Von den Anfängen bis heute – Die Entwicklung der operativen Geburtshilfe Priv.-Doz. Dr. Christoph Domschke Universitätsfrauenklinik Heidelberg Wandel von der Geburtsmedizin über 2000 Jahre zur Frauenheilkunde • Zentrales Problem bis ins 20. Jahrhundert: Geburt • Zentrales Problem heute: Onkologie – das Mammakarzinom Beides beeinflusst das Bewusstsein einer gesamten Bevölkerung enorm. Wandel in der Frauenheilkunde • Neugeborenen-Sterblichkeit im Mittelalter bis 70 % • Neugeborenen-Sterblichkeit im 19. Jahrhundert bis 50 % • Kinder-Sterblichkeit Berliner Charité 1920: 23 % • Im Mittelalter hatte eine Durchschnittsfamilie 9 Kinder, 2-3 davon überlebten das Kindesalter • Müttersterblichkeit • J.S. Bach: Von 2 Frauen 20 Kinder, davon 10 im Säuglings-/Kleinkindesalter verstorben Mütter-Sterblichkeit in Deutschland pro 100.000 Lebendgeburten Frankfurter Geburtshilfe Roeslin - 1509 Arzt in Frankfurt a.M. verfasste das erste gedruckte deutsche Hebammenbuch: „Der Schwangeren Frawen und Hebammen Rosegarten“ 1513 Frankfurter Geburtshilfe Roeslin gibt in seiner Einleitung eine poetische Schilderung der Unwissenheit damaliger Hebammen und schildert den Zweck seines Buches: „dass nit so vil Mort wurd geschehen, als oft und dick ich`s hab gesehen“. Neben fundierten Erkenntnissen werden auch Aberglauben weitergegeben: Einsalbungen der Geschlechtsteile mit Taubenmist und Habichtskot usw. werden empfohlen. Die Zugkraft von Magneten sollten ebenso helfen, wie das Trinken von Tinte, mit der zuvor Psalmen aufgeschrieben wurde. 1. Mose 38,28 ff Frankfurter Geburtshilfe Goethe gibt zu verstehen, dass er mit seiner Hebamme nicht einverstanden war und beschreibt seine Geburt 1749 folgendermaßen: „Am 28. August 1749, mittags mit dem Glockenschlage zwölf, kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt. Die Konstellation war glücklich; die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau, und kulminierte für den Tag; Jupiter und Venus blickten sie freundlich an, Merkur nicht widerwärtig; Saturn und Mars verhielten sich gleichgültig: nur der Mond, der soeben voll ward, übte die Kraft seines Gegenscheins um so mehr, als zugleich seine Planetenstunde eingetreten war. Er widersetzte sich daher meiner Geburt, die nicht eher erfolgen konnte, als bis diese Stunde vorübergegangen. Diese guten Aspekten, welche mir die Astrologen in der Folgezeit sehr hoch anzurechnen wußten, mögen wohl Ursache an meiner Erhaltung gewesen sein: Denn durch Ungeschicklichkeit der Hebamme kam ich für tot auf die Welt, und nur durch vielfache Bemühungen brachte man es dahin, daß ich das Licht erblickte. Dieser Umstand, welcher die Meinigen in große Not versetzt hatte, gereichte jedoch meinen Mitbürgern zum Vorteil, indem mein Großvater, der Schultheiß J.W. Textor, daher Anlaß nahm, daß ein Geburtshelfer angestellt und der Hebammenunterricht eingeführt oder erneuert wurde.“ Problem der Geburtshilfe vom Altertum bis ins 19. Jahrhundert: Es gab nur einen Weg: die vaginale Entbindung Wenn die Geburt nicht auf vaginalem Wege zu bewältigen war, bedeutete dies fast immer den Tod von Mutter und/oder Kind. Problem der Geburtshilfe vom Altertum bis ins 19. Jahrhundert: Die Notwendigkeit einer vaginalen Entbindung bringt mit sich: • • • • • lange Geburtsdauer erhebliche Geburtsverletzungen Infektionen u.U. Zerstückelung des Kindes Uterusruptur Franz Carl Naegele (1810-1851) Historisches: • Tritt das Erbe seines Schwiegervaters an • Kindsbettepidemie Wirken: • 1805-1810 Geburten von 12 auf 161/a Tendenz ↑ • 1830 Lehrbuch "Geburtshilfe für Hebammen„ Zukunft: • Pionier einer wissenschaftlichen Geburtshilfe – Naegele-Regel – verengtes Naegele-Becken, Asynklitismus – Naegele-Zange Franz Carl Naegele (1810-1851) Überwachung des Kindes unter der Geburt Bis ins 19. Jahrhundert trat das Kind erstmals nach der Geburt in den Bereich der Beurteilungsmöglichkeit. Das bedeutet: es gab bis dahin keine kindliche Indikation zur geburtshilflichen Intervention. 1863 bezeichnete Jacob Katz in seiner Medizinischen Dissertation (Marburg) die fetale Auskultation als „epochenmachend“ und „scharfsinnigste und zugleich segensreichste Entdeckung der Neuzeit“. Die Geschichte des Kaiserschnitts Zum Kaiserschnitt führte die verzweifelte Erkenntnis, dass nur mittels dieses Eingriffes die letzte Chance verbleibt, ein Menschenleben zu erhalten. Früher verliefen schwere geburtshilfliche Operationen für Mutter und Kind fast immer tödlich. „Hatte die Gebärende ein zu enges Becken, konnte sie mit ihrem Leben abschließen.“ Obwohl man den Kaiserschnitt seit Jahrhunderten kannte, wurde er meist nur an der verstorbenen oder sterbenden (!) Mutter durchgeführt. Die Geschichte des Kaiserschnitts Die Bezeichnung „Kaiserschnitt“ soll auf die entsprechende Geburt des Kaisers Julius Caesar (11044v.Chr.) zurückgehen, was wenig wahrscheinlich ist, da dessen Mutter überlebte. Auch Asklepois (Aesculap) soll per Kaiserschnitt das Licht der Welt erblickt haben. Der Kaiserschnitt macht aus dem Kind etwas Göttliches, Unantastbares - Mystisches Der Kaiserschnitt und die Kirche Trierer Verfügung 1310: „Wenn eine Frau während des Gebärens stirbt und das Kind noch im Mutterleib ist, so muß man diesen sogleich öffnen und das Kind, falls es noch lebt, taufen. Ist es tot, so ist es außerhalb des Gottesackers zu begraben. Wenn eine Frau nicht gebären kann und das Kind nur den Kopf aus dem Mutterleib hervorstreckt, so muß die Hebamme Wasser darüber gießen mit den Worten: „Ich taufe dich im Namen...“ Schweizer Kanton Thurgau 1500 „Die Frau des „Schweinsschneiders“ J. Nufers erwartete ein Kind. Die Niederkunft erwies sich als lang und schwierig, doch das Kind wollte nicht kommen. Dreizehn Hebammen bemühten sich um die arme Frau. Als die Schmerzen immer stärker wurden und das Kind noch immer auf sich warten ließ, meinte der Ehemann zu seiner Frau, wenn sie ihm vertraute, wolle er eine Operation wagen, die, mit Gottes Hilfe, gelingen könne. ... Der Mann öffnete, wie bei einem Ferkel, mit einem einzigen Messerschnitt den Bauch. Sodann zog er mit einem Griff das Kind hervor. Die neuere Zeit 16.-18. Jahrhundert 1543 beschreibt Serveto den kleinen Kreislauf 1564 wird der Ductus arteriosus und venosus beschrieben 1598 beschrieb Ruini den großen Kreislauf 1604 beschreibt Fabricius sehr ausführlich die Embryologie und unterscheidet zwischen Lage und Haltung des Kindes in utero. Die Geburtshilfe in Deutschland vom 17.-18. Jahrhundert 1687 wird von Voelker die bimanuelle Untersuchung sowie der Kaiserschnitt mit Schnittführung in der Mittellinie beschrieben Im 18. Jahrhundert (1751) wird die erste geburtshilfliche Klinik in Deutschland von Roederer in Göttingen gegründet. Roederer führt selbst den Kaiserschnitt zweimal durch - mit unglücklichem Ausgang. Der Kaiserschnitt Bis ins späte 19. Jahrhundert wurde durch den Kaiserschnitt mehr Leben vernichtet als gerettet. Erst die Erfindung der Anästhesie (Morton und Warren 1846) und vor allem die Beachtung der Regeln der Keimfreiheit (Lister 1867) in der Mitte des 19. Jahrhundert, machten den Kaiserschnitt zu einem weniger riskanten Eingriff. Der Kaiserschnitt Statistik des großen Wiener Gebärhauses: bis 1877 hat dort keine einzige Frau die Sectio caesarea überlebt! Die Uteruswunde wurde nicht zugenäht. Die Heilung der Gebärmutterwunde „hatte das Werk der Natur zu sein“. 1769 nähte Lebas erstmals die Uteruswunde, was von der Fachwelt nicht akzeptiert wurde. Der Kaiserschnitt 1826, 1829, 1832 und 1837 erhielt eine Frau Adametz 4 Kaiserschnitte, die Uteruswand wurde nie verschlossen. 1876 nimmt Porro in Pavia die Uterusexstirpation nach Sectio caesarea vor. Erst 1881 wurde von Max Sänger und Ferdinand A. Kehrer aus Heidelberg die Uterusnaht empfohlen und von nun an praktiziert. Ferdinand A. Kehrer (1881-1902) . Wirken: Neubau der Klinik für Geburtshilfe, Gynäkologie und „Frauenklinik“ 1884-1889 1150 Geburten, davon 3 Sectiones Reibungslose Überführung der gynäkologischen Operationen von Chirurgie in die Gynäkologie 25.9.1881: 1. Kaiserschnitt Verbesserung der Uterus- und Peritonealnaht Kehrer argumentiert für den uterinen Querschnitt Bauerhaus Meckesheim Der Kaiserschnitt Noch um die Jahrhundertwende liegt die kindliche und mütterliche Sterblichkeit bei 10%. 1920 werden erst 25% der Kaiserschnitt nach heutiger Methode durchgeführt. 1950 sinkt durch die Verfügbarkeit von Antibiotika die Letalität auf 1%. 1985 wird die Letalität mit < 1 Promille angegeben. Was ist erreicht? Von der Geburtsmedizin zur Schwangerschaftsmedizin Die Probleme um die Geburt sind weitgehend gelöst Ungelöst sind Probleme in der Schwangerschaft: z.B Frühgeburtlichkeit Ursache: Alter Nikotin Alkohol Infektionen Geburtshilfe Schwangerschaftsmedizin Eine pränatale Diagnostik hat der Ultraschall ermöglicht. Früher hat erst die Geburt Fehlbildungen offenbart, es gab schicksalhafte Fügungen. Heute stehen wir während der Schwangerschaft vor dem Problem „dem Schicksal nachzuhelfen oder nicht!“. Sicherheit in der Geburtshilfe wird zur Selbstverständlichkeit Maternale und perinatale Mortalität (und schwere Morbidität) stellen scheinbar kein Schreckensszenario mehr dar. Google-Recherche „Geburtshilfe UND sanft-und-sicher“: 1420 Treffer. Geburtshilfe wird zum Gipfelpunkt in einer optimierten Schwangerenmedizin. Weiche Outcome-Parameter dominieren die Qualitätsbeurteilung. Qualitätskriterien „Marketing-entscheidende“ Kriterien: – Schwangerschafts- und Geburtserleben • Nach heutigen Kenntnissen unkomplizierte Spontangeburt und geplante Sectio gleichwertig • Sek. Sectio, Forceps, Vakuumextraktion sind dringend zu vermeiden. – Patientenzufriedenheit – wodurch auch immer! – Psychologische Aspekte • Früherkennung von Belastungssituationen • Management von Belastungssituationen – Sectiorate zählt nicht mehr Alles ist möglich ? Neue Anforderungen an die Geburtshilfe – Fallbeispiel aus der Schwangerenambulanz: ! • 47-jährige 2-G/1-P, Diabetes mellitus Typ I seit dem 11. Lebensjahr, letzte Geburt vor 12 Jahren (Präeklampsie!), nach dieser letzten Geburt terminale Niereninsuffizienz, mehrere Jahre Dialyse, vor 4 Jahren kombinierte Pankreas-NierenTransplantation, Vorstellung in der 16. SSW nach Eizellspende/ICSI in Polen • ? Neue Forderungen an die Geburtshilfe – Die Kollegen haben das gut gemacht, jetzt müssen Sie das auch gut machen…. Alles ist möglich ? • Ist es erst einmal ersonnen… • Techniken der gescholtenen Außenseiter (z.B. Severino Antinori) werden teilweise und ganz selbstverständlich Eingang in unser Fach finden – – – – Schwangere in höherem Lebensalter (jenseits der 50J) Eizellspende Klonen? Wenn nicht hier, dann anderswo…. Was beutet Geburtshilfe? Geburtshilfe bedeutet nicht mehr nur Kinder auf die Welt zu bringen, sondern moderne Geburtshilfe umfasst die gesamte Schwangerschaft mit Pränatalmedizin und Geburtsmedizin mit allen Wünschen, Werten, Erwartungen … Sie stellt gewissermaßen einen Spiegel der Gesellschaft dar und ist ein ethisches Spannungsfeld! Vielen Dank !! Universitätsfrauenklinik Heidelberg