Vikarin Rosemarie Hoffmann Thema: Woran wir glauben Organist: Gisela Stähli Mitwirkung: Lieder: 167, 235, 271, 838, 346 Mesmerin: Susann Schär Kollekte: Christlicher Friedensdienst,cfd Sonntag, 31. August 2008, 09.15 Uhr Stadtkirche, Frauenfeld Prüfungsgottesdienst Predigttext: Röm 1,16-17 16. Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; eine Kraft Gottes ist es zur Rettung für jeden, der glaubt, für die Juden zuerst und auch für die Griechen. 17. Gottes Gerechtigkeit wird in ihm offenbart, aus Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: Der aus Glauben gerechte wird leben. Predigt: Woran wir glauben Liebe Gemeinde Geht es Ihnen auch manchmal so, dass Sie mitten im Alltag durch ein Gespräch oder eine alltägliche Begebenheit an einen biblischen Text erinnert werden? Mir geht das häufig so, neulich zum Beispiel, als ich im Zug zwischen Frauenfeld und Romanshorn unterwegs war. Meistens lese ich etwas, häufig ist es die Bibel. Was einem da so an Blicken begegnet, umfasst die ganze Bandbreite: von verwundert, über erschrocken, bis mitleidig, bewundernd. Ein Gedanke stieg immer deutlicher in meinem Kopf auf: ,,Ich schäme mich des Evangeliums nicht.“ Sie schämen sich offensichtlich auch nicht – sonst wären Sie nicht hier in diesem Gottesdienst. Und damit sind wir auch schon bei unserem heutigen Thema angelangt. Bereits Paulus schrieb diesen Satz: ,,Ich schäme mich des Evangeliums nicht“ vor fast 2000 Jahren im Brief an die Römer. Vorbehalte oder Bedenken gegen das Evangelium oder einfach nur Unkenntnis darüber, hat es wohl schon immer gegeben. Glaubensfragen standen zu allen Zeiten hoch im Kurs. Auch heute, oder Vikarin Rosemarie Hoffmann · [email protected] www.evang-frauenfeld.ch Predigt vom 31. August 2008 2 gerade heute werden Fragen des Glaubens und der Spiritualität mit höchster Aktualität in wissenschaftlichen Zeitschriften diskutiert. Wie kommt es nun, dass viele Menschen besonders in unserer hochzivilisierten Gesellschaft heute nichts mehr mit dem Evangelium anfangen können? Die Antwort darauf lässt sich biblisch geben: Denn es (das Evangelium) ist eine ,,Kraft Gottes, für jeden, der glaubt. glaubt.“ aubt. Das Evangelium als Kraft Gottes zu erfahren, ist also an den Glauben gebunden. Gemeint ist damit der Glaube an Jesus Christus. Wir Menschen können durch diesen Glauben etwas von der Liebe Gottes erfahren, denn in Jesus Christus lernen wir etwas von dem kennen, was Gott schon immer, zu allen Zeiten war. Das ist die Kraft, von der Paulus redet, die nur im Glauben erfahren wird. Denn Glauben heisst, seinen festen Halt nicht in sich selbst, sondern in Jesus Christus zu finden, der uns Mensch und Gott zugleich ist. Glauben in der christlichen Bedeutung verengt damit nicht den Blickwinkel, sondern weitet den Horizont, vergrössert das Spektrum, verschärft die Sichtweise, eben deshalb, weil der Glaube sich nicht an unseren menschlichen Masstäben, nicht an den häufig schmal dimensionierten, engen Lebensmustern, sondern an der Liebe Jesu Christi orientiert. Von daher wird die Kraft des Glaubens erfahren, wie das der Schweizer Theologe Gerhard Tersteegen in dem Kirchenlied mit den innigen Worten gedichtet hat: ,,Ich bete an die Macht der Liebe, die sich in Christus offenbart.“ In diesen Worten kommt etwas von der weiten Dimension und Unverfügbarkeit der Liebe Gottes zum Ausdruck. Darin spiegelt sich etwas, was dem scharfsinnigen Denker Paulus genauso wichtig gewesen ist: die mystische Dimension des Glaubens an Jesus Christus, das Mysterium, das Geheimnisvolle, das der Glaube für uns Menschen bereit hält; ein Glaube, der das unerschütterliche Vertrauen zu Gott meint, ein Glaube, der sich zwar nach heutigen Kriterien nicht messen und quantifizieren und damit fassbar machen lässt, den wir aber genauso real in unserem Leben erfahren dürfen. Wenn Paulus sagt, die Kraft Gottes ist zur Rettung, für den der glaubt, für die Juden zuerst und auch für die Griechen, dann ist mit Juden und Griechen gemeint, dass die Rettung allen Menschen gilt, unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit und Kultur; zuerst den Juden, als dem auserwählten Volk Gottes, denn Vikarin Rosemarie Hoffmann 071/4635320 · [email protected] www.evang-frauenfeld.ch Predigt vom 31. August 2008 3 Gott ist treu gegenüber seiner Verheissung am auserwählten Volk. Gott ist es, der sich aus lauter Menschenliebe dem gottlosen Menschen immer wieder zuwendet. Gott macht also keine Unterschiede zwischen den Menschen im Hinblick auf ihre Nationalität und im Hinblick auf das Geschlecht von Mann und Frau. ,,Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau. Denn ihr seid alle eins in Christus Jesus.“ So heisst es im Galatherbrief (Gal 3, 28). Die Unterschiede, die es zwischen den Menschen gibt, sind demnach die Unterschiede im Glauben. Glauben Damit ist gemeint, Menschen haben durch ihren Glauben eine unterschiedliche Nähe zu Gott. Und dies entspricht auch unserem Erfahrungshorizont; es entspricht dem, was wir alltäglich erleben. Erinnern Sie sich bitte an das einführende Beispiel vom Bibellesen im Zug. Manch einer kann sich an einem biblischen Text erbauen; ein anderer kann damit gar nichts anfangen, es ringt ihm nur ein müdes Lächeln ab. Warum das so ist, auch das können wir unserem Text entnehmen: ,,Gottes Gerechtigkeit wird in ihm (im Evangelium) offenbart aus Glauben zu Glauben.“ Wenn hier von Gottes Gerechtigkeit die Rede ist, muss es noch eine andere Gerechtigkeit geben, nämlich die zwischen den Menschen, die durch Gesetze und Verfügungen geregelt ist. Gottes Gerechtigkeit ist offenbar eine andere, die sich unterscheidet von der menschlichen Gerechtigkeit, denn sie wird geoffenbart aus Glauben zu Glauben. Glauben Geoffenbart meint soviel wie enthüllen, ans Licht bringen; und es wird auch noch gesagt wie uns diese Gerechtigkeit enthüllt wird, nämlich aus Glauben zu Glauben. Was heisst nun diese spezielle Redewendung ,,aus Glauben zu Glauben“, ,,ek pisteos eis pistin“ wie es im griechischen Urtext heisst. Damit ist das gemeint, was zur Zeit der Reformation die radikale Entdeckung Luthers darstellte, dass der Mensch nicht durch seine Werke vor Gott gerecht wird, sondern allein durch den Glauben (Röm 3,28), lateinisch:: sola fide, allein der Glaube – das war der Wahlspruch der Reformation. Wir Menschen können allein durch unseren Glauben vor Gott treten und bedürfen ausser Jesus Christus keines Mittlers. Es bedeutet aber auch, dass Menschen sich die Anerkennung vor Gott nicht selber verschaffen können, nicht durch ihre Arbeit und nicht durch ihre Leistung. Wenn wir Menschen uns in der Welt als Geschöpfe Vikarin Rosemarie Hoffmann 071/4635320 · [email protected] www.evang-frauenfeld.ch Predigt vom 31. August 2008 4 Gottes verstehen , dann heisst dies für uns, auf diesen Gott zu hören, ihm treu zu sein, ihm zu vertrauen. Das ist Glaube. Einer der ältesten Belege für das biblische Glaubensverständnis ist das hebräische Wort ,,hä ämeth“ in der Bedeutung von treu, gewiss sein. Es findet sich in Jes 7,9 und wird in der Zürcher Bibel übersetzt mit ,,Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht.“ Glauben in der biblischen Bedeutung meint damit etwas, was ganz fundamental unsere menschliche Existenz betrifft.2 Einfacher gesagt: Glauben heisst, vertrauen auf Gott! Gerade Vertrauen kann man nicht erzwingen, kann man nicht machen, und man kann Vertrauen auch nicht erlernen, wie ich ein Gedicht lerne. Glaube, der auf dem Vertrauen zu Gott beruht, ist daher etwas, was Menschen nicht von sich aus durch ihren Verstand herbeiführen können, sondern geschenkt bekommen, geschenkt bekommen von Gott. Ich frage mich, wie können wir mit dem Geschenk des Glaubens umgehen? Glaube an Jesus Christus bedeutet einerseits die Gewissheit, ich bin von Gott geliebt und anerkannt als Mensch, so wie ich bin. Ich darf mit meinen Schwächen und Fehlern immer wieder vor Gott treten und mir den richtigen Weg zeigen lassen. Glaube heisst andererseits: ,,Der aus Glauben Gerechte wird leben“. Der Glaube ist eng mit dem Leben verbunden, mit der Gewissheit, dass Gott Jesus Christus zu den Menschen gesandt hat, um ihnen das wahre, von Gott gewollte Leben zu zeigen. Damit steht der Glaube auch nicht gegen Vernunft, Einsicht und Verstand; im Gegenteil, wahrer Glaube bewährt sich im Leben und zeigt sich in unserem Handeln. Er zeigt sich in dem, was wir tun. Denn es ist ,,der Glaube, der sich durch die Liebe als wirksam erweist“, so Paulus im Galatherbrief. Glaube hat demnach auch eine ethische Konkretion, eine Umsetzung im Leben. Wenn wir als Glaubende von Hungersnöten, Umweltkatastophen, Armut, Krankheiten in der Welt hören, dann passt es nicht, zu sagen, Armut und Elend hat es zu allen Zeiten gegeben. Diese Meinung, diese Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben, dieses bewusste Zulassen und Zuschauen am Leid anderer, trennt Menschen von der Liebe Gottes. Glaube in unserem persönlichen Leben ist so etwas wie ein KomVikarin Rosemarie Hoffmann 071/4635320 · [email protected] www.evang-frauenfeld.ch Predigt vom 31. August 2008 5 pass, wie eine Orientierung, er gibt die Richtung an. Ich selber habe den Glauben persönlich immer wieder als Wegweiser in meinem Leben erfahren, in Zeiten von Krankheit und Schicksalschlägen, in Zeiten hoher Belastung durch das schwere und lange Theologiestudium. Glauben ist Vertrauen, aber auch immer ein Suchen und ein auf den Weg machen zu Gott. Gerechtigkeit vor Gott erlangen wir nicht, indem wir versuchen unsere eigene Gerechtigkeit aufzubauen und unsere Selbstverwirklichung zu realisieren. Gerechtigkeit vor Gott erlangen wir durch den Glauben. Denn Gott macht Menschen gerecht durch den Glauben. Glauben Wenn wir vom Geschenk des Glaubens gesprochen haben, bleibt uns noch, um diesen Glauben immer wieder zu bitten. Möge Gott uns helfen, offen zu sein für einen Glauben, der heiles Leben in dieser heillosen Welt schenkt, denn ,,der aus Glauben Gerechte wird leben.“ Amen 2 Die Kurzbetrachtung zur Herkunft des christlichen Glaubensverständnisses auf dem hebräischen Wort ,,hä ämen“ sind aus: Gunda Schneider-Flume, Grundkurs Dogmatik , 2004, S.98. Vikarin Rosemarie Hoffmann 071/4635320 · [email protected] www.evang-frauenfeld.ch