Gartenwissen Die eigene Saat Nachwuchs fürs Feld In Poesie und Prosa steht oft der Vergleich: Ein Samenkorn ist schlicht ein Wunder. Im Garten entstehen sie tausendfach, wenn man sie lässt. Text Sarah Fasolin Fotos Karl-Heinz Hug Auf dem Dachboden trocknen die geernteten Samenstände. 154 155 Gartenwissen Die Stangenbohne Weinländerin wartet in ihrem pinkfarbenen Kleid auf die Ernte. M eist bleibt dem Gärtner verborgen, was für kunstvolle Samenstände Karotten, Lauch und Zwiebeln schaffen. Denn das Gemüse wird geerntet, noch bevor es seinen Lebenszyklus geschlossen und Samen gebildet hat. Doch wer einmal seinen schönsten Kopfsalat hat blühen lassen oder vom schmackhaften Bohnenstock Samen trocknen liess, der merkt: Eine eigene kleine Samengärtnerei macht Freude und lässt den Erfahrungsschatz des Gärtners grösser werden. 156 Der Lauch – hier der Bleu de Liège – bildet eine Kugel, an deren Enden die Samenkapseln sitzen. Zum Grundwissen des Samenanbaus gehört, die wichtigsten Eigenschaften der Pflanzen zu kennen. Denn es gibt Pflanzen, die bilden ihre Samenstände im ersten Jahr des Anbaus, wie etwa Bohnen, Tomaten, Spinat und Salatsorten. Andere blühen erst im zweiten Jahr, zum Beispiel Lauch, Karotten und Fenchel. Von diesen müssen zuerst einige Exemplare überwintert und im nächsten Jahr nochmals gesetzt werden. Einsteiger beginnen am besten mit einer einfachen Kultur, etwa der Vermehrung von Stangenbohnen. Diese bilden die Samen im ersten Jahr und verkreuzen sich selten. Wichtig ist auch zu wissen, nach welchen Kriterien man die Pflanzen auswählt: Legt man besonderen Wert auf Geschmack, auf die Form oder auf die Grösse? BITTE SCHIESSEN LASSEN Nun wird beobachtet, wie sich die Pflanzen entwickeln und welche sich wohl für eine weitere Vermehrung am besten eignen. Jene Kohlköpfe oder Bohnenstöcke, die man schliesslich für die Weiterzucht auswählt, sollte man sogleich beschildern. Und dann lässt man sie aufschiessen und blühen. Einige Erst blüht er gelb, der Fenchel (Sorte Cristallo), dann Das Rote Teufelchen hat den Namen dank seiner formt er grüne Kapseln, die zum Schluss braun werden. höllischen Schärfe erhalten. Samenstände werden so gross und so schwer, dass sie eine Stütze brauchen. Der richtige Zeitpunkt für die Ernte lässt sich mit einigen Tricks bestimmen: Bei Bohnen sollte man mit dem Fingernagel keinen Abdruck mehr hinterlassen können. Bei Salaten schneidet man die Samenstände, kurz bevor die Samen von selbst herausfallen. Bei Fruchtgemüse wie Tomaten, Auberginen oder Gurken nimmt man eine vollreife Frucht. Hier folgt nun eine Nassreinigung (siehe Box). Alle anderen Samenstände werden während der nächsten zwei bis drei Wochen auf dem Dachboden oder in einem warmen, luftigen Raum getrocknet. Dabei sollte es nie über 35 Grad warm sein, da sonst die Keimfähigkeit der Samen gemindert wird. Anschliessend folgt das Dreschen, das besonders bei Kindern sehr beliebt ist: Die Samenstände werden in einen Stoffsack abgefüllt, der danach gegen die Wand geschlagen wird. So lösen sich die Samenkörner aus der Hülle. Einige Samen, zum Beispiel von Endivien oder Radieschen, lassen sich kaum aus der Hülle locken. Hier muss der Sack mit einem Holzflegel gedrescht werden. Zuletzt wird der Samen mit verschieden grossen Sieben gereinigt. Hilfreich ist dabei ein Haarföhn, um die leichten Samenhülsen-Teile von den schwereren Samen wegzublasen. Nun ist das kleine Samenkorn parat, um im nächsten Frühling zu einer grossen Pflanze heranzuwachsen. Vorausgesetzt, es wird bis dahin richtig gelagert: bei Temperaturen zwischen null und zehn Grad in einem Glas mit Bügelverschluss. Zuletzt darf die detaillierte Beschriftung (Art, Sorte, Jahr) nicht vergessen werden, damit es nächstes Jahr nicht zu Überraschungen kommt. C 157 Samengärtnerei F ragen Sie Peter Lippus Was braucht die blaue Hortensie? Beobachten, blühen lassen, ernten – und zum Schluss den Samen gewinnen. Experte Peter Lippus hilft den LandLiebe-Lesern bei ihren Gartenfragen weiter. So wird das Samentütchen voll B C D Ich habe ein sehr schattiges Gartenbeet. Welches Gemüse gedeiht darin trotzdem? Ich habe rote und blaue Hortensien gekauft. Kann ich diese nebeneinander im Garten setzen? Ich habe gehört, blaue Hortensien brauchen eine andere Erde. Peter Mösch, Bern E Ein Blick in das Samengehäuse: Sind sie alle frisch und munter? F Unter dem Wasser das Fruchtfleisch abspülen. G Zum Trocknen in Kaffeefilter abfüllen. DAS EINMALEINS DER BESTÄUBUNG Ein Samenkorn entsteht aus dem männlichen Erbgut (Pollen) und dem weiblichen Erbgut (in der Samenanlage enthalten). Je nach Pflanze finden die beiden Erbgutträger anders zusammen: Selbstbefruchter Manche Pflanzen haben Blüten, in denen sowohl männliche Pollen als auch die weiblichen Stempel ausgebildet werden und die Befruchtung innerhalb der gleichen Blüte stattfindet. Dies ist zum Beispiel bei Tomaten und Erbsen der Fall. Fremdbefruchter Diese Pflanzen sind darauf angewiesen, dass ihnen der Wind oder die Insekten den 158 Die Samen mit einem kleinen Löffel aus der Frucht schaben. Pollen von anderen Pflanzen bringen. Ebenfalls zu den Fremdbefruchtern gehören Pflanzen, die sowohl männliche wie auch weibliche Blüten auf der gleichen Pflanze haben – zum Beispiel Kürbisse. Um diese Sorten echt weiterzuzüchten, bräuchte es die Befruchtung von eigenem Pollen (oder Pollen einer gleichen Pflanze) mit der eigenen Narbe. Im Garten kommt es jedoch oft zu Fremdbestäubungen durch Insekten, die sich mit Pollen von anderen Kürbispflanzensorten auf die weiblichen Blüten setzen. So kann es zu Verkreuzungen kommen, und die typischen Eigenschaften der Pflanze gehen verloren. Netzwerk www.prospecierara.ch j www.ulmer.de Nach dem Trocknen in einem Glas bei null bis zehn Grad aufbewahren. DER BUCH-TIPP Ich habe letztes Jahr ein Olivenbäumchen gekauft, das beim Überwintern jedoch alle Blätter verloren hat. Nun treibt es neu aus. Ist es normal, dass Olivenbäume im Herbst ihre Blätter verlieren, und soll ich die alten Triebe nun wegschneiden? Worum es geht Übersicht- liches Werk mit allen Infos zur Gemüsevermehrung – auch zur anspruchsvollen Saatgewinnung von Fremdbefruchtern. Wer es liest Einsteiger, Profis. Wer es schrieb Andrea Heistinger, Arche Noah, Pro Specie Rara. Was es kostet CHF 47.90 «Handbuch Samengärtnerei Sorten erhalten, Vielfalt vermehren, Gemüse geniessen» Ulmer Andrea Bodmer, Zürich Foto Karl-Heinz Hug / www.vanoordt.ch Nur voll ausgereifte Früchte werden für die Vermehrung geerntet. Ein schattiges Gartenbeet eignet sich für Gemüse nur im Sommer. Im Frühling und Herbst speichert sich im Gemüse, das auf Schattenbeeten steht, gern Nitrat an. Im Sommer können auf ein Schattenbeet ohne Weiteres Salat und Kohlrabi gesetzt werden. Auch Radiesli, Kresse und Schnittsalat eignen sich bestens. Hirschhornwegerich, Neuseeländer Spinat und Zitronenmelisse könnte ich mir auch noch vorstellen. Diese wachsen sehr langsam und eignen sich als Salatgarnitur. Und ein besonderer Tipp: Versuchen Sie es mit Brunnenkresse. Sie liebt feuchten Boden. Das Gemüse braucht etwas länger, um auszureifen, aber geerntet kann trotzdem werden. Es kommt auch immer auf den Schatten und die Bodenverhältnisse an. Schatten von Häusern ist weniger gut als Schatten von Bäumen. Mit zwei bis drei Stunden Sonne am Morgen oder am Nachmittag ist ein Ertrag garantiert. Ich rate Ihnen: Probieren Sie es. Ich weiss leider nicht, wo Sie den Olivenbaum überwintert haben. Darum habe ich Ihnen einige Tipps: Der Überwinterungsraum sollte hell und kühl sein. Je nach Temperatur muss regelmässig gegossen werden, sonst verliert er die Blätter. Die Blätter verlieren Olivenbäume auch, wenn sie im Winter zu dunkel Daniel Widmer, Stäfa Ein Leben im Garten: Fachmann Peter Lippus. PERSÖNLICH PETER LIPPUS ist diplomierter Gärtnermeister mit über 30-jähriger Erfahrung als Fachlehrer Gartenbau an der sankt-gallischen Bäuerinnenschule. Er ist Mitautor des Lehrmittels «Hausgarten». und zu warm stehen. Bleiben sie im Winter im Garten, muss der Topf gut eingepackt werden. Olivenbäume vertragen problemlos Temperaturen einige Grade unter null, aber nur kurze Zeit. Bei Dauerfrost vertrocknet die Olive, weil die Wurzeln kein Wasser aufnehmen können. Da Oliven viel Wasser speichern, treiben sie im Frühling leicht wieder aus. Ich rate Ihnen, die Triebe, die keine Blätter mehr haben, zurückzuschneiden und auf Schädlinge zu kontrollieren. Wurden Ihre Oliven zu warm überwintert, könnten sie auch Spinnmilben haben. Falls Ihnen der geeignete Platz für den Winter fehlt: Viele Gärtnereien bieten einen Überwinterungsservice an. Vermutlich haben Sie die Bauernhortensie Hydrangea macrophylla gekauft. Diese Hortensie hat sehr grosse ballenförmige Blüten und kann problemlos im Garten gesetzt werden. Die rot blühende Hortensie hat gern einen pH-Wert von 7, was einem normalen Gartenboden entspricht. Blaue Hortensien blühten ursprünglich rosa und haben ihre blaue Farbe durch die entsprechende Pflege und Erde erhalten. Setzt man nun eine blaue Hortensie in normale Gartenerde, blüht sie nächstes Jahr rosa. Damit sie weiterhin blaue Blüten macht, braucht sie Torf und einen sauren Boden mit einem pH-Wert von 4 bis 5. Um den Torf-Verbrauch zu reduzieren, könnte man auch zur Hälfte Kokosfasern beimischen. Zudem bevorzugen blaue Hortensien einen halbschattigen Standort. Sind sie im Torf angewachsen, werden sie ab August mit dem im Fachhandel erhältlichen Spezialdünger Hortensienblau versorgt. Als günstigere Alternative kann man in der Drogerie Kalialaun (Kaliumsulfat) kaufen und davon auf einen Liter Wasser zwei bis vier Milliliter beigeben. Damit insgesamt sechsmal giessen. Blaue Hortensien bleiben also nur mit saurem Boden und Kalialaun-Düngung blau. Auch weisse Hortensien wachsen in Torf, bekommen aber kein Alaun. C Haben Sie Fragen? Redaktion LandLiebe Vermerk: Gartenfrage Dufourstrasse 23 8008 Zürich oder per Mail an meinefrage@ schweizer-landliebe.ch 159