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8
Puls
Panajotis Apostolidis, Petra Schmalstieg
Übersicht
8.1
8.2
8.2.1
8.2.2
8.2.3
8.3
8.3.1
8.3.2
8.3.3
8.4
8.5
8.6
8.7
Einleitung · 129
Technik der Pulsmessung · 130
Allgemeine Beobachtungskriterien und
Beschreibung des Normalzustandes · 132
Pulsfrequenz · 132
Pulsrhythmus · 133
Pulsqualität · 133
Abweichungen und Veränderungen und
deren mögliche Ursachen · 133
Veränderungen der Pulsfrequenz · 133
Veränderungen des Pulsrhythmus · 136
Veränderungen der Pulsqualität · 137
Ergänzende Beobachtungskriterien · 138
Besonderheiten bei Kindern · 138
Besonderheiten bei älteren
Menschen · 140
Fallstudien und mögliche
Pflegediagnosen · 140
Fazit · 142
Literatur · 143
Schlüsselbegriffe:
Pulsfrequenz
Pulsrhythmus
왘 Pulsqualität
왘 Pulsdefizit
왘
왘
Einleitung
Der Puls gehört neben Atmung, Blutdruck und Körpertemperatur zu den Vitalzeichen. Da Änderungen
im Befinden von Menschen im Allgemeinen auch
Pulsveränderungen mit sich bringen, ist der Puls ein
sehr aussagekräftiges Beobachtungskriterium. Die
Ermittlung der Pulswerte ist eine der ältesten und
häufigsten diagnostischen Maßnahmen. Sie ist ohne
großen technischen Aufwand durchzuführen, erfordert jedoch neben einer guten Messtechnik vor allem
bei der Beurteilung der Pulsqualität Übung und Erfahrung. Das Pulsfühlen bietet außerdem Gelegenheit zur Begegnung mit dem anderen Menschen.
BAND 2
Als Puls wird die durch den systolischen Blutauswurf des Herzens im Kreislauf entstehende
Druck- und Volumenschwankung (Welle) im
arteriellen Gefäßsystem bezeichnet.
Die Fortleitungsgeschwindigkeit dieser Welle ist abhängig von der Dehnbarkeit des durchströmten Blutgefäßes (Aorta 4 – 6 m/s; A. radialis 8 – 12 m/s) und
nimmt mit dem Alter infolge des Elastizitätsverlustes der Blutgefäße zu.
Die Pulskontrolle ist eine vielfach durchgeführte
Maßnahme bei gesunden und kranken Menschen innerhalb und außerhalb des Krankenhauses. Häufig
steht bei der Pulskontrolle die Ermittlung der Herzfrequenz im Zentrum des Interesses. Neben der
왘 Pulsfrequenz sind zusätzlich 왘 Pulsrhythmus und
왘 Pulsqualität von Bedeutung. Die Kombination dieser 3 Beobachtungskriterien kann entscheidende
Aussagen über die Vitalfunktionen und Hinweise auf
mögliche Erkrankungen des Menschen geben. Da
praktisch jede physische und psychische Veränderung des Menschen eine Pulsveränderung mit sich
zieht, spiegelt der Puls auch die aktuelle Verfassung
oder Befindlichkeit von Menschen in besonderen Situationen wider. Beispielsweise ist die Pulsfrequenz
bei körperlicher Anstrengung oder freudiger Erregung erhöht, in Ruhe bzw. im Schlaf ist sie deutlich
erniedrigt.
Beobachtung des gesunden und kranken Menschen
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aus: Lauber u. a., verstehen & pflegen 2, Wahrnehmen und Beobachten (ISBN 9783131285935), 䊚 2012 Georg Thieme Verlag KG
8 Puls
8.1 Technik der Pulsmessung
Das Tasten des Pulses, das auch als Palpation bezeichnet wird, kann überall da erfolgen, wo oberflächlich verlaufende Arterien an eine harte Unterlage, beispielsweise Knochen oder Muskulatur, gedrückt werden können. Grundsätzlich können zentrale und periphere Palpationsstellen unterschieden
werden. Der zentrale Puls wird entweder an der A.
carotis (Halsschlagader), der A. femoralis (Oberschenkelschlagader) oder an der A. subclavia
(Schlüsselbeinschlagader) palpiert oder über den
herznahen Blutgefäßen auskultiert, d. h. mit einem
Stethoskop abgehört. Der periphere, fern vom Herzen befindliche Puls kann an den übrigen Arterien
palpiert werden (Abb. 8.1).
a
b
A. temporalis
(Schläfenarterie)
A. carotis
(Halsschlagader)
A. subclavia
(Schlüsselbeinarterie)
A. brachialis
(Oberarmarterie)
Aorta
(Hauptschlagader)
A. femoralis
(Leistenarterie)
A. radialis
(Speichenarterie)
Indikationen zur Pulsmessung
Feststellen der Vitalsituation des Menschen (z. B.
bei Neuaufnahmen),
Überwachung des Menschen bei Verabreichung
bestimmter Medikamente (z. B. β-Blocker oder
Digitalispräparate),
Kontrolle der Kreislaufbelastbarkeit (z. B. bei
postoperativer Mobilisation),
Postoperative Überwachung (zum rechtzeitigen
Erkennen von Komplikationen, z. B. von Nachblutungen oder Narkosenebenwirkungen),
Diagnostik arterieller Durchblutungsstörungen,
Reanimation.
Messtechnik am Beispiel der A. radialis
Die häufigste Palpationsstelle des Pulses ist die A. radialis (Speichenschlagader) an der Innenseite des
Handgelenks. Nach dem Auffinden der A. radialis
wird der Puls mit den Fingerkuppen des Zeige-, Mittel- und Ringfingers getastet (Abb. 8.2).
Der Daumen darf nicht benutzt werden, da
er einen eigenen intensiven Puls besitzt und
die Gefahr zu groß ist, dass der Beobachtende seinen eigenen Puls bei der Messung erfasst.
Die Arterie wird leicht gedrückt, darf aber nicht ganz
zugedrückt werden, da sonst der Blutfluss unterbrochen wird. Der Puls muss eindeutig zu fühlen sein,
bevor mit dem Zählen begonnen wird. Zum Pulszählen wird eine Uhr mit Sekundenzähler oder eine spezielle Pulsuhr benötigt (Abb. 8.3). Die Messung be-
A. ulnaris
(Ellenarterie)
A. poplitea
(Kniearterie)
A. tibialis posterior
(hintere Schienbeinarterie)
A. dorsalis pedis
(Fußrückenarterie)
Abb. 8.1 a u. b Pulspalpationsstellen a zentrale Palpationsstellen
b periphere Palpationsstellen
130
Abb. 8.2 Technik des Pulsfühlens
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BAND 2
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8.1 Technik der Pulsmessung
Auch wenn Auffälligkeiten bezüglich der Pulsfrequenz oder des Pulsrhythmus erfasst werden, ist das
Auszählen des Pulses über eine Minute erforderlich.
Bei der routinemäßigen Pulskontrolle sollte der Patient vorher 15 – 30 Min. geruht haben. Erneute Messungen sollten unter gleichen Bedingungen stattfinden, da nur auf diese Weise valide, d. h. gültige und
vergleichbare Werte erhoben werden können.
Abb. 8.3 a u. b Pulsuhren
a Pulsuhr (Fa. Heiland)
b Sanduhr (Fa. proaktivo)
ginnt mit der Erfassung des ersten Pulsschlages in
der vorgesehenen Messzeit und dauert 15 Sek.; das
Ergebnis wird mit 4 multipliziert, da die Zahl der
Schläge/Min. gemessen werden soll.
Bei neu aufgenommenen Patienten muss
der Puls bei der ersten Messung über eine
Minute ausgezählt und an beiden Armen
kontrolliert werden, um mögliche Durchblutungsstörungen der Armarterien erkennen zu können.
Dokumentation der Messergebnisse
Die Ergebnisse der Pulsmessung werden sofort dokumentiert. Dabei sollten dokumentenechte Stifte
benutzt werden, um eine dauerhafte Lesbarkeit zu
garantieren. Verschiedene Systeme können verwendet werden. In einigen Dokumentationssystemen
werden die Werte in Form von Kurven eingetragen,
wobei zumeist die Farbe Rot gewählt wird. Hierdurch
ist eine deutliche Unterscheidung zur Temperaturkurve gegeben, die i.d.R. parallel in der Farbe Blau
dokumentiert wird (Abb. 8.4). In anderen Dokumentationssystemen werden die ermittelten Werte in
Form von Zahlen in die hierfür vorgesehenen Spalten
eingetragen (Tab. 8.1). Dokumentiert wird:
Abb. 8.4 a – c Kurvendokumentation a Pulskurve b Temperaturkurve c Kennzeichnung von Besonderheiten
BAND 2
Beobachtung des gesunden und kranken Menschen
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8 Puls
Tab. 8.1
Spaltendokumentation
Datenaufkleber
Krankenhaus Muster
– Musterstadt –
ICD:
ICPM:
Diagnosen:
Allergien:
Datum/Krankheitstag
28.9.11/1
Vitalzeichen
Uhrzeit
Wert
Uhrzeit
Wert
Uhrzeit
Wert
Uhrzeit
Wert
RR
8.00
125/80
8.00
130/80
8.00
125/75
8.00
135/85
16.00
145/90
Puls (arr. = arrythmisch)
Temperattur (axillar)
(rec. = rectal)
Atmung
Größe/Gewicht
29.9.11/2
30.9.11/3
1.10.11/4
8.00
84
8.00
84
8.00
88
8.00
88
16.00
88
16.00
84
16.00
arr. 92
16.00
50앗
8.00
36,2
8.00
36,4
8.00
36,8
8.00
36,8
16.00
36,5
16.00
36,4
16.00
37,4
16.00
36,6
8.00
12
8.00
14
8.00
20
8.00
16
16.00
15
16.00
14
16.00
24
16.00
18
176 cm/75 kg
Rot = abweichender Wert
Uhrzeit,
Messergebnisse,
Besonderheiten und Veränderungen.
In beiden Systemen werden Auffälligkeiten, wie beispielsweise Arrhythmien, häufig durch Abkürzungen
(in diesem Fall durch das Kürzel „arr“) gekennzeichnet, die neben die ermittelten Frequenzwerte geschrieben werden. Eine weitere Möglichkeit zur
Kennzeichnung von Veränderungen sind Pfeile, die
auf die Veränderung hinweisen. Sie kommen überwiegend bei der Kennzeichnung von Frequenzabweichungen zur Anwendung (s. Tab. 8.1). Eine entsprechende Legende sollte im jeweiligen Dokumentationssystem enthalten sein.
Technik der Pulsmessung:
Bei der Pulskontrolle sind Frequenz, Rhythmus
und Qualität ausschlaggebend.
Beim Tasten des Pulses werden zentrale und periphere Palpationsstellen unterschieden.
Indikationen zur Pulsmessung sind Neuaufnahme, Überwachung, Kontrolle, Diagnostik und Reanimation.
132
Die Pulskontrolle sollte immer unter gleichen Bedingungen stattfinden, bei der Dokumentation
der Kurve wird die Farbe Rot verwendet.
Uhrzeit, Messergebnisse und Besonderheiten
bzw. Veränderungen des Pulses werden dokumentiert.
8.2 Allgemeine
Beobachtungskriterien und
Beschreibung des
Normalzustandes
Die allgemeinen
des Pulses sind:
Pulsfrequenz,
Pulsrhythmus,
Pulsqualität.
Beobachtungskriterien
8.2.1 Pulsfrequenz
Beobachtung des gesunden und kranken Menschen
Die Pulsfrequenz wird definiert als die Zahl der
Pulswellen/Min.
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8.3 Abweichungen und Veränderungen und deren mögliche Ursachen
Tab. 8.2 Alters- und geschlechtsabhängige Anzahl der
Pulsschläge bei Erwachsenen (aus Pschyrembel: Klinisches
Wörterbuch. 263. Aufl., de Gruyter, Berlin 2011)
Erwachsene
Zahl der Pulsschläge
Männer
62 – 70/min
Frauen
75/min
Senium
80 – 85/min
Sie stimmt meist mit der Herzfrequenz überein und
ist abhängig von den mechanischen effektiven Kontraktionen des Herzmuskels sowie beispielsweise
von Alter und Geschlecht eines Menschen. Tab. 8.2
gibt einen Überblick über die Normalwerte der Pulsfrequenz.
8.2.2 Pulsrhythmus
Unter Pulsrhythmus wird die in regelmäßigen
Abständen erfolgende Schlagfolge des Herzens verstanden.
Die Pulswellen erfolgen normalerweise in regelmäßigen Zeitabständen und mit gleicher Stärke.
8.2.3 Pulsqualität
Als Pulsqualität werden die durch Palpation
oberflächlicher Arterien feststellbaren Eigenschaften des Pulses bezeichnet, die Informationen über den Zustand des Herz-Kreislauf-Systems
liefern können.
Die feststellbaren Eigenschaften des Pulses sind einerseits die Füllung der Blutgefäße und andererseits
die Härte der Pulswelle. Beide sind insbesondere abhängig von der Höhe des mittleren arteriellen Druckes. Bei der normalen Pulsqualität ist die Spannung,
d. h. der dem ausgeübten Palpationsdruck entgegengesetzte Widerstand der Pulswelle, gut spürbar und
das Blutgefäß ist gut gefüllt.
Frequenz und Rhythmus sind objektiv
messbare Kriterien und können sowohl
durch Palpation des Pulses als auch durch
technische Hilfsmittel ermittelt werden. Die Qualität
ist ein subjektives Beobachtungskriterium des Pulses, dessen Beurteilung Erfahrung und Übung erfordert und nur durch qualifiziertes Pflegepersonal
erfolgen kann.
8.3 Abweichungen und
Veränderungen und deren
mögliche Ursachen
8.3.1 Veränderungen der Pulsfrequenz
Die Pulsfrequenz stimmt beim gesunden Menschen
mit der Anzahl der mechanischen Kontraktionen des
Herzmuskels überein, da hier die Schlagkraft des
Herzens groß genug ist, um die Pulswelle in die Peripherie des Körpers zu treiben. Eine Reihe von physiologischen und pathologischen Veränderungen können zur Erhöhung oder Verminderung der Pulsfrequenz führen.
Bradykardie
Als Bradykardie wird eine Form der Pulsfrequenzveränderung bezeichnet, die durch einen Abfall der Herzfrequenz unter 60 Schläge/
Min. gekennzeichnet ist (Abb. 8.5).
Die Bradykardie kann physiologische und pathologische Ursachen haben. Zu den physiologischen Ursachen gehört der reduzierte Stoffwechsel, wie er beispielsweise im Schlaf oder bei hungernden Menschen auftritt. Auch sportlich trainierte Menschen
haben, bedingt durch das höhere Schlagvolumen des
Herzens, das eine gute Sauerstoffversorgung auch
bei geringer Herzfrequenz gewährleistet, einen verlangsamten Puls.
Abb. 8.5 a – c Veränderungen der Pulsfrequenz a normale Pulsfrequenz b Bradykardie c Tachykardie
a normale
Pulsfrequenz
b Bradykardie
c Tachykardie
BAND 2
Beobachtung des gesunden und kranken Menschen
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8 Puls
Die pathologisch bedingte Bradykardie steht häufig im Zusammenhang mit einer Reizung des N. Vagus, die als Folge eines erhöhten Hirndrucks z. B. bei
Hirntumoren, Hirnhautentzündung oder einem
Hirnödem auftreten kann. Eine pathologische Bradykardie kann auch kardial bedingt sein, beispielsweise durch Störungen im Reizleitungssystem des Herzens oder einen Myokardinfarkt. Auch eine Schilddrüsenunterfunktion, die sog. Hypothyreose, die eine Verlangsamung aller Körperfunktionen zur Folge
hat, kann zur Verlangsamung der Pulsfrequenz führen. Es gibt außerdem eine Reihe von Medikamenten, die eine Bradykardie verursachen können. Hierzu gehören vor allem:
Narkose-, Schlaf- und Beruhigungsmittel,
Digitalis in hoher Dosis,
β-Blocker,
Nitroglyzerin,
Opiate.
Tab. 8.3 zeigt physiologische und pathologische Ursachen im Überblick.
Relative Bradykardie
Bei einer Erhöhung der Körpertemperatur um 1 ⬚C
kommt es durch den erhöhten Stoffwechsel zum Anstieg der Pulsfrequenz um ca. 8 Schläge/min. Bei einigen Infektionskrankheiten bleibt dieser Anstieg aus.
In diesem Fall wird von einer relativen Bradykardie
gesprochen, denn im Verhältnis zur erhöhten Körpertemperatur ist der Puls zu langsam. Die relative
Bradykardie kann bei folgenden Infektionskrankheiten auftreten:
Tab. 8.3
Ursachen der Bradykardie
physiologische Ursachen
pathologische Ursachen
physiologisch reduzierter
Stoffwechsel (z. B. im Schlaf,
bei Hunger)
pathologisch reduzierter Stoffwechsel (z. B. bei Hypothyreose)
erhöhtes Schlagvolumen des
Herzens (z. B. bei Sportlern)
Vagusreiz (z. B. bei erhöhtem
Hirndruck)
Störungen im Reizleitungssystem des Herzens
Medikamenteneinnahme (z. B.
Narkose-, Schlaf-, Beruhigungsmittel, Digitalis, β-Blocker, Nitroglyzerin, Opiate)
Salmonellose,
Brucellose,
Typhus abdominalis,
Hepatitis.
Pulsdefizit
Bei einem Pulsdefizit ist die an einer Körperarterie
palpierte, periphere Pulsfrequenz niedriger als die
zentrale, über dem Herzen auskultierte Herzfrequenz. Zur Ermittlung eines Pulsdefizits wird der
Puls an einer peripheren Arterie palpiert, während
gleichzeitig mit einem Stethoskop die Herzkontraktionen auskultiert werden (Abb. 8.6).
Ein Pulsdefizit besteht, wenn bei einer auskultierten Herzfrequenz von beispielsweise 80 Schlägen/
min eine periphere Pulsfrequenz von beispielsweise
60 Schlägen/min getastet wird. Ursache hierfür ist in
Abb. 8.6 Ermittlung eines Pulsdefizits.
Gleichzeitige Auskultation der Herzfrequenz und Palpation der Pulsfrequenz an
einer peripheren Arterie durch zwei Personen
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Beobachtung des gesunden und kranken Menschen
BAND 2
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8.3 Abweichungen und Veränderungen und deren mögliche Ursachen
den meisten Fällen eine unzureichende Pumpleistung des Herzens. Sie reicht nicht aus, um die Pulswelle bis in die Peripherie des Körpers zu treiben. Zu
beobachten ist dies z. B. bei einer Linksherzinsuffizienz oder bei Vorhofflimmern.
Andere, nicht mit der Pumpleistung des Herzens
in Zusammenhang stehende Ursachen für ein Pulsdefizit können auftretende Verschlüsse arterieller
Blutgefäße, beispielsweise bei der Arteriellen Verschlusskrankheit (AVK), sein. Hierbei ist der Puls in
den betroffenen Arterien jeweils hinter der Verschlussstelle nicht mehr zu tasten.
Bei dem angeborenen oder durch Arteriosklerose
bedingten sog. Aortenbogensyndrom kommt es zu
einem Verschluss oder Teilverschluss eines oder
mehrerer, vom Aortenbogen abgehender Kopf- oder
Armgefäße. In der Konsequenz entsteht hierdurch eine Differenz zwischen der Pulsfrequenz in den Arterien der oberen Körperhälfte und denen der unteren
Körperhälfte bzw. eine Pulslosigkeit der Armarterien
bei gleichzeitig gut tastbaren Fußpulsen.
Bei einer vorliegenden Aortenklappeninsuffizienz, die zu einer eingeschränkten Windkesselfunktion und damit zum ungenügenden Weitertransport
des sauerstoffreichen Blutes in die Peripherie des
Körpers führt, ist häufig die mit der Herzaktion zeitgleiche Pulsation der Hautkapillaren (Kapillarpuls)
am Nagelbett der Finger zu beobachten.
Bradykardie:
Bradykardie ist eine Veränderung der Pulsfrequenz, bei der der Herzrhythmus unter 60 Schläge/min abfällt.
Eine pathologische Bradykardie kann bei Hirn-,
Schilddrüsen- oder Herzerkrankungen auftreten
sowie als Folge einer Medikamenteneinnahme.
Bei einer relativen Bradykardie infolge von Infektionskrankheiten bleibt der Anstieg der Pulsfrequenz bei erhöhter Körpertemperatur aus.
Ein Pulsdefizit kann bei ungenügender Pumpleistung des Herzens auftreten, aber auch bei arteriellen Verschlusskrankheiten.
Tachykardie
Die Tachykardie ist eine Pulsfrequenzveränderung mit einem Anstieg der Herzfrequenz auf
über 100 Schläge pro Minute (vgl. Abb. 8.5).
BAND 2
Tab. 8.4
Ursachen der Tachykardie
physiologische Ursachen
pathologische Ursachen
körperliche Anstrengung
pathologisch erhöhter Stoffwechsel (z. B. bei Fieber, Hyperthyreose
seelische Erregung (z. B. Angst, Störungen im ReizleitungssysStress)
tem des Herzens
Konsum von Genussgiften
(z. B. Kaffee, Nikotin)
Medikamenteneinnahme (z. B.
wehenhemmende Mittel)
Aufenthalt in großen Höhen
(geringere Sauerstoffkonzentration in der Atemluft)
vermindertes Sauerstoffangebot (z. B. bei Herzinsuffizienz,
hohen Blutverlusten, Störungen
der Lungenbelüftung)
Die Tachykardie kann physiologische und pathologische Ursachen haben. Zu den physiologischen Ursachen gehören körperliche Anstrengung, seelische
Erregung oder der Konsum von Genussgiften, wie
beispielsweise Nikotin oder Kaffee. Auch bei einem
Aufenthalt in größeren Höhen steigt die Pulsfrequenz, da die Sauerstoffkonzentration der Luft abnimmt und das Herz schneller schlagen muss, um die
gleiche Menge an Sauerstoff in den Körper zu transportieren.
Die pathologische Tachykardie hängt häufig mit
einem krankhaft erhöhten Stoffwechsel zusammen,
z. B. bei Fieber oder einer Schilddrüsenüberfunktion.
Hohe Blutverluste, Herzinsuffizienz und Störungen
der Lungenbelüftung, wie sie z. B. bei Asthma bronchiale auftreten, führen zu einem verminderten Sauerstoffangebot und können ebenso einen Anstieg der
Pulsfrequenz verursachen wie Störungen im Reizleitungssystem des Herzens. Auch die Einnahme verschiedener Medikamente, wie beispielsweise wehenhemmender Mittel, können zum Anstieg der
Pulsfrequenz führen. Tab. 8.4 zeigt die Ursachen der
Tachykardie im Überblick.
Paroxysmale Tachykardie
Als paroxysmale Tachykardie wird das anfallsweise
Ansteigen der Pulsfrequenz auf 130 – 220 Schläge/
Min. bezeichnet. Sie kann Minuten bis Stunden andauern. Als Ursachen hierfür kommen sowohl Entzündungen des Herzmuskels, Vorhofflimmern und
Vorhofflattern sowie eine Schilddrüsenüberfunktion
oder eine Reizung des Sympathikus in Betracht.
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8 Puls
Relative Tachykardie
Bei einer Erhöhung der Körpertemperatur um 1 ⬚C
kommt es durch den erhöhten Stoffwechsel zum Anstieg der Pulsfrequenz um ca. 8 Schläge/Min. Liegt
die tatsächlich gemessene Pulsfrequenz höher als
nach der Temperaturerhöhung zu erwarten, wird
dies als relative Tachykardie bezeichnet.
8.3.2 Veränderungen des Pulsrhythmus
Bei einem gesunden Menschen erfolgen die Herzschläge in regelmäßigen Abständen. Eine Reihe von
Erkrankungen, die sich vor allem auf das Reizleitungssystem des Herzens auswirken, können zu einer Störung der Herzschlagfolge führen.
Arrhythmie
Unter Arrhythmie wird ein unregelmäßiger
oder fehlender Rhythmus, i. e. S. eine zeitliche
Unregelmäßigkeit der elektrischen Herztätigkeit verstanden (Abb. 8.7).
Bei Jugendlichen und Rekonvaleszenten, d. h. bei in
der Genesungsphase nach einer Krankheit befindlichen Menschen, kommt es häufig zu einer atemabhängigen Veränderung des Pulsrhythmus, der sog.
respiratorischen Arrhythmie. Bei dieser physiologischen Veränderung des Pulsrhythmus ist die Pulsfrequenz bei der Einatmung, die auch als Inspiration bezeichnet wird, höher als bei der Ausatmung, dem als
Exspiration bezeichneten Vorgang. Eine Arrhythmie
ist in der überwiegenden Zahl der Fälle jedoch auf
pathologische Ursachen zurückzuführen, die i.d.R.
mit Störungen der Herztätigkeit, sog. Herzrhythmusstörungen, in Zusammenhang stehen. Dieser unregelmäßige Herzrhythmus ist als arrhythmische Pulswelle zu tasten.
Verschiedene Herzerkrankungen, wie z. B. eine
Entzündung des Herzmuskels, die sog. Myokarditis,
oder Herztumoren, können eine Arrhythmie verursachen. Auch die Hypokaliämie, eine häufige Form der
Elektrolytstörung mit Erniedrigung des Kaliums unter 3,5 mval/l, die meistens in Kombination mit einer
Alkalose auftritt, kann als Ursache für eine Arrhythmie in Betracht kommen. Des Weiteren kann eine Hypoxie, die Verminderung des Sauerstoffpartialdrucks
im arteriellen Blut, die zumeist mit einer verminderten Sauerstoffversorgung im Gesamtorganismus einhergeht, eine Arrhythmie bedingen. Hinzu kommen
eine Reihe von Medikamenten, die zu einer Arrhythmie führen können. Hierzu gehören vor allem:
Chinidin,
Digitalis,
Dopamin.
Absolute Arrhythmie
Die absolute Arrhythmie kann als Sonderform der Arrhythmie bezeichnet werden, da hier die Schlagfolge
des Herzens zumeist beschleunigt und vollständig
unregelmäßig ist. Myokardinfarkte, die den Untergang von Herzmuskelgewebe nach sich ziehen, sind
oft verantwortlich für das Auftreten einer absoluten
Arrhythmie. Daneben werden als häufige Ursachen
die Schilddrüsenüberfunktion, die sog. Hyperthyreose, und die Verabreichung zu kalter Bluttransfusionen angesehen. Häufig steht das Auftreten einer absoluten Arrhythmie auch im Zusammenhang mit der
als Synkope bezeichneten Bewusstseinsstörung, die
einige Sekunden bis mehrere Minuten andauern
kann. Diese absolute Unregelmäßigkeit der Schlagfolge des Herzens kann sich als Tachyarrhythmie sowie als Bradyarrhythmie darstellen.
Extrasystolie
Als Extrasystolie wird das gehäufte Auftreten
von Herzschlägen außerhalb des regulären
Grundrhythmus bezeichnet.
Abb. 8.7 a – d Veränderungen des Pulsrhythmus a normaler Pulsrhythmus b Arrhythmie c Extrasystolie d Bigeminie
a normaler
Pulsrhythmus
b Arrthythmie
c Extrasystolie
d Bigeminie
normale PulsqualitŠt
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verminderte PulsqualitŠt
Beobachtung des gesunden und kranken Menschen
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8.3 Abweichungen und Veränderungen und deren mögliche Ursachen
Diese sog. Extrasystolen können verspätet und einzeln, vorzeitig oder als Salven vorkommen (Abb. 8.7).
Unterschieden werden je nach Ursprung der Erregungsreize supraventrikuläre Extrasystolen, bei denen die Erregung von den Vorhöfen des Herzens ausgeht, und ventrikuläre Extasystolen, deren Ausgangspunkt die Herzkammer darstellt. Extrasystolen
können physiologisch bei Nikotinabusus oder starker
psychischer Erregung auftreten; pathologisch stehen
sie häufig im Zusammenhang mit einer Schädigung
des Herzmuskels oder Verengung der Herzkranzgefäße.
Bigeminie
Als Bigeminie wird eine Herzrhythmusstörung
bezeichnet, bei der jeder Systole über längere
Zeit regelmäßig eine Extrasystole folgt.
Diese liegt zeitlich vor der zu erwartenden nächsten
regulären Systole, sodass auf je 2 dicht aufeinander
folgende Herzaktionen eine Pause folgt. Weil bei der
Pulsmessung regelmäßige Doppelschläge palpiert
werden können, wird diese Veränderung des Pulsrhythmus auch als Zwillingspuls bzw. Bigeminuspuls
bezeichnet (Abb. 8.7). Er tritt vor allem bei einer
Überdosierung von Digitalis auf.
Tachyarrhythmie
Als Tachyarrhythmie wird eine absolute Arrhythmie mit hoher Frequenz von 100 – 150
Schlägen/Min. bezeichnet.
Zurückzuführen ist sie häufig auf Störungen der Erregungsbildung im Reizleitungssystem des Herzens,
die in den meisten Fällen durch schwere organische
Herzerkrankungen, wie z. B. Herzinfarkte oder Herzkranzgefäßverengungen, entstehen.
Asystolie
Als Asystolie wird die fehlende Kontraktion
des Herzens, d. h. der Herzstillstand, bezeichnet.
In diesem Fall kann der Puls weder an einer peripheren noch an einer zentralen Arterie palpiert werden,
der betroffene Mensch ist bewusstlos, die Atmung
setzt aus und es können weite, lichtstarre Pupillen
beobachtet werden.
BAND 2
Bei einem Herzstillstand muss sofort die
Reanimation mit Herzmassage und Beatmung eingeleitet werden.
8.3.3 Veränderungen der Pulsqualität
Die Spannung oder Härte des Pulses ist abhängig von
dem Druck bzw. von der Intensität der Kontraktionen der Herzkammern. Das Schlagvolumen sowie
die zirkulierende Blutmenge beeinflussen das Volumen bzw. den Füllungszustand der Arterien und somit auch die palpierbare Pulswelle.
Harter Puls
Beim harten Puls ist die Gefäßspannung hart und das
Blutgefäß ist normal gefüllt. Der Puls lässt sich nur
schwer unterdrücken. Der harte Puls tritt häufig im
Zusammenhang mit einem Bluthochdruck, der sog.
Hypertonie, auf.
Druckpuls
Beim Druckpuls ist die Gefäßspannung hart, das Gefäß ist stark gefüllt und es kommt zur Verlangsamung der Pulsfrequenz auf bis zu 20 Schläge/Min.
Der Druckpuls tritt meist im Zusammenhang mit einem erhöhten Hirndruck, z. B. durch einen Tumor
oder ein Trauma, auf.
Weicher Puls
Beim weichen Puls ist die Gefäßspannung weich und
das Gefäß ist normal gefüllt. Der Puls ist leicht zu unterdrücken. Ein weicher Puls kann z. B. während eines Fieberschubes auftreten. Andere Ursachen können ein niedriger Blutdruck, die sog. Hypotonie, oder
eine Herzmuskelschwäche, die sog. Herzinsuffizienz, sein.
Fadenförmiger Puls
Der fadenförmige Puls, der auch als Pulsus filiformis
bezeichnet wird, ist ein kaum tastbarer Puls mit kleiner Pulsamplitude und meist hoher Pulsfrequenz. Er
ist typisch für Kollaps- oder Schockzustände, wie sie
z. B. bei hohen Blutverlusten auftreten können.
Drahtpuls
Der Drahtpuls ist ein sehr harter Puls, der gekennzeichnet ist durch gleichzeitigen Anstieg des systolischen und diastolischen Blutdrucks. Der Drahtpuls
kann z. B. bei einer Eklampsie auftreten. Hierbei handelt es sich um eine in der Schwangerschaft auftretende Erkrankung, die gekennzeichnet ist durch ei-
Beobachtung des gesunden und kranken Menschen
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8 Puls
nen raschen Anstieg des Blutdrucks und tonisch-klonischen Krämpfen mit oder ohne Bewusstlosigkeit.
Grundsätzlich gilt: Jede auffällige Veränderung des Pulses bezüglich Frequenz, Rhythmus und Qualität ist sofort dem Arzt mitzuteilen.
8.4 Ergänzende
Beobachtungskriterien
Wie in 8.2 beschrieben, sind Veränderungen und Abweichungen vom Normalzustand des Pulses häufig
ein Zeichen für vorliegende Erkrankungen. Diese Erkrankungen können neben dem Puls auch andere Beobachtungskriterien beeinflussen. Weil sich aus der
Kombination der verschiedenen Beobachtungen
Rückschlüsse auf zugrunde liegende Erkrankungen
ergeben, können die einzelnen Beobachtungskriterien nicht isoliert voneinander betrachtet werden,
wenn sich ein vollständiges Bild der Situation eines
Menschen ergeben soll.
Bei festgestellten Pulsveränderungen sind deshalb auch besonders die anderen Vitalzeichen Blutdruck, Atmung und Körpertemperatur zu beachten.
Der Zusammenhang zwischen Pulsveränderungen
und Veränderungen anderer Beobachtungskriterien
ergibt sich prinzipiell aus den der jeweiligen Pulsveränderung zugrunde liegenden Ursachen. Im Folgenden soll anhand einiger Beispiele für Pulsveränderungen der Zusammenhang mit anderen Beobachtungskriterien verdeutlicht werden.
Wird bei der Pulsmessung eine Tachykardie
festgestellt, sollte gleichzeitig eine Kontrolle der Körpertemperatur erfolgen, da die Tachykardie häufig durch den Anstieg der Körpertemperatur bedingt ist. Als weitere ergänzende Beobachtungskriterien kommen hier beispielsweise Schmerzen oder Nachblutungen aus Wunddrainagen vor allem in den ersten Tagen nach einer Operation in Betracht. Auch die Beobachtung der Haut bezüglich vermehrter Schweißsekretion oder Zyanose muss im Zusammenhang mit einer Tachykardie erfolgen.
Die Bradykardie steht häufig im Zusammenhang mit
Störungen des Bewusstseins. Deshalb ist bei dieser
Art der Pulsfrequenzveränderung immer auch die
Bewusstseinslage des betroffenen Menschens und
seine Fähigkeit zur Kommunikation zu beachten.
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Grundsätzlich gilt: Jede empfundene Veränderung des Pulses bezüglich Frequenz,
Rhythmus und Qualität kann bei dem betroffenen Menschen Angst auslösen.
Abweichungen und Veränderungen:
Bei der Tachykardie steigt die Herzfrequenz auf
über 100 Schläge/Min. an. Bei der Bradykardie
sinkt sie auf unter 60 Schläge/Min.
Tachykardie und Bradykardie können sowohl
physiologisch als auch pathologisch bedingt sein.
Bei der paroxysmalen Tachykardie steigt die Pulsfrequenz anfallsweise auf 130 – 200 Schläge/Min.
an.
Zu den wichtigsten Veränderungen des Pulsrhythmus gehören respiratorische und absolute
Arrhythmie, Extrasystolie, Bigeminie, Tachyarrhythmie und Asystolie.
Bei den Veränderungen der Pulsqualität unterscheidet man harten Puls, Druckpuls, weichen
Puls, fadenförmigen Puls und Drahtpuls.
Bei der Beobachtung des Pulses sind weitere Beobachtungskriterien wie z. B. Blutdruck, Atmung
und Körpertemperatur miteinzubeziehen.
8.5 Besonderheiten bei Kindern
Sigrid Flüeck
Technik der Pulsmessung
Die Technik der Pulsmessung bei Kindern entspricht
der bei Erwachsenen. Grundsätzlich ist bei Kindern
wie auch bei Erwachsenen die Pulswelle überall dort
zu tasten, wo die Arterien oberflächlich verlaufen
und gegen einen Widerstand, wie beispielsweise
Knochen oder Muskulatur, gedrückt werden können.
Um valide Werte zu ermitteln, muss sich das Kind
während der Pulskontrolle ganz ruhig verhalten, z. B.
schlafen.
In der Regel wird der Puls an der Speichenschlagader gefühlt. Je nach Alter und Erkrankung des Kindes bietet sich die Messung des Pulses an bestimmten Palpationsstellen an. Bei Säuglingen ist beispielsweise der Radialispuls aufgrund eines Fettpolsters
(Speckfalte) schlecht tastbar. Deshalb empfiehlt sich
hier eine Pulskontrolle an der Fontanelle, der A. brachialis oder A. femoralis. Bei Klein- und Schulkindern
kommen besonders die A. carotis, die A. femoralis
oder die A. radialis in Betracht.
Beobachtung des gesunden und kranken Menschen
BAND 2
aus: Lauber u. a., verstehen & pflegen 2, Wahrnehmen und Beobachten (ISBN 9783131285935), 䊚 2012 Georg Thieme Verlag KG
8.5 Besonderheiten bei Kindern
Wie beim Erwachsenen muss auch bei Kindern
bei jeglicher Verschlechterung des Allgemeinzustandes der Puls an einer zentralen Palpationsstelle kontrolliert werden, da bei einer Kreislaufzentralisation
mit Engstellung der Gefäße in der Peripherie die korrekte Pulskontrolle dort unmöglich ist.
Bei schwerkranken Kindern werden Herzfrequenz und Herzrhythmus mittels EKG-Monitor
überwacht.
In der Früh- und Neugeborenenpflege ist die Ermittlung der Herzfrequenz durch Ertasten des Pulses
häufig schwierig. Frühgeborene, die im Inkubator
versorgt werden, werden mittels eines Pulsoxymeters überwacht (Abb. 8.8). Der Sensor des Pulsoxymeters wird z. B. am Finger oder am Fuß des Frühgeborenen angebracht und mittels eines Klettverschlusses fixiert. Die Messstelle sollte, um Drucknekrosen zu vermeiden, 4-stündlich gewechselt werden. Das Pulsoxymeter misst kontinuierlich die Sauerstoffsättigung des Hämoglobins, indem ein Lichtsignal das Gewebe durchdringt. Die Messung erfolgt
immer dann, wenn eine periphere Pulswelle registriert wird. So überwacht das Pulsoxymeter die Pulsfrequenz und gleichzeitig die Sauerstoffsättigung.
Normalwerte
Die Normalwerte der Pulsfrequenz bei Kindern, die
auch als klinische Referenzwerte bezeichnet werden,
sind altersabhängig und in Tab. 8.5 dargestellt.
Grundsätzlich können alle unter 8.3 beschriebenen Veränderungen der Beobachtungskriterien des
Pulses auch bei Kindern auftreten. Bei Kindern mit
einem offenen Ductus Botalli, dem sog. Ductus arteriosus Botalli apertus (Abb. 8.9), tritt eine Veränderung der Pulsqualität auf, die als springender Puls bezeichnet wird. Das Offenbleiben der fetalen Verbin-
Tab. 8.5 Normalwerte der Pulsfrequenz bei Kindern (aus:
Kraemer, R.: Berner Datenbuch der Pädiatrie, 5. Aufl., Gustav Fischer, Ulm 1997)
Alter
Mittelwert
ⴞ SD
0 – 24 Std.
133/min
22
1. Lebenswoche
120/min
16
2. – 4. Woche
163/min
20
1. – 3. Monat
154/min
19
3. – 6. Monat
140/min
21
6. – 12. Monat
140/min
19
1. – 3. Jahr
126/min
20
3. – 5. Jahr
98/min
18
5. – 8. Jahr
96/min
16
8. – 12. Jahr
79/min
15
12. – 16. Jahr
75/min
13
dung zwischen Aorta und Pulmonalarterie von unterschiedlicher Weite macht 10% aller angeborenen
Herzfehler aus und kommt im Verhältnis 3 : 1 vor allem beim Mädchen vor.
PDA
Ao
PA
As
Ad
Vs
Vd
Abb. 8.9 Ductus arteriosus Botalli apertus. Persistierender
Ductus arteriosus (PDA) Ao ⫽ Aorta, PA ⫽ Pulmonalarterie, Ad ⫽
Atrium dexter, As ⫽ Atrium sinister, Vs ⫽ Ventriculus sinister, Vd ⫽
Ventriculus dexter
Abb. 8.8 Pulsoxymeter
BAND 2
Beobachtung des gesunden und kranken Menschen
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