Corona Bamberg 404 ihm? Wer wird vom Bösen angefochten, ohne daß ich glühte?" hat Paulus ausgerufen (2 Kor 11, 29), und im Kolosserbrief ermahnt er uns: •Ihr seid Auserwählte Gottes, Heilige, Geliebte; und darum legt euch Eingeweide des Mitleids zu!" (3,12). •Denn", so heißt es im gleichen Sinn im 1. Johannesbrief, •wenn einer sieht, daß sein Bruder in Not ist, und er verschließt seine Eingeweide vor ihm" - •und es schlägt sich ihm nicht auf den Magen", könnten wir vielleicht für unseren Sprachgebrauch übersetzen -, •wie kann in dem die Liebe Gottes bleiben?" (3, 17). Weihnachten feiern: das sollte heißen, sich vom Mit-Leid unseres Gottes neu und tief beeindrucken und beschenken lassen und dieses Mit-Leid weiterschenken an andere, damit die Last der Isolierung und der Einsamkeit für die Menschen in unserer Umgebung leichter wird. •Alles Fleisch" sollte •sehen Gottes Heil durch Gottes Sohn", sollte die •Güte und Menschenliebe Gottes, unseres Retters" erfahren (vgl. Tit 3, 4), die uns in Jesus Christus geschenkt worden ist. Freude am Glauben • wer glaubt uns das? Corona Bamberg OSB, Abtei Herstelle1 Friedrich Nietzsches •Erlöster müßten sie mir aussehen, die Erlösten", hat eine neue Variante bekommen. Einem Test zufolge, den Frau Prof. NoelleNeumann kürzlich an katholischen Christen durchgeführt hat, scheinen Kirche und Lebensfreude nicht gut miteinander auszukommen. Unter dem Titel: •Lebensfreude - kein Thema für die Kirche?" hat die Leiterin des Aliensbacher Demoskopischen Instituts dieses Ergebnis vor dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken im Herbst 1973 zur Debatte gestellt2. Was läßt sich des näheren am Bewegungs- und Mienenspiel von Katholiken ablesen? Frau Noelle-Neumann (bzw. der jeweilige Interviewer) notiert zunächst 5 positive und 5 negative Merkmale: •... ob der Blick des Befragten frei oder eher ausweichend, ob die Mundwinkel eher aufwärts 1 Der hier veröffentlichte Vortrag wurde am 25. 10. 1976 in Höxter/Weser in der Reihe •Montagabendgespräche" gehalten. Der Vortragsstil wurde um der größeren Unmittelbarkeit willen nach Möglichkeit beibehalten. 2 Vgl. Herderkorrespondenz, Januar 1974, S. 41 ff. Freude am Glauben - wer glaubt uns das? 405 oder eher abwärts weisen, ob die Bewegungen locker, lebhaft sind oder eher sparsam, zurückhaltend, ob der Befragte in gelöster, lockerer Haltung sitzt oder eher steif und ob der Befragte insgesamt ganz fröhlich aussieht oder nicht so fröhlich". Und das Resume dieses Ausdruckstests: •Menschen, die regelmäßig in die Kirche gehen, (sehen) eher unfroh, eher bedrückt aus". Dazu Frau Noelle-Neumann kommentierend: •Eine Kirche, deren Anhänger - jetzt übertreibe ich, aber es sollte deutlich werden daran zu erkennen sind, daß sie bedrückt aussehen, ist in einer lebenszugewandten, auf Lebensfreude bedachten Zeit verloren oder zumindest in Gefahr, eine Sekte zu werden". Sind wir beim Thema? Ich meine: ja und nein. Nein, weil es uns heute abend - anders als dem Allensbacher Test - nicht um psychologisches Wohlbefinden geht, wie die empirische Sozialforschung sagt, sondern um Freude am Galuben. Ja, insofern freudloses Aussehen auf ein Gedrücktsein als Zustand, auf eine mangelnde Freude in der Tiefe schließen läßt. Das kann uns Glaubenden nicht gleichgültig sein, und auch denjenigen nicht, die sich mehr oder weniger von der Kirche oder überhaupt von irgendeiner Art von Glauben distanziert haben. I. Glaubende müßten eigentlich frohe Menschen sein. Sind sie es nicht, oder machen sie jedenfalls den Eindruck, daß sie es nicht sind, wer glaubt ihnen dann, daß Freude etwas mit Glauben zu tun hat, oder Glauben etwas ist, was Freude weckt? Das scheint mir der eigentliche Stachel zu sein, der uns hier verpaßt wird; nicht daß speziell den Katholiken in einer auf Lebensfreude bedachten Zeit die Abseitsrolle der Trübsinnigen droht oder zukommt, sondern daß sie ein Zeugnis schuldig bleiben für etwas, was mehr ist als bloße Freude am Dasein, als Vergnügen, Lust oder Lustigsein, schuldig bleiben für etwas, was der nagende Hunger unzähliger Menschen, was eine ungeheure Nostalgie in der Tiefe meint, ohne es benennen zu können. Freude wie anderswo nicht? Es gibt diese Sehnsucht; sie gehört zum Wunschtraum der Menschheit. Und da man nun einmal die Welt und vielleicht auch das eigene Leben vorrangig als ein schreckliches Durcheinander erfährt, ertappt man sich eben doch dabei, wenigstens in irgendeinem Herzenswinkel eine Hoffnung, eine Erwartung zu hegen, daß bei den Glaubenden, den Kirchennahen etwas mehr sein könnte als diese •unnützeste, sinnloseste aller Komödien", Corona Bamberg 406 als die Jacques Riviere in einem Brief an Paul Claudel die Welt bezeichnet, in der er zu leben hatte. Das Paradebeispiel: Wer ist nicht enttäuscht über die unfreundliche, muffige oder gar verbitterte Krankenschwester im Ordenskleid? Enttäuschung gibt es aber nur, wo Erwartung ist (die natürlich zur Überforderung werden kann, wie oft genug in unserem Fall). Man hofft, und vielleicht ärgert man sich insgeheim, daß man unwillkürlich denkt, wenigstens solche Menschen müßten etwas haben und weitergeben, was einen leichter atmen, einen Silberstreifen am Horizont entdecken ließe, was nicht kommt und geht wie Vergnügen und Genuß, eine vielleicht in Schmerzen herangereifte Heiterkeit, die bleibt, nicht zu verwechseln mit •naturwüchsigem Daseinsoptimismus" und sehr anders als •künstlich oder verzweifelt gespielte Naivität" (J. B. Metz). Man hofft, gläubige Menschen müßten eine wenn auch schwer zu erklärende Sicherheit ausstrahlen, eine wohltuende Ruhe, der gegenüber Sorge, Angst und Verzweiflung nicht mehr viel zu melden hätten. Woher sonst die Anziehungskraft einer Mutter Teresa, die Faszination eines Priors von Taize, eines Charles de Foucauld, eines heiligen Franz, dessen Name gerade wieder in den letzten Wochen wie ein Leuchten durch die Welt ging? In diesen Menschen ist Freude wie anderswo nicht. Sie zieht an, steckt an, überspringt die Schranken der Zeiten, Konfessionen, Religionen, Klassen und Rassen. Sie machte das Wunder des guten Papstes Johannes aus, der wußte und es lebte: •Glaube - das ist die Heiterkeit, die von Gott kommt". Freude • Wesenselement christlichen Glaubens Die Erwartung ist berechtigt. Wenn es mit rechten Dingen zuginge, müßte sie auf ihre Kosten kommen. Und zwar nicht nur bei Ausnahmegestalten. Wer immer sich zu den Glaubenden zählt, sich Christ nennt, der müßte ein innerlich gelöster, heiterer Mensch sein. Ob sich das in heller Fröhlichkeit äußert wie in den Schelmereien eines Philipp Neri, die einen Goethe entzückten, oder im zwerchfell-erschütternden Gelächter eines Chesterton oder ob man, wie bei Petrus Canisius, mit der Lupe suchen muß, •um ein Schmunzeln in den Runzeln zu entdecken" (Max Rössler), das ist erst eine zweite Frage. Freude am Glauben ist nicht mit einer Theologie der Mundwinkel zu verwechseln. Entscheidend ist ein inneres Getragensein, das sich stärker erweist als alle Wechselfälle des Lebens, das aus einer tiefen und unversehrbaren Erfüllung herrührt, ja, wie Paulus sagt, eine Frucht des Geistes ist (vgl. Gal 5, 22). Daher dann Humor, Güte, Geduld, Zutrauen, Friedfertigkeit und Liebe. Man nimmt nicht alles so tierisch ernst, man ist nicht so wehleidig und empfindlich, man ist vor allem nicht so ängstlich besorgt um sich selbst. •Beliebt beim ganzen Volk" waren die ersten Christen in Jerusalem nach dem Idealmodell Freude am Glauben - wer glaubt uns das? 407 der Apostelgeschichte. Warum? Sie teilten alles miteinander, sie trafen sich Tag für Tag zum gemeinsamen Gebet und zum Brotbrechen, sie taten es •voller Jubel und mit lauterem Herzen", einmütig und •Gott preisend" (Apg 2, 45 ff), wie Lukas betont. Diese schier unglaubliche Freude hat die Leute offenbar so beeindruckt und die junge Gemeinde •beliebt" gemacht. Und mehr als das: die Schar derer, die an Christus glaubten, mehrte sich von Tag zu Tag. In ihrer Freude zeigte sich, was es auf sich hat mit dem Glauben. Walter Kasper umschreibt es so: •Das Überschwengliche und Verschwenderische, das Unbekümmerte und Sorglose sind charakteristisch für den christlichen Glauben"3. Man könnte das quer durch die Kirchengeschichte aufzeigen, in der es keineswegs nur schlechte Päpste und habgierige Prälaten gab. Man kann sich auf jeden Fall dafür auf das Evangelium berufen, auf diese frohe, befreiende Botschaft von einem Gott, der nicht nur gewaltig ist, sondern gut, der uns sichtbar geworden ist, sich uns endgültig zugewandt hat im Menschen Jesus Christus, der jeden von uns liebt, weiß, was wir brauchen, für Gräser und Spatzen sorgt, •um wieviel mehr für euch, ihr Kleingläubigen", der sich von uns Vater nennen läßt, ansprechbar ist, den Anklopfenden öffnet, der unsere Wunden heilt, selbst die Todeswunde, an der unser Dasein sonst hoffnungslos, zukunftslos dahinsiecht. Vor allem bringt dieser Gott eines fertig: daß ich mich loswerde, und das nicht nur in einem vorübergehenden Vergessen - an einem geselligen Abend, bei einem Glas Wein im Freundeskreis, im Rausch eines Festes, mit Hasch und Heroin -, sondern wurzelhaft, von der Wurzel her. Paulus nennt das sehr genau •Neuschöpfung in Christus", •Neuwerden" des alten Menschen, sofern dieser mit Christus stirbt und aufersteht. Darum ist das •Unbekümmerte und Sorglose", ja das •Überschwengliche und Verschwenderische" ein unverwechselbares Erkennungszeichen für christlichen Glauben: erkannt wird daran Befreiung zur Freiheit und also Freude, nicht nur bloß in Hoffnung und auf Verheißung hin, sondern als schon vollbrachte Tat Gottes, feiernd zu vergegenwärtigen im Gedächtnismahl, aus dem wir leben, in dem wir Tod und Auferstehung des Herrn verkündigen und preisen, bis er kommt. Das Geheimnis der Glaubensfreude Wer das alles glaubt, der müßte eigentlich fragen: Freude am Glauben wieso nicht? •Freu dich, das Leid ist alles hin", singt das alte Osterlied. Und es hat recht, auch wenn die leidlose Erde Utopie bleibt und die 3 Einführung in den Glauben, 1972, S. 116. Corona Bamberg 408 Träume vom Glück in diesem Leben nichts sind als ersehntes oder erahntes Glück. Recht hat das Lied, weil der Glaubende im Leben und im Sterben einen Sinn hat, der nicht vergeht, eine Zukunft, die nicht allein er, der Mensch, bauen oder verbauen kann, sondern die aus dem Unverfügbaren auf ihn zukommt und ihn schon jetzt herausholt - die Schrift spricht von Adlersfittichen •, heraus aus allem, was er nicht •gut" nennen kann. Und das macht doch, daß ich Freude habe, daß ich sagen kann: das ist gut, oder gar - zu einem geliebten Menschen -: Wie gut, daß Du so bist und da bist. Bei der Freude am Glauben verhält es sich nicht anders. Nur hat dieses •Gut-Sagen", diese Zustimmung beim Glaubenden einen viel größeren Atem. Nach Bernhard Weite ist der Glaube •in allen Dimensionen von Gott und Welt ein Ja, ein Ja, das so stark ist, daß es auch das notwendig in ihn eingeschlossene Nein umfängt und schließlich überwindet"4. Also nicht das Ja des Ahnungslos-Naiven, sondern ein Ja, das auch im dunklen Schicksal, mit Gott ringend wie Jakob, schließlich von ihm gesegnet, das Morgenlicht sieht; ein Ja, das selbst vor den beängstigenden Schwierigkeiten nicht verstummt, mit denen wir wie nie zuvor eine Zeit konfrontiert werden, vor dieser explosiv wachsenden Menschheit, die bald nicht mehr weiß, wovon sie leben soll noch wo für sie auf der Erde Platz ist. Ohne daß er sich herausstiehlt aus diesen alptraumhaften Zahlen und Bilanzen, gibt es auch hier für den Glaubenden Freude; ich wage sogar zu sagen: es gibt hier keine Freude mehr als die am Glauben. Nur von Gott her und aus Gott kann einer in einer solchen Welt noch sagen: •Das ist gut" gut, weil •Du, Gott, so bist und da bist". Nur der Glaubende ist so verrückt wie Graf Lehndorff, der 1945 im Feuersturm des bombardierten, untergehenden Königsberg laut singend Gottes Herrlichkeit pries. Nur der Glaubende hat jenen letzten Ernst, der •nie ohne eine Dosis Humor ist", wie Dietrich Bonhoeffer kurz vor seiner Hinrichtung schrieb - und bewies5. Getönt von Hunger und Erfüllung, vom bitterseligen Halbdunkel, in dem Gott sich zu erfahren gibt, ist Freude am Glauben unterwegs und doch immer schon in der Ruhe. In aller Ausweglosigkeit, persönlicher wie kollektiver, weiß sich der Mensch, der ganz und gar Ja sagt zu seinem Gott, •von guten Mächten wunderbar geborgen", erwartet er •getrost, was kommen mag" (Bonhoeffer an seinem letzten Neujahrstag)6. Die drei Grundnöte des Menschen, die man mit Graf Dürckheim Angst vor der Vernichtung, Verzweiflung über das Sinnlose (Absurde) und Trostlosigkeit des Verlassenen nennen kann, diese Nöte sind zwar keineswegs wegge- 4 5 6 Zeit und Geheimnis, 1975, S. 148. Widerstand und Ergebung (Siebenstern), 31966, S. 189. Ebd. 205. Freude am Glauben - wer glaubt uns das? 409 zaubert, aber nur sind sie nicht alles. Mehr: Angst weiß sich im unwiderleglichen Wissen des Glaubens umfangen von Sicherheit, Verzweiflung von Sinn, Trostlosigkeit von Nähe und Liebe, wo einer Ja sagt zum Gott Jesu Christi in allen Dimensionen der Welt und des Lebens. Ja zu Gottes Ja Das freilich ist entscheidend: daß einer Ja sagt. Es ist wichtig zu wissen, was christlicher Glaube beinhaltet, weiß Gott - Information, Weiterbildung, Auseinandersetzung sind unerläßlich. Aber was hilfts, wenn das alles nur im Kopf bleibt und nicht ins Leben geht? Wenn man nur weiß und nicht glaubt? Die Probe aufs Exempel: man nehme einem Menschen Gesundheit, Geld, Erfolg, Karriere weg - was macht er dann? Sagt er weiterhin: •Das ist gut - weil Du gut bist, Gott"? Lernt er es wenigstens langsam sagen, wie Ijob es lernte? Bleibt er im Grund seines Wesens dankbar, zustimmend - oder wird er bitter? Freude am Glauben erkennt man jedenfalls daran, daß sie nicht aufhört, wenn das alles ein Ende nimmt, was man greifen, berechnen, planen und machen kann. Sie kann durchaus zusammengehen mit Lustigsein und Lachen, mit Lebensfreude und psychologischem Wohlbefinden ä la Allensbacher Test; eindeutig wird sie aber erst dort, wo normalerweise kein Grund zur Freude mehr da ist. Da zeigt es sich, daß ihre Wurzeln in Grundwasser hinabreichen, die kein noch so trockener Sommer austrocknen kann. Es zeigt sich dann, daß sie in Gott ist, auf seiner Treue steht, auf seinem Ja auch zu der gebrochenen Welt und zu dem •alten Lump" (W. Busch), der wir alle mehr oder weniger sind. Aus diesem Ja entsteht dem Glaubenden Freude, aus diesem Bejahtwerden ohne Grenzen und Vorbehalte. Daraufhin kann er seinerseits Ja sagen, ein demütiges und schließlich siegreiches Ja zu den Höhen und Tiefen des Lebens und endlich auch zum Tod. •Gelobt sei Gott und der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten" - dieses Wort aus dem 1. Petrusbrief meditierte Dietrich Bonhoeffer kurz vor seiner Hinrichtung mit seinen Schicksalsgefährten7. Da wird das alles Verwandelnde beim Namen genannt und im Lobpreis anerkannt. Und wir dürfen zuammenfassend sagen: In Christus ist objektiv kein Grund mehr für Angst, Verzweiflung und Trostlosigkeit, in Christus ist wirklich •alles Leid schon hin" - und genau das ist der Grund für die Freude am Glauben. Nun aber: Wie kommt's, daß Glauben - als Inhalt wie als Akt, objektiv wie sub j ektiv, als Was und als Daß - vom Wesen her Freude macht, und man 7 Ebd. 219. Corona Bamberg 410 tut sich doch so schwer, den Glaubenden das abzunehmen? Was ist passiert, daß Freude, diese Grundkraft des Evangeliums, dem Durchschnittschristen nicht mehr (wie Walter von Hollander sagt) •an die Wände des Körpers pocht", um in die Welt hinauszugehen? Man sehe sich einmal die Bilder an in dem Meditationsbändchen von Josef Bill, Heiterkeit von innen, diese Gestalt gewordenen Glaubensaussagen quer durch die Zeiten und Völker: den Daniel von Worms, den Verkündigungsengel von Reims, den Heiligen auf der Schaukel von St. Prokulus in Südtirol, den tanzenden Engel aus dem Baseler Münster; oder man höre den Auferstehungsjubel einer Brucknermesse, das strahlende Dur der Schöpfung von Haydn oder eines der Magnifikats von J. S. Bach; ganz zu schweigen von der leisen und doch sehr elementaren Freude eines gregorianischen Choraljubilus oder Hymnus - findet sich auch nur annähernd Vergleichbares in zeitgenössischer christlicher Bildkunst und Musik? Vielleicht eher in der südlichen Welthälfte, wo Glauben noch Hand in Hand geht mit Vitalität und überquellender Fröhlichkeit - aber in unserer Konsumwelt und Technokratie? Jedenfalls wird man nicht leicht widersprechen können, wenn Walter Kasper8 feststellt: •Die Humorlosigkeit und Gereiztheit, der wir in der Kirche und in der Theologie der Gegenwart weithin verfallen sind, ist vielleicht einer der schwersten Einwände, die man gegen die gegenwärtige Christenheit erheben kann". Damit sind wir beim zweiten Teil unseres Themas. II. Woran liegt es, daß man uns die Freude am Glauben, die doch im Wesen des christlichen Glaubens liegt, nur mit Mühe oder gar nicht glauben kann? Was ist schuld daran, daß Unlust die kirchlich-christliche Landschaft eintrübt und vielleicht auch das eigene Glaubensleben? Und was hindert, daß Freude im Glauben aufkommt auch und gerade dort, wo man am Glauben festhält, ein ganzer Christ, eine christliche Familie, eine verläßliche Gemeinde sein will oder auch eine geistliche Gemeinschaft, die mit Recht so heißen darf? Wer auf diese beiden Fragen, die ineinander verflochten sind, eine Antwort sucht, der gerät immer tiefer hinein in die heutige Krise und Problematik nicht nur einer Freude am Glauben, sondern des Glaubens selbst. Gewiß spielen übersteigerte Erwartungen eine Rolle: Glaubensfreude ist, wir sagten es bereits, nicht einfach identisch mit Lebensfreude und strahlendem Optimismus. Auch äußert sich Freude, nicht nur die christliche, sondern Freude überhaupt je nach Temperament und Zeitstil ganz 8 Einführung in den Glauben, 116. Freude am Glauben - wer glaubt uns das? 411 verschieden, man kann das nicht in eine demoskopische Schablone pressen. Aber sowohl für den Mangel an Glaubensfreude wie für deren Blockierung scheint mir von entscheidender Bedeutung die Tatsache, daß Glauben insgesamt keine Selbstverständlichkeit mehr ist, ja daß der Glaubende nicht nur als Christ, sondern als Mensch unter dem atmosphärischen Druck einer Zeit steht, die das bloße Leben zu einer reichlich komplizierten und mühsamen Sache macht. Dazu kommen aber spezifische Probleme, die wir mit dem Glauben heute haben. Sie rücken uns dort auf den Leib, wo wir zu leben haben: in einer •weltlichen Welt" (um das abgenutzte Wort ein weiteres Mal zu gebrauchen), in einer oft schwierigen Kirche, in einer Gesellschaft, die auf der Jagd nach Lust in immer trübere Gleichgültigkeit, in immer bedrückendere Freudlosigkeit gerät. All das ist jedenfalls kein Boden, auf dem Freude am Glauben besonders gut gedeiht. Greifen wir einiges heraus. Die Botschaft von Gott - eine verwehte Spur? Freude am Glauben, falls überhaupt vorhanden, leuchtet oft nicht bis dorthin, wo wir unser normales Leben leben. Bisweilen hat sich eine tiefe Kluft aufgetan zwischen dem, was wir Welt des nüchternen Alltags nennen, und dem, was in feierlichen, seltenen Stunden Welt des Glaubens heißt mit ihren Geheimnissen: Gott, Jesus Christus, Erlösung, Vollendung. Bestenfalls wird dann die Glaubenswelt zum hohen, himmelhohen Überbau oder zum blassen Ideal, zur uneingestandenen Illusion oder Konvention, zum Strohhalm vielleicht auch in Augenblicken höchster Not, zur Leerformel, die nicht hilft, wenn's ernst wird, zur mühsamen Pflichterfüllung für gewöhnlich, von der jedenfalls nichts ausgeht, was man Freude nennen könnte. Simpel gesagt: Die Frohe Botschaft hängt zu hoch, sie wird zur sauren Traube. Sie holt mich nicht dort ab, wo ich wirklich lebe. Das ist gewiß schwerer geworden. Heute läßt sich beim Buchstabieren der Botschaft Gottes nicht wie von selbst die Welt mitbuchstabieren, der sie doch zugesprochen ist. In anderen Zeiten war das eher so. Nicht zuletzt darum, weil ja auch das Umgekehrte gilt: Gott scheint in unserer Welt nicht mehr vorzukommen. Die Botschaft vom Heil, von Gottes Liebe, überhaupt von etwas Weltübersteigendem scheint •eine verwehte, wenn nicht versteinerte Spur" geworden zu sein9. Das gilt von der imponierenden, faszinierenden Welt aus Beton und Stahl, das gilt von der Welt der Sackgassen und Katastrophen. •Warst du in Stalingrad lieb, lieber Gott? Warst du da lieb, wie? Ja, wann warst du eigentlich lieb, Gott, wann? Wann hast du dich jemals um 9 Peter L. Berger, Auf den Spuren der Engel, 1970, S. 133. Corona Bamberg 412 uns gekümmert?" macht sich Wolfgang Bordiert Luft vor dem Scherbenhaufen seines Glaubens in den Ruinen von 1945. Die Beispiele solcher Ernüchterung und grausamen Enttäuschung ließen sich häufen. Es gibt eine ganze Anti-Gebets-Gattung, Anti-Credos, Anti-Vaterunser. •Verspottet werde dein Name, denn dein Segen kommt von nirgendwo ...". Freude am Glauben? Freude an den Glaubenden? •Ich habe einen Einwand gegen das Christentum", schreibt der Satiriker Tucholsky in seinen •Briefen an eine Katholikin", •es hat noch nie etwas geholfen". Speziell das gibt die Grundstimmung unzähliger wieder. Glauben - was hilft's? Die Welt bleibt entsetzlich oder doch, wie sie ist; das Geglaubte, der Geglaubte scheint wirkungslos; scheint nicht zu greifen wie ein Rad ohne Winterreifen auf glatter Bahn, wie eine Schreibmaschine ohne Farbband: Man schreibt und schreibt - und nichts kommt aufs Papier. Wem macht das Freude? Wer hätte dazu nur eine Spur von Lust? Zumal der Spötter oder Skeptiker, der Neinsager, viel mehr •in" ist als der Fromme, der einfältig festhält an seinem •Gib dich zufrieden und sei stille in dem Gotte deines Lebens ...". Besser schon der Priester mit dem abgehärmten, ausgemergelten Gesicht, den man im Elendsquartier einer europäischen Großstadt gefragt hat, warum er ausgerechnet da arbeite, und der sagte: •Damit das Gerücht von Gott nicht völlig verlorengeht"10. Aber wie traurig ist diese Auskunft! Das Ausweichen vor dem Banalen Eng damit zusammen hängt ein zweiter Grund für die Freudlosigkeit: das Ausweichen vor dem Banalen. Im Hebr (13, 2) heißt es einmal, daß etliche mitten in ihrem alltäglichen Tag ohne ihr Wissen Engel beherbergt haben. Mir scheint, das praktizieren bzw. lernen zu praktizieren nur die frommen Träumer. Anders gesagt: Man lernt und hilft viel zu wenig, Gott im Gewöhnlichen, Unscheinbaren, Banalen zu entdecken, ja: im Trivialen. Die Rede von Gottes Tod ist zwar schon wieder aus der Mode gekommen. Aber wer zeigt und sieht, daß Gott, wie Teresa von Avila fröhlich versichert, •zwischen den Töpfen und Schüsseln ihrer Klosterküche wandle" (Max Rössler) - und nicht nur einer Klosterküche? Allzusehr brennen wir im Religiösen auf das Außerordentliche, oder jedenfalls das unmittelbar Greifbare und Erlebbare, auf das Fest, die Gotteserfahrung ohne Zwischenwand, ä la •Jesus macht dich glücklich, Jesus heilt dich vom Alkoholismus, von der Droge" usw. Vielleicht ist es wichtiger weil christlicher, uns den Gewöhnlichkeiten und nur recht kleinen Freuden unseres gelebten Lebens zu stellen (wie auch Jesus es tat), ja gerade im Banalen, ganz Unfeierlichen Erlösung als Entlastung zu erleben - bis zur Komik. Weil sie das tun, scheinen mir 10 Ebd. Freude am Glauben - wer glaubt uns das? 413 die Gedichte etwa des polnischen Priesters Jan Twardowski so kostbar. Eine Probe:11 Hundertfach heiliger Gott, starker und lächelnder denn Du schufst den Papagei, die Blindschleiche, das gestreifte Zebra riefest ins Leben das Eichhörnchen und die Flußpferde die Theologen kitzelst du mit des Maikäfers Schnurrbart Heute, da es mir so traurig und schwül und düster zumute ist o lächle über mir. •Da komm ich nicht drin vor" Auch dort kann Freude am Glauben nicht aufkommen, wo eine tiefeingewurzelte Skepsis von vornherein dem Christentum keine Kompetenz zutraut gegenüber heutiger Lebenserfahrung, von vornherein keinen Brükkenschlag versucht zwischen den Glaubensinhalten und meinem modernen Lebensgefühl. •Da komm ich nicht drin vor" - wie die Jungen sagen. Aber liegt es nur an den Jungen? Ein Beispiel: Das Musical Hair mit folgenden Fragen: Wo geh ich hin? Folg ich dem Herzen? Weiß meine Hand, wohin ich geh? Warum erst leben, um dann zu sterben? Ich weiß nicht recht, ob ich das je versteh. Wo komm ich her? Wo geh ich hin? Sagt, wozu? Sagt, woher? Sagt, wohin? Sagt, worin liegt der Sinn? Schwermütig-ratlose Fragen - werden sie eigentlich ernstgenommen? Oder tut man sie - gerade im kirchlichen Raum - nicht zu schnell ab mit fertigen Antworten, die gewiß wahr sind - nur sehe ich nicht, was sie mit meinem Leben und mit meinem Tod zu tun haben, wieso sie mich also in meiner Angst und Verzweiflung und Trostlosigkeit angehen. Was hilft das alles dann? Was hilft etwa das Dogma von der Menschwerdung oder der Auferstehung, wenn es mir keiner in meinen Horizont hinein übersetzt? Mag objektiv, in Christus, kein Grund mehr sein für alle Not des Menschenlebens - gibt mir das Grund zur Freude? - So kommt es wohl u. a., daß 11 Ich bitte um Prosa, 1973, S. 5. Corona Bamberg 414 viele statt in den Sonntagsgottesdienst anderswohin gehen, wo solche Fragen Platz haben, wenn schon keine Antwort; daß man sich einer der zahllosen •Jugendreligionen" verschreibt, die heute wie Pilze aus dem Boden schießen. Freude am Glauben? Man müßte schon auf Ideen kommen wie jüngst ein Gefängnispfarrer, der mit 20 jungen Leuten auf den Fußspuren des heiligen Franz durch Umbrien und Mittelitalien nach Rom gepilgert ist, hungernd, 170 km zu Fuß, betend, meditierend bis zur Erschöpfung und glücklich! Der Streit um die rechte Verkündigung Stattdessen streitet man sich darüber, wie modern Verkündigung heute sein darf. Seelsorger, Lehrer, Katecheten, Eltern, Gemeindemitglieder streiten über die Rechtgläubigkeit in Predigt und Unterricht, werfen einander entweder Verfälschung und Verkürzung der überlieferten Lehre oder umgekehrt Unkenntnis, Unaufgeschlossenheit, starres Festhalten am Alten vor. Was kommt dabei heraus, vor allem wenn man nicht mehr aufeinander hört, sich feste Fronten, Parteiungen bilden, die Einheit im Glauben in Frage gestellt wird? Viele resignieren, andere gehen in Opposition, hier fühlt man sich verunsichert, im Stich gelassen, verraten, dort ärgert man sich über die ewigen Nörgler, über die Abseitsstehenden, die nirgends mittun, die ewig Gestrigen - wie soll da etwas anderes gedeihen als eben besagte Gereiztheit und Humorlosigkeit? Natürlich gibt es auch dies: daß man das Problem sieht, die Unausweichlichkeit erkennt, den überlieferten Glauben in unseren Erfahrungshorizont zu übersetzen, auf unsere Fragen hin zu aktualisieren. Wo das der Fall ist, erkennt man, wie schwierig ein solches Unterfangen ist, da weiß man, daß es nicht auf den ersten Anhieb gelingen kann, daß Fehler unvermeidlich sind und man miteinander im Gespräch bleiben muß. Damit wächst dann auch das Verstehenwollen und das Verantwortungsbewußtsein: man laß sich korrigieren, hat Geduld, nimmt aufeinander Rücksicht. Und mit dem Einheitsgrund des Glaubens, der dann wieder stärker in den Blick kommt, winkt auch wieder die Freude am Wort Gottes, ein Freude, die im Ringen um die Wahrheit für unsere Generation oft ganz neu erschlossen wird. Nur: so weit ist es in vielen Kreisen und Köpfen im Augenblick noch nicht. Leiden an der Amtskirche Ein noch wunderer Punkt, an den ich schon seit längerem rühre, ist das Problem nicht nur mit einer irgendwie schwierigen Kirche, sondern ganz konkret mit der Kirche als Institution. Wie die Synodenumfrage ergeben hat, meinen viele, wenn sie sagen, sie hätten Glaubensschwierigkeiten, in Wirk- Freude am Glauben - wer glaubt uns das? 415 lichkeit nicht so sehr ihre Probleme mit Glaubensinhalten als mit Normen, die ihrer Ansicht nach von der Amts- und Rechtskirche erlassen werden und schwer verständlich scheinen, ja bisweilen diametral verschieden von Gottes Liebe und Jesu Verständnis für unsere Nöte und Bedürfnisse. Dergleichen war auf der bundesdeutschen Synode oft und mit leidenschaftlicher Lautstärke zu hören. Was die Abneigung gegen die Institution Kirche angeht, so reicht das Phänomen weit über den kirchlichen Raum hinaus: möglichst wenig staatliches Reglement und Bürokratie, heißt es; Institution ist Herrschaftsstruktur, Manipulation, Bevormundung, Eingriff in die Rechte und die freie Entscheidung des Einzelnen. Liberalität wird wieder einmal groß geschrieben; alle Parteien beanspruchen sie für sich. Analoges gibt es in der Kirche: Jesus ja, Kirche nein; Nachfolge Christi ja, aber nicht auf vorgeschriebenen Geleisen. Das sogenannte Leiden an der Amtskirche ist hier anzusiedeln; es hat zu tun mit dem Institutionstrauma ganz allgemein, mit der Gegenreaktion auf eine verordnete, auf bestimmte Verhaltensweisen festgelegte Gesellschaft. Nur ein paar Stichworte: der priesterliche Zölibat, die Enzyklika •Humanae vitae" über die Geburtenregelung, die •Erklärung der Glaubenskongregation zu einigen Fragen der Sexualethik", die Pastoral der Geschiedenen, die Undurchschaubarkeit des römischen und überhaupt des kirchlichen Apparates usw. Wir wissen, was gemeint ist. Wie jedermann, will heute auch der Christ als Christ autonom sein, kein Befehlsempfänger, sondern •kreativ", vital, frei. Aber leider (oder Gott sei Dank) gibt es ohne Bindung keine Freiheit und so auch keine Freude. Unlust am Gottesdienst Mit dem Institutionstrauma hat auch die weitverbreitete Unlust am offiziellen Gottesdienst etwas zu tun. Wollte nicht die Liturgiereform das Gemeinschaftsbewußtsein, das Miteinander der Gläubigen stärker zum Bewußtsein bringen und persönliche Begegnung fördern? Das Gegenteil scheint eingetreten zu sein. Die Muttersprache läßt erst recht empfinden, daß die Sprache des Gottesdienstes nicht die unsere ist, sagen die einen; dazu kommt, daß alles festgelegt ist und noch mehr als früher die Routine spürbar wird - kein Platz für Spontaneität. - Zu unruhig und subjektiv, sagen die anderen; immer wieder etwas Neues und überall anders; viel Willkür, der Tummelplatz für den schlechten Geschmack des Kaplans zum Heulen ist das, nicht zum Freuen. In der alten (lateinischen) Messe fühlten wir uns zuhause; da war noch Gewachsenes, Gestalt, die Ehrfurcht und Andacht aufkommen ließ. Aber heute? - Wieso Sonntagspflicht? sagen die dritten. Ich bete, wenn es mich drängt; ich kann meine Glaubens- Corona Bamberg 416 äußerungen nicht kommandieren. Ausgerechnet am Sonntag soll ich in die Kirche gehen? Wo doch der Sonntag der einzige Tag ist, an dem ich so sein darf, wie ich bin. - Und so ließe sich weitermachen. Zeigen unsere Gottesdienste normalerweise viel Freude und machen sie froh? Holen sie einen heraus aus dem Verschleiß der Arbeitswoche, aus der Dumpfheit und dem Trübsinn - und so, daß andere es uns glauben können, und zwar nicht nur in der Kirche? Für Aussiedler aus Polen und Rußland, so erzählte kürzlich eine alte Caritasschwester aus Friedland, gehört es zu den großen Ernüchterungen, nicht nur halbleere Kirchen bei uns zu erleben, sondern Menschen darin, die aussehen, als hätten sie Zahnweh. In der Freiheit des Westens, meinen diese Aussiedler, müßte doch Freude am Glauben zu finden sein - Hand in Hand übrigens mit der Liebe zur Kirche, wie sie aus Anlaß der Schließung einer ukrainischen Kirche 1975 in folgender Bittschrift an die Regierung und den Patriarchen von Moskau und ganz Rußland zum Ausdruck kam: •Während des Krieges haben unsere Gläubigen auf Geheiß der Geistlichen dem Staat geholfen mit Geld, Kleidung und Lebensmitteln. Warum will man uns jetzt unsere letzte Freude nehmen?" - Unsere letzte Freude die Kirche? Und was erst das Beten angeht... Sicher zeigt sich eine gewisse Verkopfung von Theologie und Verkündigung nicht nur in der vielberedeten •Entrümpelung" unserer Gottesdienste, sondern macht sich überhaupt bemerkbar in unseren vielen Schwierigkeiten mit dem Beten und speziell mit der Gebetssprache. Was das Beten angeht: es gibt unzählige Bücher, Artikel, Kurse, Methoden und Diskussionen darüber; Freude kommt erst auf, wo einer die Barrieren seiner Skepsis, seiner Hemmungen und seiner Lethargie übersprungen hat und wieder anfängt, das Herz im Gebet sprechen zu lassen. Sicher: Wir brauchen Hilfen; wir brauchen sogar eine Neubegründung des Gebets heute. Aber trotz allem kommen wir nicht darum herum, einfach schlicht zu beten. Gott ist lange tot, wußte der junge Mann. Seltsam, wunderte sich der alte Pater, vor einer Stunde noch sprach ich mit ihm12. So einfach wäre das. 12 L. Zenetti, Worte der Zuversidit, 1975, S. 158. Freude am Glauben - wer glaubt uns das? 417 Freilich: Wie spricht man mit Gott? Wie vor allem gemeinsam? Ob ein Ausweichen in den Jargon besser ist als die unmoderne Sprache der Psalmen? Ob jazz-ähnliche Lieder mit dürftigem Inhalt weiter helfen, wie man sie in manchen Jugendgottesdiensten oder in manchen charismatischen Gruppen erleben kann? Ob selbst das offizielle •Gotteslob" der Weisheit letzter Schluß ist? Immerhin finde ich interessant, was Curt Hohoff vor einiger Zeit über das neue Einheitsgesangbuch im Rhein. Merkur schrieb13: •Viel Klage ... Das Wörtchen ,ich' kommt sehr oft vor; der einzelne ist allein. Die Kehrseite, der Dank, kommt knapper weg .. . obwohl die deutschen Katholiken Gründe genug zum Danken und Loben Gottes haben, nicht nur im Vergleich mit Rußland, Asien und Afrika, sondern fürs Überleben, für Freiheit, Wohlstand und Reichtum". Aber, meint Hohoff, und damit trifft er wohl ins Schwarze, •Wohlfahrt saugt der Kirche das Blut aus den Adern". Ähnliches kann man hören über das neubearbeitete evangelische Liederbuch •Wachet auf"14. Es spiegele sich in diesem Liedgut die Verunsicherung des Gottesvolkes, heißt es, die manchmal bis zum Nichtssagenden reichende Sprache der Theologie. H. U. v. Balthasar nennt Entsprechendes im katholischen Bereich: •Gebetsloses Gerede". - Ob das alles Freude macht? Unaufgearbeitetes Verhältnis zur Lust Einerseits also •viel Klage" in unseren Liederbüchern; anderseits aber ein unter Christen immer noch vorhandener Moralismus, der besonders hart zusammenprallt mit der Lustversessenheit und seltsam korrespondiert mit der Lustlosigkeit unserer westlichen Gesellschaft. Ein Tatbestand von besonderer Relevanz, wie mir scheint, für unsere Frage nach fehlender oder verhinderter Freude am Glauben heute. Was ist gemeint? Es ist bekannt, daß der puritanische Geist, und in seiner katholischen Variante eben der Moralismus, über das Christentum hinaus das allgemeine gesellschaftliche Leben, auch und gerade des liberalen Bürgertums, in seinen sittlichen Maximen bis in dieses Jahrhundert hinein stark geprägt hat. Während er in der säkularen Welt aber immer mehr - vor allem nach den beiden Weltkriegen - zum Verschwinden kam, blieb er bei praktizierenden Christen, bei katholischen stärker als bei evangelischen, erhalten. Ja, der rapide Abbau verbindlicher sittlicher Wertmaßstäbe in der heutigen Wohlstands- und Konsumgesellschaft hat ihm neuen Auftrieb 13 14 20. August 1976, S. 20. Vgl. Gebetsdienst, Juni 1976, S. 8 ff. Corona Bamberg 418 gegeben, bis zu den extremen Formen eines ethischen Rigorismus und eines Asketismus mit ihrer Freudlosigkeit, wie sie etwa in Gruppen integraler Christen unserer Tage angetroffen werden. Dabei zeigt sich, daß in offiziellen Kreisen der Kirche, die für das moralische Bewußtsein des Kirchenvolkes maßgebend waren, das christliche Verhältnis zu Vergnügen und Lust nie ganz aufgearbeitet worden ist. Irgendwo im Untergrund klingt als Devise für christliches Vollkommenheitsstreben immer noch die Mahnung mit: •Halte jede Lust und alles Angenehme von vornherein für verdächtig"15. Aus dieser Sicht gelten das Schwerere und der Verzicht schon an sich als das Vollkommenere. Stimmen dieser Art sind bei extrem und fast sektiererisch Konservativen durchaus noch zu hören. Als Gegenreaktion auf solche bis in die Gegenwart hinein wirksam werdende Strömung aber nun das lauthals proklamierte •Recht auf Lust", die landauf, landab propagierte Notwendigkeit, seinen schöpferischen Trieben Spielraum zu geben, um Selbstentfremdung zu überwinden und seine Identität zu finden. Auch dort, wo dabei nicht einem ethischen Laxismus das Wort geredet wird, fixiert der Mensch doch so sehr sich selbst, daß die alles Eigene vergessende Freude, die Heiterkeit, von der oben die Rede war, wieder nicht aufkommen kann. Es liegt auf der Hand, wie schwer es einer hat, die keineswegs widernatürliche, aber den Tendenzen der heutigen, auch kirchlichen Gesellschaft zuwiderlaufende Freude am Glauben glaubhaft zu machen, ja sie auch nur in sich aufkommen zu lassen. Wie soll man sich durchfinden? •Halte die Gebote und du wirst leben", sagt die Schrift und der Pfarrer. •Halte dich an die Normen der Kirche in Fragen der Sexualmoral, von Ehe und Familie, und du wirst ein Neurotiker", sagen die Psychologen. Es scheint vielen wie ein Dilemma: Entweder verkrampft man sich in einer Gewissenhaftigkeit, die doch nie reicht, oder man pfeift auf alle Norm und schwimmt sich frei - aber wo landet man in Wirklichkeit? Und was ist bedenklicher: der Ausfall oder auch nur die Minderung der vitalen Antriebe (gepaart mit Trägheit des Herzens, Lieblosigkeit, Bequemlichkeit, Egoismus, feigem Sich-Anpassen) oder aber eine Beliebigkeit, für die nichts mehr zählt als die Lust am Privaten? Oft folgt man dann der •Unlust am Verbindlichen überhaupt", bis hin zur Unfähigkeit nicht nur zur Freude am Glauben, sondern schließlich zu allem, was Menschsein unausweichlich kostet. 13 A. Görres, Pathologie des katholischen Christentums, in: Handbuch der Pastoraltheologie II, 1, S. 321. Freude am Glauben - wer glaubt uns das? 419 Vereinsamung Um so gravierender schließlich das Schwinden von Räumen der gegenseitigen Bestätigung, des Gesprächs, der Geborgenheit, auch der Begeisterung für ein gemeinsames Ziel, wie wir es früher in der Jugendbewegung hatten, in Verbänden und Vereinen und immer wieder doch in einer echten, christlichen Familie. Nicht von ungefähr ist der Gruppentrend heute so groß geschrieben. Die Anziehungskraft charismatischer Gruppen, die starke Frequenz von Meditationshäusern und -tagungen, den auffallenden Zustrom zu neueren geistlichen Gemeinschaften (Fokolare, Charles de Foucauld usw.) erkläre ich mir auch von daher. Aus der Erfahrung des eigenen Klosters kenne ich das außerordentliche Bedürfnis vieler Menschen aus allen Schichten, irgendwo aufgenommen zu sein, wenn auch nur für ein paar Tage, nicht immer sich allein behaupten und durchbeißen zu müssen. Ganz dringlich stellt sich hier die lebendige Gemeinde als Aufgabe, eine Aufgabe, die gewiß nicht nur den priesterlichen Seelsorgern überlassen werden darf - wie oft sind sie so überbeansprucht, daß sie kaum Zeit finden zu einem ruhigen Gespräch oder einem Hausbesuch. Es müßte uns alle beunruhigen, wieviel Vereinsamung es gibt auch unter Glaubenswilligen, speziell unter unverheirateten Frauen, und eben keine sich mitteilende Freude. Stattdessen •Ich" als Thema Nr. 1: verdrossen, aufbegehrend, protestierend. Die menschliche Subjektivität wird so groß geschrieben, auch unter Christen und in den Kirchen, daß objektive Gegebenheiten (Sakrament, Amt, Tradition, Lehre u. dgl.) wie noch nie in der Geschichte aus dem Blick kommen. Womit wir auf unserer •tour d'horizon" zum Ausgangspunkt zurückkehren: Gottes Botschaft als verwehte Spur in einer Alltagswelt, in einem egozentrischen Lebensgefühl, das durch eine tiefe Kluft getrennt ist von der Welt des Glaubens, in der Gott Begegnung feiern will und der Mensch, in sich versponnen, das gar nicht merkt. Damit wird auch die Freude am Glauben zur •verwehten Spur". III. Was soll, ja was muß geschehen? Kein Mensch kann ohne Freude leben; der Christ ist ohne Freude aber von vornherein tot. Das wußte man im Mittelalter noch, wenn im Osterlachen der Liturgie die Glückseligkeit über das ganz neue Leben aus Kreuz und Tod vital und gläubig zugleich aufklang und die Kirchen füllte. Was soll geschehen, daß auch wir wieder Menschen der Freude werden, und dies zuletzt aus keinem anderen Grund, als weil wir Glaubende, weil wir Christen sind? Corona Bamberg 420 Mit einem Sich-Anpassen um jeden Preis, mit einem Ausweichen gar der kirchlichen Verkündiger und Amtsträger auf den Platz eines Diskussionspartners unter anderen ist nichts geholfen: die Kluft zwischen Gottes und des Menschen Welt schließt sich so nicht, ja die Kirche wird •uninteressant, wenn sie nur das sagt, was andere ebenfalls und genau so gut sagen können" (so H. Thielicke schon vor Jahren). Das heißt nicht, daß man statt dessen den ewig Sicheren und Überlegenen spielt, es heißt auch nicht, daß man nur contra zu geben sucht - womöglich mit der penetranten Absicht, Kirche, Glauben zu einer spannenderen Angelegenheit zu machen und damit •Spaß" am Glauben zu wecken. Freude am Glauben ist mehr als bloß •Spaß", der sich dort einstellt, wo mich etwas interessiert oder auch reizt: Kritik, Auftrumpfen, Madigmachen u. dgl. Allerdings möchte ich meinen, daß wahres •Inter-esse", das heißt: Dazwischen-sein, Sich-Engagieren in einem entschiedenen, eindeutigen Bekenntnis, mit dem Mut zum Risiko tatsächlich auch mehr Spaß machen würde, Hand in Hand mit echter Glaubensfreude, wie sie in der fast heiteren Gelassenheit so manches christlichen Widerstandskämpfers oder im Humor eines heiligen Thomas Morus noch am Schafott überzeugend zum Ausdruck kam. Was noch zu einer anderen Überlegung führt. •Wohlstand saugt der Kirche das Blut aus den Adern", hörten wir von C. Hohoff. Wenn unser Glaube oft so blutarm ist, daß er unser Alltagsleben kaum noch färbt oder durchpulst, wenn man uns infolgedessen Freude daran oder daraus nur ausnahmsweise ansehen und abnehmen kann • liegt es nicht auch daran, daß wir zuviel haben und zuviel festhalten? Zu vieles hält dann auch uns fest: Dinge, Menschen, Pläne, vorläufige oder fragwürdige Werte, unsere Schuld, unsere Sorge, die Angst, wir selbst. Irgendwo sind wir alle der Narr im Evangelium, der Schätze aufhält - und Gott fordert doch noch in dieser Nacht vielleicht sein Leben, seine Seele. Ist nicht der Kern des Evangeliums die Bergpredigt mit ihren Seligpreisungen? Und gilt deren erste nicht den vor Gott Armen? Denen also, die aus sich nichts haben, sondern sich alles schenken lassen; denen, die alles loslassen und so ihre Freude finden im Gott der Gnade, der Vergebung, der Verheißung? Vom •Kindersinn der christlichen Hoffnung" gibt nach J. B. Metz diese Freude keine Ahnung, läßt sie einen Schimmer erkennen. Man läuft ihr vergeblich nach, wenn man nicht den Weg der Nachfolge geht. Für uns gefallene, verblendete Menschen heißt dieser Weg immer zuerst und immer wieder Umkehr. Er führt durch die finstere Schlucht, von der der Psalmist weiß, durch die •Vakuumsneurose", wie man heute sagt und erfährt; er konfrontiert mit der grauenhaften Armut eines Menschen, eines Menschseins, einer Welt ohne Gott. Er ist ein Weg nicht der vordergründigen Lebensfreude, sondern der tiefgründigen Beraubung, der hiesigen Traurig- Freude am Glauben - wer glaubt uns das? 421 keit, des schrittweisen Sterbens. Er ist aber auch der Weg Jesu, der im Stall begann und am Kreuz in jene äußerste Armut führte, die uns •heute noch" mit ihm im Paradies sein läßt. Was also soll geschehen? Die Frage des heutigen Abends bleibt gestellt, sie bleibt als Stachel, und es wäre schlimm, wenn wir uns darüber beruhigen könnten. Aber so wenig es hier Patentlösungen gibt, so wenig überhaupt selbstgefertigte Lösung: es gibt Erlösung. Die Frage, die wir Menschen offen lassen müssen, ist von Gott bereits beantwortet: seine Freude ist unter uns •erschienen". Paulus nennt sie: •Gottes Güte und Menschenliebe" (Tit 3, 4). Ihr Zeichen: •ein Kind, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend" (Lk 2, 12). Der Weg dorthin: suchender, aufbrechender Glaube, der mitten in der Nacht, vielleicht in der Wüste, in der Frage und in der Feier erfahren darf, daß •kein Platz für Traurigkeit" mehr ist, weil •der Geburtstag des Lebens" angebrochen ist (Leo der Große). Das allerdings müßte dann geschehen: daß einer dem anderen weitersagt, was er unterwegs erfahren hat, was Engel und Stern den Hirten und Magiern be-deuteten. Geschehen müßte, daß wir uns wie sie auftun für die •sehr große Freude", die uns - in aller Verhüllung dieser Zeit - kommt von unserem Gott. Kirche für die anderen Medard Kehl SJ, Frankfurt/Main Vor einigen Wochen hatte ich Gelegenheit, an der Primizfeier eines Mitbruders in einer sog. •gut katholischen" Pfarrei teilzunehmen. Beim Einzug wurde das bekannte Kirchenlied gesungen: •Ein Haus voll Glorie schauet", dessen erste Strophe mit dem schönen Vers endet: •O laß im Hause Dein uns all geborgen sein!" An der Begeisterung, mit der alt und jung dieses Lied sangen und mit der es auch sonst weithin in katholischen Kirchen gesungen wird, läßt sich deutlich ablesen, daß hier keineswegs ein vergangenes Kirchenbild kultiviert wird. •Kirche für die Gläubigen", Kirche als Heimat und bergender Raum für glaubende Menschen - das ist und bleibt eine entscheidende, jederzeit gültige Erfahrung des Christen von seiner Kirche. Daneben hat sich aber in den letzten Jahren, vor