DEUTSCHES ÄRZTEBLATT DIE ÜBERSICHT Testosteron, Anabolika und aggressives Verhalten bei Männern Eberhard Nieschlag Was ist Aggression? Beim Tier sind Aggression und Aggressivität klar umschrieben als instrumentelles Verhalten: erstens zur Verteidigung des Territoriums, zweitens zur Verteidigung der Nachkommen, drittens zur Etablierung des sozialen Status und viertens um Zugang zu Sexualpartnern zu erhalten. Bestimmende Faktoren des aggressiven Verhaltens sind: genetische Faktoren, hormonelle Faktoren, Schlüsselreize und soziales Lernen. Hormonelle Faktoren können ihre Effekte entweder direkt auf das ZNS (Aggressionszentrum, sexuelle Motivation, exploratorisches Verhalten) oder indirekt über körperliche Größe und Kraft, psychische Energie und sexuelle Appetenz entfalten. Beim Menschen beinhaltet der Begriff Aggression/Aggressivität einen Zustand der Emotionalität und ein auf Angriff und Zerstörung zielendes Verhalten, ohne daß die Ursachen und Ziele so klar zu erkennen sind wie beim Tier. Während bis vor wenigen Jahren versucht wurde, auch beim Menschen Aggressionen vorwiegend biologisch zu erklären, stehen heute wieder soziale Faktoren als Erklärungen im Vordergrund. Methodenkritik Schwierigkeiten bestehen nach wie vor bei der Messung von Aggressivität beim Menschen, wenn auch psychologische Testverfahren erarbeitet wurden, die entweder auf dem beobachteten Verhalten oder einer Selbsteinschätzung der Versuchspersonen beruhen (1). Obwohl Hormone im Blut und anderen Körperflüssigkeiten (zum Mitteilungen in der Laien- und Fachpresse über aggressives Verhalten unter der Einnahme von Testosteron und anderen Anabolika werfen die Frage auf, ob ein zufälliger oder ein kausaler Zusammenhang besteht. Langjährige klinische Erfahrungen mit Testosteron und experimenteller Einsatz in Studien zur männlichen Kontrazeption sprechen für eine zufällige Koinzidenz. Bei der Häufigkeit des Anabolika-Mißbrauchs muß davon ausgegangen werden, daß alle in einer großen Population möglichen abnormen Verhaltensweisen auch beim Anabolika-Anwender ohne kausalen Zusammenhang auftreten können. Beispiel Speichel) gemessen werden können, bestehen nach wie vor große methodische Probleme bei der Etablierung von Korrelationen zwischen den Meßergebnissen und den Verhaltensformen. Meistens werden nur punktförmige Messungen der Hormone ohne Berücksichtigung von zirkadianen oder längerfristigen Schwankungen vorgenommen Testosteron im Blut (und im Speichel) ist von vielen anderen Faktoren abhängig, wie etwa körperlicher Aktivität, dem allgemeinen Gesundheitszustand, dem Alter. Die Messung eines Hormones im Blut sagt nur indirekt etwas über die Produktion, die MetabolisieInstitut für Reproduktionsmedizin (Direktor: Prof. Dr. med. Eberhard Nieschlag) der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster rungsrate und die möglichen Effekte im Zielorgang aus. Das Zielorgan ist kein passiver Rezipient, wie früher angenommen wurde, sondern kann aktiv zum Beispiel durch Rezeptorregulation Hormoneffekte modulieren. Darüber hinaus spielen nicht nur aktuelle Hormonkonzentrationen eine Rolle. Der prägende Einfluß von Hormonen in früheren Lebensphasen auf gegenwärtige Ereignisse kann nicht geleugnet werden, ist aber nur sehr schwer zu erfassen. All dies wird bei Messungen von Testosteron im Blut und im Speichel oft nicht berücksichtigt. Dies sei als Warnung vor einer Uberinterpretation von gemessenen Hormonwerten und vor einer übereifrigen Extrapolation auf psychische Ereignisse und Verhaltensmuster konstatiert. Letztendlich muß darauf hingewiesen werden, daß Testosteron und Sexualhormone nur einen Faktor der das aggressive Verhalten beeinflussenden Faktoren darstellen und daß andere endokrine Systeme, wie das adrenerge, serotonerge und cholinerge von ähnlicher Bedeutung sein können. Testosteron in Körperflüssigkeiten und Aggressivität unter physiologischen Bedingungen Daß Zusammenhänge zwischen Androgenen und Aggresivität bestehen, wird immer wieder versucht, mit dem Beispiel der Kastration von juvenilen Hengsten und Stieren plausibel zu machen, die seit alters her zur Verminderung der Aggressivität dieser Haustiere benutzt wird. Bei Affen konnte zunächst eine klare Korrelation zwischen Testosteron und aggressivem Verhalten etabliert werden. Diese Korrelation wurde später Dt. Ärztebl. 89, Heft 37, 11. September 1992 (63) A1-2967 jedoch wieder in Frage gestellt, da die Aggressivität prä- und peripubertal kastrierter Affen nicht unbedingt geringer war als die intakter Kontrolltiere. Bei Jungen in der Pubertät und erwachsenen Männern wurde in verschiedenen Studien Testosteron im Serum gemessen und mit der Aggressivität verglichen, die in auf einer Selbstbeurteilung beruhenden psychologischen Tests gemessen wurden. In zwölf Studien wurde keine Korrelation, und in sechs Studien wurde eine positive Korrelation gefunden (Übersicht in 4). Keine dieser Studien zeichnet sich durch ein besonders elaboriertes Design aus der Sicht des Endokrinologen aus. Um ein objektiveres Maß für die Aggressivität zu erhalten, wurden einige Untersuchungen bei Populationen mit auffälligem Verhaltensmuster vorgenommen. Sportler sind hier eine einleuchtende Zielgruppe. Bei Gewinnern von Ringkämpfen und Tennisspielen wurden höhere Testosteronwerte gemessen als bei Verlierern. Diese Befunde konnten für Judo-Kämpfer allerdings nicht bestätigt werden (in 4). Auch Untersuchungen von Kriminellen haben kein eindeutiges Muster ergeben. Einige Untersucher fanden höhere Testosteronwerte bei Gewalttätern und Vergewaltigern. Bei aggressiven Gefängnisinsassen wurden auch höhere Testosteronwerte als bei nicht aggressiven gefunden. Eine neuere Studie fand aber auch niedrigere Testosteronwerte bei Sexualverbrechern als bei normalen Kontrollen (in 4). Kastration oder Antiandrogenbehandlung führt bei Sexualverbrechern zu einer Unterdrückung des kriminellen Potentials. Diese Erfahrung führte in der Bundesrepublik Deutschland zur Verabschiedung des Kastrationsgesetzes (1969), das derartigen Delinquenten Freiheitsstrafen erläßt, wenn sie sich kastrieren oder mit Antiandrogenen behandeln lassen. Aus diesem Tatbestand zu schließen, daß eine Erhöhung der Testosteronwerte über das normale Maß hinaus zu einer Erhöhung der Aggression oder sogar zur Kriminalität führen könnte, ist wissenschaftlich nicht nachvollziehbar. A1 2968 - Einen indirekten Beitrag zu dieser Frage liefern Patienten mit Klinefelter-Syndrom. Die Kriminalitätshäufigkeit ist unter Patienten mit Klinefelter-Syndrom höher als bei normalen Männern. Die Patienten fallen vor allem durch Eigentumsund Sexualdelikte auf. Die Testosteronwerte dieser Patienten liegen im untersten Normbereich oder sind pathologisch niedrig. Wenn auch der Androgenmangel nur eine Komponente beim Zustandekommen dieses multifaktoriellen Syndroms ist, widerspricht diese Konstellation denjenigen Untersuchern, die eine positive Korrelation zwischen Serumtestosteron und krimineller Aggressivität finden. Als therapeutische Konsequenz aus diesen Befunden wird daher von einigen Forschern postuliert, daß Klinefelter-Patienten möglichst frühzeitig mit Testosteron substituiert werden sollten, um kriminelles und sozial auffälliges Verhalten zu verhindern (8). Die eigene Erfahrung mit Klinefelter-Patienten und im begrenzten Umfange auch mit solchen, die sich im Strafvollzug befinden, bestätigen die Richtigkeit dieses Vorgehens. Die biologischen Grundlagen des Kastrationsgesetzes, die ein Ausschalten des Testosterons zur Verhinderung von Straftaten nahelegen, und die Empfehlung, Klinefelter-Patienten möglichst frühzeitig mit Testosteron zu substituieren, um kriminelles Verhalten zu verhindern, erscheinen wie ein Widerspruch. Beim einen wird jedoch Testosteron entzogen, um die Verwirklichung einer grundsätzlich vorhandenen Neigung zu verhindern, während beim anderen Testosteron gegeben wird, um durch eine möglichst frühzeitige Adaptierung an die Gleichaltrigen die Entwicklung sozial auffälligen Verhaltens zu vermeiden. Therapeutische Anwendung von Testosteron bei hypogonadalen Patienten Seit mehr als 50 Jahren wird Testosteron zur Substitution des männlichen Hypogonadismus eingesetzt (Ubersicht bei 6). Berichte über ungewöhnliches, aggressives Verhalten bei derartigen Patienten unter The- (64) Dt. Ärztebl. 89, Heft 37, 11. September 1992 rapie sind nicht bekannt geworden. Auch in der eigenen über 20jährigen klinischen Erfahrung mit hypogonadalen Patienten fehlen Berichte über ungewöhnliche Aggressivität unter Testosteron-Substitution. In einer kontrollierten doppelblinden Studie erhielten zwölf hypogonadale Männer 160 mg Testosteron-Undecanoat täglich oder Placebo für zwei Monate. In dieser Studie ergaben sich keine Unterschiede im Hinblick auf Aggressivität zwischen der Verum- und der Placebogruppe (10). Androgene in Studien zur männlichen Kontrazeption Umfangreiche experimentelle Erfahrungen liegen bei der Anwendung von Androgenpräparaten zur Induktion einer Azoospermie und damit zur Kontrazeption vor (Ubersicht in 7). In der ersten großen Effektivitätsstudie zur hormonellen männlichen Kontrazeption, die von der WHO durchgeführt wurde (12), erhielten 271 gesunde Männer teilweise bis zu eineinhalb Jahren 200 mg Testosteron-Önanthat wöchentlich. Diese Dosierung liegt etwa um das Doppelte bis Dreifache über der durchschnittlichen therapeutischen Dosis bei Hypogonadismus. Siebenundzwanzig Männer schieden aus der Studie wegen medizinischer Gründe aus, drei von 27 wegen „increased aggressiveness and libido", ohne daß hier genauer differenziert wurde. Wenn die Studie auch keine Kontrollgruppe beinhaltet, so liegt doch der Verdacht nahe, daß sich ähnliche Ereignisse auch bei drei von 271 nicht behandelten Männern in einem Zeitraum von mehr als einem Jahr hätten beobachten lassen. In eigenen Studien zur männlichen Kontrazeption wurden gesunde junge Männer mit 19-Nortestosteron-Hexoxyphenylpropionat behandelt. In zwei dieser Studien mit insgesamt 36 Teilnehmern wurden auch psychologische Tests begleitend durchgeführt, nämlich der Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI). Unter der Therapie wurden für die Kategorie „Aggressivität und Dominanzstreben" keine signifikanten Änderungen beobachtet. Dies gilt auch für andere psychische Parameter. Darüber hinaus wurden etwa 1500 Männer im Laufe der letzten 30 Jahre in verschiedenen Studien zur männlichen Kontrazeption, basierend auf der Applikation von Androgenen, untersucht (Ubersicht in 7). Wenn auch meist keine systematischen psychologischen Tests durchgeführt wurden, so kann doch festgehalten werden, daß keine außergewöhnlichen psychischen Reaktionen bei diesen Studien festgestellt wurden. Die AndrogenDosierungen lagen dabei meist bis zu zweifach über der normalen therapeutischen Dosierung. Mißbrauch von Androgenen bei Bodybuildern und im Leistungssport In den letzten Jahren sind gelegentlich Berichte, insbesondere in der Laienpresse, aufgetaucht, die einen Zusammenhang zwischen aggressivem Verhalten und der Einnahme von anabolen Steroiden vermuteten oder postulierten. So hat ein Mörder in den USA auf „nicht schuldig" plädiert, da er den Mord unter der Einnahme von Anabolika getätigt habe. Ohne eindeutige Stellung zu diesem eventuellen Zusammenhang zu nehmen, erkannte das Gericht jedoch dieses Argument nicht an, da auch für andere Drogenkonsumenten (zum Beispiel von Kokain) Unwissenheit über die Möglichkeit psychischer Dopingfolgen nicht vor der Strafe schützt. Ein ähnlicher Fall wurde in England bekannt. John Steed vergewaltigte ein zehnjähriges Mädchen, rammte danach das Auto einer 40jährigen Frau und vergewaltigte sie, bevor er eine Prostituierte mit einer abgesägten Schrotflinte erschoß. In den Gerichtsverhandlungen machte er aus Zwecken des Bodybuildings injiziertes Testosteron für diese Handlungsweise verantwortlich. In der WELT wurde am 7. November 1987 in einem Artikel über „Die unbekannte Seite der Medaille" mitgeteilt, daß neuere Untersuchungen darauf hinweisen, daß Androgene in zehn Prozent der Fälle zu Aggressivität und Nervosität führten. Diese Untersuchungen wurden allerdings nicht mit einer Quelle belegt. In einem immer wieder zitierten „Letter to the LANCET" sprechen Pope und Katz (1987) (9) sogar von einer „Bodybuilder-Psychose". Sie hatten zunächst bei zwei Männern unter Anabolika Depressionen und Halluzinationen festgestellt, die nach Absetzen der Anabolika verschwanden. Sie interviewten dann 31 weitere Anabolika-Anwender und stellten bei drei psychotische Symptome fest. Einer davon fuhr mit 60 km/h in seinem Auto gegen einen Baum und ließ sich dabei von einem Freund videographieren. Ein anderer, als er von einem überholenden Fahrzeug geschnitten wurde, verfolgte dies, griff den Fahrer an und schlug die Windschutzscheibe mit einer Eisenstange ein. Vor der Einnahme von Anabolika hätten sie ein vergleichsweise aggressives Verhalten nicht an den Tag gelegt. Angeregt von dieser Mitteilung berichteten Conacker und Workman (1989) (3) von einem kanadischen Bodybuilder, der seine Frau bei deren Enthüllungen über ihre eheliche Untreue so verprügelt habe, daß sie an den Folgen eines subduralen Hämatoms gestorben sei. Allerdings konzidieren die Autoren, daß die Tat unter hohem Alkoholkonsum geschehen und es schon früher zu Gewalttätigkeiten unter Alkohol gekommen sei. In allen diesen Fällen handelt es sich um Einzelbeobachtungen, die einen Hinweis auf mögliche Zusammenhänge geben, aber keinerlei beweisenden Charakter haben. In einer amerikanischen Studie wurden 32 Bodybuilder psychologisch untersucht (11). Die Studie kam zu dem Schluß, daß sich über die Hälfte der Anabolika verwendenden Bodybuilder als vermehrt aggressiv und kampfeslustig bezeichneten. Hierbei aber handelt es sich um Selbsteinschätzungen ohne Anspruch auf Objektivität. Andere Untersucher konnten bei einer psychologischen Untersuchung von 53 Anabolika-Anwendern im Vergleich zu 40 Bodybuildern, die keine Anabolika einnahmen, keine Unterschiede zwischen den Gruppen feststellen (2). In diesem Zusammenhang muß die Frage nach der Persönlichkeit des Anabolika-Anwenders gestellt werden. Man könnte vermuten, daß die hochdosierte und wiederholte Einnahme oder Injektion von Anabolika eine Persönlichkeit mit überdurchschnittlicher Aggressivität voraussetzt und daß die Anabolikaanwendung als solche bereits ein psychopathisches Verhalten dokumentiert. Es handelt sich um Personen, die körperliche Bestleistungen vollbringen wollen und hierfür überdurchschnittliche Risiken einzugehen bereit sind. Ist es also nicht die Persönlichkeit, die zur sozialen Auffälligkeit und zum straffälligen Verhalten führt, und werden die Anabolika nicht als Ausrede und Alibi hingestellt? Demgegenüber zeigen die jüngsten Enthüllungen über die Praxis der Anabolika-Anwendung in der ehemaligen DDR, daß sozialer Druck und verantwortungsloses Handeln von Vorgesetzten und Betreuern bereits Jugendliche, die zunächst nur Spaß am sportlichen Spiel haben mögen, zum Anabolika-Mißbrauch verführen können. Dies würde die These von der primär höheren Aggressivität des Anabolika-Anwenders wieder in Frage stellen. Angewandte Dosen und Präparate Bevor aus den oben aufgeführten Beispielen Schlüsse gezogen werden, sollte man sich Gedanken zu den Dimensionen des AnabolikaMißbrauches machen. Im Leistungssport und beim Bodybuilding werden die unterschiedlichsten Präparate in den verschiedensten Kombinationen und Dosierungen angewandt. Wir konnten in einer Umfrage unter Bodybuildern 40 verschiedene Anabolikapräparate identifizieren, die von diesem Kollektiv eingenommen wurde (5). Das Spektrum reicht von in der Therapie eingesetzten Testosteronpräparaten bis hin zu solchen, die nur in der Tierzucht verwandt werden, zum Beipiel Trenbolon. Häufig kommen Präparate zur Anwendung, die hierzulande überhaupt nicht zugelassen und nur auf dem Schwarzmarkt erhältlich sind. Einzelne Präparate werden bis zur 40fachen Dosierung dessen eingesetzt, was in der Therapie üblich ist. Darüber hinaus werden verschie- Dt. Ärztebl. 89, Heft 37, 11. September 1992 (67) A1-2971 dene Präparate kombiniert und in stetig steigenden Dosen eingenommen - sogenanntes „Stacking". Obwohl bei diesen ungeprüften Dosierungen und Kombinationen die ausgefallensten Nebenwirkungen auftreten können, bleiben die Nebenwirkungen insgesamt gering; denn die Anwender sind ja gleichzeitig zu höchsten körperlichen Leistungen befähigt. Allerdings scheinen die Nebenwirkungen jedweder Art bei der Anwendung von 17a-alkylierten Androgenen häufiger vorzukommen als bei den 17ß-Estern. (Es sei hier betont, daß die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie bereits 1981 die Verwendung von 17a-alkylierten Androgenen generell für obsolet erklärt hat.) Wie allgemein bekannt ist, ist der Anabolika-Mißbrauch im Leistungssport weit verbreitet. Die Kunst der Sportler besteht darin, die Anwendung zu verschleiern. Bodybuilder sind weit weniger zurückhaltend, da in dieser Disziplin Anabolika bis in die jüngste Vergangenheit nicht verpönt waren. Kaum ein Athlet dieser Disziplin wird sich der Versuchung entziehen können, früher oder später Anabolika anzuwenden, wenn er die Ziele dieses Sportes ernst nimmt Weniger bekannt ist das Ausmaß des Anabolika-Mißbrauches in der breitensportlich aktiven Bevölkerung. Hier besteht eine hohe Dunkelziffer. Eine 1988 im JAMA veröffentlichte Studie fand jedoch unter 3400 18jährigen US-amerikanischen High-School-Schülern 224 entsprechend 6,6 Prozent, die Anabolika anwandten. Viele hatten schon vor dem 16. Lebensjahr damit begonnen. Vergleichbare Daten aus Europa sind nicht bekannt. Es gibt allerdings keine Hinweise dafür, daß das Problem in Europa bereits ähnliche Dimensionen erreicht hat wie in den USA. Zusammenfassung und Schlußfolgerung Eindeutige und belegbare Zusammenhänge zwischen der Anwendung von Testosteron/Anabolika und aggressivem Verhalten bestehen nicht. Klinische Erfahrungen und geA1-2972 zielte Studien bei Patienten mit Hypogonadismus und unter Testosteron-Therapie geben keinen Hinweis für eine gesteigerte Aggressivität bei diesen Patienten. Auch experimentelle Studien mit Androgenen zur männlichen Kontrazeption geben keinen Hinweis auf eine gesteigerte Aggressivität. Beim gegenwärtigen Wissensstand und unter Berücksichtigung der Häufigkeit des Anabolika-Mißbrauches muß davon ausgegangen werden, daß alle in einer großen Population möglichen abnormen Verhaltensweisen auch bei AnabolikaAnwendern ohne kausalen Zusammenhang auftreten können. Derartige zufällige Koinzidenzen sind durchaus möglich (2). Fundierte Studien, an denen es bisher mangelt, mögen in Zukunft zu neuen Erkenntnissen führen. Nach unserem Wissensstand besteht für Patienten, die Testosteron in therapeutischen Dosen erhalten, keine Gefahr eines abnormen aggressiven Verhaltens. Bei den übrigen Beobachtungen handelt es sich um anekdotenhafte Mitteilungen ohne bewiesenen Zusammenhang. Die Kommission Hormontoxikologie der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie sollte sich lediglich dazu veranlaßt sehen, erneut den AnabolikaEinsatz im Sport als medizinisch nicht begründbare Maßnahme zu brandmarken, wie sie es bereits 1977 und 1988 getan hat. Die Warnung vor dem Mißbrauch des Testosterons sollte mit der Klarstellung verbunden sein, daß der Einsatz von Testosteron bei Patienten mit Hypogonadismus eine risikoarme Substitutionstherapie bietet, die für Wiederherstellung oder Erhalt von Gesundheit und Lebensqualität dieser Patienten unabdingbar ist. Der vorliegende Bericht wurde zur Information der Kommission Hormontoxikologie der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie zusammengestellt. Literatur 1. Archer, J.: The influence of testosterone on human aggression. Brit. J. Psychol. 82: (1991) 1-28 2. Bahrke, M. S.; Wright, J. E.; O'Connor, J. S.; Strauss, R. H.; Catlin, D. H.: Selected psychological characteristics of anabolic-androgenic steroid users. New Engl. J. Med. 12: (1990) 834-835 3. Conacker. G. N.; Workman, D. G.: Violent crime possibly associated with anabolic steroid use. Am.J. Psychiatry 146: (1989) 679 4. Hubert, W.: Psychotropic effects of testosterone. In: Nieschlag, E.; Behre, H. M. (eds): Testosterone: Action, Deficiency, Substitution, Springer Verlag, Berlin, Heidelberg, New York (1990) pp 51-71 5. Knuth, U. A.; Maniera, H.; Nieschlag, E.: Anabolic steroids and semen parameters in bodybuilders, Fertil. Steril. 52: (1989) 1041-1047 6. Nieschlag, E.; Behre, H. M.: Pharmacology and clinical use of testosterone. 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World Health Organization Task Force on Methods for the Regulation of Male Fertility: Contraceptive efficacy of testosterone-induced azoospermia in normal men: Lancet II (1990) 955-959 Anschrift des Verfassers: Dt. Ärztebl. 89 (1992) A 1 -2967-2972 [Heft 37] (68) Dt. Ärztebl. 89, Heft 37, 11. September 1992 Prof. Dr. med. Eberhard Nieschlag Direktor des Institutes für Reproduktionsmedizin der Westfälischen Wilhelms-Universität Steinfurter Straße 107 W-4400 Münster