Ausbreitung der FSME in Deutschland, Europa und Asien Prof. Dr. rer. nat. Jochen Süss Friedrich-Loeffler-Institut Jena Nationales Referenzlabor für durch Zecken übertragene Erkrankungen Die FSME ist die wichtigste durch Zecken übertragene virale Erkrankung des Menschen in Europa, was durch die aktuellen epidemiologischen Daten erneut verdeutlicht werden kann. Sie kommt auch in Asien vor, kann aber auf Grund der Datenlage, die sich langsam verbessert, in ihrer Bedeutung dort noch nicht umfassend eingeschätzt werden (s.u.). In Deutschland wurden 2008 285 Erkrankungsfälle und 2009 313 Fälle an das RKI gemeldet. Die Zahlen der jährlich registrierten FSME-Fälle in Deutschland (und anderen europäischen Ländern) schwanken sehr stark, zeigen aber trotz aller, z.T. auch erfolgreicher Bemühungen, den Durchimpfungsgrad der Bevölkerung in den Risikogebieten zu erhöhen, eine eindeutige Tendenz nach oben. Analysiert man die vergangenen 20 Jahre und berechnet die durchschnittlichen jährlichen Erkrankungszahlen in Fünfjahreszeiträumen, kamen 1990 – 1994 jährlich 145 Fälle zur Meldung und 2005 – 2009 363 Fälle. Risikogebiete der FSME liegen in Deutschland in Bayern und Baden-Württemberg, in Hessen, Thüringen und Rheinland-Pfalz. Die meisten Erkrankungen werden in Baden-Württemberg und Bayern induziert, in den vergangenen zehn Jahren 85,9% aller FSME-Erkrankungen, gefolgt von Hessen (6,6%) und Thüringen (1,4%). In den übrigen 11 Bundesländern (mit Ausnahme von Bremen) wurden Einzelerkrankungen registriert, die eine Einstufung als Risikogebiete nicht zulassen. Interessant ist, dass Einzelerkrankungen in Norddeutschland in Gebieten aufgetreten sind, wo vorher keine Erkrankungen auftraten (Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein) oder über längere Zeiträume nicht mehr (Mecklenburg-Vorpommern). Ebenso ist das Auftreten von Erkrankungen im Südwesten Deutschlands (Saarland, Nordrhein-Westfalen) bemerkenswert. Insgesamt betrachtet, und das sollte nicht unterschätzt werden, entstehen bis zu 5% der Erkrankungsfälle in Deutschland in „Nichtrisikogebieten“. Von den 440 Stadt- und Landkreisen sind gegenwärtig 136 zu FSME-Risikogebieten erklärt worden. In Sachsen liegen keine Risikogebiete, in den letzten 20 Jahren (1990-2009) wurden der LUA Chemnitz 49 Erkrankungsfälle gemeldet, wovon 22 Fälle autochthon waren. Die FSME ist in Mittel- und Osteuropa, in den Baltischen und Skandinavischen Staaten, in Russland und ganz Sibirien und Teilen von Asien endemisch, wobei, anders als bei der Lyme-Borreliose, die Endemiegebiete flickenteppichartig ausgebreitet sind. Dabei ist zu erkennen, dass, insbesondere in Asien, aber auch in anderen Ländern, ständig neue Endemiegebiete identifiziert werden und hier noch viele weitere neue Daten zu erwarten sind. In Finnland, Norwegen und Dänemark sind neue Gebiete mit geringem Infektionsdruck analysiert worden, ebenso in Schweden, Österreich und der Schweiz. Nach dem heutigen Wissensstand ist die FSME in Europa in 27 Ländern beschrieben, in 16 dieser Länder gibt es eine Meldepflicht (Österreich, Tschechien, Finnland, Deutschland, Ungarn, Lettland, Litauen, Estland, Griechenland, Norwegen, Russland, Polen, Slovenien, in der Slovakei, Schweden und der Schweiz). Sie ist nicht meldepflichtig in Belgien, Frankreich, Italien, Portugal, Spanien und den Niederlanden, wobei es kleine Endemiegebiete nur in Italien und Frankreich gibt. In den 19 europäischen Staaten, von denen wir verlässliche epidemiologischen Daten haben (Österreich, Kroatien, Tschechien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Italien, Lettland, Litauen, Norwegen, Polen, Russland, Slovakei, Slovenien, Schweden, Schweiz), sind in den letzten 20 Jahren (bei hoher Dunkelziffer) 170.149 klinische Fälle registriert worden, wobei die Morbidität in den einzelnen Ländern sowohl lokal als auch temporär sehr unterschiedlich ist. In Europa wurden bei hoher Dunkelziffer 2008 5335 Erkrankungen an FSME registriert, 2009 waren es (vorläufig) 7217, davon entfielen im Jahr 2008 2817 Fälle auf Russland, 2009 waren es 3721 Fälle, die in Russland erworben wurden. In diesem Beobachtungszeitraum markierte das Jahr 1996 mit 12.733 Fällen einen Spitzenwert und das Jahr 2008 mit 5335 Fällen den geringsten Wert. Überraschend war, dass 2007 die Inzidenz in Europa auf 73,7% gegenüber 2006 abgesunken ist. Daten aus 12 europäischen Ländern zeigen aber, dass die Inzidenz 2009 wieder auf 97,3% des Standes von 2006 angestiegen ist. Die Gründe für diese starken Schwankungen sind unbekannt. Diese kurzfristigen Veränderungen können nur schwer dem generellen Klimawandel zugeordnet werden, es ist aber durchaus an Beeinflussungen durch Wetter und Mikroklima zu denken, ebenso durch viele weitere Faktoren. Auf Grund der generell zu geringen Durchimpfungsrate (Ausnahme Österreich) ist eine wesentliche Beeinflussung der Gesamtmorbidität durch den Durchimpfungsgrad auszuschließen. Betrachtet man die FSME unter reisemedizinischen Aspekten im europäischen Rahmen, dann sind die wichtigsten Risikoländer für eine FSME-Erkrankung (in abnehmender Reihenfolge) Russland, Österreich, Tschechien, Litauen, Deutschland, Slovenien, Polen, Schweden, Lettland, Schweiz und Ungarn. Nicht nebensächlich sind immer wieder veröffentlichte Berichte über Reisende aus Nichtendemiegebieten (z.B. den USA) in europäische oder sibirische Risikogebiete (Jagen, Fischen, Wandern), die ungeimpft Zeckenstichen ausgesetzt sind und an einer FSME erkranken. In Asien gibt es Hinweise über Endemiegebiete der FSME in China, Japan, aus der Mongolei, Kasachstan, Kirgisien und (Süd-) Korea, die allerdings virologisch, epidemiologisch und klinisch-diagnostisch sehr unterschiedlich untersetzt sind. Während aus Japan zwar nur von einem sicheren klinischen Fall beim Menschen berichtet wurde, konnte jedoch das Virus aus Wirten und Vektoren isoliert und charakterisiert werden. In China wurden, insbesondere im Nordosten, einige hundert Fälle diagnostiziert, ebenso in Kasachstan. Aus der Mongolei gibt es (indirekte) serologische Hinweise auf das FSME-Virus. In Südkorea wurden bisher keine Erkrankungsfälle registriert, jedoch das Virus aus Kleinsäugern und Zecken isoliert und charakterisiert, wel- ches sich zur großen Überraschung als der zentraleuropäische Typ darstellte, hier müssen weitere Klärungen durchgeführt werden. Jüngste, noch nicht veröffentlichte Ergebnisse aus Kirgisien zeigen, dass in Kleinsäugern der sibirische Virussubtyp vorkommt. Die Präzision der epidemiologischen Daten zur FSME und der Beschreibung von Risikogebieten hat in Europa ständig zugenommen. Diese können für eine wissenschaftlich basierte Risikobewertung immer zuverlässiger eingesetzt werden und die Grundlage von genaueren Impfempfehlungen bilden. Die FSME-Risikogebiete sind einerseits über längere Zeit stabil, verändern sich aber auch in einem gewissen Rahmen. Somit können bei aller Präzision und Sorgfalt bei der Erstellung solcher Datensammlungen und Risikokarten Einzelerkrankungen auch in Regionen auftreten, die bisher nicht als Endemiegebiete des FSME-Virus charakterisiert werden konnten. Dies ist ein weiterer Grund dafür, neben der intensiven Reisetätigkeit der Bevölkerung, die Impfindikation bei der FSME großzügig zu stellen.