annäherung an schumann - Staatskapelle Dresden

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11. SINFONIEKONZERT 2008|2009
ANNÄHERUNG AN SCHUMANN
K LASSI K P ICK N ICKT
W W W . G L A E S E R N E M A N U FA K T U R . D E
O P E N A I R KO N Z E R T M I T D E R S Ä C H S I S C H E N S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N
2 0 . J U N I 2 0 0 9 | D I E G L Ä S E R N E M A N U FA K T U R
B EG I N N: 21.00 U H R | E I N L ASS: 19.30 U H R
E I N T R I T T: 5 , – € | K I N D E R U N D J U G E N D L I C H E B I S 1 6 J A H R E E R H A LT E N
F R E I E N E I N T R I T T. K A R T E N I M VO R V E R K A U F I N D E R S C H I N K E LWA C H E
( T E L E F O N 0 3 5 1 - 4 9 1 1 - 7 0 5 ) O D E R I N D E R G L Ä S E R N E N M A N U FA K T U R .
SPIELZEIT 2008|2009
FA B I O L U I S I G E N E R A L M U S I K D I R E K T O R
S I R C O L I N D AV I S E H R E N D I R I G E N T
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11. SINFONIEKONZERT
SONNTAG, 7. JUNI 2009, 11 UHR
MONTAG, 8. JUNI 2009, 20 UHR
DIENSTAG, 9. JUNI 2009, 20 UHR
SEMPEROPER
Daniel Harding D I R I G E N T
Renaud Capuçon V I O L I N E
PROGRAMM
ROBERT SCHUMANN (1810-1856 )
Ouvertüre zu «Genoveva» c-Moll op. 81
Violinkonzert d-Moll op. posth.
1. In kräftigem, nicht zu schnellem Tempo
2. Langsam
3. Lebhaft, doch nicht zu schnell
PA U S E
ANNÄHERUNG
AN SCHUMANN
Sinfonie Nr. 2 C-Dur op. 61
1. Sostenuto assai – Allegro, ma non troppo
2. Scherzo. Allegro vivace
3. Adagio espressivo
4. Allegro molto vivace
Ein reines Schumann-Programm mit dem Dirigenten Daniel Harding:
Spiegeln die Ouvertüre zur romantischen Oper «Genoveva» und die
zweite Sinfonie Schumanns schwierige, aber fruchtbare Zeit in Dresden
wider, so komponierte er das Violinkonzert 1853 in Düsseldorf für den
jungen Joseph Joachim – der es aber nie öffentlich aufführte ...
Kostenlose Konzerteinführungen jeweils 45 Minuten vor Beginn
im Kellerrestaurant der Semperoper
Am 8. und 9. Juni 2009 Aufzeichnung durch MDR Figaro. Sendung am 6. Juli 2009, 20 Uhr
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DANIEL HARDING
begann Daniel Harding seine Karriere als
Assistent von Sir Simon Rattle beim City of Birmingham Symphony Orchestra, mit dem er 1994 sein professionelles Debüt
gab. Anschließend assistierte er Claudio Abbado bei den Berliner
Philharmonikern, die er 1996 im Rahmen der Berliner Festwochen
erstmals dirigierte. Er ist Principal Guest Conductor des London
Symphony Orchestra, Music Director des Swedish Radio Symphony
Orchestra und Principal Conductor des Mahler Chamber Orchestra.
Zuvor hatte er Chefstellen beim Trondheim Symphony Orchestra in
Schweden (1997-2000) und bei der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen (1997-2003) inne, gleichzeitig war er Principal Guest
Conductor des Norrköping Symphony Orchestra (1997-2003).
Harding arbeitet regelmäßig mit Orchestern wie der Sächsischen
Staatskapelle Dresden, den Wiener Philharmonikern (beide dirigierte er auch bei den Salzburger Festspielen), den Berliner Philharmonikern, dem Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam und
dem Orchestra Filarmonica della Scala zusammen. 2005 leitete er
die Saisoneröffnung der Mailänder Scala (Mozart: «Idomeneo»);
seitdem dirigierte er an der Scala auch «Salome» und «Herzog
Blaubarts Burg/Il Prigionero». Als Operndirigent war er u.a. auch
am Royal Opera House Covent Garden, bei den Salzburger Festspielen und vor allem beim Festival in Aix-en-Provence zu erleben,
mit dem ihn eine enge Zusammenarbeit verbindet. Daniel Harding
ist Exklusivkünstler der Deutschen Grammophon und wurde für
seine Debütaufnahme (Mahler: Sinfonie Nr. 10) mit den Wiener
Philharmonikern hoch gelobt. Zuvor sind zahlreiche Aufnahmen
bei Virgin/EMI erschienen. 2002 wurde Daniel Harding von der
französischen Regierung zum «Chevalier de l’Ordre des Arts et des
Lettres» ernannt.
GEBOREN IN OXFORD,
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FRUCHTBARES
INTERMEZZO
ROBERT SCHUMANN IN DRESDEN
mit seiner Ehefrau Clara in die
sächsische Residenzstadt, nachdem er bei der Wahl des Zweiten Gewandhauskapellmeisters in Leipzig übergangen worden war. Doch auch
in Dresden wurde er nicht glücklich. Im Musikleben der Stadt spielte
er – anders als erwartet – nur eine untergeordnete Rolle. Enttäuscht
beklagte er gegenüber Mendelssohn das recht konservative Klima: «Der
Zopf hängt ihnen hier noch gewaltig». Dennoch komponierte er in Dresden eine Vielzahl bedeutender Werke, darunter die zweite Sinfonie, die
Musik zu «Manfred» und die Oper «Genoveva». Die fremde Umgebung
schien ihn zumindest kreativ anzuregen.
Dies lag vermutlich auch an der «Königlichen musikalischen Kapelle», zu deren Mitgliedern er regen Kontakt pflegte. Bereits im Dezember
1843, noch vor seinem Umzug, hatte er das Orchester zum ersten Mal
dirigiert, in einer Aufführung seines Oratoriums «Das Paradies und die
Peri». 1849 stand er ein weiteres Mal am Pult der Kapelle und leitete
unter anderem die Uraufführung von Teilen seiner «Faust»-Szenen.
Auch mit einzelnen Kapellmitgliedern tauschte sich Schumann aus,
die Hornisten etwa spielten ihm als erste sein «Konzertstück für vier
Hörner» vor. Andererseits jedoch fehlte sein Name auf dem Programm
des Festkonzerts zum 300-jährigen Kapelljubiläum 1848, das ansonsten
ausschließlich Werke historischer und zeitgenössischer Dresdner Komponisten vorsah. Und bei der Neubesetzung der Kapellmeisterstelle, die
durch die Flucht Richard Wagners nach dem Dresdner Maiaufstand 1849
vakant geworden war, wurde Schumann erneut übergangen. So packte
er im September 1850 wieder die Koffer und zog als Städtischer Musikdirektor nach Düsseldorf.
In Clara fand das Verhältnis zur Dresdner Hofkapelle später noch
eine Fortsetzung: Die Pianistin, die bereits in jungen Jahren mit dem
Orchester konzertiert hatte, wurde 1866 – zehn Jahre nach Schumanns
Tod – zum Ehrenmitglied des 1854 gegründeten Tonkünstler-Vereins
TOBIAS NIEDERSCHLAG
ernannt.
SCHUMANN ZOG IM DEZEMBER 1844
ROBERT SCHUMANN
* 8. JUNI 1810 IN Z WICK AU † 29. JULI 1856 IN ENDENICH BEI BONN
KOHLEZEICHNUNG VON SCHUMANNS DRESDNER MALERFREUND
EDUARD BENDEMANN (1859)
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L I N K S : D I E F I N A L E S Z E N E A U S D E M 4 . A K T D E R O P E R « G E N O V E VA »
VON DER
S TA N D H A F T E N L I E B E
ZU SCHUMANNS «GENOVEVA»-OUVERTÜRE
aus dem Geiste der Romantik: So ließ sich
Robert Schumann von einer mittelalterlichen französischen Figur verführen, der sagenhaften Genoveva von Brabant. Ihre Geschichte zählte
im 18. Jahrhundert neben denen des Faust und des Don Juan zu den
meistbekannten volkstümlichen Stoffen. Auf der «Genoveva»-Legende
basiert dann auch die gleichnamige vieraktige Oper, die Schumann zwischen April 1847 und August 1848 in Dresden schrieb. In dem Malerdichter Robert Reinick glaubte der Komponist einen geeigneten Librettisten
gefunden zu haben, was sich jedoch später als Irrtum herausstellte.
Reinick, ein Mann ohne jegliche Bühnenerfahrung, bezog sich auf Ludwig Tiecks «Leben und Tod der heiligen Genoveva» von 1799 und damit
auf eine lyrische Version, Schumann hingegen bevorzugte mit Friedrich
Hebbels 1843 veröffentlichter Tragödie «Genoveva» die finstere Variante. Eine Einigung war schwer zu erzielen – mit dem Ergebnis, dass Schumann seinem Mitstreiter eine Absage erteilte und nur rund 200 Verse
des Autors in der Oper verblieben. Teilweise übernahm Schumann nun
den originalen Wortlaut von Hebbel, der Rest stammte von ihm selbst.
Gleichwohl unterscheidet sich das Libretto inhaltlich von den beiden
genannten Vorlagen. Es fehlt die dramatische Zuspitzung, die bei Hebbel eine wichtige Rolle spielt, und die positive Lösung im Finale geht
sogar über diejenige bei Tieck hinaus.
In gebotener Kürze die Geschichte: Im Mittelpunkt steht die liebende Ehefrau Genoveva, die im ersten Akt ihren Mann, den Pfalzgrafen
Siegfried, in den Krieg verabschiedet. Siegfried überträgt Golo, «dem
Besten», jegliche Vollmacht sowie den Schutz seiner Frau. Da dieser die
Gräfin liebt, versucht er, den ehrenvollen Auftrag von sich zu weisen
– vergeblich. Als Genoveva aus Abschiedsschmerz in Ohnmacht fällt,
küsst Golo die ihm anvertraute Frau. Diese Intimität beobachtet die
Amme Margaretha, die vor Jahren wegen ihrer Hexenkunst von Siegfried davongejagt wurde. Sie wittert nun ihre Chance zur Rache, indem
sie Golo in seinem Glauben bestärkt, Genoveva sei ihm wohl gesonnen.
A L S WÄ R E E S E I N S T Ü C K
OUVERTÜRE ZU «GENOVEVA» C-MOLL OP. 81
ENTSTANDEN 1847 IN DRESDEN
URAUFGEFÜHRT AM 25. FEBRUAR 1850 IM GE WANDHAUS ZU LEIPZIG
( GE WANDHAUSORCHESTER, DIRIGENT: ROBERT SCHUMANN );
UR AUFFÜHRUNG DER OPER AM 25. JUNI 1850 IM STADT-THE ATER ZU LEIPZIG
BESETZUNG 2 FLÖTEN, 2 OBOEN, 2 KL ARINE T TEN, 2 FAGOT TE, 4 HÖRNER, 2 TROMPE TEN, 3 POSAUNEN,
PAUKEN, STREICHER
VERLAG EDWIN F. K ALMUS, FLORIDA
DAUER CA. 10 MINUTEN
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Akt II: Golo überbringt Genoveva die Nachricht vom
siegreichen Kampf ihres Mannes und gesteht ihr seinen
Kuss, woraufhin sie ihn mit
den Worten »Zurück, ehrloser
Bastard« zutiefst verletzt:
Die Liebe des Verschmähten
schlägt in Hass um, der Golo
das Gerücht in die Welt setzen lässt, Genoveva habe ein
Verhältnis mit dem Kaplan.
Als man gar in ihrem Gemach
den Haushofmeister Drago
entdeckt, der zuvor dorthin
bestellt worden war, um auf
die Herrin Acht zu geben,
scheint sich ihre Zügellosigkeit zu bestätigen. Drago wird
getötet, Genoveva in den
Turm geworfen.
Akt III: Siegfried hält sich
verletzt in Straßburg auf,
möchte jedoch so schnell
T H E AT E R Z E T T E L D E R L E I P Z I G E R
als möglich zurückkehren.
URAUFFÜHRUNG (1850)
Margaretha ist zu ihm geeilt,
um ihn davon abzuhalten. Golo kommt, um ihm von der angeblichen
Untreue Genovevas zu berichten. Siegfried schenkt dem Bericht Glauben
und fordert ihren Tod. Außerdem bittet er Margaretha, ihn in den Zauberspiegel blicken zu lassen, um Erkenntnis zu finden. Er glaubt dem Trugbild
der schadenfrohen Amme und bekräftigt das Todesurteil für seine Frau.
Derweil erscheint Margaretha der Geist Dragos und beschwört sie unter
Androhung des Scheiterhaufens, die Wahrheit zu sagen.
Akt IV: Genoveva wird in den Wald geführt. Golo erscheint mit dem
Ring und dem Schwert Siegfrieds, um dessen Befehl auszuführen, sie zu
töten. Genoveva beteuert ihre Unschuld, unterwirft sich aber dem Urteil des von ihr noch immer geliebten Gatten. Golo nutzt abermals ihre
Schwäche und bietet an, mit ihr zu fliehen, würde sie ihn erhören. Genoveva jagt Golo davon und erwartet ihren Tod. In letzter Minute erscheint
Margaretha, die Siegfried herbeigerufen hat, um ihr Seelenheil zu retten.
Dieser ist untröstlich über das seiner Frau (auch von ihm selbst) zugefügte Unrecht. Er bittet sie um Vergebung – Genoveva verzeiht.
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In der Durchgestaltung des
Schumannschen Librettos
ist manche dramaturgische
Schwäche unübersehbar –
insbesondere ein Mangel an
narrativer Stringenz und eine
undeutliche Personenzeichnung. Bemerkbar ist auch eine
gewisse Nähe zu Wagner, zu
dem Schumann ein gespaltenes Verhältnis hatte; er vermisste bei ihm häufig das «eigentliche Musikalische». In der
Oper «Genoveva» finden sich
gleichwohl mehr musikalische
Anlehnungen an Wagner, als
es sich ihr Schöpfer vermutlich
eingestehen wollte. So fällt
etwa die geballte Leitmotivik in der Ouvertüre auf, die
Schumann vor den vier Akten
komponierte. Fast scheint es,
als habe er sich beim Schreiben
DER DRESDNER HOFKAPELLMEISTER
der Ouvertüre in die Ideen- und
RICHARD WAGNER (UM 1843)
Motivsphäre des Sujets eingearbeitet. Gleich im dritten Takt
tritt das die Einleitung prägende finstere Golo-Motiv auf, dem sich sofort
das Bastard-Motiv anschließt. Im «Leidenschaftlich bewegt» überschriebenen Hauptteil der Ouvertüre vernimmt man das zentrale Motiv Genovevas in den Begleitfiguren; in Gänze zu hören ist es im Wechselspiel
zwischen Violine und Klarinette. Das anschließende Seitenthema bringt
das Motiv Siegfrieds und der Durchführungsbeginn seinen von den Hörnern intonierten Abschiedsruf, der wiederum vom Golo-Motiv abgelöst
wird. Letzteres beherrscht dann in seinem gleichermaßen bedrohlichen
wie leidenschaftlichen Gestus die Durchführung. Den Anfang der Reprise prägt die Klage der Genoveva, und auch die Coda konzentriert sich
zunächst auf diese Protagonistin; seinen Höhepunkt indes findet dieser
Schlussteil wiederum in Golos Motiv (in dreifachem Forte!). Die starke
Präsenz Golos in der «Genoveva»-Ouvertüre: Ist sie, wie kritische Zungen
meinen, symptomatisch für die dramaturgischen Schwächen der Oper
oder vielleicht nicht doch von Schumann ganz bewusst gewollt im Sinne
der Hebbelschen Vorlage?
CHRISTINE MELLICH
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DER GEIGER JOSEPH JOACHIM
(UM 1853)
«... DAS FEHLENDE
BINDEGLIED DER
V I O L I N L I T E R AT U R »
ZU SCHUMANNS VIOLINKONZERT D-MOLL
vom September 1853 ist Schumanns
letzte Komposition für Orchester. Kein bedeutendes Werk der Musikliteratur ist mit so vielen Missverständnissen belastet und Geheimnissen
umgeben, keines hat eine so merkwürdige und verwickelte Rezeptionsgeschichte erlebt. Erst 84 Jahre nach seiner Entstehung erschien es 1937
in einer mangelhaften Ausgabe im Druck, erstmals gespielt wurde es
von einem drittklassigen Geiger in einer böse verstümmelten Version.
Die Nationalsozialisten propagierten es als «Ersatz» für das inzwischen
verfemte Violinkonzert des Juden Mendelssohn. Seitdem (und auch
schon vorher) wurde viel Überflüssiges und viel grober Unfug über das
Stück geschrieben. Erst die minutiösen Analysen und Studien zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte, die Reinhard Kapp und Michael
Struck vorgelegt haben, brachten Klarheit in das undurchdringliche
Dickicht von Vermutungen, Fehlurteilen und Halbwahrheiten.
Beim 31. Niederrheinischen Musikfest in Düsseldorf im Mai 1853 lernte das Ehepaar Schumann den erst 22 Jahre alten genialen Geiger Joseph
Joachim kennen, der durch seine Interpretation von Beethovens Violinkonzert großes Aufsehen erregte. Am 2. Juni 1853 wandte sich Joachim
in einem Brief an Schumann: «Möchte doch Beethoven’s Beispiel Sie anregen, den armen Violinspielern, denen es, ausser der Kammermusik, so
sehr an Erhebendem für ihr Instrument fehlt, aus Ihrem tiefen Schacht
ein Werk an’s Licht zu ziehen, wunderbarer Hüter reichster Schätze!»
Diesen schon lange zuvor von seinem Freund Ferdinand David, dem Konzertmeister des Leipziger Gewandhausorchesters und Lehrer Joachims,
geäußerten Wunsch griff Schumann, durch einen weiteren Besuch
Joachims inspiriert, auf, komponierte Anfang September 1853 zunächst
die Phantasie für Violine und Orchester op. 131 und begann am 21. September mit einem «Stück f. Violine», wie im Haushaltsbuch vermerkt ist.
Am 1. Oktober, einen Tag nach der denkwürdigen ersten Begegnung mit
dem jungen Brahms, war das «Concert f. Violine beendigt», am 3. Oktober «fertig instr.» Schon am 7. Oktober wollte er es Joachim schicken
und bemerkte dazu: «Hier lege ich auch etwas Neues bei, was Ihnen
vielleicht ein Abbild von einem gewissen Ernst gibt, hinter dem oft eine
fröhliche Stimmung hervorsieht. Oft waren Sie, als ich schrieb, meiner
DA S V I O LI N KO N Z E R T D - M O LL
VIOLINKONZERT D-MOLL OP. POSTH.
ENTSTANDEN Z WISCHEN 21. SEPTEMBER UND 3. OK TOBER 1853 IN DÜSSELDORF
URAUFGEFÜHRT AM 26. NOVEMBER 1937 IM DEUTSCHEN OPERNHAUS IN BERLIN-CHARLOT TENBURG
( SOLIST: GEORG KULENK AMPFF, BERLINER PHILHARMONIKER, DIRIGENT: K ARL BÖHM )
BESETZUNG VIOLINE SOLO
2 FLÖTEN, 2 OBOEN, 2 KL ARINE T TEN, 2 FAGOT TE, 2 HÖRNER, 2 TROMPE TEN, PAUKEN, STREICHER
VERLAG SCHOT T, MAINZ
DAUER CA. 30 MINUTEN
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Phantasie gegenwärtig, was wohl zu der Stimmung beitrug. Sagen Sie
mir Alles, was Ihnen nicht zu schwer, wie ich denn Ihnen wirklich schon
zum Genießen unmögliche Gerichte oder wenigstens Bissen vorgesetzt
habe. Streichen Sie alles durch, was nach Unausführbarkeit schmeckt.»
Die Abschrift war jedoch noch nicht fertig, so dass Schumann das Konzert erst am 13. Oktober abschickte, das Begleitschreiben konnte er dem
gerade in Düsseldorf anwesenden Joachim selbst übergeben: «Sie erhalten hier das Concert; möge es Sie anmuthen! Es scheint mir leichter,
als die Phantasie, auch das Orchester mehr [in] Thätigkeit. Es sollte mich
nun sehr freuen, wenn wir es im 1sten Concerte hier hören könnten
…» Aus dieser Uraufführung im Abonnementskonzert am 27. Oktober
1853 wurde jedoch nichts, weil die Zeit zu knapp war und man sich von
Joachim eine Wiederholung des Beethoven-Konzerts wünschte. Dieser
spielte aber dann erstmals die Phantasie op. 131, begann das Konzert zu
üben und machte einige Verbesserungsvorschläge für die technische
Grundgestaltung der Solostimme, die von Schumann dankbar übernommen wurden.
Anlässlich einer Reise des Ehepaars Schumann nach Hannover, wo
Joachim als Konzertmeister wirkte, wurde das Violinkonzert zweimal
erprobt – am 25. Januar 1854 mit Klavier und am 30. Januar mit Orchester.
Die zweite Probe scheint nicht ganz befriedigend gewesen zu sein, da der
Geiger «etwas ermüdet» war, wie Schumann im Tagebuch vermerkte.
Joachim geht in einem Brief an Schumann vom 17. November 1854 – als
dieser bereits seit einem halben Jahr in der Nervenheilanstalt in Endenich
war – darauf ein: «Könnte ich Ihnen doch Ihr D moll Concert vorspielen;
ich habe es jetzt besser inne, als damals in Hannover; wo ich es in der
Probe Ihrer so unwürdig spielen mußte, zu meinem großen Verdruß,
weil ich den Arm beim dirigiren so sehr ermüdet hatte. Jetzt klingt der
3⁄4 Takt [im dritten Satz] viel stattlicher ...» Von einer Geringschätzung
des Werkes kann also bis zu diesem Zeitpunkt nicht die Rede sein.
Erst nach Schumanns Tod 1856 kamen Zweifel auf. Am 15. Oktober
1857 meinte Joachim in einem Brief an Clara Schumann: «... es ist im
letzten Satz namentlich entsetzlich schwer für Geige, aber ich hab’s
ziemlich in die Finger gespielt. Wunderschöne Stellen sind im ersten
und zweiten Satz ...» In seinem nächsten Brief vom 21. Oktober regte
er an, ob man «nicht bei Gelegenheit eines Leipziger Aufenthaltes in
einer Probe das Schumann’sche Violinconcert endlich ordentlich mit
Orchester hören» könnte. Diese Probe mit dem Gewandhausorchester
fand statt und ließ Clara Schumann und Joseph Joachim zu dem Entschluss kommen, das Konzert weder aufzuführen noch zu publizieren.
Vergessen, was oft behauptet wurde, war es im 19. Jahrhundert keineswegs, wie mehrere Erwähnungen in der Schumann-Literatur beweisen.
Seinem Biographen Andreas Moser gab Joachim in einem Brief vom
5. August 1898 eine differenzierte Begründung, warum er das Werk,
dessen Manuskripte ihm Clara Schumann inzwischen geschenkt hatte,
zurückhielt: «Der Umstand, daß es nicht veröffentlicht worden ist, wird
Sie schon zu dem Schluß bringen, daß man es seinen vielen herrlichen
Schöpfungen nicht ebenbürtig an die Seite stellen kann. Ein neues Violinconcert von Schumann – mit welchem Jubel würde es von allen Kollegen begrüßt worden sein! Und doch durfte gewissenhafte Freundessorge für den Ruhm des geliebten Tondichters nie einer Publikation das
Wort reden, so vielumworben es auch von Verlegern war. Es muß leider
gesagt werden daß es eine gewisse Ermattung, welcher geistige Energie
noch etwas abzuringen sich bemüht, nicht verkennen läßt. Einzelne Stellen, (wie könnte das anders sein!) legen wohl von dem tiefen Gemüth
des Schaffenden Zeugniß ab; um so betrübender aber ist der Contrast
mit dem Werk als Ganzes.»
Die falsch verstandene Pietät ging so weit, dass Joachims Sohn Johannes beim Verkauf des Nachlasses seines Vaters 1907 an die Preußische Staatsbibliothek Berlin dieser die Auflage machte, dass Schumanns
Violinkonzert frühestens 100 Jahre nach dem Tode des Komponisten,
also 1956, veröffentlicht werden dürfte. Zwei Großnichten Joachims, die
Geigerinnen Jelly d’Aranyi und Adila Fachiri, behaupteten in den dreißiger Jahren, der Geist Schumanns bzw. ihres Großonkels sei ihnen bei
spiritistischen Sitzungen erschienen und habe verlangt, das (angeblich
verschollene) Violinkonzert zu finden und zur Aufführung zu bringen.
Erst eine Initiative des Musikverlages Schott machte dem absurden
Spektakel ein Ende und veranlasste Johannes Joachim, das Werk vorzeitig zur Aufführung und zum Druck freizugeben. Diesen besorgte Georg
Schumanns Violinkonzert wurde am 26. November 1937 im Rahmen einer offiziellen NSVeranstaltung in Berlin uraufgeführt. Georg
Kulenkampff spielte den Solopart, Karl Böhm
– zu dieser Zeit Generalmusikdirektor der
Sächsischen Staatsoper Dresden – dirigierte
die Berliner Philharmoniker. Neben den frühen
Rezeptionsproblemen hat diese propagandistische Aufführung zu der bis heute umstrittenen
Einschätzung des Werkes beigetragen.
KARL BÖHM (UM 1937)
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ANSICHT VON DÜSSELDORF MIT RHEINBRÜCKE
(UM 1850)
Schünemann, der damalige Leiter der Musikabteilung der Staatsbibliothek, ohne die Quellen (autographe Partitur, Partiturabschrift, Stimmen,
zwei Klavierauszüge) mit genügender Akribie auszuwerten. Paul Hindemith fertigte anonym, da in dieser Zeit bei den nationalsozialistischen
Machthabern in Ungnade gefallen, eine entstellende Einrichtung der
Violinstimme an, die bei der mit viel propagandistischem Beiwerk (u.a.
Rede von Goebbels) veranstalteten Uraufführung benutzt wurde. Eine
Uraufführung des Werkes in Amerika durch Yehudi Menuhin, der sich
stets für das unbearbeitete Original eingesetzt hat, war von den Nazis
aus nahe liegenden Gründen verhindert worden.
Was Menuhin in einem Brief an den Dirigenten Vladimir Golschmann
vom 22. Juli 1937 über das Violinkonzert geschrieben hat, besitzt noch
heute uneingeschränkte Gültigkeit: «Dieses Konzert ist das historisch
fehlende Bindeglied der Violinliteratur; es ist die Brücke zwischen den
Konzerten von Beethoven und Brahms, obwohl es mehr zu Brahms tendiert. Tatsächlich findet man in beiden Werken die gleiche menschliche
Wärme, zärtliche Geschmeidigkeit und kühne männliche Rhythmik, die
gleiche liebevolle Arabesken-Behandlung der Violine, die gleichen vollmundigen und noblen Themen und Harmonien.»
Das Konzert trägt keinerlei Spuren von nachlassender Geisteskraft
an sich oder ist von der nahenden Krankheit überschattet, wie bis zum
Überdruss immer wieder behauptet wird, sondern bietet ein besonders
eindrucksvolles Beispiel für die neuartige Konzeption eines Solokonzerts,
die Schumann auch in den anderen konzertanten Werken des Jahres 1853
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(Phantasie für Violine op. 131, Konzert-Allegro für Klavier op. 134) erfolgreich erprobt hat. Merkmale sind u.a. das blockhafte Gegenüberstellen
von Solostimmen und Orchester, aus dem dann einzelne Instrumente in
einen intensiven Dialog mit dem Solisten treten, die Adaption barocker
Figurations- und Harmonie-Modelle und die lied- oder choralartige Ausgestaltung der Satzschlüsse.
Der erste Satz («in kräftigem, nicht zu schnellem Tempo») setzt, wie
sonst kaum bei Schumann, mit einer vollständigen Tuttiversion des
majestätischen, auf Bruckner voraus weisenden ersten Themas ein, das
sehr bald dem lyrischen zweiten Thema weichen muss. Dieser wundervolle, für den späten Schumann charakteristische melodische Gedanke
über einem Dominant-Orgelpunkt der Dur-Parallele erweist sich als das
eigentliche Zentralthema nicht nur des ersten Satzes, sondern des ganzen Konzerts. Von Bachs Sonaten und Partiten für Violine solo, zu denen
Schumann im Frühjahr 1853 eine Klavierbegleitung geschrieben hatte,
sind die zahlreichen, oft nur von den Streichern begleiteten Figurationen der Solovioline inspiriert. Sie als virtuosen oder repetitiven Leerlauf
anzusehen, verkennt ihre melodisch-motivische Bedeutung.
Das Gesangsthema des zweiten Satzes («Langsam»), eine innige
Melodie von ergreifender Schönheit, weist eine gewisse, in der Literatur
oft überbetonte Verwandtschaft mit dem sogenannten Geisterthema
auf, das Schumann in der Nacht vom 17. zum 18. Februar 1854 beim Ausbruch seiner Krankheit notierte und über das er noch fünf Variationen
für Klavier komponierte. Die oft in tiefster Lage agierende Solovioline
ist in das subtile orchestrale Gewebe dieses Satzes eingebettet, dessen warmes Klangbild von Synkopengängen der Celli noch zusätzlich
verschleiert wird. Melodische Führung und Begleitfiguren werden zwischen Orchester und Violine immer wieder ausgetauscht.
Die kurze Überleitung zum Schlusssatz («Lebhaft, doch nicht zu
schnell»), die durch ein Accelerando herbeigeführt wird, erinnert etwas an den Übergang zum letzten Satz der d-Moll-Sinfonie. Dieser am
meisten geschmähte Satz des Konzerts ist ein etwas verschachteltes
Sonatenrondo mit überraschenden Reminiszenzen an den zweiten
Satz. Den Charakter einer gravitätisch schreitenden Polonaise voller
kapriziöser Episoden hat Joseph Joachim im bereits zitierten Brief an
Schumann vom 17. November 1854 vortrefflich beschrieben: «Wissen
Sie noch, wie Sie lachten und sich freuten, als wir meinten, der letzte
Satz klänge, wie wenn Kociusko mit Sobiesky eine Polonaise eröffneten: so stattlich?» Das geistvolle Spiel mit Themen und Motiven und
ihren Ableitungen und Varianten, das zahlreiche oft verdeckte Bezüge
innerhalb des Satzes und des ganzen Konzerts aufweist, setzt sich bis
JOACHIM DRAHEIM
zum strahlenden Dur-Schluss fort.
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« E I N FA N TA S T I S C H E S
STÜCK MUSIK»
DER GEIGER RENAUD CAPUÇON IM GESPRÄCH
Herr Capuçon, Sie musizieren zum ersten Mal mit der Sächsischen
Staatskapelle Dresden. Welche Erwartungen haben Sie an dieses Debüt?
Ich erwarte einen der schönsten Orchesterklänge, den es auf der Welt
gibt. Und ich weiß, dass ich nicht enttäuscht sein werde! Ich habe die
Staatskapelle zum ersten Mal in den großartigen Strauss-Aufnahmen
unter Rudolf Kempe gehört. Diese Aufnahmen waren auch der Grund,
weshalb ich das Strauss-Violinkonzert in mein Repertoire aufgenommen habe, das ich inzwischen ziemlich häufig spiele.
Das Violinkonzert von Richard Strauss hört man nur sehr selten – ganz
ähnlich wie dasjenige von Robert Schumann, das Sie in Dresden spielen
werden. Was schätzen Sie an diesem Werk, um das viele Geiger einen
Bogen machen?
Ich halte es für ein fantastisches Stück Musik. Man kann darin förmlich Schumanns Emotionen spüren, in gewisser Weise auch seinen
«Schmerz». Der langsame Satz ist ein seltener Moment reiner Schönheit ... Das Werk ist eines meiner Lieblingskonzerte.
Sie haben das Konzert bereits vor ein paar Jahren gemeinsam mit Daniel
Harding aufgenommen. Hat sich seitdem etwas an Ihrer Sicht auf das
Werk geändert?
Sicher – so, wie sich jeder innerhalb von fünf Jahren verändert. Ich
hoffe, dass ich ein bisschen reifer geworden bin. Ein großer Unterschied ist aber sicher das Instrument, das ich heute spiele, eine Guarneri del Gesù von 1721. Ich denke, dass mir dieses Instrument hinsichtlich der Klangfarben mehr Möglichkeiten bietet, sicher auch einen
reicheren Klang.
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Schumann hat ein paar Jahre in Dresden gelebt. Spielt das für Sie eine
Rolle, wenn Sie sein Werk hier interpretieren?
Natürlich. Es ist sehr bewegend zu wissen, dass er an diesem Ort gewesen ist.
Sie haben bereits mehrfach mit Daniel Harding gearbeitet. Wie würden
Sie Ihre Zusammenarbeit beschreiben?
Als einen sehr instinktiven und natürlichen Zugang zur Musik. Auch
als eine große Vertrautheit und Freundschaft. Wir kennen uns seit
1995, haben uns in Berlin kennen gelernt, und es ist immer eine Freude, miteinander zu musizieren. Daniel ist nicht nur einer der talentiertesten Dirigenten heutzutage, sondern auch ein toller Mensch, der
sein Können ganz in den Dienst der Musik stellt.
Nach den Konzerten in Dresden werden Sie mit der Staatskapelle und
Daniel Harding auch auf einer Europa-Tournee zu erleben sein. Auf
welche Station freuen Sie sich besonders?
Alle Stationen sind für sich genommen besonders, aber ich freue mich
natürlich auf das Konzert in Paris, in meiner französischen Heimat.
Sie geben mit den Konzerten bereits einen Vorgeschmack auf das
Schumann-Jahr 2010. Wie werden Sie es begehen?
Ich werde eine Menge Kammermusik von Schumann bei meinem
Festival in Bel Air spielen, z.B. die Trios mit Hélène Grimaud, das zweite Streichquartett mit meinem eigenen Quartett und einige andere
Stücke. Erst vor kurzem habe ich die beiden Sonaten gespielt, außerdem das Klavierquartett und das Klavierquintett, beide mit Martha
Argerich. Mit ihr zu spielen, ist ein unglaubliches Erlebnis. Es ist, als
wenn man in eine andere Welt reist.
D I E F R A G E N S T E L LT E T O B I A S N I E D E R S C H L A G
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RENAUD
CAPUÇON
VIOLINE
mit 14 Jahren sein Studium bei Gérard Poulet
und Veda Reynold und setzte es später bei Thomas Brandis und Isaac Stern
fort. Schon bald vielfach ausgezeichnet, holte ihn Claudio Abbado 1997 als
Konzertmeister zum Gustav Mahler Jugendorchester. Nach weiteren Preisen
debütierte er 2002 bei den Berliner Philharmonikern unter Bernard Haitink
und 2004 beim Boston Symphony Orchestra unter Christoph von Dohnányi.
Seither konzertiert er mit den weltweit renommiertesten Orchestern und mit
Dirigenten wie Semyon Bychkov, Christoph Eschenbach, Alan Gilbert, Daniel
Harding und Robin Ticciati. Seine besondere Vorliebe für die Kammermusik
führte ihn mit bedeutenden Instrumentalisten wie den Pianisten Martha Argerich und Daniel Barenboim, dem Bratscher Yuri Bashmet oder dem Cellisten
Truls Mørk zusammen. Auch bei den großen internationalen Musikfestivals
ist Renaud Capuçon regelmäßig zu Gast und gründete vor einigen Jahren in
seinem Heimatort Chambéry ein eigenes Festival. Viele seiner zahlreichen
Einspielungen, exklusiv für Virgin Classics, wurden ausgezeichnet. In der Saison
2008/2009 konzertiert Renaud Capuçon u.a. mit dem Symphonieorchester des
Bayerischen Rundfunks, den Bamberger Symphonikern und – zum ersten Mal
– mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden. In seiner vierten Saison als Exklusivkünstler des Konzerthauses Dortmund ist er dort mit drei verschiedenen
Programmen zu Gast. Renaud Capuçon spielt die Guarneri del Gesù «Panette»
von 1721, die zuvor Isaac Stern gehörte.
RENAUD CAPUÇON BEGANN
21
ROBERT SCHUMANN
LITOGRAPHIE VON EDUARD KAISER (1847)
KONTINUITÄT MIT
BRÜCHEN
ZU SCHUMANNS ZWEITER SINFONIE
seit einigen Tagen sehr (Trombe in
C); ich weiß nicht, was daraus werden wird», schrieb Schumann im September 1845 an den Künstlerfreund Felix Mendelssohn Bartholdy. Heute
wissen wir, was daraus geworden ist: Zwischen Dezember 1845 und
Oktober 1846 komponierte Schumann seine zweite Sinfonie in C-Dur
op. 61, die eigentlich seine Dritte ist – sie entstand nach der Erstfassung
der späteren vierten Sinfonie. Noch 1844 hatte Schumann einen völligen
physischen und psychischen Zusammenbruch erlitten, anschließend
quälten ihn Depressionen und Schlaflosigkeit. «Mir ist’s, als müßte man
ihr [der Sinfonie] dies anhören», gestand er einige Jahre später dem
Hamburger Musikdirektor Georg Dietrich Otten. «Erst im letzten Satz
fing ich an mich wieder zu fühlen; wirklich wurde ich auch nach Beendigung des ganzen Werkes wieder wohler.»
Nicht zuletzt wegen seines labilen Gesundheitszustandes war Schumann im Dezember 1844 mit seiner Familie von Leipzig, wo man ihn
nach Mendelssohns Weggang bei der Neuwahl des Gewandhauskapellmeisters übergangen hatte, nach Dresden gezogen. Bis 1850 sollte er
in der sächsischen Residenzstadt bleiben, in der er – anders als es viele
Schumann-Biografen darstellen – durchaus ein «künstlerisches» Klima
vorfand: Schon bald hatte er auch hier einen Kreis von Künstlern um
sich, darunter die Maler Eduard Bendemann und Ludwig Richter, der
Bildhauer Ernst Rietschel und der Dirigent Ferdinand Hiller. Gelegentlich
stieß auch der junge Hofkapellmeister Richard Wagner dazu, mit dem
« I N M I R PA U K T U N D T R O M P E T E T E S
SINFONIE NR. 2 C-DUR OP. 61
ENTSTANDEN Z WISCHEN DE ZEMBER 1845 UND OK TOBER 1846 IN DRESDEN
URAUFGEFÜHRT AM 5. NOVEMBER 1846 IM GE WANDHAUS ZU LEIPZIG
( GE WANDHAUSORCHESTER, DIRIGENT: FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY )
GEWIDMET «SEINER MAJESTÄT DEM KÖNIGE VON SCHWEDEN UND NORWEGEN OSCAR I.»
BESETZUNG 2 FLÖTEN, 2 OBOEN, 2 KL ARINE T TEN, 2 FAGOT TE, 2 HÖRNER, 2 TROMPE TEN, 3 POSAUNEN,
PAUKEN, STREICHER
VERLAG BREITKOPF & HÄRTEL, WIESBADEN / LEIPZIG
DAUER CA. 40 MINUTEN
22
23
Schumann allerdings
nicht richtig warm wurde: zu unterschiedlich
waren ihre beiden Charaktere. Zwar konnte
Schumann auch in Dresden nicht dauerhaft Fuß
fassen – nach Wagners
Flucht 1849 überging
man ihn auch hier bei
der Neubesetzung der
Kapellmeisterstelle –;
immerhin aber erlebte
er hier seine «fruchtbarste» Zeit: Nicht weniger als ein Drittel seines
Gesamtwerkes entstand
in Dresden, neben der
DER DIRIGENT DER URAUFFÜHRUNG:
zweiten Sinfonie auch
FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY
andere bedeutende
Werke wie das a-MollKlavierkonzert, die Musiken zu «Manfred» und «Faust», das «Album für
die Jugend» und die Oper «Genoveva».
Schumann strebte in seiner zweiten Sinfonie mehr noch als in anderen Werken eine Verbindung von klassischer Form und romantischem
Inhalt an. Sein Ziel war es, eine «historische Kontinuität» herzustellen.
So steht der schöpferischen Auseinandersetzung mit Werken Bachs,
Mozarts und Beethovens, die sogar bis zum konkreten Zitat reicht, hier
ein subjektiver, poetisch geprägter Ausdruckswillen gegenüber. Als
«uneinheitlich» hat man das Werk deshalb häufig empfunden, seine Gestaltung mit Schumanns seelischem Zustand in Verbindung gebracht.
Selten wurde der Versuch gemacht, im ästhetischen Dilemma zwischen
Form und Inhalt den eigentlichen Reiz der Komposition zu sehen. Gerade das Bruchhafte und Pathologische aber dürfte die «Modernität» der
Sinfonie ausmachen.
Dem ersten Satz ist eine langsame Einleitung vorangestellt, die in
stufenweiser Temposteigerung zum Allegro hinführt. Begleitet von
einer ruhig fließenden Bewegung der übrigen Instrumente stimmen die
Blechbläser ein fanfarenartiges Motiv an, ein «Motto» Beethovenscher
Ausprägung, das – mit Ausnahme des Adagios – in allen Sätzen wiederkehrt. Die Impulse, die danach vom Allegro-Hauptthema mit seinen
markanten Punktierungen ausgehen, prägen den ganzen Satz, der auf
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D E R S A A L D E S A LT E N L E I P Z I G E R G E W A N D H A U S E S ( U M 1 8 8 0 )
ein ausgeprägtes Seitenthema verzichtet. Schumann selbst empfand
die raffiniert instrumentierte Rückleitung zur Reprise, die über einem
langen Orgelpunkt geschieht, als besonders gelungen.
Das Allegro vivace an zweiter Stelle hat die Gestalt eines dämonischen Perpetuum-mobile-Scherzos. In rastloser Bewegung treiben die
ersten Violinen das Geschehen voran. Einen Kontrast liefern die beiden
thematisch verwandten Trios: das erste mit «trippelnden» Holzbläsern,
das zweite in ruhigen Vierteln – eine lyrische Oase. Die furios gesteigerte Coda wird durch die Wiederkehr des Fanfarenmottos überhöht.
Tiefsinniger Mittelpunkt der Sinfonie ist der langsame Satz, der
häufig als Höhepunkt in Schumanns gesamtem sinfonischen Schaffen
betrachtet wird. Hier wird der «Klassizismus» des Werkes vielleicht am
überzeugendsten umgesetzt: Das ausdrucksvolle Hauptthema folgt in
Umrissen dem Beginn der Triosonate aus Bachs «Musikalischem Opfer»;
gleichzeitig wagt Schumann in diesem Satz auch kühne harmonische
Wendungen, die bereits auf Wagners «Tristan» voraus weisen. Die
«Schmerzensklänge», die er gegenüber Otten thematisierte, treten hier
am deutlichsten hervor.
Wie weggeblasen scheinen die Konflikte im Finale: Mit einem burschikosen Hauptthema in C-Dur stürmt dieser Satz optimistisch nach
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ANSICHT VON DRESDEN UM 1850:
Z W I N G E R W A L L M I T H O F T H E AT E R , H O F K I R C H E U N D S C H L O S S ( V. L . )
SÄCHSISCHE
S T A AT S K A P E L L E
DRESDEN
Europa-Tournee
10. – 17. Juni 2009
DANIEL HARDING
DIRIGENT
RENAUD CAPUÇON
VIOLINE
PROGRAMME
1)
Robert Schumann
Ouvertüre zu «Genoveva» c-Moll op. 81
Violinkonzert d-Moll op. posth.
Johannes Brahms
Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73
vorn; auch eine Variante des «Sehnsuchtsmotivs» aus dem langsamen
Satz kann den Fluss nicht aufhalten, sie wird vielmehr elegant eingebunden. Nach einer spannungsreichen Durchführung kommt die Musik
aber schließlich zum Stillstand. In drei (!) Generalpausen hält sie inne,
dann stimmen die Holzbläser völlig unerwartet ein neues Thema an
– ein Zitat aus Beethovens Liederzyklus «An die ferne Geliebte» op. 98:
«Nimm sie hin denn, diese Lieder.» Es löst, ungewöhnlich genug, eine
zweite durchführungsähnliche Entwicklung aus und mündet schließlich
in eine Jubel-Coda, die am Ende vom Fanfarenmotiv überstrahlt wird.
Felix Mendelssohn Bartholdy, inzwischen als Kapellmeister ins Leipziger Gewandhaus zurückgekehrt, leitete im November 1846 die Uraufführung der zweiten Sinfonie – die allerdings kein Erfolg war. Immer
wieder hat man dafür das überlange Programm des Konzertes verantwortlich gemacht (und tatsächlich kam es aus diesem Grund auch zu
einer vorübergehenden Verstimmung zwischen den beiden Komponisten). Möglicherweise zeigte sich das Publikum aber auch damals schon
von einer eigenwilligen sinfonischen Sprache irritiert, die es bis heute
noch ernsthaft und ausdauernd zu entdecken gilt.
2)
Robert Schumann
Ouvertüre zu «Genoveva» c-Moll op. 81
Violinkonzert d-Moll op. posth.
Sinfonie Nr. 2 C-Dur op. 61
10. Juni 2009
Köln Philharmonie (1)
11. Juni 2009
Luxemburg Philharmonie (2)
12. Juni 2009
Paris Théâtre des Champs-Elysées (2)
13. Juni 2009
Dublin National Concert Hall (1)
16. Juni 2009
Glasgow Royal Concert Hall (2)
TOBIAS NIEDERSCHLAG
D I E S T A AT S K A P E L L E I M T H É Â T R E D E S C H A M P S - E LY S É E S ( 2 0 0 7 )
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27
11. SINFONIEKONZERT 2008|2009
ORCHESTERBESETZUNG
1. VIOLINEN
B R AT S C H E N
KONTRABÄSSE
HÖRNER
Matthias Wollong 1. Konzertmeister
Michael Eckoldt
Thomas Meining
Michael Frenzel
Christian Uhlig
Jörg Kettmann
Susanne Branny
Barbara Meining
Birgit Jahn
Wieland Heinze
Henrik Woll
Anett Baumann
Annika Thiel
Anselm Telle
Franz Schubert
Renate Hecker
Michael Neuhaus Solo
Andreas Schreiber
Michael Horwath
Jürgen Knauer
Michael Schöne
Uwe Jahn
Ralf Dietze
Zsuzsanna Schmidt-Antal
Irena Krause
Matthias Neubert*
Winfried Berger*
Florian Kapitza*
Reiner Barchmann* Solo
Martin Knauer
Torsten Hoppe
Bernd Haubold*
Helmut Branny
Christoph Bechstein
Thomas Grosche
Johannes Nalepa
Erich Markwart Solo
Andreas Langosch
Harald Heim
Klaus Gayer
2. VIOLINEN
Heinz-Dieter Richter Konzertmeister
Frank Other
Matthias Meißner
Günter Friedrich
Stephan Drechsel
Jens Metzner
Olaf-Torsten Spies
Beate Prasse
Mechthild von Ryssel
Alexander Ernst
Elisabeta Florea
Emanuel Held
Martin Fraustadt
Johanna Fuchs
28
Tobias Willner Solo
Gerd Graner
FLÖTEN
Sabine Kittel Solo
Bernhard Kury
VIOLONCELLI
Isang Enders Konzertmeister
Friedwart Christian Dittmann Solo
Martin Jungnickel
Uwe Kroggel
Linhardt Schneider
Andreas Priebst
Bernward Gruner
Johann-Christoph Schulze
Anke Heyn
Jürgen Gerlinger*
TROMPETEN
POSAUNEN
Uwe Voigt Solo
Jürgen Umbreit
Lars Zobel
OBOEN
Céline Moinet Solo
Michael Goldammer
PA U K E N
Bernhard Schmidt Solo
KLARINETTEN
Wolfram Große Solo
Egbert Esterl
* als Gast
FA G O T T E
Thomas Eberhardt Solo
Thomas Berndt
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VORSCHAU
Musik aus der Frauenkirche Dresden
12. SINFONIEKONZERT
Die exklusive CD-Reihe bei Carus
SONNTAG, 5. JULI 2009, 11 UHR
MONTAG, 6. JULI 2009, 20 UHR
Aktuelle CDs mit der Staatskapelle Dresden
DIENSTAG, 7. JULI 2009, 20 UHR
SEMPEROPER
Sir Colin Davis D I R I G E N T
Nikolaj Znaider V I O L I N E
Felix Mendelssohn Bartholdy
Sinfonie Nr. 3 a-Moll op. 56 «Schottische»
Edward Elgar
Violinkonzert h-Moll op. 61
Kostenlose Konzerteinführungen jeweils 45 Minuten
Spielzeit 2008|2009
Herausgeben von der Intendanz
© Juni 2009
REDAKTION
Tobias Niederschlag
G E S T A LT U N G U N D S AT Z
schech.net | www.schech.net
SCANS
Janine Schütz
DRUCK
Union Druckerei Dresden GmbH
ANZEIGENVERTRIEB
Keck & Krellmann Werbeagentur GmbH
i.A. der Moderne Zeiten Medien GmbH
Telefon. (0351) 25 00 670
e-Mail: [email protected]
www.kulturwerbung-dresden.de
BILDER
Daniel Harding: Harald Hoffmann/Deutsche
Grammophon; Historische Abbildungen zu
Schumann: Barbara Meier, Robert Schumann,
Reinbek 1995; Mendelssohn Bartholdy, Altes
Gewandhaus: Martin Geck, Felix Mendelssohn
Bartholdy, Reinbek 2009; Karl Böhm: Archiv
der Sächsischen Staatsoper Dresden; Renaud
Capuçon: Simon Fowler/Virgin Classics; Théâtre
des Champs-Elysées: Matthias Creutziger
TEXTE
«Fruchtbares Intermezzo», «Kontinuität mit
Brüchen» und das Interview mit Renaud
Capuçon sind Originalbeiträge für die
Publikationen der Sächsischen Staatskapelle
Dresden von Tobias Niederschlag. «Von der
standhaften Liebe» von Christine Mellich und
«... das fehlende Bindeglied der Violinliteratur»
von Dr. Joachim Draheim drucken wir mit
freundlicher Genehmigung der Autoren.
Carus 83.246
Sächsische Staatsoper Dresden
Intendant Prof. Gerd Uecker
Generalmusikdirektor Fabio Luisi
EU
N
IMPRESSUM
Urheber, die nicht ermittelt oder erreicht
werden konnten, werden wegen nachträglicher
Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.
Private Bild- und Tonaufnahmen sind aus
urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet.
W W W. S T A AT S K A P E L L E - D R E S D E N . D E
Vertrieb (D)
30
Carus 83.249
vor Beginn im Kellerrestaurant der Semperoper
www.carus-verlag.com
Carus
11_SiKoPH.indd 4
05.06.2009 15:00:08 Uhr
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