Jahrbuch 2009/2010 | Overzier, Roderik | Quasare im frühen Universum: Schornsteine der ersten kosmischen Großstädte? Quasare im frühen Universum: Schornsteine der ersten kosmischen Großstädte? Quasars in the Early Universe: Smokestacks of the first Cosmic Cities? Overzier, Roderik Max-Planck-Institut für Astrophysik, Garching Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Ein Astronomenteam unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Astrophysik hat mithilfe von Beobachtungen durch das Hubble Space Telescope und Vorhersagen aus der Millennium-Simulation mögliche Erklärungen für eines der verblüffendsten kosmischen Rätsel gefunden: Wenn – w ie es die Theorie vorhersagt – leuchtende Quasare im frühen Universum die Regionen anzeigen, die als erste zusammengestürzt sind und massereiche Galaxienhaufen gebildet haben, w arum gibt es dann bislang so w enige empirische Bew eise für solche „Städte im Bauzustand“? Summary A team of astronomers, including members of the Max Planck Institute for Astrophysics, have combined the observational pow er provided by the Hubble Space Telescope w ith the predictive pow er of the Millennium Run cosmological simulations to investigate an intriguing cosmic puzzle. If luminous quasars in the early Universe mark the regions that w ere the first to collapse and form massive clusters of galaxies as predicted by theory, then w hy is the observational evidence for such cosmic "cities-under-construction" currently so scarce? © 2010 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/5 Jahrbuch 2009/2010 | Overzier, Roderik | Quasare im frühen Universum: Schornsteine der ersten kosmischen Großstädte? Die Ve rte ilung von Ga la x ie n be i e ine r R otve rschie bung von 6 a uf de m Him m e l, wie de r Mille nnium sla uf sie sim ulie rt. Die Um risslinie n ze ige n R e gione n gle iche r Dichte a n (bla u: hohe Dichte n; rot: ge ringe Dichte n). Grün k e nnze ichne t die m ittle re Dichte . Große schwa rze Kre ise be ze ichne n Ga la x ie n, die in Ga la x ie nha ufe n be i e ine r R otve rschie bung von 0 ge la nge n. Die se R e gione n, in de ne n sich Ga la x ie nha ufe n bilde n, fa lle n be re its be i e ine r R otve rschie bung von 6 a ls übe rdichte R e gione n a uf. © Ma x -P la nck -Institut für Astrophysik Sow ohl die Theorie als auch Simulationen sagen vorher, dass die Energie der äußerst seltenen leuchtenden Quasare, die bei einer Rotverschiebung von ungefähr 6 (also etw a eine Milliarde Jahre nach dem Urknall) gefunden w urden, aus supermassereichen Schw arzen Löchern in den Zentren massereicher Galaxien stammt, die sich tief in den Potenzialtöpfen der dichtesten Regionen gebildet haben. Daher w urde seit langem allgemein angenommen, dass Quasare von einer hohen Anzahl kleinerer Galaxien umgeben sind, die diese dichten Regionen abgrenzen. Diese Vorhersage stimmt mit der Tatsache überein, dass die massereichsten und ältesten Galaxien und die größten (inaktiven) Schw arzen Löcher im heutigen Universum in den Zentren massereicher Galaxienhaufen zu finden sind. Wenn die Vorhersage allerdings w iderlegt w ürde, müssten die Theorien über die Bildung von Quasaren im frühen Universum korrigiert w erden. Um die Theorie zu überprüfen, w urde versucht, schw ache sternbildende Galaxien mit der Advanced Camera for Surveys (ACS) des Hubble Space Telescopes (HST) zu finden. Die Ergebnisse w aren uneinheitlich. W ährend die Felder rund um einige Quasare einen möglichen Überschuss an Galaxien aufw eisen, zeigen die meisten Quasarfelder, die von zufällig gew ählten Blickachsen aus in vergleichbarer Tiefe beobachtet w urden, keine Auffälligkeiten. Zudem haben einige Studien beliebige Himmelsregionen gefunden, die w esentlich mehr Galaxienstrukturen bei einer Rotverschiebung von etw a 6 enthalten als Regionen in der Nähe von Quasaren. Somit scheinen entscheidende empirische Belege im Zusammenhang mit Quasaren und besonders dichten Regionen im frühen Universum gegenw ärtig noch zu fehlen. Eine neue Studie von W issenschaftlern am MaxPlanck-Institut für Astrophysik (MPA) bietet eine mögliche Erklärung für dieses erstaunliche Ergebnis. © 2010 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/5 Jahrbuch 2009/2010 | Overzier, Roderik | Quasare im frühen Universum: Schornsteine der ersten kosmischen Großstädte? Na ha ufna hm e von dre i de r re ichste n R e gione n be i e ine r R otve rschie bung von 6, a uf die m a n in de n Sim ula tione n ge stoße n ist. Da s grüne Q ua dra t ze igt die P osition de s m a sse re ichste n Ha los a n (m ögliche rwe ise de r Q ua sa r). Große und k le ine P unk te e ntspre che n he lle n und lichtschwa che n Ga la x ie n. Die Me sssk a la obe n link s in je de m Fe ld be zie ht sich a uf die Größe e ine r HST/AC S-Aufna hm e , die de rje nige n ä hnlich ist, die be nutzt wurde , um re a le Q ua sa re be i e ine r R otve rschie bung von 6 zu be oba chte n. Bla ue Kre ise k e nnze ichne n Ga la x ie n, die im he utige n Unive rsum Te il e ine s m a sse re iche n Ga la x ie nha ufe ns we rde n. © Ma x -P la nck -Institut für Astrophysik Indem sie N-Teilchen-Verfahren aus der Millennium-Simulation mit am MPA entw ickelten semi-analytischen Modellen der Galaxienbildung verknüpften, simulierte das Forscherteam eine sehr große Region des frühen Universums, um zu zeigen, w ie sie durch die Augen unserer größten Teleskope betrachtet aussehen w ürde. Diese simulierte Durchmusterung (Abb. 1) sagt die Positionen und Größen von Galaxien vorher und zeigt, w ie das Universum seine typische gew ebeartige Struktur schon bei einer Rotverschiebung von 6 bekam. Dieses Himmelsmuster entspricht einem System langer Fernstraßen (Filamente), die große Städte von Galaxien über riesige offene Felder (Leerräume) miteinander verbinden. Quasare sind der Vorhersage nach in den dichtesten Regionen untergebracht (Abb. 1). Allerdings erklärt die Kombination mehrerer w ichtiger Faktoren, w arum die Jagd nach lichtschw achen Galaxien rund um Quasare eine so große Herausforderung ist. (1) Obw ohl heutige Durchmusterungen ziemlich erfolgreich darin sind, relativ helle Galaxien zu finden, die bei einer ungefähren Rotverschiebung von 6 liegen, sind w ir noch nicht in der Lage, die genauen Rotverschiebungen dieser Galaxien zu bestimmen. Um einen physikalischen Zusammenhang zw ischen Galaxien und den Zielobjekten (Quasare, deren Rotverschiebungen bekannt sind) zu bew eisen, w äre eine viel präzisere Rotverschiebungsangabe notw endig. (2) Die Simulationen deuten darauf hin, dass die Empfindlichkeit und die Untersuchungsregionen der bisher durchgeführten Durchmusterungen w ahrscheinlich nicht optimal sind, w enn es darum geht, Strukturen von Galaxien zu finden, die im Zusammenhang mit den Quasaren stehen. In Abbildung 2 sind einige Beispiele von Regionen hoher Dichte dargestellt, die in den Simulationen gefunden w urden. Die großen schw arzen Kreise zeigen die lichtschw ächsten Galaxien, die in Quasarfeldern gegenw ärtig gefunden w erden können. Der rote Balken oben links entspricht dem Durchmesser des HST/ACS-Sichtfeldes (3,4 Bogenminuten). Weil die Anzahl der hellen Galaxien relativ gering ist und sie sich über ein Gebiet verteilen, das typischerw eise zw ei- oder dreimal größer ist, verfehlt man leicht alle möglicherw eise existierenden Strukturen in den Beobachtungen. Indem lichtschw ächere Galaxien beobachtet w urden (in Abb. 2 als kleine Punkte angezeigt), fallen die großräumigen Umgebungen viel stärker auf und sind leichter zu entdecken. © 2010 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/5 Jahrbuch 2009/2010 | Overzier, Roderik | Quasare im frühen Universum: Schornsteine der ersten kosmischen Großstädte? Die Anza hl de r Be gle itga la x ie n in würfe lförm ige n R e gione n von (20 Mpc/h) 3 im Ve rgle ich zur Ma sse de s m a sse re ichste n Ha los in je de r R e gion. Die Erge bnisse für lichtschwa che Ga la x ie n (27,5 m a g) sind link s, die für he lle re Ga la x ie n (26,5 m a g) re chts ge ze igt. O bwohl e s be i e ine r R otve rschie bung von unge fä hr 6 e ine bre ite Stre uung in de r Anza hl de r Be gle ite r pro Ha lom a sse gibt, ha be n die m a sse re ichste n Ha los te nde nzie ll die m e iste n Be gle ite r. Die Stre uung wird ge ringe r, we nn m a n schwä che re W e rte be tra chte t (link s). Die k le ine n Q ua dra te im re chte n Scha ubild e ntspre che n de n dre i R e gione n, die in Abbildung 2 ge ze igt we rde n. © Ma x -P la nck -Institut für Astrophysik (3) Das Team analysierte die Anzahl von Begleitgalaxien als Funktion der Masse der dunklen Materiehalos, von denen man annimmt, dass sie die Quasare beherbergen, mit dem Ergebnis, dass beide Größen in einem nur schw achen Zusammenhang zueinander stehen (Abb. 3). Dies impliziert, dass selbst w enn man durch Beobachtungen zeigen kann, dass Quasare bevorzugt in besonders dichten Regionen beheimatet sind, es sehr schw ierig sein w ird, die genaue Masse des Quasarhalos aus der Anzahl der beobachteten Begleitgalaxien zu bestimmen. Wegen des Erfolgs der letzten HST- Wartungsmission der NASA [W 1] w ird die gerade reparierte ACS in der Lage sein, neue Durchmusterungen durchzuführen, die auf Regionen rund um die Quasare bei Rotverschiebung von 6 abzielen könnten. Alternativ sollten Bodenteleskope benutzt w erden, um die genauen Rotverschiebungen lichtschw acher Galaxien in der Nähe von Quasaren zu bestimmen. Solche Studien w erden am besten durchgeführt, indem Quasare bei einer Rotverschiebung von 5,7 untersucht w erden, da hier das atmosphärische Übertragungsfenster gut ist. Im nächsten Jahrzehnt sollte das James Webb Space Telescope mit seiner empfindlichen Nahinfrarotkamera und seinem Spektrographen, mit denen extrem lichtschw ache Galaxien aufgedeckt w erden können, in der Lage sein, eine endgültige Antw ort auf die Frage zu geben, ob sich die leuchtenden Quasare in den dichtesten Regionen im frühen Universum gebildet haben. Originalveröffentlichungen Nach Erw eiterungen suchenBilderw eiterungChanneltickerDateilisteHTML- Erw eiterungJobtickerKalendererw eiterungLinkerw eiterungMPG.PuRe-ReferenzMitarbeiter Editor)Personenerw eiterungPublikationserw eiterungTeaser (Employee mit BildTextblockerw eiterungVeranstaltungstickererw eiterungVideoerw eiterungVideolistenerw eiterungYouTubeErw eiterung [1] R. A. Overzier, Q. Guo, G. Kauffmann, G. De Lucia, R. Bouwens, G. Lemson: LCDM predictions for galaxy protoclusters - I. The relation between galaxies, protoclusters and quasars at z~6. Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 394, 577–594 (2009). © 2010 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/5 Jahrbuch 2009/2010 | Overzier, Roderik | Quasare im frühen Universum: Schornsteine der ersten kosmischen Großstädte? © 2010 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/5