Pädagogik Franziska Hofmann Transsexualität und Sozialisation Magisterarbeit Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de/ abrufbar. Dieses Werk sowie alle darin enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsschutz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Auswertungen durch Datenbanken und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe (einschließlich Mikrokopie) sowie der Auswertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen, vorbehalten. Impressum: Copyright © 2009 GRIN Verlag, Open Publishing GmbH ISBN: 9783640621156 Dieses Buch bei GRIN: http://www.grin.com/de/e-book/150375/transsexualitaet-und-sozialisation Franziska Hofmann Transsexualität und Sozialisation GRIN Verlag GRIN - Your knowledge has value Der GRIN Verlag publiziert seit 1998 wissenschaftliche Arbeiten von Studenten, Hochschullehrern und anderen Akademikern als eBook und gedrucktes Buch. Die Verlagswebsite www.grin.com ist die ideale Plattform zur Veröffentlichung von Hausarbeiten, Abschlussarbeiten, wissenschaftlichen Aufsätzen, Dissertationen und Fachbüchern. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.grin.com/ http://www.facebook.com/grincom http://www.twitter.com/grin_com UniversitätLeipzig eingereichtan dieFakultätfürErziehungswissenschaften Magisterarbeit zurErlangungdesakademischenGradesMagistraArtium imFachErziehungswissenschaftlichen ander UniversitätLeipzig TranssexualitätundSozialisation Eingereichtvon: FranziskaHofmann Leipzig,den13.10.2009 Danksagung IchmöchtemichandieserStellebeimeinerBetreuerinFrauPDDr.BarbaraDrinckbedan ken,diemirfürFrage,trotzdergroßenEntfernung,immerzurVerfügunggestandenhat. Ein besonderer Dank gilt den freiwilligen Interviewpartnern, die so ausführlich alle meine Fragen beantwortet haben, und Astrid Hofmann und Liane Damke für das Korrekturlesen undderHilfebeiderTextformatierung. Inhaltsverzeichnis 0.Einleitung................................................................................................................... 6 1.PhänomenTranssexualität…………………………………………………………………………………….. 9 1.1.GeschichtlicheEntwicklung………………………………………………………………………… 9 1.2.BegrifflicheEntwicklung…………………………………………………………………………….11 1.3.Begriffserklärung……………………………………………………………………………………... 14 1.4.BegriffserklärungausSichtvonTranssexuellen……………………………………….. 17 1.5.FormenvonTranssexualität…………………………………………………………………….. 18 1.6.UrsachenvonTranssexualität………………………………………………………………….. 19 1.7.VerlaufvonTranssexualität……………………………………………………………………… 21 1.8.Behandlung……………………………………………………………………………………………… 24 1.8.1.Diagnostik……………………………………………………………………………………… 25 1.8.2.Alltagstest……………………………………………………………………………………… 27 1.8.3.Hormonbehandlung………………………………………………………………………. 28 1.8.4.GeschlechtsangleichendeOperation……………………………………………… 29 1.8.5.Nachbetreuung…………………………………………………………………………….. 31 1.9.Psychotherapie………………………………………………………………………………………… 31 1.10.DasTranssexuellengesetzunddiedarausresultierendenStandardsfür dieBegutachtung……………………………………………………………………………………. 38 2.IdentitätundSozialisation…....................................................................................43 2.1.DerSozialisationsbegriff…………………………………………………………………………. 43 2.2.DieGeschlechtsidentität………………………………………………………………………… 46 2.3.GeschlechtsspezifischeSozialisation………………………………………………………. 51 2.3.1.PsychoanalytischeAspekte……………………………………………………….…. 53 2.3.2.DerbiologischeAnsatz………………………………………………………………… 57 2.3.3.DerkognitiveAnsatz……………………………………………………………….…… 58 2.3.4.DieSozialkognitiveLerntheorie…………………………………………………… 62 2.3.5.GeschlechtsspezifischeSozialisationalsKonstruktionsprozess……. 63 3.Interviewstudie………………………………………………………………………………………………….. 65 3.1.FragestellungderUntersuchungundForschungsansatz……………………….. 65 3.2.Forschungsmethode……………………………………………………………………………… 67 4 3.3.VorgehensweiseundProblematikbeiderAuswertungder 3.4.VorstellungdesFragebogens………………………………………………………………… 70 3.5.DarstellungundErgebnisse…………………………………………………………………… 75 3.5.1.Kindheit……………………………………………………………………………………… 75 3.5.2.AdoleszenzundErwachsenenalter………………………………………………. 86 gewonnenenDaten…………………………………………………………………………….… 69 4.Schlussbemerkung................................................................................................... 95 5.Literaturverzeichnis................................................................................................ 98 6.Anhang………………………………………………………………………………………………………………. 100 I.Interview1:Luke………………………………………………………………………………….. 101 II.Interview2:John………………………………………………………………………………….. 108 III.Interview3:Jay…………………………………………………………………………………….. 110 IV. Interview4: Jim…………………………………………………………………………………….. 114 V.Interview5:Theo…………………………………………………………………………………..126 VI.Interview6:Tim…………………………………………………………………………………….131 VII.Interview7:Lea……………………………………………………………………………………. 135 VIII.Interview8:Mia…………………………………………………………………………………… 140 VIV.Interview 9: Anna………………………………………………………………………………… 142 X.Interview10:Lara………………………………………………………………………………… 146 XI.Interview11:Ina…………………………………………………………………………………..151 XII.Interview12:Mara……………………………………………………………………………….156 5 0.Einleitung KimP.ist14Jahrealt,sieträgteinbauchfreiesTop,bestickteJeansundleichtenLidschatten. SiehatlangeblondeHaareundträumtdavonspätereinmalalsModemacherinnachPariszu gehen. Ihr Zimmer unter demDachisteinMädchenparadiesinRosa,mitSchminktischchen, Modezeitschriften und einer eigenen Schaufensterpuppe. Doch so normal und einfach, wie sichallesanhört,istesnicht.Kimistvor14JahrenalsJungezurWeltgekommen,alsTim.Ihr ganzerKörper,Chromosomen,Hormoneistalleseindeutigmännlich.NurKimwarvonAnfang anklar,dasssieimfalschenKörpergelandetist.SchonimAltervonzweiJahrenzogTimdie KleiderseinerälterenSchwesteranundspielteliebermitPuppen.DieElterndachtenesgehe vorüber, doch mit vier Jahren rannte Tim in sein Zimmer und drohte sich „das Ding“ abzu schneiden.FortanhießTimzuHauseKim.AlsdiePubertäteinsetztewurdeKimpanisch.Sie hatteAngstdavoreinevondiesenFrauenmitmännlichenGesichtszügen,Bartwuchsundtiefer Stimmezuwerden.DieElternerkanntenihreNotundließensichzweiunabhängigeGutachten erstellen, welche die Transsexualität ihres Kindes bestätigten. Im Hamburger Endokrinologi kum wird Kim heute von Dr. Achim Wüstenhof behandelt. Mit Spritzen wird die männliche PubertätgestopptundHormonesorgenfüreineweiblicheVeränderungdesKörpers.Schließ lich bekommt sie auch den Namen Kim gesetzlich anerkannt. Ihr größter Wunsch ist es die Veränderung vom Mann zur Frau perfekt zu machen. Allerdings ist eine geschlechts angleichendeOperationausrechtlichenGründenerstmit18Jahrenmöglich. DasobenbeschriebeneBeispielistkeineSeltenheit.LautWeltgesundheitsorganisationnennt mandas,wasKimdurchlebt,Transsexualität.NachdemICD10,der„InternationalenKlassifi zierung von Krankheiten“, ist es eine Form der Geschlechtsidentitätsstörung und wird den sexuellenStörungenzugeordnet.DieBetroffenenfallendadurchauf,dasssieSpielzeug,Aktivi täten,AussehenundKleidungdesjeweilsanderenGeschlechtsbevorzugenundindemZuge auchallesablehnen,wasmitihrembiologischenGeschlechtinVerbindungsteht.Kinderwie Tim fühlen sich dem falschen Geschlecht angehörig. Ihre Seele passt nicht zu ihrem Körper. Doch was ist Transsexualität eigentlich? Wen betrifft es und warum? Welche Behandlungs möglichkeitengibtes?UndwelcheGesetzegeltenfürBetroffene? IndieserArbeitsollesumTranssexualitätundSozialisationgehen.UmindieThematikeinzu führensollimerstenTeilbereichdieserArbeitebengenannteFragenbeantwortetwerden. 6 SoerhältderLesereinÜberblickswissenzumPhänomenTranssexualität.EssolleinEinblickin dieGeschichteunddieBegriffsentwicklunggegebenwerden,nachUrsachengeforschtundder Verlauf der Störung beschrieben werden. Anschließend wird der Behandlungsverlauf analy siertundzumAbschlussdesTeilbereichssolldasTranssexuellengesetzdiskutiertwerden WieweiterobenschonerwähntfühlensichTranssexuelleimfalschenKörper.Sieempfinden ihrangeborenesGeschlechtalsfalschundnehmenallesdafürinKaufsichdemgewünschten Geschlechtanzugleichen.DaswasbedeutetGeschlechteigentlichundwielernenbzw.merken wir welchem Geschlecht wir angehören? Welche Erwartungen müssen die jeweiligen Ge schlechtererfüllenundwiegehenJungenundMädchenbzw.MännerundFrauenmitdiesen Erwartungenum? Diese Fragen sollen im zweiten Teilbereich dieser Arbeit behandelt werden. Zuerst soll der Begriff Sozialisation im Allgemeinen definiert werden. Im Anschluss daran werden wir den Begriff Geschlechtsidentität näher betrachten. Um dann im letzten Abschnitt beide Begriffe zusammenzuführenunddiegeschlechtsspezifischeSozialisationausverschiedenenBlickwin kelnderPsychologieundSoziologiezudefinieren. NachdemindenvorangegangenTeilbereichenderArbeitdietheoretischenGrundlagenzum ThemaSozialisation,GeschlechtsidentitätundTranssexualitätgelegtwurden,sollnunimdrit tenTeilbereicheinBlickindiePraxisgeworfenwerden.DiezentraleFragedabeiist:Wiesozia lisierensichTranssexuelle? UmAntwortenaufdieseFragezubekommenwurdeeinFragebogenentworfenundanver schiedeneTranssexuelleverteilt.DieAntwortenvondenBetroffenensollenunseinenEinblick inderenKindheit,JugendundErwachsenenaltergeben.DurcheineAnalysederAntwortensoll dieFragenachdenSozialisationsprozessenvonTranssexuellenbeantwortetwerden. Nach Erstellen des Fragebogens habe ich mich an verschiedenste Organisation, Selbsthilfe gruppenundInternetforengewandtumFreiwilligezufinden,diemeinenFragebogenbeant wortenwürden.DieReaktionenwarendurchwegpositivundvielehabenmirbereitwilligihre EMailAdressenzukommenlassen,damitichihnendenFragebogenschickenkonnte.Leider sindamEndenurzwölfBögenbeantwortetwiederanmichzurückgeschicktwurden.Vermut lichistesvielenschwergefallen,sooffenunddetailliertüberihrLebenundihrLeidenzu 7 berichten. Daher möchte ich an dieser Stelle betonen, dass alle Ergebnisse meiner Fragebo genstudiekeinenAnspruchaufVollständigkeiterheben.SiebeziehensichnuraufdieAntwor tenauszwölfFragebögenundkönnenkeineendgültigenAntwortengeben. IchdankedenFreiwilligensehrfürihreOffenheitundBereitwilligkeit.Ichhoffe,dassihreAnt wortenzumehrVerständnisinderGesellschaftführenundInteressierteneinenEinblickindas LebenvonTranssexuellengebenkönnen. 8 1.PhänomenTranssexualität 1.1.GeschichtlicheEntwicklung DasPhänomen„Transsexualität“istkeineErscheinungunserermodernenGesellschaft.Im Gegenteil,siewarzuallenZeitenundinverschiedenenKulturenmehroderwenigerrele vant.SchonausderAntikesindunsMenschen,welchedieGeschlechtsrollewechselten,be kannt. Die Geschlechtsumwandlung galt zu der Zeit als ein Mysterium, dem Respekt und Hochachtungentgegengebrachtwurde.„IndergriechischenMythologiewirdzumBeispiel vondemblindenSeherTeiresiaserzählt,dersichalsjungerMannwiedurcheinWunderin eineFrauverwandelteundspäterwiederineinenMann.SomachteerdiesexuellenErfah rungendesMannesundderFrau,wasihmzuhohemAnsehenverhalf.“ (Haeberle,E.J.:Transsexualität.In:B.KampradundW.Schiffels(Hrsg.):ImfalschenKörper. AllesüberTranssexualität.Zürich1991.S.1216.) AuchderMythosüberdieGeburtderGöttinAphroditeweistaufeinentranssexuellenHin tergrundhin:nachdenSchriftenHesoidsum700v.ChristuswurdeUranus(GottdesHim mels) zum Tyrann, der Gaia (Göttin der Erde) und ihre gemeinsamen Kinder umbringen wollte.GaiaschufeineSichelmitwelcherihrSohnKronosseinenVaterentmannteunddie abgeschnittenen Geschlechtsteile ins Meer warf. Aus diesem Meer entstieg Aphrodite in vollkommenerWeiblichkeit.(Stalla2006:14) ImrömischenReichändertesichderUmgangmittransgenderIndividuen.InKunstundPhi losophieverherrlichtemandasPrinzip,dassMenschendiebeiihrerGeburtvondertraditi onellen Geschlechterteilung in Mädchen und Jungen abwichen, ein fatales Omen wären. Diesesogenannten„monstra“wurdendaraufhinineinemReinigungszeremoniellgetötet. InderabendländischenKulturgaltesalsoberstePrioritätdiezweitraditionellenGeschlech teraufrechtzuerhalten.AufderGrundlage,dasssichdasGeschlechteinesMenschenaus derkörperlichenErscheinungbzw.ausdenGenitalienermittelnließe,wurdeim6.Jhd.ein GesetzerlassendasimFalleeinergenitalenUneindeutigkeitbeiderGeburteineZuordnung nachüberwiegendenMerkmalenbeschloss. 9 DieseVorgehensweiseführteallerdingsauchnichtimmerzueindeutigenEntscheidungen. SowurdeimMittelaltereineweitereLösungerarbeitet:sollteeinKindmitnichteindeuti gem Geschlecht geboren werden darf der Vater bei der Taufe ein vorläufiges Geschlecht festlegen. Im heiratsfähigen Alter darf die betroffene Person sich dann selber für ein Ge schlecht entscheiden. In einem „promissorischen Eid“ musste sich die Person zu dem ge wähltenGeschlechtbekennenunddemanderenabschwören.EinBruchdiesesEideswurde bisins17.Jhd.alsSodomiemitdemTodebestraft.(Stalla2006:15)WasdieBegrifflichkeit anbelangt wurde allerdings lange nicht zwischen Transvestitismus, Transsexualität, Her maphroditismusoderHomosexualitätunterschieden. DieseProzedurdes„promissorischenEides“wurdeim18.Jhd.vonderVorstellungabgelöst esgäbenureinwahresGeschlechtdasherauszufindenwarunddaswarentwedermännlich oder weiblich. Das Phänomen des Hermaphroditismus wurde nun als „Pseudo Hermaphroditismus“indasSystemderzweiGeschlechtereingeteilt.Unterteiltwurdedabei in Zwitter männlichen Geschlechts und weiblichen Geschlechts. Diese Kategorisierung brachteaberauchnichtdiegewünschteGenauigkeit,woraufeindrittesGeschlechteinge führt,dasderZwitter.DurchdasimmernochbestehendeProblemeinergenauenjuristisch medizinischenBestimmbarkeitfolgtedasBürgerlicheGesetzbuchinDeutschlandvon1900 dermedizinischenErkenntnis,dasseskeineHermaphroditengäbe.DasGeschlechtderZwit terwurdewiederabgeschafftunddasSchemaderzweiGeschlechterwurdeweitergeführt. Bisinsheutige21.Jhd.konntetrotzFortentwicklunginderMedizinkeineLösungdesProb lemsgefundenwerden. NichtinallenKulturenwirdvondemBestehenvonzweinatürlichenGeschlechternausge gangen. Aus indianischen Überlieferungen kann man schließen, dass transsexuelle Stam mesmitgliederexistierthaben.UnteranderemistvonWe´whadieRede,einemdergrößten undstärkstenMännereinesStammesimSüdwestenvonNordamerika,dervon18491896 gelebthat.TrotzbiologischeindeutigerMerkmalezogeresvorsichalsFrauzukleidenund zuleben.AlsKnabewurdeerindenreligiösenMännerbundaufgenommen,alsErwachsener trugerFrauenkleider,webteundtöpferte. 10 BerichteausdemJahr1540erzählenvondemStammderYumainAnicandaindemesim mer vier so genannte Weibmänner gab. Starb einer dieser Weibmänner musste die erste Frau,dieeinenJungengebar,ihrenSohnabgeben.ErwurdedaraufhinalsFrauaufgezogen, trugFrauenkleider,verrichteteFrauenarbeitunddurftenurmitMännernverkehren. AusIndiensindunsauchdieEunuchenbekannt.JungeMännerlassensichihreGenitalien entfernen,legenihrebisherigeGeschlechterrolleabundnehmendaraufhineineArtmythi sches drittes Geschlecht an. Ihnen werden übermenschliche Fähigkeiten nachgesagt wo durchsieinweitenTeilenIndiensverehrtundgefürchtetwerden. AusdenverschiedenenÜberlieferungenlassensichganzunterschiedlicheFormendesGe schlechtswechsels erkennen. Die wesentlichen Veränderungen umfassen eine Übernahme dergesellschaftlichenRolledesjeweilsanderenGeschlechts,z.B.dasTragendergegenge schlechtlichenKleidung,dieVeränderungderStimmhöheundGangartunddieÜbernahme traditionellgegengeschlechtlicherArbeiten. 1.2.BegrifflicheEntwicklung Bisins20.JahrhundertwurdenGeschlechtsidentitätsstörungennichtnäherdifferenziert.Es wurde nicht zwischen Transvestiten, Intersexuellen, Homosexuellen oder Transsexuellen unterschieden. ErstimJahr1910prägtederdeutscheArztundSexualforscherMagnusHirschfeld dieBe zeichnung „Transvestitismus“ für Menschen, die sich gelegentlich bzw. regelmäßig als An gehörigedesanderenGeschlechtsverkleiden.Erunterschieddabeinichtzwischensexueller OrientierungundGeschlechtsidentität. InseinemsexualwissenschaftlichenResümee„Geschlechtskunde“beschreibtHirschfeldden Wunsch nach einer Geschlechtsumwandlung als eine extreme Form von Transvestitismus. ErprägtedafürdenBegriff„seelischerTranssexualismus“undbeschriebdamitMenschen, diesichnichtnurdurchKleidungsondernauchkörperlichversuchendemjeweilsanderen 11 Geschlechtanzupassen.ErverwendetedieBegriffeTransvestitismusundTranssexualismus allerdingssynonym. (vgl.http://de.wikipedia.org/wiki/Transsexualität) Erst 1949 wird der Begriff „psychopathia transsexualis“ von Cauldwell geprägt. Durch HirschfeldsumfangreicheErfahrungenaufdemGebietderSexualforschunglockertesichdie streng pathologisierte Definition erstmals. Eine daraus folgende Neuerung war der Trans vestitenschein, derauf GrundärztlicherGutachtenbehördlichausgestelltwurdeunddem BetroffenendasTragenderKleidungdesjeweilsanderenGeschlechtserlaubte.1920wurde es Transvestiten erlaubt ihren Namen auf Antrag in einen geschlechtsneutraleren Namen umzuwandeln,zumBeispielwurdenausAntonoderAntoniaderNameToni. NachdemAnfangsder60erJahreBetroffenedenWunschnachoperativerVeränderungdes eigenenKörpersgeäußerthatten,warfürHarryBenjaminklar,dassesUnterschiedeinder Definition geben musste. Im Jahr 1953 trennte er in seinem Artikel „ Transvestitism and Transsexualism“diebeidenBezeichnungenvoneinanderundetabliertesie1966mitseinem Buch „The Transsexual Phenomenon“ als eigenständige Phänomene in der Sexualwissen schaft.ErdefinierteTransidentitätinverschiedenenStufenundbeschriebTranssexualität alshöchstenGraddesTransvestitismus.Mitteder60erJahrekonntesichdieDefinitionso weitfestigen,dassderBegriff„transsexuell“alssubjektivesGeschlechtsempfindenverstan denwurde,TransvestitismusinderPraxisdesKleidertauschsallerdingseheralsfetischisti schesSexualverhalten. In den 1950er Jahren konnten Transsexuelle erstmals eine gegengeschlechtliche Hormon therapieerhalten.VielederBetroffenenwurdenindieserZeitvonHarryBenjaminbetreut, derimGegensatzzuseinenKollegenTranssexualismusnichtalseinepsychischeErkrankung ansah.Fürihnstandvielmehrfest,dassdaskörperlicheGeschlechtderBetroffenenwirklich vonihrerGeschlechtsidentitätabweicht.Schon1954schrieber,dasspsychotherapeutische AnsätzeinderBehandlungvonTranssexualitätwirkungslossindundeineBehandlungeher eineSelbstverwirklichungalseineUnterdrückungdesWesensdarstellt. 12 1952 erreichte die Amerikanerin Christine Jörgensen hohen Bekanntheitsgrad, als erste Transsexuelle, die eine geschlechtsangleichende Operation erfolgreich erhalten hatte (MannFrau).DerPeniswarentferntsowieeineVulvaausSkrotumgeformtwordenundin NewJerseykonnteerstmalseineNeovaginageformtwerden.DiePublikationdesFalleszog eineBriefflutvonBetroffenennachsich,dieebensoeineGeschlechtsanpassungwünschten. DareligiöseGruppensolcheOperationenverabscheutenundDruckaufdieKrankenhäuser ausübten,musstenTranssexuellezurchirurgischenGeschlechtsanpassungzunächstinsAus landreisen.SowurdeauchChristineJörgenseninDänemarkbehandelt.DerAnsturminDä nemarkwarsogroß,dassstaatlichverfügtwurde,dassnurnochdänischeStaatsbürgerdie se Operation erhalten dürfen. 1966 wurde dann im amerikanischen Baltimore die erste GenderIdentityClinicimJohnHopkinsMedicalCentereingerichtet,inderseitdemauchge schlechtsangleichendeMaßnahmendurchgeführtwerdendurften. InderfrühenBundesrepublikDeutschlandwardiesschwieriger.Ärzte,diehierGeschlechts umwandlungen durchführten, konnten noch wegen „sittenwidriger Körperverletzung“ be straftwerden.Sowurden1967siebenBerlinerGynäkologenangeklagt,weilsieTranssexuel lenHormoneverschriebenhatten.1971stelltedannaberderBundesgerichtshoffest,dass es sich nicht um eine sittenwidrige Körperverletzung handeln kann wenn die Einwilligung desBetroffenenvorliegtunddieOperationdazudient,daskörperlicheundseelischeBefin dendesPatientenwiederherzustellen. (BGHvom21.September1971,JZ1972,S.281) 1978erlaubtedanndasBundesverfassungsgerichtauchdievonvielenBetroffenenlanger sehnte Personenstandsänderung, mit der Begründung: „Menschenwürde und Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gebieten es, die Eintragung des männlichen Ge schlechtseinesTranssexuellenimGeburtenbuchjedenfallsdannzuberücksichtigen,wenn essichnachmedizinischenErkenntnissenumeinenirreversiblenFallvonTranssexualismus handeltundeinegeschlechtstranponierendeOperationdurchgeführtwurde.“ (BVerfGvom11.Oktober1978.NJW1979.S.595) Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes wurde das Transsexuellengesetz durch denGesetzgebererlassen,welchesdannam1.Januar1981inKrafttrat.AufdiesesGesetz 13