Abstinenz oder besser vielleicht: Die zölibatäre Enthaltsamkeit Dieser Text ist kein ›beschlossener‹ Gruppentext Aber er ist eine Linie in der AG Pädophile Berlin © MaD 1997 [email protected] Kann man ernsthaft einem erwachsenen Menschen sexuelle Enthaltsamkeit empfehlen – einfach so? Kann man einem gesunden Mann glaubhaft raten, sein Liebesbegehren zu entkörperlichen? Kann man einen Erwachsenen ernsthaft und erfolgversprechend zwingen wollen, sexuell abstinent zu leben – in Freiheit? Kann man – einfach so – anraten, daß ein »Klient« auf den innigen Kontakt zu den »dominanten Objekten« seiner Begierde verzichten wollen muß? Ja, man kann offensichtlich. Richter tun es, Priester, Therapeuten, Pädagogen, Psychiater, Eltern, Politiker … wenn es sich um Pädophile handelt. Dahinter aber brauchen sie die geballte, staatliche Macht: Drohung, Überwachen und Strafen. Das Unbehagen dabei liegt auf Seiten der staatlichen Macht und so empfiehlt sie quasi Ärztliche Hilfe und Unterstützung dabei. Immerhin. Sie delegiert ihre – uneingestandene – Vermessenheit bei der Abstinenzforderung an die uneingeschränkte Verantwortlichkeit des pädosexuellen Erwachsenen, an die konkreten Individuen. Offenbar unterliegt ihr sexuelles Begehren ihrem Willen, scheint man zu denken. Ist dieser Wille zu schwach, rät man Hilfe, Therapie und Training an und/oder droht mit anderen, schweren Übeln: Gefängnis, Psychiatrie, Sicherungsverwahrung. Mir scheint ratsam, dort hinzusehen, wo Menschen bereits abstinent (mindestens mit Bezug zu anderen Menschen) im Sexuellen leben. Es gibt mindestens vier Gruppen von Menschen, von denen Pädosexuelle etwas zur Abstinenzforderung lernen können: • Kinder in der Latenz bis zur »durchbrechenden« Pubertät – und zum Teil darüber hinaus • alte Menschen zum Beispiel in Heimen, Alleinstehende, verwitwete Senioren • Behinderte mit ständiger Betreuung • katholische Priester, auch eventuell Mönche und Nonnen. Das sind Bevölkerungsgruppen, von denen man annimmt, daß sie kein Sexualleben führen, zumal keines mit Bezug auf andere Menschen – und eigentlich kein sexuelles Begehren (mehr) haben. Über Kinder und katholische Kleriker gibt es wohl das umfangreichste Material und ausgefeilte Techniken für ein abstinentes Leben. Bei den Alten geht man davon aus, daß sich deren Lust und Begierde quasi naturhaft gegen Null MaD _ Abstinenz oder: die zölibatäre Enthaltsamkeit 2 zurück entwickelt hat, was wohl real nicht der Fall ist. Bei Behinderten hofft man auf die Gnade der Natur … und sonst auf den Erfolg der Techniken, die in vielen Fällen für Kinder-Latenz tauglich waren. Es gibt eine tolle und merkwürdige Geschichte über die Latenz: Nach einem kurzen Aufflammen der sexuellen Begehrlichkeit auf eine Person hin (Ödipusphase) erlischt diese fast abrupt. Der begehrte Mensch (Mutter, Vater) verweigert sich und belohnt durch innere Zuneigung. Die akzeptierte Versagung wird belohnt durch liebend-betreuende, begleitende Eröffnung der vielen Genußmöglichkeiten in der Aneignung der erweiterten Welt. Man unterstellt nun ein zu früh und falsch des Sexes. Irgendwie funktioniert das sogar bei vielen Kindern. Das falsch ist erlebbar für das Kind. Es ist sozusagen das »dritte Rad« in der Dyade Mutter/Vater; in der Regel liebens- aber nicht begehrenswert. Das ist die harte, faktische Realität, an der das begehrende Kind in der Ödipus-Geschichte scheitert. Diese harte Realität der Verweigerung findet eine Bündnis-Verfaßtheit beim Kind vor: Erfahrungsmangel mit den eigenen sexuellen Lustmöglichkeiten. Die meisten Kinder kennen das Ende sexueller Erregung in der Regel noch nicht: die verströmende Endlust des Orgasmus. Einige kennen bereits den hervordrängenden Erregungszustand, kennen vielleicht einige Methoden der Luststeigerung. Lust aber, die nur ein erregend kribbelndes Unendlich kennt, wird Unlust. Sie findet kein befriedigendes Ende als Orgasmus. Zeigen und Schauen scheinen sich bei etlichen Kindern allmählich zu erschöpfen, langweilig zu werden. All diese Erfahrungen heißen irgendwie, nur nicht: sich Lust verschaffen, ein, wenn auch unvollkommenes, Sexualleben führen und gestalten. Die Ödipussituation erzwingt faktisch Abstinenz. Es gibt einfach nicht den begehrten Part dazu, keinen Partner. Für die Technik der Abstinenz ist die Folge der überwundenen Ödipus-Konstellation wichtig. Das begehrende Kind bleibt allein, gewinnt zwar nicht ein Libido-Objekt (Vater, Mutter), aber dafür eine vorrangige Identifikationsperson: So werden wollen wie … Hier greifen Eltern und Normen, Sitten – also Kultur – unterstützend ein. Man weiß offensichtlich, daß die Lust nicht unbedingt nur auf jemanden gerichtet sein muß. Beim Kind allemal. Es bleiben aber konstant die Lustmöglichkeiten mit sich allein und/oder mit anderen zusammen für Kinder. Hier nun setzen weitere Abstinenztechniken direkt als Erziehung, indirekt als Sozialisationsstandards, erfolgreich ein, wenn keine bewußte Orgasmuserfahrung beim Kind vorhanden ist. Das ist wohl eher die Regel. Nun kann man erfolgreich mit Verschweigen, Ablenken, Verschleiern, Verhindern, Überwachen, Drohen, Angst machen, Erschrecken und Strafen arbeiten – gegen eine individuelle Kulturation von Lust und Orgasmus. Kind wird entsexualisiert. Eingebettet ist dieses gestaltende und abwehrende Instrumentarium in einen kulturellen Raum, in dem es keinen Ort, keinen Platz gibt für die sexuelle Lusterfahrung und Entfaltung der Kinder im Kontext mit Erwachsenen und untereinander. Es gibt kultiviert keinen solchen Text oder Kontext, den Sex und seine Lüste bejahende MaD _ Abstinenz oder: die zölibatäre Enthaltsamkeit 3 Kommunikation und dazu erst recht keinen sozialen Ort für ein Sexualleben von Kindern. Was es gibt, sind diverse Texte der kindlichen Subkultur, die auf Sex verweisen und um ihn kreisen wie um einen letztlich unerreichbaren, geheimnisumwitterten, weil unbekannten Planeten voller Abenteuer, Reizen, Schrecken und enormen Gefahren. Ergebnis dieser Techniken ist eine Abstinenz, die von sich (noch) nicht wirklich weiß. Ergebnis ist auch, daß frühkindliche und kindliche Lusterfahrungen vergessen werden. Sie unterliegen der Amnesie, wie Freud sagt. Das betrifft oftmals sogar Erfahrungen aus der Latenzzeit. Sexuelle Erfahrungen konnten nicht in bestehende Kultur integriert werden, blieben (negativ) isoliert als Kinderkram, Schweinekram ohne Sinn. Das war nichts, das kann man vergessen. Bei Kindern mit sich entwickelndem, eigenständigem, frühem Sexualleben (seit der ödipalen Situation zwischen dem vierten und sechsten Lebensjahr) scheint die bewußte Orgasmuserfahrung und das Wissen um den Weg dahin wesentlich. Es sind offenbar wenige Kinder, bei denen das so ist. Es scheint mit der Zeit Standard, zwar immer wieder und ungebrochen alle verfügbaren Verhinderungstechniken anzuwenden, aber außerdem eher stillschweigend toleranter zu sein. Man nimmt an, daß bei Verfolgung, Aufspüren und Abstrafen Neugierde angestachelt wird. Man denkt in liberalen Kreisen mit der Zeit sogar richtig, daß solch aktives Erziehungsverhalten erhebliche Schädigungen beim Kind bewirken kann. Zumal man nach der Onaniekampagne bzw. nach Freud allemal deutlich gelernt hat, daß ein Ankämpfen gegen orgastische Erfahrungen nur verloren werden kann. Erziehende verlieren ihn zwar anders als Kinder und Jugendliche, aber diese Erfahrung ist unhintergehbar und produziert bei allen Maßnahmen nur Leid, Konflikt und Pathologien. Dieses Zurückdrängen sexueller Erfahrungen wäre laienhafte bewußte Abstinenz. Viele Pubertierende haben nach wie vor durchaus ihre Selbstzweifel, wie immer wiederkehrende Leserbriefe in der Jugendzeitschrift BRAVO belegen. Der Ratgeber der Zeitschrift pflegt repressive Toleranz: »nicht zuviel«, »nicht zu oft«, »sich ablenken, andere schöne Sachen unternehmen«, »nicht allein sein«. Aber »ein wenig«, wenn es denn anders nicht geht, ist okay – und »zwanghafte Unterdrückung ist auch nicht gut« Und man macht es allein, heimlich. Mit beginnender Pubertät nimmt man an, daß sich die Natur als Hormone Bahn bricht. Es bricht sozusagen über den kleinen Menschen herein, etwas, was bis dahin fehlte. Jetzt scheint Abstinenz nicht mehr gefahrlos durchsetzbar zu sein. Die psychologisch-pädagogischen Techniken greifen faktisch immer weniger, das Verlangen wird immer bedrängender. Es fehlt ein durchgreifendes, ehrliches und erfolgreiches Konzept zur bewußten Abstinenz für diese Phase von der beginnenden Pubertät an. Jedenfalls ein säkularisiertes. Es ist heute nicht mehr wirklich gewollt – dieses pubertär-abstinente Leben. Allerdings ein entfaltetes Sexualleben auch nicht. Was man empfiehlt, sind Vermeidungs-, Ablenkungs- und Ersatztechniken in Kombination wie MaD _ Abstinenz oder: die zölibatäre Enthaltsamkeit 4 schon in der Latenz – und »Entlastungs-Selbstbefriedigung«, wenn es denn nicht mehr anders geht. Selbstbefriedigung ist ausschließlich als Ersatzbefriedigung gedacht. Deshalb fehlt auch ihr jede Kulturation. Sie wird nicht Teil eines entfalteten Diskurses über Lust. Anders ist das im christlich-religiösen Kontext. Da finden wir Techniken zur Erlangung der Abstinenz – vorrangig für Erwachsene. Von hier aus gesehen, aus der bereits vorhandenen Lusterfahrung heraus, hat man versucht, bereits die Erfahrung selber einzudämmen. Wer keine Erfahrung hat, hat es vielleicht einfacher, leichter, enthaltsame Askese zu leben. Diese Abstinenztechniken sind von Mönchen und Nonnen entwickelt worden mit dem Ziel der Gottgefälligkeit und der erweiterten Hingabe an Gott. Interessant (mit Blick auf einen verengten Sublimationsbegriff) finde ich, daß das vorhandene, bedrängende Begehren von den konkreten Menschen weg – Auf zu Gott! – das Ziel ist. Das heißt seine Auflösung in Geist und grenzenloser Hingabe. Von dort kehrt es dann gereinigt, vergeistigt, hypergefühlig, entkörperlicht auf alle Menschen-Kinder zurück als altruistische Menschenliebe. Diese Nächstenliebe ist dann bedingungslos, ist selbstloses Sorgen, edle Freundschaft und sich ziellos verströmende Liebe. Theoretisch ist das der verkürzte Sublimationsmechanismus – als erreichbare, zufriedenstellende Möglichkeit im asexuellen Umgang mit sich selber. Es haben sich verschiedene, enthaltsam asketische Traditionen gebildet; in einer Jahrtausende umfassenden religiösen Tradition. Ihr Ziel war und ist das Ringen um weitestgehende Bedürfnislosigkeit auch und oft vorrangig im Sexuellen auf ein Höheres hin. Dem einher gehen und gingen Minimierungen der Anfechtungen mit dem Ziel innerer Ruhe in Zufriedenheit. Klausuren, Abgeschlossenheiten, Rückzüge in die Wüste. Verläßliche Enthaltsamkeit (als Eigen- und als Fremdforderung) ist aber auch hier nur denkbar auf der erarbeiteten Basis eines allgemeinen Wohlbefindens: als Seelenfrieden. Niemals ist das Ziel bloßer Verzicht, Versagung, Vermeidung oder Impulskontrolle allein. Das sind nur verstärkende Zwischenstufen. Es geht darum, mit Gott und der Welt in Einklang leben zu wollen und zu können. Nur eine Analogie? Bei Alkoholikern scheint es ganz platt zu sein: Laß den Stoff stehen! Trinke nie (mehr) das erste Glas! Meide Situationen und Leute, bei denen Alkohol eine Rolle spielt! Lebe alkoholabstinent! Dann wird es Dir zunehmend besser gehen. Viele trockene Alkoholiker berichten sogar von einem neuen Leben, das sie damit gewonnen haben. Aber es gibt auch den Slogan: »Trocken allein genügt nicht!« Er verweist deutlich darauf, daß Abstinenz allein offenbar nicht reicht, der Wille allein ist nicht hinreichend. Und Abstinenz ist auch nicht das Ziel. Sie ist das Mittel, ein Weg, die Voraussetzung für ein besseres, erfüllteres Leben. Die säkularisierte Vorstellung des Mechanismus zur Abstinenz ist der Sublimationsprozeß der Psychoanalyse. Aber beschreibt er wirklich Enthaltsamkeit? In moralischer Verengung wird er oft so interpretiert. Ich denke, er beschreibt deutlich Kulturationsprozesse. Er entfaltet Genußebenen, wie das auch der Askesebegriff MaD _ Abstinenz oder: die zölibatäre Enthaltsamkeit ursprünglich tat. Er versucht zu verstehen 5 und anzuleiten. Eine solche Sublimationskette wäre, aufbauend auf Hunger: Schlingen – fressen – sättigen – essen – ernähren – angenehm ernähren – speisen – verkosten – dinieren. In diesem Sinne meint er Erweiterung und verfeinerten Umgang mit Hunger – nicht nur Hunger stillen sondern im Stillen optimal genießen. In dieser Reihe beschreibt Sublimation den Abzug des bewußtlos Natürlichen, des nur Bedrängenden. Er versucht, Kultivierung zu begreifen als »Kultur des Genusses einer biologischen Notwendigkeit«. Das kann auch fehlgehen, wenn der Genuß immer nur in Zukunft (oder sein jetziger Verzicht notwendig vernünftig) erscheint. Das kann auch fehlgehen, wenn beim Prozeß dieser Sublimation das Ziel sich immer weniger realisiert. Dann entsteht ein »Unbehagen in der Kultur«, schließlich asketische Brüche, Aufkündigung immer neuer Verzichtleistungen, die als Selbstzweck oder nur fremdbestimmt erscheinen. Aufbauend auf Hunger und seiner Kulturation in der oben genannten Schrittfolge wäre eine religiös sublimierende Zielsetzung mindestens die Mäßigung. Sie wäre auch eine Verschiebung, andere Prioritätensetzung: Gott wohlgefällig sein … und Seelenfrieden erlangen. Auf dieser Grundlage pendelt sich dann das Ganze auf einfache, notwendige Ernährung ein. Bewußtes Hungern, also Fasten bedient sich der Notwendigkeit des Ernährens für eine kurze Zeit, um Sublimationsmechanismen neu in Gang zu setzen bzw. zu verstärken. Auch das sexuelle Begehren ist nicht nur Naturgewalt, nur Trieb. Es ist offenbar konkret immer natürlich und kulturell. Es zielt eben nicht auf eine biologische Notwendigkeit oder ein biologisches Ziel. Fast allen Menschen reicht Selbstbefriedigung allein – auch als eigenständige Sexualform – nicht aus. Das erwachsene Begehren schließt unhintergehbar Nähen zu einem anderen Menschen ein. Aber dieses Begehren nach aufgehobenen Nähen ist körperlich, ist sexuell. Hier nun gibt es Verwirrungen, nicht zufriedenstellende Irrwege und Paradoxien. Im Bibelwort ist da die Fülle der notwendigen Verknüpfungen zusammengefaßt: »… und sie erkannten sich.« Das Begehren auf einen anderen Menschen hin fühlt sich oft überstark nur sexuell an. Es treibt. Es verdeckt sozusagen in seiner Mächtigkeit die Sehnsucht nach liebender Nähe. Es ist irgendwie dem Hunger verwandt und doch nicht bei Mangel tödlich. Andererseits: Der gelingenden, liebenden Nähe zu einem begehrten Anderen kommt es – erst einmal – so vor, als könnte sie auf auch sexuelle Erfüllung, sublimiert oder sich Ersatz verschaffend, verzichten. Bei pubertierenden Menschen gilt der sogar quälend erlebte Verzicht auf mindestens orgastisch Sexuelles sogar als Test für die Wahr-heit des Nähebedürfnisses. Es soll erhalten bleiben, sich nicht einfach körperlich verbrauchen. Man weiß offenbar, daß das sexuelle Verlangen das Näheempfinden täuschen kann. Problematisch ist die Dauer: das warten sollen bis … Geht ein Erwachsener mit seiner Liebesbeziehung lange so um, kommt uns das höchst merkwürdig vor. Und doch gibt es sinnvoller Weise ein wenig davon auch bei ihren Begegnungen. Man muß schon zeigen, MaD _ Abstinenz oder: die zölibatäre Enthaltsamkeit 6 gewissermaßen beweisen, daß man die Nähe sucht und die vom anderen Menschen gewünschte, liebende Nähe erwidern will. Also nicht nur das Eine. Sonst gelingt in der Regel liebende Beziehung nicht. Das immer auch gesuchte, bedrängende sexuelle Begehren zu schnell zu befriedigen, kann die erhoffte, ersehnte Nähe verhindern. Man ist dann zwar sexuell befriedigt, aber hinterher weiter – oder schlimmer – einsam. Es gibt sogar bei den meisten »schönen, charmanten« Erwachsenen ein Wissen der Tragik des schnell befriedigbaren partnerschaftlichen Begehrens. Sie haben »leichtes Spiel«, schnell sympathische Kontakte und neue Sexpartner zu finden. Geben sie dem zu schnell und leicht nach, verlieren sie sich sexuell bis zur Besessenheit. (Der Begriff Sucht scheint mir weniger geeignet; er enthält nur die Perspektive genereller Abstinenz). Um das Begehren auf einen anderen Menschen hin entfalten zu können/ sich entfalten zu lassen, scheint Sex als Beginn der Beziehung eher kontraproduktiv unter Erwachsenen. Viele empfinden dann nach dem Sex »peinliche Fremdheit« zueinander, die oft nicht mehr überwunden werden kann. Sie erkannten sich zwar körperlich, aber nicht emotional. Sie verkennen sich projektiv, verfehlen sich durch ihre eher egozentrische Lust, bei der der andere fast nur Sexual-Objekt blieb. Die Abstinenzforderung im Sexuellen realisiert sich bei Erwachsenen durch die Erweiterung des Optionsspielraumes, zu dem auch gehört, auf Sex mit dem Liebespartner, dessen Beziehung in Nähe man ersehnt, situativ sowohl als über längere Zeit verzichten zu können. Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als diesen Menschen eine Perspektive aufzeigen zu können, die ihrem Bedürfnis nach ruhender, liebender Nähe entspricht. Freundschaften, soziale Rollen und vielseitige Kontakte erfüllen das nicht – oder nur äußerst unzureichend. Sie sind a-sexuell gesetzt und nur begrenzt oder gar nicht intim. Dringt das sexuelle Begehren in sie ein, verändert es abrupt diese Arten der Beziehung drängend und qualitativ. Ist das sexuelle Begehren da, enthält sich aber dauerhaft direkt, dann bleibt es als abgespaltener Rest, der seine Er-füllung, Entspannung außerhalb zu realisieren drängt. Wie? Der geliebte Partner ist weg … und nun folgt Selbstbefriedigung … von ihm träumend einsam und sehnend … auf dem Klo. Abgang des »biologischen Restes«? Das zumindest ist keine gelungene Sublimation, es ist nur schlechter Verzicht, abgespalten und ersatzbefriedigt. Es bleibt eher beim einfachen Trieb als: Getriebensein und ersatzweise Entlastung. Es gibt so keine kultiviert-genußvolle Qualität des Sexes; es gibt so nur eine Qual der Not-Wendigkeit. Bei allen Techniken der Abstinenz geht es also immer um zweierlei: Erlernen von anderen Verhaltensweisen und neue Zielsetzung für befriedigendes, im Grunde zufriedenes, erfülltes, relativ ausgeglichenes Leben. Konkret meint das für alle Erwachsenen – ob Homo, Hetero, Lesbisch oder Pädosexuell – ein bewußt gewolltes Leben mit Freunden, Bekannten, Kollegen, Verwandten aber ohne eine Liebesbeziehung zu einem Menschen. Gibt es eine solche Gruppe in unserer Kultur? Sind das z.B. die Singles? Ich glaube nicht. Ihr Credo ist nicht Bindungslosigkeit in Bezug auf eine intime MaD _ Abstinenz oder: die zölibatäre Enthaltsamkeit 7 Beziehung. Ihr Lebensversuch zielt auf die Vermeidung der Fallstricke zu enger intimer Bindung und Abhängigkeit in sogenannten Partnerschafts-Kisten. Es scheint mir keine Suchbewegung, die sich mit Abstinenz besetzen ließe. Die »Suchbewegung Single« bewegt sich zwischen Nähe und Autonomie. Ich behaupte hiermit, daß alle erwachsenen Pädo-Menschen, die keine religiöse Bindung haben, einer Abstinenzforderung – und sei sie selber auferlegt – nicht ohne schädigende Folgen für ihre körperlich-psychische Gesundheit und erfüllende Stabilität entsprechen können werden. Jedenfalls nicht auf Lebensdauer. Oder – gefährlicher: Solche Männer (Frauen) überfordern sich, werden überfordert. Sie stehen mitunter erschüttert davor, wenn die Gewalt ihres körperlichen Begehrens ihre Wahrnehmung so getrübt hat, daß sie das Nähebegehren eines Jungen auch für sexuell hielten. Selbstauferlegte Enthalt-samkeit und die einsame Abspaltung der sexuellen Bedürftigkeit kann schnell ein Spiel mit dem Feuer sein. Es verbrennt nicht nur den kleinen Partner, es kann sich zu einem unberechenbaren Vulkan entwickeln. Pädosexuelle Menschen scheinen die einzige gesellschaftliche Erwachsenen-Gruppe zu sein, von der man sich beziehende Abstinenz trotzdem erwartet, fordert und durchzusetzen versucht. Was Wunder, wenn die Realitäten dem widersprechen. Die Realität stigmatisiert. Der Begriff dafür, kriminologisch: Wiederholungstäter, Rückfalltäter. Der Begriff dafür, psycho-pathologisch: suchtartige Triebbefriedigung. Auf unserem Hintergrund betrachtet aber trifft das im Kern auf alle Erwachsenen zu: sie suchen immer wieder neue PartnerInnen – auch zur kontinuierlichen sexuellen Befriedigung. Sie wollen immer wieder Sex zusammen. Selbstbefriedigung als nur Ersatz hält auch sie nicht im glücklichen, glückversprechenden Gleichgewicht.