Integriert stationäre-ambulante Rehabilitation (ISAR) bei Alkoholabhängigen – erste Praxiserfahrungen KPB - Klientenzentrierte Problemberatung Fachambulanz für Suchterkrankungen Thomas Zech, Psychologischer Psychotherapeut, stellvertretender therapeutischer Leiter Dr. Claudia Botschev, Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapie, ärztliche und therapeutische Leiterin Bärbel Löhnert, Diplom-Biologin, Geschäftsführerin Allgemeines zur Integration stationärer und ambulanter Rehabilitation • Grundidee: „best of both worlds“ – Distanz zu den alltäglichen Sucht auslösenden Situationen – Gegenwarts- und Alltagsbezogenheit • Bisher empirisch wenig abgesichert: offene Fragen zur – Wirksamkeit, – Indikation, – Integration. Konzept ISAR in der KPB Motivationsphase, Maßnahmen im Vorfeld durch die Fachambulanz, 8-12 Wochen Übergabegespräch Stationäre Behandlungsphase, 6-8 Wochen Überleitungsgespräch Ambulante Anschlussrehabilitation, 5-6 Monate Nachsorge Zehn durchgeführte ISAR in der KPB seit 2007: Allgemeine Charakteristika Geschlecht 5 Frauen, 5 Männer. Alter 36 bis 57 Jahre (M=49 Jahre). Familienstand Verheiratet: 6, geschieden: 1, verwitwet: 1, ledig: 3. Bildungsstand Hauptschulabschluss: 3, Mittlere Reife: 3, Abitur: 4. Erwerbssituation Erwerbstätig: 8 von 10. Suchtbezogene Vorbehandlungen Lediglich bei einem Patienten keine suchtbezogenen Vorbehandlungen. Stationärer Behandlungsteil der ISAR Salus-Klinik: 5, Fachklinik Wilhelmsheim: 4, Fachklinik Legau: 1. Indikationsstellung während der Motivationsphase Feststellung der Indikation/Eignung für eine ambulante Rehabilitation nach etwa 5 Wochen Ambulante Rehabilitation JA Nein Prüfung von Alternativen zur ambulanten Rehabilitation Stationäre Entwöhnung ISAR Etc. Indikationsstellung während der Motivationsphase 6 5 4 3 2 1 0 Wiederholte Rückfälligkeit in der Motivationsphase co-morbide psychische Störungen Wunsch des Patienten Co-morbide psychische Störungen Keine co-morbide psychische Störung 2 Depressive Störung 8 Posttraumatische Belastungsstörung 3 Angststörung 1 Emotional instabile Persönlichkeit 1 Anankastische Persönlichkeit 1 Wer integriert eigentlich bei der ISAR? Konzeptuelle Integration Integration durch beteiligte Therapeuten/Ärzte Integration durch Kostenträger Integration durch den Patienten selbst Behandlungsergebnisse - Haltequoten 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 Regulärer Behandlungsabschluss Abbruch Abschließende Beurteilungen der Prognose aus den Entlassungsberichten 6 5 4 3 2 1 0 ungünstig eher eher günstig ungünstig günstig Fallbeispiel: Frau B. • 54-jährige Patientin, Bankkauffrau, geschieden, eine erwachsene Tochter, die bei ihr lebt. • Beginn der Suchtentwicklung vor ca. 7 Jahren nach Tod des Vaters, Scheidung und Arbeitsplatzwechsel. • Trinkmenge zuletzt bei etwa 0,6l Wodka oder Chantré, wobei sie überwiegend während der Arbeit trank. • Initiale Motivation: zwei Abmahnungen durch den Arbeitgeber. Frau B., Entwicklung während der Motivationszeit • Abstinenzmotivation steigert und stabilisiert sich. • Jedoch keine ausreichende Abstinenzfähigkeit für ambulante Rehabilitation, wiederholte Rückfälle. • Rückfallbearbeitung bleibt oberflächlich. • Hilflosigkeit im Umgang mit familiären Belastungen (Demenzerkrankung des Bruders, Konflikte mit Schwager). • Soziale Unsicherheit wird deutlich: Schwierigkeiten bei der Selbstöffnung, beim Vertreten persönlicher Rechte, Abgrenzen oder Äußern von Bedürfnissen. • Nach zunächst starken Widerständen gegen stationäre Aufnahme lässt sich Patientin auf Beantragung einer ISAR ein. Frau B., Entwicklung während der stationären Behandlung (Klinik Wilhelmsheim) • Im beschützten Umfeld der Klinik gelingt ihr Aufrechterhaltung der Abstinenz. • Reflektion des Alkoholkonsums hinsichtlich Funktionalität, Biografie, auslösender und aufrecht erhaltender Bedingungen. • Distanz zu familiären Belastungen ermöglicht es ihr, die Rolle als Helferin und Vermittlerin in der Familie in Frage zu stellen. • Verbesserte Selbstöffnung, Entwicklung stützender freundschaftlicher Beziehungen zu Mitpatienten. Frau B., Entwicklung während des ambulanten Rehabilitationsteils • Verhalten am Arbeitsplatz ändert sich: offener Umgang mit Suchtdiagnose, klärende Gespräche mit Vorgesetzter und Kollegen. • Erneuter Rückfall nach etwa einem Monat: intensive Rückfallbearbeitung jetzt möglich, Anpassung des Notfallplanes. • In der Folge Anerkennung ihrer Hilflosigkeit bzgl. krankem Bruder, bessere Abgrenzung. Bewältigung negativer Gefühle gelingt besser. • Aufrechterhaltung der Abstinenz bis zum Abschluss der Rehabilitation, Anschluss an eine Selbsthilfegruppe. Fazit der bisherigen Praxiserfahrungen • ISAR ist aus unserer Sicht wichtige Ergänzung zu bisherigen Behandlungssettings. • Jedoch (noch) kein breiter Einsatz in unseren Einrichtungen: Patienten, die ausdrücklich eine ambulante Rehabilitation wünschen, lehnen eine ISAR häufig ab. Instabile Patienten schaffen Motivationsphase oft nicht. • Ein beschleunigtes Antragsverfahren ist wünschenswert. Fazit der bisherigen Praxiserfahrungen • Bei der Indikationsstellung sollten konkrete Hypothesen zu möglichen psychotherapeutischen Prozessen im stationären und ambulanten Setting einbezogen werden. • Integration ist nicht unbedingt zeitaufwändig. • Wesentliche Integrationsarbeit leistet der Patient selbst. • Unsere Erfahrungen deuten auf gute Wirksamkeit hin. • Mit ISAR können manche Patienten eine dauerhafte und zufriedene Abstinenz erreichen, bei denen eine ambulante oder stationäre Maßnahme alleine diesen Erfolg nicht erbringt.