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Der Fund ist spektakulär: 12.000 Fragmente frühester buddhistischer Literatur tauchten in der Gegend des afghanischen
Bamiyan auf. Der LMU-Indologe Professor Jens-Uwe Hartmann gehört der Forschergruppe an, die sich um die Entschlüsselung
und Einordnung der Texte kümmert. Erste Ergebnisse elektrisieren nicht nur die Fachwelt. Manche vergleichen die Bedeutung
des Fundes sogar mit der Entdeckung der frühchristlichen Qumran-Schriftrollen vom Toten Meer.
MAXIMILIAN G. BURKHART
das geheimnis der bamiyan-fragmente
M
it der Sprengung der unter dem Schutz des UNESCO-Weltkulturerbes stehenden kolossalen Buddhastatuen
von Bamiyan drängen die radikalislamischen Taliban im Jahr 2001 ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit.
Aber nicht nur die allgemeine Empörung ist groß, sondern auch das Erstaunen. Denn bislang war nur Spezialisten
bekannt, dass auch in Afghanistan eine Blüte buddhistischer Kultur existierte, der die Statuen zugerechnet werden.
Fünf Jahre zuvor schon, mitten in den Wirren des afghanischen Bürgerkrieges, wurde ebenfalls in Bamiyan durch
einen Erdrutsch eine lange verschüttete Höhle freigelegt, die vermutlich einst als Bibliothek diente. In ihr finden sich 108
Fragmente frühester buddhistischer Literatur. Diesem wertvollen Fund ist ein besseres Schicksal als den Statuen beschieden. In einer waghalsigen Aktion bringen Schmuggler – gejagt von den Taliban – die Dokumente auf verschlungenen
Pfaden über den Khyberpass. Über Islamabad gelangen die Schriftstücke nach London, wo sie bei Sothebys von einem
unbekannten Mäzen für die British Library ersteigert werden. Da die „Gotteskrieger“ versuchen, alle Zeugnisse vorund nichtislamischer Kultur zu vernichten, wachsen daraufhin in der restlichen Welt die Begehrlichkeiten nach eben
diesen Artefakten und die dafür gezahlten Schwarzmarktpreise. Das wiederum motiviert die lokale Bevölkerung, nach
diesen Kulturgütern zu suchen. Innerhalb von zwei Jahren wächst das Textkorpus auf 12.000 Teile an, davon allerdings
8.000 so genannte Mikrofragmente. Den Zuschlag für den Großteil dieser Fragmente bekommt der norwegische
Sammler Martin Schøyen aus Oslo, der auch einige Schriftrollen aus Qumran besitzt. Mit einiger Verzögerung formiert
sich in Norwegen selbst einiger Widerstand gegen diese Art des Kulturtransfers. Eine norwegische Ethikkommission
gestattet jedoch die digitale Erfassung und wissenschaftliche Auswertung dieses einmaligen kulturellen Schatzes.
Und so geht für die Indologie ein beinahe orientalisches Märchen in Erfüllung.
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Mittlerweile verhandelt der Besitzer auch mit den afghanischen Behörden über eine mögliche Rückgabe der Artefakte.
Mit der wissenschaftlichen Bearbeitung wird eine kleine, international renommierte Gruppe von Wissenschaftlern
betraut. In der Gruppe sind ein Norweger, Jens Braarvig, und ein Japaner, Kazunobu Matsuda, vertreten. Die relative
Mehrheit aber stellen die Deutschen. Neben dem Münchener Professor Jens-Uwe Hartmann gehören noch die Berliner
Schriftspezialistin Lore Sander und seit Kurzem auch der in den USA lehrende Neuseeländer Paul Harrison zum
erlauchten Kreis. Während hierzulande die Erben von Grimm und Schleiermacher um Forschungsgelder, Posten und
ganze Institute fürchten müssen, genießt die deutsche Philologie im Ausland offensichtlich einen exzellenten Ruf.
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3 Stuckplastik eines Vajra- paņi nach dem Vorbild des Herakles im typischen
Gandhara-Stil (der Verschmelzung gräko-römischer Formen mit indisch-buddhistischen Inhalten) aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. in der Klosteranlage von Hadda
bei Jalalabad im östlichen Afghanistan. Das Kloster ist bei Kämpfen mit den
Taliban zerstört worden.
In der ersten Euphorie vergleicht die Times am 26. Juni 1996 die
Bedeutung des Fundes mit der Entdeckung der frühchristlichen Schriftrollen vom Toten Meer. Jens-Uwe Hartmann bleibt heute mit der Bewertung etwas vorsichtiger. Dennoch: Die Befunde der Forschergruppe
elektrisieren auch die Fachwelt. Die Wiege des Buddhismus liegt in der
Heimat seines Begründers Siddha-rtha Gautama (563 bis vermutlich 483
v. Chr.) im heutigen Nepal. Über die Seidenstraße verbreiteten sich die
Lehren des „Erleuchteten“ schnell auch in Gandhara (heute Afghanistan
und das nordwestliche Pakistan), das Alexander der Große 326 v. Chr.
erobert hatte. Zudem stand die Region traditionell auch unter persischem Einfluss. Ein wahrer melting pot der Kulturen entstand mit verblüffenden Konsequenzen vor allem auch für die bildende Kunst. So
zieren zum Beispiel bildhauerische Darstellungen Buddhas oft Figuren,
die auf den ersten Blick direkt dem Fries griechischer Tempel entsprungen zu sein scheinen. Einer davon, der so genannte Vajra-paņi, ist Herakles nachgebildet. Unterscheidbar ist er
vor allem am Vajra, einer indischen Waffe, die der Keule des Herakles entspricht (siehe Abbildung). Mit dem Aufkommen
von Hinduismus und Islam verschwand der Buddhismus ab dem 8. Jahrhundert beinahe vollständig aus Afghanistan,
ab dem 12. Jahrhundert dann auch vom indischen Subkontinent. Anfänglich, genauer: fast ein halbes Jahrtausend lang,
wurden die Lehrreden des Buddha und die dazu gehörigen Kommentare jedoch nur mündlich weitergegeben. Da
zudem die später als Schreibmaterial verwendeten Birkenrinden und Palmblätter im subtropischen Klima Indiens bald
zerfallen, existieren heute kaum noch originalsprachliche frühbuddhistische Texte in Sanskrit. Ein großer Teil des
buddhistischen Textkorpus ist daher heute nur noch über den Umweg chinesischer und tibetischer Übersetzungen
erfassbar. Und das macht die Funde so einzigartig, wie der Münchener Philologe an drei Beispielen erläutert.
TEXTE IM STIL EINES PHILOSOPHISCHEN LEHRGESPRÄCHS
Die Forschergruppe konzentrierte sich zunächst auf Texte jüngeren Datums aus dem zweiten bis achten nachchristlichen Jahrhundert. Geschrieben sind sie vor allem in Brahmi. So lässt sich – nebenbei – auch die Entwicklung
der Schrift in Indien dokumentieren. Schnell wurde den Forschern klar, dass es sich bei den Handschriften in Bamyian
um sehr alte, teilweise sogar um die ältesten erhaltenen Texte des Buddhismus handeln muss. Nach mühevoller
Puzzlearbeit – neben fast vollständig erhaltenen Seiten bestehen die Fragmente zum größten Teil aus konfettigroßen
Papierschnipseln – zeichnen sich nun erste Forschungsergebnisse ab. Eine Palmblatt-Handschrift enthält eine Sammlung von so genannten Maha-ya-nasu-tras, kanonisierte Lehren also, die vom historischen Buddha selbst stammen
sollen. In einem der als Dialog gestalteten Texte geht es um einen Maha-ra-ja, der den Thron durch Vatermord
eroberte. In diesem Su-tra wird ein für den Buddhismus zentrales Tabu erörtert, das – so der Glaube – nach dem Tode
zu einer sofortigen Wiedergeburt in der Hölle führe. Mit der Zeit plagten den Herrscher jedoch Gewissensbisse. Im
Stil eines philosophischen Lehrgesprächs erörtert der Text die Frage, wie das durch den Patrizid negativ beeinflusste
Karma durch Reue abgemildert werden kann. Nun gilt der Buddhismus als besonders kontemplative, weltabgewandte,
an Macht und Einfluss wenig interessierte Religion. Und genau dieser Umstand macht diesen Text so interessant,
erklärt der Münchener Experte. Denn menschliche Gemeinschaften oder Staaten benötigen eine gewisse Struktur,
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und das bedeutet Herrschaftsverhältnisse und Staatsgewalt zur Durchsetzung von Ordnung. Damit befinden sich Regenten aus buddhistischer Perspektive prinzipiell in einem moralisch-religiösen Dilemma. Das gefundene Su-tra zeigt
nun einen möglichen Ausweg, indem es unvermeidliche Regierungsgewalt entschuldet. Religion und Politik werden
kompatibel. Es liefert damit eine Grundlage dafür, dass der Buddhismus überhaupt Staatsreligion werden konnte und
so zu seiner größten Blüte gelangte. Das führt unter anderem auch dazu, dass die Todesstrafe in buddhistischen
Ländern sehr wohl akzeptiert wird. Erstaunlich, da das Tötungsverbot das zentrale Gebot des Buddhismus darstellt.
SCHRIFT AUF UNGEWÖHNLICHEM MATERIAL
Der zweite Text enthält eine Anrufung verschiedener Buddhas, ist also vermutlich ein Gebetbüchlein für das
klösterliche Leben. Nichts besonderes, sollte man denken. Und doch handelt es sich um einen äußerst ungewöhnlichen
Text. Geschrieben ist er nämlich in Baktrisch, einer mitteliranischen Lokalsprache. Die Schrift selbst jedoch ist kursives Graeco-Baktrisch, ein hellenistisch beeinflusstes Zeichensystem. Verblüfft war die Forschergruppe aber auch
von dem Schriftträger: Die Gebete sind nämlich nicht auf Birkenrinde oder Palmblättern, sondern auf Leder festgehalten. Da sich das buddhistische Tötungsverbot auf alle empfindungsfähigen Lebewesen erstreckt, ein überraschendes Material. Eine mögliche Erklärung wäre, so Jens-Uwe Hartmann, dass es sich um eine Art Reisebrevier
handelt, das naturgemäß starken Belastungen ausgesetzt wäre. Da im Buddhismus aber der Text an sich grundsätzlich
heilig ist, wäre die Verwendung von sehr strapazierfähigem Schreibmaterial verständlich. Diese sehr spezielle Verbindung von buddhistischem Inhalt, griechischer Schrift, iranischer Sprache und westlichem Textformat und Textmaterial verleiht dem Büchlein einen fast einzigartigen Status. Weltweit existiert nur ein vergleichbares Stück.
Auch das letzte Beispiel des Indologen gleicht einer wissenschaftlichen Sensation. Das Fragment ist Teil des so
genannten Sukha-vati- -Vyu- ha und ebenfalls ein Maha-ya- nasu- tra. Im Mittelpunkt steht der transzendente Buddha
Amita-bha und die Beschreibung seines paradiesähnlichen „Reinen Landes“ Sukha-vati- . Ebenso wie beim ersten Beispiel handelt es sich auch hier um einen vorgeblich vom Buddha selbst verfassten Lehr-Text. Der ursprüngliche
Buddhismus kennt noch keine Paradiesvorstellungen. Sein Ziel ist vielmehr, den Sam
. sa ra, den ewigen, leidvollen
Kreislauf von Leben, Tod und Wiedergeburt, zu unterbrechen, und Erlösung zu finden. Der Buddha Siddha- rtha
Gautama erstrebte das Nirvana („Verwehen“) und das „vollständige Verlöschen“ im Parinirvana nach dem Tode. Für
einige ostasiatische, besonders die chinesischen und japanischen Formen des Buddhismus, ist jedoch die Wiedergeburt im Paradies von Amita-bha zentrales Glaubensziel. Sie propagieren die Wiedergeburt in einem paradiesähnlichen Zustand. Bislang ging die Forschung davon aus, dass diese wichtige Veränderung im Glaubensinhalt aller
Wahrscheinlichkeit nach nicht aus den Kernlanden des Buddhismus stammen könne. Man hielt dies vielmehr für eine
Vermischung von buddhistischen und lokalen Glaubensformen. Im Christentum lässt sich dies beispielsweise in der
Vermischung von christlicher Epiphanie und heidnischer Wintersonnenwende zum Weihnachtsritual beobachten.
Der Sukha-vati- -Vyu- ha aus dem afghanischen Bamiyan stellt also gewissermaßen einen missing link zwischen
zentralem und ostasiatischem Buddhismus dar.
Die Bamiyan-Fragmente sind, wie schon an den wenigen Beispielen erkennbar wird, für die Indologie von unschätzbarem Wert. Aber ermöglichen sie einen ähnlichen Quantensprung für die Indologie wie die Qumran-Rollen vom
Toten Meer für die christliche Theologie? Einerseits, so Jens-Uwe Hartmann, sind die Funde aufgrund ihres Alters
und Erhaltungszustandes „eine absolute Sensation“. Andererseits bieten sie jedoch, im Gegensatz zu ihren frühchristlichen Pendants, keine vollkommen neuen Einblicke in die Entwicklung der Religion. Ihre Bedeutung erklärt
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3 Metallbehälter mit einer darin eingewickelten Handschrift
aus dem 6. Jahrhundert. Sie enthält eine häufig für die Abwendung von Unheil verwendete kurze Lehrrede des Buddha. Der
Behälter wurde im Sommer 2006 im Schutt einer der beiden
Buddha-Statuen in Bamiyan von Mitarbeitern des deutschen
ICOMOS-Teams entdeckt (ICOMOS = Internationaler Rat für
Denkmalpflege).
der Spezialist aber trotzdem mit einem Vergleich zum
Christentum: Man stelle sich vor, erklärt Jens-Uwe
Hartmann, „das Alte und das Neue Testament seien
von verschiedenen christlichen Sekten in mehreren
deutlich unterscheidbaren Fassungen überliefert, und
nun fände man eine christliche Bibliothek mit Fragmenten aus wenigstens zwei Fassungen des Alten
Testaments und einer des Neuen Testaments, außerdem Fragmente der dazugehörigen Kommentarliteratur; der größte Teil all dieser Schriften sei aber im Original bisher nicht erhalten gewesen und nur ein Teil davon wenigstens aus Übersetzungen bekannt. Ein derartiges Szenario wäre doch wohl eine Sensation.“ Und er fährt
fort: „Unter den Handschriften aus Afghanistan finden sich solche der beiden großen Richtungen des Buddhismus,
des Hi-naya- na (‚kleines Fahrzeug’; ältere, personalere Form) und des Maha-ya--na (‚großes Fahrzeug’; neuere, altruistische Form); innerhalb der Hi-naya- na-Schriften sind mindestens zwei, wahrscheinlich aber wenigstens drei verschiedene Schulrichtungen mit je eigenen Fassungen des Kanons repräsentiert. Innerhalb der Kanonfassungen sind
alle drei Abteilungen – Vinaya (Ordensdisziplin), Su-tra (Lehrreden), Abhidharma (systematische Exegese) – vertreten,
und viele Fragmente wird man wahrscheinlich deshalb nie endgültig bestimmen können, weil die in ihnen bewahrten
Texte weder in einer vollständigen Originalfassung noch in einer Übersetzung erhalten sind.“
Das Ordnen, Zusammensetzen, Erfassen und Kommentieren der Mikrofragmente gleicht einer Sisyphusarbeit, die
noch viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Für eine abschließende Bewertung der Bamiyan-Handschriften ist es also
noch zu früh. Jens-Uwe Hartmann ist sich seiner historischen Verantwortung bewusst: „In dieser Hinsicht aber, dass
wir hier nämlich auch solche Handschriften vor uns haben, deren religiöse Inhalte bis heute bei Millionen von
Menschen präsent, lebendig und für ihren jeweiligen Lebensentwurf von sinnstiftender Wirksamkeit sind, in dieser
Hinsicht also können wir uns ohne weiteres noch einmal erinnert fühlen an die Schriftrollen vom Toten Meer.“
Prof. Dr. Jens-Uwe Hartmann ist seit 1999 Professor für Indologie und Iranistik.
Derzeit ist er Dekan der Fakultät für Kulturwissenschaften. Seit 2001 ist er
Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
[email protected]
http://www.fak12.uni-muenchen.de/ind/hartmann.htm
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