Baustelle Christentum

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Inhalt
9
Norbert Copray
Neues erschließen – Gutes bewahren
Gott und Mensch
14
Klaus-Peter Jörns RO Thomas Ruster
Meinen Religionen denselben Gott?
21
Irene Dänzer-Vanotti RO Lydia Strzebniok
Muss der Kosmos einen Schöpfer haben?
31
Bernardin Schellenberger RO Willigis Jäger
Gott in uns – Gott ein Du?
39
Willigis Jäger RO Gotthard Fuchs
Sind Gott und Mensch voneinander
unterschieden?
47
Eugen Drewermann RO Ralf Miggelbrink
Gott – gütig oder zornig?
55
Karl-Josef Kuschel RO Klaus-Peter Jörns
Ist Gott brutal?
65
Peter Rosien RO Johann Baptist Metz
Kann Gott gerecht sein?
74
Alexander Poraj RO Bernardin Schellenberger
Zwischen Kopf und Herz
Jesus und die Christen
82
Michael Wolffsohn RO Manfred Görg
Haben Christen Jesus vergessen?
89
Claus Petersen RO Klaus Rohmann
An oder wie Jesus glauben?
96
Norbert Scholl RO Willigis Jäger
Dreifaltigkeit: Glaube im Kreisverkehr?
105
Gotthard Fuchs RO Dietrich Mendt
Sinnvoll noch vom Gericht Gottes sprechen?
114
Werner H. Ritter RO Peter Rosien
Abschied vom Opfertod Jesu?
122
Peter Gross RO Margit Eckholt
Wozu noch Erlösung?
130
Hans Kessler
Widersprüche und Perspektiven des
Auferstehungsglaubens
143
Corinna Dahlgrün RO Jürgen Moltmann
Himmel, Hölle, jüngstes Gericht – macht das
Sinn?
Christentum und kultureller Wandel
150
Hubertus Halbfas RO Torsten Habbel
Erliegt das europäische Christentum dem
modernen Wandel?
163
Stephan Schaede RO Ansgar Moenikes
Ist das Christentum griechisches Denken mit
anderen Mitteln?
170
Heinz Zahrnt RO Hermann Pius Siller
Hängt die Theologie von der Erfahrung ab?
181
Gerd Lüdemann RO Manfred Görg
Ist das Alte Testament Dichtung oder Wahrheit?
188
Walter J. Hollenweger RO Michael Wermke
Wem nützt die Schulkatechese
194
Michael Ebertz RO Norbert Mette
Geht die Ortsgemeinde unter?
203
Norbert Copray
Die Neugeburt des alten Glaubens
Bücher zur Kritik und Transformation auf der
Baustelle Christentum
Norbert Copray
Neues erschließen –
Gutes bewahren
Einführung
Dem christlichen Glauben – vor allem kirchlicher Prägung – und christlicher Theologie bläst der Wind heftig ins Gesicht. Alternative Religiosität
und Spiritualität, die quer zu konfessionellem Glauben und zu konfessioneller Theologie liegen, fordern sie heraus. Hinzu kommt der weitergehende Prozess der Entkirchlichung und Entchristlichung der Gesell-
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und sich das religiöse Spektrum in Deutschland durch Islam, Buddhismus
und naturreligiöse Szenen aufsplittert. Schließlich hat in letzter Zeit ein
kämpferischer Atheismus mehr Aufmerksamkeit erregt und Menschen
bewusst zu machen versucht, dass man ohne Religion nicht nur ebenso
ein guter Mensch sein und ethisch fundiert leben könne, sondern sogar
wegen der zweifelhaften Inhalte von Religionen besser und humaner leben könne. Bis hin zu der auch praktisch gelebten Haltung einer Spiritualität ohne Religion.
In der Tat zweifeln auch viele kirchlich gebundene Christen an etlichen
Inhalten des kirchlich gelehrten Glaubens und an wichtigen Bausteinen
christlicher Theologie. Und in einigen Punkten ist das berechtigt. Denn
auch bei zentralen Bestandteilen von Glaube und Theologie vermögen die
kirchlichen und theologischen Vertreter nicht mehr, in der Breite ihre Ansichten und Überlieferungen plausibel zu machen.
»Baustelle Christentum« stellt entscheidende Bausteine – teilweise
auch Fundament- und Ecksteine – von Glaube und Theologie auf den Prüfstand. Das Gebäude Christentum wird inspiziert, da und dort entkernt,
dekonstruiert, transformiert und neu aufgerichtet. Das geht nur im Dialog,
im Disput, im Diskurs. Die in Publik-Forum in Auswahl erschienenen Beiträge ergeben ein Forum, in dem der Prüfvorgang christlichen Glaubens
und Theologietreibens ausgetragen wird. Dabei sollen die »Bewahrer« und
die »Umbauer« gleichermaßen zu Wort kommen. Ziel ist es, wichtige Elemente des Glaubens und der Theologie so ins Gespräch zu nehmen, dass
nichts wirklich Wesentliches verloren geht, aber auch das Wesentliche nicht
Neu es er sc h li ess en – Gutes b ewah r en
schaft, nicht zuletzt, weil die christliche Kirchenzugehörigkeit abnimmt
die Zukunftsfähigkeit des Glaubens und der Theologie verbaut, sondern
ermöglicht und inspiriert.
Dadurch soll auch jenen, die sich vielleicht teilweise vom christlichen
Glauben abgewendet haben, weil sie an der eventuellen Unvereinbarkeit
mit neuen Erkenntnissen der Tiefenpsychologie, der Hirnforschung, der
Meditation, der persönlichen Mystik, der Natur-, Sozial- und Religionswissenschaft sowie den Erfahrungen der Moderne und Postmoderne verzweifeln, ein Zugang zu einem Christentum auf der Höhe der Zeit eröffnet
werden. Jenen, die aus Angst vor Veränderung dazu neigen, aus etlichen
Elementen des Christentums gleich unverzichtbare Elemente zu machen
und damit in Gefahr eines Fundamentalismus stehen, soll gezeigt werden,
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dass ein echtes Bemühen um ein sich wandelndes Christentum Glaube und
Theologie herausfordern und sogar vertiefen kann.
Statt notwendiger theologischer Transformation und Innovation gibt
es häufig nur eine Arbeit am sprachlichen Gewand der Inhalte, gewissermaßen Designarbeiten, die Modernität und Anschlussfähigkeit an heutiges Wissen und Erkennen nur vortäuschen. Kein Wunder, wenn seit mehr
als 15 Jahren eine starke Theologieverdrossenheit, ja Theologielosigkeit
auch aufseiten der Gläubigen zu bemerken ist, die auch den Verlagen, Akademien und Kirchen selbst zu schaffen macht. Denn das Kirchenamt in
beiden Konfessionen versucht mit großer Macht und geschicktem Einfluss
den Diskurs über Inhalte in eine bestimmte Richtung zu lenken oder zu
verhindern und theologische Querköpfe mit Schweigen zu belegen. So ist
aus den Schätzen des Christentums und seiner Theologie eine tief vergrabene, gut bewachte und für viele uninteressante Schatztruhe geworden.
Der Verlust an Ansehen und Wirkung der kirchlichen Theologie geht auch
auf diesen Umstand zurück. So wie das Aufkommen einer alternativen,
entkonfessionalisierten Patchwork-Religiosität und -Spiritualität, die die
Innerlichkeit und die eigene spirituelle Erfahrung ins Zentrum der Religiosität stellt.
Klaus-Peter Jörns hat bereits 2004 in seinem Buch »Notwendige Abschiede« acht zentrale Fundament- und Bausteine des Christentums ausgemacht, die es gelte, zu überarbeiten: 1. die Vorstellung, »das Christentum
sei keine Religion wie die anderen Religionen«; 2. die Vorstellung, »die
Bibel sei unabhängig von den Regeln menschlicher Wahrnehmung entstanden«; 3. die Auffassung, ein einzelner Kanon von Schriften »könne die
universale Wahrnehmungsgeschichte Gottes ersetzen«; 4. die Erwählungs-
und Verwerfungsvorstellungen, weil sie die Liebe und Weite Gottes wieder
an eine Sonderwelt, nämlich an die Kirchen selbst, binden; 5. die Ansicht
von einer wechselseitigen Ebenbildlichkeit von Gott und Menschen. Gott
könne nicht auf personale Kategorien festgelegt werden; 6. Die Herabwürdigung unserer Mitgeschöpfe, denn sie widerspreche der biblischen Schöpfungsordnung; 7. der Glaube, der Tod sei der Sünde Sold, das mache aus
dem Christentum eine Gehorsamsreligion anstelle einer Religion des Vertrauens; und 8. das »Verständnis der Hinrichtung Jesu als Sühneopfer und
von dessen sakramentaler Nutzung in einer Opfermahlfeier«. Die sei endgültig und biblisch gut begründet hinter sich zu lassen.
In diesem Buch sind diese und weitere Themen baustellentypisch aufgegriffen und mit weiterführenden Überlegungen durch eine Reihe nam-
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Die alternative Religiosität und das gewandelte und fortgeschrittene
zeitgenössische Bewusstsein fordern die Theologie weit mehr als früher
auf einem neuen Niveau von Einsichten, Fragen, Anliegen und Voraussetzungen heraus. Dieses Bewusstsein ist mittlerweile tief in den Kirchen und
in den Herzen der Gläubigen angekommen, sodass die kirchenamtlichen
Vorwürfe einer unzulässigen Vermischung religiöser Aspekte in einer sogenannten Patchwork-Religiosität nicht mehr fruchten. Ein zweistelliger
Prozentsatz an Kirchgängern glaubt an Reinkarnation neben dem Glauben
an die Auferstehung. Mehr Menschen in Deutschland glauben an Engel als
an Gott. Das Bewusstsein außerhalb der Kirchen hat sich in Form einer eigenständigen, spirituell geerdeten Erfahrung festgesetzt. Insofern macht
es keinen Sinn, wenn die Verteidiger des christlichen Erbes einfach die Leute
auf der »Baustelle Christentum« angreifen, anstatt sich selbst auf Augenhöhe in einen konstruktiven Bau-Dialog zu den anstehenden Themen und
Fragen einzubringen.
Die Arbeit auf der »Baustelle Christentum« ist schweißtreibend und
gräbt auch die eigene Identität mit um. Fertige Ergebnisse sind nicht im
Sinne dieser Theologie. Manchmal sind die Sollbruchstellen klar, manchmal ist der Diskurs extrem kontrovers, dann wieder verschwimmen die
Positionslinien und das Ringen um die bessere Gestalt des Christentums
im dritten Jahrtausend steht im Vordergrund. Glaube und Theologie sind
im Werden und sind im Fragment. Die »Baustelle Christentum« ist work in
progress, ist Christentum im Wandel. Die »Baustelle Christentum« braucht
mehr Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Neu es er sc h li ess en – Gutes b ewah r en
hafter Autoren zur Diskussion und zum Weiterdenken gestellt.
Entscheidend ist: Nur eine offene Baustelle für alle ist geeignet, um neue
Lebenskontexte und Themen mit christlichen Grundworten zu verknüpfen. Das Buch ist daher auch eine Einladung, auf dieser Baustelle mitzuarbeiten – da, wo man seinen Platz und seinen Wirkmöglichkeit hat: mit
authentischen Erfahrungen, mit radikaler Offenheit für den Beitrag des
jeweils anderen, mit inhaltlicher Durchdringungsfähigkeit, mit größtmöglicher Toleranz außer gegenüber Intoleranz und dem unter Beweis gestellten Bemühen um eine zukunftsfähige Gestalt von Glaube und Theologie,
die heute junge Generationen in ihrer Breite als hilfreich beim Aufbau einer
humanen, gerechteren und lebenswerten Welt entdecken und erfahren.
Ich wünsche spannende Lektüre, anregende Gespräche und aufschluss12
reiche Gruppengespräche und Lesertreffen zur »Baustelle Christentum«.
Norbert Copray
Herausgeber
Dr. Norbert Copray B.A., M.A., ist Philosoph, Diplom-Theologe, Sozialwissenschaftler und Therapeut; Gründer (2000) und geschäftsführender Direktor der Fairness-Stiftung gemeinnützige GmbH; Gründer (1981) und Leiter des Instituts ctc –
personal improvement für Coaching, Training und Counseling; ehrenamtlicher
Gesellschafter und Herausgeber von »Publik-Forum«, Experte für Leadership, Soft
Facts, Soft Skills und angewandte Ethik.
Gott und Mensch
Klaus-Peter Jörns RO Thomas Ruster
Meinen Religionen
denselben Gott?
Klaus-Peter Jörns war evangelischer Professor für Praktische Theologie und Religionssoziologie in Berlin. Er lebt heute in Starnberg.
Thomas Ruster ist Professor für katholische Theologie an der Universität Dortmund.
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Klaus-Peter Jörns
Die Gotteserfahrung prägt
den Glauben
Keine Religion, mit der wir es heute zu tun haben, ist an einem geschichtlichen Punkt »Null« entstanden, auch wenn die Zeitrechnungen der Religionen einen solchen Gedanken nahelegen könnten. Neue Religionen entstehen vielmehr aus großen kulturellen Umbrüchen, in denen sich ein
verändertes Gottes-, Welt- und Selbstverständnis ausdrückt, das die Religionsgründer und ihre Protagonisten repräsentieren. Das Neue aber macht
das, was davor war, zum Alten. Es knüpft an das Vorhergegangene an,
glaubt es aber in ganz bestimmter Weise weiterzuführen oder gar zu überbieten. Ohne das geläufige »Alte« wäre das »Neue« weder zu vermitteln
noch zu verstehen.
Bestes Beispiel dafür ist die Bibel. Denn in ihr verbinden sich – jedenfalls
aus christlicher Perspektive – Schriften aus dem Bund Gottes mit den Juden
(»Altes Testament«) und Schriften, die von einem »neuen Bund« Gottes
mit allen Menschen durch Jesus Christus (»Neues Testament«) sprechen.
Die Juden erkennen diese Zuordnung freilich nicht an, weil sie in ihrer
Bibel, dem Tenach, keinen veralteten, sondern den weiter gültigen einzigen
Bund Gottes sehen. Neues wird von ihnen erst mit dem Kommen des Messias erwartet – einem Ereignis, das sie im Unterschied zu den Christen im
Leben Jesu nicht sehen. Sofern die Christen aber das Neue Testament als
Fortführung und Transformation des jüdischen (nun »alt« genannten)
Bundes verstehen, interpretieren sie die jüdischen Schriften von dem zentralen christlichen Ereignis des Lebens, Sterbens und Auferstehens Jesu
Christi her – und um. Das Ergebnis ist, dass vieles, was Christen als Offenbarung verstehen, von den Juden nicht anerkannt wird. Sie sehen die Aneignung der jüdischen Verheißungen – vor allem derjenigen, von Gott
exklusiv erwählt zu sein – durch die Christen als Enteignung von etwas an,
was nur zu ihnen gehört. Später haben Mohammed und seine Theologen
dann zentrale biblische Überlieferungen aus ihrer arabischen Perspektive
heraus noch einmal neu interpretiert und in den Mittelpunkt einer wiederum
neuen Offenbarungsreligion gestellt.
Von außen gesehen grenzen sich die drei Religionen derartig gegenei-
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bezeugt, seien unterschiedliche Götter. Doch längst hat die Erforschung
der biblischen Schriften ergeben, dass sowohl die jüdischen als auch die
christlichen Schriften in wichtigen Erzählstoffen und Glaubensvorstellungen auf ältere Überlieferungen zurückgehen, die aus Mesopotamien und
vor allem dem Alten Ägypten, aber auch aus der griechisch-hellenistischen
Welt stammen. Zu nennen sind im Blick auf Ägypten der Monotheismus,
der Glaube, von Gott erwählt und mit ihm in einem Bund zu sein, das trinitarische Ensemble von Götterpersonen mit einem göttlichen Kind, die
Rolle eines menschlichen Gottessohnes als Mittler zwischen Gott (bzw.
Göttern) und Menschen und der Glaube an die Auferstehung der Toten.
Auf mesopotamische Quellen gehen viele der biblischen Großerzählungen
von Schöpfung, Turmbau und Sintflut und von der Suche nach ewigem
Leben zurück, in die das Wissen um die Sterblichkeit uns Menschen führt.
Hinzu kommt die Vorstellung, die das Christentum vom griechisch-hellenistischen Asklepioskult übernommen und die uns den Soter, das Urbild des
Heilandes, beschert hat. In ihm sind Heilslehre, Heil und Heilung miteinander verbunden. Schließlich haben die frühchristlichen Theologen bei
unterschiedlichen kultischen und nichtkultischen Praxen der hellenistischen Zeit Anleihen gemacht, um die furchtbare Hinrichtung Jesu am
Kreuz positiv – also als ein Heilsgeschehen – deuten und jedermann verständlich machen zu können. Es war Theologenarbeit, die uns das Dogma
beschert hat, sein Tod sei nicht nur die Konsequenz seiner neuen Gottesverkündigung gewesen, sondern ein Sühnetod- oder Loskaufgeschehen,
das Vergebung der Sünden bewirke und Zugang zum ewigen Leben eröffne.
Meinen Religionen denselben Gott?
nander ab, dass der Eindruck entstand, Jahwe, Allah und der Gott, den Jesus
Ebenso führten theologische Einsichten und Streit später dazu, dass sich
katholische, orthodoxe und dann auch protestantische Kirchen verselbstständigten und eigene Lehren entwickelten.
Will man in diesen Zusammenhängen von Offenbarung reden, so muss
man das Offenbarungsverständnis modifizieren und von einer geschichtlichprozessualen oder stufenweise sich vollziehenden Offenbarung reden. Dabei verbinden sich in großen Schüben, die mit kulturellen Umbrüchen einhergehen, theologische Neuinterpretationen alter Vorstellungen und textlicher
Überlieferungen. Solche stufenweise sich vollziehende »Offenbarung« ereignet sich – und das ist entscheidend – quer durch die verschiedenen Religionen
hindurch.
16
Es hat keinen Sinn mehr, Offenbarung nur im Blick auf bestimmte Modifikationsstufen des (Gottes-)Glaubens zu verwenden. Denn wenn wir
glauben, dass Gott Einer/Eine ist, müssen wir auch davon ausgehen, dass
Gott mit den anderen Religionen vor, neben und nach Judentum und Christentum zu tun hat, und zwar in einem positiven Sinn. Positiv heißt: dass
Gott auch die Religionen gewollt und sich von ihnen und in ihnen hat wahrnehmen lassen.
Damit solcher Glaube zu einem Dogma werden kann, bedarf es allerdings
noch vieler Jahrzehnte theologischer Arbeit – und dabei vieler Sprünge über
lange Schatten. Bisher darf man bei uns davon offiziell noch gar nicht reden.
Sieht man sich die christliche Dogmatik (und auch das Jesus-Buch des Papstes) an, gewinnt man den fatalen Eindruck: Gott, wie wir ihn glauben, hat
es mit Juden und natürlich Christen ernst gemeint, aber nicht mit den Gläubigen anderer Religionen; diese hat er eher beiläufig behandelt, ja, oft genug als lästig und als seinen Vorlieben offenbar im Wege stehend empfunden. Geliebt hat er sie nicht. Segen und Heil erhalten sie jedenfalls nicht
unmittelbar von Gott, sondern nur mittelbar, nämlich gebunden an das
segensreiche Handeln von Juden und Christen.
Obwohl die religionspsychologische Forschung vieles dazu sagen
kann, wo und zu welchem Zweck Ausschließlichkeitsaussagen in den Religionen entstanden sind, hat sich die christliche Dogmatik oft genug an
diese Aussagen gebunden, weil sie in der Bibel benutzt worden sind und
der eigenen Religion einen Sonderstatus zu verleihen schienen. Das ist die
schwierige Erbschaft aller Schriftreligionen. Denn das heißt für uns: Die
kirchliche Lehre schaltet das religionsgeschichtliche Bewusstsein aus und
vergrößert die in biblischen Überlieferungen geäußerten Gottes-, Mensch-
heits- und Weltvorstellungen in die theologische Totale. Und da warten in
der Regel – wie die Geschichte zeigt – schon die unseligen Kinder der Totalitätsvorstellungen: der Ethnozentrismus (»Wir sind erwählt, sind die
wahre Religion, haben den wahren Glauben«) und der Anthropozentrismus
(»Der Mensch ist die Krone der Schöpfung«). Noch gefährlicher sind die
anderen Ableger der Absolutheitsansprüche: der Rassismus und die Bereitschaft zur Gewaltanwendung beim Durchsetzen der eigenen Vorstellungen.
Aus dieser Sackgasse herausführen kann nur die Einsicht, dass alle Religionen ihre Vorläuferinnen in Wichtigem beerbt und aufgrund von neuer
Glaubenserfahrung und Gotteserkenntnis modifiziert haben. Denn Gotteserfahrung und -erkenntnis verlaufen prozesshaft innerhalb der Kultur-
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worden ist, meint den von Religionsgemeinschaften oder Konfessionen
geglaubten Kern von Glaubensvorstellungen und ihren theologischen Zusammenhang – ist also das Produkt theologischer Arbeit. Ihr voraus gehen
immer die aus der Begegnung mit Gott entstehende Erfahrung und ihre interpretierende Einordnung in überlieferte Glaubensvorstellungen. Auch
sie werden nie enden, solange Gott und Menschen miteinander zu tun
haben.
Thomas Ruster
Die Kraft des Glaubens
Menschen machen Erfahrungen mit Mächten. Schon die Alten erlebten:
Jeden Morgen geht die Sonne auf, sie führt den neuen Tag herauf, sie bringt
Wärme und Licht, ist unbesiegbar. Sollte die Sonne kein Gott sein? Und
der Mond, der der Zeit einen festen Rhythmus gibt und das Geheimnis der
Frau widerspiegelt – eine Göttin! Die Sterne, die ihren ewigen Gang am
Himmel gehen und das Geschick der Menschen bestimmen: Auch sie sind
Götter.
So kommt man, wenn man auf die Mächte achtet, die die Welt bestimmen, auf viele Götter. Hesiod, Verfasser der griechischen Theogonie, kennt
neben vielen anderen noch Kronos, die Zeit. Denn ist nicht alles der Zeit
Meinen Religionen denselben Gott?
geschichte und enden niemals. Was dogmatisiert »Offenbarung« genannt
unterworfen? Noch mehr aber den Mächten des Todes und der Unterwelt,
Tartaros? Ihrer Macht kann niemand entrinnen.
Religion hat es mit den Mächten des Lebens und des Todes zu tun. Für
heute ließe sich deren Liste erheblich verlängern, während viele der früheren Götter von der Liste genommen sind. Welche Götter sind es, die uns in
den verderblichen Taumel der Globalisierung treiben? Was für eine Macht
ist doch der Verkehr, dass wir ihm erlauben, unserem Planeten so zu schaden? Übrigens braucht man die Mächte nicht Götter zu nennen; Gegenstand der Religion sind sie gleichwohl. Religion kommt ohne Glauben aus,
ist nur aufmerksam für das Machtvolle, das uns bestimmt und das wir nicht
bestimmen können. Die Rechnung der Religion ist einfach, ihre Götter sind
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zahllos und erneuern sich ständig.
Die Bibel, und das ist die Offenbarung, die sie bringt, macht einen Strich
durch diese Rechnung. Sie macht einen Strich zwischen Gott und Himmel.
»Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde« – und schon ist klar: Was die
Religionen für Götter, für Mächte halten, das ist der Himmel, ein Teil der
Schöpfung, und darum der Mächte Letztes nicht. Sollte etwa auch die Macht
des Todes gebrochen sein? Schon der erste Satz der Bibel enthält die Verheißung der Auferstehung. Dabei bleiben die alten Götter durchaus im Amt.
Ihre Macht gibt es ja weiterhin. Gottes Volk aber wird eingeschärft: Du sollst
keine anderen Götter haben neben mir.
Klaus-Peter Jörns sieht das gänzlich anders. Er will diesen Strich, die
biblische Urunterscheidung zwischen Gott und Himmel, getilgt wissen.
Er suspendiert das Erste Gebot. Er lehrt: Die Offenbarung vollzieht sich
stufenweise und – »das ist das Entscheidende – quer durch die verschiedenen Religionen hindurch«. Sein Argument dafür ist: Weil die Theologie bei ihrer Entfaltung der Offenbarung bereitliegendes religiöses
Material aufgegriffen hat, Material auch aus anderen Religionen, müsse
sie folglich auch diesen anderen Religionen Offenbarungscharakter zubilligen.
Dieses Argument ist weder logisch noch theologisch. Wenn es so einfach
wäre, dann hätten doch schon die Menschen im Alten Testament darauf
kommen können. Denn auch sie wussten, dass sie es mit Formen und Bildern anderer Religionen zu tun hatten, mit ihnen spielten, sie benutzten.
Das hat ja nun nicht erst die »Erforschung der biblischen Schriften« ergeben. Und doch kommt die Bibel zu anderen Schlüssen: »Alle Götter der
Heiden sind nichtig, der Herr aber hat den Himmel geschaffen« (Psalm 96).
Jörns eigentliches Argument ist nicht das religionsgeschichtliche, sondern das ethische. Absolutheitsansprüche drohen, Erwählungsbewusstsein,
Anthropozentrismus, »Rassismus und die Bereitschaft zur Gewaltanwendung«: Dies alles soll notwendig aus dem Glauben an den einen Gott folgen
und sei ihm gefolgt. Jörns deutet an, dass der christliche Glaube eigentlich
ein Fall für die Psychopathologie ist. »Religionspsychologie Forschung«
könne vieles zu diesen dogmatischen Ausschließlichkeitsansprüchen sagen … Ist der Monotheismus nur ein religiöser Narzissmus?
Führt die Anerkennung der Tatsache, dass Gott sich »quer durch die
verschiedenen Religionen offenbart«, aus dieser Sackgasse heraus? Wenn
wir glauben, dass auch Kronos mit dem Sichelmesser (mit welchem er seinen Vater entmannte) und Thor mit dem Hammer Offenbarungen Gottes
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folgend, all die Mächte unserer Zeit, und seien es Todesmächte, religiös
bejahen, sie gewähren lassen, ohne noch den heiligen Gott gegen sie anrufen zu können?
Zuletzt kann die Frage der Wahrheit Gottes nicht auf der ethischen
Ebene entschieden werden. Es kann nicht sein, dass Gott ein Element im
System der Ethik ist, dass er sich vor der ethischen Unterscheidung zu verantworten hat. Gott allein ist gut, mit dieser Aussage setzt der Glaube an
Gott an. Ohne Glaube geht es nicht. Die Religion der Götter braucht allerdings keinen Glauben, sie beruht auf Erfahrung. Glaube aber ist unverzichtbar, wenn für wahr gehalten wird, dass Gott, der Schöpfer des Himmels[!] und der Erde, er, der schlechthin kein Teil der Welt ist und keiner
Erfahrung zugänglich, der alle religiösen Vorstellungen und jede Metaphysik überschreitet, in der Welt seine Herrlichkeit erscheinen lässt »und sein
gerechtes Wirken enthüllt vor den Augen der Völker« (Psalm 98).
Die Religion der Götter ist zu allen Zeiten das Evidenteste, der Glaube
an Gott dagegen das Unglaubhafteste überhaupt. Dass nicht die Urmächte
des Daseins die Welt hervorgebracht haben, sondern, mühelos und leicht,
Gott durch sein Wort, dass nicht die Mächte von Leben und Tod das letzte
Wort behalten, sondern die Gerechtigkeit Gottes, das ist zu glauben. Glaube
ist eine Zumutung.
Klaus-Peter Jörns stößt sich daran, dass mit dem Glauben an Offenbarung und Erwählung notwendig Intoleranz verbunden sei. Nun, wenn
Gott, der schlechthin kein Teil der Welt ist, sich mitteilen will, dann muss
er in der Welt vorkommen, und er setzt sich dann der Verwechslung mit
Meinen Religionen denselben Gott?
sind, steht es dann besser um die Religion? Und müssen wir jetzt, Jörns
dem aus, worin er sich mitteilt. Gott ist gleichsam auf die Medien der Verständigung angewiesen. Und da ist es nun so, dass sich diesbezüglich die
religiösen Medien am meisten anbieten. Die einzigartige Erfahrung mit
der Herrlichkeit Gottes drängt, wenn sie Ausdruck finden soll, zum religiösen Ausdruck, und daher kommt die Verwechslung von Gottesglaube und
Religion, der nicht erst Jörns erlegen ist.
Hier hilft es nun nicht, sich von der reichlich durchmischten Geschichte
von Christentum und Religion angewidert abzuwenden, da heißt es vielmehr genauer hinzuschauen. Gott hat, nachdem sein Versuch, die Menschheit als Ganzes auf dem rechten Weg zu halten, ziemlich katastrophal geendet hatte (Genesis 1-11), sich darauf verlegt, einzelne Menschen zu
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erwählen, um ihnen eine Verheißung und einen Segen für alle mitzugeben.
Alle Völker in Abraham gesegnet; Israel nicht für sich erwählt, sondern Licht
der Völker; zuletzt Jesus, durch den alle selig werden können. Soll man hier
von »Absolutheitsansprüchen« reden?
Jedenfalls hat Gott seine Absolutheitsansprüche auf die denkbar
schwächste Weise vertreten, durch die Kleinen und Schwachen, einen Mann
wie Abraham, ein Volk wie Israel, einen heimatlosen Wanderprediger wie
Jesus. Er hat darauf verzichtet, mit einer Legion Engel aufzutreten. Dies ist
es, was die Theologie immer wieder zu bedenken und der Glaube auszuhalten hat: Gott, der Allmächtige, Schöpfer des Himmels und der Erde, Herr
aller Mächte und Gewalten, offenbart sich in seinem Gegensatz.
Warum spricht Jörns so verächtlich von der Theologie? Warum hat er
den theologischen Standpunkt längst verlassen, argumentiert er religionsgeschichtlich, ethisch, psychologisch? Wenn es denn Schwächen der Theologie gegeben haben soll – machen wir es doch einfach besser. Wie könnten
wir es verantworten, die Leute mit den Mächten alleine zu lassen, gerade
heute? Wie könnten wir sie in die Arme der Religion der Götter treiben?
Statt die Arbeit der Theologen abzutun, sollten wir sie tun.
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