Der schwere Asthmaanfall im Erwachsenenalter

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Schwerpunkt: Pneumologische Notfälle
Internist 2004 · 45:518–526
DOI 10.1007/s00108-004-1174-y
Online publiziert: 31.März 2004
© Springer-Verlag 2004
Schwerpunktherausgeber
P.v.Wichert, Hamburg
Definition und Diagnosestellung
Trotz der heute etablierten Leitlinien einer antientzündlichen und bronchodilatatorischen Dauertherapie kann es weiterhin zu schweren, u. U. lebensbedrohlichen Asthma-Exazerbationen kommen.
Asthmatodesfälle treten vorwiegend bei
chronischem, schwerem Asthma bronchiale auf, nur selten bei leichteren Asthmaformen [1]. Trotz zunehmender Asthmaprävalenz sind bedrohliche Asthmanotfälle in den letzten Jahrzehnten offenbar deutlich seltener geworden, parallel
damit hat die Asthmamortalität abgenommen (⊡ Abb.1).Dies kann möglicherweise in Zusammenhang mit der zunehmenden Umsetzung von Therapieleitlinien,
insbesondere der protektiven Wirkung
von (inhalativen) Glukokortikoiden gegen Exazerbationen stehen [4].
> Exazerbationen werden oft durch
mangelhaftes Krankheitsverständnis und Therapiefehler der
Betroffenen begünstigt
Ursache der Exazerbationen (Schweregradeinteilung s. ⊡ Tabelle 1) sind in 70%
der Fälle Infektionen mit pneumotropen
Viren bzw. Mykoplasmen, selten Bakterien. Bei allergischem Asthma kann eine
akute Allergenexposition zu schwerstgradigen Exazerbationen innerhalb von Minuten führen.Medikamente,insbesondere β-Blocker (auch Augentropfen!) und
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G. Schultze-Werninghaus1 · H.W. Duchna1 · K. Rasche2 · M. Orth1
1 Medizinische Klinik III,Berufsgenossenschaftliche Kliniken Bergmannsheil,Klinikum der
Ruhr-Universität Bochum · 2 Zentrum für Innere Medizin,Kliniken St.Antonius,Wuppertal
Der schwere Asthmaanfall
im Erwachsenenalter
Analgetika sind ebenfalls häufige Auslöser,insbesondere bei vorbestehendem (intrinsischem) Asthma.
Schwere, akute Exazerbationen werden – entgegen der Meinung von Patienten und Öffentlichkeit – nur selten durch
Witterung,industrielle Umweltnoxen oder
Nahrungsmittelbestandteile,wie Konservierungs- und Farbstoffe verursacht. Exazerbationen werden in erster Linie begünstigt durch Unter- oder Fehlbehandlung von Patienten mit Asthma sowie ein
mangelhaftes Krankheitsverständnis und
Therapiefehler durch die Betroffenen
selbst. Der zunehmende, evtl. unkontrolliert eingesetzte Bedarf an inhalativen β2Agonisten ist ein Indiz für die drohende
Gefährdung des Patienten durch seine
Asthmaerkrankung [1, 5].
Die Diagnosestellung bzw. differenzialdiagnostische Abgrenzung von anderen
Ursachen akuter Luftnot ist infolge einer
zumeist zu erfragenden Asthmavorgeschichte nicht schwierig. Es müssen aber
andere Komplikationen eines Asthma
bronchiale erwogen werden, wie Pneumonien,Pneumothorax,Lungenembolie,
seltener allergische bronchopulmonale
Aspergillose (ABPA) und Churg-StraussSyndrom.
Der schwere bis lebensbedrohliche
Asthmaanfall ist gekennzeichnet durch
eine erhöhte Atem- (≥25/min)- und Pulsfrequenz (≥120/min) und einen,falls messbar,deutlich erniedrigten Peak-Flow-Wert
(<100 l/min; [5, 15]; ⊡ Tabelle 1). Bei fort-
Begriffe und Einteilung
Der ältere Begriff des „Status asthmaticus“ wird zunehmend, entsprechend internationaler Empfehlungen,ersetzt durch
die Begriffe „akutes schweres Asthma“
(„acute severe asthma“) bzw. als Steigerung „lebensbedrohliches Asthma“ („life
threatening asthma“) oder auch „nahezu
tödliches Asthma“ („near fatal asthma“).
Die Exazerbationen des Asthmas sind gekennzeichnet durch eine innerhalb von
Minuten bis Tagen zunehmende erhebliche Atemnot, oft verbunden mit Husten
und giemender Atmung,in schweren Fällen auch mit Angst.
Abb. 1 ▲ Asthmamortalität in der Altersgruppe
5–34 Jahre (in dieser Altersgruppe sind die
Angaben in den vertraulichen Teilen der Totenscheine bzgl. der Todesursache „Asthma“ als
Grundlage der Statistik als zuverlässig einzuschätzen, anders als in der Gesamtstatistik
aller, vor allem auch der höheren Altersstufen;
Quelle: http://www.stat-bund.de)
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Schwerpunkt: Pneumologische Notfälle
Tabelle 1
Einteilung der Schweregrade von Asthma-Exazerbationen [5]
Schweregrade der Asthma-Exazerbation bei Erwachsenen a
Gering
Mäßig
Schwer
Bedrohlich
Dyspnoegrad
Gehen
Liegen möglich
Sprechen
Sitzen bevorzugt
In Ruhe
Vorgebeugt
Sprechen
Längere Sätze
Kurze Sätze
Worte
Aktivität
Evtl.agitiert
Meist agitiert
Agitiert
Atemfrequenz
Erhöht
Erhöht
Oft >30/min
Atemhilfsmuskeleinsatz,
suprasternale Einziehung
Meist nicht
Meist
Meist
Giemen
Mäßig, oft nur endexspiratorisch
Laut
Meist laut
Nicht vorhanden
Pulsfrequenz
<100
100–120
>120
Bradykardie
Pulsus paradoxus
Nicht vorhanden
<10 mmHg
Möglich
10 – 25 mmHg
Häufig
>25 mmHg
Fehlen signalisiert
Atemmuskelerschöpfung
Peak Flow nach β2-Agonist
(% Soll oder % individueller
Bestwert)
>80
~60–80
<60 (<100 l/min) oder
Wirkung β2-Agonist <2h
Benommen, verwirrt
Paradoxe thorakoabdominelle
Bewegung
paO2 (mmHg)
Normal
>60
<60
paCO2
<45
<45
Zyanose möglich
>45
SaO2 (%)
>95
91–95
<90
a Für die Klassifikation des Schweregrades müssen nicht alle Kriterien erfüllt sein.
geschrittener Schwere des Asthmaanfalls
ist der Patient agitiert,verwirrt und ängstlich.Auskultatorisch kann der Befund der
„stillen Lunge“ vorliegen,da nur noch geringe Atemgasmengen bei erniedrigtem
Atemzugvolumen transportiert werden.
Klinisch kann der Schweregrad des Asthmaanfalls hierdurch unterschätzt werden.
Weiterhin können eine Zyanose, tachyund bradykarde Herzrhythmusstörungen, eine Hypotonie, ein Pulsus paradoxus sowie inspiratorische Einziehungen
der Bauchmuskulatur auffallen (⊡ Tabelle 1).
Es gibt eine Anzahl von neueren Befunden, die darauf hinweisen, dass Patienten mit schweren und lebensbedrohlichen Exazerbationen ein durch pathophysiologische Besonderheiten gekennzeichnetes Subkollektiv des Asthma darstellen
[7, 8, 12, 14].
tomatik (⊡ Abb. 2). Die Erstmaßnahmen
bestehen aus:
Behandlung
Bei der weiteren Therapieplanung,insbesondere bei der Entscheidung, ob eine
Krankenhauseinweisung erfolgen muss,
ist das individuelle Risiko des Patienten
zu berücksichtigen. Eine besondere Bedrohlichkeit der Exazerbation ist beson-
Ambulante Erstmaßnahmen
Die Therapie der Asthmaexazerbation
richtet sich nach der Schwere der Symp-
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▂ initiale und wiederholte Inhalation
eines rasch wirkenden β2-Agonisten
(Fenoterol, Salbutamol, Terbutalin
etc., 2–4 Hübe eines Dosieraerosols
alle 20 min in der 1. Stunde); weitere
Dosierung nach Schwere der Exazerbation (bis 10 Hübe alle 1–2 h),
▂ anschließend Gabe eines oralen Glukokortikosteroids (0,5–1 mg/kg Prednisolonäquivalent in den ersten 24 h)
bei mäßigen bis schweren Exazerbationen, sofern nicht bereits nach Anwendung des β2-Agonisten eine rasche und vollständige Besserung eintritt,
▂ sofern verfügbar, unverzügliche
hochdosierte (≥2 l/min) Gabe von
Sauerstoff [5].
ders bei Patienten mit folgender Vorgeschichte bzw. Krankheitsverlauf gegeben
[1, 5]:
▂ Vorgeschichte mit bedrohlichem
Asthma, Intubation und apparativer
Beatmung,
▂ Krankenhaus- oder Notfallbehandlung in den vorausgegangenen
12 Monaten,
▂ Therapie mit oralen Glukokortikosteroiden oder deren kürzliches
Absetzen,
▂ keine inhalative Glukokortikoidtherapie,
▂ Patienten mit erhöhtem Verbrauch
kurz wirkender β2-Agonisten (mehr
als ein Dosieraerosol pro Monat),
▂ psychiatrische oder psychosoziale
Vorgeschichte, einschließlich Sedativa-Einnahme,
▂ mangelnde Therapietreue,
▂ schwere Exazerbation (PEF <60%
Soll/persönlicher Bestwert) trotz β2Agonistentherapie,
▂ mangelhafte Reaktion auf β2-Agonist
bzw. Glukokortikosteroid,
▂ weitere klinische Verschlechterung,
Zusammenfassung · Abstract
▂ zahlreiche weitere Verhaltensstörungen und psychosoziale Faktoren [1].
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Sofern die Ersttherapie nicht zu einer raschen Abnahme der Symptomatik führt,
die Exazerbation an Schwere weiter zunimmt oder die Kriterien der besonderen
Bedrohlichkeit erfüllt sind,ist eine unverzügliche Krankenhauseinweisung erforderlich.Bis zum Eintreffen des NAW wird
der Verbleib des erstversorgenden Arztes
beim Patienten empfohlen.
G. Schultze-Werninghaus · H.W. Duchna · K. Rasche · M. Orth
Kriterien für kontinuierliche
Überwachung bzw. Krankenhauseinweisung
Die Indikation zur Krankenhauseinweisung kann sich auf folgende Aspekte stützen:
▂ nicht ausreichende Reaktion oder
Verschlimmerung innerhalb von
1–2 h nach Erstbehandlung,
▂ persistierende schwere Atemwegsobstruktion (PEF <30% Soll/persönlicher Bestwert),
▂ Vorgeschichte: schweres Asthma, vorausgegangene Krankenhausaufenthalte wegen Exzerbationen, insbesondere mit Intensivbehandlung,
▂ Faktoren, die ein hohes Letalitätsrisiko signalisieren (s. oben),
▂ Schwierigkeiten der häuslichen Versorgung,
▂ weite Entfernung des nächstgelegenen geeigneten Krankenhauses, im
Hinblick auf mögliche weitere Verschlimmerung.
Der schwere Asthmaanfall im Erwachsenenalter
Zusammenfassung
Die Ursachen für einen schweren bzw.lebensbedrohlichen Asthmaanfall sind Infektionen mit
pneumotropen Viren oder Mycoplasma pneumoniae,weniger häufig bakterielle Infekte,darüber hinaus Allergene,unspezifische Reize,Medikamente sowie eine inadäquate Langzeittherapie.Die Basistherapie des schweren Asthmaanfalls stellen hochdosierte inhalative β2-Agonisten,systemische Glukokortikosteroide und Sauerstoff dar.Bei unzureichender Wirkung ist eine
Krankenhauseinweisung erforderlich.Hier sind
eine kontinuierlich überwachte intravenöse Medikamentenapplikation möglich,notfalls eine
Gabe von Sedativa,bei zunehmender Störung
der Atempumpfunktion mit alveolärer Hypoventilation auch eine nicht-invasive oder invasive
Beatmung.Ist letztere erforderlich,reduziert die
Anwendung einer permissiven Hyperkapnie die
Komplikationsrate.Die Bronchoskopie einschließlich Bronchiallavage findet im Falle steigender Beatmungsdrucke sowie bei Atelektasenbildung Anwendung.
Schlüsselwörter
Asthmaanfall · Status asthmaticus ·
Notfallmedizin · Intensivmedizin ·
Nicht-invasive Beatmung
Acute severe asthma in adults
Abstract
The underlying causes of acute severe or life
threatening asthma are infections with respiratory viruses or Mycoplasma pneumoniae,rather
than bacterial infections.In addition,exposure to
various agents such as allergens,non-specific irritants or drugs,and inadequate long-term treatment may be responsible.High flow oxygen therapy,high dose topic β2-agonists and systemic
glucocorticosteroids should be used as baseline
therapy in outpatients.In hospital,intravenous
therapy – eventually including sedatives – can
be administered under controlled or intensive
care conditions.In patients with increasing respi-
ratory pump weakness and alveolar hypoventilation,non-invasive and/or invasive mechanical
ventilation may be required.In ventilated asthma
patients permissive hypercarbia has been shown
to reduce complications such as pneumothorax.
Bronchoscopy and bronchial lavage are recommended for patients ventilated with increasing
pressures or when atelectasis occurs.
Keywords
Acute severe asthma · Status asthmaticus ·
Emergency medicine · Intensive care medicine ·
Non-invasive ventilation
Krankenhausbehandlung
Eine Krankenhauseinweisung sollte
großzügig erfolgen, zumal der weitere
Krankheitsverlauf auch nach anscheinend erfolgreicher Erstbehandlung nicht
sicher eingeschätzt werden kann. Die Indikationen zu den weiteren Maßnahmen
im Krankenhaus sind in ⊡ Abb. 3 aufgeführt [5].
Diagnostik
Die diagnostischen Maßnahmen bei
schwerer Exazerbation müssen, der Situation entsprechend, auf das wesentliche
konzentriert und parallel zu den theraDer Internist 5 · 2004
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Schwerpunkt: Pneumologische Notfälle
Abb. 2 Behandlung der
Asthma-Exazerbation.
(Nach [5])
peutischen Maßnahmen erfolgen.Hierzu
gehören – ggf.mit Hilfe von Angehörigen
– die kurze Erhebung des Beschwerdebildes und von dessen Verlauf, die aktuelle
und evtl. bereits notfallmäßig durchgeführte Therapie einschließlich deren Wirkung, Beobachtungen über die Auslösefaktoren der Exazerbation und Risikofaktoren (s. oben).
Die in ⊡ Tabelle 1 zusammengestellten
Befunde sollten erhoben werden, insbesondere um die Bedrohlichkeit einschätzen zu können. Auf jeden Fall sollte eine
arterielle Blutgasanalyse erfolgen (paO2,
paCO2, pH-Wert), ersatzweise kann die
Sauerstoffsättigung (SaO2) wichtige Informationen liefern. Sofern noch möglich,
sollte ein Röntgenbild des Thorax zum
Ausschluss von Komplikationen durchgeführt werden.Bei weniger schweren Exazerbationen sollte die Lungenfunktion
(Spirometrie) überprüft werden.
Im Verlauf sind engmaschige Kontrollen bis zum Eintritt einer anhaltenden
Besserung notwendig.Geeignete Parameter sind neben dem klinischen Bild (Dyspnoegrad? Erschöpfung der Atmung?) die
Sauerstoffsättigung (Pulsoximetrie) bzw.
arterielle Blutgasanalysen. Vor allem ist
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es von Bedeutung,rechtzeitig eine zunehmende respiratorische Insuffizienz zu erkennen (weiterer Abfall des paO2,Anstieg
des paCO2, Abfall des pH-Werts). Eine
Übernahme auf Intensivstation ist in diesen Fällen indiziert, um eine engmaschige Überwachung und ggf.eine unverzügliche apparative Beatmung zu gewährleisten (Evidenz D).
Therapie
Die therapeutischen Maßnahmen im Rahmen der stationären Versorgung umfassen
folgende Aspekte:
Sauerstoff. Es sollte versucht werden, die
Sauerstoffsättigung auf ≥90% zu heben.
Hierzu eignet sich eine Sauerstoffgabe
mittels Nasensonde oder Maske (Evidenz D).
β2-Agonisten. Hochdosierte schnell wirkende inhalative β2-Agonisten (Fenoterol,
Reproterol, Salbutamol, Terbutalin u. a.)
sind die wichtigsten Medikamente bei akutem Asthma (Evidenz A). Die Gabe von
schnellwirkenden β2-Agonisten,kann auch
bei schwerer Exazerbation mittels Dosieraerosol plus Spacer erfolgen,die Gabe mit-
tels Vernebler hat bei Erwachsenen keine
Vorteile (Evidenz A). Wiederholte Gaben
von β2-Agonisten sollten alle 15–30 min
erfolgen. Mögliche Nebenwirkung einer
hochdosierten Therapie mit β2-Agonisten
sind eine Hypokaliämie, Herzrhythmusstörungen, eine Steigerung der Herzfrequenz und ein Abfall des paO2.Die krankheitsbedingte Herzfrequenzsteigerung
darf jedoch nicht als β2-adrenerge Nebenwirkung missinterpretiert werden!
In schweren Fällen ist eine intravenöse Therapie mit β2-Agonisten (Reproterol,
Salbutamol) möglich. Diese Maßnahme
sollte möglichst weit hinaus geschoben
werden, da es sich hierbei um eine vergleichsweise nebenwirkungsreiche Therapie handelt. Vorsicht ist geboten bei
Herzfrequenzen >140/min und älteren Patienten (z. B. wegen des möglichen Vorliegens einer koronaren Herzkrankheit).
Nach neueren Empfehlungen soll eine i.v.Gabe von β2-Agonisten nur im Rahmen
von Studien an Patienten erfolgen,bei denen eine inhalative Applikation nicht
möglich ist [11].
Adrenalin. S.c., i.m. oder auch i.v. verabreichtes Adrenalin kann in Fällen von
Asthmaexazerbationen im Rahmen allergischer Reaktionen indiziert sein, insbesondere wenn Zeichen der Anaphylaxie,
eines Angioödems, bzw. eines Glottisödems bestehen. Bei schweren Asthmaexazerbationen ohne anaphylaktische
Symptome ist ggf. die i.v.-Gabe eines β2Agonisten vorzuziehen (Evidenz B).
Weitere Bronchodilatatoren. Die Kombination der Inhalation eines β2-Agonisten
mit einem Anticholinergikum (Ipratropiumbromid 0,5 mg 4- bis 6-stündlich) kann
zu einer verbesserten Bronchodilatation
gegenüber den Einzelsubstanzen führen
und sollte bei schwerer/lebensbedrohlicher Exazerbation eingesetzt werden (Evidenz A/B).
Der Stellenwert von Theophyllin ist
nicht exakt definiert. Es gibt Studien, die
eine zusätzliche Wirkung von Theophyllin in der Kombination mit β2-Agonisten,
Anticholinergika und i.v.-Glukokortikosteroiden zeigen; wegen der möglichen Nebenwirkungen wird Theophyllin heute jedoch zurückhaltend bewertet [1, 5].
Systemische Glukokortikosteroide. Die systemische Anwendung von Glukokortikosteroiden trägt zu einer raschen Beherrschung der Exazerbationen wesentlich bei
(Evidenz A).Die Wirkung der oralen und
intravenösen Darreichung ist gleich effektiv.Bei gastrointestinalen Begleitsymptomen und bei schwerer bzw. lebensbedrohlicher Exazerbation ist häufig die i.v.Gabe vorzuziehen. Der volle Wirkungseintritt benötigt wenigstens 4 h.Bei stationär behandelten Patienten ist die Gabe
von 50 bis maximal 100 mg/Tag Prednisolonäquivalent ausreichend (Evidenz B),
gegeben über bis zu 5 Tagen [1], mit Weiterbehandlung in reduzierter Dosis über
10–14 Tage (Evidenz D). Eine kürzer oder
länger dauernde langsame Reduktion der
Steroiddosis über Wochen hat keine Vorteile gezeigt (Evidenz B).
Inhalative Glukokortikosteroide. Diese haben ihren Platz in erster Linie in der Langzeittherapie,insbesondere in der Kombination mit langwirkenden β2-Agonisten
zur Prävention von Exazerbationen, entsprechend Stufenschema [1, 5, 15]. Das
Rückfallrisiko nach Asthmaexazerbationen sinkt,wenn orale plus inhalative Glu-
kokortikosteroide nach Entlassung aus
der Intensivstation verabreicht werden
(Evidenz B).Hochdosierte inhalative Glukokortikosteroide, z. B. 4×800 µg Budesonid/Tag,verhindern erneute Exazerbationen so wirksam wie 40 mg Prednisolon/Tag (Evidenz A). Die Bedeutung inhalativer Glukokortikosteroide während
Asthmaexazerbation lässt sich bislang
nicht eindeutig festlegen [3].
Magnesiumsulfat. Insbesondere bei geringem Therapieerfolg auf inhalative β2-Agonisten und bei lebensbedrohlichem Asthma kann eine i.v.-Gabe von Mg-Sulfat
(1,2–2 g/50 ml NaCl/20 min) hilfreich sein;
zu verabreichen nur von erfahrenen Ärzten [1, 10, 14].
Helium-Sauerstoff-Therapie. Bei schwerer
Exazerbation kann der Versuch unternommen werden,die Wirkung einer Sauerstoffgabe auf Atemwegsobstruktion und
Luftnot durch die Zumischung von Helium zu verbessern (Evidenz B); Kosten und
Verfügbarkeit limitieren diese Maßnahme, deren Stellenwert bislang nicht abschließend zu beurteilen ist [1, 6, 9].
Andere Behandlungsmöglichkeiten
▂ Antibiotika gehören nicht obligatorisch zur Therapie der Exazerbation;
trotz weicher Indikation wird man in
der vorliegenden lebensbedrohlichen
Situation immer dann antibiotisch
behandeln, wenn klinisch und/oder
laborchemisch Entzündungszeichen
festzustellen sind, die eine Beteiligung des Lungengewebes am Entzündungsprozess im Sinne einer
Pneumonie anzeigen oder wenn purulentes Sputum abgehustet wird.
▂ Mukolytika haben bei der Exazerbation keine gesicherte Indikation.
▂ Sedativa werden in der Mehrzahl aktueller Leitlinien wegen ihrer atemdepressiven Wirkung abgelehnt; es
gibt Berichte über einen Zusammenhang mit vermeidbaren Asthmatodesfällen [5].
Als persönliche Meinung sei angemerkt,
dass es unter den Bedingungen der Notfallaufnahme eines Krankenhauses und
insbesondere auf Intensivstationen durch-
aus hilfreich für die symptomatische Besserung einer schweren Dyspnoe sein
kann, den agitierten Patienten mild, z. B.
mit Benzodiazepinen, zu sedieren. Neuroleptika (z. B. Promethazin) stellen eine
sinnvolle Alternative für die Sedation dar
[15].
Kriterien für die Übernahme auf
eine Intensivstation und Intensivmaßnahmen
Die Aufnahme auf eine Intensivstation ist
in folgenden Fällen zu empfehlen:
▂ schwere Exazerbation ohne Besserung durch die Ersttherapie in der
Notaufnahme oder Verschlimmerung trotz adäquater Therapie,
▂ Verwirrtheit, Bewusstseinstrübung,
Erschöpfung (der Atmung),
▂ Hypoxämie trotz Sauerstoffversorgung,
▂ Hyperkapnie bzw. respiratorische
Globalinsuffizienz (paO2 <60 mmHg
[8 kPa] und/oder paCO2 >45 mmHg
[6 kPa]).
Eine Intubation und apparative Beatmung
kann erforderlich werden,wenn trotz optimaler Therapie eine weitere Verschlechterung einschl. zunehmender Erschöpfung des Patienten und Anstieg des paCO2
eintritt.
▃ Es gibt keine absolute Indikation zur
Intubation und apparativen Beatmung,
sodass diese Entscheidung auch auf den
Sachverstand des erfahrenen Arztes und
auf den klinischen Verlauf gestützt
werden sollte.
Eine Medikation mit Succinylcholin und
Ketamin wird empfohlen (Evidenz D).
Eine kontrollierte Hypoventilation wird
als Beatmungsverfahren bevorzugt (Evidenz C; [13]), mit einer Reduktion der
Komplikationshäufigkeit im Vergleich zu
anderen Beatmungsverfahren.Die Dauer
der Relaxation sollte möglich kurz gehalten werden.
Die Wirksamkeit der nicht-invasiven
Beatmung beim schweren bis lebensbedrohlichen Asthmaanfall wurde bisher
nur kasuistisch und in unkontrollierten
Studien belegt [2]. Entscheidend für den
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Abb. 3 Krankenhausbehandlung bei AsthmaExazerbation. (Nach [5])
Erfolg sind insbesondere die Kooperationsfähigkeit des Patienten und die subjektive Akzeptanz.
Die Vorteile einer invasiven Beatmung
sind die hierdurch erfolgende komplette
Übernahme der Atemarbeit,die Möglichkeit der besseren tracheobronchialen Absaugung und die effektiv mögliche Sedation bis hin zur Vollnarkose. Letzteres
kann in therapierefraktären Fällen die einzige Möglichkeit zur Durchbrechung des
Asthmaanfalls sein.Als Nachteile sind dagegen zu nennen, dass die Intubation bei
hochgradiger Dyspnoe schwierig und das
Risiko von Herzrhythmusstörungen bei
vorliegender Hypoxämie, Azidose, Therapie mit β2-Agonisten und evtl. Theophyllin nicht unbeträchtlich ist. Ein weiterer Nachteil der invasiven Beatmung ist
die Wegbereitung nosokomialer Infektionen durch den direkten trachealen Beatmungszugang.
Die Indikation zur Bronchoskopie mit
Bronchiallavage kann beim intubierten Patienten dann gestellt werden, wenn trotz
maschineller Beatmung keine ausreichende Oxygenierung zu erzielen ist,Atelektasen auftreten oder der Beatmungsdruck
über 40 mbar ansteigt.Letztendlich ist die
Datenlage zum Einsatz der Bronchoskopie
einschließlich Bronchiallavage beim schweren Asthmaanfall aber derart,dass ein routinemäßiger Einsatz nicht empfohlen wird.
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Schwerpunkt: Pneumologische Notfälle
Als persönliche Meinung sei kommentiert, dass bei Patienten mit bedrohlicher
Exazerbation und ohne adäquate klinische Besserung auf die Standardtherapie
eine Bronchiallavage zur Entfernung des
zähen, die Atemwege obturierenden Sekrets nicht selten die entscheidende Maßnahme zur Besserung der bedrohlichen
Situation darstellt. Ebenfalls aus persönlicher Erfahrung kann in dieser Situation
die bronchoskopische lokale,fraktionierte Instillation von Adrenalin (0,5–1 mg/
10–20 ml) zur Schleimhautabschwellung,
Bronchodilation und Förderung der Sekretmobilisation erfolgen.
Entlassung aus Intensivbehandlung
Bei Entlassung/Verlegung von der Intensivstation werden folgende Maßnahmen
empfohlen:
▂ Prednisolon für mindestens weitere
7–10 Tage,
▂ graduelle Reduktion der β2-Agonisten/ggf. Absetzen von Anticholinergika/Theophyllin—nach klinischer
und funktionsanalytischer Besserung,
▂ Einstellung auf inhalative Glukokortikosteroide, ggf. auf langwirksame
β2-Agonisten (Stufen 3–4 Asthmaschweregrad),
▂ Überprüfung der Inhalationstechnik
des Patienten sowie Training des
Peak-Flow-Meters zur zukünftigen
Selbstüberwachung des Krankheitsverlaufs,
▂ Versuch, die Ursachen der Asthmaexazerbation zu identifizieren,
ggf.Vermeidungsstrategien zu erörtern,
▂ Langzeittherapie und Therapie zukünftiger Exazerbationen mit Patient
festlegen und erklären,
▂ auf Zusammensetzung und Notwendigkeit eines häuslichen Medikamentenvorrats für Exazerbationen
hinweisen,
▂ Grundzüge der Dauertherapie besprechen, vor allem auf die Notwendigkeit und die Vorzüge einer Dauermedikation (=Dauerprophylaxe von
Exazerbationen) nach Leitlinien erläutern,
▂ möglichst Angehörige in die Erläuterungen einbeziehen, ggf. Notfall-
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adressen, -telefonnummern mitteilen,
▂ Notwendigkeit einer unverzüglichen
Vorstellung bei Hausarzt/Facharzt
zur Weiterbehandlung mitteilen,
Notwendigkeit weiterer Kontrollen
vermitteln.
Fazit für die Praxis
Die Exazerbation des Asthma bronchiale
stellt eine potenziell lebensbedrohliche Situation dar, die eine konsequente medikamentöse und ggf.intensivmedizinische Therapie
erfordert.Die Prävention dieser schwerstgradigen Komplikation des Asthma bronchiale
ist eines der Ziele der Dauertherapie dieser
Erkrankung.Die seit einigen Jahren verfügbare Kombination inhalativer Glukokortikosteroide und langwirkender inhalativer β2-Agonisten, insbesondere in fixer Kombination,
hat offenbar zu einer deutlichen Reduktion
des Risikos derartiger Komplikationen geführt, gemessen an der Zahl stationär behandlungsbedürftiger Asthmafälle und der
Letalität dieser Erkrankung, und dies trotz der
Zunahme der Asthmaprävalenz.Eine Umsetzung dieser erfolgreichen Therapiekonzepte
für alle Patienten mit Asthma bronchiale
muss daher das wichtigste Ziel aller an der
Versorgung von Asthmakranken Beteiligter
sein.
Anmerkung. Evidenzgrade nach GINA 2003 [5] und
BTS 2003 [1].
Korrespondierender Autor
Prof. Dr. G. Schultze-Werninghaus
Medizinische Klinik III,
Berufsgenossenschaftliche Kliniken Bergmannsheil,
Bürkle-de-la-Camp-Platz 1, 44789 Bochum
E-Mail: [email protected]
Interessenkonflikt: Keine Angaben
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