Was bin ich?1 Prof. Lars Bauernschmitt Im publizistischen Bermudadreieck verschwinden die Grenzen zwischen Journalismus, Werbung und Public Relations. Als Benetton 1994 in Zeitschriften und auf Plakatwänden mit der blutverschmierten Kleidung des im Juli 1993 getöteten Marinko Gagro warb, traten die Produkte des italienischen Modeherstellers in den Hintergrund, während die Diskussion um die Werbung die Öffentlichkeit polarisierte. Kaum waren die ersten Plakate geklebt und die ersten Anzeigen gedruckt, rollte die Protestlawine. Die neue Kampagne war eine kalkulierte Provokation, die Reaktion der Öffentlichkeit ebenso massiv wie vorhersehbar. Das Foto zeigte die Kleidung, die der damals dreißigjährige kroatische Milizionär trug, als er in der Nähe von Mostar in Bosnien Herzegowina erschossen wurde. Das Motiv mit dem vor weißem Hintergrund fotografierten, blutigen T-Shirt mit Einschussloch und der danebenliegenden Armeehose zog Kritik, Strafanzeigen und Verbote auf sich. Kaum ein anderes Werbemotiv vorher oder nachher hat zu ähnlichen Auseinandersetzungen geführt. Für Benetton war dieses Foto nur eines von vielen Motiven, die seit Anfang der 1990er Jahre mit einem tradierten Verständnis von Werbung brachen. Der Gedanke, die beworbenen Produkte oder ihre Hersteller positiv darzustellen, wurde mit dieser Kampagne auf den Kopf gestellt. Hatte die Firma ihre Bekleidung bis dahin klassisch werblich in hellen, freundlichen und fröhlich bunten Fotos präsentiert, änderte sie ihre Strategie ab 1992. Statt der schönen Strickware zeigte man nun Pressefotos von einem ölverschmierten Vogel, einem sterbenden Aidskranken oder einem Frachtschiff, voll besetzt mit Armutsflüchtlingen. Beobachtete Fotos, die von renommierten Fotojournalisten ursprünglich aufgenommen wurden, um gesellschaftlich relevante Themen aufzuzeigen, waren nun Teil eines weltweiten Werbe-Feldzuges für Pullover, TShirts und Schuhe. Oliviero Toscani, der die Kampagne für Benetton entwickelt hatte, nutzte für seine Anzeigen Fotos aus der Beletage des internationalen Fotojournalismus. Agenturen wie Magnum, Sygma oder Black Star schickten Fotos von Steve McCurry, Franco Zecchin oder Simona Cali Cocuzza. Fotografen, die für ihre sozial engagierten Bilder bekannt waren, lieferten nun Layout-Bausteine, um den Verkauf von Saisonware zu befördern. Toscani, der an der Kunstgewerbeschule in Zürich gelernt hatte und sich früher selbst als concerned photographer sah, dessen Fotos seine politische Überzeugung transportieren sollten, veränderte ab Anfang der 90er Jahre nicht nur die Werbung, sondern auch das gesamte kommunizierte Selbstverständnis des norditalienischen Modeherstellers. Angesagt war nun die für alle Welt sichtbare Auseinandersetzung mit den wirklich wichtigen Fragen des Zeitgeschehens. Zeitgleich mit der nicht nur für Marketingexperten verwirrenden Werbung erschien im Herbst 1991 die erste Ausgabe der Zeitschrift Colors. Gemeinsam mit Art Director Tibor Kalman entwickelte Oliviero Toscani ein Magazin mit dem Anspruch „to show the world to the world“, wie die eigene Website erklärt, oder, so der Untertitel der ersten Ausgabe, „eine zeitschrift über den rest der weld“, die in der zweiten Ausgabe, dann in korrekter Rechtschreibung, zur „Welt“ wurde. Die bunte Postille, die in den ersten drei Ausgaben neben Artikeln über japanische Rapper, Pizza, oder die Frage, wie viel ein Mensch kostet, auch noch die neuen Kollektionen der Firma zeigte, entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einer monothematischen Zeitschrift ohne werbliche Modestrecken. Statt das halbe Heft mit den hübschen internationalen Modellen in der netten bunten Garderobe zu füllen und den Rest als Kessel Buntes aufzukochen, gibt es inzwischen ganze Ausgaben zu nur noch einem Thema. Reichtum (Ausgabe 15), Zeit (Ausgabe 26), Fett (Ausgabe 29) oder Energie (Ausgabe 60) sind Inhalte, denen jeweils ein komplettes Heft gewidmet wird. Klar gestaltet liefert das Blatt mit großen Bildern und kurzen Texten einen bunten Strauß von Aspekten zum jeweiligen Oberthema. Das Mode-Unternehmen zeigt so seine Verantwortung für die globalen Fragestellungen der Zeit – ohne den Leser damit gedanklich zu überfordern. Denn etwas anderes ist wichtig: Wer sich mit dieser 1 Dieser Beitrag „Was bin ich?“ erschien in der Ausgabe 4/2013 der Zeitschrift Pictorial. 2 Zeitschrift sehen lässt, zeigt neben dem Interesse für die großen Themen der Zeit auch seinen Sinn für die ansprechende Form. Benetton macht aus einem schlichten Printprodukt ein Statussymbol und erreicht damit das, was die meisten traditionellen Verlage bisher nicht schafften. Dabei ist der journalistische Anspruch der Zeitschrift Colors schnell erfasst. Als Produkt aus dem Hause Benetton ist das Blatt Teil des Marketing-Mix einer Firma, die vom Verkauf ihrer Mode lebt. Der Strickwarenhersteller macht vor, wie Kundenzeitschriften funktionieren müssen. In Zeiten gesättigter Märkte übernehmen die firmeneigenen Publikationen die Aufgabe, das eigene Unternehmen und seine Produkte vom Mitbewerber zu differenzieren, das Handeln der Firma gesellschaftlich zu legitimieren und Kontinuität in die Beziehung zu den Kunden zu bringen. Um diese Ziele zu erreichen, dürfen die Kundenmagazine nicht allzu werblich wirken. Journalistische Stilmittel dienen dazu, Glaubwürdigkeit zu transportieren. Das Ganze ist kein wirklich neuer Gedanke. Bereits um 1500 stellte Jacob Fugger I. für Geschäftspartner Nachrichten zusammen, die er von seinen Korrespondenten erhielt. Ein informativer Service, der die Geschäftspartner an das Unternehmen binden sollte. Eine gute Idee, die mit dem Aufkommen der Massenpublikationen ihren endgültigen Durchbruch hatte. Denn was dem weltweit tätigen Imperium vor fünfhundert Jahren Recht war, ist dem Häuslebauer seit 1924 billig. Fast neunzig Jahre lang gibt die Bausparkasse Wüstenrot nun schon Mein Eigenheim heraus. Eine freundliche Postille mit Sanierungstipps und Finanzierungsvorschlägen für das kleine Glück in den eigenen vier Wänden. Seitdem die Häuslebauer die Printmedien entdeckten, ist der Drang der werbetreibenden Industrie zur gedruckten Kundenbindung ungebrochen. Gegen den Trend sinkender Auflagen bei Zeitungen und Zeitschriften nimmt die Zahl der Haus-, Firmen- und Kundenzeitschriften weiter zu. Während zwischen 2006 und 2011 die Auflagen der Publikumszeitschriften von 136 auf 123,3 Millionen sanken und die Tageszeitungen im selben Zeitraum von 25,2 auf 22,2 Millionen absackten, legten die Kundenzeitschriften im selben Zeitraum deutlich zu. Ihre Gesamtauflage stieg von 51,4 auf 55,5 Millionen Exemplare. Ein Ende der Entwicklung ist nicht absehbar. So ist es nicht verwunderlich, dass die Zahl derer, die Heftkonzepte zur Unternehmenskommunikation entwickeln, ständig steigt und auch die früher rein journalistisch tätigen Verlagshäuser den Markt der Firmen-PR für sich entdecken. Die Liste der Anbieter redaktionell aufbereiteter Absatzförderung liest sich mittlerweile wie ein Who is Who des deutschen Qualitätsjournalismus. Ob Gruner + Jahr (G+J Corporate Editors), Burda (Burda Creative Group), Handelsblatt (corps. Corporate Publishing Services) oder Die Zeit (Tempus Corporate GmbH), viele große Verlagshäuser versuchen mittlerweile ihr publizistisches Know How in den Dienst der werbetreibenden Industrie zu stellen. Dass ein derartiger Transfer von Blattmacherqualitäten aber durchdacht sein sollte und die Konzepte sorgfältig geplant werden müssen, erfuhren die Verantwortlichen der Zeitschrift Merian aus dem Hamburger Jahreszeiten Verlag im Jahr 2006. Unter dem harmlosen Titel „Traumstraßen der Welt“ stellte eine Extra Ausgabe des Blattes „die schönsten Routen“ rund um den Globus vor. Doch ein Detail fiel auf: Wann immer auf den Straßen ein Auto zu sehen war, handelte es sich um ein Modell der Marke Audi. Liebevoll in die Bilder gesetzt, beherrscht die süddeutsche Wertarbeit Highways und Buckelpisten. Ob am Broadway in New York oder auf der Garden Route in Südafrika - im Bildzentrum glänzt die Marke mit den vier Ringen auf dem Kühlergrill. Der deutsche Presserat fand wenig Gefallen an der Ausgabe. Er rügte Merian extra öffentlich und wertete die Platzierung der Fahrzeuge als Schleichwerbung. Im Hamburger Verlagshaus verstand man dies nicht, hatten die Blechbieger aus Ingolstadt doch netterweise nur die Autos „an die teilweise sehr exotischen Plätze transportiert und bei der Beschaffung von Genehmigungen für Fotoshootings geholfen. ... Das hätte die Merian Redaktion allein nicht geschafft“, erklärte Verlagsleiter Oliver Voß gegenüber dem FreeLens Magazin. Aus Sicht der Hamburger nur logisch, dass eine solch erfolgreiche Idee ein Jahr später noch einmal umgesetzt wurde, als es galt unter dem Titel „Große Ferien“ „Ferienstraßen zwischen Nordsee und Alpen“ vorzustellen. Diesmal war es die Marke mit dem Stern die auf Deutschlands Straßen vorneweg fuhr. Fünfundzwanzig Mercedes-Abbildungen schafften es in den gar nicht so redaktionellen Teil des Blattes für „Die Lust am Reisen“. Die Abgrenzung von Journalismus, Public Relations und Werbung scheint den Prof. Lars Bauernschmitt – Was bin ich? – www.larsbauernschmitt.de 3 Verantwortlichen in manchen Verlagshäusern mittlerweile schwer zu fallen. Immer wieder wird die Frage nach dem Einfluss der Anzeigenkunden auf die journalistischen Inhalte bei Zeitungen und Zeitschriften gestellt. So beschrieb die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit in ihrer Ausgabe vom 15. November 2012 einen Streit im Hause Gruner + Jahr, der sich entzündete an einem gefälligen Extraheft der Zeitschrift Essen und Trinken über die Autostadt in Wolfsburg – finanziert mit Anzeigen „von eben dieser Autostadt“. Wer seine Leser ernst nimmt, sollte ehrlich mit ihnen umgehen. Fast vorbildlich tut das, wenigstens in Bezug auf Aussagen über die Einhaltung journalistischer Grundregeln, das Red Bulletin, das sich selbst als das „fast unabhängige Monatsmagazin“ bezeichnet. Das Lifestyle-Magazin mit mehr als drei Millionen Auflage aus der Medienfabrik von Dietrich Mateschitz, erscheint mittlerweile nicht nur in Österreich sondern auch in Großbritannien, Irland, Kuwait, Neuseeland, Polen, Südafrika und Ungarn. Doch der ehemalige Handelsvertreter für Jacobs Kaffee und Blendax Zahnpasta ist medial breiter aufgestellt. Die Firma des umtriebigen Marketing-Mannes produziert daneben auch eine Variante der deutschen Landlust mit dem Namen Servus in Stadt & Land sowie das People-Magazin Seitenblicke und selbstverständlich werden die Inhalte medienübergreifend verbreitet. Zum Portfolio der Firma gehören neben den klassischen Printprodukten mit angebundenen Web-Auftritten auch TV-Sender und Mobilfunk-Angebote. Wo andere Unternehmen publizistische Entwicklungen zögernd abwarten, stürmt Mateschitz voran, kraftstrotzend von mehr als fünf Energydrinks, die er nach eigenen Angaben täglich zu sich nimmt. Drinks, die es ihm nicht nur konditionell sondern auch finanziell ermöglichen, sich der Medien anzunehmen - dem Mann gehören 49 % an der Softdrinkmixerei Red Bull. Die eigenen Medien dienen nicht nur der Information von Lesern und Zuschauern, sondern darüber hinaus auch dem Absatz der süßen Drinks, die ihr Erscheinen erst möglich gemacht haben. Doch Mateschitz ist schon wieder einen Schritt voraus. Wo andere nur berichten, was sich ereignet, inszeniert der Österreicher die Events, die die Welt bewegen gleich selbst. Mit dem von seinem Unternehmen finanzierten Stratosphärensprung des Felix Baumgartner, brach er alle Medien-Rekorde. Als sich der österreichische Extremsportler am 14. Oktober 2012 aus 39 Kilometern Höhe zur Erde stürzte und dabei die Schallmauer durchbrach, schaffte sein Sponsor mit dem Ereignis mediale Spitzenwerte: 673.000 Fans auf der Facebook-Seite, über 366 Millionen Abrufe auf dem YouTube Kanal, acht Millionen Nutzer gleichzeitig während des Aufstieges und des anschließenden Sprungs in die Tiefe. „Schätzungen gehen davon aus, dass Red Bull auf diese Weise einen Marketingeffekt erzielte, der im mehrstelligen Millionenbereich liegt“, schreibt das Medien-Portal Meedia. Der österreichische Limonadenmischer zeigt, was mediale Vollverwurstung leisten kann. Die Grenzen zwischen Journalismus, Public Relations und Werbung werden weltweit immer öfter überschritten. Vielfach ist unklar, wo das eine aufhört und das andere anfängt - und das ist scheinbar Absicht. Bleibt abzuwarten ob das Modell Zukunft hat. Prof. Lars Bauernschmitt – Was bin ich? – www.larsbauernschmitt.de