Das Neue Testament Jesus und Paulus, eine grenzenlose Dualität Gestatten, Eva! Wie wichtig ist die Wahrheit wirklich? Inhaltsverzeichnis Vorwort Î 2 Das Alte Testament Jehova, der höchst unchristliche Gott des Christentums 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. Die Schöpfungsgeschichte Noch eine Schöpfungsgeschichte Die Gottversteher Der Sündenfall – Ist Gott im Recht oder der Teufel? Die christliche Theologie – unglaublicher Output eines Märchens Die Vaterschaft Abels: Wer hätte das gedacht…? Wie tief sinkt Gott noch? Das Beste im Alten Testament: Der Name Gottes Israels Könige: Schlechter als ihr Ruf Die frühen Theologen und ihr Widersacher Î 7 Î 8 Î 10 Î 12 Î Î Î Î Î Î 15 17 18 19 20 21 11. Heilige Kühe gibt’s nicht, in der Bibel schon gar nicht! 12. Die Theologen in Erklärungsnotstand – doch Not macht erfinderisch 13. Jesu Geburt oder wie stellt man sich die Geburt eines legendären Menschen vor? 14. Kindheit und Jugend des „Wunderkindes“ 15. Der Tod Jesu – Endlich Anlass zu wahrheitsgetreuer Berichterstattung? 16. Jesus – ein Mensch ohne Irrtümer und ohne jede menschliche Entwicklung? 17. Wahre Liebe gibt es nur zwischen…. 18. Eintracht und Verständigung – für Paulus ein Fremdwort 19. Ein merkwürdiger Heiliger 20. Die Lehre, die die Welt eroberte 21. Die Wurzeln des „Christentums“ 22. Der Wolf im Schafspelz 23. Es kommt auf die Reihenfolge an 24. Das „evangelion“ 25. Die wichtigsten Übersetzungsfehler 26. Wir haben einen Vater, aber keine Mutter? 27. Betet ohne Unterlass! – Gibt es etwas ,Gottloseres’? 28. Wo ist die Richtschnur? Î 24 Î 28 Î 29 Î 33 Î 36 Î 38 Î 47 Î 53 Î 57 Die Bibel, das Buch der unbegrenzten Möglichkeiten 29. 30. 31. 32. 33. Die Vita Jesu Unbegrenzt zum Ersten Was sagen Sie zu dieser Interpretationsmöglichkeit? Unbegrenzt zum Zweiten Unbegrenzt zum Dritten Î 67 Î 73 Î 81 Vorwort Begleiten Sie mich bitte auf folgendem Gedankengang, bzw. begleiten wir eine junge Frau – sagen wir von etwa 25 Jahren – auf einer Suche! Nehmen wir an, die junge Frau wurde im Ostblock geboren und atheistisch erzogen. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wird sie nun neugierig und möchte das Christentum, das man ihr bisher vorenthalten und vor dem man immer sie eindringlich gewarnt hatte, kennen lernen. Die junge Frau kommt nun in eine westdeutsche Großstadt, das könnte zum Beispiel Köln oder München sein, und um ihre Suche ein wenig zu konkretisieren, machen wir sie an den zwei folgenden Fragen fest: „Hat eine Frau in einer Kirche ein Kopftuch zu tragen?“ und „Darf sie in oder vor der Gemeinde sprechen?“ Nehmen wir an, unsere junge Frau trifft in jener Stadt als erstes auf die Katholiken, da diese dort am häufigsten sind. Was wird sie von ihnen hören? Sie wird hören: „Schön, dass Sie zu uns gefunden haben! Wir sind die wahre Kirche des Christentums! Ein Kopftuch brauchen Sie bei uns nicht mehr zu tragen, und sprechen dürfen Sie vor der Gemeinde auch, aber nur Untergeordnetes; das Wesentliche bleibt dem Pfarrer vorbehalten.“ Die junge Frau geht weiter und als nächstes gerät sie an die Zeugen Jehovas, da diese in ihrer Mission am eifrigsten sind. Dort wird sie zu hören bekommen: „Schön, dass Sie zu uns gefunden haben! Wir sind die wahre Kirche des Christentums! Ein Kopftuch brauchen Sie bei uns nicht zu tragen, jedoch sollten Sie sich gepflegt und traditionell fraulich kleiden und sprechen dürfen Sie vor der Gemeinde nur Unwesentliches.“ Die junge Frau geht weiter und landet bei der Evangelischen Kirche. Dort wird sie zu hören bekommen: „Schön, dass Sie zu uns gefunden haben! Wir sind die wahre Kirche des Christentums! Ein Kopftuch brauchen Sie nicht zu tragen und Sie dürfen bei uns nicht nur vor der Gemeinde sprechen, sondern Sie dürften als Frau sogar die ganze Kirche leiten!“ Die junge Frau geht weiter und fällt radikalen Evangelikalen in die Hände. Dort wird sie zu hören bekommen: „Schön, dass Sie zu uns gefunden haben! Wir sind die wahre Kirche des Christentums! Selbstverständlich müssen Sie in der Kirche ein Kopftuch tragen, das steht doch klar in der Bibel [Anm.: 1. Kor. 11,1] und mit derselben Selbstverständlichkeit haben Sie in der Gemeinde zu schweigen!“ Dann gibt es noch die Adventisten, Mormonen, Altkatholiken und viele mehr, zu denen die junge Frau gehen könnte und die sich alle das Attribut „wahre Kirche des Christentums“ auf die Fahne heften. Sodann ist unser Thema, also die Rolle, die die Frau in der Gemeinde spielen darf, nur eine von vielen Fragen, bei denen die einzelnen Theologien uneins sind. Es gibt für die Unzahl der im Umlauf stehenden Glaubensgemeinschaften des Christentums noch eine Unzahl weiterer Möglichkeiten, sich zu streiten – wie zum Beispiel über die Heiligenverehrung, die Sakramente, die Kindertaufe, die Moraltheologie… Gretchenfrage: Wo findet unsere junge Frau das wahre Christentum? Langes Nachdenken?? Die Antwort ist kurz und einfach: Sie muss selbst die Bibel zur Hand nehmen und sich ihr eigenes Bild von dem machen, was christlich ist. Die einzige Alternative, die Glaubensrichtungen näher in Augenschein zu nehmen und sie hinsichtlich ihres Christlich-Seins zu überprüfen, ist nämlich nicht möglich: Man kann nicht Jahre seines Lebens für das nähere Kennenlernen auch nur der wichtigsten Theologien opfern und sich dann für die „richtige“ entscheiden. (Selbst wenn die Frau dies wollte, müsste sie zuvor die Bibel gelesen und – besser als die meisten Theologen – verstanden haben!) Dieser Umstand, dass man nicht zu einem studierten oder sonst ausgebildeten Experten gehen kann, um das wahre Christentum kennen zu lernen, wird auch durch die ganz offensichtliche Tatsache bestätigt, dass 2000 Jahre Theologiegeschichte das 2 wahre Christentum gewiss nicht zu Tage gefördert haben. Es gilt sogar das Gegenteil: Die Tatsache, dass die Bibel nach dem Ausschluss der Allgemeinbevölkerung den Theologen für viele Jahrhunderte allein überlassen war, hatte schlimmste Folgen: Kreuzzüge, Zölibat, Inquisition, kontinentweiser Genozid, Pillenverbot…. Auch wenn es sehr einleuchtend und logisch ist, dass die junge Frau die Frage nach dem wahren Christentum nicht von den Theologen beantwortet bekommt, sondern allenfalls in der Bibel selbst, so stellt sie doch für viele ein grundlegendes, traditionelles Denkschema auf den Kopf: Es gibt im wahren, praktizierten Christentums keine Obrigkeit! Die junge Frau kann nur das leben, was sie in ihrer privaten Bibellektüre selbst herausfindet – mehr nicht! Für historische Fragen stehen ihr die Geschichtswissenschaftler zur Verfügung; doch sobald sie sich mit Fragestellungen zu Gott und zum Glauben an Katholiken, Lutheraner, Zeugen Jehovas, Mormonen, Evangelikalen usw. wendet, geht der Wirrwarr sofort von Neuem los. Die bekennenden Christen unter uns, egal ob Zeugen Jehovas, Mormonen, Katholiken, Evangelikale, Protestanten etc. werden allerdings kaum zugänglich für die Erkenntnis sein, dass ihr Glauben vieles sein kann, Gemeinschaftserlebnis, Freundesoder Familienersatz, Bühne zur Selbstdarstellung etc., eines jedoch nicht: Wahres Christentum! Zwar erkennt jede Kirche genau dieses sofort bei den anderen, zu ihr in Konkurrenz stehenden Kirchen, nur bei sich selbst nicht! Das heißt: Katholiken oder Lutheraner zum Beispiel, denen man schon mit der Muttermilch die Angst eingeflößt hat, dass durch den Beitritt zu einer Sekte wie den Zeugen Jehovas das Seelenheil nicht nur im Jenseits, sondern auch schon im diesseitigen Leben verspielt sei, vertreten diese Annahme oft ihr Leben lang. Umgekehrt sind die Zeugen Jehovas zutiefst überzeugt, dass die Anhänger von „Babylon, der Großen“, wie sie die teils sehr sündige Katholische Kirche nennen, auf dem geraden Weg ins Verderben wandeln, während sie sich selbst als das auserwählte Volk Gottes wähnen. Die Gräben zwischen den christlichen Glaubensgemeinschaften sind extrem – und oft sogar sprechen die einen den anderen das Attribut „christlich“ ab, auch wenn bei allen Christus und sein Opfertod oder anders ausgedrückt sein Loskaufsopfer eine tragende Rolle spielen. Wissen Sie, wie man es nennt, wenn Menschen zwar in der Lage sind, Eigenschaften bei anderen wahrzunehmen, aber nicht mehr bei sich selbst? Es gibt dafür viele Bezeichnungen, jedenfalls ist es eine Art Blindheit. Im Wirtschaftsleben nennt man so etwas „Betriebsblindheit“, im religiösen Bereich könnte man dazu Jesus zitieren, zu dessen Lebzeiten genau das gleiche Phänomen auch schon aufgetaucht ist. Er nannte die Theologen seiner Zeit, das sind die Schriftgelehrten und Pharisäer, „blinde Blindenführer“! Wie soll man sich denn sein ganz eigenes Bild von der Bibel machen – so ganz ohne Helfer? Nun, dabei sind Sie tatsächlich nicht allein, denn diesen Helfer gibt es; einen sehr mächtigen Helfer, der Ihnen auch sonst in Ihrem Leben stets mit weisem Rat zur Seite steht! Wissen Sie, wer das ist? Nein, das ist nicht der Heilige Geist, denn da wären wir schon wieder in der dunkelsten Theologie, es ist einfach der gesunde Menschenverstand (plus ein wenig Allgemeinbildung, was die damalige Zeit betrifft). Lesen wir die Bibel mit dem gesunden Menschenverstand, werden sich nicht nur Gläubige, sondern auch eingefleischte Atheisten von vielen überkommenen Vorstellungen und lieb gewonnenen Bildern verabschieden müssen und wir können uns an dieser Stelle eines von ihnen anschauen: Den Stern von Bethlehem. Die Geburt eines Königs wurde Magiern aus dem Morgenland durch einen besonderen Stern am Himmel angezeigt. Daraufhin folgten sie diesem Stern über einige Monate und fanden dann wirklich in Bethlehem das Jesuskind. Viele Menschen halten diese Geschichte für wahr und sogar ernstzunehmende Wissenschaftler beschäftigen sich mit der Frage, um welche Himmelserscheinung es sich da gehandelt 3 haben könnte. Vielleicht ist es aber auch umgekehrt: Weil sich ernstzunehmende Wissenschaftler damit beschäftigen, halten viele Menschen diese Geschichte für wahr. Der Ausdruck „einem Stern folgen“ hat seinen Ursprung in der Seemannssprache: Dort richtete man sich nach den Gestirnen und folgte ihrem Lauf. Das ist auf dem endlosen Meer auch kein Problem, doch wie folgt man einem Stern auf dem Land?? Alle Sterne wandern im selben Drehsinn und etwa der gleichen Geschwindigkeit über den Himmel wie die Sonne. Wir können dies also bei Tag ausprobieren und der Sonne folgen. Schon nach wenigen Minuten werden wir merken, dass das nicht geht. Nicht nur Häuser, Straßen, Zäune etc. zwingen zu kleinen Umwegen, sondern auch Flüsse, Seen, Schluchten und Gebirge oft zu tagelangem Abweichen von der vorgegebenen Richtung. Und wenn der Sonne folgen am helllichten Tag nicht funktioniert, dann umso weniger einem Stern in dunkler Nacht! So schön dieses Bild auch ist, es ist schlichtweg nicht möglich. Wieso beschäftigen sich aber dann Wissenschaftler damit? Viele werden geneigt sein, die Wissenschaftler in Schutz zu nehmen. Diese sind ja nur selten Naturburschen, leben in ihrem Wolkenkuckucksheim und bemerken daher oft die einfachsten Dinge des Lebens nicht – siehe der „zerstreute Professor“. Doch dieses Argument zählt hier nicht, und das sehen wir sofort, wenn wir uns folgendes Beispiel vergegenwärtigen: Der zur Erde gerichtete Scheinwerfer eines Such-Hubschraubers, hat in 100m Höhe scheinbar die Größe der Sonne, in 500m Höhe scheinbar die eines hellen Sterns. Trotzdem besteht der gravierende Unterschied, dass nur der Such-Hubschrauber ein Objekt auf der Erde einzeln anstrahlen kann, das Licht der Sonne oder eines Sterns nicht. Letzteres wirkt auf alle Objekte auf der Erdoberfläche gleich. Das liegt an der enormen Größe von Sonne, Stern, Planet oder Komet im Vergleich zu uns und an deren gewaltigen Entfernung. Man nennt diese Eigenschaft des Sonnen- oder Sternenlichts isotrop; niemals kann irgendein Objekt am Sternenhimmel ein Objekt auf der Erdoberfläche konkret bestrahlen oder ihm sonst konkret zugeordnet werden. Den isotropen Charakter aller Lichtquellen am Fixsternhimmel lernen alle Naturwissenschaftler schon im 1. Semester kennen! Dieses Beispiel zeigt anschaulich, wie rasch bei vielen Dingen, wenn sie uns nur ernsthaft von wissenschaftlicher oder einer anderen kompetent erscheinenden Seite serviert werden, unser gesunder Menschenverstand aussetzt und wir sogar sehr leicht als Märchen zu entlarvende Geschichten tatsächlich glauben. Tragisch ist das Außer-Kraft-Setzen des gesunden Menschenverstands aber natürlich weniger im Hinblick auf die in die Bibel eingeflossenen Märchen und Legenden, als vielmehr auf die in ihr enthaltenen Glaubensinhalte. Diese wurden von den Theologen als „von Gott gegeben“ definiert und dadurch für viele Menschen außer Reichweite ihrer Kritikfähigkeit gerückt. Wenn der Pfarrer, der Bischof oder an ihrer Spitze der Papst etwas über die Bibel sagt, dann ist das Gesetz; wenn etwas aus der Bibel zitiert wird, speziell etwas, das Jesus oder Paulus zugeschrieben wird, dann ist dies heilig und wahr. Auf diese Weise ließen und lassen sich die Menschen mittels der theologischen Bibelauslegung dazu verleiten, unvorstellbar Böses und unglaublich Unsinniges zu verrichten. Auch wenn in unserer aufgeklärten Gesellschaft die Theologie zunehmend an den Rand gedrängt wird, so bleiben viele Bewusstseinsinhalte und unsere ganze Weltordnung immer noch subtil theologisch geprägt. Zum Beispiel haben sich selbst viele Atheisten noch nicht von dem Glauben losgesagt, dass ethisches Handeln nur durch die Religion garantiert sei und Menschen ohne Religion ihren Trieben und den Verführungen des Kapitalismus haltlos ausgeliefert seien. Und als letztes Bollwerk gegen all das Böse wird speziell das Christentum ins Feld geführt. Das ist natürlich blanker Unsinn. So gab es in der atheistischen früheren DDR bekanntlich weit mehr mitmenschliche Wärme als im kapitalistischen Westen, und bestes Beispiel sind sicher die Naturvölker, von deren Ethik und Achtung vor Gottes Schöpfung die christlichen Missionare weit mehr hätten lernen können als umgekehrt. Doch auch Initiativen wie „Ärzte ohne Grenzen“, „SOS-Kinderdorf“, Amnestie International und viele 4 mehr, zeigen, dass Ethik und mitmenschliches Handeln nicht gekoppelt sind an einen der Logik unzugänglichen Glauben. Auch wenn es uns in der aufgeklärten westlichen Gesellschaft nicht mehr bewusst ist, so sieht sich der Papst weiterhin ungebrochen als der Stellvertreter Gottes auf Erden und ist unverändert der mächtigste Mann der Welt! Er herrscht über die Gedanken und Seelen von Millionen und Abermillionen von Menschen. Und diese auch heute noch sagenhafte Machtfülle kommt nicht von ungefähr: Schauen wir uns die Bibel und die auf ihr fußenden Theologien näher an, so eröffnet sich uns eine extreme Polarität: Zum einen finden wir in ihr die Botschaft Jesu, die eine Anleitung zur Nächstenliebe sein kann und in der Lage ist, im Menschen die besten Absichten und höchsten Gefühle zu wecken. Zum anderen enthält die Bibel auch die Anleitung zur Macht, und zwar zu einer nahezu vollkommenen Macht, die sich über die Menschen dadurch gewinnen lässt, indem man gerade ihre besten Absichten und höchsten Gefühle für seine Zwecke missbraucht und ihre Kritikfähigkeit ausschaltet. Sehen wir uns die Methoden der Bibel – der erfolgreichsten Werbeschrift aller Zeiten – einmal näher an und lernen wir dabei zugleich die obskure Gedankenwelt unserer mächtigsten Führer kennen. Diesem Thema widmet das vorliegende Buch große Aufmerksamkeit. Doch das Buch enthält noch mehr: Dass wahres Christentum aufgrund der heillos zerstrittenen Theologien nur eine Privatsache und das Ergebnis einer unbeeinflussten persönlichen Auslegung sein kann, wurde am Anfang dieses Vorwortes bereits dargelegt. Ebenso erwähnt wurde Jesu Einstellung zu den theologischen Führern seiner Zeit, wobei „blinde Blindenführer“ und „Heuchler“ noch die harmloseren Ausdrücke waren, mit denen er sie unterschiedslos und stets pauschal belegte. Rein vom logischen Standpunkt her ist daher zu erwarten, dass die Lehre Jesu absolut theologiefrei sein muss, denn es kann nicht sein, dass Jesus die Theologen seiner Zeit kompromisslos bekämpfte – und dann braucht es ausgerechnet genau wieder die Theologen, um Jesu Botschaft überhaupt erst verstehen zu können. Das heißt aber nichts anderes, als dass Jesu Botschaft für alle Menschen, egal welcher Rasse, Herkunft und Bildung, zu verstehen und jeder Anwendung seiner Lehre der gleiche Wert beizumessen ist. Jesus würde mir seiner Lehre keine Hierarchie unter den Menschen fördern und keiner, sogar nicht einmal der theologisch Versierteste, könnte zu einem anderen sagen: „Folge mir in meiner Auslegung nach!“ Können die Menschen vor Gott wirklich so gleich sein, dass sie – sofern sie dies wollen – ihren eigenen christlichen Weg selber definieren können? Das wäre zumindest der aus Jesu Kampf gegen die Theologie gezogene logische Schluss. Wir werden sehen, dass diese und alle anderen Anwendungen unseres gesunden Menschenverstandes auf die Bibel stets zu einem nachvollziehbaren Ergebnis führen und sich daraus in einer Schärfe Tiefblicke in das Gefüge der Welt ergeben, wie wir sie wohl nie für möglich gehalten hätten. Innsbruck, am 28.2.2013 Bernhard Gorgulla Anmerkungen zum Sprachgebrauch: Unter der Bezeichnung „Theologe“ sind alle zusammengefasst, die zur Ausübung ihres Berufes ein theologisches Studium oder eine mehrjährige Ausbildung an einer Bibelschule benötigen. Das so genannte Tetragramm JHWH, das im Alten Testament die Wesensbezeichnung Gottes symbolisiert, wurde stets mit Jehova wiedergegeben, möglich wäre auch Jahwe gewesen. Eine Verbindung zu den Zeugen Jehovas besteht wegen dieser Wortwahl nicht. Die Zitate aus dem Neuen Testament sind die altphilologisch korrekten Übersetzungen des Nestle-Aland-Textes, Auflage 27, erschienen 1993 bei der Deutschen Bibelgesellschaft, Stuttgart. 5 Das Alte Testament oder Jehova, der höchste unchristliche Gott des Christentums 6 1. Die Schöpfungsgeschichte Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle: Ich bin Eva, die Urahnin aller lebenden Menschen, und es freut mich sehr, dass wir uns einmal kennen lernen! Sicher kennen Sie mich und meine Geschichte aus der Bibel – oder zumindest glauben Sie mich zu kennen. Doch bin ich mir sicher, dass es, auch wenn Sie die Bibel bereits gut kennen, noch einiges Neue zu entdecken gibt. Gerade nämlich, wenn man sich der Bibel mit dem Instrument nähert, das Gott uns als wichtigste Entscheidungshilfe für unser Leben mitgegeben hat, mit dem gesunden Menschenverstand, löst sich vieles Unverständliche, was von den Kirchen unter dem Pauschalbegriff „Geheimnis des Glaubens“ abgehandelt wird, in Wohlgefallen auf. Beginnen möchte ich meine Führung durch die Bibel bei der Schöpfungsgeschichte. Sie dürfte den meisten bekannt sein: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde...“ Es folgt das Sieben-Tage-Schöpfungswerk, bei dem jeder Tag mit dem gleichen Schluss endet: Es wurde Abend und es wurde Morgen, ein erster Tag. Es wurde Abend und es wurde Morgen, ein zweiter Tag. … Es klingt wie ein altes Lied mit Refrain. Interessant ist die Reihenfolge, in der Gott das Leben auf der Erde schuf: Am 5. Tag schuf er die Wassertiere, am 6. Tag erst die Landtiere und zum Abschluss des 6. Tages den Menschen: Und als Gott alles erschaffen hatte, erkannte er, dass auch alles gut war, wie er es erschaffen hatte: Und Gott betrachtete alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Es wurde Abend und es wurde Morgen, ein sechster Tag. (1. Mose 1,30) Und im Anschluss daran heißt es in 1. Mose 2,1 weiter: So wurden vollendet der Himmel und die Erde und die ganze Ordnung, die zwischen ihnen besteht. Und Gott vollendete am siebten Tage seine Werke, die er gemacht hatte, und ruhte sich am siebten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte, aus. Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn, weil er sich an ihm ausruhte von all seinen Werken, die er als Gott geschaffen hatte. Ein schöner Tag, dieser siebte Tag. Und tatsächlich scheint für Gott dieser siebte Tag von allen Tagen sogar der wichtigste zu sein: Er ist so wichtig, dass Gott ihn sogar ausdrücklich in die 10 Gebote aufnimmt; wissen Sie an welcher Stelle? Gott nimmt es an der vierten Stelle in die Zehn Gebote auf (2. Mose 20,8): Denk an den Sabbat und halte ihn heilig! Sechs Tage hast Du, um all Deine Arbeit zu tun, aber der siebte Tag ist Sabbat für Gott, Deinen Herrn. An diesem Tag sollst Du nicht arbeiten, weder Du, noch Dein Sohn oder Deine Tochter, weder Dein Sklave noch Deine Sklavin, nicht einmal Dein Vieh oder der Fremde, der in Deinem Ort wohnt. Gott sprach: Lasst uns einen Menschen machen, nach unserem Bild und uns gleich, damit er herrsche über die Fische im Meer und über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über alle Tiere im Feld und über alles Gewürm, das auf der Erde kriecht. Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn, als Mann und Frau schuf er sie. Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret Euch und füllet die Erde und nehmt sie in Eure Obhut. (1. Mose 1,26) 7 2. Noch eine Schöpfungsgeschichte Werden wir nun einen Blick auf die Schöpfungsgeschichte Nummer 2! Ja, Sie haben ganz richtig gelesen: Es gibt in der Bibel zwei Schöpfungsgeschichten und sie stehen direkt nebeneinander! In der zweiten Schöpfungsgeschichte geht es um Adam und um mich, Eva. Diese Version ist ca. 500 Jahre älter als die erste mit den sieben Tagen. Sie stammt aus der Zeit um ungefähr 1500 vor Christus. In dieser alten Version formt Gott den Menschen aus dem Ackerboden und haucht in sein Antlitz den Lebensatem, was den Mensch zum lebendigen Wesen macht. Interessant, dieses Bild vom Lebendigwerden des Menschen. Es erinnert stark an die erst 1200 Jahre später in Griechenland wirkenden Stoiker, welche in jedem Menschen einen göttlichen Funken sehen, der uns alle zu Brüdern macht. Hier in der Bibel ist es der Atem Gottes, der in jedem Menschen weht und der ihn erst zum Menschen werden lässt! Damit ist der Mensch göttlich definiert: Es ist das Göttliche in uns, das uns Menschen erst zu Menschen macht. Das bedeutet, dass je mehr der Mensch in diesem Sinne Mensch ist, desto mehr ist er Gott ähnlich! Je tiefer er aus dem Göttlichen in sich lebt, desto mehr wird er zugleich wahrer Mensch und Gottes wahres Ebenbild. Laut Bibel trifft dies am besten auf Jesus zu: Er war wahrer Mensch und wahrer Gott, aber nicht in dem Sinn: Wahrer Mensch und trotzdem wahrer Gott, sondern wahrer Mensch und genau deswegen wahrer Gott! Gott und Mensch sind daher keine Widersprüche, sondern sie bedingen einander! Wir werden dies auch später bei der Lehre Jesu noch oft sehen. Wie steht es nun in der zweiten Schöpfungsgeschichte mit diesem Gott, der in der ersten Schöpfungsgeschichte alles gut gemacht hat und mit sich rundherum so zufrieden war – auch oder gerade, nachdem er den Menschen geschaffen hatte? Lehnt er sich in dieser zweiten Version auch zurück und sagt zufrieden: „Super, das war gut!“? Nein, das tut er nicht, sondern er bemerkt, dass es so, wie er es gemacht hat, noch nicht passt: Es ist nicht okay, dass sein Mensch alleine ist! Der vollkommene Gott entdeckt Mängel an seinem Werk; Gott muss nachbessern! Und Sie wissen, wen Gott als nächstes erschaffen hat? Nein, nicht mich, Eva, sondern erst einmal die Tiere! Interessant dieser Widerspruch im Vergleich zur Reihenfolge der 1. Schöpfungsgeschichte, wo die Tiere vor dem Menschen erschaffen wurden. Gott macht also nun die Tiere und führt sie dem Menschen vor in der Hoffnung, dass der Mensch unter ihnen einen Partner findet. Gott geht dabei ausgesprochen eifrig zu Werk und erschafft für seinen Menschen nicht nur die Tiere des Landes und zeigt sie ihm, sondern auch gleich noch alle Vögel des Himmels. Doch Gott täuscht sich: Von allen Tieren, die er mit so viel Phantasie erschaffen hat, von allen Vögeln, die er dem Menschen auch noch zugeführt hat, sagt diesem kein einziges zu! Da reicht es Gott schließlich und er macht kurzen Prozess: Er versetzt seinen ersten Menschen in den Tiefschlaf und bastelt aus dessen Rippe einen zweiten Menschen – und das war dann ich – ich Eva, die erste Frau! Und Gott sei Dank: Ich gefiel Adam: Nun passt es! Jetzt lehnt der Mensch sich zurück und seufzt zufrieden: „Das endlich ist Fleisch von meinem Fleisch und Bein von meinem Bein!“ Die Geschichte im Original (1. Mose 2,18): Und Gott der Herr sprach: „Es ist nicht schön, dass der Mensch allein ist; ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht.“ Und Jehova Gott bildete aus dem Erdboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels und brachte sie zum Menschen, um zu sehen, wie er sie benennen würde; und so wie der Mensch ein lebendiges Wesen benennen würde, so sollte heißen. Und der Mensch gab Namen allem Vieh und den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes. Aber für den Menschen fand er keine Hilfe, die ihm entsprach. Deshalb ließ Jehova Gott einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen und während er schlief, nahm er eine Rippe und baute daraus eine Frau und führte sie dem Menschen zu. Da sagte der Mensch: „Das endlich ist Fleisch von meinem Fleisch und Bein von meinem Bein…“ 8 Interessant, dieser experimentierende Gott, der bei seiner Schöpfung nachbessern muss, der Sachen versucht, die dann nicht klappen! Richtig: An dieser Stelle ist natürlich der Einwand angebracht, dass hier in die Bibel uralte Sagen und Mythen Eingang gefunden haben, die schon auf den ersten Blick keine sachlichen Infos direkt von Gott über den tatsächlichen Schöpfungshergang sein können. Die Bibel ist keine wissenschaftliche Dokumentation und das will sie auch gar nicht sein – das sollte in diesem Zusammenhang ein für alle Mal klargestellt werden! Denn es ist ganz und gar unmöglich, dass die Redakteure, die das Alte Testament etwa 500 Jahre vor Christus kurz nach dem Babylonischen Exil in seiner heutzutage noch gültigen Fassung zusammengestellt haben, gar nicht bemerkt haben sollen, was für eklatante Widersprüche sie da nebeneinander reihen! Nein, diese Redakteure waren hochintelligent und wussten genau, was sie taten: Sie stellten die beiden unterschiedlichen Schöpfungsversionen ganz plakativ am Anfang der Bibel direkt nebeneinander, um allen Lesern auf den ersten Blick sofort und unmissverständlich klar zu machen: In der Bibel geht es nicht um eine objektive Dokumentation im logischen, rationalen Sinn, sondern vor allem um sinngemäße Aussagen über Gott und das Leben! Versuche, diese beiden Schöpfungsgeschichten unter einen Hut zu bringen, wirken lächerlich: Gott hat, so sagen manche Theologen, die Tiere auf jeden Fall vor den Menschen gemacht, sie aber irgendwo versteckt. Erst, als er sie brauchte, holte er sie hervor und zeigte sie Adam … Nein. Es gibt keine andere Erklärung für die sofort ins Auge stechende Nebeneinanderreihung von zwei so verschiedenen Schöpfungsversionen ganz zu Beginn der Bibel als diese: Es ist der klare Hinweis aus der Bibel selbst heraus, dass sie nicht wörtlich genommen werden will – und genau darin zeigen sich letztendlich auch eine eventuelle Inspiration der Bibel bzw. Ansätze wirklicher Weisheit. 9 3. Die Gottversteher Dennoch hat es schon immer Menschen gegeben, die sich der logisch korrekten Auslegung der Bibel verschrieben, die eigene Vorschriften und Gesetze erließen und Definitionen kreierten, was Sünde zu sein hat und was nicht, und damit zugleich den Anspruch erhoben, Gott besser zu verstehen als die gemeinen Menschen. Zu Lebzeiten Jesu nannten sich solche Menschen „Schriftgelehrte“ oder „Pharisäer“, heutzutage nennen sie sich „Theologen“. Das Bindeglied zwischen beiden ist der „Apostel Paulus“: Paulus war zur Zeit Jesu ein hochrangiger Pharisäer und formulierte in seinen Briefen eine Theologie über Jesus, die die Grundlage aller weiterer christlicher Theologien bilden sollte. Sei dies die Theologie der Katholiken, der Protestanten, der Zeugen Jehovas, der Adventisten, der Evangelikalen… Sie alle haben Paulus zum Vater. Von Beginn an haben die Theologen aus der einfachen Bibellektüre eine Wissenschaft, seit dem Mittelalter sogar ein Hochschulstudium gemacht und nur allzu gern vergleichen sie sich mit anderen Wissenschaftlern. Zu Recht? Nun, wenn die Theologie eine echte Wissenschaft wäre, dann müsste sie sich auch den obligatorischen Zwängen, denen jede Wissenschaft unterworfen ist, unterordnen und diese sind: Nach der Wahrheit forschen, erste vage Erkenntnisse gewinnen, Irrtümer einsehen, Fehlmeinungen verwerfen und dann mit der Suche nach der Wahrheit wieder von vorne beginnen – ein ewiger Kreislauf, eine unendliche Spirale, die einem immer nur klarer macht, wie wenig wir Menschen wirklich wissen. In der Theologie als Wissenschaft ist dieses mühevolle Suchen nach der Wahrheit und vor allem das Verwerfen von Irrtümern nicht so leicht möglich: Entzieht sich doch das Studienobjekt, nämlich Gott, von vorneherein jeder objektiv-hinterfragenden Untersuchung, da er zugleich auch Gegenstand einer zutiefst subjektiven Glaubensüberzeugung ist. Zusätzlich weisen alle Kirchen in Angelegenheiten des Glaubens eine hierarchische Struktur auf. Am schwersten beeinträchtigt ist die Freiheit der Wissenschaft dabei in der Katholischen Kirche, deren Papst als Gottes Stellvertreter auf unserer Erde sogar die theologische Unfehlbarkeit für sich beansprucht. Unter solchen Umständen kann ein Hochschulstudium, das den Standards einer freien westlichen Demokratie genügt, gar nicht betrieben werden! Aufschlussreich sind auch die Themen, mit denen man sich in der Theologie auseinandersetzt. Eines der wichtigsten ist die so genannten Trinität oder Dreieinigkeit: Dreieinigkeit bedeutet 1 Gott, der aber in 3 Personen geteilt ist: In „Gott Vater“, „Gott Sohn“ und „Gott Heiliger Geist“. Das erscheint auf den ersten Blick insoweit nachvollziehbar, da der „Gott Vater“ den „Gott Heiligen Geist“ zur Jungfrau Maria gesandt hatte, um diese schwanger zu machen; auf diese Art und Weise entstand Jesus, der „Gott Sohn“. Hält man sich nun allerdings vor Augen, dass dieser dreieinige Gott von den Theologen auch noch die Eigenschaften „ewig“ sowie „unveränderlich“ zugesprochen bekommen hat, tun sich sofort heikle Fragen auf – zum Beispiel diese: Wurde Jesus erst mit der Zeugung durch den Heiligen Geist zu Gottes Sohn oder war er es schon von Anfang an? Hier handelt es sich freilich nicht um diese ähnliche Fragestellung: Wer war früher, die Henne oder das Ei? Denn bei dieser Frage geht es um einen Kreislauf: Die Henne legt das Ei, aus dem Ei wird in der Folge eine Henne. Diese legt ein neues Ei, das wiederum zu einer Henne wird und so fort… Nein, bei der Frage, zu welchem Zeitpunkt Jesus tatsächlich zum Sohn Gottes wurde, dreht es sich nur um ein einziges Ereignis: Es gibt nur einen einzigen Vater, der nur ein einziges Mal seinen Sohn zeugte. Schon alleine von der Definition von „Vater“ und „Sohn“ her, muss der Vater vor dem Sohn da sein, sonst kann er ihn nicht zeugen. Doch in diesem Fall wäre Jesus kein Teil der göttlichen Trinität mehr, weil diese von Anbeginn an immer unveränderlich existiert haben muss. War Jesus aber schon vorher Teil der Trinität und wurde er erst durch Marias Schwangerschaft zum Sohn Gottes, dann ist Gott nicht mehr der ewig gleiche! 10 Eine weitere unlösbare Frage ergibt sich aus der Schwängerung von Maria: Bekanntlich wurde die Jungfrau Maria durch den Heiligen Geist schwanger! Wenn aber der „Gott Heilige Geist“ Maria schwanger machte und nicht der „Gott Vater“, warum ist dann trotzdem dieser der Vater und nicht der Heilige Geist? Eine Lösung aus diesem Dilemma wäre, dass man postuliert, dass die Teile Gottes untereinander austauschbar sein müssen. Doch in diesem Fall bricht sofort das ganze Dogma der Dreieinigkeit zusammen, das drei verschiedene und individuelle Personen als die Bestandteile Gottes fordert. Sie sehen, wirklich sehr schwierige weltbewegende Fragen, die unsere Theologen auf unseren Hochschulen da zu lösen haben, wobei diese Aussage tatsächlich nicht ironisch gemeint ist, sondern in vollem Ernst: Diese Fragen sind ohne jeden Zweifel sehr schwierig – und sie sind weltbewegend! So eskalierte der Streit um nur ein Wort in einem Nebensatz des christlichen Glaubensbekenntnisses. Dieses war schon 451 fixiert worden und 1013 wollte die katholische Kirche in Rom es aufgrund ihrer neuesten theologischen Erkenntnisse geändert haben. Es hieß ursprünglich: „Wir glauben an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht, der aus dem Vater hervorgeht…“ Die in Rom beschlossene Ergänzung lautete: „Wir glauben an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht, der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht…“ Im lateinischen Urtext heißt diese Ergänzung „filioque“ und sie hatte wirklich weltbewegende Folgen: In Konstantinopel, dem zweiten großen politischen Machtzentrum der damaligen Zeit, war natürlich auch die katholische Kirche sehr mächtig. Die hochnäsige Art, mit der die Kirchenfürsten Roms die von ihnen beschlossene Änderung den Kirchenfürsten in Konstantinopel kundtaten, ärgerte diese und so spalteten sie sich von Rom ab. Sie nannten sich dann nicht mehr katholische Kirche, sondern griechisch-orthodoxe Kirche. Die Frage, ob der Teilgott „Heilige Geist“ nur aus dem Teilgott „Vater“ oder auch aus dem Teilgott „Sohn“ hervorging, konnte bis heute nicht geklärt werden und so besteht diese Kirchenspaltung (auch genannt das „Große Schisma“) noch immer! Dabei ist die Lösung so einfach: Kein Mensch war dabei, als der „Gott Heiliger Geist“ aus „Gott Vater“ hervorging, und so werden wir nie wissen, ob er nicht auch noch aus „Gott Sohn“ hervorging! Wenn eine Streiterei sinnlos ist, dann über so was! Auch gehören solche Themen nicht an eine Uni, da sie nichts weiter sind als heiße Luft, niemals überprüft werden können und keinem, wirklich keinem Menschen auf der Welt einen Nutzen bringen außer den Streithähnen selbst: Diese können ihre Eloquenz daran erproben, ihre Zungen schärfen, darüber hochintellektuelle Abhandlungen schreiben – und werden dafür auch noch gut bezahlt und führen ein gediegenes Leben…! Bleiben wir noch ganz kurz bei den Themen der Theologen: Bei all den Streitfragen, die Gott betreffen, werden wir niemals wissen können, welcher von den Beteiligten im Recht ist, oder ob nicht vielleicht alle falsch liegen. Es gibt aber eine Fülle von Beispielen, wo sich die Theologie als Wissenschaft der Erde und den näher vor Augen liegenden irdischen Fragestellungen gewidmet hatte und dabei hochnotpeinliche Fehler ohne Ende produziert hatte – hochnotpeinlich freilich nur für die, die von der katholischen Kirche wegen ihrer aufrichtigen Versuche, sie von ihren Irrtümern zu befreien, grausam hingerichtet wurden. Die Kirche, die sich selbst das Attribut „heilig“ zuspricht, sieht ihre Fehler nicht als so peinlich an, auf jeden Fall hält sie ihre Entschuldigungen für nicht dringlich: So wurde Galileo Galilei (1564-1642), dem die katholische Kirche zu Lebzeiten böse Schwierigkeiten gemacht hatte, zum Beispiel erst 1992 formal rehabilitiert, Bruno Giordano (1548-1600), den man auf dem Scheiterhaufen verbrannt hatte, sogar erst im Jahre 2000! Natürlich darf jeder seine Fehler machen, und wir sollten das kulanterweise auch der katholischen Kirche mit ihrem Papst als dem unfehlbaren Stellvertreter Gottes an der Spitze zugestehen, auf der anderen Seite sollten wir aber auch erwarten dürfen, dass die katholische Kirche aus ihren Fehlern lernt: Wenn man schon hier auf der Erde, wo Gott für uns alles so greifbar nahe aufbereitet hat, so schrecklich irrt, um wie vieles größer ist diese Gefahr erst bei einem nicht greifbaren Himmel! 11 4. Der Sündenfall - Ist Gott im Recht oder der Teufel? Doch wir sollten die Theologen erst mal Theologen sein lassen und zur Bibel zurückkehren! Wir waren stehen geblieben bei den beiden Schöpfungsgeschichten und dem Anspruch auf Wahrheit, den die Bibel für sich selbst im rational-objektiven Sinn gar nicht erhebt. Nun ist die Vereinfachung, dass Gott sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei und dass 8 von 10 Mitteleuropäern glauben, Gott habe daraufhin mich, Eva, als die erste Frau erschaffen, nicht die einzige Vereinfachung, die im Umlauf ist. Falsch im Umlauf ist auch die Zahl der Bäume, die in der Mitte des Gartens standen. Viele glauben, Gott habe als besonderen Baum nur den „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ in die Mitte des Paradieses gestellt. Das stimmt nicht! Aber lesen Sie selbst: Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten und setzte dort hinein den Menschen, den er gemacht hatte. Und Gott ließ aus der Erde allerlei Bäume aufwachsen schön zum Anschauen und lecker zur Speise, und auch den Baum des Lebens in der Mitte des Gartens sowie den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse… Und Gott gebot dem Menschen und sprach: „Von jedem Baum des Gartens darfst Du essen, bis Du satt bist, aber von dem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst Du nicht essen; denn an dem Tag, an dem Du davon isst, wirst Du auf jeden Fall sterben.“ (1. Mose 2,8) Als nächstes taucht die Schlange auf als das Symbolbild des Teufels, des bösen Verführers und Versuchers. „In Versuchung führen“ – die ureigenste Absicht des Teufels: Jesus hatte den Versuchungen des Teufels in der Wüste zu widerstehen, doch Adam und ich waren ihnen auch ausgesetzt – leider… Die Bibel gibt keine Auskunft, woher die Schlange kam. Die Schlange wurde aber sicher im Zuge der ersten Schöpfungsgeschichte zusammen mit den anderen Tieren mit erschaffen, möglicherweise sogar der Teufel selbst, denn auch er kann ja nicht einfach so vom Himmel gefallen sein, sondern muss ursprünglich zu Gottes Schöpfung gehört haben. Doch Gott sagt am Ende des sechsten Tages ausdrücklich, dass „alles, was er gemacht hat, gut war“! Das plötzliche Auftauchen des Teufels harmoniert an dieser Stelle überhaupt nicht – zumindest nicht, wenn man das Gottesbild im Kopf hat, das uns die Kirchen vermitteln. Doch es gibt schon eine plausible Erklärung für den Teufel, und zwar diese: Der Teufel ist Teil von Gottes Plan einer wunderbaren Schöpfung, vielleicht ist der Teufel sogar selbst ein Teil Gottes. Schauen wir uns dazu den Dialog mit der Schlange näher an. Er ist bislang alles, was wir über den Teufel wissen: Und die Schlange war gescheiter als alle Tiere auf der Erde, die Gott der Herr gemacht hatte, und sprach zur Frau: „Ja, sollte Gott gesagt haben: ‚Ihr dürft nicht von jedem Baum des Gartens essen?’“ Da sagte die Frau zur Schlange: „Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: ‚Esst nicht davon, rührt sie auch nicht an, damit Ihr nicht sterbt!’“ Darauf sprach die Schlange zur Frau: „Ihr werdet sicher nicht sterben; sondern Gott weiß, dass Euch an dem Tag, an dem Ihr davon esst, die Augen aufgetan werden. Ihr werdet sein wie Götter und erkennen, was gut und böse ist.“ Und da sah die Frau, dass es gut wäre von dem Baum zu essen, dass er schön anzusehen und ein verlockender Baum war; und sie nahm von der Frucht und aß; und sie gab auch ihrem Mann davon, und auch er aß. … Und Gott sprach: „Sieh an, Adam ist geworden wie einer von uns und erkennt Gut und Böse; und nun, dass er seine Hand nicht ausstrecke und nehme auch noch vom Baum des Lebens und esse und lebe dann ewig!“ Und Jehova Gott schickte ihn aus dem Garten Eden hinaus, um den Erdboden zu bebauen, von dem er genommen war. Östlich vom Garten Eden stellte er Cherubim 12 auf, Engelwesen mit Flammenschwertern, um ihm den Weg zum Baume des Lebens zu versperren. (1. Mose 3,1) Die Schlange bezichtigt Gott also der Lüge, weil dieser gesagt hatte, „von dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen darfst Du nicht essen; denn an dem Tag, an dem Du davon isst, wirst Du auf jeden Fall sterben.“ und behauptet statt dessen: „Ihr werdet nicht sterben, sondern werdet sein wie Götter!“ Und was sagt Gott, als der die Übertretung seines Verbotes bemerkt: „Sieh an, der Mensch ist geworden wie einer von uns und erkennt Gut und Böse“ Und Gott fährt fort; „Nun aber, dass er nun nicht auch noch seine Hand ausstrecke, vom Baum des Lebens esse und ewig lebe!“ Hand aufs Herz: Wer hatte nun Recht? Gott oder die Schlange? Ganz klar: Die Schlange hatte Recht! Der Mensch ist geworden wie Gott, er kann Gut und Böse erkennen, genau wie es die Schlange vorausgesagt hat – und ganz wichtig: Der Mensch muss nicht sterben, schon gar nicht am selben Tag, wie Gott es angedroht hatte. Der Mensch hätte nur auch noch vom Baum des Lebens zu essen brauchen, dann hätte er sogar ewig gelebt und Gott vollends Lügen gestraft! Interessant wie hier die Konturen zwischen Gott mit seiner ewigen Wahrheit und dem Teufel mit seiner ewigen Lüge verwischen! In diesem Disput ist Gott im Unrecht und zieht sich nur durch den Akt seiner Macht über den Menschen aus der Affäre, indem er ihn verärgert aus dem Paradies wirft. Um uns das Verhältnis Gott - Teufel besser zu veranschaulichen, sollten wir noch mal kurz bei der 1. Schöpfungsversion nachschauen, und zwar bei Tag 6: Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn, als Mann und Frau schuf er sie. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret Euch und füllet die Erde und macht sie Euch untertan. (1. Mose 1,27) Genau hier liegt der Hase im Pfeffer, bei Gottes Auftrag: „Seid fruchtbar und mehret Euch!“ Es ist ein Auftrag, der gar nicht verwirklichbar ist! Es gibt auf dem begrenzten Planeten Erde nun mal kein unbegrenztes Wachstum! Auf das Gebären und Fruchtbar-Sein folgt unumgänglich auch das Sterben, der Tod! Andere Religionen tragen dieser Notwendigkeit oft mit einer eigenständigen Gottheit Rechnung. Im Alten Testament wird Gott dagegen gleichgesetzt mit dem Schöpfer des Lebens auf der Erde und alles, was einfach „dem Leben“ dient, ist gut und alles, was zum Tod führt, ist böse oder des Teufels Tat. Diese Gleichsetzung Gott = Leben = Gut ist aber schon auf den ersten Blick zu einfach. Denn das Leben auf der Erde kommt weder im Pflanzen- noch im Tierreich noch bei uns Menschen ohne Tod aus, und der Tod ist auch an sich nichts Böses: Wer schon einmal einen alten Menschen nach einem erfüllten Leben friedlich oder gar freudig hat einschlafen sehen, weiß, dass der Tod auch gut sein kann. Daher ist die analoge Gleichsetzung Teufel = Tod = Böse nicht nur zu banal, sie ist auch falsch. Tod und Leben sind auf der Erde untrennbar miteinander verbunden und so sind das Gott und der Teufel ebenso. Die Gleichsetzung von Gott und Teufel findet sich in der Bibel nicht oft. Trotzdem ist sie den Christen geläufig: Sie beten im Vaterunser: Führe uns nicht in Versuchung! – Das bedeutet aber nichts anderes, als dass die Christen ihren Gott tatsächlich bitten, dass er sich ihnen gegenüber nicht so verhält wie der Teufel höchstpersönlich! Soweit nun die Geschichte vom Sündenfall von mir, Eva, und meinem Adam! Schade, dass die Schlange mir seinerzeit nur die halbe Wahrheit gesagt hatte und mich nicht auch auf den Baum des Lebens hingewiesen hat! Es wäre wirklich toll gewesen, wenn ich mit Adam ewig in diesem Paradies hätte bleiben können anstatt Gottes Unmut ertragen zu müssen. 13 Übrigens, liebe Menschenkinder, ein kleiner Hinweis von mir als Augenzeugin: All die Darstellungen vom Paradies und von mir und der Schlange ohne Füßchen sind falsch! Die Schlange hatte nämlich, als sie mich verführte, ihre Füßchen noch! Die verlor sie erst hinterher, nachdem Gott sie verfluchte… 14 5. Die christliche Theologie: Unglaublicher Output eines Märchens! Apropos Falschdarstellung: Es gibt eine Stelle in der Bibel, die mich jedes Mal aufs Neue ärgert, wenn ich mit ihr konfrontiert bin, über die ich aber nicht so leicht sprechen kann, und das ist diese Stelle, die gleich nach dem Sündenfall kommt. Das heißt, genau genommen ärgert mich diese Stelle lediglich am zweitmeisten. Wirklich am meisten ärgert mich Paulus, welcher in seinem Brief an die Römer behauptet (Kap 5,12): „Durch einen einzigen Menschen ist die Sünde in die Welt gekommen und mit der Sünde der Tod. Und auf diese Weise ist der Tod zu allen Menschen gekommen. … Doch Verfehlung und Gnadengabe heben sich nicht einfach auf: Denn wie die Verfehlung des Einen den Vielen den Tod brachte, so wiegt die Gnade Gottes dies mehr als auf: die Vielen wurden nämlich durch die Gnade des einen Menschen Jesus Christus auch noch überreich beschenkt. Und dieses Gnadengeschenk ist nicht wie die Sünde des Einen. Denn das Urteil über den Einen führt zur Verurteilung, aber die Gnade, die auf zahllose Verfehlungen folgte, führt zur Gerechtigkeit. … So wie eine einzige Verfehlung allen Menschen die Verurteilung einbrachte, so bringt eine einzige gerechte Tat allen Menschen die Gerechtigkeit des Lebens. Denn wie durch den Ungehorsam eines Menschen die Vielen zu Sündern wurden, so werden durch den Gehorsam eines Menschen die Vielen wieder zu Gerechten.“ Die Rede beim Ungehorsam dieses einzigen Menschen ist hier von Adam – und nur von Adam! Meine wesentlich wichtigere Rolle übergeht Paulus einfach – aber das ist typisch für diesen Mann, der mit der rechten Wahrnehmung der Frau sein ganzes Leben lang Schwierigkeiten hatte! Dazu dann später mehr. Hier an dieser Schlüsselstelle der Bibel ermöglichte die stupide Ignoranz der Frau durch Paulus die Entwicklung der Theologie von der Erbsünde! Diese besagt, dass wegen der Sünde Adams der Tod in die Welt kam. Paulus lehrt, dass nur wegen dieser Sünde dieses einen Menschen alle anderen Menschen ebenfalls Sünder sind, dass wegen ihr sämtliche Menschen vor Gott in Ungnade gefallen sind und alle von ihm dazu verurteilt wurden zu sterben. Ein extrem grausames und willkürliches Gottesbild, das Paulus in völliger Verdrängung der Rolle der Frau entwirft! Doch es kommt noch schlimmer, denn Paulus lehrt weiter: Die einzige Möglichkeit, die Gott hatte, um die von ihm selbst zum Tode verurteilten Menschen wieder vom Tod zu befreien, war, dass er seinen einzigen über alles geliebten Sohn zur Erde sendet, damit der nun dort möglichst grausam zu Tode komme. Und wegen dieser gewaltigen Liebe Gottes zu uns schmutzigen Sündern, die er auf Kosten seines einzigen reinen Sohnes unter Beweis stellt, sollen wir uns aus ganzem Herzen freuen! Immerhin versucht Paulus seinen ungläubig Zuhörenden diese „Tod-für-Tod-Theologie“ durch ein tolles Zuckerl schmackhaft zu machen und lockt sie mit Folgendem: Für den Fall, dass man das mit der Erbsünde und der Erlösung durch Jesus wirklich auch glaubt, wirkt der Tod Jesu wie ein Persilschein: Man ist nicht nur von den Sünden erlöst, die man vor seiner Bekehrung begangen hat, sondern auch noch von all jenen, die man in Zukunft erst noch begehen wird, ganz egal wie viele das sind und wie schwer sie wiegen! Das geht aus Römer 3,24 eindeutig hervor, wo Paulus die Notwendigkeit einer eigenen Anstrengung definitiv verneint: Es gibt keinen Unterschied zwischen Jude und Nichtjude, denn alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren. Doch werden sie allein durch seine Gnade ohne eigene Leistung gerecht gesprochen, und zwar nur aufgrund der Erlösung, die durch Jesus Christus geschehen ist. … Die Sühne ist durch das von Jesus vergossene Blut geschehen. Das ist das skurrile paulinische Gedankengebäude, das auf der selektiven, rein männlichen Betrachtung der Welt beruht und die Frau ausklammert. Es wurde von sämtlichen christlichen Theologen übernommen und als „Frohe Botschaft von Jesus“ in die Welt getragen. 15 Doch diese Tod-für-Tod-Theologie des Paulus hat ihren klar zu Tage tretenden Schwachpunkt nicht nur in der Ignoranz der Frau, sie beruht auch auf der Voraussetzung, dass dieser Adam damals wirklich im Paradies gelebt und vor mittlerweile 5772 Jahren tatsächlich in jene verbotene Frucht gebissen hat. Wenn wir Menschen nicht alle von Adam und Eva abstammen, dann gibt es keine Erbsünde! Wenn der Sündenfall von Adam keine Realität ist, sondern stattdessen die Wissenschaft Recht hat, die von einer Steinzeit ausgeht und davon, dass die Menschheit sich evolutionär aus dem Tierreich entwickelte, dann ist die Theologie von der Erbsünde obsolet, ganz genau wie die darauf aufbauende Erlösung durch Jesus Christus. Und an diesem Beispiel kann man sehr gut die Unlauterkeit der Theologie an sich demonstrieren: Kaum ein Theologe glaubt selbst noch an die Existenz von Adam – aber sagt man irgendwo dazu, dass ohne Adam auch die Lehre von der Erbsünde und Erlösung hinfällig ist? An die Erbsünde und Jesu Opfertod, den er als Gottes einziger Sohn in direkter Folge des Sündenfalls Adams erleiden musste, hat man aber trotz Wegfallens der Grundlage weiterhin zu glauben. So etwas ist intellektuell absolut unredlich, und man kann es nicht klar genug sagen: Ohne Adam keine Erbsünde und ohne Erbsünde entfällt auch die Theorie von der Erlösung durch Jesus Christus! - Jesus verkündigt, dass wir Menschen unsere Sünden vergeben bekommen für den Fall, dass wir umkehren und uns um ein gutes Leben bemühen. Damit steht Jesus in einer Reihe mit Johannes, dem Täufer, und all den anderen Propheten des Alten Testaments. Doch vor dem Hintergrund, dass Gott ohnehin bereit ist, uns Menschen unsere Sünden zu vergeben, wozu braucht es dann noch die Erlösung durch Jesus? Auf den ersten Blick sieht das aus wie doppeltgemoppelt, doch in Wirklichkeit ist die Sündenvergebung, die das Bemühen um das Gute zur Voraussetzung hat, etwas vollkommen anderes als die Erlösung von all seinen bisherigen und all seinen zukünftigen Sünden, die man als Belohnung für seine Bekehrung erhält. Das zum Erlösungstod umgedeutete Sterben Jesu hat unmittelbar nichts anderes zur Folge, als dass für die Menschen die Notwendigkeit zu eigener Anstrengung entfällt und damit in weiterer Konsequenz sogar die Notwendigkeit, Gutes zu tun. Das ist im Wesentlichen auch der Grund für das schier unglaubliche Leiden, das die von den Theologen irre geleiteten Christen in die Welt brachten. Werke – ob gute oder böse – sind nämlich aufgrund der Erlösungstheologie unwichtig, wichtig ist stattdessen nur, dass die Menschen, die sich zu Jesus bekehrt haben, auch daran glauben, dass Jesus für ihre Sünden gestorben ist. Dann können die ohnehin sündigen Menschen sündigen, so viel sie wollen, es passiert ihnen nichts! Doch diese Tod-um-Tod-Theologie des Paulus hinkt auch an weiteren Stellen gewaltig: - Ein Gott, der gerecht ist, belohnt und bestraft die Menschen nur wegen ihrer eigenen Fehler oder Verdienste und nicht wegen der Fehler oder Verdienste anderer. Soweit mal ein erster grober Überblick über Paulus und seine Tod-um-Tod-Theologie von Erbsünde und Erlösung. Sie verrät deutlich seinen in alten Zeiten verwurzelten Geist, in welchen galt: Aug um Aug, Zahn um Zahn. - Die Tod-um-Tod-Theologie stellt Gottes Allmacht in Frage: Der allmächtige Gott wird auf nur eine einzige mögliche Lösung einer von ihm selbst geschaffenen Problematik festgelegt und verliert seine Souveränität. Wir werden Paulus in einem eigenen Abschnitt dieses Buches noch näher unter die Lupe nehmen – und das sei Ihnen hier schon versprochen: Aus dem Wundern über Paulus und seine skurrile Gedankenwelt werden Sie nicht mehr herauskommen! 16 6. Die Vaterschaft Abels: Wer hätte das gedacht…! Das muss man erst mal auf sich wirken lassen: Gott ist mir zum Mann geworden! Genau wie ein Jupiter, genau wie ein Zeus schwängert da dieser Jehova seine Erdenweiber! So und nun muss ich Ihnen doch langsam die Stelle nennen, die mich wegen ihrer Falschdarstellung am zweitmeisten ärgert: Es ist die Erzählung von Kain und Abel! Kinder können uns für viel Arges im Leben entschädigen und sie machen einen auch in der Not glücklich. Aber nicht nur wenn sie da sind, ist es schön, es ist auch schon schön, wenn sie entstehen… Tja, nehmen wir es einfach mal als solches hin, ich zumindest hatte nichts dagegen! Es war so und – unter uns – es war schön! Ja, wie soll ich da jetzt beginnen? Wenden wir uns dazu noch einmal kurz den Theologen zu! Diese sind so stolz darauf, dass sie im Alten Testament einen Gott haben, der sich von den anderen Göttern der Völker um Israel abhebt: Jehova ist nicht wie ein Jupiter oder ein Zeus, die ständig mit ihren Menschenweibern herumhurten und Kinder zeugten, die willkürlich und ungerecht waren und grausige Strafen verteilten. Schon gar nicht wollen die Theologen ihren Super-Gott auf eine Stufe gestellt sehen mit den Stammesgöttern der Kannibalen, denen sogar Menschenopfer gefallen. Tja, und genau diese Theologen haben mit der Kain-und-Abel-Geschichte ihre allergrößten Schwierigkeiten und übersetzen diese so: Die Sache mit Abel war aber nicht mal Gottes einzige irdische Liaison mit Folgen: In der Einleitung zur Sintflut heißt es (1. Mose 6,1): Als die Menschen auf der Erde zahlreich zu werden begannen, und ihnen Töchter geboren wurden, da sahen die Söhne des wahren Gottes, dass die Töchter der Menschen schön waren, und sie wählten sich aus ihnen Frauen aus. … In dieser Zeit lebten die Riesen auf der Erde, und auch später noch, als die Söhne des wahren Gottes zu den Töchtern der Menschen eingingen und diese ihnen gebaren. Das sind die Helden, welche von alters her waren und die Männer von Ruhm gewesen sind. Wie der Vater, so die Söhne…! Adam erkannte Eva, sie ward schwanger und gebar Kain; und Eva sprach: Ich habe einen Mann erworben mit Jehova. Und sie gebar ferner seinen Bruder, den Abel. (1.Mose 4,1) Spüren Sie die Not der Theologen, wenn sie nicht wissen, wie sie das ganz normale Geschehen des Beischlafs ausdrücken sollen und welche Worte sie dafür gebrauchen? Und dann noch dieser Satz: „Ich habe einen Mann erworben mit Jehova!“ Sehen wir uns diese Stelle näher an und übersetzen sie richtig, dann heißt das gar nicht so, wie es übersetzt ist, sondern: …und Eva sprach „Gott ist mir zum Mann geworden, und gebar daraufhin seinen Bruder, den Abel“ So, jetzt ist es heraus! 17 7. Wie tief sinkt Gott noch? In dieser frappant an die Sagen der alten Griechen von Titanen und Helden wie Herakles erinnernden Einleitung steht der Gott unserer Bibel beileibe nicht mehr über den anderen Göttern des klassischen Altertums! Hier steht er mit ihnen nur noch auf der gleichen Stufe! Und mit dem „unwandelbaren, ewig gleichen“ Bibelgott geht es sogar noch weiter bergab: Es geht mit ihm sogar bis ganz hinunter auf das Niveau von Kannibalengöttern, die sich an Menschenopfern ergötzen: Sie kennen die Geschichte von Abraham und Isaak, seinem Sohn? Nun, Abrahams Frau Sara hatte erst sehr spät ihr erstes Kind geboren, nämlich Isaak im Alter von 90 Jahren. Aus heiterem Himmel verlangt nun Gott von Abraham, dass er ihm Isaak als lebendiges Brandopfer darbringe. Abraham – immerhin für drei Religionen (Judentum, Christentum und Islam) der Religionsgründer und d a s Vorbild in Sachen Gehorsam Gott gegenüber – zögert keine Sekunde, sondern fesselt seinen Sohn Isaak lebend auf einen Holzstoß und will ihn verbrennen! Diese Geschichte geht Gott sei Dank noch einmal gut aus, denn Gott sagt im letzten Augenblick: „Stopp – war nur ein Test…“ 400 Jahre später bei Jeftah (auch Jephtah, Jephta oder Jiftach) sieht die Sache leider anders aus: Jeftah war ein großer König und Prophet und verspricht Gott bei einem Sieg in einer wichtigen Schlacht, dass er ihm das Erste, was ihm bei der Rückkehr aus seinem Haus entgegenlaufe, als Brandopfer darbringe. Wahrscheinlich hatte Jeftah die Geschichte von Odysseus gehört, der erst kurz vor ihm von Troja nach Ithaka zurückgekehrt war und dem nach 20 Jahren Abwesenheit sein Hund Argos entgegengelaufen kam. Eine rührende Geschichte, die in der damaligen Welt sicherlich ihre Runde gemacht hatte. Vielleicht hoffte Jeftah, als er diesen Schwur tat, mit einer ähnlichen Geschichte – sozusagen als Trittbrettfahrer – auch so bekannt zu werden wie Odysseus. Doch leider läuft Jeftah nicht sein Hund entgegen, sondern sein achtjähriges Töchterchen! Und dieser große König und Prophet bleibt seinem Gott und dem ihm geleisteten Schwur treu: „Und er tat ihr, wie er gelobt hatte“ und weiter heißt es: „Und es wurde zur festen Einrichtung im Volk Israel, dass die Frauen jährlich hingehen, um die Tochter Jeftahs, des Gileaditers, zu beklagen, und das jedes Jahr vier Tage lang.“ (Richter 11,40) Dazu Martin Luther: „Man will, er habe sie nicht geopfert, aber der Text steht klar da!“ Arm die Menschen, die solche Schauergeschichten über ihren Gott glauben müssen und das mit Jesus unter einen Hut zu bringen haben. Sie sind in der Tat auf die Theologen und deren über Jahrtausende gewachsenen Spitzfindigkeiten angewiesen. Wenn ich hier despektierlich über die Bibel und manchmal sogar über Gott spreche, so bitte ich dies zu entschuldigen, es handelt sich bei all diesen Stellen nur um den so genannten Anthropomorphismus, also um eine Übertragung menschlicher Verhaltensweisen auf die jeweiligen Gottheiten. Die Götterhimmel der Griechen und Römer waren zum Großteil anthropomorph: Zeus und Jupiter, die rumhurten, ständig Bastarde zeugten und mit ihren eifersüchtigen Gemahlinnen Streit bekamen; die Parteien bildeten und sich in Erdenkriegen auf die eine oder andere Seite der Kämpfenden schlugen, wie wir das von der Sage von Troja, der Ilias, her kennen. Und das gilt in mehr und weniger großer Ausprägung auch für die Götter der Perser, Ägypter, Mayas, Kelten… Auch der alttestamentliche Gott hat ganz offensichtlich seine anthropomorphen Seiten. Auch er kämpfte zum Beispiel zeitweise auf Seiten der Perser gegen die Israeliten. Diese anthropomorphen Stellen sind leicht als solche zu erkennen, sie sind angreifbar und es ist auch wirklich nichts dabei, wenn man sie angreift. Es hilft nur, sie besser als solche zu lesen und zu interpretieren. „Heilig“ bzw. göttlich inspiriert wird die Bibel erst dort, wo sie ihre anthropomorphen Seiten überwindet und uns Wahrheiten verkündet, die jenseits unserer oberflächlichen menschlichen Wahrnehmung liegen. 18 8. Das Beste im Alten Testament: Der Name Gottes Und wenn Gott auf die Frage nach seinem Namen antwortet: „Ich bin das Sein“, dann kennen wir Gottes Namen zwar immer noch nicht, aber wir wissen, was Gott ist: Schauen wir uns nun den Namen Gottes näher an! Er spielt die gesamte Bibel hindurch eine wesentliche Rolle! Gott ist das Sein oder das Leben. Wer kennt ihn? Natürlich: Jahwe oder Jehova! Viele denken da wahrscheinlich auch gleich an die Zeugen Jehovas, die es sich zur Lebensaufgabe machen ließen, anderen Leuten zu erzählen, man heilige den Namen Gottes, indem man möglichst oft Jehova sagt. Das wäre ein bisschen einfach, hinter dem Namen Gottes steckt ein wenig mehr! Betrachten wir dazu die Szene näher, in der Gott seinen Namen nennt: Moses entdeckt einen Dornbusch, der brennt, aber doch nicht verbrennt. Moses wird von einer Stimme aus dem Dornbusch aufgefordert, seine Schuhe auszuziehen, denn er stehe auf heiligem Boden und dann von ihr beauftragt, zum Pharao zu gehen und das Volk Israel aus Ägypten heraus zu führen. Eine gewaltige Aufgabe! Moses sträubt sich und bringt irgendwann auch das Argument, die Israeliten würden ihm nur folgen, wenn er ihnen Gottes Namen sagen würde. Die Stimme antwortet daraufhin: „Ich werde der sein, der ich sein werde“ oft auch übersetzt mit „Ich bin der „Ich bin“.“ (2 Mose 3,14) Eine seltsame Antwort! Doch nur auf den ersten Blick: „Ich bin“, „Du bist“, „Er ist“, „Ich werde sein“ etc. sind nur Unterformen, es sind alles Konjugationen des Verbs „Sein“. Man kann statt „Ich bin der ich bin“ oder „Ich bin der Seiende“ ebenso gut übersetzen: „Ich bin das Sein“ oder, da es sich hier offensichtlich um ein belebtes Sein handelt, mit: „Ich bin das Leben.“ Wenn man jemanden fragt: „Wie heißt Du?“ und er antwortet: „Ich bin Bäcker“, dann weiß man deswegen noch lange nicht, wie er heißt! Aber man weiß, was er ist! Zusammen mit dem kurz darauf nachfolgenden Gebot, „Du sollst Dir in keiner Weise irgendein Bild von Gott machen“, bedeutet das nichts anderes als: Gemäß der Bezeichnung, die Gott sich selbst in der Bibel gibt, existiert kein Gott nach irdischen Vorstellungen. Das, was die Menschen für Gott halten, ist das Sein oder das Leben an sich! Wahres Christentum ist damit absoluter Atheismus! (Dasselbe gilt für wahres Judentum.) Wie diese Geschichte vom Gott, der sich als „das Sein“ oder „das Leben“ definiert, in die Bibel gekommen ist, ist natürlich nicht mehr recherchierbar, sicher ist aber, dass die Bibel meist von Menschen mit sehr anthropomorphen Gottesvorstellungen verfasst wurde. So werden die Synonyme „Sein“ oder „Leben“ für „Gott“ nicht durchgehalten und „Jahwe“ oder „Jehova“ bald wieder als Eigenname gebraucht, so als ob das Sein nicht ein einziges, die gesamte Welt erfüllendes Fluidum ist, sondern eine klar definierte abgrenzbare göttliche Person, ein Gott, der genau wie die Götter der Völker rings um Israel die Menschen beäugt und mit Opfern besänftigt und gnädig gestimmt werden kann. Äußerst mühselig sind im 3. Buch Mose die seitenlangen Opfervorschriften zu lesen, wo ausgeführt ist, wie welche Tiere zu töten sind, wohin man ihr Blut zu spritzen und welchen Teil des Altares man damit zu bestreichen hat. Es gab Brand-, Trank-, Sünd- und Dankopfer und der Kult, den der Bibelgott sein Volk für sich treiben ließ, sucht in der antiken Welt seinesgleichen. Es tut jetzt noch in der Seele weh, wenn man bedenkt, wie viel wertvolle Nahrung dieses arme Wüstenvolk sinnlos auf dem Altar vernichtete. Diese Kapitel mit den Opfervorschriften sind tatsächlich ebenso göttlich inspiriert wie zum Beispiel die Gebrauchsanleitung eines Mikrowellenherds. 19 9. Israels Könige, schlechter als Ihr Ruf Trotzdem zieht sich parallel dazu auch die Vision Gott = Sein oder Gott = Leben sowie der faszinierende Gedanke von der Gleichheit aller Menschen durch das Alte Testament: So war das Leben am Anfang strikt gegen jedes Königtum. An seiner Statt wurden lediglich Richter eingesetzt, die für Recht und Ordnung sorgten und Streitigkeiten schlichteten. Außerdem gab es die Priester. Diese waren aber nicht von einer Kaste oder kamen aus einem bestimmten Hause, sondern ein ganzer Stamm von den 12 Stämmen Israels (der Stamm Levi), also mit Männern, Frauen und Kindern, sollte die Priesterschaft übernehmen. Damals ging dieses Experiment schief: Die Israeliten waren zu schwach, als dass sie ohne König ausgekommen wären: Saulus wurde bald ihr erster, David ihr zweiter und Salomon ihr dritter (und auch schon letzter) König. Was sich bei diesen drei Königen bereits abzeichnete und in weiterer Folge klar zu Tage trat, war die Dekadenz: Saulus, der vor allem durch seine Körpergröße auffiel, war sehr herrschsüchtig und versuchte mehrmals David, seinen musisch begabten und beim Volk wesentlich beliebteren Schwiegersohn umzubringen. Nach einer militärischen Niederlage tötete sich Saulus schließlich selbst. ihm schwanger wird, kurzerhand deren Ehemann ermordet! Immerhin war David „anständig“ genug, diese leidgeprüfte Frau als Ehefrau Nr. 8 in seinem Palast aufzunehmen. Den ersten Sohn der beiden ließ Gott sterben, um David für sein verbrecherisches Verhalten wenigstens ein bisschen zu strafen. Erst Salomon, der zweite Sohn, der aus dieser triebhaften Liaison Davids hervorging und später wegen seiner Weisheit berühmt wurde, überlebte seine Kindheit. Salomon freilich trieb es noch wesentlich bunter: Er hielt sich einen Harem von gleich 700 Frauen plus 300 Nebenfrauen und war auch sonst vor allem eines: Maßlos! Nach Salomon zerfiel das schon vorher gespaltene Königtum Israel endgültig in das Nordreich „Israel“ und das Südreich „Juda“. Das Nordreich vernichteten im Auftrag Gottes wegen seiner weiteren ständigen Verfehlungen die Perser bald völlig, während das Südreich zur Strafe für 70 Jahre nach Babylon in die Gefangenschaft musste. In den Jahren vor, während und nach der Babylonischen Gefangenschaft versuchte eine Reihe von Propheten (Jesaja, Elias, Daniel, Jonas…) die Israeliten mit Nachdruck zu mehr Gehorsam gegenüber Gott zu bewegen – meist ohne Erfolg. David – dieser glorreiche David, der Goliath besiegte und nach landläufiger Meinung ein toller gerechter König war – hatte mit Jonathan, dem Sohn von Saulus, ein schwules Verhältnis: „Es tut mir Leid um Dich, mein Bruder Jonathan: ich habe große Freude und Wonne an Dir gehabt; Deine Liebe ist für mich wunderbarer gewesen als die Liebe von Frauen.“ (2. Samuel 1,26 zum Tode Jonathans). Wie triebhaft David wirklich war – auch den Frauen gegenüber – ist in 2. Samuel 11 genau beschrieben, wo er sich einfach an der Frau eines seiner Soldaten vergreift und, als die Frau von 20 10. Die frühen Theologen und ihr Widersacher Bald nach dem Ende der Babylonischen Gefangenschaft im Jahre 520 v. Chr., da verstummte Gott nach und nach für vier lange Jahrhunderte! Was ist geschehen? Die Theologen rätseln und wissen es nicht! Wer die Bibel mit normalen Augen liest, erkennt es dagegen leicht: Während der babylonischen Gefangenschaft war das Pharisäer- und Schriftgelehrtentum entstanden. Und diese Schriftgelehrten und Pharisäer maßten es sich an, Gottes Gesetze zu interpretieren und zu verändern. So wurde es streng verboten, den Namen Gottes überhaupt nur auszusprechen und zu den 10 Geboten erließen sie noch über 2000 weitere dazu! Aber natürlich ist er niemals verstummt, noch dazu, wo „Gott“ das „Leben“ ist, und das Leben kann sich nicht einfach mal für ein paar Jahrhunderte abmelden. Verstummt ist dieser „Gott“ sicher nie; er war nur eine Zeitlang im Getöse der Pharisäer und Schriftgelehrten nicht mehr zu hören! Doch dann kommt Jesus! Er versucht, die Schriftgelehrten und Pharisäer zum Verstummen zu bringen und den Menschen die Ohren wieder zu öffnen (überliefert sind seine wiederholten Beschwörungen: „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“). Und tatsächlich gibt es nur eine einzige Personengruppe, gegen die Jesus vorgeht: Er wendet sich nicht gegen die dekadenten Könige der Juden wie kurz vor ihm noch Johannes, der Täufer, dem seine Agitation gegen König Herodes den Kopf kostete. Er wendet sich auch nicht gegen die Römer, die oft überharten Besatzer der Juden, obwohl es dafür sicherlich genug Anlass gegeben hätte. Laut Jesus tragen auch die sündigen Dirnen und die korrupten Steuereintreiber nichts zum geistigen Niedergang der Juden bei; im Gegenteil: Jesus war zu den Dirnen und den Steuereintreibern meist sogar besonders freundlich. Nur gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer agiert Jesus! Nur sie verhindern, dass die Menschen ins Himmelreich kommen, und die Schimpfworte, mit denen Jesus sie belegt, haben es in sich. Können Sie sich noch an einige erinnern? Jesus nennt die Theologen seiner Zeit „Heuchler“, für ihn sind sie „blinde Blindenführer“ und „weißgetünchte Gräber“, er beschimpft sie mit „Natterngezücht“ und „Otternbrut“. Jesus wendet sich ausnahmslos gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer – gegen die Theologen seiner Zeit! Nur in ihnen sieht Jesus die Führer seines Volkes ins Verderben, nur gegen sie richtet sich sein Kampf, sein aussichtsloser Kampf! Aussichtslos? Ja, und Jesus wusste das: Wiederholt kündigte er an, dass er von den Hohenpriestern gefangen genommen und getötet würde! Und er konnte sich natürlich auch denken, wie seine Hinrichtungsart aussehen würde: In seiner frühen Kindheit war die 8 km von Nazareth entfernte Stadt Sepphoris Zentrum eines Aufstandes gegen die Römer. Diese brachen den Widerstand der Einwohner und kreuzigten auf einen Schlag 2 000 Menschen. Es ist kaum vorstellbar, dass Jesus davon nichts erfahren hat. Auch sonst war man im römischen Reich mit dem Kreuz sehr schnell bei der Hand. Und der Kreuzestod zog sich oft mehrere Tage in die Länge und die Kreuze wurden weithin sichtbar aufgestellt, da sie als Abschreckung dienen sollten! Jesus hat solches oft selbst gesehen und von Anfang an gewusst, was ihm blüht, wenn er sich mit der Obrigkeit anlegt. Dabei war Jesus mit seiner Botschaft an sich bereits in keiner leichten Position: Einerseits sah er bei den Schriftgelehrten, welch merkwürdige und letztendlich gottlose Erkenntnisse man durch ein exzessives Bibelstudium gewinnen kann, andererseits konnte er den Juden kaum die Beschäftigung mit ihrer heiligen Schrift verbieten; ebenso war es extrem heikel mit dem Namen Gottes zu hantieren – man wurde damals bei seiner Nennung auf der Stelle gesteinigt! Und vor seiner Kreuzigung entging Jesus seiner Steinigung mehrmals nur knapp! Jesus schlägt einen dritten Weg ein: Er bringt seine persönliche Version des wahrhaftigen Glaubens in die Welt – mit neuen Bezeichnungen und Inhalten! 21 Diese ist im zweiten Teil der Bibel, im „Neuen Testament“ festgehalten. Testament bedeutet übrigens „Bund“. Wir werden uns der Botschaft Jesu sowie ihrer urchristlichen Auslegung im zweiten Teil dieses Buches widmen und dieser Teil wird noch interessanter werden als der erste Teil. Abschließend zum Alten Testament ist noch zu sagen, dass die ganzen Geschichten, die den fünf Büchern Moses folgen, sehr ermüdend zu lesen sind, oft sind sie einfach nur langweilig und dazu in großen Teilen unglaubwürdig. Ob sich dahinter der eine oder andere historische Kern verbirgt, ist meist belanglos und wird nur einige wenige Spezialisten interessieren. Und wie bedeutungsvoll das Volk Israel damals wirklich war, mag man an der Größe ermessen, die der hoch gelobte Tempel Salomos hatte, der zur besten Zeit dieses Volkes erbaut wurde: Er hatte eine Grundfläche von 10m x 40m und war 15m hoch. Das ist ein besseres Zweifamilienhaus… Vergessen kann man in der Regel auch die Psalmen: Sie sind entweder ein notorisches Gejammer zu einem nicht-existenten, anthropomorphen Gott oder aber ein ausufernder Lobpreis. Natürlich kann man einwenden: Aber es ist doch super, wenn man Gott lobt und preist! Doch andererseits: Wenn Gott unser guter Vater ist, wie Jesus dies später propagiert, stellt sich für uns die Frage: Was will ein guter Vater von seinen Kindern? Wir sollten uns diese Frage durchaus einmal ohne biblischen Hintergrund stellen: Ein wirklich guter Vater im landläufigen Sinn, was will der von seinen Kindern? Will er, dass diese ihre Zeit damit verbringen, ihm sein Lob zu singen? Das gewiss nicht! Ein guter Vater will, dass seine Kinder ihr eigenes Leben leben und dabei glücklich sind! Wir dürfen von daher getrost auch im Hinblick auf Gott annehmen, dass er nicht ständig sein Lob aus unserem Mund gesungen hören will, sondern dass er will, dass wir unseres Lebens uns erfreuen! Man kann also auch die Psalmen getrost übergehen. Gehaltvoll ist dagegen das Buch der Weisheit, das aber zu den Apogryphen (geheimen Büchern) zählt und nicht in jeder Bibel zu finden ist (nur in Katholischen, nicht aber Evangelischen). 22 Das Neue Testament oder Jesus und Paulus, eine grenzenlose Polarität 23 11. Es gibt keine heiligen Kühe, in der Bibel schon gar nicht! Viele überzeugte Christen haben mit dem Wörtlichnehmen des Alten Testamentes, besser gesagt: mit dessen Nicht-Wörtlichnehmen keine Probleme, mit dem Nicht-Wörtlichnehmen des Neuen Testamentes dagegen schon. Schließlich ist es für viele unbestritten, dass Jesu Botschaft im Neuen Testament enthalten ist, dass Jesus auf Erden lebte, dass er der Messias ist und dass er uns die einzig wahre, Erlösung bringende Botschaft brachte! Alles, was von Jesus kommt, kann nicht nur, sondern muss als Gesetz genommen werden. In der heutzutage immer wandelbarer werdenden Welt muss man ja schließlich irgendwo Halt finden – eine tiefe Sehnsucht in vielen Menschen, die sich im Glauben an den einzig wahren „unwandelbaren“ Gott, der vom Anbeginn aller Zeiten an stets unverändert geblieben ist, sowie an Jesus Christus, seinen einzigen Sohn, festen Halt erhoffen. Nun ja, Leben ist steter Wandel – und sich von einem Gott, der sich selbst als „das Leben“ und „das Sein“ bezeichnet, ewige Unwandelbarkeit zu erwarten, ist zumindest ein wenig gewagt. Doch da, wie man weiß, in Märchen und Mythen ein wahrer Kern enthalten ist, sollten wir am besten die Betrachtungen über das neue Testament wie ein Märchen beginnen lassen: Es war einmal ein Vatergott. Der schickte seinen einzigen Sohn auf die Erde, damit er uns Menschen erlöse. Der Sohn kam auf die Erde, wählte sich dort zwölf Gefährten und wandelte mit ihnen über das Land, um den Menschen die frohe Botschaft von ihrer Errettung zu verkünden. Er belehrte die Menschen über Himmel und Hölle, erzählte ihnen vom Jüngsten Gericht und versprach ihnen, nach seinem Tode wieder zu kommen. Nachdem der Sohn Gottes sein Werk vollbracht hatte, feierte er an seinem letzten Abend auf Erden ein mystisches Abendmahl. Nach seinem Tod wurde er dann zwar zuerst begraben, durfte dann aber wieder auferstehen. Preisfrage: Wie heißt dieser Sohn Gottes? Falsch: Nicht Jesus, sondern Mithras! Der Mithraskult entstand in Persien, und zwar mindestens 1400 v. Chr., doch just zur Zeit Jesu breitete sich dieser Kult von Palästina und Syrien her über das ganze römische Reich aus. „Mithra“ ist persisch; es bedeutet „Vertrag“ und weist auf die Bündnisfreudigkeit dieses Gottes hin. Auf sechs Bündnisse mit uns Menschen brachte es dieser Gott immerhin, ehe er ab ca. 320 n. Chr. langsam in der Versenkung verschwand. Jedoch nicht nur zum Mithraismus weist das Christentum unglaubliche Parallelen auf, es gibt im seinerzeit römisch geprägten Umfeld auch andere, zum Beispiel zur Jungfrauengeburt: In Rom waren sechs Jungfrauen dazu abgestellt, das Feuer der Vesta zu bewachen, welches nie verlöschen durfte. Von diesen sechs Vestalinnen hatte immer nur eine Dienst, während die anderen am ganz normalen gesellschaftlichen Leben in Rom teilnehmen durften. Tja, und da passierte es schon mal, dass dann doch die eine oder andere schwanger wurde. Wenn man dieser Vestalin eine Liaison mit einem bestimmten Mann nachweisen konnte, drohte beiden die Todesstrafe, wenn nicht, dann hatte halt ein Gott seine ‚Hand’ im Spiel… Auch Platon und Alexander der Große sollen übrigens von einer Jungfrau und von einem Gott gezeugt worden sein. Der Gott bei Platon war Apollo und bei Alexander dem Großen der Göttervater Zeus höchstpersönlich. Jungfrauengeburten waren also den Menschen damals durch die Geburtsmythen großer Männer und auch im Normalleben absolut geläufig. Und was die Herkunft großer zeitgenössischer Menschen anbelangt, so wurde zum Beispiel auch der zur Zeit der Geburt Jesu herrschende Kaiser Augustus als Gottes Sohn bezeichnet, und zwar wegen Gaius Julius Cäsar (100 – 44 v. Chr.), den man im Jahre 48 v. Chr., also noch zu Lebzeiten, in den römischen Götterhimmel erhoben hatte. Sein Neffe Augustus wurde nach seinem Tod im Jahre 14 n. Chr. ebenfalls zum Gott erklärt und trug schon vor seinem Tode wegen seiner Verwandtschaft zu Cäsar den Titel „filius divi“ – „Sohn des Göttlichen“. 24 Übrigens stellte man sich bei allen zu Gott erklärten Menschen eine richtige Himmelfahrt nach ihrer Beerdigung vor, ganz ähnlich jener, die man auch Jesus nachsagte. Doch das ist nicht schwer: Wie bei vielen Aussagen Jesu geht es hier eindeutig nur um das Prinzip und nicht um die konkrete, wörtlich zu nehmende Handlungsaufforderung! Soweit vorweg zum historischen Hintergrund! Er ruft uns zur Wachsamkeit gegenüber dem, was die Bibel uns erzählt. Daher sollten wir auf jeden Fall auch beim Neuen Testament unserem eingeschlagenen Weg treu bleiben und die ganze Sache mit normalen Augen betrachten – ohne vorgefasste, also angelernte Anschauungen von Seiten unserer Erzieher. Nehmen wir daher Jesus zunächst seinen Status als „Der Sohn Gottes“, als „Der Erlöser“ und als „Der Messias“ und schauen, was Jesus wirklich so getan und gelehrt hat. Denn auch Jesus ist keine heilige Kuh, die man nicht schlachten darf; auch ihn darf man jederzeit mit Fug und Recht in Frage stellen und ihm gegenüber kritisch sein. „Prüfe alles“, sagte Paulus im Hinblick auf die von ihm verkündete Frohe Botschaft – und da wollen wir doch wirklich mal auf Paulus hören… Aber es gibt noch einige andere, für manche Christen recht unangenehme Feststellungen über Jesus. Was ist zum Beispiel mit Matthäus 15,20, wo Jesus befiehlt: Also nehmen wir uns nun Jesus vor und überprüfen, wie weit wir ihn wörtlich nehmen können. Wir haben da zum Beispiel Jesu Aussage: „Wenn Dich Deine Hand oder Dein Fuß zum Bösen verführt, dann hack sie ab und wirf sie weg! Es ist besser, Du gehst verstümmelt oder als Krüppel ins Leben ein, als mit beiden Händen und beiden Füßen in das ewige Feuer zu kommen.“ Oder ebenso brutal: „Und wenn Dein Auge Dich verführt, so reiß es heraus und wirf es weg! Es ist besser für Dich, Du gehst einäugig in das Leben ein, als dass Du beide Augen behältst und in das Feuer der Hölle geworfen wirst.“ (Matthäus 18,8) Starke Worte! Aber wie gut, dass hier niemand Jesus wirklich wörtlich nimmt, sonst hätten die meisten Menschen nur noch ein Auge oder einen Arm und einen Fuß bzw. gar keine Augen, Arme und Füße mehr, und würden in ihren Herzen wohl immer noch genauso sündigen wie zuvor mit Augen, Armen und Füßen. Trotzdem aber gibt Jesus diese überspitzte Äußerung von sich und man hat mit ihnen zu Recht zu kommen! „Simon Petrus! Steck Dein Schwert in die Scheide!“ und anschließend behauptet: „Denn wahrlich ich sage Dir, alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen!“ Lieber Christ, das stimmt nicht, das ist definitiv unrichtig! Viele, die zum Schwert gegriffen haben, sind einen natürlichen Tod gestorben. Oder noch viel schlimmer, in Johannes 14,13: „Was Ihr auch in meinem Namen bitten werdet, will ich tun, damit der Vater verherrlicht werde im Sohne. Wenn Ihr etwas in meinem Namen bitten werdet, so werde ich es tun!“ Bekennende Christen beten gern und ausgiebig und wer schon mal gemeinsam mit ihnen zu Gott um die Erhörung einer Bitte gebetet hat, weiß aus eigener Anschauung, dass diese Aussage falsch ist! Das ist eine schlichtweg leere Versprechung! Und unmittelbar vor dieser Stelle steht eine Äußerung Jesu, die man nie in irgendeiner Kirche hört und die auch niemals in einem Streitgespräch von irgendeinem Theologen zitiert wird, einfach weil sie einen sofort erkennbaren Unsinn enthält! Jesus sagt tatsächlich: „Wahrlich, wahrlich, ich sage Euch, wer an mich glaubt, der wird die Werke auch vollbringen, die ich tue, und er wird sogar noch größere Werke vollbringen als diese.“ (Johannes 14,12) Noch größere Werke vollbringen als Jesus? Unglaublich, mit welchen Versprechungen der Glaube an Jesus den Menschen schmackhaft gemacht werden soll! 25 Oder folgender Unsinn aus dem Markusevangelium: „Jesus sprach zu ihnen: Geht in die ganze Welt und predigt allen Menschen das Evangelium. Wer glaubt und getauft wird, wird errettet werden; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden. Diese Zeichen werden denen folgen, welche glauben: In meinem Namen werden sie Dämonen austreiben; sie werden in neuen Sprachen reden, sie werden Schlangen anfassen, und wenn sie Gift trinken, so wird es ihnen nicht schaden…“ (Markus, 16,15) Dazu erübrigt sich wohl jeder weitere Kommentar. Wir werden dann später in diesem Buch sehen, was diese Versprechen für eine Wurzel haben. Dann gibt es noch Beispiele, wo Jesus sich selbst nicht an seine eigenen Vorgaben hält. So sagt er in Matthäus 6,12: „Alles, was die Schriftgelehrten lehren, das tut auch!“ Doch was macht er? Die wichtigen Fastengebote hielten Jesus und seine Jünger nie ein. Auch Ähren abreißen am Sabbat wird von Jesus gut geheißen – ebenfalls im klaren Widerspruch zu den Schriftgelehrten. Und sogar absolut unanständig war sein Verhalten in Lukas 11, 37: Hier wird berichtet, wie Jesus von einem Pharisäer zum Essen eingeladen war. Jesus legt sich gleich zu Tisch und will zugreifen, ohne sich vorher die Hände zu waschen. Heutzutage ist so etwas nicht schlimm, doch damals war Hände waschen vor einem gemeinsamen Mahl mehr als nur eine lästige Geste, sondern aus hygienischen Gründen zwingend notwendig: WCs mit Klopapier gab es nämlich nicht und auch nicht Gras oder Farne in ausreichender Menge: Man reinigte sich damals nach der Notdurft seinen Hintern mit der Hand – auch Jesus! Sein Gastgeber macht Jesus nun dezent auf sein – wie er wohl denkt – Versehen aufmerksam. Und wie reagiert Jesus? Anstatt dankbar seine Hände doch noch schnell zu waschen, lässt er eine Salve wüster Beschimpfungen vom Stapel, wie böse und schmutzig sein Gastgeber inwendig ist; und als andere Gäste sich von Jesus mit angegriffen fühlen, bezieht er gleich auch diese in seine Tiraden mit ein. Das ist ein absolut unmögliches Benehmen! Und täten wir bei einer Einladung beim Bischof, Pastor oder Pfarrer heutzutage Ähnliches, würde wohl gerade von diesen keiner behaupten, so etwas sei christlich! Kaum hatte Jesus aufgehört zu reden, bat ihn ein Pharisäer, zu ihm zum Essen zu kommen. Jesus ging ins Haus und legte sich zu Tisch. Der Pharisäer war überrascht, dass sich Jesus vor dem Essen nicht gewaschen hatte. Da sagte der Herr zu ihm: "So seid Ihr Pharisäer! Das Äußere von Bechern und Schüsseln haltet Ihr sauber, was Euer Inneres, ist voller Habgier und Bosheit. Wie dumm von Euch! Hat Gott, der das Äußere schuf, nicht auch das Innere gemacht? Gebt doch den Armen, was Ihr in den Bechern und Schüsseln habt, dann werdet Ihr sehen, wie schnell es Euch rein wird. Weh Euch, Ihr Pharisäer! Von Minze und Raute und sonst jedem Kraut gebt Ihr noch den Zehnten ab und lasst doch die Forderungen der Gerechtigkeit und Liebe Gottes außer Acht. Das eine hättet Ihr tun und das andere nicht lassen sollen. Weh euch Pharisäer! Ihr liebt die Ehrenplätze in den Synagogen und die Grüße auf den Märkten. Weh Euch! Ihr seid wie weiß getünchte Gräber. Die Menschen laufen darüber hinweg und merken nicht, wie sie verunreinigt werden." "Rabbi", sagte einer der Gesetzeslehrer, "damit greifst Du auch uns an!" Jesus erwiderte: "Ja, weh auch Euch Gesetzeslehrern! Ihr ladet den Menschen schwere Lasten auf und macht selbst keinen Finger krumm. Weh Euch! Ihr baut Grabmäler für die Propheten, die doch von Euren Vorfahren umgebracht wurden. Damit bestätigt Ihr die Schandtaten Eurer Vorfahren und heißt sie auch noch gut, denn sie haben die Propheten getötet, und Ihr errichtet die Grabmäler. Deshalb hat die Weisheit Gottes auch gesagt: 'Ich werde Propheten und Apostel zu ihnen schicken; einige von ihnen werden sie umbringen, andere verfolgen.' Darum wird diese Generation zur Rechenschaft gezogen werden für die Ermordung aller Propheten seit Anbeginn der Welt, von Abel bis hin zu Secharja, der zwischen dem Brandopferaltar und dem Tempel umgebracht wurde. Weh Euch, Ihr Gesetzeslehrer! Ihr habt den Schlüssel zur Erkenntnis beiseite geschafft. Selbst seid Ihr nicht hineingegangen, und die hineingehen wollten, habt Ihr daran gehindert." (Lukas 11,37) 26 Doch auch diese unanständige und beleidigende Seite gehörte zu Jesus – und die Evangelien sagen sogar klar, dass Jesus auch in dieser Hinsicht ein Vorbild war und sich auch die Jünger bald nicht mehr die Hände vor dem Essen wuschen: Damals kamen Pharisäer und Gesetzeslehrer aus Jerusalem zu Jesus und sagten: "Warum halten Deine Jünger sich nicht an die überlieferten Vorschriften und waschen sich nicht die Hände vor dem Essen?" (Matthäus 15,1) Also, seine eigene Forderung: „Alles, was die Schriftgelehrten lehren, das tut auch!“ hielt Jesus selber nicht ein! Und was ist mit dieser sehr bekannten Stelle: „Wenn Dich einer auf die rechte Backe schlägt, halt ihm auch die linke hin!“(Matthäus 5,39) Was tat Jesus, als er selbst geohrfeigt wurde, später vor dem Hohen Rat beim Verhör – hielt er da die andere Backe hin? Nein, hat er nicht! Jesus hat sich verteidigt: Der Hohepriester befragte nun Jesus über seine Jünger und über seine Lehre. Jesus antwortete ihm: „Ich habe öffentlich zur Welt geredet; ich habe stets in der Synagoge und im Tempel gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen, und im Geheimen habe ich nichts gesagt. Was fragst du mich? Frag doch die, welche gehört haben, was ich zu ihnen gesagt habe.“ Als er das gesagt hatte, gab einer der Diener, die dabeistanden, Jesus eine Ohrfeige und sagte: „Antwortet man so dem Hohenpriester?“ Jesus erwiderte: „Redete ich unrecht, so beweise, was daran unrecht war; redete ich aber recht, warum schlägst Du mich?“(Johannes 18,19) Auch bei der Stelle mit der linken und der rechten Backe ist Jesu Aussage nur eine rhetorische Übertreibung, um den Sinn der Sache klar zu machen und nicht als Aufforderung gemeint, um sie wörtlich zu verwirklichen. 27 12. Die Theologen in Erklärungsnotstand – doch Not macht erfinderisch Die Schriftgelehrten der Gegenwart, unsere Theologen, haben, wenn sie mit diesen Sachverhalten konfrontiert werden, stets wortgewaltige Erklärungen parat, warum es natürlich so ist, wie es in der Bibel steht, aber warum es gleichzeitig aber doch nicht so ist, wie es in der Bibel steht, und man ist nach ihren Erklärungen jedes Mal verwirrter als zuvor. Die kurioseste Erklärung eines Theologen habe ich mal gehört, als es um die beiden widersprüchlichen Todesarten von Judas Iskariot ging, des Verräters Jesu. In Matthäus 27,5 steht: Da nahm Judas das Geld und warf es in den Tempel. Dann ging er weg und erhängte sich. Die Hohenpriester aber nahmen das Geld und sagten, es ist nicht erlaubt, es zum Tempelschatz zu geben, denn es ist Blutgeld … und sie kauften dafür einen Acker für die Bestattung von Fremden. In Apostelgeschichte 1,18 steht: Judas hat vom Lohn für sein Unrecht einen Acker gekauft, dort ist er kopfüber gestürzt und dabei mitten entzwei geborsten und alle seine Eingeweide sind ausgelaufen. Dieser Theologe aus dem evangelikalen Lager erklärte diesen Widerspruch so: Judas habe sich erhängt. Als er dann so am Baume baumelte, ist er immer mehr aufgeschwollen, bis es den Strick an seinem Halse gesprengt hat. Infolgedessen ist er auf den Acker darunter gestürzt und auseinandergeplatzt. Seine Sippe hat dann von den Hohenpriestern einen Teil des Geldes bekommen und davon einen Acker für Judas’ Bestattung gekauft, während die Hohenpriester mit dem Rest des Geldes den anderen Acker kauften. Zwar sei in diesem Fall nicht Judas selbst der Käufer seines Ackers gewesen, wie es in der Apostelgeschichte steht, sondern seine Sippe, aber in der damaligen Zeit sei das das gleiche gewesen, das mache also nichts. Auch dass der Acker erst nach dem Tod von Judas gekauft wurde und nicht schon vor seinem Tod, ist nur eine winzige vernachlässigbare Ungenauigkeit. Damit war für den wackeren Theologen seine heile Bibelwelt wieder in Ordnung und zur Gänze widerspruchsfrei. Selbstverständlich könnte man vor soviel Eifer lächelnd den Hut ziehen und amüsiert seiner Wege gehen, wenn es sich nur um solch harmlose Stellen in der Bibel handeln würde. Doch Glaube ist nie harmlos, sondern eine bitterernste Angelegenheit für viele Menschen. Wegen des Glaubens, das heißt besser: aufgrund der Auslegung der Theologen und deren Macht über die Menschen wird gemordet, wird gestorben, wird unterdrückt und unendlich viel gelitten. Glaube bzw. die Theologie ist und bleibt damit eine der wichtigsten Angelegenheiten der Welt. Sehen wir uns im Folgenden nun die Berichte der einzelnen Evangelisten zu Jesu Geburt und Tod an. Geburt und Tod sind ganz wichtige Ereignisse im Leben eines Menschen und man sollte glauben, dass man hier wahrheitsgetreu vorgegangen ist, noch dazu, da es sich bei den Berichterstattern um Volks- und Zeitgenossen Jesu handelte, die mit den lokalen und kulturellen Gegebenheiten bestens vertraut waren. Falls nun diese wichtigen Berichte über Geburt und Tod Jesu nicht übereinstimmen, muss man hinsichtlich der historischen Glaubwürdigkeit weiterer Ereignisse erst recht skeptisch sein. 28 16. Jesus, ein Mensch ohne Irrtum und ohne jede menschliche Entwicklung? Gehen wir trotz aller Legenden, die sich um das Leben Jesu gebildet haben, vorläufig weiter davon aus, dass Jesus ein ganz normaler Mensch war wie Sie und ich ohne göttliche Attribute und zitieren ein geflügeltes Wort seiner Zeit: „Errare humanum est.“ Dieses Sprichwort ist uns auch heute noch geläufig und heißt übersetzt: „Irren ist menschlich.“ Lässt sich Jesu irdische Natur vielleicht anhand von Irrtümern nachweisen? Tatsächlich ist dies überraschend leicht möglich: So wird bei Matthäus (21,19) und Markus (11,12) zum Beispiel von diesem Irrtum Jesu berichtet: Am nächsten Tag, da sie von Bethanien weggingen, wurde Jesus hungrig. Da sah er von ferne einen Feigenbaum, der Blätter hatte; da ging Jesus zu diesem Baum hin, um nach Feigen zu suchen. Doch als er hinkam, fand er nichts als Blätter, denn es war noch nicht die Zeit, dass Feigen an dem Baum hätten sein können. Da sprach Jesus zu diesem Baum: „Ab jetzt in alle Ewigkeit soll niemand mehr von Dir essen!“ Und seine Jünger hörten das. … Als sie dort am nächsten Morgen vorübergingen, sahen sie, dass der Feigenbaum von der Wurzel an verdorrt war. Da erinnerte sich Petrus und sprach zu Jesus: „Rabbi, siehe, der Feigenbaum, den Du verflucht hast, ist verdorrt!“ Ein klassischer Irrtum, wie er auch jedem von uns widerfahren kann – und auf den Jesus, wie auch wir das so oft machen, mit Ärger und spontaner Aggression reagierte! Für den Ruf Jesu, den die Theologen ihm als den unfehlbaren Sohn Gottes geben wollen, ist das allerdings eine kleine Katastrophe! Jesus habe, so versuchen sich die Theologen aus der Affäre zu ziehen, nur ein Zeichen setzen wollen, um zu demonstrieren, was mit dem geschieht, der keine guten Früchte bringt. – Eine absolut dumme Antwort, denn erstens würden damit sie sich zuallererst selbst richten, und zweitens hat Jesus es immer klar abgelehnt, Zeichen um des Zeichens willen zu tun – warum sollte er dann ausgerechnet hier ohne Anlass plötzlich eines vor seinen Jüngern setzen wollen? Aber das war nur ein kleiner Irrtum, der mit dem Feigenbaum; andere Irrtümer Jesu waren wesentlich folgenreicher, und einer hatte wirklich extreme Folgen… Sehen wir uns aber vorher noch andere Irrtümer an: Jesus geht zum Beispiel davon aus, dass er nach seinem Tode sehr bald wiederkommt und dass mit seiner Wiederkunft das Ende dieser Welt bzw. das jüngste Gericht verbunden ist. Er beschreibt dies anschaulich bei Lukas Kapitel 21 und beendet seine Aussagen mit folgendem Versprechen: „Wahrlich, ich sage Euch: Diese Generation wird nicht vergehen, bevor all das geschieht.“ (Lukas 21,32) Nahezu identische Ausführungen von Jesus finden sich auch bei Markus 13,29 und Matthäus 24,33. Ähnliches sagt Jesus in Johannes 16,16: „Noch eine kleine Weile und Ihr werdet mich nicht mehr sehen und wieder eine kleine Weile und Ihr werdet mich wieder sehen.“ Aufgrund dieser Ansicht Jesu entwickelten die Apostel die so genannte „Apokalyptische Heilserwartung“, das bedeutet, dass sie fest von einer greifbar nahen Wiederkunft Jesu ausgingen. Sie verkündeten das damals auch überall und hatten es als fixen und durchaus attraktiven Bestandteil in ihrer Botschaft. Doch das war, wie wir inzwischen wissen, ein offensichtlicher Irrtum – und sogar bei den Zeugen Jehovas, die auch heute immer noch glauben, Jesus werde „sehr bald“ wiederkommen, setzt in diesem Punkt langsam ein Umdenken ein. Wie uns die Theologen weismachen wollen, war Jesus das präexistente Wort Gottes und kam in die Welt, um die ganze Menschheit von der Sünde zu erlösen. Zu dieser Sicht der Dinge passt Matthäus 15,21 freilich denkbar schlecht: Jesus ist mit seinen Jüngern wieder einmal unterwegs. Da begegnet ihm eine Heidin und bittet ihn um die Heilung ihrer Tochter. Was macht Jesus nun? 29 Natürlich heilt er sie, ist man geneigt zu antworten. Doch das tut er nicht: Jesus würdigt die Frau keines Blickes und geht einfach weiter. Die Frau läuft ihm nun hinterher und schreit immer lauter um Hilfe. Den Jüngern rührt dies schon ans Herz; sie ergreifen Partei für die Frau und bitten nun selbst Jesus, ihr zu helfen. Jesus weigert sich weiter und entgegnet: „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt!“ Eine unglaubliche Antwort! Jesus ist nur zu den Juden gesandt worden, nicht zu allen Menschen! Aber es kommt noch schlimmer: Die Frau fasst sich nach der Fürsprache der Jünger ein Herz; sie fällt vor Jesus auf die Knie und bittet: „Herr, hilf mir!“ Und Jesus sagt Ihr daraufhin diese Worte mitten ins Gesicht: „Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und es vor die Hunde zu werfen!“ Trotz dieser schweren Beleidigung durch Jesus bleibt die Frau gefasst und entgegnet: „Ja Herr, Du hast recht, aber auch für die Hunde unterm Tisch fällt ab und zu ein Brotkrümel ab!“ Da kann nun selbst Jesus nichts mehr entgegnen und gibt nach. Diese Stelle im Originaltext (Matthäus 15,21): Jesus ging von dort weg und zog sich zurück in die Gegend von Tyrus und Sidon. Da kam eine kanaanäische Frau, rief ihn an und bat: „Erbarme dich meiner, Herr, Sohn Davids! Meine Tochter wird übel von einem Dämon geplagt.“ Er aber antwortete ihr mit keinem Wort. Da traten seine Jünger zu ihm und baten ihn: „Befreie sie doch, denn sie läuft hinter uns her und schreit!“ Er aber antwortete: „Ich bin ausnahmslos zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt.“ Da kam sie näher, warf sich vor ihm nieder und sagte: „Herr, hilf mir!“ Er aber erwiderte: „Es ist nicht gut, den Kindern das Brot wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen.“ Sie aber sagte: „Ja, Herr, doch auch die Hunde essen von den Krümeln, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“ Da sagte Jesus zu ihr: „0 Frau, groß ist Dein Glaube. Dir gescheh, wie Du willst!“ Und im Johannesevangelium Kapitel 4 Vers 22 sagt Jesus einer Samariterin ebenfalls völlig eindeutig: „Ihr betet an, was Ihr nicht kennt; wir beten an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden.“ Jesu Selbstverständnis kommt hier klar zum Ausdruck: Er ist für die Juden da und nicht für die Heiden, also nicht für alle Menschen! Und tatsächlich sind sich nach seinem Tode auch alle Apostel sicher, dass auch sie entsprechend den Weisungen Jesu nur bei den Juden zu missionieren haben und nicht bei den anderen Völkern! Es bedarf zuerst bei Petrus großer innerer Kämpfe, bis er umdenkt und sich Petrus(!) als d e r Apostel der Heiden sieht. Dazu später mehr. Erst sehr kurz vor seinem Tode und nach langen erfolglosen Versuchen, die Pharisäer und Schriftgelehrten zur Einsicht zu bringen, dämmert es Jesus, dass die Juden nicht die richtigen oder zumindest nicht die einzigen Adressaten für seine Mission sind, sollte diese nicht zum Scheitern verurteilt sein. Diese Erkenntnis bringt Jesus kurz vor seiner Hinrichtung in den Gleichnissen über den Eckstein, der er für die Juden hätte sein wollen, der aber von den Bauleuten verworfen wurde, klar zum Ausdruck (Matthäus 21,42; Markus 12,10, Lukas 20,17). Und dasselbe drückt Jesus im Gleichnis einer Hochzeit aus, die ein König ausrichtet: Als alles vorbereitet ist und die Hochzeit beginnen soll, kommen die geladenen Gäste nicht. Da lädt der König notgedrungen andere Leute ein (Matthäus 22,8): „Dann sagt er zu seinen Knechten: ,Zwar ist die Hochzeit bereit, aber die Geladenen waren nicht würdig. Geht deshalb nun zum gemeinen Volk der Straße und ladet all diejenigen, die Ihr findet, zur Hochzeit ein!’“ Man mag spekulieren, was gewesen wäre, wenn Jesus sich von Anfang an wirklich als Messias für alle Menschen verstanden hätte und von der abgelegenen Provinz Galiläa aus, wo er sein Wirken begann, nicht zu diesen Betonköpfen nach Jerusalem marschiert wäre, sondern seine Botschaft gleich in der Welt, für die sie gedacht war, verkündet hätte, naheliegenderweise in Rom. Im römischen Reich mit seiner religiösen Toleranz und seinen gut ausgebauten Verkehrswegen hätte er alle Chancen zu einem großen Erfolg gehabt! 30 Nun, Jesus hatte diese Möglichkeit nicht wahrgenommen und daran wohl auch nie gedacht, ganz offensichtlich, weil er sich lange Zeit nicht als Messias für alle Menschen verstand. Vielleicht fehlte ihm auch einfach nur das Geld für solch eine Reise – und mit dem Wunderwirken war es wohl doch nicht so weit her, dass er sich hätte genügend herbeizaubern können. Eine sehr wahrscheinliche Erklärung ist auch, dass er als Sohn allereinfachster Eltern vom Land Griechisch als die Verkehrssprache des römischen Reichs nicht beherrschte und Jesus nur Aramäisch sprechen konnte. Von da an fing Jesus an, seine Jünger darauf vorzubereiten, dass er nach Jerusalem gehen und von den Ältesten, Hohenpriestern und Schriftgelehrten viel würde erleiden müssen; dass man ihn töte, er aber am dritten Tage auferstehe (Matthäus 16,21). Die Aussicht auf Jesu Tod gefällt Petrus nun gar nicht und im Bewusstsein seiner neuen Stellung fährt er Jesus an – Matthäus benutzt das Wort „epitiman“ gleich „schelten“ – und sagt: „Schau doch auf Dich selber, Herr! Solches soll Dir auf keinen Fall widerfahren!“ (Matthäus 16,22) Aber Jesus wandte sich um und sprach zu Petrus: Aber ganz egal wie schlimm es war, dass Jesus erst sehr spät begriff, dass seine Botschaft nicht nur eine gute Botschaft für die Juden, sondern für alle Menschen war, als der tragischste Irrtum Jesu sollte sich der folgende erweisen (Matthäus 16,18): „Ich sage Dir: Du bist Petrus, der Fels, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen und die Hölle soll sie nicht überwältigen. Ich will Dir die Schlüssel des Himmelreichs geben.“ und Jesus fügt innerhalb des gleichen Satzes noch hinzu, worin diese Schlüssel des Himmelreichs bestehen: „Verschwinde, Satan! Du bist mir ein Ärgernis; denn Du denkst nicht was göttlich, sondern was menschlich ist.“ Im Original: „Hypage opiso mu; Satana ! Skandalon ei emu, hoti u froneis ta tu theu alla ta ton anthropon.“ (Matthäus 16,23) Das war allerdings mehr als eine bloße Zurechtweisung! Denn Jesus korrigiert daraufhin seinen Irrtum, nur einen einzigen Menschen als seinen Nachfolger auszuwählen! Bei nächster Gelegenheit – so können wir ein paar Verse weiter lesen – sagt er zu allen seinen Jüngern: „Was Du auf Erden binden wirst, soll auch im Königreich der Himmel gebunden sein, und alles, was Du auf Erden lösen wirst, soll auch in den Himmeln gelöst sein.“ „Wahrlich ich sage Euch: Was Ihr auf Erden binden werdet, das soll auch im Himmel gebunden sein, und was Ihr auf Erden lösen werdet, das soll auch im Himmel gelöst sein.“ (Matthäus 18,18) Diese Übertragung der Schlüsselgewalt über das Himmelreich an Petrus war dasselbe, wie Petrus zu seinem Nachfolger zu erklären. Dass Jesus einen Nachfolger braucht, ist durchaus nachvollziehbar, denn Jesus wusste von Anfang an, dass er sich mit seiner Botschaft in Lebensgefahr begibt, vor allem, wenn er aus der kleinen Provinz Galiläa in die Hauptstadt Jerusalem marschieren sollte. Und Jesus hat die Tatsache, dass er nun einen Nachfolger hat, mit großer Erleichterung aufgenommen, denn im unmittelbaren Anschluss an die Auserwählung des Petrus heißt es: Jeder, der Jesus nachfolgt, hält die Schlüssel des Himmelreichs in Händen und darf – auf jeden Fall einmal für sich selbst – bestimmen, was Recht und was nicht Recht ist, und zwar hier auf der Erde und später im Himmel. Der Irrtum, der Jesus mit der ursprünglichen Einsetzung von Petrus als seinen alleinigen Nachfolger unterläuft, ist an sich nichts Schlimmes. „Irren ist menschlich“ und Jesus als Mensch darf so was jederzeit auch passieren. Und gerade Jesus erweist sich als lernfähig und korrigiert sich schnell, sobald ihm neue Erkenntnisse kommen. 31 Das so ungeheuer Tragische an diesem Irrtum ist jedoch die Tatsache, dass von den Theologen später alles, was in die von ihnen selbst zusammengestellte Bibel Eingang gefunden hatte, zum ewigen unveränderlichen Wort Gottes erklärt wurde, und so half Jesus dann alle Korrektur nichts mehr: Man gründete auf seinem kurzen Irrtum die katholische Kirche! 32 17. Wahre Liebe gibt es nur zwischen…. Soweit der erste Kontakt mit dem Neuen Testament. Er ist, was unsere Erwartung betrifft, dort eine historisch getreue Berichterstattung über Jesus zu finden, eine große Enttäuschung. Die Erklärung für alle diese Ungereimtheiten ist allerdings eher einfach und liegt in der Intention der Verfasser begründet: Es ging um das „evangelion“, die „Gute Botschaft“, wie Jesus sie seinerzeit mündlich verkündet hatte. Anders als der heutige Gebrauch des Wortes „Evangelium“, der das ganze schriftliche Werk meint, wollten die Evangelisten damals diese von Jesus mündlich verkündete Lehre schriftlich fixieren, bildeten um sie aber dem Geist ihrer Zeit gehorchend eine Rahmenerzählung, die möglichst großartig sein sollte, um das Interesse an Jesu Person zu erhöhen. Daher war das Gesamtwerk auch unterteilt in das „evangelion“ (Jesu Lehre), in die „Herrenworte“ (zum Beispiel Jesu kluge Antworten auf theologische Fragen) und in die Erzählung darum herum. Wirklich wichtig waren nur die ersten beiden, die Erzählung nicht, und das ist auch schon der Grund für die Ungenauigkeiten und Widersprüche. Seinerzeit hatte sich daran keiner gestört, denn man übertrieb immer und überall, wie das im Orient mitunter heute noch der Fall ist. Versuchen wir nun im Folgenden dieses „evangelion“, das von Jesus verkündet wurde, zu rekonstruieren. Dazu müssen wir aber weiter unvoreingenommen allem gegenüber bleiben und dürfen nicht bei der Nennung von Namen wie Jesus, Jehova etc. unvermittelt in eine anerzogene ehrfürchtige Starre oder geistige Lähmung verfallen. Mit einer vorgefassten ängstlichen Haltung kommen wir in dieser Bibel wirklich nicht weit, sondern nur mit einer lebendigen respektlosen Frische. Der neben Jesus zweite große Protagonist im Neuen Testament ist Paulus. Er schrieb als erster seine Erkenntnisse in Form von Briefen nieder, während die Evangelien erst Jahrzehnte später verfasst wurden und nur die Reaktion auf die Paulusbriefe sind. Mutmaßlich haben wir die Evangelien und unser rudimentäres Wissen über Jesus nur dessen Briefen zu verdanken. Wer war nun dieser Paulus? Paulus war Pharisäer und stammte aus Tarsos, einer Stadt in Kilikien nahe der Grenze zu Syrien. Damit gehörte er dem ehemaligen griechischen Großreich an, das im römischen Reich aufgegangen war und das Alexander der Große (356 bis 323 v. Chr.) gegründet hatte. Auch besaß er die römische Staatsbürgerschaft, was für einen Juden damals nicht gerade selbstverständlich war. Neben einer großen Redegewandtheit, wie sie viele Pharisäer auszeichnete, verfügte Paulus also auch noch über einen multikulturellen Hintergrund. Von Geburt an hieß er Paulos, das ist Griechisch und bedeutet „der Kleine“, im jüdischen Umfeld nannte er sich allerdings in „Saulus“ um, also nach einem dieser drei israelitischen Könige. Auffallend ist, dass dieser Saulus nur eine einzige herausragende Eigenschaft besaß: Er war körperlich groß! Dass Paulus durch ein mysteriöses Erlebnis „vom Saulus zum Paulus“ wurde, ist also definitiv unwahr. Er bevorzugte lediglich auf seinen späteren Missionsreisen zu den Heiden wieder den nichtjüdischen Namen „der Kleine“. Dann kannte sich Paulus als belesener Pharisäer in den Schriften bestens aus und war auch noch bestens in der griechischen Philosophie bewandert wie die brillante Rhetorik seiner Briefe und deren Inhalte zeigen. Griechisches Denken bei Paulus kann man am klarsten bei Platon formuliert finden. Platon lebte von 427 bis 347 v. Chr. Er war ein Schüler des Sokrates, der mit seiner einfachen Weltanschauung („Ich weiß, dass ich nichts weiß“) eine gute, bescheidene Lehre in die Welt gebracht hatte, die er jedoch – ebenso wie Jesus – nur mündlich verkündet hatte. Sokrates nahm für seine Botschaft freiwillig die Verurteilung wegen Gotteslästerung auf sich und ließ sich widerstandslos hinrichten (Vergiftung, „Schierlingsbecher“). Platon schrieb die Lehre des Sokrates auf und vermischte sie gehörig mit seinen eigenen Ansichten. Neben theoretischen und von vorneherein unverwirklichbaren Gedankengebäuden Platons zum Thema Staat, Herrschaft und 33 Gerechtigkeit sind seine Ausführungen zum Thema Liebe und Sex von größter Bedeutung. Und in dieser Hinsicht ging es bei den Griechen damals– gelinde gesagt – ja sehr eigenartig zu! Aber lassen wir Platon selbst zu diesem Thema zu Wort kommen (Symposion Paragraph 9, 181a,5 ff): Die Anhänger der irdischen Liebe sind auch in Wahrheit irdisch. Sie denken niedrig und es kommt ihnen nicht darauf an, was sie bewirken. Es lieben nämlich solche die Frauen nicht weniger wie die Knaben; und generell an denen, die sie gerade lieben, mehr den Körper als die Seele; außerdem lieben sie möglichst die Unverständigen, indem sie nur auf die Befriedigung aus sind, völlig egal ob das auf edle Weise geschieht oder nicht… Wahre Liebe aber stammt vom Himmel, der erstens nicht am Weiblichen teilhat, sondern nur am Männlichen und von dem daher auch die Liebe zu Knaben herrührt… Daher wenden sich die von diesem Eros Ergriffenen auch dem männlichen Geschlecht zu und lieben das von Natur aus Verständigere und Stärkere. Und man kann auch bei der Liebe zu Knaben selbst leicht diejenigen unterscheiden, die rein von diesem guten Eros getrieben sind; denn sie lieben nicht Kinder, sondern erst die, die schon vernünftiger geworden sind; und das fällt ungefähr mit der Zeit des ersten Bartwuchses zusammen. Es sind nämlich die, die von diesem Zeitpunkt an zu lieben beginnen, meiner Meinung nach fest dazu entschlossen, mit ihrem Geliebten für das ganze Leben vereinigt zu bleiben und es gemeinsam mit ihm zu verbringen. Sie übertölpeln nicht hinterlistig seine unverständige Jugend und verlachen ihn dann hinterher, wenn sie in die Arme eines anderen entfliehen. Es müsste daher auch ein Gesetz geschaffen werden, das es verbietet, Kinder zu lieben, damit nicht so viel Mühe aufs Ungewisse hin vergeudet wird; denn bei Kindern ist es noch sehr ungewiss, ob ihre weitere seelische und körperliche Entwicklung zuletzt im Guten oder Bösen ausschlägt. Die Edleren legen sich zwar freiwillig diese Beschränkung auf; man müsste sie aber auch den rein sinnlichen Liebhabern aufzwingen, so wie wir sie ja auch nach Kräften zwingen, sich mit ihrer Liebe von frei geborenen Frauen ferne zu halten. Denn diese sind es auch, die jenen schlechten Ruf über die Liebe zu Knaben brachten, indem sie es wagten zu behaupten, es sei schimpflich, wenn die Knaben ihren älteren Liebhabern zu Dienste seien. Ja, das war Platon, und so war seine Zeit: Er unterscheidet zwischen der körperlichen, rein irdischen Liebe, an der er auch die Frauen teilhaben lässt, und der himmlischen, den Leib und die Seele umfassende Liebe, die nur zwischen Männern bzw. zwischen Männern und Knaben existieren kann. In der griechischen Gesellschaft liebten daher Männer nicht nur Männer, sondern am liebsten Knaben. Die Zügellosen, also die, denen es nur um den Sex ging, vergriffen sich an den Knaben schon vor der Zeit des ersten Bartwuchses, die edleren aber spätestens dann. Es gab jedoch auch damals schon Gesetze zum Schutz – aber nicht zum Schutz der Kinder und Jugendlichen, sondern zum Schutz der geilen Alten: Da man damals im Allgemeinen noch keine Unterwäsche trug, hinterließ man beim Sitzen auf dem Boden die Abdrücke seiner Pobacken im Sand oder sonst irgendwo sichtbar auf der Erde. Und für diesen Fall gab es tatsächlich das Gesetz, dass Knaben und junge Männer die Abdrücke ihrer so niedlichen Pobacken nach dem Aufstehen verwischen mussten, damit die älteren Männer, die später daran vorbeigingen, nicht sexuell zu sehr erregt wurden... Aufgrund der durchwegs praktizierten Männer- und Knabenliebe war die griechische Gesellschaft damals auch extrem patriarchalisch: Unter diesen Bedingungen waren die Männer nämlich sogar sexuell autark und nicht einmal mehr für die Befriedigung dieser Bedürfnisse auf die Frauen angewiesen. Und eines wird bei Platon auch klar angedeutet: Die Frauen, die zwar auch lesbisch sein durften, allerdings nicht mit dieser staatlichen Förderung, und deswegen mitunter zu kurz kamen, verunglimpften die Liebe zu Knaben und leisteten Widerstand, worauf die männlichen Gesetzgeber prompt mit weiterem Liebes-Entzug reagieren: „…indem wir sie zwingen, sich mit ihrer Liebe von frei geborenen Frauen fernzuhalten.“ Wie steht der aus dem griechischen Einflussbereich stammende Paulus nun zu Liebe und Sex? 34 Wir lesen in 1. Korinther 11,7: Der Mann ist das Abbild Gottes und spiegelt dessen Herrlichkeit wider. In der Frau dagegen spiegelt sich die Herrlichkeit des Mannes. Denn der Mann stammt nicht von der Frau ab, sondern die Frau vom Mann, denn schließlich wurde der Mann nicht für die Frau erschaffen, sondern die Frau für den Mann. Im 1. Korinther 7,2 heißt es dann: Um Hurerei zu vermeiden, soll jede Frau einen Mann haben und jeder Mann eine Frau… Die Frau verfügt nicht über ihren Leib, sondern der Mann, und ebenso verfügt auch der Mann nicht über seinen Leib, sondern die Frau. … Ich sage das als Zugeständnis, nicht als Gebot. Ich wünschte zwar, alle Menschen wären so wie ich, doch der eine hat halt diese Gabe von Gott, der andere jene. Zu den Unverheirateten und Witwen sage ich: Es ist gut, wenn sie genau wie ich ehelos bleiben. Wenn sie aber nicht enthaltsam leben können, dann sollen sie eben heiraten. Das ist immer noch besser, als vor körperlichem Verlangen zu brennen. Heiraten, um Hurerei zu vermeiden? Heiraten, weil dies besser ist, als vor körperlichem Verlangen zu brennen? Das soll schon alles sein? Paulus gibt an dieser wie an anderen Stellen für eine Heirat ausnahmslos den Grund der körperlichen Triebbefriedigung an. Dass man eine Frau auch aus wahrer Liebe heiraten kann, ist für ihn ebenso wenig vorstellbar wie für Platon. Und genau wie Platon entrückt Paulus den Mann in die Herrlichkeit Gottes, während die Frau für ihn durch und durch irdisch bleibt und nur um ihres Körpers willen geheiratet werden kann. Man darf schon aufgrund dieser Einstellung die Frage stellen (und das gilt für Platon ganz genauso), ob dieser Paulus, der den Mann so über die Frau erhöht und der die Beziehung zur Frau auf die reine Triebbefriedigung reduziert und der der Frau damit die wahre Liebesfähigkeit abspricht(!), ob dieser Paulus wirklich etwas vom wahren Menschsein begriffen hat! offen zu seiner Homosexualität als die für ihn einzige Form der wahren Liebe. Das fiel Platon im damaligen Umfeld, wo mehr oder weniger alle das gleiche praktizierten, natürlich leicht. Für Paulus war das nicht so einfach: Er war Jude, und für diese waren homosexuelle Beziehungen verboten. So kommen in den Paulusbriefen denn auch viele Verurteilungen sowohl heteroals auch homosexueller Handlungen vor. Es ist jedoch sicher, dass Paulus, der sich körperlich nicht zu Frauen hingezogen fühlte, sehr wohl das Begehren kannte: Die Begehren wäre nie in mir erwacht, wenn das Gesetz nicht gesagt hätte: "Du sollst nicht begehren!" Doch die Sünde nutzte die Gelegenheit und stachelte durch das Gebot jede Begierde in mir auf. (Römer 7,7) und gleich darauf gibt er zu: Ich tue nicht das Gute, das ich tun will, sondern ich tue das Böse, das ich nicht tun will. (Römer 7,19). Zwar kann sich Paulus echte Liebe zu einer Frau nicht vorstellen, stattdessen weckt aber – ganz im Geiste Platons – ein junger Mann namens Timotheus sein Verlangen und seine Liebe. Der 2. Brief des Paulus an Timotheus beginnt wie folgt: … an Timotheus, das geliebte Kind: … Ich denke Tag und Nacht an Dich … ich habe Deine Abschiedstränen nicht vergessen und brenne danach Dich wieder zu sehen… Zu keinem anderen ist Paulus in seinen Briefen so persönlich, - und wer unter uns schon einmal verliebt war, weiß, wie sich Verliebt sein erschöpfend beschreiben lässt: Tag und Nacht an den anderen denken und danach brennen, ihn wieder zu sehen… Die sexuelle Ausrichtung jedenfalls kommt bei Platon deutlich zum Ausdruck: Platon war stockschwul und bekannte sich auch 35 18. Eintracht und Verständigung – für Paulus ein Fremdwort Natürlich ist die sexuelle Orientierung jedermanns Privatsache, jedoch nicht bei Paulus, dem vielleicht einflussreichsten Mann der Weltgeschichte, der noch dazu keine Gelegenheit auslässt, anderen Menschen ständig in deren Sexualität hineinzureden. Doch abgesehen von der sexuellen Orientierung – was für ein Mensch war dieser Paulus eigentlich sonst noch? Wie oft bei Menschen ist die Frage nicht auf Anhieb oder in nur einem einzigen Satz zu beantworten und Paulus war eine wahrlich vielschichtige Persönlichkeit! Tasten wir uns nun langsam an Paulus heran, indem wir uns seine Vorgeschichte bis zu seinem ersten Wirken ansehen. Das erste Mal betritt Paulus in der Apostelgeschichte 7,54 die Bühne: Es ist in Jerusalem bei der Steinigung des Stephanus, ein paar Monate nach Jesu Kreuzigung. Aus anderen Städten waren Juden nach Jerusalem gekommen, darunter aus Kilikien, Paulus’ Heimatstadt. Diese fremden Juden waren mit Stephanus in Streit geraten, unterlagen ihm im Streitgespräch jedoch. Daraufhin zettelten diese Männer eine Intrige an und brachten ihn mit falschen Vorwürfen vor den Hohen Rat. Dort hält Stephanus eine flammende Rede und greift dabei – ganz im Sinne Jesu – die religiösen Führer seiner Zeit an: „Ihr Unbelehrbaren und Unbeschnittenen! Ihr Unbeschnittenen an Herz und Ohren! Ständig widersetzt Ihr Euch dem Heiligen Geist - genauso wie Eure Väter. Gibt es einen Propheten, den Eure Väter nicht verfolgt haben? Sie haben sogar die getötet, die das Kommen des Gerechten ankündigten - des Gerechten, den Ihr verraten und ermordet habt!“ (Apostelgeschichte 8.3) Das war zuviel: Sie treiben Stephanus aus der Stadt hinaus und lynchen ihn unter Paulus’ Aufsicht. Somit wurde Stephanus der erste christliche Märtyrer und Paulus war die treibende Kraft. Doch damit hatte Paulus erst einmal nur Blut geleckt, denn es heißt in der Apostelgeschichte 8.3 weiter: Saulus wollte die Versammlung in Jerusalem vernichten. Überall durchsuchte er die Häuser nach Gläubigen und ließ Männer wie Frauen fortschleppen und ins Gefängnis bringen. Der Rest dieses Kapitels beschäftigt sich dann mit den ersten kleinen Missionsreisen der Apostel ins nähere Umland und wie beliebt diese dort überall waren. Zurück zu Paulus: Die Apostelgeschichte fährt in 9,1 fort: Saulus, der immer noch Morddrohungen gegen die Jünger des Herrn ausstieß, ging zum Hohenpriester und bat um Beglaubigungsschreiben an die Synagogen von Damaskus. Diese Briefe sollten ihn bevollmächtigen, auch dort Männer und Frauen aufzuspüren, die Anhänger des neuen Weges waren. So wie es aussieht, war Paulus tatsächlich der erste Christenverfolger, und auch der erste Märtyrer ist nur dem paulinischen Fanatismus zu verdanken gewesen! Auf dem Weg nach Damaskus erfährt Paulus eine wundersame Wandlung und sofort legt er mit verwundernder Behendigkeit in der entgegengesetzten Richtung los: Er wird in Damaskus zum Anhänger Jesu. Das heißt, konkret verkündet Paulus erst einmal, dass Jesus d e r Sohn Gottes sei. Die Apostelgeschichte beschreibt das in Kapitel 9,19 wie folgt: Saulus war erst einige Tage bei den Jüngern in Damaskus, da predigte er auch schon in ihren Synagogen, dass Jesus der Sohn Gottes ist. Alle, die ihn hörten, waren entsetzt. „Ist das nicht der Mann, der in Jerusalem unter allen, die diesen Namen anrufen, verheerend gewütet hat?“, sagten sie. „Und ist er nicht hierher gekommen, um sie als Gefangene den Hohenpriestern zu überstellen?“ Saulus aber trat umso entschiedener auf und brachte die Juden von Damaskus in Verwirrung, weil er ihnen beweisen konnte, dass Jesus der Messias ist. Als nun ziemlich viele Tage vergangen waren, fassten die Juden den Entschluss, Saulus zu töten, doch er hatte davon erfahren. 36 Sie bewachten daher Tag und Nacht die Stadttore, um ihn nicht entfliehen zu lassen. Seine Anhänger aber ließen ihn eines Nachts in einem Korb die Stadtmauer hinab. Als Saulus wieder in Jerusalem war, versuchte er, sich dort den Jüngern anzuschließen. Aber sie alle hatten Angst vor ihm, weil sie nicht wirklich glaubten, dass er nun ein Jünger war. Da nahm sich Barnabas seiner an. Er brachte ihn zu den Aposteln und erzählte ihnen, wie Saulus auf der Straße den Herrn gesehen und wie der Herr zu ihm gesprochen hatte. Er berichtete auch, wie offen und frei Saulus in Damaskus für den Namen von Jesus eingestanden war. Von da an ging Saulus bei den Jüngern in Jerusalem ein und aus und trat mit ihnen zusammen offen im Namen des Herrn auf. Er redete und stritt auch mit den griechisch sprechenden Juden. Doch dann versuchten auch diese ihn umzubringen. Als die Brüder in der Gemeinde das erfuhren, brachten sie ihn nach Cäsarea und schickten ihn von dort zurück nach Tarsos. Daraufhin erlebte die Gemeinde in ganz Judäa, Galiläa und Samarien eine friedliche Zeit. Es ist ganz klar: Wohin dieser fanatische Paulus kommt, sät er Unfrieden und erntet nicht nur Ablehnung, sondern sogar Hass, der ihn mehrmals fast das Leben gekostet hätte. Und so kehrt erst wieder Ruhe in der Gemeinde ein, als Paulus weg ist, und – da ist die Apostelgeschichte ganz eindeutig: Die Ruhe in der Gemeinde kehrt ein, w e i l Paulus wieder weg ist. Der Friede währt nicht lange: Die Heidenmission der Jerusalemer Gemeinde macht Fortschritte und Barnabas, der schon mal für Paulus eingetreten ist, macht auf einer Missionsreise nach Antiochia einen Abstecher nach Tarsos. Dann heißt es weiter: Als Barnabas Saulus gefunden hatte, nahm er ihn mit nach Antiochia. Ein Jahr lang lebten sie dort in der Gemeinde und lehrten viele Menschen. In Antiochia wurden die Jünger übrigens zum ersten Mal Christen genannt. (Apostelgeschichte 11,26). Nur eine unscheinbare Randbemerkung, dieses „zum ersten Male Christen genannt“, doch sie ist von eminenter Tragweite: Mit dieser eigenen Benennung wird die Abspaltung des Christentums vom Judentum eingeleitet – und auch bei diesem Schisma steht Paulus an vorderster Front! 37 19. Ein merkwürdiger Heiliger Paulus war also ein von großem Sendungsbewusstsein getriebener Unruhestifter – und wir werden seinem Wesen noch um einiges näher kommen, wenn wir uns genauer anschauen, was und wie er lehrt. Zum einen – das haben wir schon gesehen – lehrte Paulus die absolute Herrschaft des Mannes über die Frau. Ein Dauerbrenner in der Weltgeschichte, der gerade auch im römischen Reich, in das so überaus vielfältige Kulturen von allen Seiten einflossen, stets up to date war. Unter den eroberten Kulturen waren nämlich auch weit weniger patriarchalisch organisierte Völker wie zum Beispiel die Kelten, die Räter und allen voran die Etrusker. Hier galt es dem Vordringen der Frau in die heile griechische Männerwelt entschiedenen Widerstand entgegenzusetzen! Dafür fand Paulus bei den ebenfalls patriarchalisch organisierten Juden auch ein offenes Ohr. Im Sinne Jesu war diese absolute Herrschaft des Mannes über die Frau allerdings sicher nicht! Außerdem geht Paulus mit dem Versprechen hausieren, dass die Menschen, die sich zu Jesus bekehren würden, nicht mehr krank würden und auch nicht mehr würden sterben müssen! Bald jedoch wurden er und die von ihm bekehrten Menschen natürlich eines Besseren belehrt. Doch was macht Paulus, als er mit der Nachfrage konfrontiert wird, warum Menschen, die sich zu Jesus bekehrt hatten, nun doch gestorben seien: Gibt er seinen Irrtum zu? Als Erklärung für den Tod der Menschen behauptet Paulus hier doch tatsächlich, sie mussten sterben, weil sie im Gottesdienst unandächtig gewesen waren, oder anders ausgedrückt: Gott bestrafe Unandächtigkeit im Gottesdienst mit dem Tode! Kann man sich einen größeren Unfug vorstellen? Überhaupt ist verwunderlich, dass Paulus, der an vielen Stellen solch haarsträubenden Unsinn von sich gibt, nicht ebenso wie so vieles andere bei den Apogryphen des Neuen Testamentes gelandet ist. Das sind die verworfenen Bücher, die man nicht in die Bibel aufnahm. Dort hätte er als allererster hingehört! An dieser Stelle ist noch zu erwähnen, dass den zwölf Aposteln mit Krankheit und Tod ein ähnliches Missgeschick passiert ist, allen voran Petrus, doch schoben diese den Schwarzen Peter wenigstens nicht so frech anderen und sogar Gott selber zu! Generell sollte man im Bewusstsein behalten, dass Paulus bei Heiden missionierte und dass diese bis dato von der Existenz Jesu nicht die geringste Ahnung hatten. Dass da wieder einmal einer, der sich für den Messias hielt, in Jerusalem hingerichtet worden war, drang niemals bis zu den Menschen in Korinth, Ephesus oder Thessaloniki vor. Dazu waren solche Vorgänge im römischen Reich viel zu wenig sensationell. Paulus hatte also tatsächlich völlig freie Hand, was die Verkündigung von Jesu Botschaft anging; niemand konnte ihn korrigieren oder zur Rede stellen – und das nutzte er weidlich aus. In seinen Briefen stellt Paulus zum Beispiel die Schuldfrage für die Kreuzigung „richtig“. Dabei gibt Paulus ganz ungeniert den Juden die Schuld: Seine Antwort lesen wir in seinem 1. Brief an die Korinther in Kapitel 11,28: Die Juden haben unseren Herrn Jesus und auch die Propheten getötet, sie haben uns verfolgt, sie gefallen Gott nicht und sind mit allen Menschen verfeindet. (1. Thessaloniker 2, 15) Jeder prüfe sich also selbst, bevor er vom Brot isst und aus dem Kelch trinkt! Denn wer isst und trinkt, ohne es sich bewusst zu machen, dass dies der Leib des Herrn ist, isst und trinkt sich zum Gericht. Aus diesem Grund sind ja viele von Euch schwach und krank geworden, und nicht wenige sind schon gestorben. – eine glatte Lüge, die Paulus hier in die Welt setzt und die bei den späteren Judenverfolgungen, die stets mit der Begründung „Die Juden sind Gottesmörder“ unter Berufung auf genau diese Paulusstelle legitimiert wurden, allerschlimmste Konsequenzen nach sich zog! 38 Es waren nicht „die Juden“, die Jesu Tod auf dem Gewissen hatten, sondern andere, wie man in der Bibel leicht nachlesen kann, wenn man das will. Auf jeden Fall in den Evangelien und auch in der Apostelgeschichte Kapitel 8,52, wo Stephanus in seiner Rede vor dem Hohen Rat die Schuld richtigerweise den religiösen Führern zuweist: waren ausnahmslos die Drahtziehenden Schriftgelehrten und Pharisäer sowie die Leute, die mit diesen solidarisch waren. Nein, lieber Paulus, die Schuld an der Kreuzigung Jesu tragen ausschließlich Deine Kollegen in Jerusalem und die paar wenigen Schreihälse, welche sich von ihnen zur Stimmungsmache gegen Jesus engagieren ließen, und nicht „die Juden“! „…den Ihr verraten und ermordet habt!“ (Apostelgeschichte 8.3) Und hierin sehen wir schon eine der ganz infamen Verdrehungen, die Paulus noch an vielen anderen Stellen einstreut und die ihn als heimtückischen Lügner entlarven. Hier bei dieser Stelle ist allerdings noch zu fragen, ob als Motivation zu dieser pauschalen Falschverurteilung der Juden die Ablenkung von eigener Schuld tatsächlich ausreichend ist. Wir werden darauf bei anderer Gelegenheit noch einmal zurückkommen! „Die Juden“ hatten Jesus noch wenige Tage vor seinem Tod einen triumphalen Empfang bereitet! Den Tod leiteten dann die Schriftgelehrten und Pharisäer ein – also Paulus’ eigene Zunft! Dabei gingen sie sehr heimtückisch vor, indem sie einen seiner Apostel, Judas Iskariot, kauften und dann Jesus mitten in der Nacht nach jenem tollen Fest, welches das Passahfest darstellte und bei dem sehr viel gegessen und getrunken wurde, in ihre Gewalt brachten. Das Vorgehen war sehr durchdacht: Jesu Verhaftung erfolgte erst nach dem Ende dieses berauschenden allgemeinen Festes, also deutlich nach Mitternacht. Wenn man die Zeit von diesem Punkt an über das Verhör vor dem Rat der Hohenpriester, die Überstellung zu Pilatus, dessen Verhör dort, seine Geißelung und Verurteilung bis zum Weg hinauf nach Golgatha und zur Kreuzigung grob überschlägt, bleibt kein Spielraum für Gegenmaßnahmen: Jesus hing bereits um 9 Uhr am Kreuz und der Weg hinauf nach Golgatha mit dem Kreuz dauert eine Stunde. Die entscheidende Phase, also der Zeitpunkt, an dem die Juden schrien: „Ans Kreuz mit ihm!“, worauf Pilatus dann nachgab, muss sich etwa um 7 Uhr morgens abgespielt haben – zu einer Zeit, die nach einem großen allgemeinen Fest die Ruhigste ist. Wir brauchen uns nur bei uns am Neujahrsmorgen um 7 Uhr die menschenleeren Straßen anzuschauen, dann können wir uns ein bisschen ein Bild machen, wie die Situation damals war. Ein wirklich idealer Zeitpunkt: Zufällige Passanten gab es kaum und wenn, dann waren die wahrscheinlich nicht in bester Verfassung, und Anhänger Jesu, die für ihn in die Bresche hätten springen können, waren über diese dermaßen kurzfristige Verhaftung und Aburteilung nicht informiert worden. Informiert über die Verhandlung bei Pilatus Auf jeden Fall neigt Paulus gerne zu Pauschalurteilen und lässt keine Gelegenheit aus, Vorurteile zu stärken und Menschen in einen Topf zu werfen. Eine besonders üble Stelle ist Titus 1,10: Es gibt ja viele Widerspenstige, Schwätzer und Schwindler, die sich nicht unterordnen wollen, besonders unter den Christen, die sich früher beschneiden ließen. Ihnen muss man den Mund stopfen, weil sie ganze Haushalte mit ihren ungehörigen Lehren durcheinander bringen, und das nur in der schändlichen Absicht, sich zu bereichern. Ein Prophet der Kreter sagte einmal: „Die Kreter sind schon immer Lügner gewesen, wilde Bestien und faule Bäuche!“ Er hat die Wahrheit gesagt. Am liebsten sind Paulus aber die Frauen. Nehmen wir als weiteres Beispiel für seine Frauenfeindlichkeit eine von ihm in die Wege geleitete Witwenrente. Hintergrund ist die erfolgreiche Einführung einer Witwenrente in der Jerusalemer Gemeinde, worauf Paulus sich genötigt fühlt, auch in seinen Gemeinden Witwenrenten einzuführen. Doch den Frauen etwas freimütig und von Herzen zukommen lassen? – Nicht mit Paulus! In einem persönlichen Brief an seinen Freund Timotheus baut Paulus unglaubliche moralische Hürden für eine Unterstützung auf, und dabei ist auch noch zu 39 bedenken, dass die Altersangabe von 60 Jahren aufgrund der damals viel kürzeren Lebenserwartung heutzutage tatsächlich einem Alter von etwa 80 Jahren entspricht: Das ist mir aber die rechte Witwe, welche einsam ist und ihre Hoffnung auf Gott setzt und Tag und Nacht nicht mehr aufhört zu beten. Die Witwe jedoch, die an sinnlicher Befriedigung Gefallen findet, die ist schon bei lebendigem Leibe tot… Lass keine Frau in das Witwenverzeichnis aufgenommen werden, die jünger als 60 Jahre ist, und sie muss ihrem Mann stets treu gewesen sein. Darüber hinaus muss sie dafür bekannt sein, dass sie Gutes tat, dass sie Kinder aufgezogen hat und dass sie gastfreundlich war. Sie muss den (männlichen) Gemeindemitgliedern die Füße gewaschen und den Menschen in Not geholfen haben. Überhaupt muss die in das Verzeichnis aufzunehmende Witwe sich in jeder Hinsicht bemüht haben, Gutes zu tun. Jüngere Witwen weise ab! Denn wenn sich ihre sexuellen Gelüste zwischen sie und Christus drängen, ist es möglich, dass sie das Versprechen vergessen, das sie Christus gegeben haben, als sie in das Verzeichnis aufgenommen wurden. Dann wollen sie wieder heiraten und haben das Urteil auf sich geladen, ihrem vorher gegebenen Versprechen untreu geworden zu sein. Darüber hinaus werden sie faul und gewöhnen es sich an, in den Häusern andrer herumzusitzen. Sie werden geschwätzig, mischen sich in fremde Angelegenheiten und reden über Sachen, die sie nichts angehen. (1. Timotheus 5,5) Dieser Text bietet eine Fülle von Möglichkeiten zur FeinAnalyse, die wir hier aber nicht näher wahrnehmen können. Beachten sollte man aber die Passagen, „das Versprechen, das sie Christus gegeben haben“ und „Ich will daher…“: Von einer Forderung Christi, dass Witwen zölibatär zu leben haben, ist überhaupt nichts bekannt, und „Daher will ich …“ ist nichts anderes als der Wille des Paulus, den er dank seiner Selbst-Definition als Apostel den Mitmenschen aufzuzwingen versucht. Und dieser Wille des Paulus ist grausam und gewiss nicht im Sinne Jesu: Was geschieht zum Beispiel mit den Witwen, die diesen Forderungen des Paulus nicht genügen? In der Tat wimmeln die Paulusbriefe von solchen Stellen, wo er sagt: Ich will das so oder so – mal mit der Begründung, es sei ihm direkt von Gott eingegeben, mal mit der Begründung, es sei zwar auf seinem eigenen Mist gewachsen, aber weil er von Gott als Apostel auserwählt worden sei, sei es gleichsam auch von Gott und man möge daher bitteschön seine Ansichten entsprechend ernst nehmen. Auf diese Weise erreicht Paulus eine Macht über das Seelenleben anderer Menschen, die bisher in der Antike ihresgleichen sucht und genau das Gegenteil von dem ist, was Jesus im Sinne hatte. Kein Wunder deshalb auch, dass Paulus sich im Bewusstsein seiner Macht rundherum wohl fühlt und immer wieder mit Blick auf seine armseligen sündigen Mitmenschen seufzt: Ich wollte, es wären alle so wie ich! (1. Korinther 7,7; Galater 4,12, Phillipper 3,17) Es ist jedoch eine psychologische Alltagsweisheit, dass eigenes Wohlbefinden, das die Macht über andere als Voraussetzung hat, normalerweise mit einer in sich völlig unsicheren und oft gespaltenen Persönlichkeit einhergeht. Finden wir auch dazu etwas in den Paulusbriefen? Ja, und zwar Überreichliches im Römerbrief! Vorbemerkung: Der Römerbrief ist der letzte Brief von Paulus, den er mit etwa 60 Jahren schrieb. Paulus ergeht sich zunächst über „das Gesetz“, also im Wesentlichen über die 10 Gebote – eine ethisch wertvolle Stelle in der Bibel, die auch heute noch die Grundlage der Menschenrechte bildet. Paulus schreibt über das Gesetz in Kapitel 7, Vers 12: Das Gesetz ist heilig, und seine Gebote sind heilig, gerecht und gut. und kurz darauf in Vers 14: Wir wissen ja, dass das Gesetz vom Geist Gottes erfüllt ist. Ab Vers 15 heißt es nun weiter: Ich verstehe ja selbst nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht das, was ich will, sondern das, was ich hasse. Wenn ich aber das tue, was ich gar nicht tun will, gebe ich dem Gesetz Recht und nenne 40 es gut. Dann aber bin nicht mehr ich es, der handelt, sondern es handelt die Sünde, die in mir wohnt. Denn ich weiß, dass in mir, also in meiner Natur, nichts Gutes wohnt. Es fehlt mir nicht am Willen, aber ich bringe es nicht fertig, das Gute zu tun. Ich tue nicht das Gute, das ich tun will, sondern das Böse, das ich nicht tun will. Wenn ich aber das tue, was ich gar nicht will, dann bin nicht mehr ich der Handelnde, sondern die Sünde, die in mir wohnt. Ich stelle also ein Gesetz des Bösen in mir fest, obwohl ich doch das Gute will. Denn nach meiner inneren Überzeugung stimme ich dem Gesetz Gottes mit Freuden zu, aber in meinen Gliedern wirkt ein anderes Gesetz, das mit dem Gesetz in meinem Innern in Streit liegt und mich zu seinem Gefangenen macht... Es gilt also beides: Meiner inneren Überzeugung nach diene ich dem Gesetz Gottes, meiner Natur nach aber bin ich dem Gesetz der Sünde ausgeliefert. Es gibt daher kein Verdammungsurteil mehr für die, die eins mit Christus geworden sind. Denn das Gesetz des Geistes, das Dich mit Jesus Christus zum Leben führt, hat Dich von dem Gesetz befreit, das nur Sünde und Tod bringt. trotz dieser Erkenntnisfähigkeit nicht immer ausnahmslos das Gute tut, deswegen ist der Mensch von Natur aus noch lange nicht nur böse! Auch an dieser Stelle bringt Paulus, rhetorisch sehr geschickt, durch die Verdrehung einer Nuance einen ganz anderen Sinn in die Aussagen der Bibel: Aus „auch das Böse“ wird „nur das Böse“, das der Mensch tut. „Denn ich weiß, dass in mir, also in meiner Natur, nichts Gutes wohnt“ – ein hoffnungsloser Satz, mit dem Paulus uns nichts anderes sagen will als: „Der Mensch ist in seinem Innern durch und durch schlecht.“ Es ist der hoffnungslose Satz eines Mannes, der mit sich selbst nicht zu Recht kommt, der innerlich zutiefst zerrissen ist; der zugleich aber auch zutiefst von sich eingenommen ist und der sich wünscht, dass alle Menschen so sein sollen wie er! Mit Sicherheit aber scheint Paulus ein völlig reines Gewissen zu haben, denn er schiebt die Schuld für die Schlechtigkeiten, die er tut, einmal auf die Sünde, die ihn ergriffen habe und die nun an seiner Stelle handelt, und dann wieder auf das Gesetz Gottes, „das nur Sünde und Tod bringt“! Und auch in der folgenden Stelle, Galater 2,11, geht es wieder um die Beschneidung, allerdings nicht nur allein: Was meinen Sie? Wäre es wirklich wünschenswert, dass alle Menschen so sind wie dieser Paulus? Sollte an Paulus’ Wesen wirklich die Welt genesen? Gewiss nicht, solche Versuche hatten wir schon öfter, nicht nur bei Paulus, und sie brachten allesamt Unglück über die Welt. Laut Bibel ist der Mensch Gottes Ebenbild, und bloß weil er gelernt hat, Gut und Böse voneinander zu unterscheiden und er Betrachten wir uns die Natur des Paulus noch ein wenig weiter, sie ist ungeahnt facettenreich: Paulus ist ein vehementer Gegner der Beschneidung und nennt sie in Philipper Kapitel 3,2 Verstümmelung: Doch nehmt Euch in Acht vor diesen schadenstiftenden Kötern, den falschen Propheten der Verstümmelung! Als aber der Stein (gemeint ist Petrus) nach Antiochia kam, musste ich ihn öffentlich zur Rede stellen, weil er sich unrecht verhalten hatte. Zuerst hatte er ohne Bedenken zusammen mit den Nichtjuden gegessen. Als dann aber einige Leute von Jakobus kamen, zog er sich aus Furcht vor diesen Verfechtern der Beschneidung von diesen gemeinsamen Mahlzeiten zurück. Auch die anderen Juden in der Gemeinde hatten sich von dieser Heuchelei anstecken lassen. Sogar Barnabas folgte seinem Beispiel. Als ich merkte, dass sie nicht mehr auf dem geraden Weg des Evangeliums wandelten, sagte ich in aller Öffentlichkeit zu dem Stein: "Wenn Du als Jude wie ein Nichtjude lebst, warum zwingst Du dann Nichtjuden, jüdisch zu leben?" Das klingt natürlich gut: So ehrfurchtslos den obersten Apostel vor allen anderen wegen einer Heuchelei zur Rede zu stellen – und dann noch diese verächtliche Titulierung: Über Petrus, der eigentlich „der Fels“ heißt, nur als „den Stein“ zu reden. Doch was macht Paulus selbst mit Timotheus, seinem Begleiter und innigstem Vertrauten? Ungläubig lesen wir in Kapitel 16.2 der Apostelgeschichte: 41 Timotheus hatte einen guten Ruf unter den Lystranern und zu Ikonion. Diesen bat Paulus sich mit ihm auf die Reise zu begehen, und er beschnitt Timotheus wegen der Juden, die dort lebten; denn sie wussten alle, dass sein Vater ein Grieche gewesen war! Hier Petrus, der aus Furcht vor Jakobus (dem leiblichen Bruder Jesu!) nicht mit den Nichtjuden speist, was damals ja offiziell verboten war, und der von Paulus deshalb in aller Öffentlichkeit gerügt wird – und dort Paulus, der viel Schlimmeres tut: Er legt persönlich an Timotheus Hand an und verstümmelt ihn, und das aus Berechnung oder Furcht vor lediglich einigen ganz normalen Juden im Ort! Überhaupt scheint Paulus von einem grenzenlosen Opportunismus beseelt! Im Korintherbrief 9,19 schreibt er: Denn obwohl ich in allem frei bin, habe ich mich zum Sklaven für alle gemacht, um so viele wie möglich zu gewinnen. Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, um Juden zu gewinnen. Unter denen, die nach dem Gesetz leben, lebte ich nach dem Gesetz, obwohl ich doch mein Heil nicht vom Gesetz erwarte, nur um sie zu gewinnen. Bei Menschen, die ohne das Gesetz sind, lebe ich nicht nach dem Gesetz, um sie für Christus zu gewinnen, obwohl ich keineswegs ohne Gesetz bin, ich stehe ja unter dem Gesetz Christi. Den Schwachen bin ich wie ein Schwacher geworden, um die Schwachen zu gewinnen. Ich bin allen alles geworden, um unter allen Umständen wenigstens einige zu retten. Vor denen, die nach den 10 Geboten leben, zu tun, als heiße man das gut, und vor denen, die sich nicht nach ihnen richten, zu tun, als lehne man sie ab? Das soll Gott gefällig sein? Hier ist im Keim schon deutlich die spätere Pharisäerhaftigkeit spürbar, mit der „christliche“ Missionare die Lehre des Paulus in die Welt tragen und die christliche Würdenträger viel zu oft an den Tag legen – eine Scheinheiligkeit, die Jesus stets bei den Pharisäern und Schriftgelehrten bekämpfte und ihn mehr als einmal zu den saftigsten Schimpfworten veranlasste. Sodann scheint Paulus überhaupt gern zu prahlen und zu lügen, was ja beides oft Hand in Hand geht. In Galater 1,15 tönt er: Aber Gott hatte mich schon im Mutterleib auserwählt und in seine Gnade berufen. Als es ihm gefiel, mir seinen Sohn zu offenbaren, damit ich die gute Botschaft von ihm unter den Nichtjuden bekannt machte, habe ich nicht erst andere Menschen um Rat gefragt. Ich reiste nicht einmal nach Jerusalem zu denen, die schon vor mir Apostel waren, sondern ging nach Arabien und kehrte wieder nach Damaskus zurück. Erst drei Jahre später kam ich nach Jerusalem, um Petrus zu treffen. 15 Tage blieb ich bei ihm. Von den anderen Aposteln aber sah ich außer Jakobus, den Bruder des Herrn, keinen. Was ich Euch hier schreibe - ich versichere es vor Gott -, ist die reine Wahrheit. Danach war ich in der Gegend von Syrien und Kilikien. Den christlichen Gemeinden in Judäa blieb ich persönlich unbekannt. Abgesehen von der prahlerischen Selbst-Erhöhung durch die persönliche pränatale Auserwählung durch Gott liest sich der Bericht über Paulus’ Rückkehr aus Damaskus an einer anderen Stelle der Bibel wie folgt (Apostelgeschichte 9,27): Da nahm sich Barnabas seiner an. Er brachte ihn zu den Aposteln … Von da an ging Saulus bei ihnen aus und ein. Mit ihnen zusammen trat er mutig im Namen des Herrn auf. Er redete und stritt auch mit den griechisch sprechenden Juden … Als die Brüder das erfuhren, brachten sie ihn nach Cäsarea und schickten ihn von dort zurück nach Tarsos. Von da an erlebte die Gemeinde in ganz Judäa, Galiläa und Samarien eine friedliche Zeit. „Was ich Euch hier schreibe – ich versichere es vor Gott –, ist die reine Wahrheit.“ – Das ist sie wohl schwerlich! Und außerdem verschwieg Paulus auch noch das unrühmliche Ende seines ersten Aufenthalts in Judäa… Doch für Paulus Hang zur angeberischen Selbstinszenierung gibt es noch weitere Beispiele. Was halten Sie davon? Ich muss mich weiter rühmen. Zwar nützt es keinem, trotzdem will ich auf übernatürliche Visionen und Offenbarungen des Herrn zu sprechen kommen. Ich kenne jemanden (damit meint Paulus sich selbst), der in enger Verbindung mit Christus lebt und vor vierzehn Jahren – vielleicht sogar körperlich – bis in den 3. Himmel entrückt wurde. Ich kenne einen solchen Menschen! 42 Ob das körperlich oder nur im Geist geschah, weiß ich allerdings nicht. Das weiß nur Gott. Jedenfalls weiß ich von dem Betreffenden, dass er bis ins Paradies entrückt wurde und dort unsagbare Worte hörte, die ein Mensch nicht aussprechen darf. Für den will ich mich rühmen, im Blick auf mich aber rühme ich mich nur für meine Schwachheiten. Wenn ich mich aber doch rühmen wollte, wäre ich trotzdem nicht unvernünftig, denn ich würde ja die Wahrheit sagen. (2. Korinther 12,1) oder davon: Wir Apostel stehen wegen Christus als Deppen da, aber Ihr seid wegen Christus klug; wir sind schwach, Ihr aber seid stark; Ihr steht in gutem Ruf, wir aber sind verachtet. Bis zu diesem Augenblick leiden wir ununterbrochen an Hunger und Durst und haben nicht genug anzuziehen, wir werden umher gestoßen und haben kein Zuhause. Wir mühen uns ab, in dem wir mit unseren eigenen Händen arbeiten. Wenn wir beschimpft werden, segnen wir, wenn man uns verfolgt, halten wir stand. Verhöhnt man uns, antworten wir freundlich. (1. Korinther 4, 10) Die zwei letzten Sätze mit dem „segnen“ und dem „freundlich antworten“ sind besonders interessant, gerade, wenn man sie mit der Schlussbemerkung des 1. Korintherbriefs vergleicht: Paulus hatte diesen Brief einem Schreiber diktiert, konnte es aber dann nicht lassen, ganz zum Schluss einen „Gruß“ von eigener Hand hinzuzufügen. Und dieser „Gruß“ war so gottlos, dass Luther in seiner berühmten Bibelübersetzung von 1545 nicht wusste, wie er das der Allgemeinheit beibringen bzw. ob er ihn überhaupt übersetzen sollte! Luther übersetzte dann so: Jch Paulus grüsse Euch mit meiner Hand. So jemand den Herrn Jhesu Christ nicht lieb hat / der sey Anathema Maharam MothaBann auff deudsch / Anathema / auff Griechisch / Maharam / auff Ebreisch / ist ein ding. Moth aber heisset tod. Wil nu S. Paulus sagen / Wer Christum nicht liebet / der ist verbannet zum tode. Vide Leu. Man bemerkt hier klar die bewusst verschleiernde Übertragung dieses Bibeltextes ins Deutsche. Doch übersetzen wir einfach das, was Paulus geschrieben hat, wörtlich, so lesen wir: Der Gruß von des Paulus eigener Hand: Wer den Herrn nicht liebt, der sei ein verfluchter Mensch! Herr, komm! Überhaupt verfluchte Paulus die anderen besonders gerne und er macht nicht einmal davor halt, die Engel im Himmel in seine Verfluchungen einzubeziehen; in Galater 1,8 schreibt er: Aber nicht einmal wir selbst oder ein Engel aus dem Himmel darf Euch etwas als Evangelium verkünden, das dem widerspricht, was wir Euch gebracht haben. Wer das tut, soll verflucht sein! Und unmittelbar danach: Ich sage es Euch noch einmal: Wer Euch etwas als Evangelium verkündigt, was dem widerspricht, das Ihr empfangen habt, der soll verflucht sein! Verblüffend widersprüchlich sind auch die Darstellungen von Paulus über den Verdienst seines Lebensunterhalts: Apostelgeschichte 20,33: Nie habe ich Geld oder Kleidung von jemand gefordert. Ihr wisst, dass diese meine Hände für alles gesorgt haben, was ich und meine Begleiter zum Leben brauchten. Braver Paulus! Recht so! Auch die Aussage im 1. Korinther 4,12 klingt sehr ordentlich: Wir plagen uns, indem wir mit unseren eigenen Händen arbeiten. Und dann erst diese Selbstlosigkeit im 1. Korinther 9,9: Im Gesetz des Mose steht geschrieben: "Du sollst einem Ochsen, der drischt, nicht das Maul zubinden." Kümmert sich Gott etwa um die Ochsen oder sagt er das nicht vielmehr uns? Ja, es wurde für uns geschrieben. Jeder, der pflügt und drischt, darf damit rechnen, seinen Anteil an der Ernte zu erhalten. Wenn wir 43 geistlichen Samen unter Euch ausgesät haben, ist es dann zu viel erwartet, wenn wir Gaben des Fleisches von Euch ernten? Andere nehmen dieses Recht in Anspruch und lassen sich von Euch versorgen. Hätten wir das nicht erst recht tun können? Dessen ungeachtet haben wir keinen Gebrauch von unserem Recht gemacht. Wir nehmen lieber alle Mühen und Entbehrungen auf uns, damit wir dem Evangelium von Christus kein Hindernis bereiten. Oder wisst Ihr nicht, dass die Männer, die im Tempel Dienst tun, auch von den Einkünften des Tempels leben? Ebenso hat auch der Herr angeordnet, dass die, die das Evangelium verkünden, auch vom Evangelium leben sollen. Doch ich hab von keinem dieser Rechte Gebrauch gemacht. Ich schreibe das auch nicht, weil ich jetzt davon Gebrauch machen will. Und ich würde lieber sterben, als dass man mir meinen Ruhm zunichte macht! Leider Lügen, alles Lügen! In Philipper 4,15 beschreibt Paulus, dass er sich von Anfang an bezahlen ließ und mit welcher Freude er weitere Geldzuwendungen entgegennimmt! Ihr wisst ja, dass Ihr Philipper am Beginn meines Dienstes…, die einzige Gemeinde wart, die mich finanziell unterstützte. Schon nach Thessalonich sandtet Ihr mir oft Hilfe. Nicht dass ich es auf Euer Geld abgesehen hätte; ich will nur, dass Euer Guthaben Zinsen trägt. Derzeit habe ich alles, was ich brauche. Es ist mehr als genug. Durch das, was mir Epaphroditus von Euch gebracht hat, bin ich reichlich versorgt. Diese Gabe ist wie Wohlgeruch, ein annehmbares Schlachtopfer, das Gott sehr erfreut. Allerdings, das muss man Paulus lassen, er nimmt nicht von jedem Geld! Im 2. Korintherbrief 11, 8 steht: Andere Gemeinden habe ich ausgeplündert. Ich habe Geld von ihnen angenommen, um damit Euch zu dienen. Und als ich bei Euch in finanzielle Not geriet, fiel ich niemand zur Last, denn die Brüder, die aus Mazedonien kamen, gaben mir in Fülle, was ich zu wenig hatte. Ich bin Euch nie zu Last gefallen und werde das auch in Zukunft nicht tun. So gewiss die Wahrheit von Christus in mir ist: Diesen Ruhm wird mir in Achaja keiner nehmen können! Und sarkastisch fügt er wenig später hinzu, 2. Korinther 12,13: Denn in welcher Hinsicht seid Ihr denn im Vergleich mit den anderen Gemeinden zu kurz gekommen? Das Einzige ist, dass ich Euch nicht zur Last gefallen bin. Verzeiht mir dieses Unrecht! Dann gibt es noch viele Stellen, wo Paulus sichtlich übertreibt: Im 1. Korinther 15,31: Bei unserm Ruhm, den ich in Christus Jesus, unserem Herrn, habe, ich sterbe täglich! Im 2. Korintherbrief 11, 17 lesen wir: Was ich jetzt sage, will der Herr nicht, sondern ich rede in der Rolle des Narren, wie sie dem Prahlhans zukommt. Und weil so viele sich ihres Körpers rühmen, will ich das auch einmal tun! Und weiter in Vers 23: Ich sage als einer, der von Sinnen ist: Ich habe weit mehr Mühsal auf mich geladen, bin öfter im Gefängnis gewesen, viel mehr im Übermaß geschlagen worden und war häufiger in Todesgefahr. Fünfmal habe ich von den Juden die 39 Schläge bekommen. Dreimal wurde ich mit Ruten geprügelt, und einmal bin ich gesteinigt worden. Dreimal erlitt ich Schiffbruch. Eine Nacht und einen Tag habe ich in der Tiefe des Meeres zugebracht. Ich habe viele Reisen gemacht und kam in Gefahr durch Flüsse und in Gefahr durch Räuber. Ich wurde bedroht durch mein eigenes Volk und durch fremde Völker, kam in Gefahr in der Stadt, in Gefahr in der Wüste, in Gefahr auf dem Meer und in Gefahr durch falsche Brüder. Wie oft ertrug ich Not, Mühsal und schlaflose Nächte; ich litt Hunger und Durst und ertrug Kälte und Nacktheit. Schlimm, was der Arme alles durchmachte! Doch hatte er viele Anfeindungen wegen seines unverträglichen Charakters sich selbst zuzuschreiben, und was die ganzen Schiffsbrüche und Räuberüberfalle betrifft: So gefährlich war das Reisen damals 44 nicht; denn das römische Reich war zum Funktionieren auf ein sicheres Verkehrsnetz angewiesen. Darüber hinaus war gerade Paulus nicht sehr viel unterwegs gewesen, sondern blieb meist jahrelang an ein- und demselben Ort. So viele Raubüberfülle und Schiffsbrüche sind absolut unrealistisch. Wie dem auch sei, die angeblich vielen schlechten Erfahrungen auf seinen Reisen haben diesen Ausbund an Charakterstärke jedenfalls nicht davon abhalten können, immerfort Geld für die arme kleine Gemeinde in Jerusalem zu sammeln und es dorthin bringen zu wollen! So lesen wir in 1. Korinther 16,1: Nun zur Geldsammlung für die Heiligen: Macht es so, wie ich es für die Gemeinden in Galatien angeordnet habe. Jeden 1. Tag der Woche lege jeder von Euch so viel Geld zurück, wie es seinem Einkommen entspricht, damit nicht erst dann gesammelt werden muss, wenn ich angekommen bin. Gleich nach meiner Ankunft will ich dann Brüder, die Ihr für geeignet befindet, mit euren Gaben nach Jerusalem schicken. Wenn es angebracht ist, dass auch ich hinreise, dann sollen sie mich begleiten. Oder in der Apostelgeschichte 11,27: In dieser Zeit kamen Propheten von Jerusalem nach Antiochia. Einer von ihnen hieß Agabus. Er sagte vom Geist Gottes geführt eine schwere Hungersnot über die ganze Welt voraus, die dann unter Kaiser Klaudius auch eintrat. Da beschlossen die Jünger, den Brüdern in Judäa eine Unterstützung zukommen zu lassen... Das taten sie dann auch und schickten Barnabas und Saulus mit dem Geld zu den Ältesten. Was soll diese ganze Geldsammlerei? Zuerst erscheint das von Paulus zwar sehr selbstlos, es macht jedoch ein wenig stutzig, dass Paulus das Geld selbst abgeben will: Laut Apostelgeschichte hat er es einmal definitiv selber getan, und angesichts der Bemerkung im Korintherbrief: „Wenn es angebracht ist, dass auch ich hinreise…“ kann man sicher sein, dass es auch tatsächlich angebracht sein wird, dass wiederum Paulus selbst der Überbringer sein wird. Betrachten wir die Sachlage näher: Dieser einen Ur-Gemeinde in Jerusalem stehen die zahlreichen Gemeinden gegenüber, die Paulus gegründet hat, und diese befinden sich teilweise in sehr reichen römischen Städten. Auf den ersten Blick ist die Sache klar: In der Provinz ist man ärmer als in den Machtzentren, daher: Lasst uns den Armen in der Provinz helfen! Mit etwas Nachdenken sieht es aber anders aus. Paulus beginnt zum Beispiel seinen Brief an Philomenon folgendermaßen: Paulus, der für Jesus Christus im Gefängnis sitzt, und Timotheus, der Bruder, an Philemon, unseren geliebten Mitarbeiter, und an unsere Schwester Aphia, unseren Mitstreiter Archippus und an die ganze Gemeinde, die sich in Deinem Haus versammelt… Aha, die dortige Gemeinde findet in Philomenons Privathaus Platz, sehr groß kann sie also nicht gewesen sein! Und im 1. Thessaloniker 2,10 steht: Ihr selbst könnt es bestätigen und auch Gott ist unser Zeuge, wie absolut untadelig und von der Ehrfurcht zu Gott bestimmt unser Verhalten war. Ihr wisst ja, dass wir uns um jeden Einzelnen von Euch gekümmert haben wie ein Vater um seine Kinder… Um jeden Einzelnen hat sich Paulus (zusammen mit Timotheus und Silvanus) also gekümmert. Und das ist auch nachvollziehbar: Paulus baute seine Gemeinden erst auf, das waren noch winzige Keimzellen, welche da im Entstehen waren, vielleicht mit 10, höchstens aber 40 bis 50 Seelen. Auf der anderen Seite die Gemeinde von Jerusalem: Zum Zeitpunkt des Todes Jesu hatte sie schon 5000 Mitglieder, am Tag des Pfingstwunders kamen noch 3000 hinzu. Sie breitete sich unaufhörlich aus und rekrutierte sich aus allen Gesellschaftsschichten. 20 Jahre später, als Paulus in seinen Kleingemeinden noch immer mühsam Einzelaufbau leistete, hatte sie zwischen 50 000 und 100 000 Mitglieder! Tatsächlich aber steht in der Apostelgeschichte 9,31 die Einzahl: Von da an erlebte die Gemeinde in ganz Judäa, Galiläa und Samarien eine friedliche Zeit. 45 Das war in Jerusalem keine Gemeinde im paulinischen Sinn, sondern eine machtvolle Bewegung, die auf die Sammelerfolge eines Einzelnen gewiss nicht angewiesen war! Wieso aber will Paulus dann trotzdem immer wieder Geld nach Jerusalem bringen? Nun ja, aus allen Paulusbriefen geht auf jeden Fall klar hervor, dass seine Lehre in Jerusalem angefeindet wurde, weil sie von der Lehre Jesu stark abwich. Dabei bemühte sich Paulus mit aller Kraft, in den Kreis der Apostel aufgenommen zu werden. Im 1. Korinther 9,2 und 2. Korinther 3,1 heißt es: Wenn ich auch für andere kein Apostel bin, so bin ich es doch bestimmt für Euch. Durch den Herrn seid Ihr die Bestätigung meines Apostelamts. Fangen wir schon wieder an, uns selbst zu empfehlen? Oder brauchen wir vielleicht Empfehlungsschreiben an Euch oder von Euch, wie gewisse andere Leute das nötig haben? Ihr selbst seid unser Empfehlungsbrief: Eingeschrieben in unser Herz und von allen Menschen anerkannt und gelesen. Anders als noch bei seiner Agitation gegen die ersten Christen, wo er von den Hohenpriestern für seine Reise nach Damaskus Empfehlungsschreiben verlangte (Apostelgeschichte 9,1), hat er von keinem der 12 Apostel auch nur ein einziges erhalten! Doch Paulus weiß sich zu helfen und kraft seiner exzellenten Rhetorik verbirgt er geschickt dieses entlarvende Manko: Den Umstand, dass es Leute gibt, die Jesus gar nicht kannten, aber sich von ihm einreden ließen, er sei dessen Apostel, das bezeichnet Paulus als echten Beweis für sein Apostelamt! Wie armselig Paulus damals dagestanden ist, aber andererseits: Wie geschickt er agierte! Die Vermutung liegt nahe, dass sich Paulus mit dem Geld, das er nach Jerusalem brachte, bei den echten Aposteln einkaufen wollte. Doch auch das hat nicht geklappt, denn wie sonst wäre diese hasserfüllte Pauschalverurteilung zu erklären: Die Juden haben unseren Herrn Jesus und auch die Propheten getötet, sie haben uns verfolgt, sie gefallen Gott nicht und sind mit allen Menschen verfeindet. (1. Thessaloniker 2,15) 46 20. Die Lehre, die die Welt eroberte Wir haben im letzten Kapitel schon eine ganze Reihe negativer Charakterzüge von Paulus kennen gelernt, und auch bereits ein wenig von seiner Lehre. Wenden wir uns aber noch etwas mehr dieser Lehre zu und gehen wir noch dazu etwas in die Tiefe! Während Leben steten Wandel und Entwicklung bedeutet und Jesus Veränderung bei den Menschen und in der Gesellschaft hervorrufen wollte, will Paulus genau das nicht. Wir lesen im 1. Korinther 7,17 seine eindringlichen Ermahnungen: Jeder soll so leben, wie der Herr es ihm zugeteilt hat, das heißt, er soll an der Stelle bleiben, wo Gottes Ruf ihn traf, so ordne ich es in allen Gemeinden an. Wer als Beschnittener berufen wurde, soll er nicht versuchen, die Beschneidung rückgängig zu machen. War er nicht beschnitten, soll er sich nicht beschneiden lassen. Die Beschneidung ist unwichtig und das Unbeschnittensein auch. Wichtig ist das Halten der Gebote Gottes. Jeder soll in dem Stand bleiben, in dem er war, als er berufen wurde. Wenn Du als Sklave berufen warst, mach Dir nichts daraus. … Denn wer als Sklave in die Gemeinschaft des Herrn gerufen wurde, ist ein Freigelassener des Herrn, und wer als Freier berufen wurde, ist ein Sklave von Christus. … Liebe Brüder, jeder soll in Verantwortung vor Gott in dem Stand bleiben, in dem er berufen wurde! Nun zu den Jungfräulichen: Ich habe hier kein Gebot des Herrn, aber ich gebe Euch einen Rat als einer, den der Herr durch sein Erbarmen vertrauenswürdig machte. Wenn ich an die aktuelle Not denke, meine ich, es ist besser, jungfräulich zu bleiben. Bist Du aber schon an eine Frau gebunden, versuche nicht, Dich von ihr zu lösen. Bist Du aber noch frei, dann suche keine Frau. Aber auch, wenn Du heiraten würdest, begingest Du keine Sünde, und wenn ein jungfräulicher Mensch heiratete, so würde ein solcher keine Sünde begehen. …Das ist jedenfalls meine Meinung, aber ich denke, dass ich ja auch den Geist Gottes habe. Paulus ordnet also an, dass jeder auch nach seiner Bekehrung in dem Beruf weiterlebt wie zuvor! Und das ist soweit auch durchaus nachvollziehbar: Bei Paulus geht es um Macht über die Menschen – und Macht lässt sich leichter ausüben, wenn sich nichts ändert. Siehe dazu die Katholische Kirche mit ihrem Streben nach Macht und zugleich ihrer Bewegungsunfähigkeit, jene Kirche, die in der Geschichte jede, aber wirklich jede Weiterentwicklung der Menschheit zu verhindern suchte! Während Jesus bekanntlich gezielt auf Sünder zuging, jederzeit mit ihnen gemeinsam aß und keinen ausgrenzte, nicht einmal Judas, seinen Verräter, ist Paulus der ganz große Ausgrenzer! Wir haben das bei der Witwenrente schon gesehen und entsetzt lesen wir im 1. Korinther 5,11: Nun aber schreibe ich Euch, dass Ihr keinen Umgang mit jemand haben sollt, der sich Bruder nennen lässt und trotzdem ein Hurer ist oder ein Habgieriger, ein Götzenanbeter, ein Verleumder, ein Trinker oder ein Räuber. Mit solch einem Menschen sollt Ihr nicht einmal zusammen essen. Oder sehr bildhaft geschrieben im 2. Timotheus 2,20: In einem großen Haushalt gibt es nicht nur Gefäße aus Gold und Silber, sondern auch aus Holz und Ton. Die einen haben einen ehrenhaften Zweck, die anderen einen unehrenhaften und werden für den Abfall genommen. Wer sich nun von Menschen fernhält, die den Abfallbehältern gleichen, der wird ein Gefäß sein, das ehrenvollen Zwecken dient, das heilig ist… In Titus 3,10 sehen wir noch einmal die Angst des Paulus, es könne jemand seine Lehre in Frage stellen. Auch hier reagiert er mit Ausschluss: Einen Menschen, der Irrlehren in der Gemeinde verbreitet, verwarne einmal ernsthaft und noch ein zweites Mal. Dann weise ihn ab, da Du weißt, dass er auf verkehrte Wege geraten ist und sündigt. Damit spricht er sich selbst das Urteil. Wenn man sich die konkrete Macht bewusst macht, die damit verbunden ist, jemanden aus der Gemeinschaft auszustoßen und als Sünder abzustempeln, merkt man sofort, dass es hier nur vordergründig um Dienen und um Liebe geht, tatsächlich 47 geht es um eine unglaubliche Erhöhung über die Mitmenschen. Man darf urteilen, ob jemand ein Sünder ist oder ob nicht und damit urteilt man zugleich darüber, ob jemand zur Gemeinde Gottes gehört oder nicht – und ob er nach seinem Tode in den Himmel kommt oder in die ewige Verdammnis! Vielleicht wird einem an dieser Stelle bewusst, was für ein Machtapparat die römisch-katholische Kirche war, ehe sie von der Aufklärung Schritt für Schritt zurückgedrängt wurde: Sie hatte es nicht nur verstanden große Teile der weltlichen Macht an sich zu reißen und die Menschen materiell und finanziell auszubeuten, sondern machte ihnen glauben, dass sie auch die ausschlaggebende Instanz für das Heil in der Ewigkeit sei! Nachdem Jesus, anders als Paulus nicht ausgrenzte, wundert es nicht, dass beide auch über das Richten vollkommen konträrer Auffassung sind! Jesus sagt in der Bergpredigt eindeutig: Wisst Ihr nicht, dass wir sogar über die Engel zu Gericht sitzen werden? Wie viel mehr dann über die Dinge dieses Lebens? (1. Korintherbrief 6,1) Über die Engel zu Gericht sitzen? Welch ein Größenwahn aus dem Munde dieses Blenders! Und eng verbunden mit dem Zu-Gericht-Sitzen sind natürlich das zum Herausfinden der Wahrheit nötige Verhör sowie die Bestrafung! Dazu lesen wir 1. Korinther 5,5: Ich bin zwar nicht persönlich bei Euch, doch im Geist bin ich anwesend und habe schon das Urteil über den gefällt, der so etwas Schlimmes getan hat. 4 Wenn Ihr im Namen unseres Herrn Jesus Christus zusammenkommt und ich im Geist bei Euch bin und der Herr Jesus mit seiner Kraft gegenwärtig ist, 5 dann soll dieser Mensch im Namen unseres Herrn Jesus dem Satan ausgeliefert und sein Körper zugrunde gerichtet werden, damit wenigstens sein Geist am Gerichtstag des Herrn gerettet wird. „Richtet nicht, damit Ihr nicht gerichtet werdet!“ (Matthäus 7,1) Paulus dagegen schreibt im 1. Korintherbrief 6,1: Wieso wagt es jemand von Euch, der mit einem Gläubigen Streit hat, zu weltlichen Gerichten zu gehen, anstatt sich von den Heiligen Recht sprechen zu lassen? Wisst Ihr denn nicht, dass Ihr als Heilige die Welt richten werdet? Und wenn durch Euch sogar die Welt gerichtet wird, seid Ihr dann nicht erst recht zuständig für solche Bagatellen? Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Die „Heiligen“ (Paulus nennt die Mitglieder seiner Gemeinden gerne „Heilige“) sollen jetzt die weltlichen Gerichte ignorieren und stattdessen für sich selbst Recht sprechen und dann später dürfen sie einmal über die ganze Welt richten! Nicht mehr Gott richtet, nein, das erledigen dann jene für ihn, welche Paulus für würdig befand, in seine Gemeinden aufgenommen zu werden! Und wer das Folgende nicht glaubt, darf gerne selbst die Bibel zur Hand nehmen und bei der Stelle nachlesen, die unmittelbar auf dieses unglaubliche Versprechen folgt: „Den Körper satanisch zugrunde richten, damit wenigstens der Geist gerettet wird“ – genau mit dieser von Paulus eins zu eins übernommenen Kausalkette begründeten die Theologen bis in die Neuzeit hinein stets ihr grausames Morden an Heiden, die furchtbaren Qualen im Zuge der Hinrichtung sündiger Christen und die entsetzlichen Foltermethoden der Inquisition! Aber die paulinische Bösartigkeit ist damit noch lange nicht am Ende und treibt munter weiter ihre grausigen Blüten: Sprach Jesus noch: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ (Johannes, 18,38) behauptet Paulus in Römer 13,1: Jeder soll sich der staatlichen Gewalt unterordnen. Denn es gibt keine staatliche Gewalt außer von Gott, und jede Regierung ist von Gott eingesetzt. Wer sich also der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die von Gott eingesetzte Ordnung und wird zu Recht gerichtet werden. Denn wer Gutes tut, hat von den 48 Herrschenden nichts zu befürchten. Das muss nur der, der Böses tut. Willst Du also ohne Furcht vor der Regierung leben, dann tue Gutes, und Du wirst von Ihr gelobt werden. Sie ist Gottes Dienerin zu Deinem Besten. Tust Du aber Böses, so fürchte Dich, denn sie hat nicht umsonst die Polizei- und Strafgewalt. Auch darin ist sie Gottes Dienerin. Sie zieht den Schuldigen zur Verantwortung und vollstreckt damit Gottes Urteil an denen, die Böses tun. Es ist also notwendig, sich dem Staat unterzuordnen, nicht nur aus Angst vor Strafe, sondern auch wegen des Gewissens. Darum zahlt Ihr ja auch Steuern, denn die Beamten sind Gottes öffentliche Diener und dienen Gott berufsmäßig. Über 1500 Jahre lang wurde genau mit dieser Stelle der Bibel das so genannte „Gottesgnadentum“ begründet, das heißt: Die Herrscher sahen sich als Herrscher „von Gottes Gnaden“ und ein Auflehnen gegen sie – waren sie auch noch so böse oder grausam – wurde bereits von der Kirche im Keim erstickt! Wie viel schreckliches Leid ist durch diese unmissverständlichen Ausführungen des Paulus in die Welt gekommen! Das allerschlimmste und milliardenfach auch namenlose Leid ist aber wohl erst wegen der nachfolgenden Paulusforderungen verursacht worden: Die Frauen seien ihren Männern genau wie Gott untertan; denn der Mann ist des Weibes Haupt, wie auch Christus das Haupt der Gemeinde ist; er ist der Retter dieses Leibes. In der Tat: Wie nun die Gemeinde Christus untertan ist, so seien es auch die Frauen ihren Männern in allem. (Epheser 5,22) Werdet meine Nachahmer, sowie ich Christi Nachahmer bin! Ich lobe Euch, Brüder, dass Ihr in allen Dingen an mich denkt und an der Überlieferung festhaltet, so wie ich sie Euch übergeben habe. Ich will aber, dass Ihr wisst, dass Christus jedes Mannes Haupt ist, der Mann aber das Haupt der Frau, Gott aber das Haupt Christi. Ein jeglicher Mann, der betet oder weissagt und etwas auf dem Haupte hat, schändet sein Haupt. Jede Frau aber, welche ohne Kopftuch betet und weissagt, schändet ihr Haupt; es ist genau das gleiche, als ob sie geschoren wäre! Denn wenn ein Weib kein Kopftuch tragen will, soll sie geschoren werden! Wenn es aber für eine Frau schändlich ist, sich zu scheren oder geschoren zu sein, so soll sie sich lieber verhüllen. Der Mann sollte das Haupt nicht verhüllen, weil er Gottes Bild und Herrlichkeit ist; die Frau aber ist die Herrlichkeit des Mannes. Denn der Mann ist nicht aus der Frau, sondern die Frau aus dem Mann erschaffen worden, der Mann ist nicht um der Frau willen erschaffen wollen, sondern die Frau um des Mannes willen. Und darum soll die Frau um der Engel willen ein Symbol der Gewalt auf dem Haupte tragen. (1. Korinther 11,1) Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens: Wie in allen Gemeinden der Heiligen sollen die Frauen in den Versammlungen schweigen. Es ist ihnen nicht erlaubt zu reden, vielmehr sollen sie untertan sein, wie es auch das Gesetz sagt. Wenn sie etwas wissen wollen, sollen sie zu Hause ihre Ehemänner fragen, denn es ist schändlich für eine Frau, in der Versammlung zu reden. Ist das Wort Gottes denn von Euch ausgegangen? Oder ist es zu Euch gekommen? Wenn jemand meint, ein Prophet zu sein, oder denkt, dass er mit dem Geist erfüllt sei, dann wird er auch erkennen, dass das, was ich Euch hier schreibe, eine Anweisung des Herrn ist. (1. Korinther 14,33) „…dann wird er auch erkennen, dass das, was ich Euch hier schreibe, eine Anweisung des Herrn ist.“ – Kann das sein?? Paulus’ Führungsanspruch ist auf jeden Fall grenzenlos, und grenzenlos ist auch die Herrschaft, die der Mann nach seinem Willen über die Frau ausüben soll: “Die Frau soll ihrem Mann gehorchen wie Gott!“ und: „Sie sei ihm in allem untertan!“ Trotz dieser klaren Aussagen betonen die Theologen immer wieder die Frauenfreundlichkeit des Paulus und führen für ihre Ansicht den Römerbrief und dessen Schlusskapitel ins Feld. In Römer 16,7 begrüßt Paulus viele Frauen mit Namen, darunter sogar eine „Apostelin“ Junia: Grüßt Andronikus und Junia, meine Freunde und Mitgefangenen, die berühmte Apostel sind und vor mir zu Christus fanden. Diese Argumentation der Theologen ist pharisäerhaft: Aus dem Beginn des Römerbriefs nämlich geht klar hervor, dass Paulus 49 noch nie in Rom war und diese Gemeinde nicht gegründet hat. Dieser Römerbrief, in dem die leitenden Personen von Paulus mit dem Titel „berühmte Apostel“ versehen werden, den diese gar nicht für sich beanspruchen, ist schon auf den ersten Blick nichts anderes als ein scheinheiliger Anbiederungsversuch an eine ihm unbekannte Gemeinde, in der nun einmal auch Frauen eine wichtige Rolle spielen. Da kann Paulus mit seinen wahren Ansichten natürlich nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. So ist der Römerbrief zwar eine ausführliche Darstellung der paulinischen Theologie, er vermeidet aber alle Aussagen, die in irgendeiner Form frauenfeindlich gedeutet werden können. Wie viele Frauen wurden durch so viele Jahrhunderte grausam unterdrückt, wie viele Frauenleben wurden sinnlos zerstört, nur weil die Frauen von der Theologie mit Hinweis auf die Paulusbriefe in ihrer persönlichen Entwicklung auf brutalste Weise gehindert wurden – und das ist auch heute in der 3. Welt noch oft so, auch und gerade in der christlichen 3. Welt! Welch ein gewaltiges Potential, das die Menschheit für ihre Entwicklung dringend gebraucht hätte und nun um so mehr braucht, steht ihr damit nicht zur Verfügung! Und selbst das könnte noch nicht einmal der Gipfel des Leids sein, das Paulus in die Welt brachte! Thema Sünde: Man wird allein durch die Gnade Gottes ohne eigene Leistung gerecht gesprochen, und zwar aufgrund der Erlösung, die durch Jesus Christus geschehen ist. … Durch das von Jesus vergossene Blut ist die Sühne geschehen. Diese Stelle in Römer 3,22 ist zumindest von ihrem Sinn her zunächst noch zu verstehen: Durch den Kreuzestod Jesu sind wir von unsren Sünden erlöst. Eine eigene Leistung von uns ist dazu nicht mehr nötig! Doch dann wir das ganze etwas komplizierter: Der Kreuzestod Jesu allein reicht nämlich für eine Erlösung nicht aus: Sein Tod sowie die damit verbundene Erlösung ist auch noch der Gnade Gottes zu verdanken. Na fein, denkt man sich nun: Jesus ist also für meine Sünden gestorben und auch gleich noch für die Sünden der ganzen Welt! – Super, passt! Hätte ich zwar nicht gewollt, dass Du, um mich von meinen Sünden zu erlösen, so furchtbar leidest, aber nachdem Du es nun schon getan hast: Danke Jesus! Und zusätzlich zu dieser Erlösung schenkt uns Gott auch noch seine Gnade, sozusagen als zweite Absicherung! Was kann uns nun also noch passieren? Eigentlich nichts mehr! Hurrah, oder hier besser: Hallelujah! Diese Erlösungslehre des Paulus hat aber leider einen Haken! Der Erlösungstod Jesu und auch die Gnade Gottes nützen uns nämlich noch gar nichts: Jesus kann unsere Sünden so oft auf sich genommen haben und für sie gestorben sein, wie er will, und auch Gott ist mit all seiner Gnade machtlos: Die von Paulus postulierte Erlösung greift erst, wenn man die Menschen über die Erlösungstat Jesu unterrichtet, und wenn man die Menschen unterrichtet hat, dann müssen sie das auch glauben! Erst das ist das Entscheidende: Nur wenn man glaubt, dass Jesus wirklich ganz persönlich für seine Sünden am Kreuz gestorben ist, erst dann ist man erlöst! Das ist alles ein Widerspruch in sich: Entweder ist Jesus für die Sünden der Welt gestorben und er hat die Menschen erlöst, dann ist das eine Tatsache – und die Menschen sind erlöst, egal ob sie davon wissen oder nicht, und egal, ob sie daran glauben. Das ist genau dasselbe wie die Tatsachen, dass die Erde rund ist oder dass der Mount Everest der höchste Berg ist: Die Erde ist rund, egal ob man davon weiß und daran glaubt oder nicht, und der Mount Everest ist der höchste Berg, völlig unabhängig davon, ob man schon davon gehört hat oder nicht. Wenn Jesus für die Sünden der Menschen gestorben ist und sie damit erlöst hat, dann sind die Menschen erlöst und sie bleiben erlöst, ganz egal, ob sie davon wissen oder nicht. Wir dürfen Paulus aber hier auf keinen Fall unterschätzen! Er selbst wusste sehr gut Bescheid über den Schwachsinn seiner Erlösungstheologie, denn er schreibt im 1. Korinther 1,18: 50 Die Botschaft vom Kreuz ist für diejenigen ein Schwachsinn, die verloren gehen; uns aber, die wir gerettet werden, ist es eine Gotteskraft, denn es steht geschrieben: „Ich will die Weisheit der Weisen zugrunde richten, und die Intelligenz der Intellektuellen will ich verwerfen.“ Wo ist der Weise, wo der Schriftgelehrte, wo der Disputiergeist dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit dieser Welt zur Torheit gemacht? Denn weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, hielt es Gott für gut, durch den Schwachsinn der Predigt diejenigen zu retten, die glauben. Während nämlich die Juden Zeichen fordern und die Griechen Weisheit suchen, predigen wir den gekreuzigten Jesus, den Juden zum Ärger, für die Welt aber ein Schwachsinn. Hier geht Paulus erneut sehr geschickt vor: Die Tatsache, dass das Leben oder die Weisheit Gottes dem Menschen über den Intellekt nicht zugänglich ist, sondern nur intuitiv mit dem Gefühl erfasst werden kann, was den weniger intellektuell orientierten Menschen leichter fällt, diese Tatsache interpretiert Paulus um, indem er sagt, den intellektuellen Zugang zu Gottes Weisheit finden die, die selbst nicht so gescheit sind und logischen Unsinn glauben. Dass es bei Dummen wirklich besser gelingt, diesen Nonsens an den Mann zu bringen, schreibt Paulus – für die Adressaten wenig schmeichelhaft – gleich danach im 1. Korinther 1,26: Seht Euch doch an, Brüder, die Ihr berufen seid! Da sind nicht viele Gescheite unter Euch, nicht viele Mächtige, nicht viele Adelige; sondern die Dummen der Welt hat Gott auserwählt, um die Weisen zu beschämen. Die Erlösungslehre des Paulus lässt sich wie folgt auf den Punkt bringen, und genau das versteht er auch unter dem, was er „Evangelium“ oder „die Frohe Botschaft von Kreuzestod Jesu“ nennt: Jesus hat uns am Kreuz von allen unseren Sünden erlöst! Doch erlöst ist man nur dann, wenn man auch fest daran glaubt, dass Jesus für einen gestorben ist. Das ist bereits die ganze Grundaussage des Paulus. Und um diese Aussage herum reiht er seine eigenen angeblich von Gott eingegebenen Moralansichten. Es gibt noch mehr Stellen, bei denen sich Paulus mit diesem Thema befasst, darunter die wichtigste im Römer Kap 5,6: Christus ist ja schon zu einer Zeit gestorben, als wir noch hilflos der Sünde ausgeliefert waren. Und er starb für gottlose Menschen. Denn noch kaum wird jemand für einen Gerechten sterben; eher noch würde sich jemand für einen sehr gütigen Menschen opfern. Aber Gott hat seine Liebe zu uns dadurch bewiesen, dass Christus für uns starb, als wir noch Sünder waren. Und da wir nun durch sein Blut gerecht gesprochen wurden, werden wir durch ihn erst recht vor dem kommenden Strafgericht gerettet. Denn, als wir noch seine Feinde waren, hat Gott uns durch den Tod seines Sohnes schon versöhnt. Deshalb werden wir jetzt, nachdem wir versöhnt sind, erst recht durch die Kraft seines Lebens gerettet werden ... Durch einen einzigen Menschen ist die Sünde in die Welt gekommen und mit der Sünde der Tod. Und auf diese Weise ist der Tod zu allen Menschen hingekommen. … Denn wenn die Übertretung eines Einzigen der ganzen Menschheit den Tod brachte, so wird das durch die Gnade Gottes mehr als aufgewogen, weil die ganze Menschheit durch die Gnade eines einzigen Menschen, nämlich durch Jesus, überaus reich beschenkt wurde. Dieses Gnadengeschenk ist nicht vergleichbar mit dem, was durch diesen einen Sünder verursacht wurde. Denn das Urteil Gottes, das der Übertretung dieses einen folgte, führt zur Verdammnis. Aber die Gnade, die auf zahllose Verfehlungen folgte, führt zum Freispruch. Ist durch die Sünde eines Einzigen der Tod zur Herrschaft gekommen, so werden erst recht alle, die Gottes Gnade und das Geschenk der Gerechtigkeit in so reichem Maß empfangen haben, durch den Einen, durch Jesus Christus, leben und herrschen. So wie eine einzige Sünde allen Menschen die Verdammnis brachte, so bringt eine einzige Tat, die Gottes Rechtsforderung erfüllte, allen Menschen den Freispruch und das Leben. Genauso wie durch den Ungehorsam eines einzigen Menschen alle zu Sündern wurden, so werden durch den Gehorsam eines Einzigen alle zu Gerechten. Oder das gleiche mit einem ziemlich blöden Wortspiel im 2. Korinther 5,21: Gott hat den, der Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir durch ihn die Gerechtigkeit bekommen, mit der wir vor Gott bestehen können. 51 Oder Römer Kap. 6,3: Wisst Ihr nicht, dass alle von uns, die in Jesus Christus getauft wurden, in seinen Tod getauft wurden? Durch die Taufe sind wir also mit Christus in den Tod hinein begraben worden, damit so, wie Jesus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, wir nun ebenfalls in dieser neuen Wirklichkeit leben. Denn wenn wir mit seinem Tod vereint worden sind, werden wir auch mit seiner Auferstehung vereint sein. Wir wissen ja, dass unser alter Mensch mit Christus gekreuzigt worden ist, damit unser sündiges Wesen unwirksam gemacht wird… „Damit unser sündiges Wesen unwirksam gemacht wird“ – Das ist ja das ganz große Problem bei dieser Theologie des Paulus: Vergeben sind uns nämlich nicht nur die Sünden, die wir schon begangen haben, sobald wir anfangen, das zu glauben, was er sagt, sondern auch alle, die wir noch begehen werden, egal wie viele Sünden das sind und wie schwer sie wiegen! Zusammen mit den Aussagen „ohne eigene Leistung“ werden wir „allein durch Glauben“ erlöst, bedeutet das eine Einladung an alle Sünder, die Sünder bleiben wollen, sich zu dieser Lehre zu bekehren; es öffnet der Sünde in der Welt Tür und Tor! Und das ist auch unmittelbar danach passiert, als im Zuge der konstantinischen Wende (313 n. Chr.) die Christen frei waren und sich zugleich die Lehre des Paulus gegen die Lehre Jesu endgültig durchsetzte. Die „Christen“ – besser ist freilich die „Paulinisten“ – zeigten ihr wahres Gesicht: Im Rennen um die frei werdenden gut dotierten Beamtenposten und die neu entstehenden Bischofssitze im römischen Reich massakrierten sich die Christen sofort zu zehntausenden gegenseitig! Und so starben schon in den ersten Jahren der Freiheit mehr Christen durch Christenhand als in den Jahrhunderten der Verfolgung zuvor Christen durch Römerhand. Das ganze finstere Mittelalter war ein einziger blutiger Kampf der Päpste mit den Kaisern um die Macht, komplettiert wurde dieser Kampf nach außen durch die grausamen Kreuzzüge und nach innen durch die unmenschliche Inquisition. In späteren Jahrhunderten wurden die Ureinwohner anderer Erdteile „im Namen Jesu“ gleich kontinentweise ausgerottet oder versklavt, während in Europa die Päpste und die anderen „Herrscher von Gottes Gnaden“ in ungeheuerem Reichtum lebten – und in ungeheurer Selbstzufriedenheit: Aus keinem anderen Grund als dem, weil sie schlichtweg selbst an den Tod Jesu und die damit verbundene Erlösung glaubten, egal wie sie sonst sündigten! Konnte man nicht in der Bibel beim Apostel Paulus selbst lesen: Ich tue nicht das Gute, das ich tun will, sondern ich tue das Böse, das ich nicht tun will. (Römer 7,19). Und wenn schon dieser heilige Mann deswegen kein schlechtes Gewissen hatte oder Änderungsbedarf sah… Und sofort nach der blutigen Besetzung dieser Posten wurden das „Evangelium des Paulus“, also die „Frohe Botschaft vom Kreuzestod Jesu“ und die damit einhergehende Unwirksamkeit unseres sündigen Wesens blutig in die Welt hinausgetragen: 52 26. Wir haben einen Vater, aber keine Mutter? Eine weitere gute Möglichkeit, uns die wahre Botschaft Jesu zu erschließen, bietet der Vaterbegriff. Da die Theologen damals die Verwendung des durch die Bibel vorgegebenen Begriffs „Jehova“, der „Sein“ oder „Leben“ bedeutet, unter Androhung des Todes verboten hatten, wählte Jesus das Wort „Vater“, wenn er mit oder über Jehova sprach. Diese überaus konsequente Vorgehensweise von Seiten der damaligen religiösen Obrigkeit hinsichtlich des Namens Gottes war in sich logisch: Wie wir gesehen haben, ist das „Heiligen des Namens Gottes“, also das „Sich-Bewusst-Machen des Wesens Gottes“, der direkte Weg zum absoluten Atheismus und damit das automatische Ende aller Theologie. In der heutigen Zeit reagieren die meisten Theologen, was das Heiligen des Namens Gottes betrifft, sehr gelassen: Sie haben ihn in der Regel durch „im Namen Jesu“ ersetzt. Und die Zeugen Jehovas lenken vollends vom rechten Gebrauch des Namens Gottes ab, in dem sie überall auf der Welt erzählen, dass das Heiligen des Namens Gottes bedeutet, man müsse „Jehova“ sagen, wenn man sich mit oder über Gott unterhält. Beides läuft jedoch der offensichtlichen Intention, die bei der Namensgebung in der Bibel zu Tage tritt, zuwider. Wichtigste Priorität ist offensichtlich, dass die Wesensbezeichnung Gottes sofort für alle Menschen verständlich ist. Man stelle sich nur einmal vor, Gott wäre einem Deutschen erschienen, vielleicht droben auf der Zugspitze oder auf dem Blocksberg, und der Deutsche hätte gefragt: „Gott, wie ist denn Dein Name?“ – was hätte er für eine Antwort bekommen? Die Antwort hätte sicher nicht gelautet: „Ich bin der Jehova“, sondern: „Ich bin der Ich-bin“ bzw. „Ich bin das Sein oder das Leben.“ Und wäre er einem Engländer erschienen und hätte dieser ihn nach seinem Namen gefragt, dann hätte Gott sicher niemals gesagt: „I am the Jehova“, sondern: „I am the I am“ oder „I am the being“ oder „I am the life“. Gott hätte genau so geantwortet, dass jeder Mensch auf der Erde seinen Namen sofort in seiner Muttersprache verstehen und damit das Wesen Gottes ohne Erklärung erfassen kann. Man stelle sich nun vor, was das bedeuten würde, wenn man den Namen Gottes überall auf der Welt wirklich in der Weise gebrauchen würde, wie er offensichtlich gemeint ist, nämlich sich stets klar zu machen: Gott ist das lebendige Sein, einen Gott nach irgendeiner menschlichen, irdischen Vorstellung gibt es nicht. Wenn man ganz konsequent den Begriff „Gott“ durch „Leben“, „Sein“ oder „Dasein“ ersetzen würde, wenn man den Namen Gottes wirklich „heiligen“ würde – wie würde sich da die Welt zum Positiven, zum blühenden Leben hin verändern! Jesus, der den Menschen die wahre Bedeutung des Namens und damit das Wesen Gottes klar machen will, beschreitet auch hier einen genial einfachen Weg: Er wählt für Gott bzw. für das lebendige Sein den Begriff „Abba“. Immer wieder hört man, „Abba“ sei die vertraute Anrede für Vater, entsprechend unseres Wortes „Papa“, doch das ist nicht ganz richtig. Die Bedeutung von Abba ist wesentlich umfangreicher als nur „Vater“, es steht auch für Urheberschaft, geistige Patenschaft, übergeordnete Größe und umfassende Eigenschaft. Tatsächlich wird Abba im Aramäischen in derselben Bedeutung verwendet wie bei uns im Deutschen, wenn wir sagen: Adenauer, Schuman und Churchill sind die Gründerväter der Europäischen Union; der Wunsch ist der Vater des Gedankens, Freud ist der Vater der Psychoanalyse; der Spieß ist die Mutter der Kompanie. Dasselbe bedeuten die Aussagen: Elvis ist der König der Rock ’n’ Roll, Diana ist die Königin der Herzen usf. Ähnliches kannten auch die Griechen: So ist dieser Satz von Heraklit (520-460 v. Chr.) sehr bekannt: Polemos pater panton – wörtlich: Der Krieg ist der Vater von allem. Aufgrund seiner begleitenden Ausführungen lässt sich dies adäquater übersetzen mit: Die Dualität ist die Mutter der Welt. 53 Betrachten wir nun dieses allumfassende lebendige Sein näher, das Jesus als „Vater“ bezeichnet: Niemand wird ernstlich in Frage stellen, dass es das Phänomen „Leben“ in der Natur gibt. Wenn wir die Erscheinungsformen dieses Phänomens unvoreingenommen betrachten, so fallen vor allem die ungeheure Vielfalt auf, in der sich das Leben äußert, und auch sein unbeirrbarer Wunsch, alle Teile der Welt für sich zu gewinnen und jede auch noch so kleine Nische zu füllen. Ob heiße Vulkanschlöte in der Tiefsee oder extreme Kälte an den Polen oder glühende Hitze und Trockenheit in den Wüsten, überall versucht das Leben Fuß zu fassen. Wenn man sich die wunderschönen und hochinteressanten Naturdokumentationen ansieht, staunt man immer wieder, mit wie viel Phantasie und mit welcher zielgerichteten Präzision das Leben unüberwindbar scheinende Probleme meistert, um sein Ziel, alles zu seinem Besiedlungsraum zu machen, zu erreichen. Und dort, wo es leichter geht, sich anzusiedeln, und wo daher sofort ein heftiger Konkurrenzkampf unter den entstehenden Arten ausbricht, kann man mit genau derselben Faszination sehen, mit welch großer Kreativität und grenzenloser Phantasie sich diese Arten gegen- und in aller Regel auch miteinander behaupten. Dabei legen viele Arten, und zwar gerade auch so kleine und fast hirnlose Tiere wie Käfer, Raupen oder Spinnen ein Verhalten an den Tag, das die Naturforscher mit „quasiintelligent“ bezeichnen, also ein Verhalten, das alle Anzeichen der Intelligenz trägt, auch wenn das handelnde Tier sicherlich nicht intelligent ist. Nimmt man stellvertretend dafür die so genannte Mimikry, bei der die eine Tierart versucht eine andere Tierart oder mitunter sogar eine Pflanzenart täuschend ähnlich nachzuahmen – in aller Regel, um ihren Fressfeinden ein Schnippchen zu schlagen –, so kann man ganz sicher sein, dass das einzelne Tier hier nicht bewusst denkt, „was muss ich tun, damit ich nicht gefressen werde“ und danach auf die Idee kommt „ah, ich ahme jetzt diese oder jene Pflanze nach, dann entdeckt mich das nächste Chamäleon nicht“; und doch zeigt sich hier und auch sonst überall in der Natur das überreiche Vorhandensein von Intelligenz, Kreativität und Phantasie. Auch wenn man das Wort „Liebe“ dem Menschen vorbehalten will, so sorgt die Natur doch großzügig und wundervoll für ihre Geschöpfe. So zeichnet sich das Verhalten der Elterntiere zu ihren Jungen meist durch eine zumindest lebenserhaltende, oft aber wesentlich weitergehende Fürsorglichkeit und zwischen erwachsenen Tieren durch gegenseitige Verantwortlichkeit aus. Wenn man Tiere und Pflanzen länger beobachtet, vielleicht am besten erkennbar am Beispiel von jungen Tieren, kommt man auch nicht umhin, die Fülle an Freude und Begeisterung zu erkennen, die der Natur und ihren Kreaturen innewohnt. Wohlgemerkt, wir legen diese Eigenschaften nicht in die Natur hinein, sondern wir stellen sie bei ihrer schlichten Betrachtung einfach nur fest, und dafür müssen wir uns in der heutigen Zeit, aufgrund der vielen guten Naturfilme weit weniger anstrengen als die Menschen in früheren Zeiten. Und dennoch hatte Jesus genau das erkannt: Nämlich, dass wir Menschen in einen Kosmos hineingeboren sind, der erfüllt ist von Phantasie, Intelligenz, Kreativität, Fürsorglichkeit, Liebe und Freude und dass gerade wir Menschen in besonderem, weil in ganz bewusstem Maße, daran teilhaben können. Jesus drückt dies immer wieder in wunderschönen und klaren Worten aus: „Seht die Vögel des Himmels! Sie säen nicht und sie ernten nicht, sie sammeln auch nicht in die Scheunen; und Euer himmlischer Vater nährt sie dennoch. Seid Ihr nicht viel mehr wert als sie? Wer aber von Euch kann durch sein Sorgen zu seiner Länge eine einzige Elle hinzufügen? Und warum sorgt Ihr Euch um die Kleidung? Betrachtet die Lilien im Feld, wie sie wachsen. Sie arbeiten nicht und spinnen nicht; ich sage Euch aber, auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit war nicht gekleidet wie eine von diesen.“ (Matthäus 6,26) Schauen wir uns selber an, so erkennen wir, dass auch wir uns dieser Elternrolle der Natur um uns herum auch ohne Jesus schon lange bewusst sind: Kennen wir nicht den Ausdruck „Wir sind Söhne und Töchter des Lebens?“ oder gebrauchen wir nicht die Begriffe „Mutter 54 Natur“ und „Mutter Erde“ und drücken damit genau das aus, was auch Jesus ausdrückt, und was uns die Natur und unsere Erde schon seit Urzeiten vorleben? Das lebendige Sein, das sich am nahe liegendsten in der Natur um uns herum erfassen lässt, ist einfach da, man kann seinen Ursprung nicht rational erklären, schon gar nicht theologisch, aber man kann es spüren und sich ihm anvertrauen. Und die Natur ist in uns genau wie wir Teil der Natur um uns herum sind, die Grenzen verschwimmen und auch wenn wir die Natur mit dem menschlichen Titel „Mutter“ versehen, so ist sie doch keine Person, welche irgendeiner menschlichen Vorstellung genügt. Dabei ist es eine geniale Leistung Jesu, dass er es durch die Verwendung des Begriffs „Vater“ schaffte, die anthropomorph denkenden Pharisäer und Schriftgelehrten nicht zu alarmieren und gleichzeitig das universelle Sein treffend zu beschreiben. Weiter sagt Jesus über die Langmütigkeit unseres himmlischen Vaters bzw. unserer Mutter Natur in Matthäus 5,43: „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: ‚Du sollst Deinen Nächsten lieben und Deinen Feind hassen.’ Ich aber sage Euch: Liebet Eure Feinde; segnet, die Euch verfluchen; tut denen Gutes, die Euch hassen; bittet für die, die Euch beleidigen und verfolgen, damit Ihr Söhne Eures Vaters im Himmel seid; denn er lässt seine Sonne jeden Tag über den Bösen und über den Guten aufgehen und er lässt es regnen über Gerechte und Ungerechte.“ Hier wird ganz klar: Das Leben liebt alle Menschen, die Guten und die Bösen, denn sonst würden wir das nicht selbst auch tun sollen. Und das Leben ist extrem langmütig und geduldig in seinem täglichen Verzeihen, sonst würde dies nicht auch von uns gefordert werden. Und so findet man durch die Liebe zum Leben unmittelbar zur Liebe zu allen Menschen. Diesen Gedankengang, dass die Liebe zum Leben, die Freude an der Natur und die Liebe unter den Menschen miteinander untrennbar verbunden sind, finden wir zum Beispiel auch in der Ode „An die Freude“ von Friedrich Schiller (1759-1805) eindrucksvoll beschrieben. Greifen wir uns dazu aus den acht Strophen exemplarisch die 4. und die 6. Strophe heraus: 4. Freude heißt die starke Feder in der ewigen Natur; Freude, Freude treibt die Räder in der großen Weltenuhr. Blumen lockt sie aus den Keimen, Sonnen aus dem Firmament, Sphären rollt sie in den Räumen, die des Sehers Rohr nicht kennt. 6. Göttern kann man nicht vergelten, schön ist’s, ihnen gleich zu sein. Gram und Armut solln sich melden mit den Frohen sich erfreun. Groll und Rache sei vergessen, unserem Todfeind sei verziehn. Keine Träne soll ihn pressen, keine Reue nage ihn. Genauso Großartiges können wir auch beim Osmanen Khalil Gibran (1881-1931) lesen: „Eure Kinder sind nicht Eure Kinder. Es sind die Söhne und Töchter von des Lebens Verlangen nach sich selber. Sie kommen durch Euch, doch nicht von Euch. [..] Ihr dürft ihnen Eure Liebe geben, doch nicht Eure Gedanken, denn sie haben ihre eigenen Gedanken.“ Keiner darf dem anderen sagen, was er zu denken hat - vor allem nicht die Theologen dem Volk ihre Gottestheorien im Namen Gottes. Das war es, was Jesus allen verkünden wollte. Gott, der Vater, sein Wesen, sein Wissen und seine Liebe sind in Euch drinnen. Ihr müsst das leben, was Ihr in Euch drinnen findet. Nur dann seid Ihr wahrhaft lebendig, nur dann seid Ihr wahre Kinder Gottes und wahre Kinder des Lebens. 55 Dass der kleine Schritt von einem rein männlichen Gottesbild, wie es die Theologen predigen, zu einem weiblichen, wie wir es mit unserem Begriff „Mutter Natur“ assoziieren, von der Bibel gedeckt ist, können wir gleich im allerersten Kapitel der Bibel nachlesen: Das lebendige Sein ist nämlich männlich und weiblich zugleich, denn es heißt in einem einzigen Satz: Und Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbild – als Mann und Frau schuf er sie! (1. Moses 1,27) Von daher sind Gottes wahres Ebenbild Mann und Frau erst gemeinsam, und somit dürfen wir Jesu „himmlischen Vater“ ohne Sorge um unsere „Mutter Natur“ ergänzen und beides in dem einen Begriff „Lebendiges Sein“ zusammenfassen, genau wie es „Gott“ vor Urzeiten mit dem Wort „Jehova“ schon getan hat. 56 27. „Betet ohne Unterlass!“ – Gibt es etwas ‚Gottloseres’? Es gibt noch einen anderen sehr weiten Zugang zur Botschaft Jesu, der allen offen steht und den man leicht findet, wenn man nur will: Das Gebet. Wenn man sich die Christen so anschaut, sieht man, dass oft und viel gebetet wird! Und dies scheint auch im Sinne Jesu zu sein, denn bald nach Johannes 14,6 – also der Stelle mit „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ – verspricht uns Jesus: „Was Ihr auch in meinem Namen bitten werdet, will ich tun, damit der Vater verherrlicht werde im Sohne.“ (Johannes 14,13) Unmittelbar darauf wiederholt es Jesus: „Wenn Ihr um etwas in meinem Namen bitten werdet, so werde ich es tun!“ (Johannes 14,14) Und das gleiche noch einmal in Johannes 16,23: „Wahrlich, wahrlich ich sage Euch: Wenn Ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er's Euch geben.“ Das deckt sich auch mit Paulus, der in seinen Briefen Ähnliches schreibt. Zum Beispiel im 1. Thessaloniker 5,17: Betet ohne Unterlass! Oder in Epheser 6,18: Betet stets in allen Anliegen mit Bitten und Flehen im Geist… Also: Lasset uns beten, beten und nochmals beten! Wenn man sich die Gebete der Christen, die sich von Jesus und Paulus dazu aufgefordert fühlen, um alles Mögliche zu bitten, näher ansieht, entstehen Zweifel, ob Beten Sinn macht, schon weil es bei weitem nicht so oft erhört wird, wie es aufgrund der Versprechungen zu erwarten wäre, und weil es soviel Zeit verbraucht. Und auch wenn einmal eintrifft, um was gebetet wurde, muss nicht gleich der liebe Gott dahinter stecken: Wenn man um 100 mehr oder weniger sinnvolle Dinge bittet, treffen manche schon wegen der Zufallswahrscheinlichkeit ein – auch ohne jedes Gebet. Und Menschen, die nicht beten, haben auch nicht öfter Unfälle oder Krankheiten oder schlechte Noten. Schauen wir uns die gängigen Gebetsinhalte einmal genau an: Ein vertrautes Bild: Vor einem wichtigen Pokalspiel sieht man Fußballer um den Sieg beten; und auch auf den Rängen im Stadion und daheim vor den Fernsehern werden sicher viele Menschen um den Sieg ihrer Mannschaft beten… Nun versetzen Sie sich einmal in Gottes Lage: Von der Erde steigen Millionen Gebete zu ihm empor, absolut ernst gemeint und absolut inbrünstig, aber er kann von vorneherein nur die eine Hälfte von ihnen erfüllen – die Gebete derer, die für den späteren Sieger gebetet haben! Die für den späteren Verlierer beten, deren Gebete muss er unerhört lassen! Wichtig ist die Überlegung, dass Gottes Allmacht hier an ihre Grenzen stößt, und zwar an die Grenzen, die ihr die Menschen gezogen haben! Aufgrund der Spielregeln, die die Menschen sich ausgedacht haben, ist es für Gott unmöglich, dass beide Mannschaften als Sieger vom Platz gehen, eine der zwei muss verlieren! Natürlich wäre auch ein endloses Elfmeterschießen denkbar oder irgendein Spielabbruch, wo beide Mannschaften zumindest nicht als Verlierer in die Kabinen gehen, aber darum geht es gewiss keinem der Spieler bei seinem Gebet und ganz sicher auch keinem der Fans. Nach den von Menschen aufgestellten Regeln muss eine Mannschaft einfach verlieren und Gott kann nichts dagegen tun und muss Jesus und Paulus mit ihren Versprechen Lügen strafen! Gerade brasilianische Fußballer fallen durch ihre Frömmigkeit auf und in Medieninterviews schreiben es viele ihrem Glauben an Gott zu, dass sie aus den Slums heraus Fußballstars werden 57 konnten. Es ist jedoch rein von der Statistik her schon so, dass in einem Land, in dem ca. 90% der Bevölkerung religiös sind, auch in der Nationalmannschaft ca. 90% der Spieler religiös sind. Und die Berufung in die Nationalmannschaft hat wirklich nichts mit der Erhörung von Gebeten zu tun, denn es spielen in ihr nicht die elf frömmsten Fußballer eines Landes, sondern die elf besten. Sehen wir uns ein anderes Beispiel an, bei dem die Gebete an Gott von vorneherein in den Sand gesetzt sind, und zwar erneut nach dem Willen von uns Menschen: Unsere allwöchentlichen Lottoziehungen! Ca. 30 Millionen Deutsche spielen regelmäßig Lotto und viele beten, Gott möge ihnen den Lotto-Sechser zukommen lassen, um sie aus finanziellen Engpässen zu befreien oder um ihnen und ihren Liebsten eine sorgenfreie Zukunft zu ermöglichen. Doch: Auch hier sind die zur Verfügung stehenden Ressourcen begrenzt: Aufgrund der Spielregeln der Lottogesellschaft steht nur ein bestimmter, genau definierter Betrag als Gewinn bereit und er reicht höchstens für zwei oder drei, in seltenen Fällen auch mal für fünf große Gewinne, alle die anderen Betenden müssen leer ausgehen. Natürlich wäre es Gott auch möglich, 100 oder vielleicht gar 1000 Bittsteller aus den Millionen von Mitspielern zu erhören – aber zu welcher Quote? Die Summe, die für den Gewinn gemäß der von Menschen aufgestellten Regeln bereitsteht, bleibt klar definiert und begrenzt, und wenn Gott viele gewinnen ließe, dann gewännen diese eben alle nur wenig – und dann würden sie erst recht mit Gott hadern, wenn sie für den Lotto-Sechser statt der Millionen nur ein paar 100 Euro erhielten. Bei vielen Gebeten handelt es sich, wie wir an diesen beiden Beispielen gesehen haben, um Bitten um Bevorzugung; doch Gebete um Bevorzugung, noch dazu um eine Bevorzugung in materiellem Sinne können Gott höchstens nerven und werden sicher nicht erhört. Was ist nun mit Gebeten, wenn wir krank geworden sind oder wenn wir Leid und Unglück erfahren haben; oder mit Gebeten für jemanden, der krank geworden oder unglücklich ist? Schauen wir uns zunächst die Gebete bei Krankheit an: Warum werden wir krank? Schickt Gott uns aus Langeweile oder aus einer ihm eigenen Gedankenlosigkeit Krankheiten und müssen wir ihn nun daran erinnern, dass wir – bitteschön – nicht krank zu werden wünschen? Das sicher nicht! Bekanntlich sind die meisten unserer Krankheiten Wohlstandskrankheiten: Wir essen und trinken viel zu viel, bewegen uns zu wenig, schlafen zu warm, haben ständig Stress… Irgendwann versagt unser Körper – unser menschlicher Körper, der zwar stark, aber nur begrenzt belastbar ist – und wir werden zwangsläufig krank. Mit den meisten unserer Krankheiten hat Gott gar nichts zu tun; sie entstehen rein aus unsrer Unvernunft und wie soll Gott uns gesund machen, wenn wir unser Leben nicht ändern? Das gleiche anders ausgedrückt: Wenn wir unser Leben ändern, werden wir in aller Regel auch wieder gesund. Es liegt an uns, nicht an Gott! Es ist völlig klar: Bei Krankheiten, die auf unsere Unvernunft zurückzuführen sind, müssen wir uns ändern! Aber prinzipiell bei allen Krankheiten sollten wir uns erst einmal selbst fragen: Mit welchen von Gott nicht gewollten Haltungen vergeude ich meine Lebensenergie? So ist es auf Dauer einfach nicht vereinbar, sich aufrichtig dem Nächsten zu widmen u n d gleichzeitig die Normen unserer Überflussgesellschaft erfüllen zu wollen wie schöne Wohnung, Urlaub, Auto, komfortable Altersvorsorge…. Das führt dazu, dass man sich aufreibt und seine Gesundheit aufs Spiel setzt. Hand in Hand mit Erkrankungen, insbesondere psychischer Natur, gehen familiäre Verstrickungen: Jesus fordert von uns unmissverständlich die Loslösung vom Elternhaus. Dahinter steckt die Beobachtung, dass es oft nicht möglich ist, alle die meist sehr säkularen Erwartungen seines Elternhauses, die man oft in den so genannten „unbewussten Erziehungsaufträgen“ verinnerlicht, zu erfüllen und zugleich 58 ein authentisches Leben nach den eigenen inneren Werten zu führen. Und wer dennoch versucht, beides unter einen Hut zu bringen, überspannt sich und verliert leicht die Übersicht. Werden wir krank, sollten wir anstatt stundenlang zu beten uns ehrlich und eindringlich die Frage stellen: Wie kann ich mein Leben ausmisten, um mir selbst und meinem wahren Wesen näher zu kommen und zu meiner Lebenskraft zurückzufinden? Was ist aber bei Gebeten für uns und für andere im Leid? Dazu vorweg eine Definition: Wenn wir heute im Fernsehen von großen Unglücken erfahren, sind wir natürlich entsetzt, kommt danach ein lustiger Film, lachen wir gleich wieder und haben diese Unglücke vergessen. Diese Reaktion auf solche Geschehnisse ist Betroffenheit, nicht Leid. Leid geht tiefer: Es kann uns wochen-, monate- oder auch jahrelang unglücklich machen, wenn wir zum Beispiel einen geliebten Menschen verlieren oder uns ein wirklich trauriges Geschick zustößt. Interessant ist hierzu eine Aussage Jesu über ein Unglück beim Bau eines Turmes, der einstürzte und 18 Menschen in den Tod riss (Lukas 13,4). „Meint Ihr, dass die 18, auf die der Turm von Siloah fiel und erschlug, schuldiger gewesen sind als alle anderen Menschen, die in Jerusalem wohnen? Ich sage: Nein!“ Leid und Unglück ist also keine Strafe Gottes für irgendeine Sünde, es passiert halt. Aber wie sollen wir genau das mit der Liebe Gottes unter einen Hut bringen? Wenn dieses kleine Hündchen stirbt, wird man deshalb Leid empfinden? Wohl kaum. Für die alte Dame dagegen war das Hündchen vielleicht jedoch der größte Quell ihrer Freude und sie wird über diesen Verlust sehr viel Leid empfinden. Oder man sehe sich die Todesanzeigen in der Zeitung an: Fast durchwegs unbekannte Gesichter. Empfindet man da Leid? Nein. Man kennt die Leute nicht, mit ihnen hatte man keine Freude zusammen erlebt. Ist aber jemand darunter, den man kannte und mochte und über dessen Zusammensein man sich oftmals gefreut hat, dann ist man voller Leid und Trauer. Es gilt ziemlich sicher dieses in unserer dualistischen Welt: Wenn Gott das Leid aus der Welt schaffen würde, würde er zugleich auch die Freude aus der Welt schaffen. Es gibt kein Leid ohne Freude und ohne Freude kein Leid. Daher kann man sich an diese Faustregel halten: Wenn man sein Herz an materielle Dinge hängt, erfährt man zwangsläufig oftmals Leid und Freude erlebt man nur gemischt mit der Furcht vor dem Verlust dieser Dinge. Wenn man dagegen sein Herz an Jesu „himmlische Schätze“ hängt, erfährt man Freude oft und Leid vergleichsweise selten. Aber ganz ungeschoren kommen wir auch dann nicht davon. Darauf müssen wir uns auf jeden Fall einstellen. Vielleicht hilft uns hier ein psychologischer Ansatz weiter: Bei genauerem Hinsehen können wir feststellen, dass uns nur das Leid bereitet, das uns zuvor Freude bereitet hat. Nach dem Gebet für uns oder unseren Nächsten als Individuum gibt es noch eine zweite große Gruppe von Gebeten: Gebete für die Menschheit als Kollektiv – zum Beispiel für eine gesunde Umwelt, für Frieden in der Welt und für ein Ende des Hungers. Man stelle sich vor: Man lebt in einem hellhörigen Mietshaus und die ältere Dame in der Wohnung über einem hat ein kleines unerzogenes Hündchen. Das kläfft zu jeder Unzeit und stört einen immer wieder in der wohlverdienten Nachtruhe. Diese Gebete haben unbestritten einen guten Inhalt und dessen sind sich die Betenden auch bewusst: Man betet inbrünstig und aus ganzem Herzen. Man betet auch oft und regelmäßig, meist 59 in Gesellschaft mit anderen, was den Betenden auch noch ein besonders tiefes und verbindendes Gruppenerlebnis verschafft. Solche Gebetstreffen sind süß und schmerzvoll zugleich. Diesem guten Anliegen im Gebet jedoch steht unser klares Wissen gegenüber: Wir wissen, dass wir auf einer begrenzten Erde leben mit endlichen Ressourcen! Wir wissen, dass wenn wir die Rohstoffvorkommen dieser Erde weiter so verprassen, schon für die nächste Generation, und das sind unsere eigenen Kinder(!), kaum noch etwas bleibt. Wir wissen, dass wir bei unseren Discountern nur deswegen so billig einkaufen können, weil in der 3. Welt Abermillionen von jungen Menschen unter den schlechtesten Arbeitsbedingungen gnadenlos ausgebeutet und gesundheitlich ruiniert werden – und obwohl wir das wissen, freuen wir uns beim Einkaufen jedes Mal aufs Neue über unsere gelungenen Schnäppchen! Wir wissen, dass zwei Drittel der Menschheit hungern und etwa 100 000 Menschen jeden Tag qualvoll an den Folgen des Hungers sterben und doch führen wir gerade aus jenen unterversorgten Ländern noch jede Menge Lebensmittel in unser reiches Europa ein, in ein Europa, wo wir schon von unseren eigenen Lebensmitteln viel zu viele einfach wegwerfen! Und noch etwas wissen wir: Wenn Gott ein Wunder täte und es gäbe in der 3. Welt plötzlich noch mehr Lebensmittel und Rohstoffe zu holen als jetzt – gnadenlos würden wir alles tun, um auch diese den Menschen sofort wieder wegzunehmen! Gottes Wille kann halt nur durch uns Menschen geschehen und nicht durch Beten! Sich im genauen Wissen um das Elend in der Welt und dessen Ursachen hinzusetzen, zu Gott um Abhilfe zu beten und anschließend mit umso reinerem Gewissen weiter dieses Elend zu vergrößern, das ist Blasphemie! Doch drehen wir den Spieß einmal um: Es gibt so viele Gebete, die einfach nur sinnlos sind, und mit denen wir Gott die Verantwortung für unser eigenes Versagen in die Schuhe schieben wollen. Wenn man die Theologen fragt, wie dieses Versprechen, dass Gott alle unsere Gebete erhört, angesichts des offensichtlichen Beweises des Gegenteils zu verstehen ist, so kommt in der Regel die durchaus plausible Antwort: Hier sind, auch wenn es in der Bibel anders drin steht, nicht alle Gebete gemeint. Viele unserer Gebete seien ja nur Gebete um unsere Ersatzgötter und die würde Gott natürlich nicht erhören wollen. Bei dieser Antwort kann man dann leicht nachhaken und im logischen Umkehrschluss fragen: Wenn es das Kennzeichen des echten Betens ist, dass Gott es erhört, was soll man dann eigentlich beten? Und nach kurzem oder längerem Nachdenken kommt von den Theologen – gleich welcher Glaubensrichtung – dann wirklich meist die Antwort: Dann kann man eigentlich nur das Vaterunser beten… Bevor wir uns dem Vaterunser zuwenden, zuerst noch ein paar prinzipielle Gedanken: Bei der Theologie des Johannes haben wir schon einiges an griechischem Gedankengut kennen gelernt wie zum Beispiel, dass Gott Geist ist (logos). Durch und durch griechisch ist auch die Trennung der Welt in einen menschlich-irdischen und einen göttlich-geistigen Anteil. Daraus resultiert nun der – logische – Schluss, dass man, wenn man zu Gott gelangen (metaphorisch ausgedrückt „in den Himmel“ kommen) will, sich dem Geist zuwenden und vom Körper abwenden muss. Die Rolle, die der Geist daher bei der Definition von „Sünde“ spielt, ist eine ganz andere Rolle, als wie sie Körper oder Seele spielen: Wenn man Sünde rein von den geistigen Erkenntnismöglichkeiten her definiert, kann sehr schnell ein ellenlanger Sündenkatalog zusammenkommen, wie zum Beispiel der in der katholischen Kirche gebräuchliche „Beichtspiegel“. Bei dieser rein geistigen Definition von Sünde werden Körper und Seele ganz einfach überfahren und haben keine Chancen sündenlos zu sein. Die eigentliche Botschaft Jesu lautet aber anders: „Gott“ ist nicht „logos“, sondern „pneuma“. Also ist Gott auch nicht unserem Geist zugänglich, sondern nur unseren Gefühlen: 60 Man muss ihn mit aller Kraft lieben und nicht jahrelang an der Uni über ihn studieren. Die Unverbildeten verstehen ihn, nicht die, die sich auf ihre Gescheitheit etwas einbilden. Wichtig ist ohnehin nur, das Gute durch die Tat in die Welt zu bringen und jede Art von Glauben ist egal. „Gott“ ist bei Jesus das jedem Menschen innewohnende Leben, das er mit einem äußerst gütigen, geduldigen Vater gleichsetzt. Konsequenterweise streicht Jesus alle Sünden, die aus der rein geistigen Vorstellung Gottes resultieren: Er selbst übertritt alle Ge- und Verbote der Pharisäer und Schriftgelehrten, und selbst die zehn Gebote schrumpfen bei ihm auf nur noch zwei: „Gott“ zu lieben mit aller Kraft und seinen Nächsten zu lieben wie sich selbst. Auch ist bei Jesus jede moralische Maxime auf einen einzigen Satz reduziert: Was Du von anderen erwartest, das tu ihnen auch! Laut Jesus gibt es nur noch eine Art von Sünde: Nur noch die Sünden wider den Nächsten, denn in jedem Menschen ist Gott Fleisch geworden. Als Sünde zählt nur noch, wenn man seinen Nächsten nicht als einen gleichwertigen Menschen behandelt, der das verdient, was man selbst verdient, und dem man das tun muss, was man selbst von ihm erwartet. Dieses Tun eröffnet den Menschen den Weg in den „Himmel“: Dieser Himmel ist dann innen in jedem Menschen, dort drinnen wohnt die eigene Lebendigkeit und es führt auch nur der Weg über die eigenen Wertvorstellungen dorthin. Ganz ausdrücklich führt er nicht über die Gebote und Verbote anderer: Damals nicht über die Fastengebote und weiteren Gebote der Pharisäer noch heutzutage über die Moralvorstellungen der Theologen. Diese innere Lebendigkeit, die den leiblichen Tod dann überdauert, findet man nur durch die Harmonie zwischen Körper, Geist und Seele und nicht durch die Überbetonung des Geistes. So sah Jesus als erstes stets darauf, dass die Menschen genug zu essen und zu trinken hatten und sie körperlich unversehrt waren. Er selbst nahm gerne an Festen teil und liebte sicherlich die Fröhlichkeit, auch wenn dazu in der Bibel nichts Explizites zu finden ist. Jesus wollte, dass wir Menschen froh und gesund sind und liebevoll miteinander umgehen – nichts weiter! In genau dieser Dreiheit „gesund – froh – liebevoll“ findet sich auch die klassische Dreiteiligkeit wieder: „Gesund“ steht für den Idealzustand des Körpers, „froh“ oder „freudig“ für den des Geistes und „liebevoll“ für den der Seele. Und wie sinnvoll dies ist, das bestätigt uns auch unsere eigene Erfahrung: Wenn wir fröhlich und gesund sind, können wir viel leichter mit anderen liebevoll umgehen, als wie wenn wir krank und verärgert sind. Und aus diesem Grund verurteilt Jesus auch das Ärgernis Geben auf das Schärfste: „Weh der Welt wegen des Ärgernisses! Es muss auf jeden Fall das Ärgernis kommen; doch weh dem Menschen, durch welchen das Ärgernis kommt!“ (Matthäus 18.7) „Wer einen von diesen Kleinen ärgert, für den wäre es besser, dass man einen Mühlstein an seinen Hals hängte und würfe ihn ins Meer.“ (Lukas 17.2) Doch so befreiend und lebensbejahend diese Botschaft Jesu ist, so ist sie doch nicht gleichzusetzen mit bedingungsloser Liebe: Denn Gott will wirklich das Glück für a l l e Menschen und – sehr wichtig – der Wille Gottes kann nur durch uns Menschen umgesetzt werden! Und so straft Gott konsequenterweise nicht nur jene Menschen, die ihrem Nächsten Unrecht tun, sondern auch die, die ihre Talente vergraben und glauben, man könne sich in einen abgeschotteten Bereich zurückziehen, die Hände in den Schoß legen, auch wenn diese dabei zum Gebet gefaltet sind, und für ihre Mitmenschen nichts mehr tun. Es ist daher nach der Lehre Jesu grundfalsch sich der Welt zu entziehen – sei dies nach dem Motto „my home is my castle“ der Rückzug in die eigenen vier Wände oder in die Einsiedelei oder in die Gebetszelle hinter Klostermauern. Der Himmel, den wir suchen sollen und den wir laut Jesus auch finden werden, ist kein passives, blutleeres Vor-Sich-Hinleben in geschützten Räumen, sondern er ist vollkommen anders! Er könnte vielleicht von Goethe treffend beschrieben worden sein: 61 „Alles geben die Götter, die Unendlichen, ihren Lieblingen ganz. Alle Freuden, die Unendlichen, alle Schmerzen, die Unendlichen, ganz.“ Gott will für uns ein Leben in der Fülle der Welt, in der Fülle seiner Schöpfung, er will für uns eine Fülle, an der auch unser Körper seinen vollen Anteil hat. Und solch ein Leben in Fülle sollen wir aktiv auch allen anderen Menschen ermöglichen! Sie fragen, was das alles mit dem Vaterunser zu tun hat? Sehr viel! Also nun, schauen wir es uns an: Das Vaterunser wurde von Jesus in der Bergpredigt gelehrt (Matthäus 6,9). Die vorbereitenden Ausführungen von Jesus dazu beginnen in Matthäus 6,5. Er sagt dort: sein Reich und seine Gerechtigkeit gehen, dann wird Euch alles Übrige dazugegeben.“ (Matthäus 6,28) Wunderbare klare Worte, denen es nichts hinzuzufügen gibt, und man kann sie gar nicht genug auf sich wirken lassen: „Beim Beten sollt Ihr nicht plappern wie die Heiden. Sie denken, dass sie erhört werden, wenn sie viele Worte machen. Macht es nicht wie sie!“ und das Schönste und am meisten Beruhigende: „Denn Euer Vater weiß ja, was Ihr braucht, noch bevor Ihr ihn darum bittet.“ Unmittelbar vor dem Vaterunser sagt Jesus: „Wenn Ihr betet, macht es nicht so wie die Heuchler, die sich dazu gern in die Synagogen und an die Straßenecken stellen, damit sie von den Leuten gesehen werden. Ich versichere Euch: Mit dieser Ehrung haben sie ihren Lohn schon kassiert. Wenn Du betest, geh in Dein Zimmer, schließ die Tür und bete zu Deinem Vater, der im Verborgenen ist. Dann wird Dein Vater, der im Verborgenen ist, Dich belohnen. Wenn Ihr betet, sollt Ihr nicht plappern wie die Heiden! Sie denken, dass sie erhört werden, wenn sie viele Worte machen. Macht es nicht wie sie! Denn Euer Vater weiß ja, was Ihr braucht, noch bevor Ihr ihn darum bittet.“ Und diesen Gedanken greift Jesus ein paar Zeilen nach dem Vaterunser nochmals auf, indem er sagt: „Und warum macht Ihr Euch Sorgen um die Kleidung? Seht Euch an wie die Lilien wachsen. Sie strengen sich dabei nicht an und nähen sich auch nichts. Doch ich sage Euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht so schön gekleidet wie eine von ihnen. Wenn Gott sogar die Feldblumen, die heute blühen und morgen ins Feuer geworfen werden, so schön kleidet, wie viel mehr wird er sich dann um Euch kümmern, Ihr Kleingläubigen! Macht Euch also keine Sorgen! Fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen? Denn damit plagen sich die Menschen dieser Welt herum. Euer Vater weiß doch, dass Ihr das alles braucht! Euch soll es zuerst um „Wenn Du betest, geh in Dein Zimmer, schließ die Tür und bete zu Deinem Vater, der im Verborgenen ist. Dann wird Dein Vater, der im Verborgenen ist, Dich belohnen.“ Jesus sagt nicht, wie das Gebet des Einzelnen auszusehen hat, er lässt uns dazu völlige Freiheit, Er sagt nur, wie es nicht aussehen darf: Nicht plappern! Nur ja nicht glauben, dass man umso mehr erhört wird, je mehr Worte man macht! Beten zu Gott in der Stille und mit nur ganz wenigen Worten wird damit zur Kontemplation. In der Schöpfungsgeschichte 1. Mose 2,7. haucht Gott dem Menschen seinen Lebensatem ein und macht ihn dadurch zum lebendigen Wesen. Gottes Atem weht in jedem Menschen, das macht unser menschliches Leben aus und ist unsere ureigenste Eigenschaft. Beten nach Jesus ist das Spüren dieses göttlichen Lebensatems in sich für sich allein, ein Sich-Eins-Fühlen mit dem Leben in der Stille. Worte stören da nur. An diese Aufforderung an den Einzelnen, im Verborgenen zu beten, schließt sich nun das Vaterunser an. Jesus wechselt dazu wieder in die 2. Person Plural und spricht zum Kollektiv: 62 „Ihr sollt vielmehr so beten: Vater unser, der in den Himmeln ist, geheiligt werde Dein Name! Dein Reich komme! Dein Wille geschehe wie in den Himmeln so auf der Erde! Unser tägliches Brot gib uns heute! Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir unseren Schuldigern vergeben haben. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen!“ Das Vaterunser ist ein kurzes Gebet, aber eines, das es in sich hat. Vergleichen wir es zuerst mit unseren anderen Gebeten: Gibt es darin eine Bitte um Bevorzugung?? Nein, die einzige Bitte, die sich auf Materielles bezieht ist die um das tägliche Brot, mehr nicht! Gibt es eine Bitte, dass wir von Leid verschont werden? Nein! Gibt es eine Bitte um Gesundheit? Nein! Das Vaterunser gliedert sich in 2 Teile. Der 1. Teil beginnt mit: „Vater unser, der in den Himmeln ist, geheiligt werde Dein Name.“ Dies kennen wir schon: Der Himmel ist in uns und Gott, der im Himmel ist, wohnt daher in uns! Eine wundervolle Botschaft, die mit der Bitte, dass der Himmel kommen und Gottes Wille Wirklichkeit werden möge, fortgeführt wird. Dein Reich komme! Dein Wille geschehe wie in den Himmeln so auf der Erde! Kommen wir nun zum zweiten Teil. Er ist wesentlich schwerer verdaulich! Der erste Satz klingt noch leicht verständlich: „Unser tägliches Brot gib uns heute.“ „Unser tägliches Brot“ heißt es hier – nicht mehr und nicht weniger! Vor allem nicht mehr, denn dann reicht es auch für alle. Das ist schon eine wichtige Stelle, die uns zur materiellen Bescheidenheit auffordert. Dann kommt die Stelle, die uns auf unsere Eigenverantwortung hinweist: „Und vergib uns unsere Schuld, so wie wir unseren Schuldigern vergeben haben“. Wir bitten hier Gott, dass er uns unsere Schuld vergibt, aber nur soweit, wie wir zuvor unseren eigenen Schuldigern ihre Schuld vergeben haben! Und dann am Schluss des Vaterunsers die sicher einsichtigste Bitte von allen: „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen!“ Ja, dass wir vom Bösen erlöst werden, ist sicher eine absolut sinnvolle Bitte! – aber sie gilt nicht nur für uns satte Menschen hier in der 1. Welt: Nicht nur wir sollen vom Bösen erlöst werden, sondern alle Menschen auf der ganzen Erde! Wir sollten wirklich nie vergessen: Der Vater, den Jesus anspricht, ist der Vater für alle Menschen! Sein Wille, dass es den Menschen gut geht, ist überall gültig, auch in der 3. Welt! Daher gilt das Vaterunser auch für all jene Abermillionen von Unglücklichen, die gnadenlos nur deshalb ausgebeutet werden, damit wir hier in der 1. Welt billig einkaufen können. 63 Und es gilt selbstverständlich auch für die unzähligen Mütter, die angesichts der Fleischtöpfe dieser Welt hilflos mit ansehen müssen, wie ihre Kinder elendiglich an Hunger sterben oder an leicht behandelbaren Krankheiten verrecken. Auch diese alle sollen beten: „Herr, erlöse uns von dem Bösen!“ Doch was ist für diese bettelarmen Menschen in der 3. Welt das Böse anderes als - unser Streben nach immer mehr Wohlstand unser Streben nach immer mehr materieller Sicherheit unser Streben nach immer mehr Bequemlichkeit …… … Mit einem Wort: Was ist für so viele Menschen in der Welt das Böse anderes als u n s e r Dienst am Mammon? Dabei sollten wir uns immer vor Augen halten: Es gibt keinen personalen Gott, der Gutes tut, das kann nur von uns Menschen getan werden. Ebenso wenig gibt es das personale Böse, den Teufel, der Böses tut. Auch das Böse tun nur wir Menschen. Bleibt nun nur noch der Blick auf die Verse unmittelbar nach dem Vaterunser: Jesus schließt eine Erklärung an, und zwar zu einer bestimmten Passage im Vaterunser: „Denn…“ sagt er, - und wer von Ihnen weiß, was nun erklärt wird?? Nein, „denn Dein ist das Reich und die Kraft usw.“, wie wir es vom Gottesdienst her kennen, ist es nicht! Jesus sagt folgendes: „Denn wenn Ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird Euer himmlischer Vater auch Euch vergeben. Wenn Ihr aber den Menschen ihre Verfehlungen nicht vergebt, so wird euch Euer Vater Eure Verfehlungen auch nicht vergeben.“ (Matthäus 6,14) Dass wir von Gott nur in solchem Ausmaß Vergebung erhalten werden, in dem auch wir selbst unseren Mitmenschen vergeben haben, scheint Jesus sogar die wichtigste Passage im Vaterunser zu sein, denn sie ist die einzige, auf die er noch einmal eingeht. Damit setzt sich Paulus mit seiner Erlösungstheologie zur Lehre Jesu in fundamentalen Widerspruch. Der Mensch ist in allem selbstverantwortlich, auch im Hinblick auf seine Sündenfreiheit! Und tatsächlich ist Jesus dieser Gedanke sogar so wichtig, dass er ihn später noch einmal in einem eigenen Gleichnis erklärt: Da trat Petrus heran und sprach: „Herr, wie oft soll ich meinem Bruder vergeben, wenn er sich gegen mich versündigt? Bis zu siebenmal?“ Jesus sagte ihm: „Ich sage Dir, nicht siebenmal, sondern bis siebzig mal siebenmal! Denn das Himmelreich gleicht einem König, der mit seinen Knechten abrechnen wollte. Und als er damit anfing, brachte man einen vor ihn, der ihm zehntausend Talente schuldig war. Da er aber nicht bezahlen konnte, befahl sein Herr, ihn, seine Frau, seine Kinder und alles, was er hatte, zu verkaufen und seine Schuld damit zu bezahlen. Da warf sich der Knecht vor ihm nieder und sprach: Herr, habe Geduld mit mir, ich will Dir alles bezahlen! Da erbarmte sich der Herr seines Knechtes, gab ihn frei und erließ ihm die Schuld. Als aber dieser Knecht wegging, begegnete ihm ein Mitknecht, der ihm hundert Denare schuldig war; den ergriff er, würgte ihn und sprach: Bezahle mir, was Du mir schuldig bist! Da warf sich sein Mitknecht nieder und bat ihn: Habe Geduld mit mir, ich will Dir alles bezahlen! 9 Er aber wollte nicht darauf eingehen, sondern warf ihn ins Gefängnis, bis er bezahlt hätte, was er schuldig war. Als aber seine Mitknechte sahen, was geschehen war, wurden sie traurig und berichteten ihrem Herrn die ganze Geschichte. Da ließ sein Herr ihn kommen und sprach zu ihm: Du böser Knecht! Deine ganze Schuld habe ich Dir erlassen, weil Du mich batest; solltest denn nicht auch Du Dich Deines Mitknechtes erbarmen, wie ich mich Deiner erbarmt habe? Und voll Zorn übergab ihn 64 sein Herr den Gefängniswärtern, bis er alles bezahlt hätte, was er schuldig war. Und genau so wird es mein himmlischer Vater mit jedem von Euch machen, wenn er seinem Bruder nicht von Herzen vergibt.“ (Matthäus 18,21) Soweit zum Vaterunser, diesem Gebet mit seinem so wundervollen 1. und seinem so schwer im Magen liegenden 2. Teil, diesem ganz kurzen Gebet, das Jesus uns höchstpersönlich zu beten gelehrt hat und in dem soviel Wahrheit enthalten ist. 65 Die Bibel, das Buch der unbegrenzten Möglichkeiten 66 30. Unbegrenzt zum Ersten Wie wir wissen, leben wir in einer physisch begrenzten Welt mit nur begrenzten physischen Möglichkeiten. Unbegrenzt sind nur unsere geistigen Vorstellungsmöglichkeiten, und unter den Wissenschaften kennt außer der Theologie vor allem noch die Mathematik das Phänomen der Unendlichkeit. Schon Physik oder Astrophysik, welche die Wirklichkeit unserer Welt mit mathematischen Methoden zu beschreiben versuchen, tun sich mit der Unendlichkeit schwer. Und in der Technik, die nichts anderes ist als angewandte Physik, ist alles begrenzt, hat alles ein Ablaufdatum, ist tatsächlich alles ein Stückwerk. Wenn man die Theologie physikalisch einordnen wollte, wäre sie ein in sich fast vollkommen abgeschlossenes System mit zeitlich stark verzögerter Wechselwirkung mit der Umgebung. Gemeint ist damit, dass die Gedankenwelt der Theologie in sich abgeschlossen ist und praktisch nie eine neue geniale Idee, oder drücken wir es provokativ aus: echte Inspiration Eingang findet. Echte Inspiration bleibt in der Theologie die absolute Mangelware. Eine Theologie immunisiert sich – ganz egal wie logisch begründbar eine abweichende Sichtweise ist – stets von allein und betrachtet immer nur sich selbst als einzig richtige Anschauung. Angesichts der vielen, tatsächlich unvereinbaren Widersprüche in der Bibel ist schon das eine geistige Leistung, welche unsere Bewunderung verdient. Man kann einen langen Widerspruchskatalog von Bibelstellen zusammenstellen und diese Stellen dann mit Theologen egal welcher Glaubensrichtung durcharbeiten. Die Methode, wie die Theologen diese Widersprüche auflösen, ist immer dieselbe: Jede Theologie verwirft gewisse Bibelstellen, dafür gewichtet sie andere umso stärker. Die Zeugen Jehovas ignorieren bekanntlich dieses Zitat Jesu: Dann rief Jesus die Menge wieder zu sich und sagte: "Hört mir alle zu und versteht! Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen. Unrein macht ihn nur, was aus ihm heraus kommt." Als er sich von der Menge zurückgezogen hatte und ins Haus gegangen war, fragten ihn seine Jünger, wie er das gemeint habe. "Habt Ihr es auch nicht begriffen?", erwiderte Jesus. "Versteht Ihr nicht, dass alles, was von außen in den Menschen hineinkommt, ihn nicht unrein machen kann? Denn es kommt ja nicht in sein Herz, sondern geht in den Magen und wird im Abort wieder ausgeschieden." Damit erklärte Jesus alle Speisen für rein. (Markus 7,14) Dafür wird der Vers 21,25 in der Apostelgeschichte von den Zeugen – zumindest in Teilen – überaus ernst genommen: Aber hinsichtlich der gläubig gewordenen Heiden haben wir die schriftliche Weisung ergehen lassen, dass sie sich hüten sowohl vor Fleisch, das den heidnischen Göttern geopfert wurde, als auch vor Blut und vor Ersticktem und vor Unzucht. Die teilweise Wörtlichnahme dieser Bibelstelle filtert nur das Verbot des Zu-Sich-Nehmens von Blut heraus und ignoriert die Empfänger: Wie wir lesen können, richtet sich das Verbot an die Heiden im damaligen römischen Reich, die vor kurzem zur christlichen Sekte innerhalb des Judentums übergetreten sind und die zuvor ihre eigenen Essgewohnheiten hatten. So gilt das Verbot offensichtlich nicht für alle Menschen auf der ganzen Welt zu jeder Zeit, sondern nur für eine klar umrissene Gruppe von Neu-Christen im 1. Jahrhundert. Auf katholischer Seite ist es so, dass man diese Stelle, die den Zeugen Jehovas so heilig ist, dass man wegen ihr sogar Bluttransfusionen ablehnt, völlig unter den Tisch kehrt und dafür die Erlaubnis Jesu, dass man alles essen und trinken darf, oft ausgiebigst praktiziert. Gestützt wird die freizügige Haltung der katholischen Kirche gegenüber gutem Essen noch von dieser Stelle bei Paulus: Alles, was auf dem Fleischmarkt angeboten wird, esst, ohne zu untersuchen um des Gewissens willen. Denn "die Erde ist des Herrn und ihre Fülle". Und auch wenn irgendein Ungläubiger Euch einlädt und Ihr hingeht, so esst alles, was Euch vorgesetzt wird, ohne zu untersuchen und Euch ein schlechtes Gewissen zu machen. (1. Korinther 10. 25) 67 Und so kommt es, dass so manch geistlicher Würdenträger aus dem katholischen Lager in seiner leiblichen Erscheinung eher der fleischgewordenen Todsünde der Völlerei gleicht als dem armen demütigen Diener Gottes, für den man sich so gerne ausgibt. „Ich sage Dir: Du bist Petrus, der Fels, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen und die Hölle soll sie nicht überwältigen. Ich will Dir die Schlüssel des Himmelreichs geben und was Du auf Erden binden wirst, soll auch im Königreich der Himmel gebunden sein, und alles, was Du auf Erden lösen wirst, soll auch in den Himmeln gelöst sein.“ (Matthäus 16,18) Ein weiteres Beispiel für einzelne aus dem Zusammenhang gerissene Bibelstellen ist die Mission zu Fuß und zu zweit: Exakt mit diesem Zitat Jesu begründet die Katholische Kirche ihren Führungsanspruch in der Welt und zugleich rechtfertigt der Papst damit seine absolutistische Vollmacht innerhalb der Kirche. Jesus sandte Die zwölf Jünger mit diesem Auftrag aus: "Meidet die Orte, wo Nichtjuden wohnen, und geht auch nicht in die Städte der Samariter, geht nur zu den verlorenen Schafen des Volkes Israel! Bitte verkündigt ihnen: 'Die Herrschaft des Reichs Gottes steht bevor! Heilt Kranke, erweckt Tote, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus! Was Ihr kostenlos bekommen habt, gebt kostenlos weiter. Besorgt Euch kein Reisegeld, weder Gold noch Silberstücke oder Kupfermünzen! Besorgt Euch auch keine Vorratstasche, kein zweites Hemd, keine Sandalen und keinen Wanderstab. Denn wer arbeitet, soll auch essen. Wenn Ihr in eine Stadt oder ein Dorf kommt, findet heraus, wer es wert ist, dass Ihr bei ihm wohnt. Wenn Ihr ein Haus betretet, grüßt seine Bewohner und wünscht ihnen Frieden. Wenn sie es wert sind, wird der Frieden, den Ihr bringt, bei ihnen einziehen. Wenn sie es nicht wert sind, wird Euer Gruß wirkungslos bleiben. Und wenn die Leute Euch nicht aufnehmen oder anhören wollen, dann geht von dort weg und schüttelt den Staub von Euren Füßen. Ich versichere Euch: Sodom und Gomorra wird es am Tage des Gerichts besser ergehen als solch einer Stadt. Seht, ich sende Euch wie Schafe mitten unter Wölfe. Seid deshalb listig wie die Schlangen und aufrichtig wie die Tauben.“ (Matthäus 10,5) Auch bei diesen Passagen ist die selektive Interpretation der Mormonen oder der Zeugen Jehovas offensichtlich. Zu zweit geht man von Haus zu Haus, aber man geht nicht nur zu den Juden, sondern vor allem zu den Nichtjuden, und man hat wesentlich mehr dabei als nur einen Wanderstab: Man hat die Taschen voll mit selbst fabrizierten Glaubensbüchern. Auf der katholischen Seite geht man nicht so gern von Haus zu Haus, dafür findet dort diese Stelle umso mehr Gewichtung: Und nachdem man nun einmal Papst ist und damit lösen und binden kann, wie einem beliebt, erhebt man völlig ungeachtet der Vorgaben Jesu natürlich erst einmal sich selbst und lässt sich hier auf Erden mit „Heiliger Vater“ anreden, Jesus dazu: „Doch die Schriftgelehrten und Pharisäer lieben den ersten Platz bei den Gastmählern und die vordersten Sitze in den Synagogen, sie lieben die Begrüßungen auf den Märkten und sie lieben es von den Menschen Lehrer, Lehrer! genannt zu werden. Ihr aber, lasst Ihr Euch nicht Lehrer nennen; denn einer ist Euer Lehrer, Ihr alle aber seid Brüder. Ihr sollt auch keinen auf der Erde Euren Vater nennen; denn nur einer ist Euer Vater, der in den Himmeln ist. Lasst Euch auch nicht Meister nennen; denn einer ist Euer Meister, der Christus. Der Größte aber unter Euch soll Euer Diener sein. Wer aber sich selbst irgendwie erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst irgendwie erniedrigt, der wird erhöht werden.“ (Matthäus 12,6) Was die Katholische Kirche, die sich so gerne als die Hüterin der wahren Lehre sieht, ebenfalls absolut nicht interessiert, ist das Verbot, sich von Gott Bilder zu machen, im Gegenteil: Die katholischen Gotteshäuser strotzen nur so von Bildern, wo Gott als uralter Mann mit weißem Rauschebart dargestellt ist und von überlebensgroßen Kruzifixen, wo die letzten Sekunden im Leben seines Sohnes äußerst plastisch festgehalten sind. Und natürlich stellt man sich auch gern selbst dar und so gibt es noch all die Statuen von „Heiligen“, von Kirchenlehrern und 68 von so vielen Päpsten, die oftmals nichts anderes waren als üble Lüstlinge oder gottlose Schwerverbrecher! Greifen wir aus der nahezu unendlichen Reihe der katholischen Heiligen exemplarisch den französischen Abt Bernhard von Clairvaux (1090-1153) heraus: Bernhard wurde im Jahre 1118 Abt des zweiten Zisterzienserkloster in Clairvaux und schaffte es bis zu seinem Tod, weitere 166 Tochterklöster zu gründen – eine überaus reiche Ernte, die Bernhard da für die katholische Kirche einfuhr! Doch Bernhard von Clairvaux machte sich noch durch ganz andere Aktivitäten einen sehr berühmten Namen: Er initiierte praktisch im Alleingang den zweiten Kreuzzug! Dazu reiste er durch ganz Europa und formulierte diese Irrlehre: "Ein Ritter Christi tötet mit gutem Gewissen; noch ruhiger stirbt er. Wenn er stirbt, nützt er sich selber; wenn er tötet, nützt er Christus." Als der 2. Kreuzzug (1147-1149) in einem völligen Desaster endete, ging Bernhard sogleich unverdrossen daran, für einen 3. Kreuzzug zu predigen… Dass Bernhard im Jahre 1174 heilig gesprochen wurde, mag man aus dem damaligen Zeitgeist heraus noch verstehen. Doch wie ist es zu verstehen, dass im Jahr 1830, wo es sich sogar bis zur Katholischen Kirche herumgesprochen haben müsste, dass Töten nicht im Sinne Christi ist, dass Papst Pius VIII diesen blutrünstigen Bernhard zum Kirchenlehrer erhob? Und noch vor wenigen Jahrzehnten, am 24. Mai 1953, widmete Papst Pius XII diesem „Heiligen“ zu dessen 800. Todestag gar eine eigene Enzyklika und nannte diese „Doctor mellifluus“ Honigfließender Lehrer! Wie kann man jemanden, der Christus offensichtlich überhaupt nicht verstanden hat und soviel Leid in die Welt brachte, noch in unserer Zeit solch eine Ehre zu teil werden lassen? Die Antwort ist einfach: Es geht gemäß Paulus, dem Begründer jeder Theologie, der katholischen Kirche nicht um das richtige Tun, sondern um den richtigen Glauben – im theologischen Fachjargon: Es kommt nicht auf Orthopraxie, das richtige Tun, an, sondern auf die Orthodoxie, den korrekten Glauben. Und im Drechseln von tiefsinnigen Glaubenssprüchen war Bernhard sehr gut; er war sogar so gut, dass man seine Epoche gerne das „Bernhardinische Zeitalter“ nennt. Ein weiteres trauriges Beispiel, wo die Orthodoxie den Vorzug vor der Orthopraxie erhält, sind in unserer Zeit die vielen Missbrauchsfälle auf Seiten der katholischen Kirche: Wenn die katholische Kirche tatsächlich nur ein bisschen heilig wäre, würde sie richtig zu handeln suchen und ihren Opfern, die sie selbst am besten kennt, von sich aus Wiedergutmachung zu teil werden lassen! Das ist das Mindeste, was man hier von jemand Heiligem verlangen kann, noch dazu wo dieser Heilige über genügend Mittel zur Wiedergutmachung verfügt! Doch was macht die katholische Kirche?? Sie versucht, so gut wie möglich den Schein ihrer Heiligkeit zu wahren, und zahlt nur denjenigen ihrer Opfer eine Entschädigung, welche noch die Kraft haben, diese offiziell gegen sie durchzusetzen! Heiligkeit ist in der Theologie wirklich nicht mit dem richtigen gottgefälligen Tun verknüpft, sondern nur mit dem korrekten Denken in kirchengefälligen Schablonen! Wenn man sich nun noch vor Augen hält, wie viele böse und lasterhafte Päpste die Katholische Kirche in ihren Ahnenreihen hat, dann dämmert es einem, dass der Himmel der Katholiken von mindestens ebenso vielen Sittenstrolchen und Verbrechern bevölkert ist wie bei anderen Religionen die Hölle oder die Unterwelt. Und über diesen Himmel thront folgerichtig der anthropomorphe Gottvater Jehova – der höchst unchristliche Gott der Christenheit. Jetzt sind wir ein wenig abgeschweift, doch der Personenkult, den die katholische Kirche mit ihren Päpsten, Heiligen und Kirchenlehrern betreibt, steht einzigartig unter den Religionen dieser Welt da und verdient einfach eine Erwähnung! Kehren wir nun zur Liste der verschiedenen Auslegungen von Bibelstellen zurück, die sich noch beliebig fortsetzen ließe, 69 denn schließlich ist die ganze Bibel von vorn bis hinten widersprüchlich. Aus diesem Grunde kann man unbegrenzt viele unterschiedliche Interpretationsmuster entwerfen, wie welche Bibelstellen zu werten und zu verstehen sind – und entsprechend zahlreich sind auch die christlichen Kirchen. Neben den in diesem Buch näher betrachteten Kirchen der Mormonen (= der Heiligen der letzten Tage) und der Zeugen Jehovas, die wegen ihrer eifrigen Mission hierzulande am populärsten sind, gibt es auch noch die Altkatholischen, NeuApostolischen, Adventisten und mehrere 100 Freikirchen oder evangelikale Gemeinden, die in kleinerem Maßstabe für sich ebenfalls oft die Werbetrommel rühren und sich in schnell erfassbarer Abgrenzung zur Katholischen Kirche als besonders bibeltreu gebärden. So gibt es zum Beispiel evangelikale Gemeinden, die sogar diesen Willen des Paulus wörtlich nehmen (1. Korinther 11,3) Ich will aber, dass Ihr wisst, dass Christus jedes Mannes Haupt ist, der Mann aber das Haupt der Frau, Gott aber das Haupt Christi. Ein jeglicher Mann, der betet oder weissagt und etwas auf dem Haupte hat, schändet sein Haupt. Jede Frau aber, welche ohne Kopftuch betet und weissagt, schändet ihr Haupt; es ist genau das gleiche, als ob sie geschoren wäre! Und wenn ein Weib kein Kopftuch tragen will, soll sie geschoren werden! In solchen radikalen evangelikalen Gemeinden müssen Frauen Kopftücher tragen wegen Paulus, der sein Verhüllungsgebot bereits 600 Jahre vor Mohammed formuliert hatte! Prinzipiell ist zur Bezeichnung „Evangelische“ Kirche oder „Evangelikale“ Gemeinden, zu sagen, dass es sich hierbei um einen Etikettenschwindel handelt: Luther hat seine Reformation nicht auf die Evangelien, sondern auf den Römerbrief des Paulus gestützt und die evangelikalen Gemeinden sind nahezu durch die Bank paulushörig. Man kann wochenlang Gottesdienste evangelikaler Gemeinden besuchen, ohne dass man auf ein einziges Jesuszitat stößt, sondern nur auf Zitate aus den Episteln (Briefen) des Paulus. Im Grunde haben wir hier keine „evangelischen oder evangelikalen Christen“ vor uns, sondern „epistulare Paulisten“. Wenn man diese ganzen christlichen Gruppierungen unvoreingenommen betrachtet, entpuppt sich die Theologie als nichts anderes als der Versuch, ein in sich schlüssiges Interpretationsmuster in der Bibel zu finden. Hat man dieses Interpretationsmuster gefunden, ist noch die Unterordnung unter eine irdische Autorität (Pfarrer, Pastor, Bischof, Ältester…), die für sich den Anspruch auf Macht und Gehorsam erhebt, wesentlich. In der Abgeschlossenheit solcher Gruppen von Gleichgesinnten ist aufgrund der genauen Vorgabe der geistigen Richtung durch ihre Führer meist eine echte Freigeistigkeit oder ein Leben in wirklicher Selbstverantwortung nicht mehr möglich. Dass das tatsächlich so ist, sieht man am besten daran, wie man mit der stets verbleibenden Lücke in der theologischen Logik umgeht. Die Bibel ist nämlich so widersprüchlich, dass auch bei der ausgeklügeltsten Theologie und bei der besten Bibelfestigkeit stets einiges Ungeklärte übrig bleibt. Als äußerst dehnbare Variable für sämtliche Fragen und Widersprüche, die sich nicht so leicht lösen oder beantworten lassen, wird im Normalfall die für die Menschen im Letzten nicht begreifbare Weisheit Gottes eingesetzt: Was man jetzt nicht versteht, wird einem schon noch irgendwann klar werden, man muss nur treu bleiben und darf den Weg, den man einmal eingeschlagen hat, auf keinen Fall verlassen. Allerdings kann es gerade bei den Mormonen und den Zeugen Jehovas leicht vorkommen, dass sie aufgrund ihrer offensiven Mission auf Leute treffen, welche sich sehr wohl in der Bibel auskennen und die auch eloquent genug sind, den vor ihnen stehenden Missionaren anhand der Bibel die Schwachstellen ihrer Religion nachvollziehbar darzulegen. Wie begegnen diese Gruppen dieser großen Gefahr? Die Logik, der sich die Führung von Wachturmgesellschaft & Co. nun bedienen, hat – im wahrsten Sinne des Wortes – etwas Diabolisches: Man macht seinem Fußvolk weis, dass der Teufel sich vielerlei Listen ausdenkt, mit denen er die wahren Christen irre machen will; und die schlimmste List, derer sich der Teufel bedient, ist die, dass er sogar die Bibel benutzt, um den wahren Christen nachzuweisen, dass ihr Glaube falsch ist! Gerade in diesem 70 Fall, wenn einem durch die Bibel nachgewiesen wird, dass man falsch liegt, darf man das um Gottes willen niemals verinnerlichen, sondern muss erst recht unbeirrbar an seinem bisherigen Glauben festhalten! Diabolisch ist an dieser Argumentation zweierlei; Erstens versuchen Mormonen, Zeugen Jehovas und andere genau das, was sie bei anderen als teuflisch brandmarken, selber: Ihre Gesprächspartner, die ihren eigenen Glauben für richtig halten, anhand der Bibel vom Gegenteil zu überzeugen. Und zweitens wird mit dieser Argumentation jede individuelle geistige Weiterentwicklung des einzelnen Mitglieds verhindert und alle bleiben auf das als das „Wort Gottes“ fixiert, was die Zentralstelle vorgibt! Tatsächlich handelt es sich hier um ein im paulinischen Sinne „sich selbst immunisierendes System“, gegen das es im Grunde keine Gegen-Argumentation gibt. Dennoch muss man den einfachen Zeugen Jehovas, Mormonen etc., wenn sie da immer wieder vor der Türe stehen, dieselbige nicht vor der Nase zuschlagen oder man braucht sie auch nicht verhöhnen. Sie haben sich von Leuten, die ihnen geistig überlegen sind, irreleiten lassen, das passiert uns allen einmal! Sie selbst handeln in bester Absicht und brauchen im Grund unsere Hilfe, um vom falschen Weg zurückzufinden. Sie haben als einzige Chance nur, dass man ihnen den nötigen Respekt zollt. Am besten ist, man weist sie bei ihrem Kontaktversuch freundlich auf diesen unüberwindlichen Mangel ihrer Religion hin: Bei ihnen steht wie sonst auch überall der Glauben an Jesu Erlösungstod im Zentrum, und das ist auch ihre Schwachstelle: Sie alle wurden erst im 19. oder 20. Jahrhundert gegründet! Es bedeutet nichts anderes, als dass die Welt auf Jesus gewartet hat und nicht auf die Wachturmgesellschaft oder Herrn Joseph Smith (den Gründer der Mormonen). Nicht Herr Joseph Smith oder die Wachturmgesellschaft haben die Welt erlöst, sondern das hat Jesus schon vor 2000 Jahren getan. Deshalb war es den Menschen auch in den Jahrhunderten davor, die zwischen Jesu Tod und der Gründung jener Kirchen lagen, möglich, Gottes Willen zu erkennen und entsprechend zu leben. Dazu brauchte man das Bekenntnis zu den Mormonen oder den Zeugen nie – und dazu braucht man es auch heute nicht. Aufgrund dieser einfachen und unleugbaren Tatsache, dass man Gott auch außerhalb dieser Gemeinschaften finden kann, kann man ohne weiteres mit all diesen Predigern an seiner Türe sprechen. Es muss nur klar sein, dass es eine Prämisse gibt; Sie müssen einem nur zugestehen, dass man selbst genau wie sie Gottes Willen erkennen kann und man trotz eines Glaubens, der von dem ihren abweicht, ein echter Christ sein kann. Meist billigen dies die Zeugen oder Mormonen einem beim Erstkontakt auch zu, wenn auch nur, um das Gesicht zu wahren oder in der Hoffnung, dass sie, wenn sie erst einmal den Fuß in der Tür haben, ihr Gegenüber schon noch bekehren werden. Doch auf der anderen Seite hat man nun selbst für zwei bis drei Gespräche die Gelegenheit, seine fehlgeleiteten Missionare zu überzeugen, dass der einzige Weg ins Paradies nicht darin besteht, dass man praktisch seine ganze Freizeit dem Bibelstudium und der paarweisen Haustürmission opfert – das zum Beispiel glauben nämlich die Zeugen Jehovas –, sondern dass es mindestens ebenso in Jesu Sinn ist, in seiner Freizeit Kranke zu besuchen, sich um Gefangene zu kümmern und sonst Gutes zu tun. Ein Engagement bei Amnestie International, den SOSKinderdörfern, in der Jugendarbeit oder ehrenamtlich in der Altenbetreuung und im Krankenhaus ist ganz genau so Gottes Wille. Und das ist auch ganz leicht aus der Bibel belegbar – zum Beispiel der Vergleich mit den Schafen und Böcken aus Matthäus 26,28, wo Jesus die tätige Nächstenliebe sogar als die alleinige Voraussetzung für das Paradies darstellt. So simpel diese Argumentation klingt, für die Prediger an der Haustür ist sie ungewohnt, da sie – nach einer unverfänglichen Einleitung – Gespräche in ihrem Sinne zu lenken gelernt haben und dabei als elementare Voraussetzung davon ausgehen, dass ihr Gegenüber ein bedauernswerter und verlorener Sünder ist, während sie selbst die wahren Ausgewählten Gottes sind. Das ist natürlich extremer Hochmut – und es ist im Übrigen genau dieser Hochmut, der die Mormonen und die Zeugen die vielen Verspottungen mühelos ertragen und sie anschließend in ihrem Glauben umso gefestigter an die nächste Tür klopfen lässt. 71 Wenn man diesen Hochmut durchbricht und sie zwingt, einen als gleichwertig anzusehen und das zwei, drei Gesprächsrunden lang durchsteht, dann werden sie einen für eine neue Unterart von Teufel halten und oft bald wieder von einem ablassen. Wenigstens aber bestand dabei die Chance, dass vielleicht doch der eine oder andere nach- und schließlich sogar umdenkt, auch wenn die Chance natürlich nur klein ist. Doch je weniger Leute von Haus zu Haus gehen, um die Theologie des Paulus zu verkünden – egal ob diese Theologie im Gewand der Wachturmgesellschaft oder sonst einer „christlichen“ Gemeinschaft daherkommt – umso besser, und am besten ist es natürlich, wenn möglichst viele Menschen Gutes im Sinne Jesu tun. Laut Jesus hat Gutes Tun nämlich eine beispielgebende Wirkung und veranlasst andere dazu, ebenfalls Gutes zu tun: oder die Erkenntnisfähigkeit der Menschen, die in dieser Hinsicht zwar rasch reagieren, aber das Gefühlte und das Erkannte auch genauso rasch wieder vergessen. Wenn überhaupt, dann können Predigten, genau wie Reden in der Politik, am ehesten dann einen nachhaltigen Erfolg erzielen, wenn sie die Massen in ihren niederen Instinkten ansprechen, und das ist so ziemlich genau das Gegenteil von dem, was Jesus wollte, nämlich die individuelle Bereitschaft, sich für das Gute einzusetzen. Ein Kollektiv von Menschen ist sehr viel weniger dazu bereit sich zum Guten bewegen als sich zum Bösen verleiten zu lassen, siehe als Beispiel dazu unsere eigene jüngste Vergangenheit oder die Predigten des Bernhard von Clairvaux. Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die auf einem Berge liegt, kann nicht verborgen bleiben. Man zündet auch kein Licht an und stellt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen im Hause. Also lasst Euer Licht leuchten vor den Leuten, dass sie Eure guten Werke sehen und Euren Vater im Himmel preisen. (Matthäus 5, 14) Gute Werke verbessern also die Welt wirklich – im Gegensatz zur Mission von Haus zu Haus, die schon zu Jesu Zeiten nichts brachte! Schließlich wurde der bei Matthäus bei Markus und bei Lukas beschriebene Auftrag an die Jünger, zwecks Mission von Haus zu Haus zu gehen, von Jesus nicht wiederholt. Wenn wir das Neue Testament unvoreingenommen betrachten, so erkennen wir dieses: Weder die Predigten der Propheten noch die von Johannes und auch nicht die Predigten des Jesus haben nachhaltig etwas Positives bewirkt. Die Menschen sind Jesus nachgelaufen, er war für sie eine Sensation und sie wollten von ihm einen Vorteil. Tatsächlich nachgeahmt wurde Jesu Lehre von den Juden in Jerusalem erst, nachdem als eine genügend große Gruppe sich entschloss, diese Botschaft vor aller Augen auch zu leben. Und die Urgemeinde wuchs von Jerusalem aus und nicht von Galiläa aus, wo Jesus viel länger gelehrt hatte! Das Beispiel der guten Tat bewirkt mehr als jede noch so gute Predigt. Die Predigt richtet sich vor allem an die Emotionen 72 32. Unbegrenzt zum Zweiten Nachdem wir uns bisher mit den kleineren religiösen Gruppen beschäftigt haben, sollten wir uns nun der mit Abstand größten religiösen Gruppe der Welt widmen, der Katholischen Kirche! Den Mangel der späten Gründung kennt sie genauso wenig wie die anderen aus ihr hervorgegangenen großen Kirchen: Die koptische Kirche (Abspaltung 451), die orthodoxe Kirche (Abspaltung 1054), die evangelische Kirche (Abspaltung 1522) und die anglikanische Kirche (Abspaltung 1529). Sie alle können als aus der Urchristenheit hervorgegangen betrachten. Trotz der erheblichen Abspaltungen bleiben der Katholischen Glaubensgemeinschaft mit 1,18 Milliarden mehr Mitglieder als allen anderen zusammen, die insgesamt nur auf 1,08 Milliarden kommen. Dabei wächst die Katholische Kirche aufgrund der Bevölkerungszunahme in der 3. Welt ungebrochen weiter. Auch bei der Legitimation als der einzig wahren Kirche kennt die Katholische Kirche bekanntlich kein Problem und gründet sich einerseits auf die Aussage Jesu „Du bist Petrus, der Fels, und auf diesen Fels will ich meine Kirche bauen“ und dann auf ihr eigene geschichtliche Erkenntnis, wonach Petrus der erste Papst von Rom gewesen sei, und das womöglich schon von 33 bis 67 n. Chr.. Allerdings wird diese Behauptung von kaum einem Gelehrten außerhalb der katholischen Kirche geteilt. Sodann wurde die Katholische Kirche schon bald die größte intellektuelle Macht auf Erden, das ganze Mittelalter hindurch war sogar fast das gesamte geistige Potential der europäischen Bevölkerung in der Katholischen Kirche gebunden und wurde für die katholische Theologie eingespannt. Angesichts einer so geballten Ladung an Intelligenz darf man zu Recht hoffen, dass eine wirklich gescheite Theologie dabei herausgekommen ist. Zudem stellt die katholische Theologie als typisch paulinische Theologie die Richtigkeit des Denkens über die Richtigkeit des Tuns und sollte sich schon deshalb mit ihren theologischen Aussagen besondere Mühe geben. Was wir bisher von der katholischen Theologie wissen, dämpft diese Hoffnung allerdings stark: Kristallisationspunkt des katholischen Interpretationsmusters ist nämlich bis heute die Hauptaussage von Paulus geblieben, wonach durch den einen Menschen Adam der Tod für alle die anderen Menschen in die Welt gebracht wurde. Jesus als Gottes einziger Sohn konnte diesen Tod nur durch seinen eigenen Tod am Kreuz egalisieren. Doch ist man nur dann vom Tod erlöst, wenn man auch glaubt, dass Jesus wegen der Sünden, die man selber begangen hat, am Kreuz gestorben ist, sonst leider nicht. Immerhin gibt Paulus zu, dass seine Predigt Schwachsinn ist, wobei er jedoch seinen Anhängern einredet, dass gerade diese offensichtliche Tatsache des Schwachsinns das sichere Zeichen dafür ist, dass seine Lehre direkt von Gott stammt. Denn die Botschaft vom Kreuz ist für die ein Schwachsinn, die verloren gehen; uns aber, die wir gerettet werden, ist es eine Gotteskraft, denn es steht geschrieben: „Ich will die Weisheit der Weisen zugrunde richten, und die Intelligenz der Intellektuellen will ich verwerfen.“ Wo ist der Weise, wo der Schriftgelehrte, wo der Disputiergeist dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit dieser Welt als schwachsinnig hingestellt? Denn weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, hielt es Gott für gut, durch den Schwachsinn der Predigt diejenigen zu retten, die glauben. Während nämlich die Juden Zeichen fordern und die Griechen Weisheit suchen, predigen wir den gekreuzigten Jesus, für die Juden ein Ärger und für die Welt ein Schwachsinn. (1. Korinther 1,18) Wir können an dieser Stelle nicht die katholische Theologie in ihrer Gesamtheit behandeln, sie ist – siehe die vielen Gehirne, die sie ausgearbeitet haben – außerordentlich kompliziert. Aber ihre wesentlichen Aussagen können wir stellvertretend herausgreifen und sie im Wesentlichen darstellen: Eines davon ist die Logostheorie des Johannes, die besagt, dass Jesus als Sohn Gottes schon von Anbeginn aller Zeit als Geistwesen an der Seite seines Vaters existierte. Als dann – aus welchem Grunde auch immer – der Vater wollte, dass die Welt entsteht, fing er zu sprechen an. Jesus war dann plötzlich dieses Wort des Vaters und als dieses erbaute er dann die ganze Welt – allerdings mit zwei wichtigen Ausnahmen: Das Paradies und 73 der dazugehörige Mensch blieben Chefsache und wurden von Gott mit eigenen Händen erschaffen. Nachdem der Mensch sich als zu schwach erwiesen und einen Apfel gegessen hatte, den er nicht hätte essen sollen, reagiert Jesu Vater über und lässt nicht nur den Tod über die Menschen kommen, sondern vertreibt sie aus dem Paradies und verflucht auch noch den Ackerboden sowie das Kinderkriegen. Freilich, und das wäre eine ganz normale menschliche Reaktion, tat Gott seine Überreaktion bald leid, und weil er die Menschen so über die Maßen liebte und weil er so allmächtig ist, nimmt er seine einzige Möglichkeit der Wiedergutmachung wahr und schickt seinen eingeborenen Sohn zur Erde, damit der dort möglichst grausam zu Tode kommt… Spätestens an dieser Stelle geht die Logostheorie des Johannes in die Tod-für-Tod-Theologie des Paulus über und bildet ein schlüssiges Ganzes. Allerdings fehlt bis jetzt noch jede katholische Eigenleistung, man hat hier schließlich nur zwei bereits vorhandene Gedanken zusammengefügt. Doch diese Eigenleistungen kommen noch! Fronleichnam zum Beispiel ist eine nur von den katholischen Theologen erbrachte intellektuelle Glanzleistung: Nach offizieller katholischer Version geht die Anregung zu diesem Fest auf eine Vision der heiligen Augustiner-Chorfrau Juliana von Lüttich im Jahre 1209 zurück. Die Legende erzählt, sie habe in einem Traum den Mond gesehen, der an einer Stelle verdunkelt war. Christus habe ihr erklärt, dass der Mond das Kirchenjahr bedeute und der dunkle Fleck das Fehlen eines großen Festes. Dieser Traum sagte aber nicht, um welches Fest es sich handelte und wann im Kirchenjahr es stattfinden sollte. Der tatsächliche Grund für Fronleichnam ist aber ein anderer: Das 4. Laterankonzil hatte im Jahre 1215 die Wandlung der „eucharistischen Gestalten“ – das sind Brot und Wein – mittels der „Transsubstantiationslehre“ präzisiert und zum Dogma, also zur Lehrmeinung mit unumstößlichem Wahrheitsanspruch erhoben. Das bedeutet, dass nach Auffassung der katholischen Kirche im Gottesdienst die Gegenwart Jesu durch Brot und Wein nicht nur symbolisiert wird, sondern dass Jesus nach der Wandlung mit seinem eigenen Leib im jeweiligen Gotteshaus persönlich anwesend ist. Wein und Brot sind nun wirklich Jesu Fleisch und Blut – ein Dogma, das alle anderen christlichen Kirchen als Unfug empfinden und das nirgendwo außerhalb der katholischen Kirche akzeptiert ist. Auch damals im Mittelalter entwickelten die Menschen eine immer größer werdende Scheu zur Kommunion zu gehen und den anwesenden Jesus zu essen. Um die Transsubstantiationslehre bzw. das Geschehen der Wandlung den Katholiken im wahrsten Sinne des Wortes „schmackhaft“ zu machen, verband man den Traum Julianas, der die Forderung Jesu nach einem weiteren Fest enthielt, mit einem neu geschaffenen Volksfest, dem man den Namen „Fronleichnam“ gab. Fronleichnam heißt eigentlich nur „des Herren Leib“, in der Liturgie nennt man es das „Hochfest des Leibes und Blutes Christi“. Gefeiert wurde Fronleichnam erstmals 1246 im Bistum Lüttich, 1264 wurde es von Papst Urban IV durch die Bulle Transiturus de hoc mundo (zu Deutsch: „Ehe Jesus diese Welt verlassen wollte…“) zum Fest der Gesamtkirche erhoben. In ihr heißt es: „Wir haben es daher, um den wahren Glauben zu stärken und zu erhöhen, für recht und billig gehalten, zu verordnen, dass außer dem täglichen Andenken, das die Kirche diesem heiligen Sakrament bezeigt, alle Jahre auf einen gewissen Tag noch ein besonderes Fest, nämlich auf den 5. Wochentag nach der Pfingstoktav, gefeiert werde, an welchem Tag das fromme Volk sich beeifern wird, in großer Menge in unsere Kirchen zu eilen, wo von den Geistlichen und Laien voll heiliger Freude Lobgesänge erschallen…. Und da Wir die Gläubigen auch durch geistliche Gaben zur Feier und Verehrung dieses Festes aneifern wollen, bewilligen Wir jeglichem, der wahrhaftig reumütig beichtend an diesem Tage dem Frühgottesdienst oder der Messe oder der Vesper beiwohnt, hundert Tage Ablass; jeglichem, der der Prim, Terz, Sext, Non und Komplet beiwohnt, 40 Tage für jede dieser Stunden. Überdies erlassen Wir allen, die während der Oktave dem Frühgottesdienst, der Vesper und Messe beiwohnen, gestützt auf die 74 barmherzige Allmacht Gottes und im Vertrauen auf die Autorität der heiligen Apostel Petrus und Paulus, jedes Mal 100 Tage von den Strafen, die sie zu verbüßen haben.“ (Urban IV, Papst, 11.8.1264) Damit sind wir bei einer neuen Frucht katholisch-theologischer Gedankenarbeit angelangt: Der Ablasslehre! Nach katholischer Erkenntnis sind zwar alle Kirchenmitglieder durch Jesu Kreuzestod prinzipiell von aller Sünde erlöst und zusätzlich bekommen sie noch nach der Beichte ihre Sünden vergeben, doch Vergebung und Erlösung schützen nicht vor Strafe! Diese hat man nach seinem Tod im Fegefeuer auf jeden Fall trotzdem abzusitzen, oder vielleicht besser: abzuschwitzen. Klar, dass die Aussichten auf das Fegefeuer unangenehm sind, gerade für Kleriker, die sich ihrer Sünden ja besser bewusst sind als andere. Da war guter Rat teuer, im wahrsten Sinne des Wortes; und die Katholische Kirche – raffiniert wie sie nun einmal ist – kreierte einen Gnadenschatz, den Jesus und die Heiligen durch ihre Verdienste angehäuft haben sollen. Dieser Gnadenschatz ist unermesslich groß und die katholische Kirche darf ihn ganz nach ihrem eigenen Ermessen verwalten und austeilen, und ganz am Anfang durfte man ihn sogar gegen Geld verkaufen! Paradiesische Verhältnisse für die Kirche…! In einem Ablass gibt die Katholische Kirche nun einem Sünder aus ihrem Gnadenschatz das, was ihm fehlt, damit dieser vor Gott wieder gerecht dasteht – und das ist nach der Erlösung und der Vergebung der Sünden jetzt endlich auch die Erlassung der Strafe für die Sünden! Zum Gewinn eines Ablasses ist ein frommes Werk nötig (nicht zu verwechseln mit einem guten Werk), also Wallfahrten und Kirchen- oder Friedhofsbesuche. Zusätzlich noch die Beichte, die Kommunion und ein Gebet „in der Meinung des Papstes“ (ein Blanko-Gebet, in dem der Papst das Anliegen bestimmt). Auch kommen für Ablässe nur getaufte Katholiken in Frage. Man kann einen Ablass aber nicht nur für sich selbst gewinnen, sondern auch für das Seelenheil Toter. Im Ablassbrief wird der Ablass von der zuständigen kirchlichen Behörde bestätigt. Im 15. und 16. Jahrhundert erhöhte die Kirche ihre Einnahmen durch den Ablasshandel gewaltig und finanzierte mit ihnen den Petersdom. Dieser Auswuchs war dann auch der direkte Anlass für das Aufbegehren Luthers und die Reformation. Den Ablasshandel gegen Geld stellte man dann bald ein, sonst aber änderte sich nichts und bis Ende des Jahres 1966 bemaß man die durch den Ablass bewirkte Verkürzung der Schmorzeit im Fegefeuer noch in Tagen und Jahren. Die heutzutage gültige Definition (Codex Iuris Canonici von 1983, Canon 992) lautet: „Ablass ist der Nachlass zeitlicher Strafe vor Gott für Sünden, deren Schuld schon getilgt ist; ihn erlangt der entsprechend disponierte Gläubige unter bestimmten festgelegten Voraussetzungen durch die Hilfe der Kirche, die im Dienst an der Erlösung den Schatz der Sühneleistungen Christi und der Heiligen autoritativ verwaltet und zuwendet.“ Übrigens ist eine gewisse Inflation des Ablasses, vor allem des vollkommenen Ablasses zu beobachten: Gab es vollkommene Ablässe bis vor wenigen Jahren nur bei seltenen Gelegenheiten wie den heiligen Jahren der Kirche (alle 25 Jahre), so gab es sie seit neuestem auch schon beim Weltjugendtag in Köln (2005) und bei der 150-Jahr-Feier in Lourdes (2008). Sogar wenn man – natürlich „in entsprechender Disposition“ – den Papstsegen „urbi et orbi“ über die Massenmedien oder per Internet erhält, ist der Empfang eines vollkommenen Ablasses gegeben. Doch was ist so ein Ablass wirklich? Stellen Sie sich bitte vor, jemand hat einen Fehler Ihnen gegenüber begangen und kommt nun zu Ihnen und bittet Sie dafür um Entschuldigung. Sie sind gnädig gestimmt und antworten: „Ja, ich vergebe Dir – aber bestrafen werde ich Dich trotzdem!“ Ist so etwas vielleicht Vergebung? – Sicher nicht! Doch genau so läuft der Ablass ab: Dass man für die Sünden, die Gott einem vergeben hat und von denen man noch dazu durch Jesus erlöst ist, trotzdem eine von Gott selbst verordnete langjährige Strafe im Fegefeuer absitzen muss, ist an sich schon der blanke Unsinn. Und dass man dem von Gott verordneten Fegefeuer nur entgehen kann, wenn man 75 sich mit der Katholischen Kirche arrangiert, die Gutscheine – oder wie soll man diese Ablassbriefe sonst nennen? – ausstellt, die die Strafe Gottes verkürzen, erst recht! Aber das ist noch nicht unbedingt der Höhepunkt des Unsinns der katholischen Theologie und entsprechend seiner seelischen Disposition empfindet jemand, der sich mit dieser Theologie auseinandersetzt, dieses oder jenes Dogma oder sonst eine Doktrin als unerträgliche Anmaßung der katholischen Kirche oder als unüberbietbaren Schwachsinn. Ganz hoch im Kurs als Anwärter auf den 1. Platz hinsichtlich der Skurrilität katholischer Dogmatik stehen auf jeden Fall die Heiligen: Es gibt eine schier unübersehbare Anzahl von ihnen, selbst die katholische Kirche kennt nicht jeden Einzelnen und schätzt sie auf gut 13 000. Das hat seinen Grund darin, dass die Heiligsprechung in der heute gültigen Form theologisch erst im Jahre 1588 geregelt wurde und man es davor einfach dem Volk überlassen hatte, wen es als heilig verehrte und wen nicht. Wenn Menschen heute „heilig gesprochen“ sind, bedeutet das, dass wir gewiss sein dürfen, dass sie bereits in die Herrlichkeit Gottes eingegangen sind, also das Fegefeuer schon hinter sich haben. Von daher muss die Katholische Kirche zwischen der Seligsprechung (der Anwärterschaft auf einen Platz im Himmel als Heiliger) und der Heiligsprechung immer eine gewisse Zeit verstreichen lassen, die so lange ist, wie sie mutmaßt, dass die betreffende Person von Gott im Fegefeuer gefangen gehalten und dort vom Teufel geläutert wird. Nach einer erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Gott und Teufel steht uns nun diese Person als Fürsprecher im Himmel zur Verfügung. Wir dürfen die Heiligen bitten, ein gutes Wort für unsere Anliegen bei Gott einzulegen – etwas, um was wir auch Maria, die Mutter Gottes, und natürlich auch Jesus selbst bitten dürfen. Diese ganze Vorstellung vom Fegefeuer und der anschließend stellvertretenden Bittstellerei vor Gott ist natürlich höchst anthropomorph: Da sitzt Gott auf seinem himmlischen Thron, zu seiner Rechten hat Jesus Platz genommen, der Platz seiner Mutter ist nicht genau festgelegt, ebenso wenig wie der der Heiligen. Doch sie alle vernehmen im Himmel die Gebete der Gläubigen mit ihren verschiedensten Anliegen: „Der Huber-Bauer braucht eine reiche Ernte, damit er seinen neuen Traktor finanzieren kann.“ „Die Schmidts möchten in Urlaub fahren und brauchen schönes Wetter.“ „Der Thomas Maier braucht einen preiswerten Kredit, sonst geht er Pleite.“ „Kannst Du bitte machen, dass meine Tante ihre Operation übersteht“ „Meinem Sohn ist die Freundin weggelaufen; bitte helft ihm aus seinem Liebeskummer“… Nach unserem Gebet dürfen wir nun hoffen, dass die von uns angerufenen Fürsprecher mit Gott ausdauernd und geschickt verhandeln und Gott von ihnen gnädig gestimmt wird. Natürlich erscheint das hier naiv und überspitzt ausgedrückt, doch wenn wir ehrlich sind, kann die Fürsprache der Heiligen bei Gott kaum anders aussehen. Doch das ist noch nicht alles an Anthropomorphismus, welcher sich in den Heiligen manifestiert: Es gibt da nämlich noch eine schnelle Eingreiftruppe: Die 14 Nothelfer! Wenn man diese anfleht, wird einem Gottes Segen besonders rasch zu teil! Wem also an einem möglichst reibungslosen Lebensablauf gelegen ist, sollte deren Namen mit den Zuständigkeitsbereichen aus dem Internet herunterladen, um sie im Notfall sofort griffbereit zu haben! Aber Scherz (?) beiseite: Auch bei den Heiligsprechungen ist inzwischen eine inflationäre Entwicklung zu beobachten: Während es in den 300 Jahren vor Papst Johannes-Paul II nur 300 Heiligsprechungen gab, machte Papst Johannes-Paul II in seiner 26-jährigen Amtszeit gleich 482 Tote zu neuen Heiligen. Papst Benedikt XVI brachte es auf 845. Und da wir schon bei den Heiligen, die der Papst ganz allein ernennt, sowie bei Maria, der Mutter Gottes, sind, können wir auch noch einen Blick auf die Unfehlbarkeit des Papstes und das Jahr 1950 werfen, in dem der damalige Papst Pius XII. tatsächlich ganz offiziell von seiner Unfehlbarkeit Gebrauch gemacht hat. 76 Bei der päpstlichen Unfehlbarkeit geht es um eine relativ neue theologische Errungenschaft der Katholischen Kirche. Erst am 18. Juli 1870 wurde sie auf dem 1. Vatikanischen Konzil durch Mehrheitsbeschluss aus der Taufe gehoben. Sie wurde seither nicht weiter verfeinert und in der Ausgabe des Katechismus der Katholischen Kirche von 1992 heißt es dazu in Paragraph 889: „Um die Kirche in der Reinheit des von den Aposteln überlieferten Glaubens zu erhalten, wollte Christus, der ja die Wahrheit ist, seine Kirche an seiner eigenen Unfehlbarkeit teilhaben lassen.“ Der diesbezügliche Glaubenssatz des 1. Vatikanischen Konzils, der seinerseits ebenfalls unfehlbar ist, lautet (18.7.1870): „Zur Ehre Gottes, unseres Heilands, zur Erhöhung der katholischen Religion, zum Heil der christlichen Völker lehren und erklären wir endgültig als von Gott geoffenbarten Glaubenssatz, in treuem Anschluss an die vom Anfang des christlichen Glaubens her erhaltene Überlieferung, unter Zustimmung des heiligen Konzils: Wenn der Römische Papst in höchster Lehrgewalt (ex cathedra) spricht, das heißt: wenn er seines Amtes als Hirt und Lehrer aller Christen waltend in höchster apostolischer Amtsgewalt endgültig entscheidet, eine Lehre über Glauben oder Sitten sei von der ganzen Kirche festzuhalten, so besitzt er aufgrund des göttlichen Beistandes, der ihm im heiligen Petrus verheißen ist, jene Unfehlbarkeit, mit der der göttliche Erlöser seine Kirche bei endgültigen Entscheidungen in Glaubensund Sittenlehren ausgerüstet haben wollte. Diese endgültigen Entscheidungen des Römischen Papstes sind daher aus sich und nicht aufgrund der Zustimmung der Kirche unabänderlich. Wenn sich jemand — was Gott verhüte — herausnehmen sollte, dieser unserer endgültigen Entscheidung zu widersprechen, so sei er ausgeschlossen.“ Dieses Dogma war damals innerhalb der Kirche umstritten und führte zur Abspaltung der altkatholischen Kirche, auch löste es in Deutschland unter Bismarck den Kulturkampf aus. Angesichts dieser massiven Reaktionen verzichteten die Päpste auf die Anwendung und so verstrichen Jahrzehnte, ohne dass es ein Papst gewagt hätte, offiziell auf seine Unfehlbarkeit zu pochen. Anders dann Pius XII, der von 1939 bis 1958 Papst war. Dieser Papst, der auch den Beinamen der „deutsche“ Papst trug, hatte in seiner Politik gegenüber Nazideutschland bewusst eine sehr passive Rolle eingenommen und dazu von Seiten der deutschen katholischen Kirche den Widerstand gegen Hitler so gut, wie er konnte, unterdrückt. Der Grund war, dass Pius XII die Stellung des Papsttums innerhalb der katholischen Kirche noch weiter absolutistisch ausbauen wollte, als es dies ohnehin schon war. Und den absoluten Gehorsam der Gläubigen einzufordern ist in einem Staat, der diktatorisch regiert wird, leichter als in einer freien, pluralistischen Demokratie – eine richtige Überlegung, denn offensichtlich gilt: Je mehr Demokratie und Pluralismus, je mehr die Menschen zur Individualität und zu eigenständigem Denken erzogen werden, desto mehr verschwindet der Einfluss der katholischen Kirche. Jedenfalls – und da sind sich die Historiker einig – wäre Hitlers Nationalsozialismus, der das Wohl des Gesamten ohne irgendeinen Skrupel über das Wohl des Einzelnen stellte, indem alle die selbe Denkrichtung und nur die dem Gesamten dienenden Ziele verfolgen durften, ohne die extrem bremsende Politik von Papst Pius XII in dieser verheerenden Ausprägung niemals möglich gewesen. Was machen nun die Machthaber, sobald sie auf einem Gebiet versagten? Richtig: Sie versuchen abzulenken und auf einem anderen Gebiet zu punkten! Nachdem sich das Ausmaß des Misserfolgs der päpstlichen Nazi-Politik abzeichnete und die Mittelmächte am Untergehen waren, begann Papst Pius XII auf einmal Visionen der Jungfrau Maria zu entwickeln und bekam in seinen vatikanischen Gärten immer öfter Marien-Erscheinungen. 77 Diese Rechnung des Papstes ging auf: Die Erscheinungen der Jungfrau Maria bei Pius XII wurden damals äußerst populär und verdrängten jegliche Kriegskritik. Und den Höhepunkt der Ablenkung bildete im Jahre 1950 die erste und bisher einzige offizielle Unfehlbarkeitserklärung des Papstes! Die päpstliche Unfehlbarkeit, die bei ihrer Einführung 1870 so gedacht war, dass bei zersetzenden dogmatischen Streitigkeiten innerhalb der Kirche der Papst den Streit damit beenden kann, indem er das letzte Wort sprach, diese Unfehlbarkeit hatte Pius für seine eigenen Zwecke missbraucht: Es gab damals nach dem Krieg gar keinen dogmatischen Streit innerhalb der Kirche und daher auch keinen Handlungsbedarf! Pius XII leitete die Unfehlbarkeitserklärung ganz allein als Eigeninitiative in die Wege: Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, als man nach den dringlichsten Aufräumarbeiten die Zeit zu haben begann, nach Zusammenhängen und Ursachen zu fragen, richtete er am 1. Mai 1946 in der Enzyklika „Deiparae virginis mariae“ an seine Bischöfe folgende scheinheilige Anfrage: „Seid ihr, Ehrwürdige Brüder, vermöge eurer hervorragenden Einsicht und Klugheit der Meinung, dass die leibliche Aufnahme Marias in den Himmel als Glaubenssatz vorgelegt und definiert werden kann? Und wünscht ihr dies mit eurem Klerus und eurem Volk?“ Die meisten Bischöfe signalisierten Zustimmung und so erhob Pius XII am 1. November 1950 die leibliche Aufnahme Marias in den Himmel wirklich zum Dogma und die diesbezüglich erlassene Unfehlbarkeitserklärung lautete wie folgt: „Wir verkünden, erklären und definieren es als einen von Gott geoffenbarten Glaubenssatz, dass die makellose Gottesmutter, die allzeit reine Jungfrau Maria, nach Vollendung ihrer irdischen Lebensbahn mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen wurde. … Wenn daher, was Gott verhüten möge, jemand vorsätzlich dies, was wir definiert haben, leugnet oder in Zweifel zieht, so soll er wissen, dass er völlig von dem göttlichen und allumfassenden Glauben abgefallen ist.“ Als allererstes darf man, und zwar mit Berufung auf die Bibel, in Zweifel ziehen, dass Maria „eine allzeit reine Jungfrau“ war, denn im Matthäusevangelium Kapitel 13,55 heißt es klipp und klar: Ist das nicht der Sohn des Zimmermanns? Heißt nicht seine Mutter Maria und seine Brüder Jakobus, Joses, Simon und Judas? Und wohnen nicht alle seine Schwestern bei uns? Maria bekam nach Jesus noch mindestens vier weitere Söhne und mehrere Töchter – und das als allzeit reine Jungfrau? Als allererstes hätte sich da Josef schön bedankt, wenn das wahr gewesen wäre! Jedoch andererseits angenommen, auch die Geschwister von Jesus wären nicht von Josef gezeugt worden, sondern ebenfalls vom Heiligen Geist, dann hätten sie alle den gleichen Stellenwert wie Jesus und dessen Exklusivität als der „eingeborene Sohn“ Gottes wäre dahin! Schon diese Unfehlbarkeitserklärung an sich ist ein Anschlag auf die Vernunft der Katholiken und eine absolute Zumutung für alle, die zwei und zwei zusammenzählen können. Und am Schluss der Unfehlbarkeitserklärung – wie soll man es anders nennen – dann diese dumme Drohung: Wer das „in Zweifel zieht, soll wissen, dass er völlig von dem göttlichen und allumfassenden Glauben abgefallen ist.“ Zur Erinnerung: Das geschah alles erst jetzt im 20. und 21. Jahrhundert! Paulus wusste schon vor 2000 Jahren sehr genau, dass er mit seiner Erlösungslehre Schwachsinn verkündete und sprach das auch offen an, doch die katholischen Theologen tun so, als hätten sie die Weisheit mit Löffeln gegessen und seien als die einzigen Menschen der Welt in der Lage, ihren unwissenden Schäflein zu erklären, wie es um Gott, Jesus und Maria bestellt ist. 78 In ihren wichtigsten Glaubensinhalten zusammengefasst klingt die katholische Theologie nun wie folgt: Jesus war zunächst das präexistente Wort Gottes, das später auf dessen Geheiß hin die Welt erschuf. Gott selbst erschuf nur den Menschen und das Paradies. Als der Mensch versagte und mit seinem Apfelbiss zum absolut bösen Sünder wurde, der sich für immer und ewig von Gott entfernt hatte und es keine Brücke mehr zwischen Gott und dem Menschen gab, da hatte der allmächtige Gott keine andere Wahl: Er musste Jesus, seinen einzigen Sohn, auf die Erde schicken und dort grausamst töten lassen, damit dadurch seine anderen Kinder gerettet werden. Jesu irdischer Lebensweg war nicht einfach: Er musste zuerst im Fötus einer Jungfrau inkarnieren und wuchs anschließend brav und ohne Laster und Sünden bei irdischen Zieheltern auf. Als er erwachsen war, erwählte er sich 12 Apostel und zog mit diesen umher. Er verkündete überall das nahe Himmelreich. Er musste allerdings einräumen, den Jüngern zu seinen Lebzeiten noch nicht die volle Wahrheit mitteilen zu können, dafür seien sie noch nicht reif genug. Doch das würde kurz nach seinem Weggang der Heilige Geist übernehmen. Danach starb er am Kreuz den schlimmsten Tod, den je ein Mensch gestorben ist, denn mit diesem Tod büßte er die Sünden sämtlicher Menschen auf der ganzen Welt für alle Zeit. Nachdem er dem Tod erlegen war, stieg Jesus in die Hölle hinab und besiegte dort den Tod. Dazu brauchte er nur knapp drei Tage. Daraufhin inkarnierte er erneut, und zwar in seinen alten Leib. In diesem Leib aß und trank Jesus wieder mit den Jüngern und kündigte ihnen noch einmal das baldige Kommen des Heiligen Geistes an. 40 Tage nach der Auferstehung, wie man die zweite Inkarnation auch nennt, fuhr er mit seinem alten/neuen Leib in den Himmel auf und sitzt dort seither mit seinem irdischen Körper zur Rechten Gottes, der allerdings ein Geistwesen geblieben ist (wie übrigens alle anderen Engel und Heilige im Himmel auch). Der heilige Geist kam dann tatsächlich auf die Apostel herab, jedoch zuerst nur auf die Apostel der ersten Stunde und half die Anfangsschwierigkeiten zu überwinden. Nach ein paar Jahren kam der Heilige Geist aber darauf, dass er jemanden vergessen hatte, nämlich den Pharisäer Paulus! Und wie um seinen Fehler wieder gut zu machen. erwies er sich nun diesem gegenüber als ungemein generös und überschüttete ihn förmlich mit seinen Offenbarungen! Und dieser – ausgerechnet Jesu 13. Apostel – gab alles treu und ehrlich an die Menschen weiter, was ihm der Heilige Geist direkt von Gott offenbart hatte: Dass die Juden für die ganze Welt ein Ärgernis und die Mörder Gottes sind und – was noch viel wichtiger war – dass die Frau ihrem Mann untertan sein und in allem genauso gehorchen soll wie Gott selbst. Ebenfalls gehört zum Offenbarungsschatz des Paulus, dass alle Regierungen dieser Welt von Gott eingesetzt sind und ihnen deshalb unbedingter Gehorsam zusteht. Für den Fall, dass es Menschen gibt, die solches nicht glauben und der göttlichen Botschaft des Paulus nicht folgen wollen, ist es selbst für den Verstocktesten noch möglich, dass er in die Herrlichkeit Gottes eingeht: Die wahren Christen müssen nur dessen Körper auf möglichst satanische Weise zerstören, dann wird beim jüngsten Gericht sogar auch dessen Geist noch frei für Gott! Was für eine frohe Botschaft und welch ein wunderbarer Gott, der dafür Sorge trägt, dass die Erlösung und seine Gnade auch wirklich all seinen Menschenkindern zu teil wird! Da Jesus nicht mehr hier ist, sondern in seinem eigenen Reich weilt, das allerdings „nicht von dieser Welt ist“, ist der Papst in dieser Welt als Stellvertreter Jesu dazu auserkoren, zu richten und zu herrschen, zu binden und zu lösen. Dabei steht ihm der Heilige Geist weiterhin offenbarend bei. Im Bewusstsein seiner Auserwählung vollzog der Papst bisher die göttlichen Aufträge auch wirklich nach bestem Wissen und Gewissen – und siehe: Gott war mit dem Papst und seiner Kirche! Und die Kirche gedieh und verbreitete sich über den gesamten Erdkreis zum Wohle der Völker und zum Lobpreis des Vaters und seines Sohnes Jesus Christus, unseres Erlösers. Als ermutigend für das Wohlergehen der Katholischen Kirche und das Heil der Völker auf der Erde darf der Umstand gelten, dass die Theologie bzw. die Offenbarungen durch den Heiligen 79 Geist beileibe noch nicht an ihrem Ende angelangt sind. Und so dürfen wir uns nun aufrichtig mit Jesus und für Jesus freuen: Jesus, der bereits vor aller Zeit als Geistwesen gemeinsam mit seinem Vater im Himmel existierte, nach seiner Himmelfahrt aber der einzige im Himmel war, der noch seinen irdischen Leib mit sich herumschleppt, ist damit im Himmel nun nicht mehr allein: Seit dem 1. November 1950 hat er Gesellschaft! Zwar hat ihm der Papst nicht – was Jesus wahrscheinlich lieber gewesen wäre – Maria Magdalena leiblich beigesellt, aber über seine Mutter wird er sich hoffentlich auch etwas gefreut haben! So und nun sitzen Jesus und seine Mutter mit ihrem physischen Leib in einem Himmel, den es physisch gar nicht gibt! Ist die Bibel das Buch der unbegrenzten Möglichkeiten? – Ja, und sie eröffnet der Katholischen Kirche und ihrer Theologie sogar die Möglichkeiten des unbegrenzten Schwachsinns und der unbegrenzten Selbsttäuschung. 80 33. Unbegrenzt zum Dritten Am Schluss der Unfehlbarkeitserklärung von 1950 heißt es: „Wenn jemand vorsätzlich dies, was wir definiert haben, leugnet oder in Zweifel zieht, so soll er wissen, dass er völlig von dem göttlichen und allumfassenden Glauben abgefallen ist“. Wie finden Sie diese Papst-Aussage? Der Papst ist garantiert klug genug, um zu wissen, dass sowohl seine Unfehlbarkeit an sich als auch diese konkrete Erklärung nur einen winzigen Teil der gesamten katholischen Theologie darstellt. Und er weiß auch – man sollte den Papst beiliebe in dieser Hinsicht nicht unterschätzen –, dass er mit dem Postulat einer „allzeit reinen Jungfrau Maria“ reinsten logischen Unsinn produziert, der für jeden mit normalem Verstand ausgestatteten Menschen eine Herausforderung, oder lateinisch ausgedrückt, eine Provokation darstellt. Dabei ist diese völlig unnötig: Jesus kann genauso gut Gottes eingeborener Sohn bleiben und Maria ebenso gut körperlich in den Himmel auffahren, auch wenn sie ihre anderen Kinder nicht als „allzeit reine Jungfrau“ zur Welt gebracht hat. Mit diesen weiteren Geburten hat sie letztendlich nur das für alle Menschen gültige Gebot Gottes „Seid fruchtbar und mehret Euch!“ erfüllt und dafür hat sie gewiss keine negativen Konsequenzen zu fürchten. Warum dann diese völlig überflüssige Provokation mit auch noch bibelwidrigen Inhalten vom Papst, indem er fordert, dass die Katholiken neben so vielem anderen auch diesen logischen Nonsens noch mitglauben müssen? Genau betrachtet ist die katholische Kirche in ihrem Anspruch auf die geistige Führung ihrer Anhänger viel schlimmer als die von ihr wegen sinnloser Glaubensinhalte angefeindeten Sekten. Erstens sind die katholischen Inhalte wesentlich abstruser und zweitens ist die Führung der katholischen Kirche absoluter: Als wichtigster Kritikpunkt ist hier die Kindstaufe zu nennen: Während die so genannten Sekten mit ihren Erkenntnissen zur Bibel nur die Erwachsenen ansprechen und in aller Regel auch die Taufe ihrer eigenen Kinder ablehnen, werden aufgrund der seit je her bestehenden Kollaboration der katholischen Kirche mit der staatlichen Macht die als Babys getauften Kinder schon im Kindergarten und in der Schule mit der katholischen Lehre konfrontiert und infiltriert. Und während die katholische Kirche ihre Konkurrenz kritisiert, weil sie ihre Anhänger dazu bringen will, dass diese kleinere oder größere Teile ihrer Freizeit oder ihres Vermögens für den Glauben opfern, ist es das Ziel der katholischen Kirche, dass möglichst viele ihrer Anhänger völlig Gottes schöner Welt entsagen, überhaupt keinen Besitz mehr haben und ihre ganze Lebenszeit und alle ihre Kraft ausnahmslos der katholischen Kirche zur Verfügung stellen! Und damit ihre Herrschaft über Geist und Seele vollständig ist, fordert die katholische Kirche auch noch die zölibatäre Lebensweise, bei der jedem, der sich auf sie einlässt, keine andere Möglichkeit bleibt, als fortan sein ganzes restliches Leben lang zumindest in Gedanken weiter zu sündigen und sich immerfort schuldig und schwach zu fühlen. (Der Zölibat, auf den in diesem Buch nicht näher eingegangen wird, ist bekanntlich ja auch ein Meilenstein der katholischen Theologie und wurde im Jahre 1139 festgelegt.) Es ist offensichtlich, dass es der Katholischen Kirche vor allem um Macht geht, genauso wie es ihr schon immer um die Macht ging: Früher in weltlicher u n d geistiger Hinsicht, heutzutage nach dem Erfolg der Aufklärung in der westlichen Welt immer noch in geistiger Hinsicht. Jede Anstrengung in der Mission und alle tätige Nächstenliebe sind heute wie früher nur diesem einen Zweck untergeordnet: Der Ausweitung dieser Macht für alle Zeit und bis an die Grenzen der Erde. Dass tätige Nächstenliebe in der Vergangenheit dem inhaltlich korrekten Glauben untergeordnet war, ist von vielen versuchten Ordensgründungen her bekannt. Waren jemandem in früherer Zeit der Luxus und Pomp der Kirche und ihre Scheinheiligkeit zuwider und wollte er aussteigen und einen Orden gründen, der sich dem Nächsten wirklich widmete, musste er bürokratische Hürden überwinden, die fast unüberbrückbar waren. Sodann 81 waren die Gründung und ein Beitritt nur dann möglich, wenn man neben dem Ordensziel mindestens noch folgende Gelübde auf sich nahm: Armut, Keuschheit und Gehorsam. Als das eigene selbstverantwortliche Individuum einfach nur Menschlichkeit zu üben, war damit von vornherein nicht mehr möglich und offensichtlich auch nicht gewollt. Ein der tätigen Nächstenliebe gewidmetes Leben im Rahmen der Kirche gab es nur in schwerer Selbstkasteiung und absoluter Unterordnung unter eine Hierarchie, an deren Spitze immer der Papst stand. Auch jede Mission dient in allererster Linie der Ausweitung des Machtanspruchs der katholischen Kirche. Die meist damit einhergehende Linderung der Not in den Missionsgebieten und der Bau von Schulen bilden dabei lediglich das Vehikel, um die Menschen mit der katholischen Lehre erreichen zu können. Zusammen mit der täglichen Mahlzeit und zusammen mit dem Unterrichtsstoff werden dort den Erwachsenen und vor allem den Kindern die katholischen Moralvorstellungen eingetrichtert – im durchaus wörtlichen Sinn. Betrachten wir in dieser Beziehung das sicherlich populärste Aushängeschild der katholischen Kirche näher: Mutter Teresa. Bei allem weltweiten Respekt vor ihrem Engagement in den Slums von Kalkutta gab es auch massive Kritik an ihrer Arbeit: Viele der ihrem Orden gespendeten Häuser waren ursprünglich halbwegs gut ausgestattet, doch dann projizierte Mutter Teresa ihr eigenes Armutsgelübde auf andere und so wurden auf ihren Befehl hin diese Häuser auf strengste Schlichtheit und Armut hin umgestaltet. Dabei hätte gerade den Ärmsten der Armen einmal ein wenig Bequemlichkeit garantiert gut getan! Das Schlimmste aber war Mutter Teresas Verbot, Kranken und Sterbenden Schmerzmittel verabreichen zu lassen. Denn genau in diesen Schmerzen, die liebenden Angehörigen am meisten zu Herzen gehen und die sämtliche Ärzte der Welt als erstes zu lindern suchen, um den Gequälten noch einige erträgliche Tage oder einen friedlichen Tod zu ermöglichen, genau in diesen Schmerzen sah Mutter Teresa die Chance, den ihr Anvertrauten die Erfahrung der Nähe Jesu zu ermöglichen! Wohlgemerkt: Es waren arme Menschen fremder Kulturen, die dadurch die Liebe Jesu kennen lernen sollten, indem sie in Schmerzen starben! Und was auch vor dem anthropomorphen Bibelgott sicher nicht zählt, das war Mutter Teresas gängige Praxis, Sterbende gegen deren Willen noch schnell katholisch zu taufen. Die Intention der Mutter Teresa tritt jedenfalls klar zu Tage: Helfen? Gewiss! Aber, um den katholischen Glauben weiter zu verbreiten und die Seelen der – meist heidnischen – Sterbenden für die katholische Vorstellung des Himmels noch dadurch zu retten, indem man ihren Leib in Schmerzen sterben lässt. Wer sicher gehen will, dass eine etwaige Spende zur Linderung der Not in der Welt wirklich den Menschen um der Menschen willen zugute kommt ohne skurrile Hintergedanken, der sollte sie den NGOs (Nicht-Regierungs-Organisationen) zukommen lassen. Das sind zum Beispiel „Menschen für Menschen“, die „SOS-Kinderdörfer“, „Amnestie International“, „Ärzte ohne Grenzen“… Hier ist ihre Hilfe zielsicherer untergebracht! Gehen wir in die Vergangenheit zurück und schauen uns die Dynamik an, die die positive Haltung der katholischen Kirche gegenüber den Schmerzen anderer in Verbindung mit ihrer gnadenlosen Intoleranz angenommen hat: Vor der konstantinischen Wende im Jahre 313 war man selbst oft unterdrückt worden und hatte genug damit zu tun, sich gegen den äußeren Feind gemeinsam zu wehren. Aus diesem Grund hielten sich die innerkonfessionellen Streitigkeiten und gegenseitigen Morde noch einigermaßen in Grenzen. Nach 313 jedoch wurde das sofort anders: Im Kampf um die freiwerdenden Beamtenposten und Bischofssitze massakrierten sich die Christen sofort zu Zehntausenden selbst! So starben in den ersten Jahren der Freiheit mehr Christen durch Christenhand als vorher in Jahrhunderten der Unterdrückung Christen durch Römerhand. Und von Anfang an lebten die Bischöfe im römischen Reich in einem unvorstellbaren Luxus. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte sich die habgierigste und gewalttätigste sowie dem Staat am loyalsten Ergebene unter den damaligen Glaubensrichtungen durchgesetzt und ließ sich das Zepter bis heute nie mehr wieder aus der Hand nehmen! 82 Was auf die Säuberung in den eigenen Reihen folgte, waren grausame Jahrhunderte sowohl für die eigene Bevölkerung wie für den Rest der eroberbaren Welt: Die Mission wurde mit staatlicher Unterstützung nun rasch vorangetrieben und überall, wo das Christentum Fuß fasste, zerstörte es die vorhandenen Kulturen. Unermessliches bereits angesammeltes Wissen der Menschheit ging dabei für lange Zeit verloren. Dabei verlief die Mission in der ersten Zeit noch einigermaßen zivilisiert: Man setzte sich mit den Heiden auch intellektuell auseinander und konnte den einen oder anderen Missionserfolg noch durch Überzeugen erzielen. Mit der fortschreitenden Skurrilität der katholischen Theologie gelang das freilich immer weniger und so wurde notgedrungen bald ausnahmslos mittels roher Gewalt missioniert. Zunächst die Kreuzzüge und später der ungenierte Sklavenhandel oder der gleich kontinentweise Genozid im Namen des Kreuzes sind die konsequenten Auswüchse dieser schrecklichen, parallelen Entwicklung: Je dümmer eine Argumentation wird, desto mehr muss man zuschlagen, um sein Gegenüber zu überzeugen. Eine uns auch noch heutzutage nur allzu bekannte Erscheinung. Und gleichzeitig mit dieser Entwicklung nach außen ging auch nach innen eine gleichgerichtete Entwicklung vonstatten: Um Luxusstreben und Geltungsbedürfnis der Kirchenfürsten zu befriedigen, war die eigene gläubige Bevölkerung von Anfang an gehalten, in den Städten große Kirchen und gewaltige Dome zu erbauen – ein unglaublicher Kraftaufwand für die damalige Zeit! Wenn wir– egal wo in Europa – von unseren Metropolen uns nur die Innenstädte betrachten, die im Mittelalter ja die ganze Stadt ausmachten, stoßen wir auf engstem Raum überall auf viele, oft riesengroße Kirchen. Die gemalten Ansichten von Städten im Mittelalter bestätigen das: Mindestens die Hälfte der gesamten Bausubstanz entfiel auf kirchliche Gebäude! Ähnliches können wir bei alten Fotografien von Dörfern sehen: Ein paar Bauernhöfe und mittendrin eine gewaltige Kirche! Auch da bedeutete der Bau der Kirche leicht die Verdoppelung der Bausubstanz des ganzen Ortes. Dabei war die Kirche schon wegen ihrer Höhe und ihres Turms wesentlich aufwändiger zu bauen als die normalen Häuser. Hinzu kamen die unglaublich teuren Kunstwerke im Innenraum der Kirchen mit Hauptaltar, Nebenaltären, Gemälden, Heiligenfiguren, sodann die bunten Glasfenster, Fresken, reich geschnitzte Beichtstühle, Bänke... Allein der Umstand, so aufwändige Kirchen in dieser Menge zu erbauen, bedeutete bereits eine Verdopplung der alltäglichen Mühen und Lasten der Allgemeinbevölkerung! Und nach dem Bauen mussten die Gebäude nicht nur erhalten, sondern die fetten Maden darin auch gefüttert werden! Pfarrer, Dekane, Bischöfe usw. führten oft ein bequemes Leben und brachten es in nahezu allen bildlichen Darstellungen aus dieser Zeit auf ein weit über dem Bevölkerungsdurchschnitt liegendes Körpergewicht. Doch mit diesen Aufwendungen war es noch lang nicht getan: Tag für Tag riefen die Geistlichen zur heiligen Messe, und wer sich dieser unter der Woche noch entziehen konnte, den traf es spätestens am Sonntag: Anstatt einen Ruhetag einzulegen wie Gott es selbst angeordnet hatte, bestand die Pflicht, mit leerem Magen sich vormittags zur Messe zu begeben, was gerade auf dem Land oft einen erheblichen Aufwand bedeutete, langen Predigten zuzuhören und nachmittags Andachten beizuwohnen. Wie schrieb im Jahre 1264 Papst Urban IV bei der Einführung Fronleichnams? „…bewilligen Wir jeglichem, der wahrhaftig reumütig beichtend an diesem Tage dem Frühgottesdienst oder der Messe oder der Vesper beiwohnt, hundert Tage Ablass; jeglichem, der der Prim, Terz, Sext, Non und Komplet beiwohnt, 40 Tage für jede dieser Stunden. Überdies erlassen Wir allen, die während der Oktave dem Frühgottesdienst, der Vesper und Messe beiwohnen, gestützt auf die barmherzige Allmacht Gottes und im Vertrauen auf die Autorität der heiligen Apostel Petrus und Paulus, jedes Mal 100 Tage von den Bußen, die sie zu verbüßen haben.“ Allein die Präsenz der Kirche mit ihren unverschämt hohen Ansprüchen für das Wohlergeben ihrer Repräsentanten und ihrer Forderung nach einem möglichst täglichen und oft sogar mehrmaligen Kirchgang bedeutete schon eine gewaltige stetige Mehrbelastung für die Menschen. Dazu gesellt sich noch der regelmäßige Beichtzwang mit Gewissenserforschung und den belastenden Folgen eines ständigen schlechten Gewissens. Wir 83 können uns das heutzutage in unserer Gott sei Dank nicht mehr kirchlich dominierten Welt überhaupt nicht vorstellen, was es in körperlicher, geistiger und seelischer Hinsicht hieß, hilflos dem Einfluss der Kirche ausgeliefert zu sein! Die furchtbaren Ängste, die die Menschen im Mittelalter vor allem und jedem plagten, sind eindeutiger Ausdruck ihrer inneren Haltlosigkeit, ihrer seelischen Leere und ihrer geistigen Verstümmlung durch die Katholische Kirche. Gleichzeitig sind sie ein eindeutiger Rückschritt gegenüber dem menschlichen Entwicklungsstand 1000 Jahre früher in der Antike! Wenn sich einmal ein hellerer Kopf unter den Buben zeigte, wurde sofort alles unternommen, dass dieser hoffnungsvolle Spross der Kirche überantwortet wurde, die aus ihm dann einen Kleriker machte und durch den Zölibat verhinderte, dass er sein Erbgut regulär weitergab. Die über Jahrhunderte schleichende negative Selektion der europäischen Intelligenz ist eine kaum auffallende, aber dennoch höchst ungünstige Einflussnahme der Katholischen Kirche auf das von ihr stets so hoch gehaltene „Wohlergehen der christlichen Völker“. Doch das ist immer noch nicht alles: Denken wir nur an die vielen Kriege, die von der Kirche und gegen die Kirche geführt wurden: Als erstes fallen einem da die Kreuzzüge ein. Doch die sieben Kreuzzüge waren lediglich punktuelle Ereignisse und noch harmlos im Vergleich zum kriegerischen Alltag: Das gesamte Mittelalter war ein einziger blutiger Kampf der Päpste gegen die Kaiser um die weltliche Macht! Und diese Kämpfe zogen sich bis weit in die Neuzeit hin: Noch der dreißigjährige Krieg (1618-1648) war rein theologisch bedingt und wurde so grausam geführt, dass danach ganze Landstriche entvölkert waren. Man sieht, dass die katholische Theologie seit ihrem Erstarken unter Konstantin über einen Zeitraum von 1300 Jahren hinweg nichts von ihrer gewalttätigen menschenverachtenden Dynamik eingebüsst hat, und ihre extreme Brutalität ging mit extremer Intoleranz einher: Nicht nur gegenüber den Heiden, die wahllos und kaltblütig dahingemordet wurden, sondern auch gegenüber der eigenen Bevölkerung: Auch im eigenen Land wurde keinerlei eigenständiges Denken geduldet und man behinderte oder unterdrückte sogar sämtliche Wissenschaften – mit nur zwei Ausnahmen: die Alchemie (die Wissenschaft Gold zu machen) und die Altphilologie (Studium der lateinischen und griechischen Sprache). Sogar mit der Medizin ging es stetig bergab und das kann man am besten an den großen Pestseuchen sehen: Die Pest gab es natürlich auch schon in der Antike und auch Pestseuchen, doch wurde man dieser viel besser und viel schneller Herr als 1000 Jahre später. Auch in den Ländern des Islam, in denen zu genau derselben Zeit die Medizin als Wissenschaft unbehindert gedeihen durfte, waren Pestseuchen nie dermaßen verheerend wie bei uns. Und alle Naturwissenschaftler waren sowieso von vorneherein von der Kirche mit dem Tod bedroht. So ergibt sich für diese Epoche unserer Vergangenheit, die man auch das „finstere Mittelalter“ nennt, nicht dieses Bild, das wir gewohnt sind: Nämlich, dass in dieser primitiven, grausamen Zeit die Katholische Kirche mit ihren ehrbaren Klosterschulen und kunstvollen Kirchenbauten das letzte Licht der Kultur des „Christlichen Abendlands“ hochhielt, sondern ein vollkommen anderes: Die Katholische Kirche hatte all die anderen Lichter ausgelöscht und nur ihr eigenes rußgeschwärztes blutbesudeltes Licht brennen lassen! Und wie verursachend die Katholische Kirche für diese finstere Zeit war, sieht man an der rein kirchlichen Gesetzgebung: Sie war niemals geprägt von Vergebung, Mitleid, Barmherzigkeit, Gnade und anderen christlichen Tugenden, sondern nur von der ausgesuchtesten Grausamkeit und Menschenverachtung: Die Todesstrafen, die sich die Theologen des Mittelalters im stillen Kämmerlein ausgedacht hatten, stellten die Grausamkeiten der römischen Kreuzigung oft noch in den Schatten! Dabei ist wie bei allen menschlichen Phänomenen, wie sie trotz aller Beteuerungen ihrer göttlichen Herkunft natürlich auch die Theologie darstellt, auch hier eine Entwicklung zu beobachten: Nicht nur die Inhalte der Theologie entwickelten sich, wie wir schon gesehen haben, in eine skurrile Richtung weiter, auch ihr Anspruch auf die absolute Herrschaft über die Seelen und den 84 Verstand der Menschen wuchs ins Maßlose, und so unternahm man zu Beginn der Neuzeit ganz offiziell eine ungeheuerliche Anstrengung: Man duldete neben der Theologie nicht nur keine andere eigenständige Wissenschaft mehr, sondern man wollte auch alles alte, natürliche und intuitive Wissen, welches im Volk noch lebendig war und das man in der Regel den Frauen zuschrieb, auslöschen! Dazu griff man die diffuse archaische Angst der Menschen vor Zauberern, Dämonen und natürlich auch Hexen auf und kanalisierte sie für seine Zwecke – so geschehen am 5. Dezember 1484 in der so genannten „Hexenbulle“ des Papstes Innozenz VIII. In dieser Hexenbulle wurde die Hexenjagd von päpstlicher Stelle legitimiert und vom Autor des nur kurze Zeit (1486) später erscheinenden „Hexenhammer“ präzisiert. Die Folgen waren verheerend und forderten in Europa in den folgenden 200 Jahren zwischen 40 000 und 60 000 Todesopfer meist unter den Frauen – Frauen, die aufgrund individueller Lebenswege, über die dümmsten Banalitäten hinausgehenden Wissens oder sonstiger auffälliger Merkmale in die Mühlen der katholischen Justiz geraten waren. Vielleicht klingen 40 000 bis 60 000 auf dem Scheiterhaufen Verbrannte innerhalb von 200 Jahren nicht einmal so furchtbar viel, doch muss man sich die damals deutlich geringere Bevölkerungsdichte vor Augen halten: Auf die heutige Zeit bezogen wären es 500 000! Man braucht hier an dieser Stelle nicht näher auszuführen, mit welch selbstgerechter Überheblichkeit und wollüstiger Neugier die Inquisition die völlig entkleideten und an ihrer Scham stets geschorenen Frauen vor allem über ihre sexuellen Erlebnisse mit dem Teufel befragte, und dass sie unter der grausamsten Folter dann das gestanden, was ihre Peiniger hören wollten (wahrscheinlich ohnehin nur deren eigenen abartigen sexuellen Fantasien)! Dabei war unter der Regie der katholischen Kirche die Folter viel grausamer als unter den weltlichen Herren. Dort hatten die Delinquenten wenigstens reelle Chancen: Nach einer Stunde Folter musste Pause gemacht werden und wer drei mal eine Stunde Folter ohne Geständnis überstanden hatte, galt als unschuldig. Diese Gnade kannte die katholische Kirche nicht: Wenn man wegen Hexerei oder Ketzerei angeklagt war, durfte man ohne Pause solange gefoltert werden, bis man gestand – und das aber bitte sehr, vollständig! Als vollständig galt ein Geständnis erst dann, wenn man mindestens noch fünf andere beschuldigte, an den eigenen Hexereien teilgenommen zu haben. Auf diese Weise konnte sich die katholische Kirche bequem weitere Opfer für ihre Scheiterhaufen aussuchen und sich missliebige Personen gezielt vom Hals schaffen. In manchen Gegenden ging man jedoch sämtlichen unter der Folter Denunzierten an Leib und Leben und rottete in solchen Landstrichen tatsächlich alle Frauen vorübergehend aus. Erst an dieser Stelle, als die Theologie so brutal und organisiert auf die tiefsten Schichten unserer menschlichen Kultur zugriff, formierte sich die Gegenbewegung, die die katholische Kirche dann endlich langsam zurückdrängen konnte, wenigstens hier in Europa: Die Aufklärung. Es dauerte jedoch lange, bis die bis in die kleinsten Strukturen vom theologischen Gedankengut infiltrierte Bevölkerung sich soweit aus ihrer den Lebensatem abschnürenden kirchlichen Umarmung lösen konnte, dass wir heute endlich ungestraft und frei ein nicht-religiöses Leben führen können. Wir dürfen aber trotz aller Freude über diese Freiheit und das Ende der kirchlichen Bevormundung eines nicht vergessen: Wir sind nicht die ganze Welt, und so müssen wir uns nun noch der letzten und gleichzeitig schlimmsten theologischen Großtat widmen! Diese fand ausgerechnet im Jahre 1968 statt und kann durchaus als Gegenreaktion des Kirchenfürsten auf die Lebensfreude der Flower-Power-Bewegung verstanden werden. 1968 wurde das Verhütungsverbot erlassen! Es wurde in der so genannten „Pillenenzyklika“ durch Papst Paul VI formuliert und stellt fest, dass die Enthaltsamkeit die einzige von Gott erlaubte Verhütungsmethode sei. Wenn Eheleute keine Kinder mehr wünschen, haben sie sich an den fruchtbaren Tagen der Frau des Beischlafs zu enthalten – so wunderbar simpel ist die 85 Lösung der Katholischen Kirche! Und wenn der Mensch das nicht schafft, dann deshalb, weil er sündig, schwach und böse ist. Das Problem ist aber, dass der von Gott erschaffene Mensch nicht so einfach gestrickt ist, dass er auf Knopfdruck seine Sexualität abschalten kann. Tatsächlich gibt es im Menschen wie in jedem Lebewesen zwei elementare Triebe: Der eine ist der Selbsterhaltungstrieb, der andere der Arterhaltungstrieb. Der Selbsterhaltungstrieb manifestiert sich am anschaulichsten im Essen und Trinken, der Trieb zur Erhaltung der Art am greifbarsten in der sexuellen Betätigung. Die Menschen essen und trinken seit jeher viel mehr als es nur für die Erfüllung des Selbsterhaltungstriebs notwendig ist, denn Essen und Trinken hatte von Anfang an weit mehr Funktionen: Essen und Trinken bedeutet auch fröhliches Beisammensein und friedliches Besprechen ernster Themen. Essen und Trinken steht für emotionalen Ausgleich und bereitet uns Freude, wenn das Leben mal sonst keine Freude birgt. Wollten wir das Essen und Trinken auf die Menge reduzieren, wie sie für die reine Selbsterhaltung nötig ist, sähe unser Leben traurig aus! Ebenso steht es mit der Sexualität als Arterhaltungstrieb: Der Mensch hat nie deshalb seine sexuellen Bedürfnisse ausgelebt, weil er seine Art erhalten wollte, sondern ganz einfach weil es schön war, das hat Gott nun mal so eingerichtet. Das dem Sex vorangehende Flirten, die Verliebtheit, die zärtliche Berührung, die Beflügelung der Fantasie und das Träumen vom geliebten Menschen machen das Leben lebenswert. Der Mensch braucht für sein seelisches Gleichgewicht weit mehr guten Sex als es für die reine Arterhaltung notwendig ist. Und die Menschen sind nicht böse, sündig und schwach, nur weil sie immer und immer wieder Hunger und Durst haben und dann essen und trinken, und sie sind ebenso wenig böse, sündig und schwach, weil sie immer und immer wieder Lust bekommen und dann Sex haben wollen. Oder in anderen Worten ausgedrückt: Die Menschen sind nicht sündig, nicht böse und auch nicht schwach, nur weil sie dem Wunsch des Papstes nach Gehorsam weniger Folge leisten als ihrem eigenen Verlangen nach sexueller Vereinigung! Wichtig ist nur, dass beim Essen wie beim Sex dem anderen kein Unrecht oder Leid zugefügt wird. Und gerade im Hinblick auf unsere verschwenderischen Essgewohnheiten sündigen wir alle – ausdrücklich einschließlich des Klerus! – angesichts des Elends in der Welt bei jeder unserer täglichen Mahlzeiten mehr als durch einen fallweise geschützten Geschlechtsverkehr. Der zynische Originaltitel der Pillenenzyklika lautet übrigens „Humanae Vitae“, was soviel heißt wie „Für das menschliche Leben“, und sie hat eine interessante Vorgeschichte. Das 2. Vatikanische Konzil, das 1962 begann und bis 1965 dauerte, hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Katholische Kirche volksnäher und für den gemeinen Katholiken verständlicher zu machen. Genau in dieses Konzil platzte die Pille. Das Konzil reagierte auf diese Herausforderung mit einer eigenen Kommission, die die bestmögliche Haltung der Katholischen Kirche zur Pille eruieren und theologisch begründen sollte. Die Kommission kam zu dem eindeutigen Ergebnis, es sollte jedem Menschen selbst überlassen bleiben, ob und wie er verhütet. Papst Paul VI, dessen absolutistischer Herrschaftsanspruch weithin bekannt war, war damit überhaupt nicht einverstanden und berief diesbezüglich eine Bischofskonferenz ein. Der gute Papst hatte jedoch wieder Pech: Auch seine Bischofskonferenz kam zu dem Ergebnis, dass die Verhütung jedem einzelnen freigestellt sein sollte. Genau das konnte und wollte der Papst aber nun wirklich nicht dulden: Jeder Einzelne solle selbst entscheiden, was er darf und was nicht? Wo blieb denn da seine Führungsrolle, die Christus der Herr dem Petrus und in dessen Nachfolge dem Papst völlig unmissverständlich übertragen hat: „Was Du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein?“ (Mt. 17,12) Dem musste in dieser wichtigen causa auf jeden Fall Rechnung getragen werden und so band der Papst und gab im Alleingang seine Pillenenzyklika heraus – und alle katholischen Kardinäle und Bischöfe, die vorher für die Freigabe waren, ordneten sich unter! Die Welt reagierte auf diesen Vorgang entsetzt und man befürchtete durch die nun unvermeidliche Überbevölkerung Schlimmes: 86 Ein Zitat aus der Spiegel-Ausgabe 32/1968: „Hunderttausende von Jahren hatte es gedauert, bis sich die Steinzeit-Population zur ersten Bevölkerungsmilliarde – im Jahre 1850 – vermehrte. Für den zweiten Milliardensprung waren nur noch 75 Jahre nötig. Heute (Weltbevölkerung: 3,4 Milliarden) ist die Spanne schon auf 15 Jahre geschrumpft. Und wenn Geburtenkontrolle ausbliebe, würden sich -- so die demographische Hochrechnung – in 30 Jahren, um das Jahr 2000, sieben Milliarden Menschen auf der Erde drängen!“ Diese Befürchtungen sind leider nur allzu wahr geworden: Die Erdbevölkerung wächst und wächst und die Probleme, die es zu bewältigen gibt, wachsen mit ihr! Sie werden schon bald kaum mehr bewältigbar sein! Wir sind auf der Erde nun bald 8 Milliarden Bewohner und man kann sich leicht vorstellen, dass es mit zunehmender Bevölkerungszahl immer schwerer wird, die Güter der Erde gerecht zu verteilen, damit alle Menschen das Notwendige zum Leben haben, und irgendwann geht es gar nicht mehr. Heutzutage verhungern 15 000 Kinder auf dieser Erde qualvoll jeden Tag – und 3000 von diesen toten Kindern gehen direkt auf das Pillenverbot des Papstes zurück! Und ändern kann dies auch nur der Papst selbst: Kein anderer Mensch auf Erden, weder der russische noch der amerikanische Präsident hat zum Beispiel diese Macht, auch nicht die chinesische Regierung oder die großen Konzerne. Allein der Papst kann das unselige Pillenverbot aufheben und der Menschheit damit die Lösung ihrer Probleme enorm erleichtern, wahrscheinlich überhaupt erst ermöglichen. Am 11. September 2001 hatte Osama bin Laden 3000 Menschen auf dem Gewissen und gilt in der westlichen Welt als d i e Inkarnation des Bösen – zu Recht? Der Papst hat jeden Tag 3000 qualvoll verhungernde Kinder auf seinem Gewissen und lässt sich als d e r Stellvertreter Gottes auf Erden und die Inkarnation der Nächstenliebe feiern! nicht mehr navigierbar sein wird. Wir wissen spätestens seit den Osterinseln, dass sich die menschliche Gesellschaft, wenn sie ausweglos überbevölkert ist und die natürlichen Ressourcen zur Neige gehen, selbst zerfleischt. Warum bringt der Papst die Menschheit in diese Gefahr, warum lässt er sie sehenden Auges auf ihre Katastrophe zusteuern? Die Gründe sind ausnahmslos theologischer Natur und haben definitiv mit nichts anderem zu tun als mit dem „guten Ruf“ der Katholischen Kirche als der Hüterin des wahren Glaubens und dem Hort der alleinigen Wahrheit. Auch fürchtet der Papst um die Zukunft seines Amtes, denn eine direkt von Gott selbst inspirierte und auf die Ewigkeit ausgelegte Institution wie die seine kann sich nicht in so kurzen Abständen selbst korrigieren. Es geht beim näheren Hinsehen um nichts anderes, als um das Ansehen des Papsttums in der Welt und den Erhalt des Scheins seiner Heiligkeit! Für diese Eitelkeit und nur dafür opfert der Papst 3000 Kinder, jeden Tag! Und das weiß er genau! Und er weiß auch (das ist reine Mathematik), dass wegen des Pillenverbots schon um ein Vielfaches mehr Menschen sterben mussten als wegen des Kriegstreibers zum 2. Weltkrieg. Und er weiß auch, dass er für den Erhalt seines Ansehens und seiner Macht die Zukunft der Menschheit aufs Spiel setzt. Kein Mensch hat je geschützt und gestützt durch die Theologie soviel Leid in der Welt verursacht wie heutzutage der Papst; und trotz seines klaren Wissens ist er nicht bereit, daran etwas zu ändern! So wird die Theologie, allen voran die katholische, zum grenzenlos Bösen auf unserer Erde! Der Papst – wir sollten wie wir schon einmal festgestellt haben, ihn hier nicht unterschätzen – weiß selbst am besten, was für eine verheerende Wirkung sein Pillenverbot für die Welt hat – für eine Welt, die aufgrund der Bevölkerungsexplosion bald 87