wenn das OMT-Programm zum Einsatz käme. Das ist undemokratisch und verfassungswidrig.
bpb.de
Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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"Wie könnte die EZB die Krise beenden? Das setzt den Bruch mit
einem Dogma und einer selbst gewählten Beschränkung voraus."
Rendite zehnjähriger Staatsanleihen
Grafik als PDF-Version (http://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/170425_06_Rendite_Staatsanleihen_mm.
pdf) (bpb) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de
Wie könnte die EZB die Krise beenden? Das setzt den Bruch mit einem Dogma und einer selbst
gewählten Beschränkung voraus. Das Dogma: Die EZB setzt erklärtermaßen auf den Anleihemarkt
als Disziplinierungsorgan für die Regierungen. Mit seiner Ankündigung, zu tun, "whatever it takes",
wollte Draghi die Zinsen, die die Finanzminister der Eurozone auf die Staatsanleihen ihrer Länder
zahlen, auf ein möglichst niedriges Niveau senken. Der Anleihenmarkt, das sind Banken und andere,
meist eng mit den Banken verbandelte Finanzinstitute, die die Staatspapiere kaufen – und an einem
möglichst hohen Zins interessiert sind. Ausgerechnet den Geldhäusern, die von den Regierungen
gerettet werden mussten und die so die Staatsfinanzen zerrüttet haben, ausgerechnet diesen Banken
weist die EZB damit also die Aufsichtsrolle über die Finanzpolitik der Regierungen zu. Das ist absurd
und demokratiefeindlich.
Da die EZB, wie Draghis Ankündigung gezeigt hat, die Anleihemärkte steuern kann wie sie will, bedeutet
Kontrolle der Anleihemärkte also letztlich die Kontrolle der EZB über die Regierungen. Wie Mario
Draghi und auch schon sein Vorgänger Jean-Claude Trichet gezeigt haben, scheuen sie sich nicht,
diese Macht zu nutzen.
Wenn die EZB nicht auf dem Primat der Anleihemärkte bestehen würde, hätten sich die Regierungen
von Krisenstaaten schon lange ohne EZB-Hilfe gegen destruktive Finanzspekulation wehren können.
Sie hätten einfach aufhören können, Anleihen zu begeben. Stattdessen hätten sie sich mit den größten
Banken ihres Landes zusammengesetzt und einen Kredit zu vernünftigen Konditionen vereinbart. Das
hätte den Banken in den Krisenländern geholfen, weil sie keine Abschreibungen wegen Wertminderung
auf ihre Anleihebestände mehr hätten vornehmen müssen. Und den dortigen Regierungen, weil sie
mit stabilen und vernünftigen Zinskosten hätten rechnen können.
bpb.de
Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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"Wenn die EZB bereit wäre, Geld auch an den Banken vorbei in
Umlauf zu bringen, hätte sie viele Möglichkeiten, jederzeit und sofort
die Kreditklemme zu lösen."
Die Selbstbeschränkung: Die EZB hat sich darauf festgelegt, nur über die Geschäftsbanken Geld in
Umlauf zu bringen. Dazu müssen diese Banken Kredite vergeben. Wenn sie es nicht tun, funktioniert
die Geldpolitik der EZB nicht und es kommt zu wenig Geld in Umlauf. Wenn die EZB keine Alternative
in Erwägung zieht, muss sie die Banken so lange päppeln und mit Privilegien versehen, bis diese
wieder genug Kredit geben. Das ist gut für die Banken, aber schlecht für alle anderen.
Wenn die EZB bereit wäre, Geld auch an den Banken vorbei in Umlauf zu bringen, hätte sie viele
Möglichkeiten, jederzeit und sofort die Kreditklemme zu lösen. Die einfachste Möglichkeit ist das, was
im ökonomischen Fachjargon "Helikoptergeld" heißt. Die EZB könnte jeder Einwohnerin und jedem
Einwohner des Euroraums einen Scheck über beispielsweise 200 Euro schicken. Zahlungskräftige
Nachfrage wäre wieder da und die Gefahr negativer oder langfristig zu niedriger Inflation wäre gebannt.
Wenn ein Scheck zu wenig wäre, könnte sie noch einen schicken, bis es reicht.
Warum tut die EZB das nicht, wenn es so einfach ist? Sie hat die "Bank" nicht nur im Namen. Sie ist
die Bank der Banken. Und für die Banker wäre das eine Katastrophe. Denn die Bürgerinnen und Bürger
würden auf den Geschmack kommen. Dann wäre Schluss mit den Privilegien und dem Hofieren der
Banken, weil angeblich die ganze Wirtschaft von ihrem Wohl und ihren Entscheidungen abhängt.
Standpunkt Ulrike Herrmann:
"Es funktioniert nicht, eine gemeinsame Währung zu
haben, aber 18 verschiedene Staatsanleihen."
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Norbert Häring für bpb.de
Fußnoten
1.
vgl. Europäische Zentralbank (Hg.), Technical features of Outright Monetary Transactions,
Pressemitteilung vom 6. September 2012. Online unter: https://www.ecb.europa.eu/press/pr/
date/2012/html/pr120906_1.en.html (https://www.ecb.europa.eu/press/pr/date/2012/html/pr120906_1.
en.html) (Stand 18.11.2014)
bpb.de
Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Kann eine Vermögensabgabe helfen, die
Überschuldung von Staaten zu lindern?
14.10.2014
Der Internationale Währungsfonds und auch die Bundesbank haben Überlegungen in diese Richtung
befeuert: Warum sollen nicht die Vermögenden eines Landes den Etat sanieren helfen, wenn dem
Staat die Pleite droht? Eine einmalige Abgabe von zehn Prozent auf alle Bank- und
Immobilienvermögen in der Eurozone würde auf einen Schlag schätzungsweise rund 3.900 Milliarden
Euro bringen.
Rendite zehnjähriger Staatsanleihen (Grafik zum Download (http://www.bpb.de/system/files/
dokument_pdf/170425_06_Rendite_Staatsanleihen_mm.pdf)) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de (bpb)
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Nur eine Staatsinsolvenz ist moralisch vertretbar
Von Malte Fischer
23.11.2014
Malte Fischer, Jahrgang 1963, ist Wirtschaftswissenschaftler. Seit 2010 ist er Chefvolkswirt des Magazins WirtschaftsWoche.
Für Malte Fischer gibt es nur eine vertretbare Lösung für die Schuldenprobleme der
Krisenländer: Die Staatspleite. Sie zwinge Gläubiger, auf Forderungen zu verzichten – und
belaste so die wahren Profiteure der Staatsverschuldung. Eine Vermögensteuer sei dagegen
aus vielerlei Gründen abzulehnen.
Die Finanzkrise hat die Etats vieler Länder in die roten Zahlen getrieben. Die Regierungen haben sich
verschuldet, um die Konjunktur zu stützen und die Banken vor dem Bankrott zu bewahren. In den
Ländern der Eurozone ist der Schuldenstand insgesamt von rund 66 Prozent der Wirtschaftsleistung
im Jahr 2007 auf fast 93 Prozent im Jahr 2013 gestiegen. In allen größeren Ländern der Währungsunion
liegt die Schuldenquote mittlerweile über der Marke von 60 Prozent, die im Maastrichter Vertrag als
Obergrenze vereinbart wurde. Die Schulden von Griechenland, Portugal, Italien und Irland sind höher
als die jeweilige Wirtschaftsleistung eines ganzen Jahres. Viele Studien zeigen, dass hohe
Staatsschulden das Wirtschaftswachstum abwürgen. Was tun? Im Herbst 2013 erregte der
Internationale Währungsfonds (IWF) Aufsehen, als er die Möglichkeit ins Spiel brachte, eine einmalige
Steuer auf das Vermögen der Bürger und Unternehmen zu erheben, um damit die Staatsschulden zu
tilgen[1].
Anfang 2014 brachte die Deutsche Bundesbank einen ähnlichen Vorschlag in die Diskussion ein. Die
Einführung einer Vermögensteuer, so schrieben die Ökonomen des Instituts, "entspräche dem Prinzip
der nationalen Eigenverantwortung, nach dem zunächst die eigenen Steuerzahler für Verbindlichkeiten
ihres Staates einstehen, bevor die Solidarität anderer Staaten gefordert ist"[2]. Sanierten die Staaten
ihre Haushalte durch eine Vermögensteuer, so seien sie nicht mehr auf die Finanzhilfen anderer Länder
angewiesen, die damit ohnehin gegen das Beistandsverbot der Europäischen Verträge verstoßen.
Einige Politiker und Ökonomen argumentieren zudem, eine Vermögensteuer trage zu einer gerechteren
Einkommens- und Vermögensverteilung bei. Denn diese belaste in erster Linie die Reichen, die
überdurchschnittlich von den staatlichen Rettungsmaßnahmen zugunsten des Finanzsektors profitiert
hätten.
"Das Problem beginnt schon damit, dass es außerordentlich
schwierig ist, im Einzelfall alles richtig zu erfassen und zu bewerten."
Die Studie der Europäischen Zentralbank (EZB), auf deren Daten die abgebildete Grafik beruht, zeigt
zudem, dass gerade in den Krisenstaaten Besitztum vorhanden wäre. Zwischen den Euroländern
variieren die Vermögen der Bürgerinnen und Bürger stark. So beläuft sich das Netto-Vermögen in
Spanien im Schnitt auf knapp 183 000 Euro je Haushalt, in Griechenland erreicht es rund 102 000
Euro, in Italien etwa 173 000. Die Bürger Luxemburgs kommen gar auf ein Netto-Vermögen von knapp
400 000 Euro, die Deutschen hingegen auf vergleichsweise bescheidene 51 000 Euro je Haushalt.
Auch wenn also erkleckliches Vermögen vorhanden ist, ist es eine schlechte Idee, dieses zu besteuern,
um so die Staatsschulden zu tilgen. Das Problem beginnt schon damit, dass es außerordentlich
schwierig ist, im Einzelfall alles richtig zu erfassen und zu bewerten.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Rendite zehnjähriger Staatsanleihen (Grafik zum Download (http://www.bpb.de/system/files/
dokument_pdf/170425_06_Rendite_Staatsanleihen_mm.pdf)) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de (bpb)
Viele Bürgerinnen und Bürger besitzen Vermögen in Form von Sachwerten wie Häusern,
Grundstücken, Schmuck, Kunstgegenständen, teuren Möbeln oder exklusiven Autos. Deren
Marktwerte zu bestimmen, ist aufwendig und dürfte mit erheblichen Rechtsstreitigkeiten zwischen
Fiskus und Steuerzahlern verbunden sein. Schon die Kosten für die Ermittlung und Erhebung der
Steuer könnten so höher ausfallen als ihre Erträge.
Dazu kommt, dass der Wert von Finanzvermögen wie Aktien und Anleihen erheblich schwankt. Das
erschwert die Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage. In den vergangenen Jahren hat die extrem
lockere Geldpolitik der Notenbanken Preisblasen an den Finanzmärkten erzeugt. Besteuert der Staat
den Aktien- und Anleihebesitz der Bürgerinnen und Bürger, besteht die Gefahr, dass er Scheingewinne
abschöpft. Platzt nämlich die Kursblase, lösen sich die Vermögen in Luft auf. Nicht auszuschließen
ist, dass staatliche Zentralbanken sogar durch die Erhebung von Vermögensteuern Anreize erhalten,
die Kurse an den Finanzmärkten durch eine lockere Geldpolitik bewusst in die Höhe zu treiben, um
den Regierungen zu höheren Steuereinnahmen zu verhelfen.
"Eine Vermögensteuer ist auch aus moralischen Erwägungen
abzulehnen."
Vermögen wie Gemälde, nicht vermietete Grundstücke, Antiquitäten oder Schmuck wirft zudem keine
regelmäßigen Erträge ab. Reichen die Einkünfte derjenigen, die solche Vermögensgegenstände
besitzen, nicht aus, um die Vermögensteuer zu begleichen, müssen sie Teile ihres Besitzes verkaufen,
um die Steuerschuld zu tilgen. Dadurch schmilzt die Vermögenssubstanz, die Bürgerinnen und Bürger
werden schleichend enteignet. Die Vermögensteuer zerstört so das Privateigentum, das wichtigste
Element einer freiheitlichen und marktwirtschaftlichen Gesellschaftsordnung.
Darüber hinaus würde sie die Anreize zur Kapitalbildung schmälern. Untersuchungen des Instituts der
deutschen Wirtschaft (IW) zeigen, dass die Deutschen ihre Vermögen vor allem durch eigene
Leistungen aufgebaut haben. Erbschaften machen nur knapp 16 Prozent des Vermögens des reichsten
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Zehntels der Gesellschaft aus. In der restlichen Bevölkerung liegt der Anteil des ererbten Vermögens
am Gesamtvermögen nur bei 14 Prozent. Eine Vermögensteuer bestraft daher in erster Linie diejenigen,
die mit eigener Arbeit Vermögen aufgebaut haben. Das schmälert die Bereitschaft, Kapital zu bilden
und schreckt Investoren ab. Der Kapitalstock, der das Wachstum der Wirtschaft bestimmt, fällt niedriger
aus, als es ohne die Steuer der Fall wäre. Der Wohlstand aller Bürger sinkt.
Eine Vermögensteuer ist auch aus moralischen Erwägungen abzulehnen. Staatsschulden sind im Kern
Verträge zwischen Regierungen und Kreditgebern zulasten künftiger Generationen. Letztere werden
vom Staat über Steuern zur Kasse gebeten, um die Zinsansprüche der Gläubiger zu bedienen. So
büßen sie für eine Erblast, die ihnen ihre Eltern und Großeltern durch ihr ungezügeltes Leben auf
Pump hinterlassen haben. Wer dem Staat Geld leiht, setzt darauf, dass er später mit Geldern ausbezahlt
wird, die der Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern zuvor durch Steuern abgenommen hat. Er macht
sich zum Mittäter staatlicher Konfiskation.
Aus moralischer Sicht gibt es daher nur eine vertretbare Lösung für die Schuldenprobleme der
Krisenländer: Die Staatsinsolvenz. Sie zwingt die Gläubiger, auf einen Teil ihrer Forderungen zu
verzichten – und belastet so die wahren Profiteure der Staatsverschuldung.
Standpunkt Sabine Reiner:
"Außergewöhnliche Situationen erfordern
außergewöhnliche Maßnahmen."
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Malte Fischer für bpb.de
Fußnoten
1.
2.
Internationaler Währungsfonds (Hg.), Fiscal Monitor October 2013. Taxing Times, Washington D.
C. 2013. Online unter: http://www.imf.org/external/pubs/ft/fm/2013/02/pdf/fm1302.pdf (http://www.
imf.org/external/pubs/ft/fm/2013/02/pdf/fm1302.pdf) (Stand 24.11.2014)
Deutsche Bundesbank (Hg.), Einmalige Vermögensabgabe als Instrument zur Lösung nationaler
Solvenzkrisen im bestehenden EWU-Rahmen? Monatsbericht Januar 2014, Frankfurt/Main 2014.
Online unter: http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Standardartikel/Themen/2014_01_28_­
monatsbericht_kasten.html (http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Standardartikel/
Themen/2014_01_28_monatsbericht_kasten.html) (Stand 24.11.2014)
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Die Politik muss es nur wollen
Von Sabine Reiner
23.11.2014
Dr. Sabine Reiner, Jahrgang 1962, leitet beim Bundesvorstand der Gewerkschaft Verdi den Bereich Wirtschaftspolitik(http://wipo.
verdi.de/), 2013 erschien von ihr "Alte kassieren! Junge zahlen nur drauf! Mythen und Fakten zur Rentenpolitik".
Unter dem Strich hat Europa keine Schulden, sagt Susanne Reiner. Die Geldvermögen würden
die öffentliche Verschuldung aktuell fast um das Dreifache übersteigen. Das Problem läge darin,
dass die Vermögen ungleich verteilt sind. Die Ökonomin schlägt daher vor, die
Schuldenbelastung durch Vermögensteuern zu reduzieren.
Schulden sind die Kehrseite von Vermögen. Dieser einfache logische Zusammenhang spielt in der
Debatte über Staatsverschuldung überraschenderweise so gut wie keine Rolle. Doch Schuldnern
müssen immer Gläubiger gegenüberstehen, die ihnen gegenüber Anspruch auf künftige Zahlungen
haben. Die Gläubiger haben einen Teil ihres Vermögens vorübergehend zur Verfügung gestellt. Wer
sparen, also Vermögen bilden will und für seine Anlage Zinsen erwartet, muss andere finden, die bereit
sind, sich zu verschulden.
Im Normalfall verschulden sich Unternehmen. Sie nehmen Kredite auf, um Investitionen zu finanzieren.
Auch für den Staat galt bisher die Regel, dass er sich in Höhe der von ihm getätigten Investitionen
verschulden kann. Diese sogenannte "goldene Regel" erkannte an, dass Investitionen zum Beispiel
in Bildung und Infrastruktur für künftige Generationen Nutzen stiften. Erst mit der Schuldenbremse
wurde diese Regel außer Kraft gesetzt. Auf der anderen Seite sparen die privaten Haushalte, nicht
jeder einzelne, aber per Saldo alle zusammen. Schließlich kommt noch der Finanzierungssaldo
gegenüber dem Ausland hinzu, der für Deutschland positiv ist, weil seit vielen Jahren mehr gespart
als investiert wird. Das Ausland verschuldet sich also gegenüber Deutschland.
"Öffentliche Schulden stiegen rapide an, aber private Vermögen
wurden vor Verlusten bewahrt."
Ohne Schulden geht es nicht, aber gesamtwirtschaftlich addieren sich die Finanzierungssalden von
privaten Haushalten, Unternehmen, Staat und Außenhandel zu Null. Zum Problem werden Schulden
nur, wenn Schwierigkeiten entstehen, den Schuldendienst – also Zins und Tilgung – aus den laufenden
Einnahmen zu bestreiten.
Genau dies ist in der Finanzmarktkrise 2008 passiert. Vermögen waren in großem Stil in Anlagen
investiert worden, die sich nun als unsolide herausstellten und auf Dauer den Schuldendienst nicht
erwirtschafteten – zum Beispiel die mittlerweile als Geisterstädte leer stehenden Ferienanlagen in
Spanien. Weil in großem
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Schulden und Vermögen
Grafik als PDF-Version (http://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/170425_12_Schulden_und_Vermoegen_mm.
pdf) (bpb) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de
Maßstab und international verflochten Schuldendienste nicht mehr bedient wurden, drohten
Dominoeffekte das gesamte Finanzsystem mitzureißen. Staaten haben daher mit immensen Summen
Rettungspakete geschnürt, um das Finanzsystem zu stabilisieren. Öffentliche Schulden stiegen rapide
an, aber private Vermögen wurden vor Verlusten bewahrt. Im Zuge der Finanz- und anschließenden
Wirtschaftskrise stiegen etwa in Deutschland die öffentlichen Schulden um rund 400 Milliarden Euro
auf gut zwei Billionen Euro an. Davon gingen 300 Milliarden Euro in Bankenrettungsprogramme. [1]
Öffentliche Schulden können nur sinken, wenn in anderen Sektoren die Verschuldung entsprechend
ansteigt oder wenn Vermögen reduziert werden – zum Beispiel durch eine Zwangsanleihe, die
zumindest in der Phase ihrer Laufzeit die Schuldenbelastung reduziert. Auch über Vermögensteuern
oder eine Vermögensabgabe kann man mit guten Gründen nachdenken.
"In Westeuropa stehen der öffentlichen Verschuldung von zehn
Billionen Euro 27 Billionen Euro an Geldvermögen gegenüber,
Immobilienwerte nicht eingerechnet."
In Westeuropa stehen der öffentlichen Verschuldung von zehn Billionen Euro 27 Billionen Euro an
Geldvermögen gegenüber, Immobilienwerte nicht eingerechnet.[2] Unter dem Strich hat Europa daher
keine Schulden, im Gegenteil: Die künftigen Generationen werden so viel Vermögen erben wie nie
zuvor.
Das Vermögen ist allerdings recht ungleich verteilt. Wie stark es konzentriert ist, darüber gibt es in
vielen Ländern lediglich Schätzungen. Laut Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (http://
www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen-DinA4/a334-4-armuts-reichtumsbericht-2013.
pdf;jsessionid=47666BBC73748EB5B368D1CD515424A7?__blob=publicationFile) besitzt in Deutschland
die untere Hälfte der Bevölkerung ein Prozent des Gesamtvermögens. Die reichsten zehn Prozent
besitzen alleine 53 Prozent. Wirkliche Spitzenvermögen sind dabei nicht einmal einbezogen. Werden
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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diese "hinzugeschätzt" – wie vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (http://wipo.verdi.de/++
file++53a81d30aa698e68aa0021f2/download/diw-zahlen.pdf) –, konzentrieren sich bei den oberen
zehn Prozent sogar 67 Prozent des Vermögens, beim reichsten Hundertstel 36 Prozent und beim
reichsten Promille (etwa 80 000 Personen) 22,5 Prozent des Gesamtvermögens.
Genaue Daten über die Vermögensverteilung wären vorhanden, wenn eine Vermögensteuer
regelmäßig erhoben würde. Allein dies ist schon ein Grund für die Steuer. Die Möglichkeit, statistische
Aussagen treffen zu können, bezeichnete zum Beispiel der französische Ökonom Thomas Piketty als
bedeutendste Folge der Einführung einer progressiven Erbschaftsteuer in Frankreich vor über 100
Jahren. Ein unüberwindbares Hindernis ist die Erhebung entsprechender Daten keineswegs. Die
Erhebungskosten betrugen für die Vermögensteuer, die in Deutschland bis 1996 erhoben wurde, rund
drei Prozent des Aufkommens. Auch aktuelle Schätzungen gehen nicht über diese Größenordnung
hinaus.[3]
"Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche
Maßnahmen."
Vorschläge zur Erhebung von Vermögensteuern oder -abgaben sehen in der Regel hohe Freibeträge
vor. Weder die breite Bevölkerung noch die Mittelschicht würden vermögensteuerpflichtig. Für
Deutschland wurde von SPD, Grünen und Linken sowie Gewerkschaften ein Freibetrag von einer
Million Euro pro Person vorgeschlagen. Ein Vermögen in dieser Höhe besitzen weniger als ein Prozent
der Bevölkerung. Wegen der hohen Konzentration von Vermögen könnten bei einem Steuersatz von
einem Prozent jährlich dennoch Einnahmen von 20 Milliarden Euro erreicht werden. Würde eine
einmalige Vermögensabgabe etwa von zehn Prozent erhoben, die zeitlich gestreckt über mehrere
Jahre bezahlt werden müsste, könnten leicht Einnahmen in der Größenordnung der Ausgaben für die
Bankenrettungsprogramme zustande kommen. Eine vergleichbare Abgabe wurde in Deutschland
zuletzt als Lastenausgleich nach dem Zweiten Weltkrieg erhoben. Sie betrug damals sogar 50 Prozent
und wurde über 30 Jahre gestreckt bezahlt.
Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Die Reduzierung der
Schuldenbelastung durch Vermögensteuern oder eine Vermögensabgabe ist nicht eine Frage des
Funktionierens, sondern des politischen Willens.
Standpunkt Malte Fischer:
"Eine Vermögensteuer ist auch aus moralischen
Erwägungen abzulehnen."
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Sabine Reiner für bpb.de
Fußnoten
1.
Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.), Mittelfristige Projektion der öffentlichen Finanzen.
Monatsbericht August 2012, Berlin 2012. Online unter: http://www.bundesfinanzministerium.de/
Content/DE/Monatsberichte/2012/08/Inhalte/Kapitel-3-Analysen/3-1-mittelfristige-projektion-der-oeffentlichenfinanzen.html#doc278422bodyText9 (http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/
Monatsberichte/2012/08/Inhalte/Kapitel-3-Analysen/3-1-mittelfristige-projektion-der-oeffentlichen-
bpb.de
Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
2.
3.
59
finanzen.html#doc278422bodyText9) (Stand 24.11.2014)
Kathrin Brandmeir et al., Allianz Global Wealth Report 2012, hrsg. von Allianz Economic Research
& Corporate Development, München 2012. Online unter: https://www.allianz.com/
v_1347875767000/media/press/document/Global-Wealth-Report-2012-englisch.pdf (https://www.
allianz.com/v_1347875767000/media/press/document/Global-Wealth-Report-2012-englisch.pdf)
(Stand 24.11.2014)
Stefan Bach et al., Aufkommens- und Verteilungswirkungen einer Grünen Vermögensabgabe.
hrsg. vom DIW Berlin, Berlin 2010. Online unter: http://www.diw.de/documents/publikationen/73/
diw_01.c.366543.de/diwkompakt_2010-059.pdf (http://www.diw.de/documents/publikationen/73/
diw_01.c.366543.de/diwkompakt_2010-059.pdf) (Stand 24.11.2014)
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60
Ist die Euro-Krise schon vorbei?
14.10.2014
Spanien, Irland, Italien, Portugal – für viele Problemländer der Eurozone haben sich die wirtschaftlichen
Prognosen zuletzt zum Besseren gewendet. Während einige Experten darin das Resultat harter, aber
erfolgreicher Strukturreformen sehen, zweifeln andere, ob die Trendwende schon geglückt ist.
Schulden und Vermögen (Grafik zum Download (http://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/170425_12_Schuld­
en_und_Vermoegen_mm.pdf)) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de (bpb)
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Noch ist kein Normalzustand erreicht
Von Roland Döhrn
23.11.2014
Prof. Dr. Roland Döhrn, Jahrgang 1954, ist Leiter des Kompetenzbereichs "Wachstum, Konjunktur, Öffentliche Finanzen" am
Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Zusätzlich ist er Lehrbeauftragter an der Universität DuisburgEssen, wo er 2009 zum Honorarprofessor berufen wurde.
Auch wenn die Entwicklung in einzelnen Ländern noch unstet verläuft, ist für den RWIKonjunkturchef Roland Döhrn ein Aufwärtstrend in der Eurozone unverkennbar. Um wieder
zum Normalzustand zu gelangen, müssten die Krisenstaaten aber wettbewerbsfähig werden etwa durch sinkende Löhne. Laxere Schuldenregeln lehnt er ab.
Schulden und Vermögen (Grafik zum
Download (http://www.bpb.de/system/
files/dokument_pdf/170425_12_Sch­
ulden_und_Vermoegen_mm.pdf)) Lizenz:
cc by-nc-sa/4.0/deed.de (bpb)
Das Bruttoinlandsprodukt des Euroraums, das schon bis zum
ersten Quartal 2014 vier Mal in Folge gestiegen war, blieb auch im
zweiten Quartal stabil. Zwar sind die Zuwächse immer noch
bescheiden. Ein Aufwärtstrend ist aber unverkennbar. Die
Entwicklung in den einzelnen Ländern verläuft immer noch sehr
unstet. Doch selbst am Arbeitsmarkt zeigen sich inzwischen
bescheidende Erfolge, insbesondere wenn man bedenkt, wie
deutlich die Wirtschaftsleistung zuvor gesunken war: Die
Erwerbstätigkeit steigt etwas, die Arbeitslosigkeit geht leicht zurück.
Ist die Euro-Krise also vorbei – und der Euroraum auf dem Weg zur
Normalität?
Dem einstigen US-Präsidenten Harry Truman schreibt man den
Ausspruch zu, er wünsche sich einen einarmigen Ökonomen, damit er nicht ständig ein "einerseits –
andererseits" hören müsse (im Englischen "on the one hand – on the other hand"). Ich bekenne mich
hier dazu, ein zweiarmiger Ökonom zu sein – und biete deshalb auch zwei Antworten an: Einerseits
ist die wirtschaftliche Lage im Euroraum vielleicht besser als die Zahlen suggerieren. Andererseits
wäre es jedoch eine sehr verkürzte Sicht, allein auf gesamtwirtschaftliche Indikatoren gestützt eine
Ende der Euro-Krise auszurufen.
Zunächst zum ersten Punkt: Warum sollte die Lage besser sein als sie aussieht? Es wäre ein großer
Fehler, die derzeitige Entwicklung im Euroraum mit den Maßstäben eines normalen Konjunkturzyklus
zu messen. Das gilt vor allem für jene Länder, in denen die Krise besonders tief und gravierend
ausgefallen ist. Diese Volkswirtschaften waren lange von Entwicklungen angetrieben worden, von
denen wir heute wissen, dass diese nicht nachhaltig waren. So hatte in Spanien ein Bauboom den
Anteil dieses Sektors an der gesamtwirtschaftlichen Produktion zeitweise auf fast 20 Prozent steigen
lassen – im internationalen Vergleich ein sehr hohes Niveau. In Irland war neben dem Bau- außerdem
der Finanzsektor übermäßig ausgeprägt. Letzterer war auch die Quelle des Booms in Zypern. Und in
Griechenland hatte der Staat mit immer neuen Schulden den Konsum angeheizt.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
62
"Dass die Wirtschaft im Euroraum insgesamt wieder langsam wächst,
signalisiert gleichwohl kein Ende der Krise."
Wachstumsrate des nominalen Bruttoinlandsprodukts (BIP)
Grafik als PDF-Version (http://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/170425_08_Wachstumsrate_BIP_mm.pdf)
(bpb) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de
Nun kann niemand genau wissen, wie groß nachhaltige Bau-, Finanz- oder Staatssektoren in diesen
Ländern künftig sein werden. Eines scheint jedoch ziemlich sicher zu sein: Sie dürften kleiner sein,
als es jeweils vor 2008 der Fall war. Das Jahr hat mit dem Crash der US-Investmentbank Lehman
Brothers den Beginn der weltweiten Finanz- und Staatsschuldenkrise markiert. Bei Banken und
Finanzinvestoren arbeitet die Politik sogar gezielt daran, die dort lauernden Risiken zu begrenzen,
was auf einen kleineren Sektor hinausläuft.
Insofern haben viele der Euro-Mitgliedstaaten in den vergangenen Jahren keinen "normalen"
Konjunktureinbruch erlebt, sondern in erster Linie eine mitunter drastische Anpassung ihrer Produktion
an ein geringeres Produktionspotenzial. Deshalb ist es auch keine Überraschung, dass in diesen
Ländern die Beschäftigung noch deutlich niedriger ist als vor der Krise. Vor diesem Hintergrund sollte
man nicht gering schätzen, dass es trotz anhaltender Belastungen durch die strukturellen
Anpassungsprozesse wieder aufwärts geht.
Dass die Wirtschaft im Euroraum insgesamt wieder langsam wächst, signalisiert gleichwohl kein Ende
der Krise. Noch ist kein Normalzustand erreicht. Die Inflation ist ungewöhnlich niedrig und die
Arbeitslosigkeit in vielen Ländern weiter hoch. Um wieder in einen Normalzustand zu gelangen, müssen
die Krisenstaaten wettbewerbsfähig und attraktiv für Investoren werden. Ein Weg dahin führt über
sinkende Lohnstückkosten, sei es, indem Löhne sinken, sei es, indem die Produktivität steigt. Beides
läuft aber darauf hinaus, dass das Preisniveau in den Krisenländern entweder sinkt oder zumindest
kaum steigt. Als Konsequenz liegt derzeit die Teuerung im Euroraum deutlich unter der Zielrate der
Europäischen Zentralbank. Will man insgesamt wieder die von der EZB gewünschte Inflationsrate
nahe zwei Prozent erreichen, muss die Inflation in den Nicht-Krisenländern wie Deutschland über
dieser Marke liegen: Die Inflationserwartungen dort müssten also steigen. Dann liefe man allerdings
Gefahr, sie später wieder schwer zurückdrehen zu können.
bpb.de
Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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"Eine kurzfristige, schuldenfinanzierte Besserung der Lage könnte
sich schnell als kontraproduktiv erweisen."
Der andere Weg zu mehr Investitionen und steigender Wirtschaftsleistung in den Krisenländern besteht
in Strukturreformen. Also in Deregulierung der Arbeits- und Gütermärkte, Reformen der Sozialsysteme
und Schritten zur Verbesserung der Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen. Dieser Weg ist freilich mühsam –
und es ist für Politikerinnen und Politiker daher bequemer, nach mehr Spielraum bei den
Staatsausgaben und noch größeren Hilfen seitens der EU zu rufen.
Diesen Ansinnen sollte jedoch nicht nachgegeben werden. Eine kurzfristige, schuldenfinanzierte
Besserung der Lage könnte sich schnell als kontraproduktiv erweisen. So wird nämlich suggeriert, das
Schlimmste sei vorüber und man könne bei den Reformen nachlassen. In diesem Sinne halte ich die
auf dem EU-Gipfel im Juni 2014 auf Druck einiger Südländer beschlossenen laxeren Schuldenregeln
für überaus schädlich[1].
Standpunkt Jens Berger:
"Wer soll künftig eigentlich die Produkte kaufen, die mit
immer geringeren Löhnen im Euroraum produziert
werden, wenn sie sich niemand mehr leisten kann?"
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Roland Döhrn für bpb.de
Fußnoten
1.
Die Staats- und Regierungschefs betonten, dass Flexibilität in den Bestimmungen des
europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts auf "beste Weise" genutzt werden soll. Vor allem
Frankreich und Italien hatten gefordert, dass EU-Länder im Gegenzug für Strukturreformen mehr
Zeit für das Erreichen ihrer Defizitziele bekommen.
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Falsche Medizin, falsche Symptome
Von Jens Berger
23.11.2014
Jens Berger, Jahrgang 1972, ist Journalist. Er gründete den Blog Spiegelfechter und ist hauptberuflich Redakteur beim Polit-Blog
Nachdenkseiten. Im Mai 2014 erschien sein Buch "Wem gehört Deutschland? Die wahren Machthaber und das Märchen vom
Volksvermögen" (Westend).
Der Journalist Jens Berger ist der Überzeugung, dass Lohnkürzungen langfristig der Eurozone
schaden und die Krise durch Sparprogramme neu aufblühen wird. Wer nur auf
Wettbewerbsfähigkeit schiele und die Nachfrageseite ignoriere, leite eine Abwärtsspirale ein,
die Europa immer tiefer in die Misere führe.
Ist die Euro-Krise nun vorbei, nur weil sich die Gesamtwirtschaft des Euroraums in den letzten Quartalen
auf bescheidenem Niveau stabilisieren konnte? Nein. In vielen Krisenländern befindet sich die
Wirtschaft nach wie vor in einer Rezession. Die Arbeitslosigkeit erreicht in den Krisenländern immer
noch ein extrem hohes Niveau. Schlimmer noch: Anstatt die Ursachen der Krise zu bekämpfen, doktert
die europäische Politik weiter mit der falschen Medizin an den falschen Symptomen herum.
Wenn das Bruttoinlandsprodukt (http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/europa/70546/
bip-pro-kopf) des Euroraums im ersten Quartal 2014 leicht gewachsen ist, so ist dies vor allem der
relativ stabilen Entwicklung in Deutschland geschuldet. Deutschland steht für ein Drittel der
Wirtschaftskraft des Euroraums. Klammert man die deutschen Zahlen aus, befindet sich die
Währungszone nach wie vor in der Rezession. So schrumpfte die Wirtschaft in den Krisenstaaten
Irland, Zypern, Griechenland und Portugal auch im letzten Quartal – allein Spanien konnte auf sehr
bescheidenem Niveau zulegen.
In Griechenland und Spanien ist nach wie vor mehr als jeder Vierte arbeitslos, in den übrigen
Krisenstaaten ist die Arbeitslosigkeit nach wie vor mehr als doppelt bis dreimal so hoch wie im
diesbezüglich keinesfalls gesunden Deutschland. Noch erschreckender ist die allgegenwärtige
Jugendarbeitslosigkeit, die keinesfalls nur die Krisenstaaten im Mark erschüttert. Auch EuroKernländer wie Frankreich (22,5 Prozent) und Italien (43 Prozent) leiden unter einer
Jugendarbeitslosigkeit, die auf Dauer weder gesellschaftlich noch volkswirtschaftlich tragbar ist.
"Wie soll die Wirtschaft mittel- bis langfristig wachsen, wenn die
Menschen in den Krisenländern jeden Cent zweimal umdrehen
müssen?"
Wichtiger als die nackten Zahlen ist jedoch die gesamtwirtschaftliche Prognose. Wie soll die Wirtschaft
in den Krisenstaaten eigentlich mittel- bis langfristig wachsen, wenn die Menschen in diesen Ländern
jeden Cent zweimal umdrehen müssen? Ohne eine Steigerung der Binnennachfrage werden weite
Teile Europas über kurz oder lang wirtschaftlich vor die Hunde gehen.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Roland Döhrn (© picture-alliance)
In Italien und Frankreich stagnierte die Wirtschaft in den ersten drei Monaten des Jahres 2014.
Spätestens wenn diese Länder ihre Volkswirtschaft, vom Wunsch nach mehr "Wettbewerbsfähigkeit"
getrieben, mit neuen Sparprogrammen und Etatkürzungen abwürgen, dürfte die Krise neu aufblühen.
Die dramatischen Entwicklungen der vergangenen Jahre sind allenfalls ein Vorgeschmack auf das,
was noch kommen könnte.
Es ist ja richtig, dass die Volkswirtschaften vieler Länder vor der Krise durch hausgemachte Fehler
ungesund aufgebläht und Korrekturen dringend nötig waren. Aber was wurde denn korrigiert? Leicht
zugespitzt war in allen Krisenstaaten ein außer Kontrolle geratener Finanzsektor ursächlich für die
Krise verantwortlich. In Griechenland wurden zu hohe Kredite an den Staat und in Spanien an den
Immobiliensektor vergeben, während die Banken in Irland und Zypern unkontrolliert wuchern konnten.
Anstatt den Finanzsektor von Grund auf zu reformieren, legte und legt die europäische Krisenpolitik
den Fokus jedoch vor allem auf die Wettbewerbsfähigkeit. Ein fataler Fehler, der an einen Arzt erinnert,
der bei einer Lungenentzündung Abführmittel verschreibt, um den Husten zu lindern – falsches
Symptom, falsche Medizin, an der Ursache vorbei.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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"Mit wem soll Griechenland eigentlich konkurrieren? Mit seinem
Nachbarland Bulgarien, dessen Einwohner monatlich im Schnitt 350
Euro verdienen?"
Aber bleiben wir bei der Wettbewerbsfähigkeit. Niemand käme wohl auf die Idee, dass Brandenburg
in puncto Produktivität mit Baden-Württemberg oder Hessen konkurrieren sollte, um so zum neuen
Dorado für den Automobilbau zu werden. Griechenlands Volkswirtschaft erzielt ihre – keinesfalls
geringen – Auslandsüberschüsse durch den Tourismus und die Schifffahrtsbranche und importiert mit
diesen Überschüssen vor allem Konsum- und Investitionsgüter. Auch Deutschland importiert
Konsumgüter. Aber wer käme schon auf die Idee, T-Shirts nicht mehr aus den diesbezüglich ungemein
wettbewerbsfähigen Niedriglohnländern Asiens zu importieren, sondern hierzulande mit asiatischen
Löhnen zu produzieren? Quod licet Iovi, non licet bovi (Was Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht
erlaubt). Für die Krisenländer gelten nicht andere Regeln als für Deutschland. Daher wäre es ein fataler
Ansatz, ihre Stärken aufzugeben und durch Lohnsenkungen wettbewerbsfähig zu werden.
Mit wem soll Griechenland eigentlich konkurrieren? Mit seinem Nachbarland Bulgarien, dessen
Einwohner monatlich im Schnitt 350 Euro verdienen? Und dann? Wem würde die neue Niedriglohnoase
Griechenland Marktanteile abnehmen? Wenn alle Dominosteine umgefallen sind, steht am Ende der
Kette auch die deutsche Wettbewerbsfähigkeit auf dem Prüfstand.
Und: Wer soll künftig eigentlich die Produkte kaufen, die mit immer geringeren Löhnen im Euroraum
produziert werden, wenn sie sich niemand mehr leisten kann? Wer seine Märkte schwächt, schwächt
langfristig auch sich selbst. Wer nur auf die Wettbewerbsfähigkeit schielt und die Nachfrageseite
ignoriert, leitet damit eine Abwärtsspirale ein, die uns immer tiefer in die Krise führt, die einige
Kommentatoren bereits für überwunden halten. Zeit, einen alternativen Ausweg aus der Krise zu finden.
Standpunkt Roland Döhrn:
"Eine kurzfristige, schuldenfinanzierte Besserung der
Lage könnte sich schnell als kontraproduktiv erweisen."
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Jens Berger für bpb.de
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Ginge es Europa ohne den Euro besser?
6.11.2015
Viele EU-Staaten ohne Euro haben in den Jahren der Krise wirtschaftlich deutlich besser abgeschnitten
als weite Teile der Eurozone. Deshalb fragen sich einige Ökonomen, ob sich die Hoffnungen erfüllt
haben, die an die Gemeinschaftswährung geknüpft waren. Allerdings: Andere halten auch einen
Rückfall in die alten Einzelwährungen für desaströs.
Wachstumsrate des nominalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) (Grafik zum Download (http://www.bpb.de/system/files/
dokument_pdf/170425_08_Wachstumsrate_BIP_mm.pdf)) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de (bpb)
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Es ist nicht der Euro, es ist der Binnenmarkt
Von Dirk Müller
6.11.2015
Dirk Müller, Jahrgang 1968, arbeitete früher als Börsenmakler in Frankfurt am Main. Mittlerweile ist er Bestsellerautor zu den Themen
Geldanlage und europäische Wirtschaftspolitik und geschäftsführender Gesellschafter von Finanzethos. Die Firma betreibt unter
anderem ein Finanzportal im Internet.
Hui ohne Euro, pfui mit Gemeinschaftswährung: Die EU-Staaten ohne Euro haben sich deutlich
besser entwickelt als viele Euro-Länder. Deshalb schlägt der Börsenexperte Dirk Müller vor,
das einstmals erfolgreiche Ecu-System wiederzubeleben.
Wachstumsrate des nominalen
Bruttoinlandsprodukts (BIP) (Grafik
zum Download (http://www.bpb.de/
system/files/dokument_pdf/170425_­
08_Wachstumsrate_BIP_mm.pdf)) Lizenz:
cc by-nc-sa/4.0/deed.de (bpb)
Die Diskussionen um den Euro werden oft polarisierend geführt:
Entweder man ist 100 Prozent gegen den Euro oder 100 Prozent
dafür. Dabei ist die Währung kein ideologisches Objekt, sondern
ein im Grunde emotionsloses volkswirtschaftliches Subjekt - mit
Vor- und Nachteilen. Der Euro hat zweifelsohne diverse Vorteile.
Hier nur einige davon: Für viele Europäerinnen und Europäer wirkt
er identifikationsstiftend, aufgrund der Größe des Währungsraumes
ist er relativ schwer von Spekulanten zu attackieren. Zudem bringt
sein stabiler Wechselkurs eine bessere Kalkulationsgrundlage für
internationale Geschäftsabschlüsse.
Die Eurozone besteht aber aus Regionen mit extrem
unterschiedlicher Wirtschaftsleistung, unterschiedlichen Entwickl­
ungsständen und -geschwindigkeiten. Alle sind Teil des jeweiligen gesellschaftlichen Systems, was
eine weitgehende Angleichung der Wirtschaftsleistungen nahezu unmöglich macht. Trotz aller
Versuche liegt so die Wirtschaftsleistung im Osten Deutschlands auch 25 Jahre nach der
Wiedervereinigung nur bei etwa 70 Prozent des Westens. Selbst die Differenzen zwischen den alten
Bundesländern sind von Dauer. Nur mit milliardenschweren Transferzahlungen können sie
ausgeglichen werden, zum Beispiel durch den Länderfinanzausgleich, die Solidaritätsbeiträge oder
die Zahlungsströme der Sozialsysteme.
Was für Binnendeutschland die Transferzahlungen, ist für einzelne Länder die ständige Anpassung
der Wechselkurse ihrer jeweiligen Währungen. Sinkende Kurse schwächerer Ökonomien erhöhen
deren internationale Wettbewerbsfähigkeit und steigern die Exporte. Das wiederum führt zu einem
leichten Anstieg des Wechselkurses. Auf diese Weise entsteht ein natürliches, atmendes globales
Gleichgewicht, das einen sinnvollen Waren- und Dienstleistungsaustausch unterschiedlich starker
Länder auf Dauer und zum Vorteil aller ermöglicht.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
69
Entweder bewegliche Währungen oder Transferzahlungen
Wenn man der Annahme folgt, dass die Unterschiede nicht in einem überschaubaren Zeitraum nivelliert
werden können, gibt es letztlich nur zwei Möglichkeiten, Differenzen zwischen Wirtschaftsräumen
gedeihlich auszugleichen: Bewegliche Währungen oder Transferzahlungen.
(© picture-alliance)
Die Annahme, Unterschiede könnten auch mittels Preisanpassungen nivelliert werden, ist irrig, da sie
die sogenannte "Fristentransformation" außer Acht lässt. Löhne und Renten lassen sich danach relativ
schnell anpassen, um Kaufkraft und im Idealfall auch die Preise im Land zu senken. Anders sieht das
beispielsweise bei den Mieten aus: Einer Mietimmobilie steht in der Regel ein langlaufender Kredit
gegenüber, dem ein bestimmter Wert der Immobilie unterliegt, der sich wiederum aus den
Mieteinnahmen errechnet. Mit fallenden Mietpreisen sinkt jedoch der Wert der Immobilie - die
dahinterstehenden Kredite sind in Gefahr. Gleiches gilt für jede Form der Industrieinvestition, die auf
entsprechende Einnahmen berechnet und langfristig finanziert wurde. Die Abschreibung der Kredite
mit den daraus folgenden Problemen im Finanzsektor wäre ein gewaltiger Kraftakt, aber wahrscheinlich
sogar in unregelmäßigen Abständen wiederholt notwendig, sobald sich die unterschiedlichen Regionen
des Währungsraumes erneut weit voneinander entfernt haben. Das ist keine dauerhaft praktikable
Option: Kredite würden unter diesen Bedingungen nur mit extrem hohen Zins-Risikoaufschlägen
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
70
vergeben.
Der Euro scheint für die meisten Staaten eher eine bremsende
Wirkung zu haben
Wer also weder Wechselkursanpassungen noch eine Transferunion will, sollte sich Folgendes vor
Augen führen: Ein Vergleich der wirtschaftlichen Entwicklung der EU Staaten innerhalb der Eurozone
und jenen EU-Staaten mit eigener Währung für die Jahre 2006-2014 birgt eine bemerkenswerte
Erkenntnis. Die Nicht-Euro-Staaten der EU führen das Feld der wirtschaftlichen Entwicklungen klar
an. Ausnahmen bilden lediglich Malta und Luxemburg sowie Slowakei und Estland, die allerdings
inzwischen den Euro eingeführt haben.
Offenkundig besteht der große Vorteil Europas eben nicht in seiner Währungs-, sondern in seiner
Wirtschaftsunion. Der gemeinsame Binnenmarkt ist das erfolgreichste wirtschaftliche Element der EU.
Die gemeinsame Währung scheint dagegen für die meisten Staaten eher eine bremsende als eine
beschleunigende Wirkung zu haben. Viele Euro-Länder entwickelten sich umso schlechter, je weiter
ihre Wirtschaftskraft von der Kaufkraft der gemeinsamen Währung entfernt liegt.
Viele Vorteile also, aber auch gravierende Nachteile. Gibt bei der Diskussion aber nur "all or none" alles oder nichts? Ist es nicht auch eine bedenkenswerte Option, sich bei der Weiterentwicklung des
Euro am über zwei Jahrzehnte erfolgreichen Ecu-System zu orientieren? Also: Statt Euro oder nationale
Währungen Euro und nationale Währungen. Den Euro als übergeordnete gemeinsame
Abrechnungswährung der EU mit Devisen, Staatsanleihen, Konten und Vertragsoption. Eine von der
EU herausgegebene Währung, in der europäische Steuern erhoben, europäische Staatsanleihen
begeben und Verträge geschlossen werden können. Zusätzlich die nationalen Währungen als alleinige
gesetzliche Zahlungsmittel in den einzelnen Staaten der EU. Sowohl die nationalen Währungen als
auch der Euro unter Bewirtschaftung und Verantwortung der EZB.
Das würde die Vorteile des international stabilen Euro mit den Vorteilen der gegen diesen Euro
schwankenden nationalen Währungen zum Ausgleich der unterschiedlichen Entwicklungen
kombinieren. Die Bewirtschaftung durch die EZB verhindert nationalen Missbrauch und ermöglicht es,
konzertiert gegen Spekulationen vorzugehen. Das Argument der Substitution im Alltag (gutes Geld
verdrängt schlechtes Geld) lässt sich an den Beispielen der europäischen Staaten mit eigener Währung
widerlegen: In Polen zum Beispiel kommt es seit Jahren eben nicht zu - dieser theoretisch erwartbaren
- Substitution.
Standpunkt Andrew Watt:
"Unbestreitbar ist, dass die institutionelle Architektur der
Währungsunion in ihrer ursprünglichen Form grob
fehlerhaft war. Inzwischen ist aber Einiges erreicht
worden."
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Dirk Müller für bpb.de
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
71
Eine Währungsunion ist einem System flexibler
Wechselkurse überlegen
Von Andrew Watt
6.11.2015
Dr. Andrew Watt, Jahrgang 1963, ist seit 2012 Abteilungsleiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in
der Hans-Böckler-Stiftung. Er verantwortet in dieser Funktion die operative Leitung des gewerkschaftsnahen Instituts und forscht
zu Themen der Europäischen Wirtschaftspolitik. Zuvor war er Senior Researcher am Europäischen Gewerkschaftsinstitut (EGI) in
Brüssel. Watt ist zudem Kolumnist und Blogger beim Social Europe Journal.
Die Krise der Euro-Staaten zeigt nicht, dass wir uns der Zwangsjacke der
Gemeinschaftswährung entledigen, sondern dass wir das System weiterentwickeln müssen,
so Andrew Watt vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung.
Als 2002 die Euroscheine und Münzen in die Portemonnaies von über 300 Millionen Europäerinnen
und Europäern in zwölf Ländern Einzug hielten, war die Stimmung überwiegend optimistisch –
ungeachtet einer gewissen Skepsis im Land der Deutschen Mark. Inzwischen zahlen sieben weitere
Länder mit dem Euro. Außer Großbritannien und Dänemark, die explizite "opt-outs" haben, befinden
sich alle anderen EU-Mitgliedsländer (auch künftige) automatisch im "Vorzimmer" der gemeinsamen
Währung, die offiziell die Währung der EU ist.
Dennoch ist es seit mindestens fünf Jahren unmöglich, den Euroraum ohne das Wort "Krise" zu denken.
Im Sommer 2015 ist Griechenland – ich würde sagen, vielmehr die Währungsunion insgesamt – an
einem Austritt des Landes vorbeigeschrammt. Wäre es dazu gekommen, wäre der Charakter des
gemeinsamen Geldes unwiderruflich ein anderer geworden. Aus der "Währung der Europäischen
Union" wäre kaum mehr als eine temporäre Fixierung der Wechselkurse der beteiligten Staaten
geworden, die täglich nach politischen Opportunitätserwägungen oder angesichts überbordender
Spekulationswellen zur Disposition steht. Eine solche Scheinwährungsunion lebt nicht lange.
Dieser Schritt ist aber nicht gemacht worden. Warum nicht? Zeigt nicht die Krise, zeigt nicht die bessere
Performance der Nicht-Euro-Länder gegenüber den Euro-Staaten, dass Europa sich schleunigst der
Zwangsjacke des gemeinsamen Geldes entledigen und zurück zu nationalen Währungen gehen soll?
Die Antwort ist: Nein! Eine – reformierte – Währungsunion ist einem System flexibler Wechselkurse
in Europa überlegen.
Zuerst ist festzustellen, dass – wenn auch wegen wirtschaftspolitischer Fehlentscheidungen zu sehr
hohen Kosten – ein Großteil der notwendigen Krisenanpassungen hinter uns liegt. Haushaltsdefizite
sind im Euroraum niedriger als etwa in den USA und Großbritannien. Die Leistungsbilanz fast aller
Länder weist Überschüsse aus. Die Arbeitslosenquoten fallen, wenn auch von horrend hohen
Ausgangsniveaus, die Beschäftigung in den Krisenländern expandiert wieder.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
72
Die Architektur der Währungsunion in ihrer ursprünglichen Form war
grob fehlerhaft
Unbestreitbar ist, dass die institutionelle Architektur der Währungsunion in ihrer ursprünglichen Form
grob fehlerhaft war. Inzwischen ist aber einiges erreicht worden. Der Europäische
Stabilitätsmechanismus stellt eine gewisse kollektive Versicherung gegen künftige Krisen da. Mit dem
Anleihenkaufprogramm (OMT) und dem Einstieg in das Programm der Quantitativen Lockerung (das
heißt dem Aufkauf von Staatsanleihen mit "frisch gedrucktem" Zentralbankgeld) hat die Europäische
Zentralbank einen großen Schritt in Richtung eines "Lender of last resort" (Kreditgeber letzter Instanz)
getan: Sie stellt und stellte Banken und Staaten nahezu unbegrenzt Liquidität zur Verfügung. Wichtige
Maßnahmen in Richtung Bankenunion sind in Kraft. Das Verfahren gegen makroökonomische
Ungleichgewichte – auch dieses nicht optimal in der Ausführung – soll den gefährlichen Aufbau von
Leistungsbilanzdefiziten und -überschüssen eindämmen helfen.
BIP Wachstum von EU-Staaten ohne Euro im Vergleich zur Eurozone
Grafik als PDF-Version (http://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/170424_04_BIP_Wachstum_mm.pdf) (bpb)
Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de
Zudem skizziert der kürzlich erschienene sogenannte Fünfpräsidentenbericht (http://ec.europa.eu/
priorities/economic-monetary-union/docs/5-presidents-report_en.pdf) von den Chefs von Kommission,
Rat, Eurogruppe, EZB und Parlament einen Weg hin zur ökonomischen, fiskalischen und – schließlich –
politischen Union. Unter anderem sollen fiskalische Transfers zwischen den Mitgliedsstaaten (zum
Beispiel über eine gemeinsame "Sockelversicherung" bei Arbeitslosigkeit) möglich werden und eigene
europäische Steuern erhoben werden können. Auch die EZB sieht die Grenzen von
intergouvernementalen Lösungen – die in der Praxis bedeuten, dass die Zentralbank allein die
Eurozone retten muss – erreicht und fordert Schritte zur Erhöhung der demokratischen Legitimität von
Entscheidungen im Euroraum.
Die Richtung des Prozesses scheint klar – nicht zuletzt weil auch die Bürgerinnen und Bürger Europas
eine handlungsfähige EU wollen. Vieles spricht jedenfalls dafür, dass in den kommenden Jahren die
Architektur der Währungsunion erheblich gestärkt wird. Aber lohnt sich die Mühe? Wäre es nicht viel
besser, jedes Land führt wieder seine eigene Währung ein und erlangt die volle geldpolitische
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
73
Souveränität? Aus vielen Gründen: nein.
Erhebliche kurzfristige Risiken und mittelfristige Kosten, wenn der
Euro scheitert
Die Rückentwicklung des Euroraums und Wiedereinführung nationaler Währungen ist rein juristisch
nicht vorgesehen und wäre historisch ohne Präzedenzfall. Schwer vorstellbar, dass dies kurzfristig
ohne erhebliche Turbulenzen oder gar eine offene Krise vonstatten gehen könnte. Wie könnte
beispielsweise ein einzelnes Land oder eine kleine Gruppe die Währungsunion verlassen, ohne einen
panischen "bank run" und die massenhafte Flucht aus Staatsanleihen und anderen Wertpapieren
auszulösen? Die zu erwartenden heftigen Abwertungen der Währungen der Defizitländer und
Aufwertungen der Währungen von Ländern wie Deutschland würden enorme Verwerfungen auf den
Finanzmärkten auslösen. Nicht zuletzt: Der Wettbewerbsvorteil Deutschlands wäre dahin. Die
Übergangskosten wären also mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr hoch.
Ein System gänzlich flexibler Wechselkurse würde nur scheinbar den nationalen Regierungen die
ersehnte monetäre Souveränität zurückgeben. In der Vergangenheit wirkten Wechselkursschwankungen
handelshemmend und waren ebenso oft Ursache von Schocks wie sie Ländern geholfen haben, sich
an diese anzupassen. Die Problematik führte zum Europäischen Währungssystems (EWS). Manche
Eurokritiker sehen nun in einer Rückkehr zum EWS einen Ausweg aus der Krise. Aber in vielen
Hinsichten waren die damit verbundenen Einschränkungen der geldpolitischen Souveränität noch
größer als beim Euro selbst. Ankerwährung im EWS war die D-Mark. Das bedeutete, dass die
Zentralbanken der EWS-Länder gezwungen waren, sich der Geldpolitik der Bundesbank
unterzuordnen – ohne Mitsprache und egal, ob die daraus resultierende Geldpolitik angemessen war
oder nicht. Selbst in den Zeiten, in denen der Mechanismus weitgehend spannungsfrei funktionierte,
hatten Länder, die unter Abwertungsverdacht gegenüber der D-Mark standen, höhere Nominal- und
Realzinsen – zu Lasten von Wachstum, Beschäftigung und Staatsfinanzen.
Es reicht also beileibe nicht, auf die Probleme der gemeinsamen Währung hinzudeuten. Die
Gegnerinnen und Gegner des Euro sind in der Pflicht – gerade angesichts der hohen
Übergangskosten – genau darzulegen, wie das von ihnen favorisierte Wechselkurssystem aussehen
und wie man von der jetzigen, unbestreitbar suboptimalen Situation aus dorthin kommen soll. Bis jetzt
sind sie dieser Herausforderung nicht überzeugend nachgekommen.
Standpunkt Dirk Müller:
"Der gemeinsame Binnenmarkt ist das erfolgreichste
wirtschaftliche Element der EU. Die gemeinsame
Währung scheint dagegen für die meisten Staaten eher
eine bremsende als eine beschleunigende Wirkung zu
haben."
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Andrew Watt für bpb.de
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Zur Rolle Deutschlands in der
Schuldenkrise
21.2.2017
Deutschland ist einer der wenigen Staaten in Europa, der aus der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise
nach 2007 ökonomisch gestärkt hervorging. Doch hat sich Deutschlands Wirtschaft auf Kosten anderer
Mitglieder der Eurozone saniert? Und sind die deutschen Exportüberschüsse europäisch betrachtet
eine Belastung? Die folgenden Debatten beleuchten Deutschlands Rolle in der Schuldenkrise.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
75
Ist Deutschland ein Modell für Europa?
10.10.2014
Deutschland steht anders als viele Länder der Eurozone ökonomisch relativ unbeschadet da.
Gleichzeitig ist in den anderen europäischen Ländern die Abneigung gegen das ökonomische Kernland
der Währungsunion gewachsen. Bei Demonstrationen gegen Sparmaßnahmen waren von Lissabon
bis Athen häufig antideutsche Bilder zu sehen. Auch deshalb sorgte Angelo Bolaffi mit seinem Buch
"Cuore tedesco" ("Deutsches Herz") für Diskussionen. Der italienische Philosoph und Politologe fragte
darin unverblümt, was denn am deutschen Modell so schlecht sei, wenn sich in der Krise dessen
ökonomische, politische und ethische Vorzüge zeigen.
Dirk Müller (© picture-alliance/dpa)
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
77
Die Mär vom gesunden Staat
Von Ulrike Guérot
23.11.2014
Dr. Ulrike Guérot, Jahrgang 1964, ist Politikwissenschaftlerin. Seit September 2014 leitet sie das „European Democracy Lab“ an
der European School of Governance in Berlin und unterrichtet an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Im April 2013
hat sie mit dem österreichischen Essayisten Robert Menasse ein Manifest zur Gründung einer Europäischen Republik(http://www.
deutschlandfunk.de/europa-anders-denken-ideen-fuer-eine-europaeische.911.de.html?dram:article_id=297113)veröffentlicht.
Ulrike Guérot hält es für verfehlt, Deutschland als Vorbild für Europa anzupreisen. Bei
genauerem Hinsehen sei die stärkste Wirtschaftsmacht Europas ein Auslaufmodell, das seine
letzten fetten Jahre genieße, so die Politikwissenschaftlerin. Allein beim Export glänze die
deutsche Wirtschaft, was das Land aber abhängig von äußeren Entwicklungen mache.
Auf den ersten Blick klingt es einleuchtend, Deutschland als Vorbild für Europa anzupreisen. Angelo
Bolaffi hat mit dieser These im Jahr 2013 für Furore gesorgt. Doch bei genauerem Hinsehen ist die
stärkste Wirtschaftsmacht Europas eher ein Auslaufmodell, das seine letzten fetten Jahre genießt.
Zunächst stellt sich doch die Frage, von welchem Deutschland Bolaffi eigentlich spricht. Derer gibt es
derzeit mindestens drei: einen in der Tat prosperierenden Süden, der sich vor allem durch florierende
Automobilfabriken, einen gut aufgestellten Maschinenbau, aber auch durch eine stetig wachsende
Rüstungsindustrie gerade in einem Boom befindet. In Süddeutschland herrscht fast Vollbeschäftigung,
jeder, der Beschäftigung sucht, findet sie auch. Zudem profitieren Automobilindustrie und
Maschinenbau von der Zuwanderung ausgebildeter Fachkräfte, etwa Ingenieuren aus Südeuropa.
Benachbarte Volkswirtschaften wie Slowenien sind de facto ein "Zulieferbetrieb" für große deutsche
Konzerne. Sie hängen an der deutschen Wertschöpfungskette, ohne sich selber über Innovationen
und Produktivitätssteigerungen eine Basis für Wachstum verschaffen zu können, dienen als Reservoir
für – im Vergleich zu Deutschland – preiswerte Industriearbeitsplätze. Unvollständige EUGesetzgebungen und die Nichtvollendung des Binnenmarktes vor allem im steuerlichen und
sozialpolitischen Bereich tragen hierfür eine Mitverantwortung. Aus derlei europäischen Asymetrien
eine Modellrolle für Deutschland herzuleiten, erscheint mindestens gewagt. Man könnte auch
behaupten, einige Konzerne hätten sich nur geschickt aufgestellt, um aus den Unfertigkeiten einer
gesamteuropäischen Wirtschafts- und Sozialordnung einen überdurchschnittlichen Profit zu ziehen.
"Die einstige Hochburg des 'rheinischen Kapitalismus' ist es, an die
man sich von Bolaffi am meisten erinnert fühlt"
Neben dem prosperierenden Süden gibt es in Deutschland einen entvölkerten und wirtschaftlich
maroden Osten, der trotz Milliarden-Subventionen aus Westdeutschland seit der Wiedervereinigung
nicht zur blühenden Landschaft geworden ist. Jenseits einiger Inseln wie zum Beispiel der optischen
Industrie in Jena lebt Ostdeutschland höchstens vom Tourismus und von Erträgen aus Projekten der
Wind- und Solarenergie. Mag die Arbeitslosenquote in Gesamtdeutschland derzeit relativ niedrig sein –
einige Regionen des Ostens sind so strukturschwach wie Süditalien oder Nordfinnland. Hier liegt die
Quote derzeit nur deshalb nicht über zehn Prozent, weil viele Ansässige ihre Heimat längst verlassen
haben.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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BIP Wachstum von EU-Staaten ohne Euro im Vergleich zur Eurozone (Grafik zum Download (http://www.bpb.de/
system/files/dokument_pdf/170424_04_BIP_Wachstum_mm.pdf)) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de (bpb)
Schließlich existiert ein einst reiches, inzwischen aber auch mancherorts zum Siechtum neigendes
Westdeutschland. Die einstige Hochburg des "rheinischen Kapitalismus" ist es, an die man sich von
Bolaffi am meisten erinnert fühlt, die Welt der intakten Deutschland AG vor 1989: heile
Industriebranchen, Unternehmerdynastien, Arbeitermilieus und soziale Konvergenz. Indes, auch in
Westdeutschland nagt heute der demografische Zahn, zerfallen die einstigen Speckgürtel und
Reihenhaussiedlungen der Vorstädte, fräst die dritte Generation der damaligen "Gastarbeiter"
angesichts jahrzehntelanger defizitärer Integrationspolitik bis dato ungekannte soziale
Demarkationslinien in die einst gepflegten bourgeoisen Städte an Rhein und Ruhr.
"Deutschland erlebt derzeit fette Jahre - wie jemand, der im Garten
eine sprudelnde Ölquelle gefunden hat, die indes bald versiegen
wird."
Jenseits von Arbeitslosenstatistiken, die einer genaueren regionalen Betrachtung kaum stand halten,
lautet also ein anderes Deutungsangebot als das von Bolaffi etwa wie folgt: Deutschland erlebt derzeit
fette Jahre - wie jemand, der im Garten eine sprudelnde Ölquelle gefunden hat, die indes bald versiegen
wird. Diese Ölquelle ist noch das florierende Exportgeschäft, vor allem mit China. Ob dies
geostrategisch nicht in problematische Abhängigkeiten führt, ist nebenbei zumindest fraglich.
Schließlich wird die Demografieklappe bald zuschlagen: Deutschland altert dramatisch und verliert
pro Jahr 300.000 Erwerbspersonen, die es nicht durch Zuwanderung ersetzen kann. Allein der Export
ist also momentan der Glanz und Glitter der deutschen Wirtschaft. Dahinter aber verbirgt sich, dass
die sogenannten Hartz-IV-Reformen und die durch die Sparpolitik entstandenen Investitionsrückstände
in Infrastruktur, Bildung und Innovation das, was einmal Erfolgsschlager des deutschen Modells waren,
längst schleichend zerstört haben: eine gut ausgebildete Mittelschicht, gute Infrastruktur, starke
Gewerkschaften als Tarifpartner, sozialer Friede, geographische Homogenität, eine motivierte
Arbeitnehmerklasse.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
79
"Nein, die deutsche Wirtschaft ist kein Vorbild für Europa, sondern
lediglich ein Paradies für ältere Leute mit Geld."
Die deutschen Investitionen sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten stetig zurückgegangen: Von
21 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) (http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/
europa/70546/bip-pro-kopf) in den späten 1990er Jahren sind sie auf heute 17 Prozent gesunken.
Dies betrifft zum einen Investitionen in industrielle Ausrüstung, ein Bereich, wo die relevante PeerStaatengruppe – etwa Schweiz, Österreich oder Japan – bis zu 4 Prozentpunkte ihres BIPs mehr
investieren als wir. Aber auch Investitionen in Software, Know-How sowie Forschung und Entwicklung
mussten leiden: Hier liegt Deutschland trotz einer deutlichen Steigerung seit 2012 gemessen am BIP
noch immer fünf Prozentpunkte hinter den USA. Im Bildungssektor sieht es nicht besser aus. Dieser
Trend ist umso besorgniserregender, als nur eine innovative Wirtschaft dafür sorgen kann, dass immer
weniger Arbeitende eine immer größere Zahl an Rentnerinnen und Rentnern ernähren. Stattdessen
spart Deutschland weit mehr, als es investiert und hat in Konsequenz einen aktuellen
Leistungsbilanzüberschuss von sieben Prozent des BIP.
Nein, die deutsche Wirtschaft ist kein Vorbild für Europa, sondern lediglich ein Paradies für ältere Leute
mit Geld, das durch die Politik der Bundesregierung noch ein paar Jährchen geschützt werden dürfte.
Und für eine im Ausland umtriebige Exportindustrie, die das erwirtschaftete Geld zunehmend außer
Landes bringt. Insofern ließe sich argumentieren: Ein eingedeutschtes Europa wird sie nicht beenden,
sondern eine Vertiefung der Krise nach sich ziehen.
Standpunkt Angelo Bolaffi:
"Die Kraft, die aus Deutschland heute einen
Referenzpunkt für die Europapolitik macht, ist ein Modell
für einen Kapitalismus, dessen Grundlage ein
korporatives System gewerkschaftlicher Beziehungen
bildet."
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Ulrike Guérot für bpb.de
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Marktkonform und doch sozial gerecht
Von Angelo Bolaffi
23.11.2014
Prof. Angelo Bolaffi, Jahrgang 1946, lehrt politische Philosophie an der Universität La Sapienza in Rom. In den 1970er Jahren wurde
er von der westdeutschen Linken geprägt, von 2007 bis 2011 war er Direktor des Italienischen Kulturinstituts in Berlin. Anfang 2014
erschien sein Buch "Deutsches Herz".
Für den Philosphen Angelo Bolaffi ist die Agenda 2010 der Hauptgrund für Deutschlands
aktuelle wirtschaftliche Stärke. Der strukturelle Umbau des Wirtschafts- und Sozialsystems
habe das Land gut vorbereitet für die Herausforderungen der Globalisierung. Gegenüber den
konfliktorientierten Mittelmeerländern sei Deutschland zudem mit seinen konsensorientierten
Strukturen im Vorteil.
BIP Wachstum von EU-Staaten ohne
Euro im Vergleich zur Eurozone
(Grafik zum Download (http://www.
bpb.de/system/files/dokument_pdf/1­
70424_04_BIP_Wachstum_mm.pdf))
Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de
(bpb)
Zu Beginn dieses Jahrtausends war Deutschland noch "der kranke
Mann Europas": niedrige Wachstumsraten, hohe Arbeitslosenquote,
unkontrollierte Staatsverschuldung, gleichzeitig sanken die
privaten Investitionen. Heute wird Deutschland in ganz Europa
bewundert und beneidet, möglicherweise auch gefürchtet.
Dagegen sind Länder wie Spanien, Griechenland und Italien in einer
beispiellosen Krise versunken. Ihre Arbeitslosenquoten sind auf
Rekordniveau, der soziale Verfall greifbar. Selbst Frankreich, das
wirtschaftlich zweitstärkste Land der Eurozone, bringt nicht die
politische Kraft auf, Reformen einzuleiten, die ihm aus einer
inzwischen chronischen Stagnation heraushelfen könnten.
Deutschland ist also eine überraschende Wende gelungen. Die
Gründe dafür lassen sich gewissermaßen doppelt definieren –
historisch und strukturell, was mit den besonderen Eigenschaften und Vorzügen des deutschen Modells
zusammenhängt. Der eigentliche Grund für das deutsche Wunder hat einen Namen: Agenda 2010.
Der Chef der damaligen rot-grünen Regierung, Gerhard Schröder, kündigte am 14. März 2003 im
Bundestag die radikalste Reform des Sozialstaates in der deutschen Nachkriegsgeschichte an: dem
großzügigsten Wohlfahrtsstaat Europas (nur die skandinavischen Länder lagen weiter vorn) wurde
eine drastische Diät verordnet. Die Kriterien für die Gewährung von Arbeitslosengeld wurden verschärft,
das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre angehoben, weitere Sozialleistungen abgespeckt.
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"Dem großzügigsten Wohlfahrtsstaat Europas (nur die
skandinavischen Länder lagen weiter vorn) wurde eine drastische
Diät verordnet."
Hinzu kam eine strukturelle Umstellung des Wirtschafts- und Produktionssystems, um es in die Lage
zu versetzen, die Herausforderung der Globalisierung zu meistern. Die Agenda 2010 war eine
schwerwiegende Entscheidung für einen sozialdemokratischen Spitzenpolitiker, dessen Partei lange
Jahre die Unantastbarkeit der Sozialversicherung "von der Wiege bis zur Bahre" zur eigenen
Existenzberechtigung erklärt hatte. Wie sich später herausstellte, hat die Reform Deutschland
"gerettet", aber die SPD in die Krise gestürzt. Die Schröder-Regierung brach nicht nur mit einer
etablierten Tradition, was das Verhältnis zwischen Unternehmern und Lohnabhängigen betraf, sondern
definierte auch den Zusammenhang von bürgerlichen Rechten und staatlichen Aufgaben neu.
Die Reformen Schröders haben Früchte getragen. Deutschland ist heute die führende Exportnation –
so wie es die Bonner Republik in den 1980er und 1990er Jahren gewesen war – und zudem das Land
mit der geringsten Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Darüber hinaus hat Deutschland viel in Forschung
und Kultur investiert, weil es in der Ausbildung der nachwachsenden Generationen die wichtigste
strategische Waffe Europas sieht, um auf dem globalen Markt wettbewerbsfähig zu sein. Immerhin
haben das inzwischen auch Krisenländer wie Spanien, Italien und Griechenland begriffen.
"Wie sich später herausstellte, hat die Reform Deutschland 'gerettet',
aber die SPD in die Krise gestürzt."
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(© picture-alliance/dpa)
"In einer Welt, die beherrscht wird von billigen Arbeitskräften", schreibt der CNN-Anchorman Fareed
Zakaria in der Washington Post, "lohnt es sich für die reichen Länder, hochspezialisierte Fachkräfte
auszubilden, die in der Lage sind, hochwertige Produkte herzustellen und auf ein langfristiges
Wachstum und soziale Stabilität zu setzen."[1]
Das bedeutet nicht, dass sich in Deutschland wie in allen anderen westlichen Industrienationen infolge
einer Konzentration des Reichtums und der Verschärfung wirtschaftlicher Unterschiede nicht auch
eine dramatische soziale Ungleichheit zum Nachteil von Mittel- und Unterschicht herausgebildet hat.
Allerdings geschah dies in einer sozial weitaus verträglicheren Form als anderswo – nämlich abgefedert
durch soziale Sicherungssysteme und die Regulierung des Arbeitsmarktes. Schröder hat am Modell
Deutschland zwar quantitative Abstriche vorgenommen, es aber qualitativ nicht angetastet. Das Land
war nach der Reform tatsächlich in der Lage, die systembedingten Anforderungen des Marktes und
den Imperativ sozialer Gerechtigkeit in einer durch die Globalisierung radikal veränderten Situation
miteinander in Einklang zu bringen. Dies geschah, indem die für den Einsatz von Arbeitskräften
erforderliche Flexibilität klug mit einer grundsätzlichen Sicherheit des Arbeitsplatzes verbunden wurde.
So gründeten die Reformen in Deutschland nicht auf eine Potenzierung befristeter Arbeitsverhältnisse,
sondern auf unternehmensinterne Mobilität. Diese Mobilität setzt nicht allein auf flexible Arbeitszeiten,
Teilzeitarbeit und Überstunden, sondern auch auf aktive Mobilität innerhalb eines Unternehmens. Sie
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sorgt dafür, dass die Beschäftigten in regelmäßigen Abständen, vor allem aber in Zeiten der Krise,
ihre Kenntnisse durch Weiterbildung vertiefen, um eines Tages anspruchsvollere Aufgaben
übernehmen zu können.
"Die Kraft, die aus Deutschland heute einen Referenzpunkt für die
Europapolitik macht, ist ein Modell für einen Kapitalismus, dessen
Grundlage ein korporatives System gewerkschaftlicher Beziehungen
bildet."
Die Mobilität ist "ein sozialer und beruflicher Fahrstuhl, der vor allem innerhalb des Unternehmens
genutzt wird und der [...] zur außerordentlich und überraschend guten Behauptung der deutschen
Industrie in der Welt beiträgt." Mit dieser Formulierung bezog sich der einstige EUKommissionspräsident und italienische Premier Romano Prodi bereits 2011 direkt auf das eigentliche
Herzstück der Sozialpartnerschaft, die einer der Eckpfeiler, wenn nicht gar das Fundament des Modells
Deutschland ist.[2]
Diese Sozialpartnerschaft ist Ausdruck eines gesellschaftlichen Kompromisses, der den
Gewerkschaften wichtige Kontrollfunktionen und Mitbestimmungsrechte einräumt, ohne durch den
institutionalisierten Dialog aber Entscheidungsprozesse und Neuerungen im Unternehmen zu lähmen.
Die Differenz zwischen den einzelnen sozialökonomischen Modellen – dem konsensorientierten Modell
Deutschlands und dem konfliktorientierten der Mittelmeerländer (in erster Linie Frankreichs, Italiens,
Spaniens) – spiegelt sich auch in den unterschiedlichen Strategien wider, die von Gewerkschaften
und Unternehmen in den jeweiligen Ländern verfolgt werden.
Sie verursacht direkt die derzeit noch wachsende Kluft zwischen den Wirtschaftsräumen der Eurozone.
Und sie dürfte neben den unterschiedlich hohen Staatsschulden als Hauptgrund für die gegenwärtige
Krise der gemeinsamen Währung gelten. Die Kraft, die aus Deutschland heute, in den Wirren einer
erschütternden Finanzkrise, einen Referenzpunkt für die Europapolitik macht, ist ein Modell für einen
Kapitalismus, dessen Grundlage ein korporatives System gewerkschaftlicher Beziehungen bildet.
Dazu kommen konsensorientierte Strukturen im Kontext eines demokratischen Rechtsstaates. Sein
Ziel ist es, ein optimales Funktionieren des freien Marktes zu gewährleisten, aber auch – dank eines
robusten Systems sozialer Sicherung – einer größtmöglichen Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern
den Zugang zum erwirtschafteten Reichtum zu ermöglichen.
Standpunkt Ulrike Guérot:
"Deutschland erlebt derzeit fette Jahre wie jemand, der
im Garten eine sprudelnde Ölquelle gefunden hat, die
indes bald versiegen wird."
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Angelo Bolaffi für bpb.de
Fußnoten
1.
Fareed Zakaria, The economic lessons the rest of the world could teach us, in: The Washington
Post vom 18. Januar 2012. Online unter: http://www.washingtonpost.com/opinions/the-economic-
bpb.de
Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
2.
84
lessons-the-rest-of-the-world-could-teach-us/2012/01/18/gIQAfSuG9P_story.html (http://www.
washingtonpost.com/opinions/the-economic-lessons-the-rest-of-the-world-could-teach-us/2012/01/18/
gIQAfSuG9P_story.html) (Stand 24.11.2014)
Romano Prodi, La mobilità del sistema tedesco e l’incapacità italiana di prendere decisioni, auf:
www.romanoprodi.it vom 12. Juni 2011. Online unter: http://www.romanoprodi.it/articoli/italia/lamobilita-del-sistema-tedesco-e-lincapacita-italiana-di-prendere-decisioni_3177.html (http://www.
romanoprodi.it/articoli/italia/la-mobilita-del-sistema-tedesco-e-lincapacita-italiana-di-prendere-decisioni_3177.
html) (Stand 24.11.2014)
bpb.de
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85
Hat Deutschlands Bilanzüberschuss die Krise
beschleunigt?
14.10.2014
Seit Jahren steht der gewaltige Außenhandelsüberschuss Deutschlands im Fokus vieler Kritikerinnen
und Kritiker. Er wächst beständig, im Jahr 2013 mit 199 Milliarden Euro auf einen absoluten nationalen
und sogar weltweiten Höchststand. Deshalb rügte die EU-Kommission Deutschland erstmals offiziell.
Auch die US-Regierung und der Internationale Währungsfonds machen mittlerweile Überschussländer
wie Deutschland mitverantwortlich für die globale Finanz- und die Staatsschuldenkrise in Europa. Zu
Recht?
Arbeitslosenquoten in der Eurozone
Grafik als PDF-Version (http://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/170425_05_Arbeitslosenquoten_Eurozone_mm%
20.pdf) (bpb) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de
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Die Eurokrise ist eine Zahlungsbilanzkrise
Von Heiner Flassbeck
23.11.2014
Prof. Dr. Heiner Flassbeck, Jahrgang 1950, war von 1998 bis 1999 Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und von Januar
2003 bis Ende 2012 Chef-Volkswirt bei der UNO-Welthandels und Entwicklungsorganisation Unctad. Der Ökonom betreibt den Blog
flassbeck-economics.de(http://www.flassbeck-economics.de/). Sein Buch "66 starke Thesen zum Euro, zur Wirtschaftspolitik und
zum deutschen Wesen" erschien im April 2014.
Überschussländer wie Deutschland dürften nicht so tun, als gingen sie die Krisenländer und
deren Schulden nichts an, meint Heiner Flassbeck. Wenn die Defizitländer ihre Defizite abbauen
sollen, müssen die Überschussländer im Gegenzug auch ihre Überschüsse reduzieren, so der
Ökonom.
Arbeitslosenquoten in der Eurozone
(Grafik zum Download (http://www.
bpb.de/system/files/dokument_pdf/1­
70425_05_Arbeitslosenquoten_Eur­
ozone_mm%20.pdf)) Lizenz: cc bync-sa/4.0/deed.de (bpb)
Wie können unsere weltweiten Exporterfolge ein Problem sein,
fragen sich viele Menschen in Deutschland. Wenn die Verbraucher
und Investoren in einigen Ländern unsere Produkte lieber kaufen
als ihre eigenen oder die anderer Länder, dann ist das doch deren
gutes Recht – jedenfalls solange sie es bezahlen können. Genau
beim Bezahlen aber fängt das Problem an. Wenn private Haushalte
oder private Unternehmen neue Kredite bekommen, obwohl sie
eigentlich zahlungsunfähig sind, würde jeder vernünftige Mensch
das als problematisch ansehen. Fast jeder würde sagen, jawohl,
wer dauernd über seine Verhältnisse lebt, darf nicht einfach lustig
weitermachen, sondern muss früher oder später gezwungen
werden, sich an seine Verhältnisse – genauer: seine
Einkommensverhältnisse – anzupassen. Das heißt: Er muss ohne
neue Schulden auskommen.
Daraus ergibt sich eine einfache weitere Erkenntnis: Das Problem der Überschüsse der einen sind
die Defizite der anderen. Die Welt als Ganzes kennt weder Überschüsse noch Defizite, sondern hat
immer eine ausgeglichene Handels- und Leistungsbilanz, da sie ja nicht mit anderen Planeten im
Austausch steht. Daher sind die Überschüsse immer ganz genau so groß wie die Defizite, und genau
deswegen dürfen die einen nicht so tun, als gingen sie die anderen und deren Schulden nichts an.
Denn wenn die bisherigen Defizitländer ihre Defizite abbauen und vielleicht sogar ihre Schulden
zurückzahlen sollen, dann müssen die Überschussländer im Gegenzug ihre Überschüsse abbauen
und (im Fall der Rückzahlung der Schulden) ihrerseits langfristig Defizite in Kauf nehmen. Diese Logik
ist absolut zwingend für die Welt als Ganzes, sie gilt aber auch für einen Währungsraum wie die
Europäische Währungsunion (EWU).
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"Sollen Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone vermindert werden,
müssen die Überschussländer sich genauso anpassen wie die
Defizitländer."
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Die EWU muss insgesamt mit einem schwankenden Wert des Euro gegenüber dem Rest der Welt
zurechtkommen. Würden alle Euro-Länder versuchen, wie Deutschland Überschüsse im Außenhandel
zu bilden, könnte das nur gehen, wenn der Rest der Welt bereit wäre, hohe Defizite in der
Leistungsbilanz (also eine hohe jährliche Verschuldung gegenüber den Ländern der EWU) zu
akzeptieren und wenn der Wechselkurs des Euro gegenüber den anderen wichtigen Währungen
unverändert bliebe. Beides ist nicht zu erwarten. Es gibt schon jetzt erheblichen politischen Widerstand
gegen die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse (vor allem aus den USA, die schon jahrzehntelang
Defizite aufweisen). Ein politischer Konflikt würde auf lange Sicht dazu führen, dass der Euro
aufgewertet würde. Dies wiederum würde die Bildung hoher Leistungsbilanzüberschüsse unmöglich
machen, weil die europäischen Güter auf dem Weltmarkt schlicht zu teuer wären.
Sollen also die Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone vermindert werden, müssen die
Überschussländer sich genauso anpassen wie die Defizitländer. Das heißt, dass Deutschland seinen
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Überschuss unbedingt vermindern muss. Es gibt es exakt zwei Wege, wie das geschehen kann.
Erstens: Nur die Defizitländer in der Eurozone senken Löhne und Preise, um deren
Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, während die Überschussländer (mit Deutschland als größtem
Überschussland vorneweg) bei ihrem bisherigen Kurs bleiben. Die Lohnstückkosten sind
erwiesenermaßen die wichtigste Determinante der Preisentwicklung. Deutschland weist jedoch nur
Lohnstückkostenzuwächse von weit unter zwei Prozent auf. Dies bedeutet, dass die Lohn- und
Preisentwicklung deflationär wird, zumindest aber, dass die Preissteigerungsraten unter das Ziel der
Europäischen Zentralbank (EZB) von knapp zwei Prozent fallen. Das ist derzeit längst der Fall. Deshalb
unternimmt die EZB alles, um eine offene Deflation, also fallende Preise auf breiter Front zu vermeiden.
"Deutschland hat mit seiner Politik der Lohnzurückhaltung
maßgeblich für die Spaltung der EWU in Defizit- und
Überschussländer gesorgt."
Zweitens: Auch Deutschland passt sich an und übt politischen Druck auf die Tarifpartner aus, um eine
stärkere Zunahme der Löhne (und der Preise) zu erreichen. In dem Fall kann eine Deflation verhindert
werden, weil Deutschland ein Gegengewicht zu fallenden Lohnstückkosten und Preisen vor allem in
Südeuropa schafft.
Genau diese zweite Variante, die derzeit in Deutschland heftig und kontrovers diskutiert wird, ist in
jeder Hinsicht angemessen, weil es Deutschland war, das seit Beginn der Währungsunion mit seiner
Politik der Lohnzurückhaltung maßgeblich für die Spaltung der EWU in Defizit- und Überschussländer
gesorgt hat. Die massive Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit eines großen Landes durch relative
Lohnsenkung und der Aufbau hoher Leistungsbilanzüberschüsse ist für die Eurozone ein schier
unlösbares Problem, weil eine Lohnsenkung, die dann früher oder später in den Defizitländern
stattfinden muss, Deflation zur Folge hat. Dies wiederum führt in den betroffenen Ländern wegen
einbrechender Binnennachfrage zu hoher Arbeitslosigkeit. Die dramatischen Folgen dieser Art der
Anpassung kann man derzeit in Spanien, Griechenland und Portugal beobachten.
Würden Italien und Frankreich versuchen, diesen Weg, den Südeuropa schon gegangen ist, ebenfalls
zu gehen, würde die gesamte EWU politisch destabilisiert, weil anti-europäische Kräfte die Oberhand
gewännen. Der Sieg des Front National bei den Europawahlen in Frankreich zeigt, dass man
Demokratien nicht mit falscher europäischer Politik beliebig strapazieren kann, ohne nationalistischen
Kräften in die Hände zu spielen.
Standpunkt Michael Hüther:
"Die seit Jahren ansteigende Beschäftigung in
Deutschland ist ein Beleg dafür, dass die Exporterfolge
sich positiv auf die Binnenwirtschaft auswirken."
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Heiner Flassbeck für bpb.de
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Europa braucht Deutschland, Deutschland braucht
Europa
Von Michael Hüther
23.11.2014
Prof. Dr. Michael Hüther, Jahrgang 1962, ist Direktor und Mitglied des Präsidiums des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln und
Honorarprofessor für Allgemeine Volkswirtschaftslehre an der European Business School Oestrich-Winkel.
Die Industrienation Deutschland ist als Wachstumsmotor wichtig für Europa, betont Michael
Hüther. Wenn Deutschland spart, schafft es zugleich ein Potenzial für Investitionen in anderen
Euro-Ländern, sodass dort Chancen für mehr Wachstum und Beschäftigung entstehen.
Im Zuge der Eurokrise ist immer wieder das Augenmerk auf makroökonomische Ungleichgewichte
gerichtet worden. Laut Bericht der EU-Kommission vom 5. März 2014 bringen diese Ungleichgewichte
die Wirtschaft der Eurozone in Gefahr. In dem Bericht heißt es: "In Deutschland bestehen
makroökonomische Ungleichgewichte, [...] So weist die Leistungsbilanz aufgrund der hohen
Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands kontinuierlich sehr hohe Überschüsse auf, während ein großer
Teil der Ersparnisse im Ausland investiert wurde. Dies ist auch ein Anzeichen dafür, dass das auf der
Binnennachfrage beruhende Wachstum nach wie vor gedämpft ist und die wirtschaftlichen Ressourcen
möglicherweise nicht effizient zugewiesen werden".
Die EU-Kommission folgt damit einer nachfrageseitigen Erklärung: Danach übersteigen Produktion
und Einkommen in Deutschland die private und staatliche Güternachfrage, der entsprechende
Ersparnisüberschuss wandert über Kredite in die Volkswirtschaften mit einem Leistungsbilanzdefizit.
Diese sind damit in der Lage, ihre inländische Produktion durch Importe so zu ergänzen, dass Konsum,
Investitionen und Staatsausgaben im gewünschten Maße befriedigt werden können. Soweit, so gut.
Doch dies ist allenfalls die halbe Geschichte.
"Tatsächlich weisen Volkswirtschaften mit einem hohen Industrieanteil
durchweg einen beachtlichen Leistungsbilanzüberschuss auf."
Eine andere Sichtweise erklärt Leistungsbilanzsalden über die volkswirtschaftliche Angebotsseite,
indem die Produktionsstruktur und damit die Spezialisierung in der globalen Arbeitsteilung – somit eine
Vielzahl unternehmerischer Entscheidungen mit zum Teil weit zurückreichender Historie – betrachtet
werden. Tatsächlich weisen Volkswirtschaften mit einem hohen Industrieanteil durchweg einen
beachtlichen Leistungsbilanzüberschuss auf.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Angelo Bolaffi (© picture-alliance)
Dagegen realisieren Länder mit einem Industrieanteil von unter 15 Prozent am Bruttoinlandsprodukt
meist ein Leistungsbilanzdefizit. Die Industriestruktur ist trotz global fortschreitender Tertiarisierung
(der Erhöhung der Dienstleistungswertschöpfung) unverändert in diesem Sinne prägend. Der
Welthandel erfolgt zu 80 Prozent mit Waren, von 2002 bis 2012 stiegen die Warenexporte global um
180 Prozent, Dienstleistungsexporte um 170 Prozent.
Hintergrund der unverändert starken Bedeutung des Warenhandels ist zum einen die Tatsache, dass
sich bei der Produktion von industriellen Gütern – anders als bei Dienstleistungen – besondere
Potenziale der Arbeitsteilung ergeben, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einer kräftigen
Entwicklung grenzüberschreitender Verflechtungen geführt haben. Moderne Kommunikation und
effektive Logistik haben die Verlängerung und Fragmentierung der industriellen Wertschöpfungsketten
befördert.
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"Der Verbundsektor aus Industrie und Dienstleistern ist tatsächlich
nirgends in Europa so ausgeprägt wie in Deutschland."
Zum anderen hat der Investitionsboom vieler Schwellen- und Entwicklungsländer den globalen
Warenhandel angetrieben. Von den globalen Bruttoinvestitionen, die sich zwischen 2002 und 2012
von 7.000 auf gut 12.000 Milliarden US-Dollar erhöhten, entfiel zu Beginn dieser Periode knapp ein
Viertel auf Schwellen- und Entwicklungsländer. Heute liegt ihr Anteil bei über 50 Prozent. Davon konnte
die deutsche Volkswirtschaft in besonderem Maße profitieren. Und dies nicht wegen einer
Lohndumpingstrategie – dagegen sprechen die im internationalen Vergleich unverändert hohen
industriellen Arbeitskosten –, sondern infolge fortlaufender Veränderung der Wertschöpfungsketten
durch Outsourcing (die Verlagerung von Unternehmensaufgaben an externe und interne Zulieferer)
und Offshoring (die Verlagerung von Unternehmensaufgaben ins Ausland).
Dies hat einerseits die preisliche Wettbewerbsfähigkeit gestärkt, andererseits über die Ergänzung von
Industriegütern durch Dienstleistungen das Potenzial für kundendifferenzierte Produkte geschaffen.
Der so entstandene Verbundsektor aus Industrie und Dienstleistern ist tatsächlich nirgends in Europa
so ausgeprägt wie in Deutschland – und verglichen mit Nordamerika sowie Ostasien ein
Alleinstellungsmerkmal. Durch die Auslagerung von Produktionsschritten in die europäischen
Nachbarländer erweist sich die deutsche Industrie zugleich als Wachstumsmotor für ganz Europa.
Denn es hat sich nicht nur der deutsche Handel mit den übrigen 27 EU-Staaten kräftig erhöht, sondern
aus deren Sicht ebenso die Intensität im Austausch von Industriewaren mit Deutschland.
"Die seit Jahren ansteigende Beschäftigung in Deutschland ist ein
Beleg dafür, dass die Exporterfolge sich positiv auf die
Binnenwirtschaft auswirken."
So gilt: Die Industrie in den europäischen Partnerländern braucht Deutschland, aber die deutsche
Industrie braucht auch leistungsfähige Partner in Europa. Schließlich: Dem Saldo der Leistungsbilanz
entspricht bei freiem Kapitalverkehr der Saldo der Kapitalbilanz. Wenn Deutschland spart, dann schafft
es damit ein Potenzial für Investitionsfinanzierungen in anderen Ländern, so dass dort Chancen für
mehr Wachstum und Beschäftigung entstehen. Ähnlich gilt dies für einseitige Geldtransfers, wie sie
beispielsweise im Rahmen der speziellen europäischen Fonds (Strukturfonds und Kohäsionsfonds)
geleistet werden. Deutschland kommt als größter Nettozahler der Europäischen Union seiner
Verantwortung nach. Entscheidend ist, was mit den Kapitalimporten oder einseitigen Übertragungen
in den Empfängerländern gemacht wird.
Zu guter Letzt: Die seit Jahren ansteigende Beschäftigung in Deutschland ist ein Beleg dafür, dass
die Exporterfolge sich positiv auf die Binnenwirtschaft auswirken. Zusammen mit den
Reallohnsteigerungen der letzten Jahre hat dies eine kräftigere Entwicklung des privaten Konsums
begründet. Unzureichend ist freilich die Investitionstätigkeit, und zwar sowohl bei den Unternehmen
wie beim Staat. Das reflektiert zum einen Verunsicherung mit Blick auf die globalen Trends und die
Wirtschaftspolitik, zum anderen eine falsche Verteilung von Mitteln im Staatshaushalt.
Standpunkt Heiner Flassbeck:
"Das Problem der Überschüsse der einen sind die
Defizite der anderen."
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Michael Hüther für bpb.de
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Zur Lage der Krisenländer
21.2.2017
Die Euro-Krise beschäftigt Europa bereits seit mehreren Jahren. Während ehemalige Krisenländer
wie Irland jüngst einen wirtschaftlichen Aufschwung verzeichnen, ist in Griechenland ein Ende der
wirtschaftlichen Misere nicht absehbar. Und auch große EU-Staaten wie Italien und Frankreich stehen
ökonomisch unter Druck. Die Debatten spiegeln die Lage in den Krisenländern wider.
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Gingen die Reformen in Griechenland zu weit?
13.5.2016
Experten glauben, dass den Südosteuropäern durch die Dauerkrise ein Vierteljahrhundert
wirtschaftlicher Entwicklung verloren gegangen ist. Erst 2015 entging Griechenland knapp dem
Rauswurf aus der Eurozone. Schon stehen dem Land offenbar weitere harte Einschnitte bevor, um
den erneut drohenden Bankrott zu verhindern. Ob das das richtige Mittel ist, ist unter Ökonomen und
in der Bevölkerung umstritten. Wie kann Griechenland genesen?
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Ohne Strukturreformen ist alles nichts
Von Alexander Kritikos
23.5.2016
Prof. Dr. Alexander Kritikos, Jahrgang 1965, ist Forschungsdirektor der Querschnittsgruppe "Entrepreneurship" am Deutschen
Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Er hat eine Professur für Industrie- und Institutionenökonomie an der Universität
Potsdam und ist Research Fellow am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA).
Etat und Arbeitsmarkt sind nahezu saniert, griechische Waren wieder relativ preisgünstig, lobt
Alexander Kritikos. Allerdings ist dem Wirtschaftsprofessor der Staatsapparat noch zu
ineffizient, außerdem bemängelt er überregulierte Produktmärkte und geringe
Forschungsausgaben in Griechenland.
Als der Euro 2002 als Zahlungsmittel eingeführt wurde, stoppte der zuvor unter der
sozialdemokratischen Regierung von Konstantinos Simitis begonnene Reformprozess. So blieben
Produkt- und Arbeitsmärkte überreguliert, die grassierende Korruption erschwerte Investitionen,
Griechenlands Wettbewerbsfähigkeit verschlechterte sich. Die Lohnstückkosten stiegen
überproportional an, der Export lahmte. Und dennoch wuchs Griechenlands Wirtschaft. Das gelang
mit einer expansiven Fiskalpolitik, also hohen staatliche Ausgaben, die mit ausländischem Kapital
finanziert waren – griechische Staatsanleihen galten damals noch als sicher. Das Geld wurde allerdings
nicht produktiv investiert, sondern floss in einen immer aufgeblähteren Apparat – die Zahl der
Staatsangestellten nahm unter der konservativen Regierung von Kostas Karamanlis besonders stark
zu.
In einem Bild: Die griechische Wirtschaft wuchs, angetrieben von einer Art Hilfsmotor, dem starken
Anstieg kreditfinanzierter Staatsausgaben, der Konsum und Immobiliensektor befeuerte. Mit dem
Einsetzen der Finanzkrise kam dieser Hilfsmotor ins Stottern. Ausländisches Kapital zur Finanzierung
des Staats, also das Benzin zum Antrieb des Hilfsmotors, blieb aus. Zur Rettung des griechischen
Etats mussten bis heute drei milliardenschwere Hilfspakete geschnürt werden.
Was ist seit Beginn der Krise passiert? Die sogenannte Troika hat mehrfach versucht, den griechischen
Staatshaushalt zu sanieren. Dazu sollten einerseits die Einnahmen erhöht, aber vor allem die Ausgaben
massiv gekürzt werden. Staatliche Löhne wurden um 30 Prozent gesenkt, die Zahl der
Staatsangestellten, Renten und Sozialleistungen reduziert. Zudem wurden die Arbeitsmärkte stark
reformiert - sie gehören heute zu den flexibelsten in Europa. In dieser Hinsicht wurden die Vorgaben
der Troika nahezu vollständig umgesetzt.
Als Folge befindet sich die griechische Ökonomie nun seit sieben Jahren im Krisenmodus. Seit 2009
ist die Wirtschaftsleistung um knapp 30 Prozent zurückgegangen, jeder vierte Grieche ist arbeitslos.
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"Innovative Industrien mit hoher Wertschöpfung, die die Chance auf
nachhaltiges Wachstum bieten, gibt es viel zu wenig, um von
Kostensenkungen allein zu profitieren."
Da auch die Lohnstückkosten sanken, ist die mangelnde Konkurrenzfähigkeit der griechischen
Wirtschaft auf der Kostenseite größtenteils beseitigt. Die Tourismuszahlen zogen nach 2013 stark an
und befanden sich im Jahr 2015 mit über 20 Millionen Besuchern auf nie gekanntem hohem Niveau.
Etwa 800 000 Menschen, das sind etwa 21 Prozent der Erwerbstätigen - arbeiten inzwischen in diesem
Sektor, mehr als für den Staat. Auch die häufig zitierten griechischen Tomaten sind so günstig wie
schon lange nicht mehr. Griechenland hat kein Kostenproblem mehr, der Arbeitsmarkt ist reformiert,
die Etats saniert – doch warum springt die Wirtschaft nicht an?
Griechenland: Ökonomische Schlüsseldaten
Ein Blick auf die Struktur der Exporte zeigt das Problem. Griechenlands Spezialisierung konzentriert
sich auf Handel, Tourismus, Agrarprodukte und einige mineralische Erzeugnisse. Es gibt kaum weitere
Produkte, die allein durch Kostensenkungen exportfähiger würden. Innovative Industrien mit hoher
Wertschöpfung, die die Chance auf nachhaltiges Wachstum bieten, gibt es viel zu wenig, um von
Kostensenkungen allein zu profitieren.
Gleichzeitig verfügt Griechenland theoretisch über alle Voraussetzungen, um innovative Industrien
aufzubauen. Es ist gesegnet mit herausragenden Forschern, einer Vielzahl von ideenreichen
Unternehmern und sehr gut ausgebildeten Fachkräften. Allerdings haben diese in den letzten Jahren
massiv das Land verlassen, man spricht von über 200 000.
"Die Produktmärkte sind immer noch überreguliert, der Staatsapparat
ineffizient, die Bürokratie überbordend."
Warum das Land gerade für Unternehmer unattraktiv ist, liegt auf der Hand: Die Produktmärkte sind
immer noch überreguliert, der Staatsapparat ineffizient, die Bürokratie überbordend. Es gibt zahllose,
sich teils widersprechende Vorschriften – und beinahe monatlich neue Steuergesetze. Das hält viele
Unternehmen und Investoren davon ab, ihre Ideen in Griechenland in Produkte umzuwandeln. Verstärkt
werden diese Nachteile durch die seit Sommer 2015 bestehenden Kapitalverkehrskontrollen und ein
abschreckendes Justizsystem, das mehr als vier Jahre braucht, um Vertragsvereinbarungen gerichtlich
durchzusetzen. Es fehlt also am institutionellen Umfeld, das innovatives Unternehmertum unterstützt.
Vieles davon hätte im Rahmen der drei Reformpakete zum Besseren gewendet werden können. Leider
ist es nicht passiert.
Dementsprechend befindet sich die griechische Ökonomie nun seit sieben Jahren im Krisenmodus.
Seit 2009 ist die Wirtschaftsleistung um knapp 30 Prozent zurückgegangen, jeder vierte Grieche ist
arbeitslos.
Um im Bild zu bleiben: Die Regierungen haben zwar den zuvor überhitzten Hilfsmotor ausgebaut, aber
bis heute zu wenig getan, um den eigentlichen Wirtschaftsmotor ins Laufen zu bringen. Die bittere
Wahrheit ist: Wären die Strukturreformen in der Vergangenheit mit dem gleichen Schwung
angegangenen worden wie Etatkürzungen und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, es hätte – die
baltischen Ländern und Polen zeigen das eindrucksvoll – eine viel positivere Ausstrahlung auf die
griechische Wirtschaft gehabt.
Das Land braucht dafür eine koordinierte Strategie, die die privaten Wirtschaftskräfte im Lande stärkt.
Was dafür notwendig ist: Struktur- und Justizreformen zur Beseitigung der zuvor genannten Defizite.
Und mehr Verlässlichkeit in der Wirtschaftspolitik. Neben dem Abbau der Überregulierung muss das
Forschungspotenzial erhöht werden. Seit Jahren gibt das Land nur 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung
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für Forschung und Entwicklung (F&E) aus, andere Euroländer investieren drei Prozent. Ohne
Schließung dieser Investitionslücke wird Griechenland nie nachhaltig wachsen können. Die zum Teil
staatlich zu finanzierenden Investitionen in F&E müssen in Abstimmung mit der EU und einzelnen
Partnerländern drastisch erhöht werden. Griechenland braucht mehr Sprit für den Wirtschaftsmotor,
nämlich Investitionen in das Innovationssystem.
Standpunkt Andrew Watt:
"Der wirtschaftspolitisch aufgezwungene Aderlass hat
der griechischen Wirtschaft Nachfrage entzogen. Das
kann gesamtwirtschaftlich nur funktionieren, wenn diese
fehlende Nachfrage anderweitig ersetzt wird."
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de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Alexander Kritikos für bpb.de
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Der Aderlass hat Griechenland geschadet
Von Andrew Watt
23.5.2016
Dr. Andrew Watt, Jahrgang 1963, ist seit 2012 Abteilungsleiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in
der Hans-Böckler-Stiftung. Er verantwortet in dieser Funktion die operative Leitung des gewerkschaftsnahen Instituts und forscht
zu Themen der Europäischen Wirtschaftspolitik. Zuvor war er Senior Researcher am Europäischen Gewerkschaftsinstitut (EGI) in
Brüssel. Watt ist zudem Kolumnist und Blogger beim Social Europe Journal.
Die Gesundung des Krisenstaats wäre zu erheblich niedrigeren Kosten – sowohl für die
Griechen selbst als auch für Europa insgesamt – möglich gewesen, kritisiert der Ökonom
Andrew Watt.
Der Aderlass ist ein seit der Antike verbreitetes Heilverfahren, bei dem Patienten eine erhebliche Menge
Blut entnommen wird. Heute ist belegt, dass er nur bei wenigen Krankheiten hilft. Deshalb ist er aus
dem medizinischen Alltag verschwunden.
Der Glaube daran, dass man eine Wirtschaft „gesundschrumpfen“ kann, indem dem
Wirtschaftskreislauf Kaufkraft („Blut“) entzogen wird, ist jedoch auch heute noch verbreitet. Eine
restriktive Fiskalpolitik – Kürzungen, neue Steuern oder Abgaben – bringt danach die Staatsfinanzen
wieder ins Lot, nicht nachhaltige Nachfrage wird korrigiert. Gleichzeitig werden unproduktive Firmen
aus dem Markt gedrängt. Die anderen müssen ihre Produktion effizienter gestalten, Kosten reduzieren
und nicht benötigte Arbeitskräfte freisetzen. Um wieder in Beschäftigung zu kommen, müssen Letztere
ihre Reallohnansprüche zurückschrauben.
Dieser Prozess wird, so die Theorie, unterstützt durch sogenannte Strukturreformen, die Arbeitnehmer
in Lohnverhandlungen systematisch schwächen. Zudem machen Wohlfahrtsstaatsreformen die
soziale Hängematte ungemütlich und die Aufnahme auch schlecht entlohnter Jobs attraktiv. Im Ergebnis
verbilligen sich heimische Produkte, das Land kann verstärkt exportieren. Die Erholung folgt – nach
einem Tal der Tränen –, und erst dann, irgendwann, können auch Arbeitnehmer höhere Reallöhne
erzielen und Steuerzahlerinnen zwar weniger, aber dafür effizientere öffentliche Dienstleistungen
genießen.
Das ist im Kern auch die Kur, durch die Griechenland genesen sollte: fiskalische Austerität,
Strukturreformen und im Vergleich mit den Wettbewerbern fallende Löhne und Preise - die sogenannte
„interne Abwertung“. Sie hat nicht funktioniert. Vorhersagen, die griechische Wirtschaft werde sich „im
kommenden Jahr“ erholen, sind immer wieder verschoben worden. Stattdessen ist das
Bruttoinlandsprodukt (BIP) insgesamt um ein Viertel gefallen. Die Staatsschulden stiegen trotz hartem
Sparkurs unaufhörlich auf fast die zweifache jährliche Wirtschaftsleitung. Der Lebensstandard
(gemessen am BIP pro Kopf) fiel auf unter zwei Drittel des EU-Durchschnitts. Vor der Krise hatte es
bei fast 90 Prozent gelegen. Die Arbeitslosigkeit liegt bei über 25 Prozent. Gut ausgebildete Menschen
verlassen in Scharen das Land.
Die Gründe für das Scheitern der Reformen lassen sich grob unter zwei Rubriken zusammenfassen:
Einmal die Anwendung falscher Theorien über die Bestimmung von makroökonomischen Größen wie
Output, Beschäftigung und Staatsschulden. Und dann das mangelnde Verständnis dafür, dass die
Probleme Griechenlands (und die anderer Krisenländer) vor allem Ausdruck systemischer Probleme
der Architektur des Euroraums sind – und dort auch gelöst werden sollten, und erst in zweiter Linie
das Ergebnis nationaler Defizite.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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"Der wirtschaftspolitisch aufgezwungene Aderlass hat der
griechischen Wirtschaft Nachfrage entzogen. Das kann
gesamtwirtschaftlich nur funktionieren, wenn diese fehlende
Nachfrage anderweitig ersetzt wird."
Einzelne Arbeitnehmergruppen und Firmen können durch Verzicht auf höhere Löhne und Preise ihre
Beschäftigungs- oder Absatzchancen erhöhen. Aber dieses einzelwirtschaftliche Denken funktioniert
auf der Ebene einer Volkswirtschaft nur unter bestimmten Voraussetzungen. Denn letztlich müssen
die angebotenen Dienstleistungen und Produkte auch von jemandem gekauft werden: Es muss eine
effektive Nachfrage dafür geben – eine zentrale Einsicht des vor siebzig Jahren verstorbenen britischen
Ökonomen John Maynard Keynes.
Griechenland: Ökonomische Schlüsseldaten
Der wirtschaftspolitisch aufgezwungene Aderlass hat der griechischen Wirtschaft Nachfrage entzogen.
Das kann gesamtwirtschaftlich nur funktionieren, wenn diese fehlende Nachfrage anderweitig ersetzt
wird. Die Strategen der Troika glaubten, dass das Ausland angesichts gestiegener preislicher
Wettbewerbsfähigkeit griechischer Produkte und Dienstleistungen (nicht zuletzt des Tourismus) in
diese Bresche springen. Sie vermuteten auch, dass der griechische Privatsektor (Haushalte und
Unternehmen) seine Ausgaben erhöhen würde, wenn endlich entschieden gegen den überbordenden
Staatssektor, Korruption und Steuerflucht vorgegangen wird. Die fiskalische Kontraktion sollte also
durch sogenannte „nicht-keynesianische Effekte“ letztlich expansiv wirken.
Allerdings ist Griechenlands Wirtschaft eine der geschlossensten des Euroraums. Da ihre direkten
südeuropäischen Konkurrenten ebenfalls kriselten, mussten sie sich wie die Griechen auf einen
Wettlauf nach unten einlassen. Gleichzeitig weigerten sich reichere Partner wie Deutschland, ihre
Wirtschaft zu stimulieren und Preise und Löhne im Vergleich zu den Krisenländern steigen zu lassen.
Und schließlich fehlt Griechenland wie allen Mitgliedern der Eurozone die geldpolitische Autonomie,
um die Wirtschaft monetär zu stimulieren und heimische Waren durch Abwertung konkurrenzfähiger
zu machen.
"Die Troika dokterte am schwächsten Patienten herum."
Die Troika dokterte also am schwächsten Patienten herum, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass die
Strukturen im gesamten Krankenhaus gesundheitsgefährdend waren. Die Überschuldung
Griechenlands war beispielsweise auch Ausdruck einer unverantwortlichen Kreditvergabe seitens der
Banken in den Kernländern des Währungsraums. Und die schwache Wettbewerbsfähigkeit der
Griechen war auch Ausdruck dessen, dass Deutschland auf Leistungsbilanzüberschüsse setzte, die
mindestens ebenso inkompatibel mit einer stabilen Entwicklung des Euroraums sind wie die allseits
kritisierten Lohnexzesse des Südens.
Sicher war die politische Lösungssuche im Euroraum nach Ausbruch der Krise schwierig. Eine optimale
Politik war wohl nicht umsetzbar. Dies enthebt die politisch Verantwortlichen aber nicht von einer
schweren Schuld. Griechenland, die Wiege der europäischen Demokratie, ist fast verblutet. Hätte man
die zwei grundlegenden Fehler vermieden wäre eine Gesundung zu erheblich niedrigeren Kosten
sowohl für die griechische Bevölkerung wie auch für Europa insgesamt möglich gewesen.
Standpunkt Alexander Kritikos:
"Warum das Land gerade für Unternehmer unattraktiv
ist, liegt auf der Hand: Die Produktmärkte sind immer
noch überreguliert, der Staatsapparat ineffizient, die
Bürokratie überbordend."
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
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Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Andrew Watt für bpb.de
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Was hat Portugal der Sparkurs gebracht?
25.9.2015
Auch wenn die Wirtschaft wieder langsam wächst: Viele Portugiesen spüren noch immer die Krise,
die eines der ärmsten Länder der Eurozone seit Jahren bedrückt. Nach einem harten
Sanierungsprogramm konnte Portugal den Rettungsschirm zwar im Mai 2014 wieder verlassen - doch
jeder vierte Einwohner lebt heute an der Armutsgrenze. War die Sparpolitik alternativlos?
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Die Leiden des lusitanischen Musterschülers
Von António Perez Metelo
6.10.2015
António Perez Metelo, Jahrgang 1949, ging in Lissabon auf die deutsche Schule, studierte Ökonomie und arbeitet seit 1978 als
Wirtschaftsjournalist für verschiedene portugiesische Zeitungen, Radio- und TV-Stationen.
Einige ökonomische Daten zeigen nach oben, doch den Portugiesen geht es auch nach Jahren
der Krise nicht besser, meint der portugiesische Fernsehjournalist António Perez Metelo. Die
Auflagen der rigiden Sparprogramme haben für ihn viel vom Erreichten zerstört.
Portugal wurde während der Griechenlandkrise - wie Spanien und Irland - von der deutschen Regierung
als Vorbild dafür bezeichnet, wie ein überschuldetes Land wieder auf den Weg der Gesundung
gefunden hat. Dabei musste Lissabon noch im März 2011 angesichts eines drohenden Staatsbankrotts
seine ausländischen Partner um Hilfe anbetteln. Die Frage, ob die Austeritätspolitik den erhofften
Umschwung gebracht hat, stand vor den Parlamentswahlen am 4. Oktober 2015 im Mittelpunkt der
politischen Debatte. Luís Montenegro, Fraktionsführer der bis zu den Wahlen noch größten
Koalitionspartei, der liberalkonservativen PSD, brachte das Dilemma auf den Punkt: "Dem Land geht
es besser, aber den Portugiesen nicht."
Portugal hat im Mai 2014 den Schutzschirm verlassen und benötigt seither keine Hilfe mehr. Das Land
kann sich heute an den Finanzmärkten sowohl mit kurzfristigen als auch mit langfristigen Staatsanleihen
finanzieren. Und es zahlt fast die Hälfte seiner Schulden beim Internationalen Währungsfonds (IWF)
(http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/177064/internationaler-waehrungsfonds-iwf) sogar im Voraus
zurück, um Zinsen zu sparen. Das öffentliche Defizit sinkt: Die Regierung glaubt an eine Steigerung
von 2,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) (http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/
europa/70546/bip-pro-kopf) in diesem Jahr, die Gläubiger sagen etwas mehr voraus (3,2 Prozent).
Das BIP ist 2014 sogar real um moderate 0,9 Prozent gewachsen, für 2015 wird ein Plus von 1,6
Prozent erwartet. Nach drei aufeinanderfolgenden Jahren, in denen die Wirtschaftskraft schrumpfte,
ist dies ohne Zweifel eine Verbesserung. Die Außenhandelsbilanz ist ausgeglichen - was seit
Jahrzehnten nicht mehr der Fall war - und die Exporte machen 41 Prozent des BIP aus. So gesehen
geht es dem Land besser.
"Der Trend der letzten 20 Jahre hin zu mehr sozialem Ausgleich
wurde umgekehrt, die Ungleichheit im Land hat auf brutale Weise
zugenommen."
Das Sparen um jeden Preis hat jedoch deutliche Spuren bei den Menschen hinterlassen: Das BIP ist
zwischen 2008 und 2014 um ein Achtel gesunken. Das hat die Arbeitslosigkeit Anfang 2013 auf einen
Spitzenwert von 17,6 Prozent katapultiert. Im Sommer 2015 waren es immer noch über zwölf Prozent.
Die Jugendarbeitslosigkeit stieg indes auf 36 Prozent - und hat in Portugal die größte
Auswanderungswelle von qualifizierten Jugendlichen seit Menschengedenken ausgelöst. Die
Geburtenrate ist gleichzeitig stark gefallen.
Die Zahl der Beschäftigten ist um 320.000 zurückgegangen, eine große Zahl bei nur 4,8 Millionen
Arbeitenden insgesamt. Die Bevölkerung schrumpft, während die Kinderarmut zunimmt, ebenso wie
die Altersarmut und sogar die Armut unter den Beschäftigten. Einige Portugiesen müssen entscheiden,
ob sie Essen oder Medizin kaufen. Die Armutsgrenze liegt bei 400 Euro, das Durchschnittsgehalt ist
aber zwischen 2010 und 2015 um über acht Prozent auf etwa 700 Euro gesunken. Der Trend der
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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letzten 20 Jahre hin zu mehr sozialem Ausgleich wurde umgekehrt, die Ungleichheit im Land hat auf
brutale Weise zugenommen.
"Eine wichtige Ursache für die geringere Produktivität des Landes ist
die mangelnde Qualifikation vieler Portugiesen."
Der Schock der großen Rezession von 2008/2009 hat das ohnehin fragile Fundament der
portugiesischen Wirtschaft in seinen Grundfesten erschüttert - wie auch das der griechischen. Und
natürlich sind auch die Portugiesen keine Faulpelze: Angestellte in Portugal arbeiten pro Jahr im Schnitt
23 Prozent mehr Stunden im Jahr als ihre Kolleginnen und Kollegen in Deutschland. Nur produzieren
die deutschen Arbeiter trotzdem durchschnittlich 73 Prozent mehr Waren oder Dienstleistungen.
Portugal: Ökonomische Schlüsseldaten
Wie das sein kann? Eine wichtige Ursache für die geringere Produktivität des Landes ist die mangelnde
Qualifikation vieler Portugiesen. Kleinunternehmer haben es nicht einfach: Viele von ihnen sind
Selfmademen mit geringer Schulbildung. Zur Zeit der Nelkenrevolution, die uns vor 41 Jahren von
einem halben Jahrhundert Diktatur befreite, waren noch über ein Drittel der Bevölkerung Analphabeten.
Noch in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts hatte bezeichnenderweise ein Bildungsminister unter
Diktator Salazar geurteilt, dass "das Volk nur lesen, den Namen schreiben und rechnen lernen sollte,
denn das Wissen schafft viel Unglück".
Immer noch ist der Rückstand bei der Qualifikation im EU-Vergleich hoch. Genauso ist es bei der
Industrialisierung: Eine ernsthafte Förderung von Forschung und Wissenschaft begann in Portugal
vor gerade mal 20 Jahren - inzwischen mit großen Fortschritten, sagen OECD (http://www.bpb.de/
nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/20270/oecd) und EU. Außerdem haben seit 2006 mehr als
eine Million Erwachsene am Programm „Novas Oportunidades“ (Neue Chancen) teilgenommen, um
die Sekundarstufe nachzuholen. Doch diese Erfolge sind noch zu labil, sie brauchen Kontinuität und
Ausdauer. Dennoch kürzte die Troika blind viele dieser Errungenschaften weg - mit enthusiastischer
Unterstützung seitens des "lusitanischen Musterschülers", denn die Regierung spielte dabei willig mit.
"Das, was die betroffenen Länder am meisten benötigen, nämlich
mehr Produktivität und Konkurrenzfähigkeit, ist stark geschwächt
worden."
Das Austeritätsdogma ist uns nun vier Jahre lang eingehämmert worden: "There is no alternative" "Es gibt keine Alternative", huldigt vor allem die deutsche Regierung dem TINA-Prinzip. Die Folgen
sind schon abzusehen: Das, was die betroffenen Länder am meisten benötigen, nämlich mehr
Produktivität und Konkurrenzfähigkeit, ist stark geschwächt worden. Die Programme mit dem Stempel
der Troika machen sich nicht einmal mehr die Mühe, produktive Investitionen als strategisches Ziel zu
formulieren.
Der Euro ist ein finanzieller Gigant, steht aber auf Zwergenfüßen in punkto Wirtschaftsunion, beim
gemeinsamen Haushalt und bei steuerlicher Angleichung. Deshalb werden die Abstände zwischen
den Eurostaaten immer größer. Das Aufholen der Länder der Euro-Peripherie wäre eine Farce, wenn
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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es sich nicht schon bei der Griechenland aufgezwungenen dritten „Rettung“ in eine Tragödie verwandelt
hätte. So sind wir letztlich auf dem Weg hin zu einer Festigung der Zone des starken Euro und der
Zone des schwachen Euro - mit verzögertem Rausschmiss der Länder, die sich in letzterer befinden.
Standpunkt Thomas Urban:
"Die Troika für Arbeitslosigkeit und Armut nach dem
Einbruch der portugiesischen Wirtschaft verantwortlich
zu machen, stellt die Dinge auf den Kopf."
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: António Perez Metelo für bpb.de
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Sparen unvermeidbar
Von Thomas Urban
6.10.2015
Thomas Urban, Jahrgang 1954, hat als Osteuropa-Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung" von 1988 bis 2012 die
Wirtschaftsreformen in Polen und in den ehemaligen Sowjetrepubliken analysiert. Im Krisenjahr 2012 übernahm er das Büro in
Madrid mit der Zuständigkeit auch für Portugal.
Die rigide Kürzung der öffentlichen Ausgaben in Portugal war unumgänglich, weil dem Staat
sonst schlicht die Mittel ausgegangen wären, meint Thomas Urban, Korrespondent der
Süddeutschen Zeitung. Mittelfristig, sagt er, helfen die schmerzhaften Notfallmaßnahmen dem
Land aber.
Ein Gespenst geht um in Südeuropa: das Spardiktat, auch "Austerität" genannt. Die Südländer in der
Eurozone seien "kaputtgespart" worden, vor allem auf Druck der Bundesregierung in Berlin, die sie
für ihre Verschwendung bestrafen wolle, so lautet die Kritik. In der Tat sind in Portugal mit dem Beginn
der Sparprogramme Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung sprunghaft angestiegen: 2012 waren 18
Prozent arbeitslos, in der jungen Generation bis 25 Jahren sogar 43 Prozent. Bettler kehrten in die
Straßen der großen Städte zurück. Gleichzeitig erhöhte sich die öffentliche Schuld auf 130 Prozent
des Bruttoinlandprodukts (BIP) (http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/europa/70546/
bip-pro-kopf), einer der schlechtesten Werte in Europa.
2011 hatte die damalige sozialistische Regierung unter dem europäischen Rettungsschirm "Zuflucht
gesucht", wie es die Medien seinerzeit nannten. Um die Zahlungsunfähigkeit des Staates zu vermeiden,
erhielt Portugal vom Internationalen Währungsfonds (http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/177064/
internationaler-waehrungsfonds-iwf), der Europäischen Zentralbank (http://www.bpb.de/nachschlagen/
lexika/lexikon-der-wirtschaft/19284/europaeische-zentralbank) und der Europäischen Union
Garantien über Kredite in Höhe von 78 Milliarden Euro. Als Gegenleistung sicherte Lissabon ein rigides
Spar- und Umstrukturierungsprogramm zu. Die Troika aus Vertretern der Kreditgeber hatte seine
Umsetzung zu kontrollieren. Portugal gab somit einen Teil seiner staatlichen Souveränität für die
Laufzeit des Programms auf. Beendet wurde es im Mai 2014, vom Wohlstandsniveau der
Vorkrisenjahre ist das Land allerdings noch weit entfernt.
"Das Heer der öffentlich Bediensteten wuchs auf 900.000 an, im
Verhältnis sind das doppelt so viele Staatsdiener wie in der
Bundesrepublik."
Doch war die Kürzung der öffentlichen Ausgaben unvermeidbar, weil dem Staat schlicht die Mittel
auszugehen drohten. Es war eine Notfallmaßnahme. Der Wirtschaftsboom bis 2007 war kreditgestützt
und befeuerte ein Leben auf Pump. Den Kreditboom haben die geringen Zinssätze angefacht, sie
führten zu einer hohen Verschuldung der öffentlichen wie der privaten Haushalte. Die portugiesische
Wirtschaft konnte in den Boomzeiten die Löhne deutlich anheben. Da aber die Produktivität (http://
www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/20371/produktivitaet) nicht im gleichen
Tempo zunahm, stiegen auch die Lohnstückkosten. Auch die Leistungsbilanz (http://www.bpb.de/
nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/19968/leistungsbilanz) zwischen Importen und Exporten
geriet so immer weiter aus dem Lot.
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Portugal: Ökonomische Schlüsseldaten
Traditionell leistete sich Portugal zudem einen großen öffentlichen Dienst. In den Boomjahren bauten
ihn alle Regierungen weiter aus, erst die Konservativen unter dem späteren EUKommissionspräsidenten José Manuel Barroso, dann die Sozialisten. Das Heer der öffentlich
Bediensteten wuchs auf 900.000 an, im Verhältnis sind das doppelt so viele Staatsdiener wie in der
Bundesrepublik. Ihre Gehälter und Pensionen machten vor Beginn des Troika-Programms rund 14
Prozent des BIP aus, ein im europäischen Vergleich hoher Wert. Dadurch aber wuchsen die
Belastungen für die freie Wirtschaft, deren Rückgrat in Portugal Kleinbetriebe ausmachen.
Dem Staatssektor müssen auch die großen Infrastrukturprojekte der Boomjahre zugerechnet werden,
die offiziell privat finanziert wurden - etwa die Stadien für die Fußball-EM 2004, Flughäfen und
Autobahnen. Die Kreditgeber waren meist öffentliche Sparkassen, die in der Krise bankrott gingen, so
dass der Fiskus (http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/19348/fiskus) einspringen
musste. Überdies waren derartige Konstruktionen der ideale Nährboden für Korruption. Die Gier von
Politikern und Bankchefs ließ sie jegliche Warnungen vor einer Überhitzung der Baukonjunktur sowie
vor zu großer Verschuldung in den Wind schlagen.
"Die Troika für Arbeitslosigkeit und Armut nach dem Einbruch der
portugiesischen Wirtschaft verantwortlich zu machen, stellt die Dinge
auf den Kopf."
Einen Einbruch der Wirtschaft versuchte die sozialistische Regierung unter José Sócrates 2008 bis
2010 mit einem klassischen Konjunkturprogramm zu verhindern. Neue Kredite wurden für neue
öffentliche Projekte aufgenommen. Das Haushaltsdefizit überschritt zehn Prozent – doch die
Maßnahmen verpufften wirkungslos. Stattdessen explodierten die Risikoaufschläge für portugiesische
Staatsanleihen und überschritten im Sommer 2011 die Zehn-Prozent-Marke – als äußerste
Schmerzgrenze für einen Staat mit geordneten Finanzen gelten sieben Prozent.
Dies war der Zeitpunkt, in dem die Troika – EU-Kommission, Europäische Zentralbank und
Internationaler Währungsfonds - einsprang, einspringen musste, um einen Staatsbankrott
abzuwenden. Vor allem war Eile geboten, da die öffentlichen Kassen leer waren. Die Troika für
Arbeitslosigkeit und Armut nach dem Einbruch der portugiesischen Wirtschaft verantwortlich zu
machen, stellt die Dinge auf den Kopf. Vielmehr hat sie die sozialen Verwerfungen abgefedert.
"Seit dem Ende des Stützungsprogramms wächst die Wirtschaft, die
Handelsbilanz ist positiv, die Arbeitslosigkeit geht spürbar zurück."
Woher das Geld hätte kommen sollen, wäre die Troika nicht eingesprungen, darauf haben die Kritiker
der Austerität keine Antwort. Der Staat hat zur Sanierung seiner Finanzen keine anderen Möglichkeiten,
als öffentliche Projekte zu streichen, soziale Leistungen zu kürzen, das eigene Personal geringer zu
entlohnen oder gar zu entlassen. Derartige Einsparungen sollen mittelfristig zu einer Steuerentlastung
der Wirtschaft, zu einer Belebung der Konjunktur und somit zu Neueinstellungen führen. Hinzu kommen
Privatisierungen und ein verbessertes System des Steuereinzugs als Mittel, die Einnahmen des Staates
zu steigern.
Genau nach diesem Rezept haben die meisten der ehemaligen Ostblockstaaten den Übergang von
der defizitären Plan- zur modernen Marktwirtschaft geschafft - und auch die Erholung osteuropäischer
Staaten nach dem Absturz infolge der Finanzkrise von 2008 folgte diesem Muster. Die Eckdaten der
letzten Jahre sprechen dafür, dass auch das Sparprogramm der Mitte-Rechts-Regierung in Lissabon
unter Pedro Passos Coelho so funktioniert hat: Seit dem Ende des Stützungsprogramms wächst die
Wirtschaft, die Handelsbilanz ist positiv, die Arbeitslosigkeit geht spürbar zurück.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Die geringe Teilnehmerzahl bei allen Protestdemonstrationen seit 2013 zeigt, dass die schweigende
Mehrheit der Gesellschaft die Notwendigkeit des Sparprogramms durchaus einsieht. Auch die
oppositionellen Sozialisten hätten bei einem Regierungswechsel an dessen Grundlinien festgehalten.
Somit haben die Finanzierungsprobleme Lissabon gezwungen, lange überfällige Reformen im
Eiltempo durchzuführen. Das Land geht mittelfristig gestärkt daraus hervor.
Standpunkt António Perez Metelo:
"Der Trend der letzten 20 Jahre hin zu mehr sozialem
Ausgleich wurde umgekehrt, die Ungleichheit in
Portugal hat auf brutale Weise zugenommen."
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Thomas Urban für bpb.de
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Zeigen Spanien, Irland und Portugal, dass die
angebotsorientierte Politik sich auszahlt?
30.10.2015
Über fünf Jahre nach Beginn der Schuldenkrise ist die Lage in den Euro-Problemländern höchst
unterschiedlich: Während Griechenland ökonomisch weiter strauchelt, sind in Spanien, Irland und
Portugal erste Anzeichen der Gesundung spürbar. Ökonomen und Politiker streiten deshalb: Waren
die harten Sanierungsprogramme erfolgreich - oder nicht?
Arbeitslosenquoten in der Eurozone (Grafik zum Download (http://www.bpb.de/system/files/
dokument_pdf/170425_05_Arbeitslosenquoten_Eurozone_mm%20.pdf)) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de (bpb)
bpb.de
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Es schmerzt, aber die Reformen wirken
Von Holger Schmieding
30.10.2015
Dr. Holger Schmieding, Jahrgang 1958, studierte Volkswirtschaft in München, London und Kiel.
Nach Stationen bei den US-Banken Merrill Lynch und Bank of America wurde er 2010 Chefvolkswirt bei Deutschlands ältester
Privatbank, der Berenberg Bank. Wegen der Genauigkeit seiner Prognosen wurde Schmieding bereits mehrfach zu den drei
führenden Volkswirten in Europa gewählt.
Weniger Kündigungsschutz, weniger Sozialleistungen, geringeres Staatsdefizit, Privatisierungen –
unangenehme Einschnitte, die aber in Spanien, Portugal und Irland bereits erste Erfolge zeigen.
Griechenland wird es ähnlich gehen.
Leistungsbilanz ausgewählter Euroländer
Grafik als PDF-Version (http://www.
bpb.de/system/files/dokument_pdf/1­
70425_07_Leistungsbilanz_mm.pdf)
(bpb) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.
de
Reformen tun weh. Aber sie zahlen sich aus. Diese Erfahrung haben
wir in Europa immer wieder gemacht. Vor 40 Jahren war
Großbritannien der "kranke Mann Europas". Dann kam Margaret
Thatcher. Mit einer monetaristischen Rosskur hat sie die Inflation
besiegt. Gleichzeitig hat sie die Gewerkschaftsmacht beschnitten,
Märkte geöffnet und nach Herzenslust privatisiert. Die ersten
Ergebnisse waren unangenehm. Zunächst stieg die Arbeitslosigkeit
weiter an, der öffentliche Unmut war groß. Aber die bittere Medizin
hat gewirkt. Dank der Reformen der "Eisernen Lady" zählt
Großbritannien bis heute zu den Spitzenreitern der europäischen
Wachstumsliga.
Mitte der 1990er Jahre war Deutschland der kranke Mann Europas.
Standortflucht und Reformstau prägten das Land. 2002 hebelte Berlin sogar den von ihm selbst
durchgesetzten Europäischen Stabilitätspakt aus, weil es die eigenen Finanzen nicht mehr in den Griff
bekam. Es folgte die Agenda 2010. In einem mehrjährigen Kraftakt schränkte Deutschland ab 2003
seine Sozialleistungen ein, lockerte starre Arbeitszeitregeln und den Kündigungsschutz durch die
weitgehende Freigabe der Zeitarbeit. Im flexibilisierten Arbeitsmarkt mussten die Gewerkschaften
außerdem bei den Löhnen erhebliche Zugeständnisse machen. Die ersten Ergebnisse waren auch
bei uns Rekordarbeitslosigkeit und Massenproteste. Viele Volkswirte warnten, das Land müsse mehr
Schulden machen, statt die Sozialkassen zu sanieren.
2006 begann die Trendwende in Deutschland
Reformen brauchen eben Zeit. Anfang 2006 begann eine Trendwende. 15 Jahre lang war zuvor die
Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland scheinbar unaufhaltsam gesunken
- seitdem ist sie um 17 Prozent gestiegen. Dank der 4,3 Millionen zusätzlichen Beitragszahler hat
Deutschland heute einen Überschuss in den meisten Sozialkassen und im Staatshaushalt.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Heiner Flassbeck (© picture-alliance)
Genau diesem Vorbild sind jetzt die Reformstaaten am Rande der Eurozone gefolgt. Der Übergang
zum Euro hatte ihnen ab 1999 zunächst ungewohnt niedrige Zinsen beschert. Als Folge zog die
Binnennachfrage an. Das bewirkte in Spanien und Irland einen übermäßigen Bauboom, in
Griechenland sowie Portugal vor allem überzogene Staatsausgaben. Die Eurokrise der vergangenen
Jahre hat die strukturellen Schwächen dieser Länder mit brutaler Härte offengelegt. Anders als
Deutschland mussten sie sogar um Hilfe aus dem Ausland bitten, um dem Staatsbankrott zu entgehen.
Die bitteren Pillen, die diese Länder schlucken mussten, entsprachen weitgehend der Medizin, die
einst Margaret Thatcher ihrem Land verabreicht hatte. Ihre gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichte
(damals Inflation, heute vor allem die Staatsdefizite) haben die Peripheriestaaten direkt und rasch
abgebaut. Gleichzeitig haben sie die Arbeitsmärkte flexibilisiert, Sozialleistungen eingeschränkt,
Bürokratie abgebaut, Märkte geöffnet und Staatseigentum privatisiert. In einem Überblick der
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gehören Spanien und
Portugal wie Irland und Griechenland seit vier Jahren zu den Spitzenreitern bei Wirtschaftsreformen
in der gesamten westlichen Welt.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Griechenland kann bereits 2016 der Krise entkommen
Arbeitsmarktreformen sind unangenehm. Spanien, Portugal und Griechenland haben es Unternehmen
erleichtert, von landesweiten Tarifverträgen abzuweichen. Zudem wurden Abfindungen für entlassene
Arbeiter ebenso wie der Anspruch auf Arbeitslosengeld erheblich gekürzt. Irland, dessen Arbeitsmarkt
bereits flexibel war, packte andere Reformen an.
Die Ergebnisse entsprechen genau dem Muster, das wir in den Jahrzehnten vorher in anderen
europäischen Ländern beobachten konnten. Zunächst geht die Konjunktur weiter in die Knie. Wenn
gleichzeitig Staatsausgaben gekürzt und Kündigungsschutz gelockert werden, führt das zu
Entlassungen.
Aber die Medizin hilft – und das gilt auch für Griechenland. Während Spanien, Irland und Portugal
bereits die ersten Früchte ihrer Reformen ernten, ist die griechische Wirtschaft im Frühjahr 2015 erneut
in die Krise gerutscht. Mit dem Zurückdrehen von Reformen und einem Konfrontationskurs gegenüber
seinen Gläubigern hat eine Koalition aus Linksradikalen und Rechtsnationalen in Athen innerhalb von
sieben Monaten Kapital in Höhe von fast 70 Milliarden Euro aus dem Land getrieben. Das entspricht
mehr als einem Drittel der jährlichen Wirtschaftsleistung des Landes. Deshalb brauchte Griechenland,
das im Jahr 2014 ebenso wie die anderen Reformstaaten auf einen Wachstumskurs eingeschwenkt
war, ein neues Hilfspaket. Nachdem Athen sich verpflichtete, die Reformen doch weiterzuführen, hat
das Land Chancen, 2016 seiner großen Krise zu entkommen.
Die neuen Jobs haben zunächst "schlechte" Qualität
Auch die anderen Länder haben Zeit gebraucht, bis die angebotsorientierte Politik wirkte. Spanien und
Irland sind heute Wachstumsvorreiter der Eurozone. Die jüngsten Daten zeigen ein Plus der
Wirtschaftskraft von vier bis fünf Prozent für Irland und von drei bis vier Prozent für Spanien. Portugal
hinkt etwas hinterher, wächst aber ebenfalls recht solide. Seit dem Tiefpunkt der Krise im Februar 2013
ist die Zahl der Arbeitslosen in Spanien, Portugal, Irland und Griechenland um insgesamt 1,4 Millionen
zurückgegangen. Auch die erschreckend hohe Jugendarbeitslosigkeit sinkt rasch.
Beobachter klagen oft, die neuen Jobs in Spanien und Portugal seien von "schlechter" Qualität, also
vor allem Zeitverträge mit begrenzter Stundenzahl. Das ist richtig. Aber auch normal. Genau diese
Klagen hatte es in Deutschland nach der Agenda 2010 auch gegeben. Zunächst stellen Unternehmen
vor allem Arbeitskräfte ein, die wenig kosten und notfalls leicht zu entlassen sind. Aber wenn der
Aufschwung sich als stabil erweist, kommen immer mehr gutbezahlte Vollzeitarbeitsplätze dazu. Dies
zeigt ebenfalls das Beispiel Deutschland: denn hier geht mittlerweile die Zahl der prekären
Beschäftigungsverhältnisse zurück, während die der unbefristeten Arbeitsplätze kräftig steigt.
Standpunkt Thomas Fricke:
"So richtig an Schwung gewann die Konjunktur erst, als
der regierungsamtliche Austeritätskurs gestoppt wurde
und dank steigender Nettoeinkommen wieder mehr
Geld im Inland zur Verfügung stand - und ausgegeben
wurde."
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de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Holger Schmieding für bpb.de
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Crash-Kurs mit jeder Menge Kollateralschäden
Von Thomas Fricke
30.10.2015
Thomas Fricke, Jahrgang 1965, ist Kolumnist der Süddeutschen Zeitung und Chefökonom der European Climate Foundation.
Außerdem leitet er das Internetportal WirtschaftsWunder (www.neuewirtschaftswunder.de(http://www.neuewirtschaftswunder.de)).
Bis 2012 war er Chefökonom der Financial Times Deutschland. 2013 erschien sein Buch „Wie viel Bank braucht der Mensch?“
Zwar gelten die Krisenstaaten Irland, Portugal und Spanien als Vorbilder – doch der
Zusammenhang zwischen harten Einschnitten und Wirtschaftswachstum ist bei genauerem
Hinsehen nicht nachzuweisen.
Als zwischen 2010 und 2012 die Krise in Europa eskalierte, verging kaum eine Woche, in der nicht
aus Irland, Spanien oder Portugal immer neue Sparpakete und Reformvorhaben gemeldet wurden.
Jetzt, ein paar Jahre später, melden diese Länder plötzlich, dass ihre Wirtschaft wieder wächst und
die Zahl der Arbeitslosen sinkt. Was läge näher, das als Beleg dafür zu feiern, dass es sich auszahlt,
möglichst hart und streng zu sparen und zu reformieren? Und auszurufen, dass die immer noch
kriselnden Griechen nur endlich ähnlich konsequent sein müssten?
Ist die Sache so klar? Nur auf den ersten Blick. Erstens ist nicht jede Aufeinanderfolge von Phänomenen
schon ein Beleg dafür, dass das eine das andere erklärt. Zweitens erscheint bei genauerem Hinsehen
zweifelhaft, ob etwa Spanier und Iren überhaupt als Prototypen für ganz besonders rabiates Kürzen
und Reformieren taugen.
Natürlich hat etwa die Regierung im vermeintlichen Musterland Spanien 2011 und 2012 eine Menge
an Sparmaßnahmen beschlossen. Bis 2013 sank das strukturelle Staatsdefizit (vor Zinsdienst) in einer
Größenordnung, die rund acht Prozent der Wirtschaftsleistung entspricht. Ähnliches gilt für Portugal
und Irland. Nur: Wenn es allein danach ginge – dem schieren Volumen an Einsparungen – müssten
auch die Griechen heute wirtschaftlich besser dastehen, jedenfalls nicht schlechter. Denn in
Griechenland verbesserte sich der Struktursaldo im Staatshaushalt in der gleichen Zeit um enorme
18 Prozentpunkte.
Griechen belegen Spitzenplatz beim Reformieren
Trotz aller zwischenzeitlichen Kürzungen geben die Spanierinnen und Spanier heute noch sieben
Prozent mehr für ihre Beamten aus als vor der Krise 2007 - in Griechenland liegt die Summe der
öffentlichen Gehälter heute um 17 Prozent niedriger. In Spanien werden heute alles in allem immerhin
noch vier Prozent mehr Sozialtransfers gezahlt als 2007 – in Griechenland fast 28 Prozent weniger.
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Leistungsbilanz ausgewählter Euroländer (Grafik zum Download (http://www.bpb.de/system/files/
dokument_pdf/170425_07_Leistungsbilanz_mm.pdf)) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de (bpb)
Was für die Ausmaße der Kürzungen gilt, zeigt sich auch bei den tieferen strukturellen Reformen wie
etwa den Änderungen am Kündigungsschutz. Nach Auswertungen der Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stehen die Griechen an der Spitze, was den Umfang von
Reformen in den vergangenen Jahren angeht – weit vor Portugiesen, Spaniern und Iren. Kein anderes
Industrieland hat so viel strukturell zu verbessern versucht. Auch das kann es nicht sein.
Es hat bei näherer Betrachtung etwas Groteskes, gerade Spanien als Land zu loben, das besonders
vorbildlich dabei war, die Ziele zum Schuldenabbau zu erfüllen. Kaum ein anderer EU-Staat hat seit
2009 so oft das Zieljahr verschoben (und verschieben dürfen), in dem sein Staatsdefizit unter die von
Brüssel erlaubten drei Prozent der Wirtschaftsleistung sinken soll. Als die Krise losging, wurde
vereinbart, dass das bis 2012 passieren soll. Ein paar Monate später musste das Datum auf 2013
geändert werden. Als das wieder nicht zu erreichen schien, gestand die EU-Kommission Spaniens
Regierung zu, dann halt erst 2014 unter drei Prozent zu liegen – was wieder nicht hinhaute.
Vergangenes Jahr lag Spaniens Staatsdefizit immer noch bei fast sechs Prozent. Jetzt soll es 2016
unter drei Prozent fallen. Ein Vorbild für akribische Zielerfüllung sieht anders aus.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Spanien erholte sich erst, als die Sparpolitik endete
Wenn sich Spaniens Wirtschaft just seit 2014 erholt, kann das nicht daran liegen, dass Defizitziele
besonders gut erreicht wurden. Es spricht sogar einiges dafür, dass die Wirtschaft sich erst dann zu
erholen begonnen hat, als die Regierung in Madrid 2013 aufhörte, so hart zu kürzen und Steuern
anzuheben. Seitdem ist das strukturelle Staatsdefizit kaum noch gesunken. Im Jahr 2015 gab es
stattdessen Steuersenkungen, was das Defizit im Etat künftig sogar wieder größer werden lässt –
dafür aber hilft, die Konjunktur anzuschieben. Auch die Rentenzahlungen sind gestiegen – wobei man
nicht vergessen darf, dass Ende 2015 in Spanien gewählt wird.
Ein Wunder? Reformen mögen dafür sorgen, dass Arbeitsmärkte flexibler werden oder Unternehmen
entlastet werden. Nur hilft der größte Abbau von Regeln wenig, wenn die Betriebe vor lauter Depression
an Einstellungen gar nicht denken können. So etwas zahlt sich, wenn überhaupt, erst aus, wenn wieder
mehr Geld ausgegeben wird. Und: Dafür müssen Regierungen irgendwann auch einmal aufhören, zu
kürzen und Steuern anzuheben. Jede Steueranhebung oder Ausgabenkürzung zugunsten der
Staatskassen bedeutet immerhin, dass auf der anderen Seite jemandem im Land Geld weggenommen
oder wegbesteuert wird.
Fraglich, ob jede Kürzung und Steuererhöhung nötig war
All das heißt nicht, dass die Reformen per se schlecht waren. Klar, hilft es einer Wirtschaft auch, wenn
dank Kürzungen Kosten wegfallen. Spaniens Exporteure haben an Marktanteilen gewonnen. Allerdings
hat das der Wirtschaft nur bedingt geholfen. So richtig an Schwung gewann die Konjunktur erst, als
der regierungsamtliche Austeritätskurs gestoppt wurde und dank steigender Nettoeinkommen wieder
mehr Geld im Inland zur Verfügung stand – und ausgegeben wurde. In der Zwischenzeit hat der CrashKurs eine Menge Kollateralschäden mit sich gebracht. Die öffentlichen Investitionen sind eingebrochen,
die Wirtschaftsleistung ist weit hinter das Niveau der Vorkrisenzeit gefallen. Die Frage ist also, ob jede
Kürzung und Steuererhöhung nötig war.
Die Spanierinnen und Spanier sind jedenfalls - ebenso wenig die Iren - Vorbilder für besonders harte
und konsequente Sanierung. Wenn das Land einmal ernsthaft als Modell gelten soll, dann eher als
Prototyp dafür, wie wichtig es ist, beim Sanieren den Kopf nicht zu verlieren, Defizitziele gerade nicht
stoisch einzuhalten - und stattdessen den richtigen Mix und Ablauf hinzubekommen zwischen nötigen
Einschnitten und Hilfen, die den Aufschwung in Gang bringen.
Standpunkt Holger Schmieding:
"Griechenland hat Chancen, 2016 seiner großen Krise
zu entkommen. Auch die anderen Länder haben Zeit
gebraucht, bis die angebotsorientierte Politik wirkte.
Spanien und Irland sind heute Wachstumsvorreiter der
Eurozone."
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Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Thomas Fricke für bpb.de
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Kann Italien wieder auf die Beine kommen?
30.10.2015
In der drittgrößten Volkswirtschaft der Währungsunion gärt die Krise. Italien ist angeschlagen, seit
Jahren leiden die Südeuropäer unter einer Rezession. Einige Expertinnen und Experten halten das
Land deshalb für einen der größten Problemfälle der Eurozone. Oder befindet sich Italien nur in einer
vorübergehenden Schwächephase?
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Je südlicher, desto schlimmer
Von Udo Gümpel
30.10.2015
Udo Gümpel ist TV-Journalist und arbeitet seit 1988 als Korrespondent in Italien.
Erste Erfolge, aber noch ein weiter Weg: Für den Fernsehkorrespondenten Udo Gümpel gibt
es in Italien viele gute Ansätze, der wirtschaftlichen Misere zu entrinnen. Aber auch noch jede
Menge Hindernisse: Klientelismus, die Mafia, ein wirtschaftlich abgehängter Mezzogiorno.
Italien ist ein Land, das schon verstanden hat, dass es so nicht weiter geht. Das ist die gute Nachricht,
gleich vorneweg. Doch die Sünden der Vergangenheit wiegen schwer. Zu oft wurden Sozialleistungen
vorwiegend mit neuen Schulden bezahlt. Mit der sogenannten Baby-Rente konnte man nach 13 Jahren
Staatsdienst in den Ruhestand gehen: Noch heute zahlt das Rentenamt INPS dafür fünf Milliarden
Euro pro Jahr. Auch insgesamt müssen die Renten mit 120 Milliarden Euro jährlich steuersubventioniert
werden.
Zu oft genehmigte sich Italien einen Schluck zu viel aus der Pulle der Lohnerhöhungen, die nicht durch
Produktivitätszuwachs gerechtfertigt waren. Das schränkte die Wettbewerbsfähigkeit deutlich ein: Seit
2001 hat Italien gegenüber Deutschland seine Lohnstückkosten um fast ein Drittel verteuert,
gleichzeitig trieb es die Steuer- und Abgabenquote auf 51 Prozent, elf Prozentpunkte mehr als in
Deutschland. Das ist Gift für den Arbeitsmarkt. Zudem gibt es relativ gesehen zu wenig Jobs. Im
Vergleich zu England oder Frankreich fehlen sieben Millionen Arbeitsplätze, zu Deutschland gar zwölf.
Immerhin: Italien ist auch ein Land, das mit 25 Prozent Exportquote zwar hinter Deutschland, aber
weit vor Frankreich steht. Neben der traditionell starken Maschinenbau- und Anlagen-Industrie hat es
mit seinem Mode-Sektor sogar eine echte Wachstumsbranche. Davon zeugen alte Markennamen wie
Prada oder Armani, aber auch junge wie Brunello Cucinelli. Die Branche macht heute mit 50 Milliarden
Euro mehr Umsatz als die Eisen-und Stahlindustrie – und schafft Arbeitsplätze. Italien erwirtschaftet
überdies erstmals wieder seit 2001 Zahlungsbilanzüberschüsse, auch wenn Fiat-Chrysler in Italien
nur noch knapp 350.000 seiner insgesamt rund 4,5 Millionen ausgelieferten Fahrzeuge pro Jahr bauen
lässt.
Expo Mailand – Beispiel für italienisches Organisationstalent
Italien will raus aus der Misere, das spürt man. Das ungeahnte italienische Organisationstalent konnte
man bei der Expo in Mailand bewundern, der wohl besten Weltausstellung der letzten Jahrzehnte –
auch wenn einige Dutzend Zulieferer ausgeschlossen werden mussten, wegen einer zu großen Nähe
zur Mafia. Aber diesmal hat man sie entdeckt und aussortiert, auch das sind kleine Erfolge.
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Italien: Ökonomische Schlüsseldaten
Die Wende kam im dramatischen Sommer 2011, als die Kapitalflucht und der rasante Anstieg der
Zinsen auf die Schuldtitel Italiens die Regierung Berlusconi in die Knie zwang. Die wichtigste Reform
war seitdem sicher die Rentenreform „Elsa Fornero“: Sie allein bewahrte Italien vor dem finanziellem
Kollaps, indem die Regierung von Mario Monti jährliche Ausgaben in der Höhe von drei Prozent der
Wirtschaftsleistung einsparte. Ohne diese Reform hätte Italien heute einen Schuldenstand von über
150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), womit wahrscheinlich das mutmaßliche Ende der
Fahnenstange erreicht gewesen wäre.
Auch die Richtung der Reformen unter dem aktuellen Premier Matteo Renzi stimmt: Er lockerte den
rigiden Arbeitsmarkt, erleichterte Neueinstellungen und senkte Steuern für die unteren
Einkommensschichten. Der Widerstand gerade aus den eigenen Reihen der Regierungspartei PD
aber ist enorm. Renzi schneidet ins Fleisch der Linken, in die Privilegien der Staatsangestellten. Renzis
Reformen kosten natürlich auch erst einmal Geld. Aber der Schuldenberg drückt, Zinsausgaben von
jährlich 80 Milliarden Euro lassen wenig Spielraum.
Nun geht es um eine Reform, die die kolossale Geldverschwendung des Staates an ihrer Quelle
unterbinden soll: in den Gemeinden und Regionen Italiens. Auf regionaler und kommunaler Ebene
sind innerhalb der letzten Jahrzehnte 7.700 Dienstleistungsfirmen gegründet worden, deren
vornehmster Zweck es laut italienischem Rechnungshof bis heute ist, Verwandte von Politikern
einzustellen, Klientelwirtschaft zu betreiben und unsinnige Projekte zu finanzieren. All das kostet den
Staat jährlich 26 Milliarden Euro. Mehr als 1.200 dieser „Firmen“ haben nicht einen Angestellten, aber
einen Verwaltungsrat, der teuer bezahlt wird.
Milliardenverluste, aber viele neue Manager bei Roms Transportunternehmen
Als Musterbeispiel darf hierfür die Hauptstadt Rom gelten, wo zum Beispiel das städtische
Transportunternehmen ATAC im letzten Jahrzehnt 1,5 Milliarden Euro Minus aufhäufte, sich gleichzeitig
aber die Anzahl der leitenden Manager auf 97 verdreifachte. Die Busse und Bahnen Roms sowie die
kommunale Müllabfuhr wären längst pleite, würden sie nicht Staat und Stadt gehören.
Ein weiteres, noch größeres Drama Italiens ist: Je weiter man in den Süden fährt, desto schlimmer ist
die wirtschaftliche Lage. In Wirklichkeit besteht Italien aus zwei grundverschiedenen
Wirtschaftseinheiten. Aus Nord- und Mittelitalien, deren wirtschaftliche Eckdaten mit Mitteleuropa
vergleichbar sind. Und aus dem „Mezzogiorno“, das sind die acht Regionen südlich von Latium: 20
Millionen Menschen leben hier, doppelt so viele wie in Griechenland.
Seit 2001 wuchs Italiens BIP um 20 Prozent, Griechenlands in derselben Zeit sogar um 24 Prozent.
Der „Mezzogiorno“ wuchs dagegen nur um mickrige 13 Prozent, während das EU-BIP um 53 Prozent
anstieg.
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28.000 neue Forstleute auf Sizilien, einer fast waldfreien Region
Das typische Rezept der Regionalpolitik bestand bislang darin, den Staatsapparat aufzublähen, wie
etwa 28.000 Forstleute auf Sizilien einzustellen, einer fast waldfreien Region. Nichts hat es genutzt:
Die Jugendarbeitslosigkeit liegt auf der Insel bei fast 50 Prozent – und obendrein ist die Region Sizilien
de facto pleite.
Von den 20 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern Süditaliens haben nur 5,8 Millionen eine Arbeit.
Zudem sind nur 35 Prozent der Frauen beschäftigt – das sind Tiefstwerte im Vergleich zu einem EUMittelwert von 64 Prozent. Nach spanischem Vorbild sollen nun junge Leute nach ihrer Einstellung im
Mezzogiorno steuerfrei gestellt werden. Aber wird das Investitionen anlocken? Welcher Unternehmer
wird einer Region investieren wollen, in der die Mafia weiterhin großen Einfluss hat?
Das ist keine Herausforderung, sagte dazu unlängst ein Minister, das ist ein Himmelfahrtskommando.
Wie wahr – aber vielleicht fängt Italien gerade wieder damit an, an sich zu glauben.
Standpunkt Tobias Bayer:
"Die Meinung in Deutschland zu Italien ist festgefahren und meist negativ. Gerechtfertigt ist das harsche Urteil
nur teilweise. Was viele übersehen: Italien steht
wirtschaftlich gesehen wesentlich solider da als
gemeinhin angenommen."
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Udo Gümpel für bpb.de
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Solider als viele denken
Von Tobias Bayer
30.10.2015
Tobias Bayer, Jahrgang 1978, schreibt als freier Autor für die Tageszeitungen "Welt" und die "Neue Zürcher Zeitung" sowie das
Finanzmagazin "Euro". Seine Themen sind Italien, die Schweiz und der internationale Kapitalmarkt. Er führt auf www.germalia.de
(http://www.germalia.de)einen Blog.
Ist das südeuropäische Land das nächste Griechenland? Nein. Der deutsche Blick auf Italien
ist kritisch. Angesichts hoher Schulden und geringem Wachstum verwundert das nicht. Viele
Stärken des Landes werden dabei aber ausgeblendet, meint Tobias Bayer, ItalienKorrespondent der Tageszeitung Die Welt.
Welches Land kommt Ihnen bei den folgenden Stichworten in den Sinn? "Der Wackelkandidat in der
Eurozone". "Das nächste Griechenland." "Wenn nicht jetzt, dann nie." Es ist gut möglich, dass Sie
spontan an Italien denken. Italien ist des Deutschen liebstes Urlaubsland. Mit der besten Küche. Doch
wenn es um die wirtschaftlichen Aussichten geht, verdüstern sich die Mienen. Das Wachstum? "Null."
Die Schulden? "Riesig." Die Bürokratie? "Ein Graus." Die Arbeitskosten? "Zu hoch." Die Korruption?
"Grassiert." Die Regierung Matteo Renzi? "Die allerletzte Chance."
Die Meinung in Deutschland zu Italien ist festgefahren - und meist negativ. Gerechtfertigt ist das harsche
Urteil allerdings nur teilweise. Was viele übersehen: Italien steht wirtschaftlich gesehen wesentlich
solider da als gemeinhin angenommen wird.
Nehmen wir die Staatsschulden. Richtig ist, dass Italien nach Griechenland relativ gesehen die
zweithöchsten Verbindlichkeiten in der Euro-Zone aufweist. Laut der Banca d'Italia beliefen sie sich
Ende Juni 2015 auf über 2200 Milliarden Euro, was deutlich mehr als 130 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht. Keine Frage: eine hohe Summe. Ist sie aber zu hoch?
Ein Besuch im Römer Finanzministerium hilft weiter. Das Ministerium residiert in einem Prachtbau an
der Via XX Settembre. Die Dame, auf die es ankommt, heißt Maria Cannata. Sie ist Direktorin für die
Schuldenverwaltung, also Italiens oberste Kassenwartin. Links in ihrem Büro hängen in einer Vitrine
alte Staatsanleihen. Rechts hinten liegt ein dickes Buch aus, in dem in Kalligrafie festgehalten ist, zu
welchen Konditionen sich Italien Geld geliehen hat. Mitten im Raum stehen zwei Bildschirme, auf
denen Cannata verfolgt, wie sich die Staatsanleihekurse entwickeln.
Die Italiener sind Italiens wichtigste Gläubiger
Frau Cannata hat harte Zeiten hinter sich. Im Sommer und Herbst 2011 hatten Investoren Italiens
Zahlungsfähigkeit angezweifelt, die geforderten Renditen waren in die Höhe geschossen. Im November
2011 hatte die Regierung von Silvio Berlusconi einem Technokraten-Kabinett um den
Wirtschaftsprofessor Mario Monti weichen müssen. Die Mathematikerin Cannata hatte sich im Auge
des Orkans befunden. "2011 war unglaublich anstrengend", sagt sie.
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Italien: Ökonomische Schlüsseldaten
Heute kann sich Cannata entspannt zurücklehnen. Sie hat hat momentan nämlich keinerlei Probleme,
genügend Geld für Italien zu akzeptablen Zinsen aufzutreiben. Das ist nicht allein der ultralockeren
Geldpolitik der Europäischen Zentralbank zu verdanken, sondern auch Verdienst Italiens. Erstens wird
der Großteil der Staatsschulden von den Italienerinnen und Italienern selbst gehalten. Ausländische
Investoren kommen nur für rund ein Drittel auf - vergleichsweise wenig. Zweitens ist es Italien gelungen,
die durchschnittliche Frist seiner Verbindlichkeiten zu strecken. Und drittens halten sich Cannata und
ihre Kollegen strikt an einen öffentlichen Terminkalender, um Anleihen zu platzieren. Der Kapitalmarkt
ist also immer bestens informiert, was Italien vorhat. Böse Überraschungen? Fehlanzeige.
Nehmen wir den Haushalt. Deutschland pocht in Europa auf Ausgabendisziplin und präsentiert sich
als Musterschüler. Wenigen ist bewusst, dass Italien durchaus auch auf das Staatssäckel achtet. Eine
wichtige Kennziffer: der Primärüberschuss, die Differenz zwischen Staatseinnahmen und
Staatsausgaben ohne Zinsausgaben.
Man mag es kaum glauben: Italien schneidet besser ab als Deutschland. Im Zeitraum von 20 Jahren
wies Italien 19-mal einen Primärüberschuss aus, während das Deutschland nur 13-mal gelang. 2013
erreichte Italien ein Plus von zwei Prozent, während die EU-Länder insgesamt im Schnitt ein Defizit
von 0,5 Prozent auftürmten.
Breitbandinternet ist in vielen Gegenden noch ein Wunschtraum
Nehmen wir das Wachstum und die Wettbewerbsfähigkeit. Seit Jahren stagniert Italien. Das Land
hat zweifelsohne an Konkurrenzfähigkeit eingebüßt. Die Steuer- und Abgabenlast ist hoch, öffentliche
Verwaltung und Justiz langsam, Breitbandinternet in vielen Gegenden noch ein Wunschtraum. Die
Malaise wird regelmäßig von internationalen Studien eingefangen. Im Doing-Business-Report der
Weltbank, der misst, wie leicht es Länder ihren Firmen machen, wird Italien auf dem 56. Rang von
189 Staaten geführt – hinter Armenien, Ruanda oder Rumänien.
Dennoch ist Italien nach Deutschland – und vor Frankreich – die wichtigste Industrienation der
Eurozone. Es ist eines der fünf Länder weltweit, dessen verarbeitendes Gewerbe einen
Exportüberschuss von über 100 Milliarden Dollar erzielt. Italienische Mittelständler sind stark im
Maschinenbau, bei der Metallverarbeitung, in der Feinmechanik. Die Industrie ballt sich im Norden, in
den Regionen Emilia-Romagna, der Lombardei, Piemont und Venetien. Auf die Lombardei entfallen
laut der HypoVereinsbank-Mutter Unicredit 22 Prozent des italienischen Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Also 345 Milliarden Euro, etwa so viel wie auf den Osten Deutschlands.
Bergamo und Brescia sind die zwei stärksten Industriecluster Europas
Die lombardischen Provinzen Bergamo und Brescia sind mit einer Wertschöpfung von jeweils rund
zehn Milliarden Euro die zwei stärksten Industriecluster Europas. Man trifft dort auf Fabriken, wo man
sie nicht erwartet. Der Iseosee liegt zwischen Comer See und Gardasee. Am südwestlichen Rand des
Sees, am Fuße der Weinreben von Franciacorta, in den Gemeinden Paratico, Sarnico und Villongo
ist die Gummibranche zu Hause. Rund 200 Betriebe stellen hier auf einer Fläche von etwa 80
Quadratkilometern Dichtungen aus Kautschuk her, die in Automotoren, Schiffsantrieben, Luftfiltern
und Ölraffinerien eingebaut werden. Geschätzter Gesamtumsatz: über eine Milliarde Euro, Tendenz
steigend.
Italien hat viele Probleme. Die Herausforderungen sind groß. Doch griechische Verhältnisse herrschen
nicht. Warum also nicht mal eine Schlagzeile wie "Die Gummikönige vom Iseosee" wagen? Wenn Sie
die lesen sollten, denken Sie bitte in Zukunft an Italien.
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Standpunkt Udo Gümpel:
"Zu oft genehmigte sich Italien einen Schluck zu viel aus
der Pulle der Lohnerhöhungen, die nicht durch
Produktivitätszuwächse gerechtfertigt waren. Das
schränkte die Wettbewerbsfähigkeit deutlich ein."
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Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Tobias Bayer für bpb.de
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Ist Frankreich das nächste Krisenland?
6.10.2014
Hohe Arbeitskosten, veraltetes Bildungssystem, chronisch hohes Etatdefizit: Die zweitgrößte
Volkswirtschaft der Eurozone wird immer wieder als Krisenkandidat genannt. Stünde das Land vor
einem Bankrott, könnte das einen gefährlichen Sog auch auf den wichtigsten Handelspartner
Deutschland ausüben – und damit auf die gesamte Eurozone.
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Vor der Generalüberholung
Von Ulrike Guérot
23.11.2014
Dr. Ulrike Guérot, Jahrgang 1964, ist Politikwissenschaftlerin. Seit September 2014 leitet sie das „European Democracy Lab“ an
der European School of Governance in Berlin und unterrichtet an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Im April 2013
hat sie mit dem österreichischen Essayisten Robert Menasse ein Manifest zur Gründung einer Europäischen Republik(http://www.
deutschlandfunk.de/europa-anders-denken-ideen-fuer-eine-europaeische.911.de.html?dram:article_id=297113)veröffentlicht.
Frankreich leidet an seinem Staatsapparat, an einem veralteten Sozialsystem und an einem
ausgeprägten Stadt-Land-Gefälle, so die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot. Um das zu
beheben, reichten Reformen allein nicht aus. Es müsse an die Substanz gehen, an die staatliche
Identität Frankreichs.
Frankreich ist nicht das nächste, sondern schon jetzt das größte Krisenland in Europa. Das liegt aber
nicht – oder nicht maßgeblich – an seiner vermeintlichen Unfähigkeit, seine Wirtschaft im deutschen
Sinn zu reformieren. Frankreich leidet fundamental an einer malaise politique, einer politischen
Krankheit, also an seinen staatlichen Prägungen, an antiquierten Verwaltungsstrukturen, einem
veralteten Sozialsystem und vor allem an einem ausgeprägten Stadt-Land-Gefälle, das dazu führt,
dass ein Großteil des Landes nicht in die globale Wertschöpfungskette integriert ist. Dem ist nicht
allein mit wirtschaftlichen Strukturreformen beizukommen. Oder, um Bill Clinton zu widersprechen: It's
the state, stupid!
Frankreich funktioniert strukturell anders als Deutschland – und hat in den vergangenen zwanzig
Jahren eine unterschiedliche Entwicklung durchgemacht, die das Land heute um so vieles schlechter
dastehen lässt als den Nachbarn im Osten. Ob die Defizite "reformiert" werden können – und wie
schnell –, ist die entscheidende Frage. Denn: Es muss dabei an die Substanz gehen, an die staatliche
Identität Frankreichs.
"Frankreich müsste seine Abhängigkeit vom Staatssektor und seine
staatlich finanzierte Binnennachfrage senken."
Beim Start der Europäischen Währungsunion hatten Deutschland und Frankreich fast identische
Arbeitslosenquoten, Pro-Kopf-Einkommen und Schuldenstände gemessen am Bruttoinlandsprodukt
(BIP) (http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/europa/70546/bip-pro-kopf). Heute ist die
Arbeitslosigkeit in Frankreich doppelt so hoch, sein Pro-Kopf-Einkommen 15 Prozent niedriger, aber
sein Schuldenstand je Einwohner 15 Prozent höher als der von Deutschland. Woran liegt das? Die
Antwort ist, dass beide Länder – jenseits von den wirtschaftlichen Verwerfungen, die in Deutschland
durch die Wiedervereinigung ausgelöst und im Grunde erst durch die Agenda 2010 unter großen
sozialen Kosten bereinigt wurden – höchst unterschiedliche wirtschaftspolitische Strategien verfolgt
haben.
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Frankreich: Ökonomische Schlüsseldaten
Deutschland ist eine Exportnation, die Ausfuhren machen inzwischen mehr als 50 Prozent des BIP
aus. Die Wirtschaft ist geprägt von produzierendem Gewerbe und verarbeitender Industrie. Eine stark
in der Gesellschaft verankerte Tarifpartnerschaft sorgte dafür, dass in den letzten 20 Jahren zwar die
Löhne stagnierten, die deutschen Exporte dafür aber international wettbewerbsfähig blieben.
Im Gegensatz dazu ist Frankreich eine relativ geschlossene Ökonomie mit einem Exportanteil von nur
27 Prozent des BIP, weniger als Italien. Seine Unternehmen werden von den Interessen staatlich
Beschäftigter oder von großen Konzernen dominiert, die häufig eng mit dem Staat und seiner
Auftragsvergabe verbandelt sind. Der Anteil der öffentlichen Ausgaben liegt in Frankreich bei 57 Prozent
des BIP, die deutsche Staatsquote beträgt nur 47 Prozent. Wo Deutschland seine Binnennachfrage
stärken und seine Exportabhängigkeit reduzieren müsste, müsste Frankreich seine Abhängigkeit vom
Staatssektor und seine staatlich finanzierte Binnennachfrage senken, zugleich seinen
Außenhandelssektor geringer besteuern.
"De facto leidet Frankeich heute unter Strukturen, die jahrzehntelang
unter anderem durch die europäische Agrarpolitik zementiert wurden."
Allerdings handelt es sich jeweils um pfadabhängige, genuine Wirtschaftsstrukturen, die nicht so
einfach umzusteuern sind, jedenfalls nicht in wenigen Monaten oder auch Jahren. Von Frankreich
verlangte dies zum Beispiel eine Reindustrialisierung sowie den Aufbau eines international
wettbewerbsfähigen Mittelstandes: Während im Jahr 2000 der deutsche und der französische Anteil
exportierter Güter am Welthandel bei respektive 8,7 und 7,5 Prozent lag, ist Frankreichs Anteil heute
auf 3,4 Prozent gesunken, während der deutsche unverändert blieb. Ähnlich die Entwicklung beim
Anteil des Exports am nationalen BIP: Während auch hier im Jahr 2000 Deutschland mit 29 und
Frankreich mit 25 Prozent noch relativ nahe beieinander lagen, trennen beide Staaten heute 9
Prozentpunkte, da Frankreichs Exportanteil auf 22 Prozent gesunken ist. Eine exportgetriebene
Wachstumsstrategie wie die Deutschlands in der vergangenen Dekade hat Frankreich nie entwickelt.
Die Folge war eine rapide Deindustrialisierung. Sichtbar wird diese heute vor allem in der
Automobilindustrie: Durch die Eurokrise ist der Markt für Kraftfahrzeuge in Südeuropa in den Jahren
2012 und 2013 nahezu weggebrochen. Die französischen Autohersteller PSA Peugeot Citroën und
Renault haben diesen Einbruch mit ihrem Fokus auf Kleinwagen besonders zu spüren bekommen.
Um den angeschlagenen Konzern zu retten, mussten Anfang 2014 schließlich der französische Staat
und der zweitgrößte chinesische Autohersteller Dongfeng bei PSA einsteigen.
Que faire, was tun? Festzustehen scheint, dass Frankreich auch mittelfristig kaum eine Handhabe
hat, dem Reformdruck mit einer überzeugenden Strategie zu begegnen, zumal sich der politische
Spielraum durch das Erstarken des rechtsxtremen Front National weiter eingeschränkt hat.
De facto leidet Frankeich heute unter Strukturen, die jahrzehntelang unter anderem durch die
europäische Agrarpolitik zementiert wurden. Dies verhinderte auch - oder hat zumindest nicht gefördert
-, dass in Frankreich ein kräftiger regionaler Mittelstand entstehen konnte. Frankreich bedürfte daher
gleichsam einer Generalüberholung. Dazu zählt eine Modernisierung seiner immer noch napoleonischzentralistischen Verwaltung, die Neugestaltung seines exekutivlastigen politischen Systems und die
Stärkung des Parlaments, der Aufbau unabhängiger Regionen, die Träger von Industrieansiedlungen
und Innovations-Clustern werden könnten. Dann könnten heute zumindest die Weichen dafür gestellt
werden, dass Frankreich – unter Berücksichtigung seiner guten demografischen Zahlen – in einen
Aufholprozess kommt, der binnen einer Generation Früchte trägt. Mit ein paar kleinen
Arbeitsmarktreformen, Sparmaßnahmen oder Rentenkürzungen ist das nicht getan. Ob Frankreich
indes in seiner augenblicklichen politischen Verfasstheit und der Fragilisierung seines Parteiensystems
dafür die notwendige Kraft hat und, wer der Gestalter eines solchen Modernisierungskonzeptes werden
könnte, ist völlig offen – und hierin liegt das eigentliche Risiko auch für den Rest Europas.
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Standpunkt Reinhard Blomert:
"Kern der französischen Politik ist nicht, alle Landsleute
auf die Spur zu bringen, damit sie effizient arbeiten und
möglichst viel Kapital akkumulieren."
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Frankreich als Zivilisationsthermometer
Von Reinhard Blomert
23.11.2014
Dr. Reinhard Blomert, Jahrgang 1951, ist Soziologe am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. 2012 erschien sein Buch
"Adam Smiths Reise nach Frankreich oder die Entstehung der Nationalökonomie".
Für Reinhard Blomert geht es in der aktuellen Debatte um die Lage Frankreichs letztlich um
die Frage, welches ökonomische Modell die Zukunft Europas bestimmen soll. Der Soziologe
warnt davor, die Krise dazu zu nutzen, den Wohlfahrtsstaat ab- und Europa zum globalen
Investitionsstandort auszubauen.
Jahrzehntelang war es undenkbar, doch jetzt ist auch Frankreich unter Beschuss der deutschen
politischen Eliten geraten. Von den Ministerien, aus den Wirtschaftsteilen bildungsbürgerlicher Blätter
und im Fernsehen wird die französische Politik stark kritisiert. Vielen gilt Frankreich als eine Art "kranker
Mann" Europas, ja, angeblich gefährdet es sogar das "Modell Europa". Die aggressiven Klagen
beziehen sich dabei meist auf die Verletzung des Euro-Stabilitätspaktes. Vertragstreue ist wichtig.
Aber gegenüber welchen Verträgen? Gegenüber den Verträgen, die die politische Klasse mit ihren
Wählerinnen und Wählern schließt? Oder gegenüber Staatsverträgen, die die politischen Eliten
untereinander beschlossen haben? Geht es darum, ein finanzmarkttaugliches Europa zu schaffen?
Oder geht es um einen zivilisierten europäischen Wohlfahrtsstaat?
Zunächst: Während die EU-Kommission Frankreich für das kommende Jahr ein Haushaltsdefizit von
3,4 Prozent des BIP voraussagt, rechnet die französische Regierung sogar mit die Maastricht-Kriterien
erfüllenden drei Prozent. Die Staatsschulden sollen zudem bis 2017 um satte 50 Milliarden Euro sinken.
Geht es letztlich also gar nicht um ein vertragsbrüchiges, unwilliges Frankreich - sondern vielmehr
darum, welches Modell die Zukunft Europas bestimmen soll?
"Kern der französischen Politik ist nicht, alle Landsleute auf die Spur
zu bringen, damit sie effizient arbeiten und möglichst viel Kapital
akkumulieren."
Deutschland, eine unruhige Nation, seit dem 19. Jahrhundert von der fixen Idee geplagt, zu kurz
gekommen zu sein, pocht dennoch auf Einhaltung der Verträge. Zugleich fordert Berlin von Paris
Arbeitsmarkt- und Rentenreformen – und gibt damit auch gleich vor, wie die vertraglichen Ziele erreicht
werden sollen: Nicht durch Erhöhung der Binnennachfrage und höhere Staatseinnahmen, sondern
durch Deregulierung und Liberalisierung, mitten in der Flaute. Nur so könnten gute Bedingungen für
Investoren geschaffen werden. Hindernisse seien Frankreichs "verkrustete Arbeitsmärkte". Dass ein
starker Staat Investoren abschrecken oder privaten Investoren Gewinnspielräume beschneiden
könnte, gehört ebenfalls zum Grundtenor der Kritik. Die Krise soll also offenbar dazu genutzt werden,
den Wohlfahrtsstaat ab- und Europa zum globalen Investitionsstandort auszubauen – und damit Euro
und Finanzindustrie zu festigen.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Frankreich: Ökonomische Schlüsseldaten
Was aber nützen Verträge, wenn sie unrealistisch oder ökonomisch sinnlos werden? Frankreichs
Wirtschaftspolitik erwies sich stets als ausgewogen: Nicht so stark exportorientiert und damit verletzlich
wie die deutsche, nicht so stark auf die volatilen Finanzmärkte orientiert wie die der Briten und
Amerikaner. Und auch den Fehlern anderer europäischer Staaten ist Frankreich nicht erlegen: Die
Immobilienpreise stiegen – Paris ausgenommen – nicht in den Himmel wie in Irland oder Spanien. Die
Rezession war nicht so gravierend wie in Deutschland oder in den USA. Es gibt nach wie vor Wachstum,
wenn auch nicht mehr als 0,5 Prozent, während Deutschland trotz enormer Exportanstrengungen nur
gut ein Prozent aufweisen kann.
Kern der französischen Politik ist nicht, alle Landsleute – koste es, was es wolle – auf die Spur zu
bringen, damit sie effizient arbeiten und möglichst viel Kapital akkumulieren. Die Regierung könnte
derartige Ziele nie zum Kern nationalen Strebens erheben. Das französische Volk ist anarchisch und
lässt sich nicht über Mitgliedschaften in Parteien, Vereinen oder Verbänden dirigieren: Anders als in
Deutschland sind die sogenannten "großen Parteien", an der Anzahl der Mitglieder gemessen, ziemlich
kleine Vereine. Ihre Stärke stammt ausschließlich aus der Loyalität der Wählerinnen und Wähler, sie
muss dementsprechend immer neu errungen werden.
"Die Vollbeschäftigung, einst oberstes Ziel aller europäischen
Nachkriegsregierungen, ist heute von der Stabilität des Euro
verdrängt worden."
Der Kern der französischen Politik ist auch nicht der Griff nach einem Weltspitzenplatz – seit Napoleon
passé. Der Kern der französischen Politik besteht vielmehr aus zwei alten Prinzipien. Einem
außenpolitischen: die deutsche Gefahr so gering wie möglich zu halten, bekannt unter dem Namen
"Richelieus Testament", welches auf die französische Sicherheit zielte. Und einem innenpolitischen:
dafür zu sorgen, dass jede Französin und jeder Franzose sonntags ein Hühnchen im Topf hat. La
poule au pot von Henri IV. (1553-1610) ist ein Regierungsprogramm für das Wohlbefinden, das noch
kein Regent ungestraft ausgehebelt hat.
Außenpolitisch momentan in der Defensive, sucht Frankreich seine Innenpolitik aufrecht zu erhalten.
Bisher lag die Lohnpolitik vorbildlich in der Mitte zwischen Produktivitätszuwachs und
Inflationsausgleich. Da die Deutschen sich an diese Maßstäbe nicht hielten, gewannen sie
Preisvorteile, die sich im gemeinsamen Markt zu ihrem Vorteil auswirkten. Infolge dessen haben die
meisten EU-Länder heute negative Handelsbilanzen gegenüber Deutschland. Das zeigt das
Grunddilemma des Euro: Der freie Kapitalverkehr verhindert eine auf Arbeitsplätze ausgerichtete
Wirtschaftspolitik, das können auch EU-Förderprogramme nicht kompensieren. Die Vollbeschäftigung,
einst oberstes Ziel aller europäischen Nachkriegsregierungen, ist heute von der Stabilität des Euro
verdrängt worden. Beide Ziele zugleich aber lassen sich unter Bedingungen freier Wechselkurse nicht
erreichen.
Frankreich war stets eine Art Zivilisationsthermometer Europas. Als die EU-Verfassung den Kontinent
zum "wettbewerbsfähigsten der Welt" machen sollte, empörten sich die Wählerinnen und Wähler gegen
die Einbußen, die dem gewöhnlichen Citoyen dadurch drohten: Liberalisierung und Deregulierung
sollten eben nicht Verfassungsrang erhalten. Und als die EU nun den Europäern eine Sparpolitik
aufzwingen wollte, die dem Citoyen das "Hühnchen im Topf" nicht mehr gönnt, und den Familien nicht
mehr die Zeit, gemeinsam zu feiern, fanden sie einen anderen Weg, ihren Unmut zum Ausdruck zu
bringen: Sie wählten den rechtsextremen Front National. Die Franzosen haben eine hohe Sensibilität
für Machtasymmetrien und eine Hochschätzung für Fairness und Gleichheit, und so erweist es sich
als problematisch, dass einzig der Front National diesen Protest aufgreift.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Standpunkt Ulrike Guérot:
"Frankreich leidet fundamental an einer malaise
politique"
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Hat die Sparpolitik Irland aus der Krise geholfen?
13.10.2014
Irland ist das Land unter den Euro-Sorgenkindern, das derzeit wieder am optimistischsten in die Zukunft
schaut. Doch die relativ positiven Daten blenden wichtige Teilaspekte aus, argumentieren Kritiker.
Oder haben die knallharten Kürzungen letztlich doch etwas Gutes für die Irinnen und Iren gehabt?
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Via Dolorosa ohne Alternative
Von Martin Alioth
23.11.2014
Martin Alioth, Jahrgang 1954, ist Irland-Korrespondent unter anderem für die Neue Züricher Zeitung. Er lebt seit 1984 dort, gemeinsam
mit Neufundländern und Eselinnen.
Für Martin Alioth waren Dauer und Ausmaß der irischen Sparpolitik beispiellos. Doch das
unmittelbare Ziel wurde aus Sicht des Journalisten mit den Ausgabenkürzungen und
Abgabenerhöhungen erreicht: Ausländische Direktinvestitionen fließen wieder nach Irland und
die Kapitalmärkte leihen dem Land Geld zu moderaten Zinsen.
2007, im letzten Jahr des "keltischen Tigers" und den damit assoziierten hohen Wachstumsraten, lag
Irlands Arbeitslosenquote bei 4,6 Prozent - nahe dem Rekordtief, fast Vollbeschäftigung. Fünf Jahre
später kletterte die Arbeitslosigkeit auf über 15 Prozent. Besonders hart traf es die Beschäftigten der
Baubranche. Ihre Zahl war vorübergehend um 60 Prozent abgesackt. Erst in jüngster Zeit ist hier
wieder eine Erholung auf niedrigem Niveau erkennbar. Die Arbeitslosigkeit ist inzwischen wieder
insgesamt auf 11 Prozent der Erwerbsfähigen gefallen.
Das Ausmaß der Wirtschafts- und Finanzkrise in Irland hatte die Bandbreite herkömmlicher
Konjunkturschwankungen gesprengt. Entsprechend radikal musste die Remedur ausfallen. Denn
Irland ist, wie kaum ein anderes europäisches Land, auf das Wohlwollen von internationalen Investoren
und Kapitalmärkten angewiesen. Der Grund dafür liegt in der Offenheit der irischen Volkswirtschaft,
oder anders gesagt, in ihrer Abhängigkeit vom Außenhandel.
Irlands Exporte (http://data.worldbank.org/indicator/NE.EXP.GNFS.ZS/countries) sind höher als die
gesamte Wirtschaftsleistung (BIP) des Landes. Der so genannte Außenbeitrag, also der NettoÜberschuss der Ausfuhren, ist in absoluten Zahlen der dritthöchste in der EU, nach Deutschland und
den Niederlanden. Durch die gesamte Krise hindurch blieb der Außenbeitrag positiv und stabilisierte
so die überaus wacklige Wirtschaft. Diese strukturellen Gegebenheiten gelten nicht für andere EuroSorgenkinder wie Portugal oder Griechenland.
"Es lag somit im existenziellen Interesse des Landes, die
Ungleichgewichte im Staatshaushalt radikal zu beseitigen."
Zwischen 80 und 90 Prozent der Exporte werden von Firmen in ausländischem Besitz hergestellt, also
von multinationalen Unternehmen, die überwiegend aus den USA kommen, etwa die Europa-Ableger
von Technologiekonzernen wie Apple, Facebook und Google oder Allergan, dem Hersteller des AntiFaltenmittels Botox. Ihre künftigen Investitionsentscheidungen – ebenso wie das Verhalten neuer
Anleger – werden maßgeblich von Irlands Stabilität und Glaubwürdigkeit als Werk- und
Vertriebszentrum bestimmt. Es lag somit im existenziellen Interesse des Landes, die Ungleichgewichte
im Staatshaushalt radikal zu beseitigen. Nicht zuletzt deshalb, weil die Kapitalmärkte in Form höherer
Rendite-Forderungen zeigten, dass ihre Geduld mit dem finanzpolitischen Kurs der Regierung unter
dem damaligen Ministerpräsidenten Brian Cowen (2008-2011) erschöpft war.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Irland: Ökonomische Schlüsseldaten
Noch 2006 wies der irische Staat einen Überschuss von drei Prozent des BIP auf. Dieser Saldo
verwandelte sich bis 2009 in einen Fehlbetrag in Höhe von fast 12 Prozent. Dabei berücksichtigt diese
Ziffer nicht einmal die ersten Kapitalspritzen für die irischen Banken. Die beängstigende
Geschwindigkeit, mit der sich die Kluft öffnete, ist nicht direkt auf Schlendrian und Prasserei in den
"guten Zeiten" zurückzuführen, sondern vielmehr auf den Opportunismus auch vorangegangener
irischer Regierungen. Sie hatten sich allzu sehr darauf verlassen, dass die Einnahmeströme aus dem
privatem Konsum und dem Immobiliensektor wie in den Jahren 2002 bis 2007 weitersprudelten. Das
war die Phase des keltischen Tigers, als Irland nicht bloß den geschaffenen Mehrwert verfraß und
verbaute, sondern sich auch noch stark bei ausländischen Banken verschuldete – dank der tiefen
Euro-Zinssätze.
Als die Immobilienblase platzte und den Bankensektor mit sich in die Tiefe riss, brach nicht nur die
Beschäftigung massiv ein. Auch die Staatseinnahmen stürzten ab, während die Ausgaben wegen
höherer Sozialzuschüsse jäh anstiegen. Im laufenden Jahr soll die Neuverschuldung auf 3,7 Prozent,
2015 sogar unter die für Euro-Länder vorgeschriebenen drei Prozent des BIP sinken.
Dauer und Ausmaß der fiskalischen "Korrektur" waren und sind beispiellos, doch das unmittelbare Ziel
wurde erreicht: Ausländische Direktinvestitionen fließen wieder nach Irland, die Kapitalmärkte leihen
dem Land inzwischen wieder Geld für zehn Jahre zu einem Zinssatz von weniger als zwei Prozent.
"Mit einer Bevölkerung von 4,5 Millionen ist Irland zu klein für die
Abschottung."
Es ist weder populär noch profitabel, wenn Journalisten sich der vorherrschenden Lehrmeinung der
politischen Eliten anschließen. Doch in diesem Fall gab es keine erkennbare Alternative. Es trifft
zweifellos zu, dass die Europäische Zentralbank mit ihren dogmatischen Vorschriften die irische "Via
Dolorosa" verlängerte, vor allem durch die Art und Weise der Bankenrettung. Das Ungleichgewicht im
Staatsaushalt aber musste durch schmerzhafte Ausgabenkürzungen und Abgabenerhöhungen
korrigiert werden, denn es war fast ausschließlich selbstverschuldet. Irlands Staatsquote bleibt im
internationalen Vergleich niedrig – entsprechend fragwürdig ist allerdings auch die Qualität staatlicher
Dienstleistungen, namentlich im Gesundheitsbereich.
Irische Anomalien wie der Verzicht auf jegliche Vermögenssteuer sind unter dem Druck der
internationalen Troika beseitigt worden. Niedrige Einkommen leisten nun mit einer USC (Universal
Social Charge) genannten Sozialabgabe einen Beitrag. Mit anderen Worten: die Steuerbasis wurde
verbreitert. Zudem wurde die unsoziale Mehrwertsteuer auf 23 Prozent erhöht, fast ohne politische
Diskussion.
Mit einer Bevölkerung von 4,5 Millionen ist Irland zu klein für die Abschottung. Dieser Weg wurde
bereits in den 1930er-Jahren mit fatalen Folgen ausprobiert. Auch im Nachhinein erscheint es richtig,
dass Irland vorrangig die Wiederherstellung seiner internationalen Reputation verfolgte. Die
Wählerinnen und Wähler entschieden sich 2012 dementsprechend mit einer sechzigprozentigen
Mehrheit dafür, die strengen Vorschriften des EU-Fiskalpaktes zu billigen. Sie taten dies gewiss unter
äußerem Druck, aber vermutlich auch mit einer Portion resignierter Einsicht. Die üblen Erfahrungen
der Wirtschaftskrise haben nicht wenige davon überzeugt, dass eine finanzpolitische Oberaufsicht der
EU auch Vorteile haben kann.
Standpunkt Derek Scally:
"Die Verschwender aus den Zeiten des keltischen Tigers
sparen heute fast wie eine schwäbische Hausfrau."
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Martin Alioth für bpb.de
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Die Generation der stillen Verzweiflung
Von Derek Scally
23.11.2014
Derek Scally, Jahrgang 1977, berichtet seit dem Jahr 2000 für die Irish Times aus Berlin.
Der Journalist Derek Scally macht darauf aufmerksam, dass in Irland trotz zuletzt positiver
Wirtschaftsdaten eine ganze Generation in Überschuldung lebt. Die Rettungsmaßnahmen seien
notwendig gewesen, hätten aber dazu geführt, dass viele Iren nun zwei Schuldenberge abtragen
müssten: den öffentlichen Schuldenberg und ihren überteuerten Hauskredit.
Nach dem Universitätsabschluss zog ich gleichzeitig mit einer College-Freundin nach Berlin. Nach
einem Jahr ging sie zurück nach Irland. Es war genau die Zeit, als der keltische Tiger zum letzten Mal
vernehmlich brüllte. Die Wirtschaft lief wie unter Drogen, Wohnungen waren in Dublin so unverschämt
teuer, dass wir die Immobilienbeilagen der Zeitungen "Häuser-Porno" nannten. Der damalige
Premierminister Bertie Ahern urteilte über irische Ökonomen, die sich Sorgen über die überhitzte
Wirtschaft machten, Leute wie sie würden normalerweise "Selbstmord begehen". Das Land würde
gerade eine Party ohne Ende feiern, sagte der Politiker. Und dass der Boom höchstwahrscheinlich
sogar noch "boomiger" werden würde.
Meine Freundin ist eine sehr rational handelnde Frau. Eigentlich wollte sie sich nicht von der
Massenpsychose vereinnahmen lassen. Aber nun war es auch für sie höchste Zeit, ein Eigenheim zu
erwerben. "Ich weiß, es handelt sich um eine Immobilienblase", sagte sie. "Aber wenn ich warte, bis
ich Kinder habe, muss ich zu Hause bleiben. Und allein mit dem Einkommen meines Mannes
bekommen wir keinen Kredit von der Bank." Sie beugte sich also der ökonomischen Realität - und
dem sozialen Druck - und kaufte in Dublin ein völlig überteuertes Haus in Schuhkarton-Größe. Das
war etwa im Jahr 2008.
Dann begann für sie - wie für Tausende ihrer Generation -, ein Reality-TV- Katastrophenfilm mit Irland
in der Hauptrolle: Zuerst gingen die irischen Banken, dann das ganze Land pleite. Das Wachstum
kollabierte, die Arbeitslosenzahlen schnellten in die Höhe, die Immobilienpreise halbierten sich. Irland
war unfähig, die Schulden der verstaatlichten Banken zurückzuzahlen, ohne die Lichter im Land
auszuknipsen. Also bat die Regierung bei EU und Weltwährungsfonds um einen Kredit. Inzwischen
haben wir das Programm verlassen und die wirtschaftliche Souveränität zurück. Aber nur nach
drastischen Etatkürzungen: Wenn man diese auf Deutschland hochrechnen würde, käme man auf fast
eine Billion US-Dollar.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
134
"16 Prozent aller Hypothekenkredite sind im Rückstand. Insgesamt
sind 400.000 irische Haushalte überschuldet, ein Viertel davon kann
seine Hypotheken nicht mehr abbezahlen."
Jedes Mal, wenn ich die wohlmeinenden, aber letztlich simplen Analysen aus Deutschland über die
Erholung in Irland lese, denke ich an meine Freundin in Dublin - und an meine gesamte Generation.
Wir waren die gebildetsten, weltoffensten Leute, die Irland jemals hervorgebracht hat. Allerdings
müssen die, die ihr Land nicht wie ich verlassen haben, nun gleich zwei Schuldenberge abtragen: Der
mit den 67 Milliarden Euro, die wir uns von der EU und dem IWF geborgt haben, um Banken und
Wirtschaft wieder aufzupäppeln und der, mit dem viele Iren ihre überteuerten Hauskredite abbezahlen.
Irland: Ökonomische Schlüsseldaten
Studien zeigen, dass der einstige irische Traum vom Eigenheim für viele zum Alb geworden ist. 16
Prozent aller Hypothekenkredite sind im Rückstand. Insgesamt sind 400.000 irische Haushalte
überschuldet, ein Viertel davon kann seine Hypotheken nicht mehr abbezahlen. Die Ausgaben für
Konsum, Immobilien und die Tilgung von Schulden belasten irische Privatleute weit mehr als jene in
anderen Ländern Europas. Der Anteil der Iren mit Immobilienbesitz liegt mit 70 Prozent auf
vergleichsweise hohem Niveau. Allerdings fielen die Preise in diesem Segment zum Teil um die Hälfte –
mit fatalen Auswirkungen auf die Realwirtschaft.
Es gibt zwar gute Nachrichten - für 2014 wird ein Wirtschaftswachstum von 4,5 Prozent erwartet - aber
auch viele Unsicherheiten. Neben dem Hypothekendesaster haben die Banken auch heftige Probleme
in ihrem sonstigen Geschäft: Mehr als die Hälfte der Kredite an die Privatwirtschaft sind faul. Die
Häuserpreise sind innerhalb der letzten zwölf Monate mehr als 23 Prozent gestiegen - wenn auch nur
in Dublin. Es drängt sich die Frage auf, ob es sich dabei um eine Preiskorrektur oder eine neue Blase
handelt.
Vielerorts wurden die Sparbemühungen gelobt, die Ratingagenturen haben ihre Bewertungen für
irische Staatsanleihen angehoben, aber für einen ausgeglichenen Haushalt fehlten auch 2013 noch
gut zwölf Milliarden Euro. Die geringe Inflation hat derweil den realen Effekt, dass der 206 Milliarden
Euro hohe Schuldenberg - mittlerweile 124 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - weiter wächst.
"Die Verschwender aus den Zeiten des keltischen Tigers sparen
heute fast wie eine schwäbische Hausfrau."
Obwohl über 60 Milliarden Euro Richtung irische Kreditinstitute gepumpt wurden, warnte die Irische
Zentralbank unlängst, dass das nationale Bankensystem immer noch "weit davon entfernt ist, gut zu
funktionieren".
Die Verschwender aus den Zeiten des keltischen Tigers sparen heute fast wie eine schwäbische
Hausfrau: Ein Drittel der Iren legt nun regelmäßig Geld zur Seite. Und während die, die Geld haben,
lieber sparen als ausgeben, hat meine Generation nach Boom und Pleite gar nichts mehr übrig, wenn
sie für Lebensmittel gezahlt und ihre Kreditraten bedient hat. Da ist es nur ein kleines Wunder, dass
die deutschen Discounter Aldi und Lidl zweistellig wachsen und inzwischen einen Marktanteil von fast
16 Prozent erreicht haben. Die Kehrseite des Märchens vom irischen Wunderknaben ist, dass nun 15
Prozent der Bevölkerung in Armut leben, darunter 200.000 Kinder. Die Arbeitslosenquote liegt bei viel
zu hohen zwölf Prozent.
Ja, es gibt wieder gute Nachrichten aus Irland, aber es gibt auch eine neue Generation der stillen
Verzweiflung. Meine College-Freundin lebt nun in einem winzigen Haus mit drei Zimmern und zwei
heranwachsenden Kindern. Die Überschuldung führt dazu, dass sie das Haus weder verlassen noch
hier auf Dauer bleiben kann. Ein frei verfügbares Einkommen hat sie nicht.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Die Sparpolitik hat Irland aus der Krise geholfen, viele der Sparmaßnahmen waren notwendig, um das
Boot wieder flott zu machen. Allerdings verfehlten die Retter in einem entscheidenden Punkt ihr Ziel:
Indem man es den Iren nicht erlaubte, sich wenigstens eines Teils der Schulden zu entledigen, haben
unsere Partner in der EU meine Generation - und damit diejenigen, die die Tilgung der Schulden
schultern muss -, ins Unterdeck der irischen Galeere verbannt. Hier müssen sie ihre - und die Schuld
anderer - bis zum Ende ihrer Tage abarbeiten.
Standpunkt Martin Alioth:
"Dauer und Ausmaß der fiskalischen 'Korrektur' in Irland
waren und sind beispiellos, doch das unmittelbare Ziel
wurde erreicht."
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Derek Scally für bpb.de
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Ist Spanien über den Berg?
13.10.2014
Die Situation in der viertgrößten Ökonomie der Eurozone bessert sich langsam. Doch nach Jahren
der ökonomischen Flaute und harten Einschnitten ist immer noch etwa ein Viertel der erwerbsfähigen
Bevölkerung ohne Arbeit. Was heißt das für Spanien?
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
137
Von Gesundung kann keine Rede sein
Von Michael Psotta
23.11.2014
Michael Psotta, Jahrgang 1957. Der Volkswirt verantwortet den Immobilienteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, von 1998 bis
2003 arbeitete er für die FAZ als Wirtschaftskorrespondent für Spanien und Portugal in Madrid.
Michael Psotta hält es für ein Versäumnis, dass Spanien in den vergangenen Jahrzehnten keine
eigene Industrie aufgebaut hat, mit der das Land von der Globalisierung und dem Aufbau von
Infrastrukturen in den Schwellenländern hätte profitieren können. Das Wachstum bliebe
schwach, die Arbeitslosigkeit hoch - von einer Gesundung könne daher noch keine Rede sein.
Auf den ersten Blick hat Spanien in der Tat seine tiefe Krise überwunden. Die Rezession jedenfalls ist
seit Jahresende 2013 überstanden, die Wirtschaft auf der Halbinsel wuchs zuletzt schneller als die in
Frankreich, Italien oder Deutschland. Das wird auch an den Finanzmärkten anerkannt: Dem Land
gelingt es schon seit einiger Zeit wieder, seine Staatsanleihen zu relativ geringen Zinsen zu verkaufen –
offensichtlich zeigen sich auch Anleger außerhalb Spaniens überzeugt, dass die Bonität des Landes
nicht mehr in Gefahr ist. Von drohendem Staatsbankrott jedenfalls kann nicht mehr die Rede sein. Das
mag auch an der Versicherung der Europäischen Zentralbank liegen, notfalls mit der "Dicken Bertha"
Krisenländer herauszupauken. Doch ganz allgemein wird auch anerkannt, dass Spanien mit einer
Reihe von Reformen etwa am Arbeitsmarkt Verkrustungen beseitigt hat, die über lange Zeit
Investitionen erschwert haben. In der Tat wird das aktuelle Wachstum derzeit auch von zunehmenden
Unternehmensinvestitionen getragen.
"Die Arbeitslosigkeit ist mit einer Quote von rund 25 Prozent noch
immer erschreckend hoch."
Soweit also zum aktuellen Aufschwung. Der zweite Blick indes deutet darauf, dass noch so viel im
Argen liegt, dass von einer tatsächlichen Gesundung noch keine Rede sein kann. So ist die
Arbeitslosigkeit mit einer Quote von rund 25 Prozent noch immer erschreckend hoch, wie selbst die
Regierung zugibt. Unter jungen Menschen im Alter bis zu 25 Jahren liegt sie seit vielen Jahren bei
über 50 Prozent. Leider deutet vieles darauf hin, dass sich daran grundlegend auch wenig ändern
wird, zumindest in den kommenden Jahren. So dürfte die Wirtschaft 2014 gerade einmal um gut 1
Prozent wachsen – viel zu wenig, um nennenswert Arbeitsplätze zu schaffen. Und viel weniger als in
den Jahren vor der Krise, also bis 2008, als Spanien regelmäßig mit Wachstumsraten von 3 oder sogar
noch mehr Prozent die europäischen Nachbarn beeindruckte.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Spanien: Ökonomische Schlüsseldaten
Warum ist es unwahrscheinlich, dass Spanien seine alte Dynamik bald wiedergewinnt? Das zeigt
zunächst der Blick auf die Ursachen, die den langjährigen Aufschwung prägten. Der EG-Beitritt
Spaniens 1986 und ein dutzend Jahre später auch die Gründungsmitgliedschaft in der Währungsunion
setzten jeweils ungeahnte Kräfte frei, was sich so nicht wiederholen lässt. In den achtziger Jahren
profitierte Spanien von einer Investitionswelle ausländischer Industriekonzerne, die wegen der
günstigen Arbeitskraft zahlreiche Fabriken bauten. Der Euro erwies sich als ein riesiges Geschenk,
das die Binnenkräfte entfachte: Erstmals wohl in der modernen Geschichte des Landes erfuhren seine
Einwohner, dass man sich auch mit Zinsen in einstelliger Höhe verschulden kann – eine stabile Währung
hatte das oft von politischen Unruhen und Abschottungen gelähmte Land nie gehabt.
"Doch dann übertrieben es die Spanier. Davon zeugen heute leere
Wohnsiedlungen in der Mitte des Landes mit jeweils Tausenden von
Wohnungen oder milliardenteure Flughäfen, die nicht gebraucht
werden."
Sie wurde kräftig genutzt: Vor allem zum Bau und zur Anschaffung von Häusern und Wohnungen.
Dieser Immobilienboom hatte anfangs durchaus seine Berechtigung: Durch Einwanderer aus
Lateinamerika, Nordafrika und Osteuropa stieg die Zahl der Einwohner in wenigen Jahren von 37 auf
mehr als 45 Millionen – dafür wurden Wohnungen gebraucht. Doch dann übertrieben es die Spanier.
Davon zeugen heute leere Wohnsiedlungen in der Mitte des Landes mit jeweils Tausenden von
Wohnungen oder milliardenteure Flughäfen, die nicht gebraucht werden.
Letztlich hatte der Immobilienaufschwung zwei fatale Folgen, an denen Spanien noch lange leiden
wird. Zum einen belastet die geplatzte Immobilienblase den Staatshaushalt und die Bilanzen der
Banken. Zum anderen, und das ist noch wesentlich schlimmer, hat er die Wirtschaftsstruktur Spaniens
in eine Richtung getrieben und verfestigt, die einen schnellen Wiederaufschwung verhindert. So hat
sich in den guten Jahren eine Bau- und Immobilienbranche entwickelt, die rund 20 Prozent der
Wirtschaftskraft ausmachte – ein ungesund hoher Anteil, wie internationale Vergleiche zeigen. Da die
Branche hohe Löhne zahlte, verließen zahlreiche junge Spanier die Schule, um das schnelle Geld zu
machen - statt einer soliden Ausbildung. Dies aber ist einer der Hauptgründe, warum Millionen junge
Spanier heute kaum Aussichten haben, gute neue Stellen zu finden – während die Stellen auf dem
Bau unwiederbringlich weg sind.
"Spanische Chemie- oder Pharmakonzerne fehlen, spanischen
Maschinen- und Anlagenbau sucht man vergebens."
Für die drohende lange Durststrecke ebenso bedeutsam ist, dass Spanien es in den vergangenen
Jahrzehnten versäumt hat, eine eigene Industrie aufzubauen, mit der das Land von der Globalisierung
und dem Aufbau von Infrastrukturen in den Schwellenländern profitieren könnte. Zwar gibt es durchaus
zahlreiche industrielle Arbeitsplätze, etwa im Fahrzeugbau oder in der Chemie. Doch dies sind
überwiegend verlängerte Werkbänke ausländischer Konzerne. Eigene spanische Automarken gibt es
nicht mehr, seitdem Seat – mit wenig Erfolg – dem Volkswagen-Konzern einverleibt wurde. Spanische
Chemie- oder Pharmakonzerne fehlen, spanischen Maschinen- und Anlagenbau sucht man vergebens.
Das wiederum bedeutet, dass industrielle Forschung und Entwicklung mit ihren hochwertigen
Arbeitsplätzen nicht in Spanien, sondern überwiegend an den ausländischen Stammsitzen der
Mutterkonzerne stattfinden. Diese wiederum sind mit dem Bau neuer Fabriken in Spanien
zurückhaltend, seit Osteuropa und Asien als Standorte locken.
So muss sich Spanien auf seine wenigen Stärken besinnen: Auf die international wettbewerbsfähigen
Banken, einige Ausnahmekonzerne wie Inditex mit der Marke Zara – und vor allem den Tourismus, in
den Spanien in den Boomjahren aber viel zu wenig investiert hat. Das gleicht einige Schwächen aus,
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
139
wird aber nicht reichen, das Land in die wirtschaftliche Champions League zurückzubringen.
Standpunkt Paul Ingendaay:
"Historisch gesehen wirkt die gegenwärtige 'Krise' wie
die Rückkehr zum Normalzustand."
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de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Michael Psotta für bpb.de
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Rückkehr zum Normalzustand
Von Paul Ingendaay
23.11.2014
Paul Ingendaay, Jahrgang 1961 in Köln, lebt als Schriftsteller und Journalist in Madrid. Von ihm erschien unter anderem "Die Nacht
von Madrid" und "Gebrauchsanweisung für Spanien".
Die Spanier haben es mit einem Gemisch aus Improvisationsfähigkeit, Fatalismus und großer
Zähigkeit immer wieder vermocht, schwere Krisen zu überstehen, sagt der Schriftsteller Paul
Ingendaay. Historisch gesehen wirke die gegenwärtige Krise daher wie eine Rückkehr zum
Normalzustand. Spanien stünde nicht Abgrund, sondern nur da, wo es immer stand.
Es wäre albern, die Krisensymptome Spaniens zu beschönigen.
Doch die fundamentalen Zweifel an der Wirtschaftskraft des
Landes, die heute bestehen, durfte man auch schon in den
sogenannten "guten Jahren" hegen. Wer sich mit offenen Augen
im Land umschaut, um ein Bild von der sozialen Wirklichkeit zu
gewinnen, wird über Bruttoinlandsprodukt (http://www.bpb.de/
nachschlagen/zahlen-und-fakten/europa/70546/bip-pro-kopf) und
Wirtschaftsleistung Spaniens heute skeptisch urteilen. Strukturell
Leistungsbilanz ausgewählter Euroländer waren aber schon um 2004, dem Höhepunkt des Immobilienbooms,
(Grafik zum Download (http://www.
bpb.de/system/files/dokument_pdf/1­ dieselben Defizite zu beobachten wie heute. Wenn Spanien damals
70425_07_Leistungsbilanz_mm.pdf)) mit unzureichenden Strukturen in der "Champions League" der
Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de
europäischen Wirtschaftsmächte mitspielen konnte, wie es Kollege
(bpb)
Michael Psotta formuliert, dann wäre es vielleicht an der Zeit, einen
Schritt von den Bilanzen zurückzutreten und zu fragen, welche soziologischen und kulturellen
Eigenheiten diese Wirtschaft dominieren.
Jeder, der das ländliche Spanien bereist, ist erstaunt über die Einfachheit, in der die Menschen dort
leben. Feste Gewohnheiten, ritualisierte Essenszeiten nach uneuropäischem Stundenplan und
intensive soziale Aktivität prägen die spanischen Gemeinden. Die Fiesta des Ortspatrons stellt meist
den Höhepunkt des Jahres dar und legt oft tagelang die Geschäfte lahm. Offenbar beruht das Gefühl
für Sicherheit weniger auf materiellen als auf Gemeinschaftswerten. Der karg lebende Rentner in
Aragonien oder der Extremadura, der sich vormittags mit seinen Altersgenossen an den Sitzbänken
der Plaza trifft, dürfte ein erfüllteres Leben führen als sein wohlhabender, aber nörgeliger deutscher
Altersgenosse. Diese lokale Verwurzelung, die Vereinsamung entgegenwirkt und welche die Spanier
mit dem liebevollen Begriff patria chica (kleines Vaterland) umschreiben, steht zugleich Arbeitsmobilität
und Karrierestreben im Weg.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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"Wer in seinem Dorf hocken bleibt und sich der Dynamik des
modernen Arbeitslebens mit seinen vom Aufstiegshunger diktierten
Wechseln verweigert, bleibt meistens arm."
Wir haben es also mit einem dialektischen Phänomen zu tun: Was im GesellschaftlichLebenspraktischen segensreich wirkt – eine Nestwärme, die ebenso auf dem Dorf wie in den
traditionellen Vierteln der Großstädte anzutreffen ist –, bringt im selben Zug eine Tendenz zu
Unbeweglichkeit, Provinzialismus und vorauseilender Selbstbescheidung hervor. Mit leicht
errechenbaren Folgen für die Wirtschaftskraft des Landes. Denn wer in seinem Dorf hocken bleibt und
sich der Dynamik des modernen Arbeitslebens mit seinen vom Aufstiegshunger diktierten Wechseln
verweigert, bleibt meistens arm.
Spanien: Ökonomische Schlüsseldaten
Nun hat aber auch dieser Umstand seine Dialektik. Die erwähnten Sozialtugenden, zu denen ebenfalls
die Großzügigkeit gehört, haben Spanien schon früh zu einem idealen Gastgeberland gemacht.
Deutsche, britische oder skandinavische Reiseberichte aus dem neunzehnten Jahrhundert erzählen
bereits von einem einerseits stolzen und individualistischen, andererseits lässigen Land, das den
Genüssen des sozialen Miteinanders (Essen, Trinken, Feiern) einen wichtigen Platz im Leben einräumt.
Es ist deshalb bezeichnend, dass der Tourismus – selbst mit den ideologischen Hemmnissen der
Franco-Diktatur – zum dominierenden Wirtschaftszweig werden konnte, der rund ein Drittel des
Bruttoinlandsprodukts einspielt und obendrein von der Rezession nicht so stark betroffen war.
Soziologisch lässt sich auch der Immobilienboom über soziale Tugenden erklären. Wer sich auf Pump
ein Eigenheim zulegte, statt zu mieten, gab zu erkennen, dass er verwurzelt leben wollte, nicht mobil.
Und wer als Bauunternehmer Ferienhaussiedlungen gigantischen Ausmaßes in die Landschaft setzte,
spekulierte auf ausländische Nachfrage und den Wert Spaniens als Tourismusziel.
Auch Korruption und Autoritätshörigkeit spielen in diesem Sozialcharakter eine Rolle. Spanische
Politiker treten oft als Granden auf, die streng personalistisch Vergünstigungen zu vergeben haben.
Mit demokratischem Machtverständnis ist es da nicht weit her. Die Regierungschefs der 17
Comunidades wirken eher wie Stammeshäuptlinge als wie legitimationsbedürftige Vertreter ihrer
autonomen Regionen. Ganz wie im Familienverband, der durch Blutsbande funktioniert, wird Politik
zum Vehikel für Gefälligkeiten. Das lähmt das Gefühl, jeder könne durch eigenes Bemühen
vorankommen, und verhindert die Entstehung einer merit society, einer leistungsorientierten
Gesellschaft.
"Historisch gesehen wirkt die gegenwärtige 'Krise' deshalb eher wie
die Rückkehr zum Normalzustand."
So kritikwürdig dieses traditionalistische Politikverständnis ist, so sehr haben es die Spanierinnen und
Spanier immer wieder vermocht, darunter hinwegzuschlüpfen und private Gegenwelten zu errichten.
Durchwurschteln und Überleben war schon immer ihre Sache. Da sie ihrem Staat seit jeher nicht viel
zutrauen, rechnen sie nicht damit, von ihm bei ihrer wirtschaftlichen Aktivtät unterstützt zu werden.
Die Folge ist ein typisch hispanisches Gemisch aus Improvisationsfähigkeit, sturem Fatalismus und
großer Zähigkeit. Historisch gesehen wirkt die gegenwärtige "Krise" deshalb eher wie die Rückkehr
zum Normalzustand. Spanien war seit über vierhundert Jahren kein reiches Land mehr, und schon
Philipp II. (1527-1598) hatte seinen Staat dramatisch überschuldet. Von einer Bürgergesellschaft, in
der alle am Wohlstand partizipieren, konnte ohnehin nie die Rede sein.
Was sagt das über unser Bild von Spanien? Allenfalls, dass der europäische Blick wie ein Teleskop
wirkt, das nur einen kleinen Ausschnitt zeigt. In Europa sorgt man sich um die hohe spanische
Arbeitslosigkeit. In Spanien weiß jeder, dass die Schattenwirtschaft einen Teil der Menschen auffängt.
Es ist zwar nicht gut, dass 35-jährige aus Not wieder zu ihren Eltern ziehen. Doch man darf auch
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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einmal fragen, wie viele Deutsche dazu fähig wären. Spanien am Abgrund? Nein, nur da, wo es immer
stand. Eine reformierbare Gesellschaft, gewiss, aber erstaunlich intakt und, wenn nicht alles täuscht,
ziemlich im Einklang mit sich selbst.
Standpunkt Michael Psotta:
"Industrielle Forschung und Entwicklung mit ihren
hochwertigen Arbeitsplätzen findet nicht in Spanien,
sondern überwiegend an den ausländischen
Stammsitzen der Mutterkonzerne statt."
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Paul Ingendaay für bpb.de
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143
Hat die Politik der Troika Griechenland genutzt?
14.10.2014
Das südeuropäische Land wurde seit 2010 mit zwei Hilfskrediten in Höhe von insgesamt über 240
Milliarden Euro von den Euro-Ländern und dem Internationalen Währungsfonds gestützt. 2014 ist die
griechische Wirtschaft erstmals seit Ausbruch der Krise wieder leicht gewachsen, schrumpfte jedoch
zum Jahresende schon wieder. Wie sind in diesem Zusammenhang die Maßnahmen der sogenannten
Troika zu bewerten?
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Die Schrumpfpolitik ist gescheitert
Von Rudolf Hickel
23.11.2014
Prof. Dr. Rudolf Hickel, Jahrgang 1942, war Professor für Finanzwissenschaft an der Universität Bremen und von 2001 bis 2009
Direktor des Instituts Arbeit und Wirtschaft. Im März 2014 veröffentlichte er mit Johann-Günther König und Klaus Kellner "Euro
stabilisieren – EU demokratisieren".
Rudolf Hickel zufolge hat die Rettungspolitik der Troika den ökonomischen Absturz
Griechenlands forciert und ist gescheitert. Athen brauche Luft zum Atmen und unmittelbare
Wirtschaftshilfen. Von der EU fordert der Ökonom einen Schuldenentlastungsfonds – nicht
allein für Griechenland, sondern für alle Krisenländer.
Die immer wieder verbreiteten Erfolgsmeldungen zur ökonomischen Entwicklung Griechenlands sind
ärgerlich. Sie erwecken den Eindruck, die finanziellen Hilfen der Geberländer könnten eingestellt
werden, Griechenland schaffe es aus eigener Kraft. Diese Schlussfolgerungen sind unverantwortlich.
Das durch die Geberländer aufoktroyierte Tauschgeschäft – Hilfen zum öffentlichen
Schuldenmanagement gegen rigorosen Abbau staatlicher Ausgaben – ist nicht aufgegangen. Das
"Comeback" Griechenlands auf den Kapitalmärkten, sinkende Handelsbilanzdefizite sowie die leichten
Etatüberschüsse im Jahr 2013 (ohne Zinsen und Tilgungen) sind keine Zeichen eines sich
abzeichnenden Endes der schweren Systemkrise. Die Wirtschaft ist derart tief abgestürzt, dass der
darauf bezogene Schuldenstand auf extremer Höhe verweilt. Die durch die Troika, die EU, den
Internationalen Währungsfonds sowie die Europäische Zentralbank zu verantwortende
"Rettungspolitik" hat den ökonomischen Absturz forciert; sie ist gescheitert.
"Der Anteil der Staatsverschuldung an der gesamtwirtschaftlichen
Produktion steigt absehbar auch in den kommenden Jahren."
Im Zentrum dieser Politik stand bisher das Ziel, die Staatsverschuldung Griechenlands gemessen am
Bruttoinlandsprodukt (BIP) (http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/europa/70546/bippro-kopf) durch massive Kürzungen bei den öffentlichen Aufgaben, eine Erhöhung vor allem von
Verbrauchssteuern sowie die Privatisierung öffentlicher Unternehmen und die Senkung der
Arbeitseinkommen zurückzuführen. Die Staatsausgaben bezogen auf das BIP sind zwar gesunken.
Die Folge waren jedoch Steuerausfälle und steigende Krisenkosten.
Deshalb steigt der Anteil der Staatsverschuldung an der gesamtwirtschaftlichen Produktion, absehbar
auch in den kommenden Jahren. Trotz der Finanzhilfen ist die Staatsverschuldung in Relation zum
BIP von bereits hohen 107,3 Prozent im Jahr 2006 bis 2013 auf 179,5 Prozent gestiegen. Im
vergangenen Jahr stieg die auch die absolute Neuverschuldung erneut um fast sieben Milliarden Euro.
Die von den Geberinstitutionen eingesetzte Troika-Kontrollgruppe weist darauf hin, dass auch 2020
mit einer Schuldenstandquote von 124 Prozent zu rechnen ist – mehr als doppelt so viel wie im
Maastricht-Vertrag erlaubt.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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"Von totaler Perspektivlosigkeit betroffen sind die Jugendlichen: über
die Hälfte hat keinen Job."
Der Grund für diese fatale Entwicklung ist schlicht: Zwischen der von der Troika verordneten
Schrumpfpolitik und der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung gibt es eine negative Rückkoppelung.
Die Wirtschaft ist wegen des Rückgangs der Nachfrage infolge von zunehmender Armut abgestürzt.
In Griechenland schrumpft das wirtschaftliche Wachstum seit 2008 kontinuierlich, 2011 waren es gar
über sieben Prozent Minus. 2013 war es immer noch ein Rückgang von mehr als vier Prozent. Wenn
das Bruttoinlandsprodukt schneller sinkt als die Neuverschuldung reduziert wird, muss die
Staatsschuldenquote steigen.
Griechenland: Ökonomische Schlüsseldaten
Auch die scheinbar positive Entwicklung des Handelsbilanzdefizits ist kein Zeichen einer erfolgreichen
Rettung, sondern Folge der ökonomischen Dauerkrise. Bei chronisch niedrigen Exporten sinken infolge
rückläufiger Binnennachfrage auch die Importe. Diese makroökonomischen Kennziffern signalisieren
katastrophale Belastungen: Durch den Sozialabbau hat sich die Armut tief in der Mittelschicht
ausgebreitet, wegen der reduzierten Löhne ist der Konsum geschrumpft. Die Arbeitslosenquote ist seit
2008 kontinuierlich angestiegen, den Höchststand von 27 Prozent erreichte sie im September 2013.
Von totaler Perspektivlosigkeit betroffen sind die Jugendlichen: über die Hälfte hat keinen Job.
"Ein Drachmen-Griechenland bliebe auf lange Sicht eine
Elendsökonomie innerhalb der EU."
Griechenland muss gerettet werden. Dazu ist ein radikaler Kurswechsel erforderlich. Die Forderung,
Griechenland aus dem Euro-Währungssystem auszusteuern, würde ökonomisch, sozial und fiskalisch
allerdings zu einer sich verfestigenden Perspektivlosigkeit führen. Denn: Bei einem strukturell
schwachen Exportsektor bringen die Preisvorteile einer stark abgewerteten Drachme im
internationalen Wettbewerb keine Lösung. Der Exportsektor muss erst gestärkt werden. Der hohe
Anteil an importierten Gütern und Dienstleistungen würde zum Inflationsimport führen und weitere
Realeinkommensverluste erzeugen. Der einzige Vorteil durch den verbilligten Export von
Tourismusdienstleistungen fällt da kaum ins Gewicht. Ein Drachmen-Griechenland bliebe auf lange
Sicht eine Elendsökonomie innerhalb der EU.
Da weitere Schuldenschnitte wegen des hohen Anteils öffentlicher Kreditgeber nicht sinnvoll sind,
sollte die EU einen Schuldenentlastungsfonds auflegen – nicht allein für Griechenland, sondern für
alle Krisenländer. Dieser Fonds sollte einen Großteil der griechischen Staatsschulden übernehmen
und abwickeln. Die Finanzierung der Zinslasten sollte eine EU-weite Vermögensabgabe übernehmen.
Darüber hinaus müssten zur Stabilisierung der gesamten Währungszone Eurobonds eingeführt
werden, Staatsanleihen, für die alle Länder gemeinschaftlich haften. Auf der Basis einzuhaltender
Regeln würde die öffentliche Kreditaufnahme dann zu einer Gemeinschaftsaufgabe des Euroraums
erhoben.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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"Das Land braucht Luft zum Atmen – und unmittelbare
Wirtschaftshilfen."
Zunächst muss Griechenland jedoch von dem von der Troika verordneten Schrumpfkurs befreit werden.
Das Land braucht Luft zum Atmen – und unmittelbare Wirtschaftshilfen. Aus der Finanzierung des
Schuldendienstes über den Rettungsfonds ist bislang kein Euro in den Aufbau der Wirtschaftsstruktur
geflossen. Das sollte ein umfassender "Marshall-Plan" erreichen, der sich auf die Stärkung der
Wachstumskräfte konzentriert. Die Förderung vorhandenen technologisch-innovativen Potenzials ist
dabei wichtig. Der Marshall-Plan sollte vor allem die öffentliche Infrastruktur sowie die mittelständischen
Unternehmensstrukturen stärken und ausbauen.
Allmählich kapieren auch die hartnäckigen Protagonisten der bisherigen Austeritätspolitik, dass diese
krisenverschärfend gewirkt hat – und verlangen "mehr Zeit beim Schuldenabbau durch Reformen".
Aber: Nicht die verabsolutierte Zielmarke "Abbau öffentlicher Schulden", sondern die wirtschaftliche,
soziale und ökologische Politik des Aufbaus muss den Ausgangspunkt bilden. Damit lassen sich
mittelfristig über sinkende Krisenkosten und wachsende Steuereinnahmen auch Staatsschulden
abbauen – und vermeiden. Die Solidarität der Euro-Länder ist eine wichtige Grundlage. Griechenland
muss jedoch selbst als Eigenbeitrag dringend Reformen im öffentlichen Sektor beispielsweise durch
konsequenteren Steuereinzug und die Bekämpfung der Korruption durchsetzen. Nur das
Zusammenspiel von solidarischer Hilfe einerseits und der Reformbereitschaft in Griechenland
andererseits lässt eine positive Zukunft des Landes auch zugunsten des gesamten Eurosystems
realistisch scheinen.
Standpunkt Alexander Kritikos:
"Konzentriert sich die Spezialisierung Griechenlands
weiterhin auf Oliven, Retsina und Bettenburgen, ist die
Mitgliedschaft in der Eurozone schwierig zu begründen."
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Rudolf Hickel für bpb.de
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
147
Griechenland hat alle Möglichkeiten
Von Alexander Kritikos
23.11.2014
Prof. Dr. Alexander Kritikos, Jahrgang 1965, ist Forschungsdirektor der Querschnittsgruppe "Entrepreneurship" am Deutschen
Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Er hat eine Professur für Industrie- und Institutionenökonomie an der Universität
Potsdam und ist Research Fellow am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA).
Für Alexander Kritikos waren viele Maßnahmen der Troika richtig, um das Land wieder
wettbewerbsfähig zu machen. Allerdings hätten sie aus Sicht des Ökonomen von einer
überzeugenden Innovationsstrategie begleitet werden sollen. Die Diskussion müsse nun
weiterentwickelt werden – weg von den Defiziten, hin zu Griechenlands Potenzialen.
Griechenlands wirtschaftliche Entwicklung fiel noch im Jahr 2013 desaströs aus: Das
Bruttoinlandsprodukt sank um weitere 4,2 Prozent. Insgesamt ist ein Rückgang von knapp 30 Prozent
in den letzten fünf Jahren zu verzeichnen. Kein Wunder, dass die Staatsverschuldung in Relation zum
BIP explodiert ist. Zeitgleich gibt es vor allem in Deutschland immer noch Stimmen, die Griechenland
einen Austritt aus der Eurozone nahe legen. Ihre Begründung: Vor allem die dortigen Lohnkosten seien
nach wie vor zu hoch. Die Chancen, sich zu regenerieren und wettbewerbsfähig zu werden, seien
außerhalb des Euro-Raums größer, weil nach Rückkehr zu einer eigenen Währung – der Drachme –
diese gegenüber dem Euro abwerten würde und die Lohnkosten weiter sänken.
So richtig die Diagnose über den wirtschaftlichen Zustand des Landes, so fragwürdig der
Therapievorschlag. Deshalb ist es an der Zeit, Bedingungen zu diskutieren, unter denen für das Land
selbst und für Europa ein Verbleib im Euroraum sinnvoll erscheint, Bedingungen, die bereits von der
Troika – also der EU, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank – hätten gestaltet
werden können.
"Griechenland investiert derzeit nur knapp 0,7 Prozent des BIP in
Forschung und Entwicklung – und entwickelt sich nicht."
Die Griechen haben seit dem Einzug der Troika harte Reformen durchstehen müssen, die neben
weiteren Sparmaßnahmen auch niedrigere Löhne in der Privatwirtschaft umfassten. Viele dieser
Maßnahmen waren richtig, um Griechenland international wieder wettbewerbsfähiger zu machen.
Auch zählen die Lohnstückkosten inzwischen zu den niedrigsten im Euroraum – und dennoch ist die
Wirtschaft nicht angesprungen.
Der Grund dafür ist einfach: Die Wirtschaftsstruktur ist kleinteilig und konzentriert sich auf wenig
innovative Sektoren der Nahrungs-, Getränke- sowie der Tourismusindustrie. Zudem leidet das Land
unter zu viel Bürokratie. Beim Weltbank-Indikator Ease of Doing Business (http://www.doingbusiness.
org/rankings), der Bürokratie für Unternehmer misst, nimmt Griechenland derzeit Platz 61 ein zusammen mit Zypern, dem Schlusslicht in der Eurozone. Es gibt also nicht in erster Linie ein Kosten-,
sondern vor allem ein Struktur-, ein Reform- und darüber hinaus ein Werteproblem im Umgang mit
dem eigenen Gemeinwesen. Die Drachme hilft bei der Lösung der drei letzteren Probleme kaum – im
Gegenteil.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Griechenland: Ökonomische Schlüsseldaten
Griechenland teilt sich einen Währungsraum mit ähnlich großen Staaten wie Finnland, Belgien oder
der Niederlande. Diese Länder haben – wie auch Frankreich oder Deutschland – eines gemeinsam:
Sie investieren seit langem rund drei Prozent ihres BIP in Forschung und Entwicklung – und damit in
ihre Innovationssysteme. Was fast noch wichtiger ist: Es gibt einen politischen Konsens, dass diese
Investitionen unantastbar sind, egal welche Regierung am Ruder ist. Folge der Investitionen: Alle
Länder entwickeln sich permanent ökonomisch weiter. Griechenland investiert derzeit nur knapp 0,7
Prozent des BIP in Forschung und Entwicklung – und entwickelt sich nicht. Es wird daher auch nicht
allein durch eine Umsetzung der von der Troika geforderten Reformen den Anschluss an diese Länder
finden – so wichtig diese Reformen auch gewesen sein mögen. Vielmehr muss die griechische
Regierung eine Investitionsstrategie entwickeln, die es dem Land erstmalig ermöglicht, mit den oben
genannten Staaten Schritt zu halten.
"Konzentriert sich die Spezialisierung Griechenlands weiterhin auf
Oliven, Retsina und Bettenburgen, ist die Mitgliedschaft in der
Eurozone schwieriger zu begründen – außer alle sind sich einig, dass
das Land auf unabsehbare Zeit am Transfertropf der EU hängen soll."
Ein Ausbau der Innovationsysteme könnte mittelfristig zu Industrien mit hoher Wertschöpfung und
damit zu nachhaltigem Wachstum führen. Konzentriert sich die Spezialisierung Griechenlands
weiterhin auf Oliven, Retsina und Bettenburgen, ist die Mitgliedschaft in der Eurozone schwieriger zu
begründen – außer alle sind sich einig, dass das Land auf unabsehbare Zeit am Transfertropf der EU
hängen soll.
Es gibt bereits Elemente einer innovationsgetriebenen Ökonomie – und damit einen guten Grund, den
Weg in diese Richtung einzuschlagen. Griechenland verfügt über hervorragende
Forschungseinrichtungen wie das Demokritos-Institut in Athen, das FORTH auf Kreta und das CERTH
in Thessaloniki. Die EU hat mehrfach griechische Forschungsprojekte in den Bereichen Physik,
Biologie, Nanotechnologie und Biotech ausgezeichnet. Zudem hat sich im Biotech- und im IT-Bereich
eine dynamische Gründerszene in Athen entwickelt.
Wichtig wären nun erhebliche Investitionen in die unternehmensnahe Forschung, damit sich eine
exportfähige Produktionsstruktur entwickelt. Was fehlt, sind anwendungsorientierte Institutionen, die
die Forschungsansätze der Institute mit den Bedarfen der Start-Ups und innovativen Unternehmen
verknüpfen – ähnlich den deutschen Fraunhofer-Instituten. Das ist zumindest einem Mitglied der Troika,
der Europäischen Union, hinlänglich bekannt.
Eine neue siebenjährige Förderperiode der EU hat soeben begonnen. Brüssel hat die Erhöhung der
Innovationsfähigkeit Europas zum wichtigsten Ziel erklärt. Ein gehöriger Anteil der EU-Mittel soll
Investitionen in Innovationssysteme ermöglichen. Damit haben die Griechen eigentlich alle
Möglichkeiten, die ohnehin notwendigen Reformen zur Verbesserung des Geschäftsklimas mit einer
überzeugenden Innovationsstrategie zu begleiten, in die die derzeitigen EU-Mittel systematisch
integriert werden.
Gleichzeitig hat die griechische Regierung die einmalige Chance, eine glaubwürdige Vision für ein
prosperierendes Land zu entwickeln, wenn sie die EU-Mittel mit einem Investitionsprogramm für
Forschung und Entwicklung kombiniert. Polen hat in jüngster Zeit vorgemacht, wie so etwas gehen
kann. Wenn die Troika einen solchen Prozess aktiv unterstützt, kann sie die von Griechenland
geforderten Reformen zu einem erfolgreichen Ende bringen. Die zwischen Troika und Griechenland
geführte Diskussion muss dann allerdings weiterentwickelt werden – weg von den Defiziten und hin
zu Griechenlands Potenzialen.
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Standpunkt Rudolf Hickel:
"Ein Drachmen-Griechenland bliebe auf lange Sicht eine
Elendsökonomie innerhalb der EU."
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Alexander Kritikos für bpb.de
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Infografiken: Schlüsseldaten zur
Schuldenkrise
3.5.2017
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
151
Glossar
16.6.2015
[INHALTSVERZEICHNIS]
Zahlungsbilanz
Nach den Grundsätzen der doppelten Buchführung erfolgende Darstellung sämtlicher das Ausland
berührender Wirtschaftsaktivitäten eines Landes. In der Zahlungsbilanz werden systematisch alle
ökonomischen Transaktionen zwischen Inländern und Ausländern in einem bestimmten Zeitraum
aufgezeichnet. Mit ihrer Hilfe lässt sich ein Überblick über die Leistungen und Zahlungen während
eines Monats oder Jahres gewinnen. Transaktionen oder Leistungen, die zu Zahlungseingängen
(Einnahmen) im Inland führen, werden auf der Habenseite, Transaktionen oder Leistungen, die zu
Zahlungsausgängen (Ausnahmen) führen, werden auf der Sollseite gebucht. Die Zahlungsbilanz stellt
eine wichtige Unterlage für wirtschaftspolitische Entscheidungen der Regierungen und der
Zentralbanken dar. Ferner dient sie als Konjunkturindikator.
Die Zahlungsbilanz besteht aus verschiedenen Teilbilanzen. Die Aktivseite (linke Seite) der
Zahlungsbilanz setzt sich aus Leistungsbilanz und der Bilanz der Vermögensübertragungen
zusammen. Die Leistungsbilanz beinhaltet den Warenaustausch (Export und Import), die
Lohnveredelung, bestimmte Reparaturen sowie die Lieferungen von Schiffs- und Flugzeugteilen. Die
Gegenüberstellung der Einfuhren und Ausfuhren wird auch als Handelsbilanz bezeichnet. In der
Dienstleistungsbilanz werden z.B. Auslandsreiseverkehr, Transport- und Telekommunikationsleistungen,
die Wertschöpfung der Versicherungen sowie der Transithandel erfasst. In der Bilanz der Erwerbsund Vermögenseinkommen finden sich die Arbeitseinkommen und Kapitalerträge, die Inländern aus
dem Ausland zufließen bzw. Ausländer aus dem Inland beziehen. Laufende Übertragungen sind Geldund Sachleistungen an das Ausland bzw. vom Ausland, denen keine unmittelbaren Gegenleistungen
gegenüberstehen. Des Weiteren werden auch Heimatüberweisungen ausländischer Arbeitnehmer
sowie Zahlungen an internationale Organisationen wie z.B. an die EU und die UNO in der
Übertragungsbilanz erfasst. Einmalige Transfers (Übertragungen) wie Schuldenerlasse, Erbschaften
und Schenkungen sowie Vermögensmitnahmen von Ein- und Auswanderern werden in der Bilanz der
Vermögensübertragung ausgewiesen.
Die Passivseite (rechte Seite) der Zahlungsbilanz setzt sich aus der Kapitalbilanz, einschließlich der
Devisenbilanz, zusammen. Deswegen werden Einnahmen (Kapitalimporte) auf der rechten Seite und
die Ausgaben (Kapitalexporte) auf der linken Seite gebucht. Zu den Ausgaben rechnen zunächst die
kurzfristigen Zahlungen an das Ausland, Schecks, Wechsel und Zahlungsanweisungen.
Zu den Einnahmen gehören die kurzfristigen Zahlungen aus dem Ausland und die Forderungen
gegenüber dem Ausland. Außerdem zählen zu den Einnahmen de Zunahme an Verbindlichkeiten
gegenüber dem Ausland. Die Direktinvestitionen umfassen z.B. Beteiligungen (Aktien und andere
Kapitalanteile) und langfristige Darlehen. Unter der Kategorie Wertpapiere werden Aktien bzw.
Wertpapieranlagen (Investment- und Geldmarktfonds) eingeordnet. Der Kreditverkehr enthält kurzund langfristige Finanzbeziehungen inländischer Unternehmen und Privatpersonen zum Ausland. In
der Devisenbilanz als Teil der Kapitalbilanz schlagen sich die Veränderungen der Währungsreserven
bei der Zentralbank nieder.
Die Zahlungsbilanz wird durch einen statistisch nicht aufgliederbaren Teil buchungstechnisch
ausgeglichen. Wenn man von Zahlungsbilanzungleichgewichten (Überschuss und Defizit) im Sinne
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Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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einer Verletzung des Ziels außenwirtschaftlichen Gleichgewichts (http://www.bpb.de/nachschlagen/
lexika/lexikon-der-wirtschaft/18752/aussenwirtschaftliches-gleichgewicht) spricht, meint man immer
unausgeglichene Teilbilanzen. Ein Zahlungsbilanzüberschuss kann auftreten, wenn die Exporte
wertmäßig größer als die Importe sind. Ein Zahlungsbilanzdefizit tritt auf, wenn die Exporte wertmäßig
geringer als die Importe sind. Aber auch zu hohe unentgeltliche Leistungen an das Ausland, z.B. durch
Beschäftigung von ausländischen Arbeitnehmern oder Zahlungen an internationale Organisationen,
können dazu führen.
Quelle: Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag. 5.
Aufl. Mannheim: Bibliographisches Institut 2013. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische
Bildung 2013.
Austeritätspolitik (von lat. austeritas, Herbheit, Strenge)
Wurde erstmals im Zweiten Weltkrieg in Großbritannien angewandt und bezeichnet die strikte
Ausgabendisziplin eines Staates, um in Krisenzeiten die Handlungsfähigkeit des Staatswesens zu
erhalten. Die Reduzierung staatlicher Ausgaben auf das Notwendige soll einen schlanken und
ausgeglichenen Etat herbeiführen und die gesamtwirtschaftliche Situation verbessern. Befürworter
betonen, dass striktes Sparen und eine rigide nachhaltige Haushaltspolitik das Vertrauen von
Investoren in die Solidität eines Staates stärkt und so tendenziell zu sinkenden Zinsen führt. Das
erleichtere wiederum den Abbau von Schulden. Kritiker der Austeritätspolitik bestreiten den Zinseffekt:
Sie betonen, dass Personalabbau, Einschnitte in den Sozialhaushalten und eine geringe
Investitionstätigkeit des Staates gerade in Krisenzeiten die Wirtschaft bremsen.
Asset Backed Securities (ABS, engl., etwa "forderungsbesicherte Wertpapiere")
ABS sind ein Instrument für die Finanzierung von Unternehmen. ABS sind über Vermögenswerte, also
zum Beispiel über Hypotheken- oder Automobilkredite abgesicherte verbriefte Anleihen. Um das Risiko
einer dieser Anleihen zu verringern, werden darin mehrere dieser Papiere gebündelt. In der Finanzkrise
2007/2008 erwiesen sich ABS als "Brandbeschleuniger", da die Risiken durch die Bündelung nicht nur
breiter gestreut, sondern auch verschleiert worden waren. Beim Platzen der US-Kreditblase verloren
viele ABS unerwartet stark an Wert. Die US-amerikanische Notenbank Fed kaufte diese im großen
Stil auf, um die Banken zu entlasten. In Europa sind ABS weniger verbreitet. Trotzdem kauft die
Europäische Zentralbank sie seit Oktober 2014 genauso wie sogenannte Covered Bonds an. Damit
sollen in den Bankbilanzen Risiken minimiert, Platz für die Vergabe neuer Kredite an Unternehmen
geschaffen und so letztlich das Wirtschaftswachstum angekurbelt werden.
AEUV
Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist eine wichtige Rechtsgrundlage
der Europäischen Union. Basis des AEUV sind die Römischen Verträge von 1957. Geändert wurde
er durch den Vertrag von Maastricht, den Vertrag von Nizza und den Vertrag von Lissabon. Seinen
heutigen Namen erhielt der AEUV mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009.
Der AEUV umfasst 358 Artikel und existiert in 23 gleichwertigen Sprachversionen. (http://www.aeuv.
de (http://www.aeuv.de))
Anleihen
Der Bund, die Länder und bestimmte öffentliche Körperschaften, Sonderkreditinstitute sowie
Aktiengesellschaften können zur Beschaffung von Finanzierungsmitteln Anleihen auf dem Kapitalmarkt
auflegen, d.h. Schuldverschreibungen (http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/20569/
schuldverschreibung) ausgeben und über Banken verkaufen. Jede Anleihe lautet über einen festen
Gesamtbetrag, der in Teilbeträge in Euro unterteilt ist. Jeder Sparer kann einen Teil dieser Anleihe
kaufen. Anleihen haben als festverzinsliche Wertpapiere (http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/
bpb.de
Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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lexikon-der-wirtschaft/19415/festverzinsliche-wertpapiere) eine bestimmte Verzinsung, eine
bestimmte Laufzeit sowie eine vertraglich fixierte Tilgung. Es gibt auch variabel verzinsliche Anleihen
(Floating-Rate-Notes).Die Rendite ist abhängig vom Zinssatz, vom Ausgabekurs und vom
Rückzahlungskurs. Die Zinsen werden meist halbjährlich oder jährlich gezahlt. Anleihen werden am
Rentenmarkt gehandelt; ihre Kurse schwanken deutlich geringer als Aktienkurse.
Je nach Schuldner unterscheidet man öffentliche Anleihen, z.B. Bundesanleihen (http://www.bpb.de/
nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/18961/bundesanleihen), Bundesobligationen (http://www.
bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/18973/bundesobligation), Anleihen der Länder
oder Gemeinden (Kommunalobligationen), Industrieanleihen (Industrieobligationen) und Anleihen
öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten. Auch ausländische Emittenten können in Deutschland Anleihen
auflegen (Auslandsanleihen).
Quelle: Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag. 5.
Aufl. Mannheim: Bibliographisches Institut 2013. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische
Bildung 2013.
Outright Monetary Transactions (OMT, engl., etwa "eindeutige geldpolitische Geschäfte")
Anleihekaufprogramm der EZB: Das im September 2012 beschlossene Programm macht unbegrenzte
Anleihekäufe am Sekundärmarkt möglich, wenn die begünstigten Staaten sich an bestimmte Auflagen
halten. Die Anleihekäufe dürfen nur am sogenannten Sekundärmarkt getätigt werden. Die EZB kauft
sie also nicht direkt bei den Staaten, sondern von privaten Marktteilnehmern. Damit nimmt die EZB
vor allem Banken einen Teil ihrer Risiken ab. Das OMT-Programm hat zum Ziel, bis Ende September
2016 Staatsanleihen aller Euro-Staaten im Wert von bis zu einer Billion anzukaufen. Durch ein
Vorläuferprogramm zum Kauf von Staatsanleihen war die EZB schon vor Start des Programms in den
Besitz griechischer, portugiesischer, irischer, italienischer und spanischer Staatsanleihen im Wert von
etwa 149 Milliarden Euro gelangt. Bereits am 26. Juli 2012 hatte EZB-Präsident Mario Draghi
angekündigt, die EZB werde "innerhalb ihres Mandates alles Erforderliche tun, um den Euro zu
erhalten".
Infolge des OMT sanken die Zinsen für die meisten Staatsanleihen von Krisenstaaten. Für diese Länder
wurde es so günstiger, ihre Staatsausgaben zu finanzieren. Das OMT-Programm war Gegenstand
mehrerer Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Von Oktober 2014 bis Juni 2015 wurde beim
Europäischen Gerichtshof (EuGH) verhandelt, ob die EZB mit dem Anleihekaufprogramm gegen EURecht verstößt. Kernfrage war die Vereinbarkeit des OMT mit den Statuten der Europäischen
Zentralbank, die eine direkte Staatsfinanzierung verbieten. Am 16. Juni 2015 entschied der EuGH,
dass die EZB mit dem OMT nicht ihre währungspolitischen Befugnisse überschreitet und nicht gegen
das Verbot der monetären Finanzierung von Mitgliedstaaten verstößt und das Anleihekaufprogramm
entsprechend fortführen darf. (Bail Out).
Bad Bank (engl., "schlechte Bank")
Ein Institut, das aus einer angeschlagenen Bank geschaffen wird, um deren Risiken aufzunehmen.
Die Bad Bank wird zur Abwicklung nicht oder nur schwer einlösbarer Forderungen gegründet, die bei
Nichtzahlung die Bonität des betroffenen Geldinstituts gefährden könnten. Nach dem deutschen
Gesetz zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung (http://www.bgbl.de/banzxaver/bgbl/start.
xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl109s1980.pdf#__bgbl__%2F%2F*[%40attr_id%3D%
27bgbl109s1980.pdf%27]__1414490185009) kann das angeschlagene Geldinstitut unter bestimmten
Auflagen abschreibungsgefährdete (auch "faul" oder "toxisch" genannte) Posten auf die Bad Bank
übertragen. Im Gegenzug erhält die Bank von der Bad Bank eine Schuldverschreibung in gleicher
Höhe. In Deutschland garantiert der Staat über den Bankenrettungsfonds Finanzmarktstabilisierung
(SoFFin) für diese Schuldverschreibung, die Bank zahlt dafür eine Gebühr an den SoFFin. Beispiele:
Die Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung gründete 2009 die Erste Abwicklungsanstalt (EAA),
bpb.de
Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
154
um die riskanten Papiere der angeschlagenen Landesbank WestLB zu übernehmen und bis 2028
abzuwickeln. 2010 übertrug die verstaatlichte Hypo Real Estate (HRE) Wertpapiere und Kredite im
Wert von rund 173 Milliarden Euro in die neugegründete Bad Bank FMS Wertmanagement – davon
entfielen etwa 7,4 Milliarden Euro auf griechische Staatsanleihen.
Bail Out (von engl. to bail out, "jemandem aus der Klemme helfen")
Laut Maastricht-Vertrag (ursprünglich Artikel 104 b, im aktuellen Lissabon-Vertrag Artikel 125 AEUV)
darf kein EU-Mitgliedsland zum Beistand für die Finanzierung der Staatsschuld eines anderen
Mitgliedslandes verpflichtet werden (No-bail-out-Klausel). Kritiker halten die Rettungspakete sowie die
Einrichtung der Euro-Rettungsschirme EFSF und ESM für einen Verstoß gegen das Bail-Out-Verbot.
Befürworter des Bail Out verweisen hingegen auf Artikel 122 AEUV, der Hilfe für Krisenstaaten erlaubt
"aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle
entziehen". In der Finanzkrise ab 2007/08 wurde der Begriff Bail Out dafür benutzt, dass einzelne
Staaten ihre Banken vor der Pleite bewahrten. Diese Geldinstitute galten als "systemrelevant": Man
fürchtete, ihr Bankrott würde das ganze Finanzsystem und mit ihm die Wirtschaft in den Abgrund ziehen.
Bankenabgabe
Seit September 2011 müssen Banken in Deutschland eine Bankenabgabe zahlen, die sie an den
Kosten künftiger Krisen beteiligen soll. Die Abgabe fließt in den Restrukturierungsfonds SoFFin (Bad
Bank), der angeschlagenen Geldhäusern helfen soll, damit diese Banken in der Krise nicht auf Kosten
der Steuerzahler gerettet werden müssen. Die Bankenabgabe wird von der Bundesanstalt für
Finanzmarktstabilisierung (FMSA) erhoben. Die Zielgröße für das Gesamtvolumen des Fonds beträgt
70 Milliarden Euro.
Bankenunion
Bezeichnung für den Plan, die Kontrolle und die Regulierung von Europas Banken zu
vergemeinschaften. Ziel ist es, dass nicht die Steuerzahler, sondern die Gläubiger und Eigentümer
von Geldinstituten haften, wenn letztere Beihilfen zum Überleben benötigen. Ab 4. November 2014
hat die Europäische Zentralbank die Aufsicht über die größten Banken im Euro-Gebiet übernommen.
Dabei handelt es sich um 130 für die einzelnen Länder wichtige, sogenannte systemrelevante Institute,
deren Bilanzsumme über 30 Milliarden Euro im Jahr oder 20 Prozent der Wirtschaftsleistung eines
Landes ausmacht. Die zuständigen nationalen Behörden sollen weiterhin die Aufsicht über die übrigen
insgesamt fast 6000 Banken im Euroraum ausüben. Dafür sollen 2016 die Einnahmen aus der
Bankenabgabe aus den nationalen Töpfen in einen einheitlichen europäischen Abwicklungsfonds
überführt werden.
Covered Bonds (engl., "gedeckte Schuldverschreibungen")
Eine gedeckte Schuldverschreibung bietet den Anlegern einen doppelten Ausfallschutz: Für Coverd
Bonds haften zum einen die ausgebende Bank, zum anderen schützt die Gläubiger ein Bestand an
Sicherheiten, auf den sie bevorrechtigt zugreifen können. Diese Sicherheiten bestehen häufig aus
besonders sicheren Hypotheken oder Anleihen des öffentlichen Sektors. Damit unterscheiden sich
Covered Bonds sowohl von vorrangigen, aber unbesicherten Schuldtiteln als auch von
forderungsbesicherten Wertpapieren (ABS), die über keine Haftung durch die herausgebende
Institution verfügen. Eine wichtige Form von Covered Bonds sind Pfandbriefe. Über Covered Bonds
können sich Banken aktuell extrem günstig refinanzieren. Um die Kreditvergabe im Euroraum
anzukurbeln, kauft die Europäische Zentralbank seit Oktober 2014 neben Covered Bonds auch ABS
im großen Stil an.
Credit Default Swap (CDS, von engl. to swap, tauschen, etwa "Kreditausfall-Swap")
bpb.de
Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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CDS sind eine bestimmte Art von Kreditausfallversicherung. Ein Kreditgeber schließt sie ab, indem er
seiner Bank eine Prämie zahlt. Die Höhe der Prämie, auch Swap genannt, zeigt, wie die Investoren
das Ausfallrisiko des Emittenten einschätzen. Der Swap ist damit ein Indiz für das Vertrauen der
Anleger. Der Kreditausfallversicherer springt ein, wenn der Schuldner zahlungsunfähig wird. Der
Kreditgeber minimiert so sein Risiko. Kann der Schuldner den Kredit wie vorgesehen tilgen, kassiert
die Bank die Prämie und zahlt nichts. Anleger handeln außerbörslich mit CDS, selbst wenn diese mit
dem ursprünglich versicherten Kredit nichts zu tun haben. So können sie beispielsweise darauf wetten,
dass ein Kredit nicht bedient wird und damit den Schuldner in Bedrängnis bringen. In der Finanzkrise
ab 2007 spielten die CDS eine wesentliche Rolle. Scheinbar minimierten sie das Spekulationsrisiko
auf dem US-Immobilienmarkt. Die US-Bank Lehman Brothers war ein großer Anbieter des
Versicherungsschutzes, dessen Marktwert im September 2008 auf ein Volumen von weltweit rund 62
Billionen US-Dollar angeschwollen war. Als Lehman am 15. September 2008 pleiteging, wurden die
CDS-Policen der Investmentbank wertlos. Dies führte weltweit zu enormer Unsicherheit auf den
Finanzmärkten. Kurze Zeit später musste der damals weltgrößte CDS-Versicherer AIG von der USRegierung gerettet werden. Auf dem Höhepunkt der Eurokrise setzten Investoren mit CDS auf eine
Insolvenz Griechenlands. So kostete im September 2011 eine Versicherung über zehn Millionen Euro
an griechischen Staatsanleihen mit fünfjähriger Laufzeit die unverhältnismäßig hohe Summe von fast
vier Millionen Euro. In Deutschland sind sogenannte ungedeckte CDS seit 2010 verboten, auf EUEbene ist der Handel mit ihnen seit 2012 nicht mehr erlaubt. Investoren sollen sich nur noch Schutz
über CDS kaufen können, wenn sie auch die entsprechenden Staatsanleihen halten.
Deflation
Prozess stetiger Preissenkungen in der Volkswirtschaft, d.h., Waren und Dienstleitungen werden
fortwährend billiger. Deflation liegt vor, wenn der gesamtwirtschaftlichen Gütermenge eine zu geringe
Geldmenge gegenübersteht, die Gesamtnachfrage also geringer ist als das volkswirtschaftliche
Gesamtangebot. Die Deflation entsteht z.B. als Folge einer übermäßigen Verringerung der Geldmenge
durch einschränkende, geldpolitische Maßnahmen der Zentralbank, durch hohe Einfuhrüberschüsse,
die mit dem Abfluss von Geldmitteln in das Ausland verbunden sind, oder durch die Überproduktion
von Gütern. Die Folge ständiger Preissenkungen sind geringere Gewinnerwartungen der
Unternehmen, deren Investitionsbereitschaft nachlässt und die Senkung der Güterproduktion z.B.
durch Betriebseinschränkungen wie Kurzarbeit oder durch die Schließung ganzer Standorte bewirkt.
Die Arbeitslosigkeit steigt und führt zu Einkommensverlusten, die Nachfrage nach Konsumgütern
schrumpft und die Steuereinnahmen des Staates sinken. Die gesamte Wirtschaftsleistung verringert
sich zunehmend. Eine Deflation tritt meist zusammen mit einer wirtschaftlichen Depression auf und
verlangt somit grundsätzlich wirtschaftspolitische Gegenmaßnahmen, d.h. Maßnahmen zur Steigerung
der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Deflationäre Tendenzen sind viel seltener als inflationäre
Tendenzen.
Quelle: Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag. 5.
Aufl. Mannheim: Bibliographisches Institut 2013. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische
Bildung 2013.
EU-Konvergenzkriterien, Maastricht-Kriterien
Die Konvergenzkriterien sollen gewährleisten, dass die wirtschaftliche Entwicklung innerhalb der EU,
noch stärker jedoch innerhalb der Eurozone, ohne Spannungen zwischen den Mitgliedstaaten verläuft.
Damit eine Angleichung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse stattfindet, sollen alle
Mitgliedsländer vier Kriterien erfüllen:
1.
Die jährliche Neuverschuldung eines Staates darf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP)
nicht überschreiten, der Stand aller Schulden der öffentlichen Hand darf nicht mehr als 60 Prozent
des BIP betragen.
bpb.de
Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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2.
Der Grad an Preisstabilität muss anhaltend hoch sein, und die durchschnittliche Inflationsrate darf
nicht um mehr als 1,5 Prozentpunkte über der Inflationsrate der drei Mitgliedstaaten mit der
höchsten Preisstabilität liegen.
3.
Langfristige Zinssätze: Der Nominalzins langfristiger Staatsanleihen eines Mitgliedstaates darf
den der drei Mitgliedstaaten mit der höchsten Preisstabilität um nicht mehr als zwei Prozentpunkte
übertreffen.
4.
Der Wechselkurs der eigenen Landeswährung darf zumindest in den letzten zwei Jahren vor der
für den Beitritt nötigen Prüfung keine starken Schwankungen aufweisen.
Die Kriterien wurden 1992 durch den Vertrag von Maastricht festgelegt. Die meisten befinden sich
heute in Art. 126 und Art. 140 AEUV. Ob die Konvergenzkriterien tatsächlich zu homogeneren
Lebensverhältnissen in der EU führen, ist umstritten. Im Rahmen der Staatsschuldenkrise wurden die
Konvergenzkriterien gleich von mehreren Staaten der EU und der Eurozone über einen längeren
Zeitraum nicht eingehalten, unter ihnen auch Deutschland.
Eurobonds
Europäische Staatsanleihen, bei denen die Staaten der Eurozone gemeinsam Geld an internationalen
Finanzmärkten aufnehmen und für diese Schulden gemeinschaftlich für Zinsen und Rückzahlung
haften würden. Hoch verschuldete Eurostaaten wie Griechenland oder Italien könnten durch die
gemeinsame Ausgabe von Eurobonds aller Eurostaaten Geld am Finanzmarkt zu erheblich günstigeren
Konditionen erhalten als durch die Ausgabe eigener Staatsanleihen, da sie für eigene Staatsanleihen
aufgrund ihrer Bonität wesentlich höhere Zinsen zahlen müssten. Umgekehrt müssten relativ stabile
Euroländer wie Deutschland höhere Zinsen zahlen als bei der Ausgabe eigener, deutscher
Staatsanleihen. Aus diesem Grund ist die Einführung von Eurobonds zur Bewältigung der Europäischen
Schuldenkrise (http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/159952/europaeischeschuldenkrise) umstritten.
Quelle: Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag. 5.
Aufl. Mannheim: Bibliographisches Institut 2013. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische
Bildung 2013.
Euro-Rettungsschirm, EFSF, ESM, Europäischer Stabilitätsmechanismus
2011 durch die Regierungschefs der Eurozone beschlossener und am 27.9. 2012 in Kaft getretener
dauerhafter Rettungsschirm zur Verhinderung von Staatsbankrotten überschuldeter EuroMitgliedsländer. Der ESM sollte ursprünglich erst ab 2013 dem provisorischen Rettungsschirm, der
Europäischen Finanzstabilisierungsfaszilität (Abkürzung EFSF) folgen, der angesichts der
Staatsschuldenkrise einiger Eurostaaten wie Griechenland im Mai 2010 beschlossen worden war.
Der ESM soll die Zahlungsunfähigkeit von Euroländern aufgrund übermäßiger Staatsschulden
verhindern. Dazu können überschuldete Eurostaaten Kredite mit günstigen Konditionen aus dem ESM
erhalten, um einen Staatsbankrott abzuwenden. Um Haftungsgarantien oder subventionierte Kredite
zu erhalten, müssen die Empfängerstaaten der Eurozone aber entsprechende Maßnahmen zur
Entschuldung und Sanierung ihrer Staatshaushalte im eigenen Land vorlegen und umsetzen.
Der ESM ist eine internationale Finanzinstitution mit Sitz in Luxemburg. Er verfügt über Stammkapital
von 700 Milliarden €; der Anteil Deutschlands beträgt 190 Milliarden €. Der ESM soll vom
Gesamtvolumen bis zu 500 Milliarden € durch Ausgabe eigener Anleihen am Kapitalmarkt ausgeben
können und auch Staatsanleihen von Euroländern aufkaufen können. Er ergänzt den Fiskalpakt (http://
www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/159957/fiskalpakt) und ist ein wesentliches
bpb.de
Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Element zur Bekämpfung der europäischen Schuldenkrise. (http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/
lexikon-der-wirtschaft/159952/europaeische-schuldenkrise)
Quelle: Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag. 5.
Aufl. Mannheim: Bibliographisches Institut 2013. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische
Bildung 2013.
EZB
Die Zentralbank der an der Europäischen Währungsunion teilnehmenden Staaten. Die EZB bildet
zusammen mit den nationalen Zentralbanken das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) und
nahm am 1.6. 1998 ihre Arbeit auf (Sitz: Frankfurt am Main). Sie ging aus dem Europäischen
Währungsinstitut hervor, das bis dahin die Vorarbeiten für die einheitliche europäische Geldpolitik
koordinierte.
Das vorrangige Ziel des ESZB ist nach dem Maastrichter Vertrag, die Preisstabilität zu gewährleisten.
Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Ziels der Preisstabilität möglich ist, unterstützt die EZB die
allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft. Die Verantwortung für die Geldpolitik (http://www.
bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/19456/geldpolitik) liegt nunmehr bei der EZB und
nicht mehr bei den nationalen Zentralbanken. Die EZB ist von den Organen der EU und den nationalen
Regierungen unabhängig und hat das alleinige Recht, Banknoten auszugeben. Die EZB spielt eine
wesentliche Rolle bei der Bewältigung der europäischen Schuldenkrise.
Zentrales Entscheidungsorgan des Europäischen Zentralbanksystems ist der EZB-Rat. Er tagt alle
vierzehn Tage. Das Direktorium besteht aus dem Präsidenten und Vizepräsidenten der EZB sowie
weiteren vier Direktoriumsmitgliedern, führt die laufenden Geschäfte und bereitet die Sitzungen des
EZB-Rats vor. Der EZB-Rat setzt sich zusammen aus den sechs Direktoriumsmitgliedern und den
Zentralbankpräsidenten der EU-Staaten, die an der Europäischen Währungsunion (EWU) teilnehmen.
Zum erweiterten Rat der EZB gehören auch die Zentralbankpräsidenten der zunächst nicht an der
EWU teilnehmenden EU-Mitglieder.
Anschrift: Postfach 160319, 60066 Frankfurt am Main; Telefon: 069 13446000; www.ecb.int (http://
www.ecb.int).
Quelle: Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag. 5.
Aufl. Mannheim: Bibliographisches Institut 2013. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische
Bildung 2013.
Finanztransaktionssteuer
Um den Finanzsektor an den Kosten der Finanzkrise zu beteiligen, wird neben der Bankenabgabe
auch eine Finanztransaktionssteuer diskutiert. Einer ihrer historischen Vorläufer ist die sogenannte
Tobin-Steuer nach James Tobin, die jedoch nie umgesetzt wurde. Der Wirtschaftsnobelpreisträger
hatte1972 eine Steuer auf internationale Devisengeschäfte vorgeschlagen, um kurzfristige
Spekulationen einzudämmen. Diese würde auf alle Börsenumsätze anfallen – und die Banken damit
nicht direkt belasten. Im September 2011 legte die EU-Kommission einen Gesetzentwurf zur Einführung
einer Finanztransaktionssteuer vor. Ihre Begründung: Der Finanzsektor würde kaum besteuert, sei
aber im Zuge der Finanzkrise 2007/08 mit insgesamt 4.600 Milliarden Euro an staatlichen Hilfen
unterstützt worden. 2013 legte die Kommission einen Richtlinienentwurf vor, nach dem in den
teilnehmenden Staaten ansässige Institute und dort emittierte Finanzinstrumente der Steuer
unterliegen. Aktien und Anleihen sollen demnach mit 0,1 Prozent des Handelsvolumens, Derivate mit
0,01 Prozent des Nennwertes besteuert werden. Elf EU-Staaten haben eine Finanztransaktionssteuer
nach diesem Muster eingeführt oder planen dies noch.
Fiskalpakt
bpb.de
Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Das Maßnahmenpaket, das von den Staats- und Regierungschefs der EU im Januar 2012 zur
Haushaltsdisziplin der Mitgliedstaaten beschlossen wurde, um das Vertrauen der internationalen
Finanzmärkte im Zusammenhang mit der europäischen Schuldenkrise (http://www.bpb.de/
nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/159952/europaeische-schuldenkrise) wieder herzustellen.
Zum Inhalt des Europäischen Fiskalpakts, der im Januar 2013 in Kraft tritt, gehört, dass die EU-Staaten
möglichst ausgeglichene Staatshaushalte anstreben. So darf das jährliche Defizit höchstens 0,5% des
Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen. Daneben müssen die einzelnen Staaten Schuldenbremsen
einführen und diese bis 2018 in nationales Recht umsetzen. Werden die Defizitgrenzen überschritten,
kann die EU-Kommission automatisch Sanktionen gegen das entsprechende Land verhängen und
Geldstrafen bis zu 0,1% der Wirtschaftsleistung festlegen, die in den Europäischen
Stabilitätsmechanismus ESM eingezahlt werden. Der Fiskalpakt stellt eine Verschärfung des
Stabilitäts- und Wachstumspakts (http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/20710/
stabilitaets-und-wachstumspakt) auf dem Weg zu einer Fiskalunion dar.
Quelle: Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag. 5.
Aufl. Mannheim: Bibliographisches Institut 2013. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische
Bildung 2013.
GIPS
Abkürzung für die Krisenstaaten Griechenland, Irland (wahlweise Italien), Portugal und Spanien.
Ursprünglich in anderer Reihenfolge auch PIGS genannt.
Gläubiger
Jemand, der berechtigt ist, von einem andern (dem Schuldner) eine Leistung zu fordern.
Quelle: Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag. 5.
Aufl. Mannheim: Bibliographisches Institut 2013. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische
Bildung 2013.
Haircut (engl., Haarschnitt, Synonym für Schuldenschnitt)
Steht in der Börsensprache allgemein für einen Abschlag, auch Schuldenschnitt genannt. Bei Anleihen
oder Krediten bezeichnet der Schuldenschnitt eine nachträgliche Verringerung des ursprünglich
vereinbarten Rückzahlungsbetrags. Beispiel: Wenn Gläubiger und Schuldner einen Haircut in Höhe
von 20 Prozent vereinbaren, würden Gläubiger bei einer Anleihe im Wert von 100 Euro nur 80 Euro
zurückerhalten. Ende des Jahres 2011 beliefen sich Griechenlands Schulden auf eine Höhe von 375
Milliarden Euro. Dies entsprach 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, erlaubt sind laut EUKonvergenzkriterien aber nur 60 Prozent. Da Griechenland die Schulden nicht mehr bedienen konnte,
wurde eine Neubewertung der Staatsanleihen des Landes mit privaten Gläubigern – also Banken,
Versicherern und Fonds – vereinbart. Die griechische Schuldenlast sollte dadurch um 107 Milliarden
Euro sinken, die Gläubiger mussten auf 53,5 Prozent ihrer Forderungen verzichten. Tatsächlich waren
es sogar noch mehr, da in Folge des Haircut die Zinssätze auf die Staatsanleihen sanken. Auch der
größte deutsche Gläubiger stimmte dem Schuldenschnitt zu. Die aus der verstaatlichten Hypo Real
Estate hervorgegangene Bad Bank FMS Wertmanagement war am Schuldenschnitt über Anleihen
und Kredite mit einem Nominalwert von rund 8,2 Milliarden Euro beteiligt. Für die Verluste, die der
FMS so entstanden, musste der staatliche Bankenrettungsfonds SoFFin aufkommen – also letztlich
der deutsche Steuerzahler.
bpb.de
Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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Inflation
Anhaltender Prozess der Geldentwertung, der sich durch allgemeine Preiserhöhungen bemerkbar
macht. Mit einer Geldeinheit kann dann ständig weniger gekauft werden, d.h., die Kaufkraft (http://
www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/19958/kaufkraft) des Geldes vermindert sich
dauernd. Nicht als Inflation gelten einmalige, vorübergehende, durch ungewöhnliche Vorkommnisse
(z.B. Missernten, Streiks) verursachte Preisniveauerhöhungen sowie Preissteigerungen für bestimmte
Güter oder Produktionsfaktoren. Die Inflation wird gemessen am Anstieg eines das allgemeine
Preisniveau am besten widerspiegelnden Preisindexes (http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/
lexikon-der-wirtschaft/20317/preisindex) wie z.B. des Verbraucherpreisindexes für Deutschland. Der
prozentuale Anstieg des Preisindexes in einem bestimmten Zeitraum wird als Inflationsrate (http://
www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/19724/inflationsrate) bezeichnet.
Beim Entstehen einer Inflation spielt besonders die Geldmenge in der Volkswirtschaft eine große Rolle.
Steht der gesamtwirtschaftlichen Gütermenge eine zu große Geldmenge gegenüber (Aufblähung der
Geldmenge), ist eine Bedingung für die Inflation gegeben. Übersteigt die gesamtwirtschaftliche
Güternachfrage das gesamtwirtschaftliche Güterangebot, das kurzfristig nicht erhöht werden kann,
sind steigende Preise die Folge, die Inflation setzt ein. Die Preissteigerungen lösen steigende Löhne
aus, wegen des höheren Einkommens steigt die Nachfrage nach Gütern an. Die höheren Löhne
bewirken jedoch auch steigende Kosten der Unternehmen, was wiederum zu Preissteigerungen für
Güter führt. Außerdem wird der Preisauftrieb durch die gestiegene Nachfrage zusätzlich verstärkt. Als
Folge steigen die Löhne und anschließend wiederum die Preise. Es entsteht eine Lohn-Preis-Spirale
(http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/20000/lohn-preis-spirale). Da in einer
solchen Situation in der Bevölkerung die Angst vor weiteren Preissteigerungen und dem Verlust der
gesparten Gelder ständig wächst, geben viele ihr Geld möglichst schnell für den Kauf von Gütern aus
oder legen Geld zur Werterhaltung in Sachwerten an (Flucht in die Sachwerte), bevor neue
Preiserhöhungen zu weiteren Kaufkraftverlusten führen. Eine Inflation kann sich deshalb dauernd
selbst verstärken.
Nach der Geschwindigkeit des Prozesses der Geldentwertung (Inflationstempo) unterscheidet man
zwischen schleichender Inflation (http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/20556/
schleichende-inflation), trabender Inflation (http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-derwirtschaft/20859/trabende-inflation), galoppierender Inflation (http://www.bpb.de/nachschlagen/
lexika/lexikon-der-wirtschaft/19584/galoppierende-inflation) und Hyperinflation (siehe dort). (http://
www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/19643/hyperinflation)Nach der Erkennbarkeit
wird zwischen offener Inflation (http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/20274/
offene-inflation) und versteckter oder zurückgestauter Inflation (http://www.bpb.de/nachschlagen/
lexika/lexikon-der-wirtschaft/21263/zurueckgestaute-inflation) unterschieden, nach dem Auslöser für
die Preissteigerungen angebotsbedingte Inflation (http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikonder-wirtschaft/18617/angebotsbedingte-inflation) und nachfragebedingte Inflation. (http://www.bpb.de/
nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/20198/nachfragebedingte-inflation)
Eine Inflation führt zur Entwertung von Ersparnissen mit der Folge, dass die Sparneigung in der
Bevölkerung zurückgeht oder gespartes Geld in Sachwerten angelegt wird. Das schränkt die
Möglichkeiten der Banken ein, Kredite an Unternehmen zur Finanzierung von Investitionen zu
vergeben. Produktionseinschränkungen und Arbeitslosigkeit sind die Folge.
Von einer Inflation sind besonders solche Personen betroffen, die ihr Einkommen nicht an die
steigenden Preise anpassen können, z.B. Arbeitslose oder Rentner. Die Verhinderung einer Inflation
ist ein wichtiges Ziel der Wirtschaftspolitik.
Quelle: Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag. 5.
Aufl. Mannheim: Bibliographisches Institut 2013. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische
Bildung 2013.
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IWF
Sonderorganisation der UNO, am 27. Dezember 1945 auf der Grundlage des Abkommens von Bretton
Woods zusammen mit der Weltbank errichtet (Aufnahme der Geschäftstätigkeit: 1. März 1947); Sitz:
Washington (USA). Dem IWF, englische Bezeichnung International Monetary Fund, gehören 187
Länder an.
Ziele: Förderung der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Währungspolitik,
Unterstützung eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums sowie eines hohen Beschäftigungsgrades,
Förderung der Stabilität der Währungen durch Sicherung geordneter Währungsbeziehungen,
Errichtung eines multilateralen Zahlungssystems und Beseitigung von Beschränkungen im
Devisenverkehr, Kreditgewährung an Mitgliedsländer zur Erleichterung von Zahlungsbilanzanpassungen.
Diese kurzfristigen Kredite werden häufig an Auflagen zur Sanierung der Wirtschaft des
Empfängerlandes geknüpft. Kredite finanziert der IWF aus den Kapitaleinlagen der Mitgliedsländer.
Diese Quote und die Stimmrechte richten sich nach der Finanzkraft der Länder. Daher haben die
Industrieländer in den IWF-Gremien meist die Mehrheit. Wichtige Beschlüsse bedürfen einer Mehrheit
von 85 Prozent. Die Stimmrechtsanteile der USA betragen (2010) 16,75 Prozent, Japans 6,23 Prozent,
Deutschlands 5,81 Prozent, Frankreichs und Großbritanniens je 4,29 Prozent. Seit der Gründung gilt
die Regel, dass die USA das Vorschlagsrecht für den Präsidenten der Weltbank haben und die
Westeuropäer den Generaldirektor des IWF nominieren. Eine Wahl gegen den Willen der USA ist
wegen deren Sperrminorität unmöglich.
Das IWF-Abkommen, das auf der Reservewährung US-Dollar, auf Gold sowie auf festen
Wechselkursen basierte, wurde zweimal wesentlich geändert: 1969 wurde mit den
Sonderziehungsrechten eine neue künstliche Reservewährung geschaffen, die als Zahlungsmittel
zwischen den Währungsbehörden dient. Seit 1978 ist den Mitgliedstaaten die Wahl ihres
Wechselkurssystems freigestellt. Im Zuge der Bekämpfung der Ende 2007 ausgebrochenen
internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise wird eine Erweiterung der IWF-Aufgaben bei der
Überwachung der internationalen Finanzmärkte diskutiert.
Quelle: Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag. 5.
Aufl. Mannheim: Bibliographisches Institut 2013. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische
Bildung 2013.
Leerverkäufe
Verkauf von Wertpapieren an der Börse, die der Verkäufer zum Zeitpunkt des Abschlusses noch nicht
besitzt. Der Leerverkäufer spekuliert darauf, dass die Kurse bis zum Erfüllungstermin sinken und er
sich dann billiger mit den entsprechenden Wertpapieren eindecken kann. Die Differenz zwischen
Verkaufs- und Einkaufskurs ist sein Gewinn bzw. Verlust. Leerverkäufe gelten als hochspekulativ. In
Deutschland sind Aktien-Leerverkäufe ohne Besitz der Basis-Wertpapiere seit 2010 untersagt. Auch
ungedeckte Leerverkäufe von Staatsanleihen von Ländern der Eurozone sowie Kreditausfallversicherungen
(CDS) auf diese Bonds sind verboten. Seit November 2012 ist auch eine entsprechende EU-Richtlinie
in Kraft.
PI(I)GS
Mit der Abkürzung wurden die Krisenländer Portugal, Italien (Irland), Griechenland und Spanien auf
dem Höhepunkt der Krise von einigen Medien zusammengefasst, womit Assoziationen zu dem
englischen Wort "pigs" ("Schweine") geweckt wurden. Das politisch korrektere GIPS hat sich
bpb.de
Debatte: Europäische Schuldenkrise (Erstellt am 18.05.2017)
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inzwischen durchgesetzt.
Rating
Aussage über die Fähigkeit (Bonität) eines Schuldners (Emittenten), die Zins- und Tilgungsleistungen
auf die von ihm emittierten Wertpapiere jederzeit fristgerecht und in vollem Umfang zu leisten. Ratings
werden von privaten, unabhängigen Ratingagenturen wie Moody's, Standard& Poor's (S&P) oder Fitch,
die gewerbsmäßig Schuldnerbonität und Kreditausfallrisiken bewerten, nach bestimmten Prüfkriterien
vergeben und basieren meist auf einem abgestuften Buchstabensystem. Für den Kapitalanleger
eröffnet das Rating somit die Möglichkeit, eine möglichst hohe Markttransparenz hinsichtlich der Bonität
der auf den Märkten befindlichen Anleihen vorzunehmen. Im weiteren Sinn zählt zum Rating auch die
Bonitätsbeurteilung von meist multinationalen Unternehmen, international tätigen Banken oder Staaten
(Länderrating).
Ratingagenturen sind im Zusammenhang mit der europäischen Schuldenkrise (http://www.bpb.de/
nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/159952/europaeische-schuldenkrise) wegen umstrittener
Länderbewertungen in die Kritik geraten.
Quelle: Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag. 5.
Aufl. Mannheim: Bibliographisches Institut 2013. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische
Bildung 2013.
Rezession (von lat. rezessio, das Zurückgehen)
Konjunkturphase mit einem Abschwung der Wirtschaft. Nach gängiger Definition liegt eine Rezession
vor, wenn die Wirtschaftsleistung eines Landes in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen im Vergleich
zum Vorquartal nicht wächst oder sogar schrumpft. Dauert eine Rezession länger und wird sie etwa
von hoher Arbeitslosigkeit begleitet, befindet sich die Volkswirtschaft in einer Depression.
Schuldenschnitt
Haircut
Spread (engl., Spanne)
Auf Staatsanleihen bezogen der Unterschied zwischen dem Zinssatz einer riskanten und dem einer
weitgehend risikoarmen Anleihe mit gleicher Laufzeit. In Europa ist es üblich, die als solide geltenden
deutschen Staatsanleihen als Basis zu nehmen. Im Vergleich dazu sind die Zinsen griechischer oder
spanischer Staatsanleihen in der Regel hoch. Auf dem Höhepunkt der Eurokrise lag die Rendite für
zehnjährige griechische Staatsanleihen bei über 30 Prozent, die für gleich lang laufende deutsche
Papiere betrug etwa zwei Prozent, der Spread lag also bei 28 Prozent. Der Spread ist folglich eine Art
Risikoaufschlag für Investoren.
Staatsinsolvenz (Staatsbankrott)
Eine Staatsinsolvenz liegt vor, wenn ein Land seine Außenstände nicht oder nur noch teilweise wie
vereinbart abbauen kann. Wenn ein Staat eine eigene Währung hat, kann er über seine Zentralbank
unbegrenzt Geld in Umlauf bringen, um seine Schulden zu bezahlen, das heißt: Für viele Länder ist
ein Staatsbankrott eigentlich unmöglich. Dennoch gab es seit Beginn des 19. Jahrhunderts weltweit
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über 200 Staatsinsolvenzen. Denn ein Staat kommt dennoch in Turbulenzen, wenn das Geld in den
Augen der mit ihm Handelnden rapide an Wert verliert. Deshalb ging Deutschland in den 1920er Jahren
im Lauf der Hyperinflation bankrott: Das massenweise nachgedruckte Geld genoss unter den
Bürgerinnen und Bürgern, aber auch an den Devisenmärkten keinerlei Vertrauen mehr und war deshalb
wertlos. Die Mitgliedsländer der Eurozone können ihre Landeswährung nicht nachdrucken, weil sie
die Hoheit über die Währungspolitik an die Europäische Zentralbank abgegeben haben. Um die Risiken
einer Anlage und damit eines etwaigen Zahlungsausfalls durch einen bevorstehenden Staatsbankrott
einzuschätzen, vertrauen Kapitalgeber heute weltweit auf die Einschätzung von Ratings durch
Agenturen.
Swapgeschäft
Besondere Form des Devisenaustauschgeschäfts, bei dem ein Partner einem anderen sofort Devisen
zur Verfügung stellt (Kassageschäft) und gleichzeitig der Rückkauf zu festem Termin und Kurs
vereinbart wird (Termingeschäft). Der gegenseitige Austausch zweier Währungen für einen bestimmten
Zeitraum wird durch das Swapgeschäft vor Verlusten geschützt, die etwa durch Kursschwankungen
oder Ab- bzw. Aufwertungen eintreten könnten. Da zu einem bestimmten Zeitpunkt die Kurse für
zukünftig, z.B. in drei Monaten, zur Verfügung stehende Devisen (Terminkurse) in der Regel vom
Tageskurs abweichen, hat der Kursunterschied einen großen Einfluss auf die Devisengeschäfte.
Wenn ein Kunde einen bestimmten Betrag in Fremdwährung anlegen möchte, ohne ein Währungsrisiko
einzugehen, kauft er die Devisen bei seiner Bank zunächst an der Kasse. Zugleich verkauft er die
Devisen seiner Bank jedoch wieder, und zwar zum Fälligkeitstag der Währungsanlage mit dem Ziel,
Kursschwankungen kalkulierbar zu machen.
Der Swapsatz ist die Differenz zwischen dem Termin- und Kassakurs einer Währung. Währungen mit
positiver Differenz (Terminkurs minus Kassakurs) weisen einen Report, solche mit negativer Differenz
einen Deport auf.
Quelle: Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag. 5.
Aufl. Mannheim: Bibliographisches Institut 2013. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische
Bildung 2013.
Umschuldung
Haircut
Troika (russ., Dreigespann)
In der Europäischen Schuldenkrise Bezeichnung für das Kontrollgremium aus Vertretern des
Internationalen Währungsfonds (IWF), der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Europäischen
Kommission. Das Gremium überprüft, ob im Gegenzug für die gewährten Hilfen der drei Geldgeber
Reformprogramme in bedürftigen Empfängerländern umgesetzt werden. Im Zuge von Verhandlungen
zwischen dem Empfängerland Griechenland und den Finanzministern der Euro-Gruppe im Februar
2015 über eine Verlängerung der EU-Hilfsprogramme wurde beschlossen, die Bezeichnung nicht mehr
zu verwenden.
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Die wichtigsten Stationen von der
internationalen Finanz- zur
europäischen Schuldenkrise
(2001-2014)
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