Zur Fortbildung Aktuelle Medizin ÜBERSICHTSAUFSATZ Wie ansteckend sind Hautkrankheiten? Siegfried Nolting und Günter Ludwig Aus der Abteilung für Dermatomikrobiologie (Professor Dr. med. Siegfried Nolting) der Hautklinik (Direktor: Professor Dr. med. Egon Macher) der Universität Münster/Westfalen 1971 wurden in der Universitäts-Hautklinik Münster 8037 Kranke neu behandelt. Von ihnen litt nicht einmal ein Fünftel an einer Infektionskrankheit der Haut. In bezug auf die Ansteckungsgefahr müssen große Unterschiede gemacht werden. Im einzelnen waren 916 Patienten von Pilzerkrankungen und 237 von Warzen betroffen. Skabies wurde bei 135, Geschlechtskrankheiten wurden bei 104 Patienten diagnostiziert. Es waren an Gonorrhoe 47, Lues 19 und Trichound Trichomoniasis 48 Personen erkrankt. Von Impetigo contagiosa waren 83, von Mollusca contagiosa 39 Patienten betroffen: bei beiden Patientengruppen handelte es sich meistens um Kinder. 19 Patienten kamen mit Windpocken in die Klinik. Immer wieder sind in Praxen und in den Kliniken Klagen von hautkranken Patienten über mangelndes Verständnis seitens der Umwelt gegenüber ihrer Krankheit zu hören. Wer einmal aufmerksam das Geschehen in Badeanstalten oder an anderen Plätzen mit großen Menschenansammlungen beobachtet hat, kann diese Klagen nur bestätigen. Häufig sind Bescheinigungen darüber auszustellen, daß eine bestehende Hautkrankheit nicht ansteckend ist und keine Gefahr für die Umwelt besteht. Welche seelischen Nöte und psychischen Belastungen dieses Verhalten bei den Betroffenen auslöst, kann ein Außenstehender kaum ermessen. Die zum Teil neugierigen, zum Teil verlegenen Blicke Fremder belasten den Patienten mehr als seine eigentliche Krankheit. Vor allem ältere Menschen können mit diesen Problemen oft nicht fertig werden und ziehen sich völlig zurück. Es stellt sich die Frage, ob es wirklich unvermeidlich ist, daß Unvernunft und Gedankenlosigkeit, aber auch mangelndes Wissen und fehlende Aufklärung über Krankheiten solche Folgen haben müssen. Quoten ansteckender Hautkrankheiten 1971 sind wir in der UniversitätsHautklinik Münster bei 8037 Patienten der Frage nachgegangen, welche Krankheiten überhaupt und mit welcher Wahrscheinlichkeit ansteckend sind. Nur rund 15 Prozent der Fälle hatten Hauterkrankungen, die „ansteckend" waren. Mit 10,5 Prozent stellten die Pilzerkrankungen den weitaus größten Anteil dar. Bei einer angenommenen Durchseuchungsquote von 30 bis 90 Prozent handelt es sich dabei um eine ausgesprochene Zivilisationskrankheit. An zweiter Stelle standen mit 2,7 Prozent die Warzen, wobei gewöhnliche Warzen, Fußsohlenwarzen und Feigwarzen (Verrucae vulgares, Verrucae plantares, Condylomata acuminata) zusammengefaßt wurden. Es folgten Skabies (Krätze) mit 1,5 Prozent sowie Geschlechtskrankheiten mit 1,2 Prozent; zu ihnen wurden Gonorrhoe, Lues und Trichomoniasis gerechnet. Im einzelnen entfielen auf Gonorrhoe 0,5 Prozent, Trichomonadenbefall 0,5 Prozent sowie auf Lues 0,2 Prozent der Fälle. Die Zahl aller anderen ansteckenden Hautkrankheiten lag unter ein Prozent, und zwar lmpetigo contagiosa (Eiterflechte) mit 0,95 Prozent, Mollusca contagiosa (Dellwarzen) mit 0,4 Prozent und Varizellen (Windpocken) mit 0,2 Prozent. 1971 berichtete Feuerstein auf dem Grazer Symposium über Gegenwartsfragen der dermatologischen Praxis. Dabei gab er einen Überblick über die Diagnoseverteilung bei 3000 Praxispatienten. Mit rund zwölf Prozent Pilzerkrankungen (Candidosis eingeschlossen) bestand nur eine geringe Differenz zu dem von uns gefundenen Wert. Warzen folgten mit 5,13 Prozent, Gonorrhoe und Lues mit rund zwei Prozent, Herpes simplex und Herpes zoster mit ein Prozent sowie Skabies mit 0,7 Prozent. Beim Ver- DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 43 vom 23. Oktober 1975 2973 Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Hautkrankheiten gleich der Zahlen ist noch zu bedenken, daß es sich einmal um Patienten einer dermatologischen Facharztpraxis und zum anderen um Patienten einer Hautklinik handelte, bei denen schon eine gewisse Auswahl durch die vorher behandelnden Kollegen getroffen worden war. Lokal- und Allgemeininfektionen Zunächst soll eine kurze Begriffsbestimmung des Wortes Infektion vorangestellt werden. Klinisch ist die Lokalinfektion von der Allgemeininfektion zu trennen. Einmal kann von der Eintrittsstelle des Erregers eine fortschreitende Entzündung ausgehen, zum anderen kommt es gesetzmäßig zunächst zu einer Generalisation des Keimes. Lokalinfektionen können durch Eindringen von Erregern in den Makroorganismus, durch Standortveränderungen normaler Saprophyten oder durch Zustandsänderungen in der Anfälligkeit des Wirtes beziehungsweise des Keimes entstehen. Der Makroorganismus reagiert an der Eintrittspforte des Erregers mit einer Entzündung und versucht auf diese Weise, die Infektion zu begrenzen. Es kann auch zu einem Fortschreiten der Infektion in die Umgebung per continuitatem (Phlegmone) oder zu einem Übergreifen auf das Lymphsystem (Lymphangitis, Lymphadenitis) kommen. Im Gegensatz dazu kommt es bei den zyklischen Allgemeininfektionen an der Eintrittsstelle nicht zu klinischen Veränderungen, sondern nach Vermehrung im retikuloendothelialen System und Einhaltung einer charakteristischen Inkubationszeit zur erneuten Einschwemmung ins Blut. Verteilung ansteckender Hautkrankheiten Betrachtet man nun die bei uns als ansteckend bezeichneten Hauterkrankungen, so ergibt sich folgende Verteilung: 2974 Mykosen (916 Patienten) Unter der großen Gruppe der Pilzerkrankungen gilt vor allem die Trichophytie (Rinderflechte) als ansteckend; ihr kommt aber unter den Mykosen nur eine geringe Bedeutung zu. Wesentlich häufiger und auch schon dem Laien geläufig sind Pilzerkrankungen an Händen und Füßen. Als Hauptansteckungsquellen werden Sportplätze, Hotels, Schwimmbäder und Schulen angesehen. Hierbei kommt es durch auf dem Boden liegende pilzhaltige Schuppen zur Infektion. Wie bereits bei der Begriffsbestimmung der Infektionskrankheiten erklärt, ist es wichtig, zwischen den Eigenschaften des Erregers, seiner Pathogenität und Virulenz und den Eigenschaften des Wirtes, seiner EmpfängnisfähigkeitResistenz und seiner AnfälligkeitImmunität zu unterscheiden. Nicht immer kommt es bei Kontakt mit infektiösem Material (Erreger) auch zur Erkrankung. Für den Besucher einer Hautklinik ist es praktisch nicht möglich, sich eine Pilzerkrankung zuzuziehen, falls man es nicht unbedingt darauf anlegt. Trotzdem kann man immer wieder Besucher beobachten, die sich nicht trauen, eine Türklinke anzufassen und diese lieber mit dem Ellenbogen herunterdrücken. Wenn diese Personen sich dann aus Angst vor einer möglichen Anstekkung bis zu 30mal die Hände waschen, können sie doch eine Pilzflechte bekommen. Durch übermäßige Durchfeuchtung der Haut und die damit verbundene Mazeration kann die normale Schutzfunktion der Haut so beeinträchtigt werden, daß die überall vorkommenden Pilze leicht eindringen können. Besonders Hefepilzerkrankungen (Candidosen und andere) werden durch diese Vorbehandlung begünstigt. Hinzuzufügen ist, daß bei einer Durchseuchungsquote von 30 bis 90 Prozent bereits viele Mitmenschen eine Mykose ohne Heft 43 vom 23. Oktober 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Krankheitsgefühl nur mit gelegentlich auftretendem Juckreiz haben. Warzen (237 Patienten) Hierbei ist zwischen gewöhnlichen Warzen, Fußsohlenwarzen und Feigwarzen (Verrucae vulgares, Verrucae plantares, condylomata acuminata) zu unterscheiden. Alle drei Formen werden durch eine Virusinfektion ausgelöst. Bei diesen Infektionen ist zwischen Anstekkung und Selbstverimpfung zu unterscheiden. Außerdem ist die Empfindlichkeit gegenüber dem Virus unterschiedlich. Nicht jeder erkrankt nach Kontakt mit dem Virus an Warzen, es gäbe wohl sonst kaum einen Arzt, dessen Hände nicht damit bedeckt wären. Welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, ist bis jetzt nicht restlos geklärt. Sicher spielen hier, ebenso wie bei den Pilzerkrankungen, Durchblutung, Feuchtigkeitsgehalt und ph-Wert der Haut eine Rolle. Die Inkubationszeit kann von vier Wochen bis zu 20 Monaten dauern. Das Virusreservoir ist unbekannt. Besonders an den Händen werden Warzen kosmetisch als störend empfunden. Da sie auch der Umgebung meistens sehr schnell auffallen, wird von den Betroffenen eher etwas unternommen. Es gibt zahlreiche Vorschläge für eine angeblich sichere Beseitigung. Dabei auftretende Verletzungen können zur Selbstimpfung und zum Auftreten von neuen Warzen führen. Patienten mit 30 Warzen und mehr an den Händen sind keine Seltenheit. Eine absolut erfolgreiche Behandlungsmethode ist bisher nicht bekannt. Gerade aufgrund der unterschiedlich langen Inkubationszeit können auch während der Behandlung ständig neue Warzen entstehen. Langdauernde Arbeitsunterbrechungen sind nicht einmal selten. Skabies (132 Patienten) Von den typischen Hauterscheinungen der Krätze waren 1,5 Prozent der Kranken betroffen; der Milbennachweis war positiv. Befruchtete Weibchen werden haupt- Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Hautkrankheiten sächlich in Bettwärme bei direktem Körperkontakt, nur selten durch Bett- oder Leibwäsche übertragen. Geschlechtskrankheiten 0 Gonorrhoe (47 Patienten) Die Inkubationszeit dauert zwei bis drei Tage, danach Auftreten von rahmig grün-gelblichem Eiter sowie Beschwerden beim Wasserlassen. Da die Krankheit häufig auch asymptomatisch verläuft und die Beschwerden auch wieder nachlassen , kommt es immer wieder vor, daß eine wirkungsvolle Behandlung unterbleibt. f) Lues (19 Patienten) Erreger der Lues ist das Treponema pallidum, das außerhalb des Körpers praktisch nicht lebensfähig ist. Das ist mit ein Grund dafür, warum es bisher nicht gelungen ist, den Erreger kulturell zu züchten. 8 Regel nur bei Kindern gefunden wird. Sie ist gekennzeichnet durch Blasenbildung sowie honiggelbe Krusten und wird häufig in Kindergärten und Schulen übertragen. Die Abheilung vollzieht sich ohne Hinterlassung von Narben. Trichomoniasis (48 Patienten) Trichomonas vaginalis ist ein zu den Protozoen gehörender Schleimhautparasit; er führt zu Brennen, Juckreiz sowie wäßrigem Ausfluß. über die deutliche Zunahme der Geschlechtskrankheiten in den letzten Jahren und die dafür vermuteten Ursachen ist sehr viel geschrieben worden. Wie schon erwähnt, sind Erreger der Geschlechtskrankheiten außerhalb des Körpers praktisch nicht lebensfähig . Sie können deshalb in der Regel nur beim Geschlechtsverkehr übertragen werden . Als Infektionsquelle kommt unsauberen Toiletten , Handtüchern oder Waschlappen keine Bedeutung zu. Impetigo contagiosa (83 Patienten) Hervorgerufen durch Staphylokokken stellt die Eiterflechte eine Schmierinfektion dar, die in der Furunkel und Karbunkel, die ebenfalls durch Kokkeninfektionen entstehen, sind dagegen praktisch nicht ansteckend. Mollusca contagiosa (39 Patienten) Dellwarzen, eine vorwiegend bei Kindern mit zarter Haut anzu~ref­ fende Hautkrankheit, wird durch Viren hervorgerufen. Man findet stecknadelkopf- bis erbsengroße, über die Haut ragende, hautfarbene bis zartrosa erscheinende Knötchen. Oft sind Geschwister und Spielkameraden ebenfalls befallen. Varizellen (19 Patienten) Wie der Name Windpocken bereits sagt, handelt es sich um eine hoch ansteckende, ebenfalls durch Viren hervorgerufene Krankheit. Sie tritt schon bei Kleinkindern und vor allem bei Schulkindern auf. Nach einer Inkubationszeit von zehn bis 17 Tagen beginnt die Krankheit mit Fieber, Kopfschmerzen und Abgeschlagenheit. Einige Tage später bildet sich dann das eigentliche Exanthem mit oberflächlich gelegenen einkammerigen Bläschen aus. krankheiten mit einer gewissen Skepsis gegenübertreten , soll folgende Tatsache noch einmal klar herausgestellt werden: ~ Nur die von uns angegebenen (15 Prozent) Hauterkrankungen können im engeren oder weiteren Sinne als ansteckend bezeichnet werden, wobei der überwiegende Anteil nur eine geringe Kontagiosität aufweist. Alle übrigen Hauterkrankungen sind nicht ansteckend, das gilt besonders für die zahlreichen Ekzeme. Besondere Bedeutung kommt der Psoriasis (Schuppenflechte) zu . Sie ist relativ weit verbreitet und belastet die Patienten durch ihre auffälligen Hauteffloreszenzen . Eine wesentliche therapeutische Maßnahme ist die direkte Einwirkung von Sonnenstrahlen. Gerade diese Behandlung scheitert aber immer wieder am Unverständnis der Umgebung. Wenn ein Psoriasis-Kranker sich an einen Badestrand legt, rückt seine Umgebung sehr bald von ihm ab. Wer mehrere Male von einem Badestrand verwiesen oder von der Benutzung eines Schwimmbeckens ausgeschlossen wurde, wird sehr bald resignieren. ln diese Gruppe gehören auch die wesentlich weniger ansteckenden Viruskrankheiten Herpes zoster (Gürtelrose) und Herpes simplex (Fieberbläschen). Von diesen beiden Krankheiten waren in unserem Krankengut 51 beziehungsweise 36 Patienten betroffen. Unserer Meinung nach darf es in der heutigen Zeit nicht mehr passieren , daß Hautkranke mit Aussätzigen gleichgesetzt und von der Umwelt gemieden werden. Aufklärung darüber, daß nur in einem verschwindenden Prozentsatz Hauterkrankungen ansteckend sind und dies auch nur bei direktem körperlichen Kontakt, ist dringend erforderlich. Nur so kann vermieden werden, daß durch ein an sich geringfügiges Hautleiden sich schwere psychische Störungen entwickeln. Unter den von uns angegebenen Krankheiten entsprechen wohl nur die Geschlechtskrankheiten den Erwartungen, die ein Laie mit ansteckenden Hautkrankheiten verbindet. Da es gelegentlich noch vorkommt, daß auch Ärzte Haut- Anschrift für die Verfasser: Prof. Dr. med. S. Nolting 44 Münster von-Esmasch-Straße 56 DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 43 vom 23. Oktober 1975 2975