1 Manuskript radioWissen Die Schlange - Ganzheit, Unsterblichkeit, Weisheit und List AUTOR: Geseko v. Lüpke REDAKTION: Bernhard Kastner SPRECHER Nahezu lautlos gleitet sie durch das hohe Gras. Der glatte, fast seidige Schuppenkörper windet sich, nutzt jeden der über zweihundert Wirbel und jede Unebenheit im Gelände, um sich abzustemmen. ((Ständig schnellt die gespaltene Zunge hervor, nimmt winzige Partikel aus der Luft auf und analysiert sie blitzschnell auf Feinde oder Beutetiere.)) Ihr langer glatter Körper funktioniert wie ein großes Ohr, das sich lauschend auf die Erde legt und jedes Zittern, jeden Schritt tastend aufnimmt (Atmo: Schritte rein). Plötzlich erstarrt das Tier, steif wie ein Stock ist es bereit zur Verteidigung. SPRECHERIN Ein Mensch – hoch aufgerichtet, in Balance zwischen Erde und Himmel. S e i n Kontakt zum Boden ist nur kurz, wie Trommelschläge hallen seine Schritte im Erdreich für die Schlange nach. Ein Augenwesen, das von oben den Boden mit Blicken abtastet, Hindernisse und Gefahren abschätzt …- und dabei so manches übersieht. … SPRECHER Wie aus dem Nichts ist sie da! Bedrohlich wirkt der erhobene schmale Kopf, der starre Blick, die schnellende Zunge, die Rassel am Schwanzende ist wie eine Peitsche nach oben gerichtet. SPRECHERIN Eine menschliche Urerfahrung, abgespeichert im Gedächtnis der Zellen. Dauerhafte Spuren aus den Jahrzehntausenden, in denen der Mensch als Jäger und Sammler über die Erde zog und in der Schlange dem ‚ganz Anderen’ begegnete, sagt Vera Zingsem, Theologin, Mythenforscherin und Autorin des Buches ‚Schlangenfrau und Chaosdrache’: ZUSPIELUNG Ich denke, dass eine Schlange in sich so was Mysteriöses verkörpert. Also dass die uns mit Urängsten, aber auch mit so einer Art Urbegeisterung versieht. Wenn man eine Schlange sieht, bleibt man nicht gleichgültig. Das bewegt uns. Das ist einfach ein Tier, das alleine durch seine Erscheinungsform uns so berührt, dass da die Fantasie geradezu überbordet. Ich glaube dieses Geheimnisvolle, dass die Schlange kommt und geht wie sie will, dass sie geräuschlos zu sein scheint, dass sie plötzlich erscheint, dass sie giftig sein kann, dass sie gefährlich wird – all das bringt uns in Kontakt mit unserer Lebendigkeit. Ich könnte mir vorstellen, dass das einfach eine Urerfahrung ist, die Schlange ... SPRECHERIN Bis heute kennt die Wissenschaft etwa 2.700 Arten, die nahezu auf der ganzen Welt leben - nur in den ständig vereisten Regionen nicht. 400 von ihnen sind giftig, bei 50 ist der Biss auch für den Menschen tödlich. Ihre Länge variiert enorm und reicht von zehn Zentimetern bis zu sieben Metern. 2 Sie bewegen sich schlängelnd, kriechend, kletternd, springend oder schwimmend fort – Baumschlangen können sogar über kurze Distanzen segeln. Raubtiere sind sie alle, egal ob Nattern, Vipern, Ottern, See-, Erd- und Blindschlangen. In der Natur sind Schlangen nahezu überall in ihrer Existenz bedroht, doch als Symbol sind sie tief in das menschliche Unbewusste gesunken. Und als solches begegnen sie uns fast täglich: SPRECHER Bei Ärzten und Apothekern als Äskulapschlange, als Tattoo auf muskelbepackten Armen, in Museen auf den Armen alter Göttinnen, in der Werbung als Zeichen der Verführung. In zahllosen Metaphern, Wortspielen, Analogien: Als Warteschlangen, Autoschlangen, schlängelnde Flussläufe, falsche Schlangen, Schlangengruben, Brillenschlangen, Schlangenfraß, Schlangestehen, Schlangenmenschen. ... SPRECHERIN Heute verbinden die meisten Menschen mit Schlangen ekelhafte Tiere mit glitschiger Haut, die sich ihren ahnungslosen Opfern nähern und wie der Blitz zustoßen, um ihr tödliches Gift zu injizieren. Schlangenphobien sind weit verbreitet - obwohl es kaum giftige Schlange in unseren Breiten gibt. Von klein auf werden wir darin geschult, diese Tiere als Botschafter des Bösen, als Inkarnation von Heimtücke und List, als Symbol für Bedrohung und Tod zu sehen. In Mythen, Büchern und Filmen: SPRECHER Doch trotz aller Abwehr umgibt eine eigenartige Aura der Magie, des Geheimnisvollen und Wilden die Beziehung zwischen Mensch und Schlange. Ablesbar unter anderem am Symbol der Äskulapschlange, die um einen Stab gewunden den Briefkopf der Ärzte schmückt und an die überirdischen Kräfte des göttlichen, griechischen Heilers Asklepios erinnert, Herr über Leben und Tod. Und immer wieder begegnet uns das Reptil in der Bildersprache der christlichen Kirchen, wo Drachen und Kriechtiere von heldenmutigen Märtyrern aufgespießt werden und bunte Bleiglas-Fenster an die schuldhafte Verstrickung von Mensch und Schlange erinnern: ZITATOR Und sie beide waren nackt, der Mensch und sein Weib und sie schämten sich nicht. Und die Schlange war listiger denn alle Tiere auf dem Felde, die Gott der Herr gemacht hatte und sprach zu dem Weibe: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allerlei Bäumen im Garten? – Da sprach das Weib zur Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret’s auch nicht an, dass ihr nicht sterbet. – Da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr werdet mitnichten des Todes sterben, sondern Gott weiß, dass, welches Tages ihr davon esset, so werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist. – Und das Weib schaute an, dass von dem Baum gut zu essen wäre und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann auch davon, und er aß. SPRECHER Ein geheimnisvoller Mythos mit unabsehbaren Folgen. Denn für die Christen verbindet sich mit dieser Handlung gegen Gottes Willen das Ende des ewigen Lebens, die Vertreibung aus dem Paradies, die Spaltung zwischen Mensch und Natur, der Fluch der Erkenntnis, die Scham und ein zutiefst negatives Selbstbild, das von ewiger Schuld und göttlicher Strafe gekennzeichnet war: 3 ZITATOR Und zum Weibe sprach er: Ich will dir viel Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst, du sollst mit Schmerzen Kinder gebären; und dein Verlangen soll nach einem Manne sein, und er soll dein Herr sein. – Und zu Adam sprach er: (...) verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollst du dich darauf nähren ein Leben lang. (...) Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis dass du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. SPRECHER Einer der bekanntesten Mythen um die Schlange, doch bei weitem nicht der Einzige. Denn die gemeinsame Geschichte von Mensch und Schlange reicht über Hunderttausende von Jahren zurück: Als der erste zweibeinige Primat vor zirka eineinhalb Millionen Jahren aufrecht durch die Savannen Afrikas zog, da war die Schlange schon seit 340 Millionen Jahren da. SPRECHERIN Schlangen waren überall und nirgends. Sie tauchten auf, wo man sie am wenigsten vermutete und verschwanden wieder in irgendeinem Erdloch oder im Wasser der Flüsse und Seen. Trotz ihrer meist geringen Größe besaßen sie durch ihr Gift große Macht. Durch ihre geheimnisvolle Häutung schienen sie sich – im Gegensatz zum Menschen jedes Jahr zu verjüngen und im Besitz des ewigen Lebens zu sein. Ihre Sensibilität und Achtsamkeit ließ auf große Klugheit schließen. Den lidlosen, ewig offenen Augen, sprachen unsere Vorfahren die magische Kraft der Hypnose zu, die Ähnlichkeit ihres Körpers mit dem Phallus wurde zur Grundlage von Träumen und Fantasien, während sie als zusammengerollte Spirale für die Gebärmutter und das Wunder der Schöpfung stand … Die Schlange nistete sich in den tiefsten Schichten des menschlichen Bewusstseins ein. SPRECHER Wer die Ursprünge des Schlangensymbols erkunden will, muss tief in die Geschichte der Beziehung zwischen Mensch und Schlange eintauchen. Denn zum Symbol für menschliche Eigenschaften wie Kraft, List, Verführung, Gemeinheit und Tücke wurde das Reptil erst in den letzten paar Tausend Jahren. Davor war es – als geheimnisvolles Wesen zwischen Unterwelt und menschlichem Lebensraum, zwischen Wasser und Luft, zwischen Wildnis und Kultur - ein göttliches Tier der Dualität, das in Flüssen, Quellen, Tümpeln, Höhlen und Erdspalten verehrt wurde. So wurde das Reptil unter anderem zur schöpferischen und alles verschlingenden Urschlange, die den Kosmos schuf. Ein Wesen, das alles zusammenhält, sagt Vera Zingsem: ZUSPIELUNG Die Schlange ist selber wie ein Kreis. Die beseelen sozusagen die Gewässer, aber sie sind eben auch als Wolken präsent. Schlangen und Drachen befördern den Regen, sie bringen Blitz und Donner und sind dadurch Feuer speiend, haben also im Grunde wenn sie im Wasser sind, Wasser und Erdelement in sich, sind die Energie von Wasser und Erde. Wenn sie in den Himmel kommen wollen, müssen sie Feuer spucken, befördern sie Blitz und Donner und werden als Wolke gesehen. Als Wolke bringen sie wieder Regen auf die Erde – das heißt im Grunde ein totales Kreislauftier. (3/33:40) SPRECHERIN Weil die Schlange durch ihre Häutung im Besitz des ewigen Lebens zu sein schien, galt sie auch als Herr über den Tod. So kommt es, dass sie nicht nur Symbol der Fruchtbarkeit war, sondern auch eine ‚apotropäische‘, also Unheil abwehrende Bedeutung, zugesprochen bekam. Noch heute wird der hinduistische Gott Vishnu auf einer Schlange sitzend dargestellt und Schlangenfeste gehören zum religiösen Ritual: 4 SPRECHER Der Tempel des indischen Affengottes Hanuman ragt wie ein Zuckerhut über die indische Kleinstadt Battis Shirala. Die steinerne Kobra an seiner Spitze, überlebensgroß, aufgerichtet mit gespreizter Haube, blickt wie eine Schutzpatronin hinunter auf die kleinen Häuser und die 20.000 Menschen, die aufgeregten Ameisen gleich durch die Gassen eilen. Es herrscht Ausnahmezustand am wichtigsten Tag des Jahres, dem Nagapanchami. Denn einmal im Jahr feiert das Städtchen ein gigantisches Fest zu Ehren der Kobras, der nagas. Hunderte der hochgiftigen Schlangen, die hier vorkommen, wie andernorts Spatzen, haben die Männer des Dorfes in den letzten Tagen mit schnellem, sicheren Griff eingesammelt, in Tonkrüge gleiten lassen, mit einem Tuch verschlossen und nach Hause getragen. Heiner Uber, den deutschen Schriftsteller, hat es bei seinen Recherchen für den Bildband ‚Schlangenwelten – Weltenschlangen’ nach Battis Shirala verschlagen. Wenn die große Prozession beginnt, verschwimmt das gewohnte Dorfleben zu einer faszinierend-berauschenden Mischung aus Geräuschen und Farben, Menschen und Schlangen: ZUSPIELUNG Es ist ein Höllenlärm. ((Es ist wie eine Love-Parade auf indisch.)) In dieses kleine Dorf kommen Tausende von Menschen. Man kann durch die Straßen nicht mehr gehen, so drückt sich alles zusammen. Und zwischen den Menschen werden auf Ochsenkarren kleine Altäre aufgebaut und auf diese Altäre kommen dann die Kobras und die Kobras werden den ganzen Tag durch die Stadt in einer Prozession gefahren. Ab und an nimmt man dann wieder die Kobras, steckt sie zurück in große Tonkrüge und geht dann mit den Kobras in die einzelnen Häuser und Wohnungen herein. Und dann werden die Kobras – sie sind heilige Tiere in Indien – ist dann so ein Verehrungsritual vor allem von den Frauen, die sich ganz tief vor den aufgerichteten Kobras verneigen, die ihnen Milch und gesegnete Süßigkeiten in kleinen Schalen hinstellen, die Hibiskusund Jasminblüten auslegen. Und die Prozession ist erst dann vorbei, wenn jede Wohnung, jedes Haus auch seinen Schlangenbesuch hatte. SPRECHERIN Wer nach dem Grund für das fast familiäre Vertrauen fragt, wird auf die spirituelle Verbindung zwischen Mensch und Schlange verwiesen. Heilige Schlangen winden sich durch das gesamte Pantheon des Hinduismus. Und auch in den buddhistischen Tempeln Asiens ist die Monokel-Kobra allgegenwärtig, erzählt Heiner Uber: ZUSPIELUNG Der Hintergrund ist, als Buddha zur Erkenntnis kam, der König der Schlangen, nämlich Muchalinda, unter den Wurzeln heraus gekrochen kam und sozusagen sich unter Buddha geringelt hat, Buddha dann seinen Körper als Sitzkissen angeboten hat und sich dann schützend hinter Buddha aufgerichtet hat. Muchalinda, der König der Kobras, die Funktion übernommen hat, die Erleuchtung und den Erleuchteten zu schützen. Das ist eine Geschichte, die sie in ganz Asien finden, einerlei ob im Hinduismus oder im Buddhismus. SPRECHER In anderen Mythen wird die Schlange zum wandelnden Boten zwischen Ober- und Unterwelt. Und da Schlangen häufig in und an Seen, Flüssen und Quellen leben, die in die Tiefe führen, wurden sie nicht nur zum Symbol des Wassers, sondern auch zum Boten des Totenreiches. Indem sie nicht nur Land und Wasser, Leben und Tod, sondern auch Himmel und Erde miteinander verbindet, wird die Schlange zur Gottheit. Am deutlichsten zum Ausdruck kommt dies in der Regenbogenschlange, die es in China, Amerika und Europa gab und bis heute bei den australischen Aborigines: 5 ZITATOR „Die Regenbogenschlange steigt als Regenbogen in den Himmel und trinkt den Regen, um ihn zu beenden. Die Urschlange ist der Regenbogen – der Regenbogen ist die Urschlange. Die Regenbogenschlange schafft die Erde und die Helden der Urzeit. Sie schafft die Geistkinder, erzeugt den Regen. Ihre Zunge macht den Blitz, ihre Kehle den Donner." SPRECHERIN Da sich die Kultur der australischen Ureinwohner über 40.000 Jahre kaum verändert hat, ist dieser Mythos für viele Forscher ein klarer Hinweis auf den Glauben in der Urzeit des Menschen. SPRECHER: Wahrscheinlich verehrten schon jene Urmenschen die Urschlange, jenes gewaltige schöpferische Wesen, das den Kosmos gebar und den die Menschen das Leben schenkte. Sie ist der Anfang der Dinge und der Zeit, (der Urstoff, das Urdunkel,) der Urschoß, in dem die Dinge noch ohne Gestalt und Unterscheidung waren, die Urkraft und die Urmutter. Die Urschlange ist ein Wasserwesen. In vielen Kulturen glaubten die Menschen, sie liege rund um den Horizont und halte Wasser und Erde zusammen. SPRECHERIN Ein Symbol, das die Welt umspannt. Die Schlange, die sich in den Schwanz beißt, als Symbol des Kosmos und der Ewigkeit, aber auch des ewigen Kreislaufs. Sie ist unter dem Namen ‚Uroboros’ auf dem Schrein Tutenchamuns zu finden, als ‚Midgard’ bei den Germanen, als ‚Ananta’ bei den Indern. SPRECHER Doch sie ist nicht nur schöpferisch und Leben spendend, sondern auch zerstörerisch. Sie gebärt u n d verschlingt. Sie ist ein Abbild der ambivalenten Welterfahrung unserer Vorfahren: hell und dunkel, Sonne und Mond, Sommer und Winter, Leben und Tod. Und vom Bild der Wiedergeburt ist es nicht weit bis zum Symbol der Großen Mutter, die von den vorgriechischen Pelasgern, Mykenern und Kanaäern mit dem Bild der Schlange verehrt, und in Athene, Hekate und Demeter weiter getragen wurde. Im Zentrum dieser Magna-Mater-Vorstellung steht das minoische Kreta. Im Palast von Knossos wurden die berühmten Frauenstatuen mit offenem Mieder und Schlangen in beiden Händen gefunden. SPRECHERIN Wie sehr die Symbole ineinander fließen oder sich von Kultur zu Kultur gegenseitig beeinflussen wird auch darin deutlich, dass das alttestamentliche Wort „Eva“ etymologisch vom Wort „Hawwa“ abstammt. „Hawwa“ aber heißt nicht nur „Mutter des Lebens“, sondern ist im semitischen Sprachraum auch ein gängiges Wort für „Schlange“! Versteckt sich in der paradiesischen Eva gar der mütterliche Aspekt der Urschlange? Und war, wie so oft in der Religionsgeschichte, ein ursprünglich positives Symbol einfach auf den Kopf gestellt worden? SPRECHER Bevor der alttestamentarische Gott Jahwe die mythologische Bühne der Geschichte betrat, war die Schlange eine Göttin. Die ägyptische Isis, dargestellt als mächtige Kobra, war als Symbol der Ewigkeit Schutzpatronin des Pharaonentums. Maat, die Göttin der Weisheit, war eine Schlange, Mehen ein schlangengleiches Wesen der Unsterblichkeit, bei dem sich die Götter immer wieder verjüngten. Uroboros schließlich war das Schlangentier, das sich um Erde, Herz und Seele legte und alles erst lebendig machte. 6 Und hatten nicht die Priesterinnen im uralten matriarchalen Kult mit den Schlangen getanzt und sie als Symbol der Lebensenergie, der Fruchtbarkeit, der Weisheit und Prophetie, des Glücks und Reichtums, der Wandlung und Verjüngung verehrt? Ein bisschen zu viel Schlangen-Macht für einen patriarchalischen Gott, meint die Theologin Vera Zingsem: ZUSPIELUNG Im Grunde kann man sagen: Im vorderorientalischen Bereich war die Schlange schon ein Lebenssymbol. Sie galt als hochgeistiges Tier. Sie galt eigentlich als Inkarnation von Gottheit und Geistigkeit. Im Grunde hat man noch im Alten Testament die Doppeldeutigkeit. Einerseits als lebensrettend, andererseits wird es verteufelt als etwas, dass in Konkurrenz tritt zur Macht des allmächtigen Gottes, zur Macht dieses Gottes, der selber ja der höchste Geist sein will, der das repräsentieren will, was die Schlange bis dahin repräsentiert hat. SPRECHER Aus der alten Vorstellung vom Lebensbaum mit seinen Früchten der Unsterblichkeit, beschützt von der sich ewig häutenden und deshalb unsterblichen Schlange wird ein Symbol von Betrug, Vertreibung, Leid und Tod. Die Schlange – als wissende Gegenspielerin Gottes – muss überwunden werden. Nur die wenigsten Kulturen haben der schöpferischen Urschlange ihren weltbeherrschenden Charakter gelassen. Doch ein Archetyp stirbt nicht, er zieht sich zurück. Schlummert am Boden der Psyche, jederzeit bereit, sich zu regen. SPRECHERIN Da geht es auch um Grenzerfahrungen zwischen Leben und Tod. Keine der alten Mythen spricht von der Schlange als Kuscheltier. Jede Begegnung mit ihr ist verbunden mit einem heiligen Schrecken, dem ‚mysterium trimendum et fascinosum’, was uns erzittern lässt und lebendig macht. Als Hüterin des Lebensbaums und Wächterin über die Erkenntnis galt sie als Beschützerin der tiefsten Schätze menschlicher Existenz. Verlockend und gefährlich, sagt die Mythenforscherin Vera Zingsem, Autorin des Buches ‚Schlangenfrau und Chaosdrache’: ZUSPIELUNG Dann markiert die Schlange auch da eine Grenze, sozusagen: So Leute, ((wenn ihr hier weitergeht, dann ist es euer Problem, aber ich lasse Euch hier eigentlich nicht durch.)) Hier ist heiliges Land, hier ist heilige Stätte und die darf nicht entweiht werden. Ihr könnt nicht alles was ihr wollt und wenn dann müsst ihr Euch erst mal langsam herantasten und müsst euch erst mal als lebenswürdig erweisen. Wenn ihr Euch entsprechend bewährt habt, dann werde ich Euch eine Frucht vom Baum der Unsterblichkeit geben – und das heißt auch, dass ihr Euch spirituell bemüht habt. SPRECHERIN Am Ende des menschlichen Lebensweges steht als Wunschbild und Ziel die Harmonie einer entwickelten Seele, Eine abschließende Ganzheit, die in allen Kulturen ihr Symbol im geschlossenen Kreis hat. Genau dies bedeutet die Uroborosschlange, die sich in den eigenen Schwanz beißt und einen Kreis bildet. Kultur und Natur, das Ich und das Selbst haben sich gefunden. Und lockte nicht damit die Schlange Eva im Paradies? ZITATOR .... so werden Eure Augen aufgetan und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.“. ENDE