Neuropädiatrie Teil 2: -Neuralrohrdefekte / Spina bifida -Spinale Muskelatrophie -Muskeldystrophie und andere Muskelerkrankungen J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Neuralrohrdefekte: •Anenzephalus •Enzephalozele •Spina bifida aperta (Meningozele, Myelomeningozele) •Dermalsinus •Spina bifida occulta •Inzidenz gesamt: 0,7-0,8/1000 •Hemmungsfehlbildung am 19. – 28. Tag post conceptionem >Spaltbildung •Störung 4.-7. Gestationswoche ->MC •Ursachen: Genetisch, Medikamente, Folsäuremangel, … J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Anenzephalus: •Fehlen der Schädelkalotte •Aplasie oder Hypoplasie des Großhirns, Kleinhirns und des Hypothalamus •Häufig mit dem Leben nicht vereinbar J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Enzephalozele: •Vorwölbung in der Mittellinie des Schädels •Meist okzipital •Können verschiedene Anteile des ZNS enthalten (Meningen, Großhirn, Zerebellum) •Gelegentlich mit einer Grunderkrankung vergesellschaftet J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Spina bifida aperta: •Partielle Verschlussstörung des Neuralrohrs mit Ausstülpung Rückenmarksanteilen durch einen Wirbelbogendefekt •Myelomeningozele (MMC) oder Meningozele (MC) betreffen in 90% den lumbosakralen Bereich, 7% thorakal. •Meningozele: Vorwölbung einer liquorgefüllten meningealen Aussackung, in der Regel von Haut überzogen, neurologische Ausfälle diskret bis fehlend •Myelomeningozele: Beinhaltet fehlgebildete Myelonanteile, mehr oder minder ausgeprägte Querschnittsymptomatik mit motorischen und sensiblen Ausfällen und Störungen der Blasen und Mastdarmfunktion •Gelegentlich nur Klumpfußentwicklung •In 80 % der Fälle sekundärer Hydrozephalus (Arnold-Chiari-Malformation) J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Spina bifida aperta: J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Arnold-Chiari-Malformation: •Bei ca. 80-90% der Patienten mit MMC vorhanden •Verlagerung der Medulla oblongata, des 4. Ventrikels und Anteilen des Kleinhirns in das Foramen magnum •Sekundärer Hydrozephalus durch Abflussbehinderung aus dem 4. Ventrikel •Ggf. progredienteSymptomatik (Apnoe, Schluckstörung, •Spastik, Muskelschwäche etc.) J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Dermalsinus: •Spaltförmige Öffnung von der Haut bis in den intraspinalen Raum •Einziehung, Erythem, vermehrte Behaarung •Gefahr der aszendierenden Infektion •Operative Sanierung J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Tethered cord: • Verhindert das Aufsteigen des Conus während des Wachstums • Verdicktes Filum terminale • Mögliche Ursachen: Lipom Dermalsinus MMC • Verursacht Zug auf dem Rückenmark • Spinale Symptomatik, Frühsymptom Spastik, Fußdeformität, Störung der Blasen- und Mastdarmfuktion • Häufig diskrete Zeichen oberhalb der Läsion (vermehrte Behaarung …) J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Tethered cord: J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Therapie: •Tethered cord: Adhäsiolyse wenn möglich und nötig •MMC: Deckung mit Haut, Lyse von Verwachsungen, Shunt bei Hydrozephalus •Dermalsinus: Entfernung des Sinus, ggf. Adhäsiolyse •Vesikulo-renale Probleme: Selbstkatheterisierung, Anti-Reflux-OP, Antibiotikaprophylaxe •Arnold-Chiari-Malformation: Shunt-Anlage, Dekompression •Krankengymnastik •Hilfsmittelversorgung •Multidisziplinäre Therapie: Kinderarzt, Kinderneurologe, Kindernephrologe, Urologe, Orthopäde, Neurochirurg, Krankengymnastik J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Häufige klinische Auffälligkeiten: •Spastik •Gangstörung •Störung der Sensibilität und Motorik •Fußdeformitiät / Klumpfüße •Störung der Blasenfunktion (Blasenentleerunsstörung, Vesiko-ureteraler Reflux, HWI, Niereninsuffizienz) •Störung der Mastdarmfuktion •Rollstuhlpflichtigkeit (komplette / inkomplette Lähmung) •Hirndrucksymptomatik J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Spinale Muskelatrophie: J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Spinale Muskelatrophie: Genetik •Autosomal rezessiv vererbte Erkrankung •Degeneration der alpha-Motoneurone im Vorderhorn des Rückenmarks, gelegentlich auch der Motoneurone bulbärer Kerne •Häufigkeit 1:6.000-1:10.000 •Heterozygotenfrequenz 1:60-1:80 •Genetik kompliziert durch Vorhandensein von funktionsarmen GenKopien, deren Anzahl für die Schwere der Erkrankung ausschlaggebend ist J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Spinale Muskelatrophie: Klinik •Generalisierte muskuläre Hypotonie •Proximal betonte symmetrische Muskelschwäche mit Atrophie Verlaufsformen: Typ 0: Ateminsuffizienz ab der Geburt, fast keine Spontanmotorik, Tod mit 0-2 Monaten, Gelenkkontrakturen Typ 1 (Werdnig-Hoffman): Sitzen nicht möglich, Tod mit 1-2 Jahren, leichte Gelenkkontrakturen, Schwäche der Gesichtsmuskulatur, Schluckstörungen, Faszikulieren der Zunge Typ 2: Sitzen möglich, kann aber nicht stehen, 70% werden älter als 25 Jahre, Fingertremor Typ 3 (Kugelberg-Welander): Stehen und gehen möglich, Lebenserwartung fast normal, Fingertremor, 40% Begin vor dem 3. Lebensjahr, später Rollstuhpflicht Typ 4: Krankheitsbeginn nach dem 30. Lebensjahr J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Spinale Muskelatrophie III: J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Spinale Muskelatrophie: Diagnostik •Hypotones Neugeborenes •Bei Typ 0 und 1 meist Faszikulationen der Zunge, ggf. des Daumens •Typ 2 gelegentlich Faszikulationen der Zunge häufig des Daumens •Normale oder leicht erhöhte CK (Ausschluß Myopathie) •EMG mit typischem Muster •Genetik •Selten notwendig: Muskelbiopsie J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Spinale Muskelatrophie: Therapie •Symptomatische Therapie (Krankengymnastik, Logopädie, Atemtherapie etc.) •Keine wirksame medikamentöse Therapie J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Muskeldystrophie Duchenne (DMD): J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Muskeldystrophie Duchenne (DMD): •Verzögerte motorische Entwicklung (Laufen >18 Monate) •Progrediente Skelettmuskelschwäche •Rasche Ermüdbarkeit und motorische Ungeschicklichkeit •Watschelndes Gangbild •Hyperlordose, häufig sekundär Skoliose •Kardiomyopathie möglich und häufig dann progredient •Mentale Beeinträchtigung häufig •Hypertrophie der Waden durch Pseudohypertrophie der Muskulatur (Verfettung und Fibrosierung der Muskulatur) •Ab 7.-9. Lj rasche Progredienz, häufig Kontrakturen (Spitzfuß) J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Muskeldystrophie Duchenne (DMD): •Rollstuhlpflicht meist ab dem 10.-13. Lj •Nächtliche Hypoventilation •Tod an der Kardiomyopathie oder der Hyperventilation meist vor dem 20.-25. Lj (bei fehlender Intervention in Form einer Heimbeatmung) •Deutliche CK-Erhöhung (2.000-20.000 bei Normwert <130-200) J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Muskeldystrophie Duchenne (DMD): •X-chromosomal rezessive vererbt •Progrediente Muskel-Schwäche und Atrophie mit histologisch distinkten Auffälligkeiten und ohne Hinweis auf eine spinale oder peripher nervale Beteiligung •1959-60 Serum-CK - Erhöhung bei Patienten und Konduktorinnen •1978-83 DMD-mapping auf Xp21 (X/A-Translokationen) •1983-84 BMD und DMD allelisch •1985 spezifische DNA-Proben, Punktmutationen •1987-88 cDNA kloniert und sequenziert, Dystrophin J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Gulliaume Benjamin Amand Duchenne de Boulogne (17.9.1806-17.9.1875) J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Erb´s Originalzeichnung (Dtsch Z Nervenheilkd 1:13, 1891) J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Gowers’ Zeichen J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Muskeldystrophie Typ Duchenne Serum-CK Werte J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Muskeldystrophie Becker-Kiener (BMD): •X-Chromosomal rezessiv •Dystrophin-Mutationen als Ursache der Erkrankung (Wie DMD) •Beginn der Symptomatik mit etwa 5 Jahren •Langsamere Progredienz und großen klinische Variabilität •Wadenhypertrophie •Muskelkrämpfe, Kontrakturen, Hohlfußbildung •Gelegentlich mentale Retardierung •Kardiomyopathie möglich (häufig Lebenslimitierend) J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Muskeldystrophien Duchenne Becker 1:3.500 1:18.000 Symptombeginn 2,4 (<7,8) 11 (>2,5) Gehverlust 8,5 (<13,2) 27 (>12) Tod 15,5 (<25) 42 (>23) <5% >20% häufig (stationär) häufig (schwerer) Inzidenz Dystrophingehalt Herzbeteiligung J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Molekulare Bestandteile der Muskelzellmembran J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Das Dystrophin-Gen •Genort: Xp21 •Gen: 2 Mio Basenpaare, 79 Exons J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Das Dystrophin-Gen •Mutationen •Deletionen (60%) •Duplikationen (5-10%) •Punktmutationen/Mikrodeletionen •Was unterscheidet die Muskeldystrophie Duchenne von der Muskeldystrophie Becker-Kiener? J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Das Dystrophin-Gen •Drei Basen kodieren für eine Aminosäure •Deletionen oder Insertionen die den Leserahmen verschieben werden Frame-shift (Leseraster)Mutationen genannt Leseraster-Theorie (Monaco et al 1988) in frame: Leseraster erhalten: BMD GIB-MIR-MAL-DEN-TEE GIB-MIR-DEN-TEE GIB-MIR-TEE GIB-TEE TEE... J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Das Dystrophin-Gen Leseraster-Theorie (Monaco et al 1988) out of frame: Leseraster gestört: DMD GIB-MIR-MAL-DEN-TEE GIB-MRM-ALD-ENT-EE J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Das Dystrophin-Protein Genprodukt: Dystrophin 0,002% des Muskelproteins 5 Unterformen mit eigenen Promotoren werden z.B. in Muskel und Gehirn exprimiert J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Muskeldystrophien Therapie • Krankengymnastik – Kontrakturprophylaxe – Belastung? • Vermeidung von Immobilisation! • Orthesen/Hilfsmittel J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Muskeldystrophien Therapie •Operationen •WS (>30-40° Cobb) •Extremitätenkontrakturen •Beatmung •Medikamente •(Gentherapie) J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Duchenne Muskeldystrophie J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Muskeldystrophien therapeutisch eingesetzte Substanzen • erfolgreich – – – – • nicht erfolgreich Prednison (1974) Deflazacort Dantrolen (nur CK ↓) Azathioprin (mindert lediglich entzündliche Rkt.) – Cyclophosphamid (kurzer Kraftzugewinn, 2Mo) – Kreatin ?? – – – – – – – Vitamine Allopurinol Ca-Antagonisten Superoxid Dismutase Antiserotoninergika Leucin usw. J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock Dystrophinopathien Heterozygotie/Konduktorinnen • 8% milde Symptome (Lyon Hypothese, monozygote Zwillinge unterschiedlich betroffen) • CK in 45-70% erhöht (abfallend!) • Muskelbioptisch Dystrophin-Mosaik (fehlendes Mosaik kein Ausschluss!) • Gonadenmosaike in ca. 20% bei neu aufgetretener DMD, Wiederholungsrisiko bei 7% J. Denecke - Uniklinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin - Rostock