2015-01-25 Prdigt zu Kantaten-Gottesdienst

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Pfr. Dr. Alexander Heit
Predigt zum Bach-Kantatengottesdienst vom 25. Januar 2015
Der Singkreis Herrliberg hat die Kantate 147 zur Aufführung gebracht
Eingangsgebet: Psalm 104
Schriftlesung: Röm 1, 18-23
Predigt: Kol 1, 15-17
15 (Christus) ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes,
der Erstgeborene vor aller Schöpfung.
16 Denn in ihm wurde alles geschaffen
im Himmel und auf Erden,
das Sichtbare und das Unsichtbare,
ob Throne oder Herrschaften,
ob Mächte oder Gewalten;
alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen.
17 Und er ist vor allem,
und alles hat in ihm seinen Bestand.
Liebe Gemeinde
I
Die Welt hat eine Ordnung. Wenn Kinder in der Primarschule erstmals den Wasserkreislauf
begreifen, geht ihnen auf, dass man die Welt so anschauen kann, als wäre sie ein Organismus,
in dem die einzelnen Teile so aufeinander bezogen sind, dass sie einander erhalten. Der See
speist den Fluss, der Fluss speist das Meer, vor allem dort (wenn auch nicht nur dort)
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verdunstet das Wasser, die dadurch enstehenden Wolken regnen ab und speisen sodann
wieder den See – und hier beginnt der Kreislauf erneut.
Dass die Welt eine Ordnung hat, begreifen Kinder nicht nur am Beispiel des
Wasserkreiskaufs, sondern auch durch Betrachtungen der Natur: dann etwa, wenn sie das
ökologische Gleichgewicht bemerken, in dem Pflanzen und Tiere so aufeinander bezogen
sind, dass das Fressen und Gefressenwerden zur Erhaltung aller Arten beträgt.
II
Wenn man so will, kann man den vorhin gehörten Schöpfungspsalm (Psalm 104) als
Ausdruck eines derartigen Ordnungsbewusstsein verstehen. Und in diesem Psalm, aber auch
andernorts in der Bibel – etwa im Römerbrief – wird ein direkter Zusammenhang hergestellt
zwischen der wohlgeordneten Welt und ihrem Schöpfer. Gottes Sein und seine Absichten, das
ist die Quintessenz solcher Überlegungen, liessen sich aus der Welt, aus ihrer Ordnung (und
auch aus der Ordnung der Geschichte) ablesen. Wie anders soll man einen solchen Satz
verstehen, wie er im Römerbrief niedergeschrieben steht:
Denn was von ihm (Gott) unsichtbar ist, seine unvergängliche Kraft und Gottheit, wird seit
der Erschaffung der Welt mit der Vernunft an seinen Werken wahrgenommen.
III
Die Ordnung der Dinge betrifft nun nicht nur solche Dinge, die auch Kinder schon verstehen,
sondern wir geben der gesamten Welt eine Ordnung, auch unserem eigenen Leben. Wenn
etwas durcheinander geraten ist, muss es in Ordnung gebracht werden. Damit meinen wir
nicht nur ein unaufgeräumtes Zimmer, sondern auch eine verschobene Weltwahrnehmung.
Wenn uns etwas widerfährt, das uns durcheinanderbringt, müssen wir es einordnen in unser
Weltbild oder das Weltbild verändern, um das Ereignis einordnen zu können.
Jemand, dessen Weltordnung z.B. vorsieht, dass alle Ostfriesen etwas langsam und behäbig
im Kopf sind, bei einer Reise nach Ostfriesland aber auf lauter weltoffene und blitzgescheite
Charaktere trifft, wird sein Weltbild vermutlich ein wenig abändern müssen. Aber er wird es
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nicht ungeordnet lassen, sondern eine neue Ordnung erstellen. Z.B. eine solche, in der die im
Kopf behäbigen Leute nicht mehr in Ostfriesland, sondern in Österreich wohnen.
IV
Ich will damit sagen: Wir kommen nicht ohne eine Ordnung unserer Welt aus. Heute – und
spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts – ist stark umstritten, woran wir uns bei der
Ordnung unserer Welt orientieren. Meistens und zu Recht wird darauf verwiesen, dass unsere
Ordnungsmuster mit der Kultur zu tun haben, in der wir leben.
Was wir als gut, was als gerecht, was als schön, was als wertvoll, was als intelligent oder
dumm, was als abscheulich oder bezaubernd bezeichnen, ist kulturell bedingt.
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Allerdings kann man fragen, ob es hinter den kulturellen Mustern nicht so etwas gibt wie
allgemeine Gesetze der Weltordnung. Die Menschenrechte zum Beispiel werden auf
moralischer Ebene heute häufig dazugerechnet. Oder etwas allgemeiner auch die 10 Gebote.
Das Tötungsverbot wird häufig als Beispiel angeführt, es ist in allen Kulturen gleichermassen
in Geltung.
Vielleicht gibt es bei aller Differenz hinter den kulturell bedingten Ordnungsmustern doch so
etwas wie allgemeine Regeln, nach denen Menschen ihre Welt ordnen.
VI
Dies jedenfalls war auch die Auffassung Johann Sebastian Bachs. Bach ist der Überzeugung
gewesen, auch der musikalische Geschmack folge einer Ordnung, die über alle Zeiten hinweg
gleichermassen gilt. Musik hat für ihn ein ewiges Fundament.
Er selbst hat gemeint, diesem ewigen Fundament komme man mit dem sogenannten
Generalbass – dem Harmoniegerüst seiner Zeit – sehr nahe: „Der Generalbass“, kann Bach
sagen, „ist das vollkommenste Fundament der Musik.“ Sein Spiel ergebe „eine wohlklingede
Harmonie... zur Ehre Gottes und zulässiger Ergötzung des Gemüts.“ Und dann ergänzt er
noch: „Wo dieses (das Gesetz des Generalbasses) nicht in Acht genommen wird, da ists keine
eigentliche Musik, sondern nur ein teuflisches Geplärr und Geleier.“
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VII
Mit seiner Musik versucht Bach also einem allgemeinen Gesetz guter Musik auf die Schliche
zu kommen. Sein Ansporn ist es, Musik zu komponieren, die überall und zu allen Zeiten zu
einer „Recreation des Gemüts“ führt, zu einer Erholung der Seele also.
Der Erfolg scheint ihm und auch seiner Theorie einer ewigen Ordnung des Musikgeschmacks
Recht zu geben. Bach wird auch 300 Jahre nach seiner Zeit noch gehört und gespielt – und
nun nicht nur im christlichen Abendland, sondern überall auf der Welt.
VIII
Musik ist dann gut, wenn sie das Gemüt erholt und neu schafft: rekreiert. Dazu muss sie – wir
bewegen uns immer noch auf den Spuren Bachs – das Gesetz musikalischer Ordnung treffen.
Diese Ordnung musikalischen Geschmacks gibt es tatsächlich. Sie ist allen Menschen in ihre
Köpfe und in ihre Herzen eingeschrieben. Diese Ordnung mag verschüttet sein oder
pervertiert durch das Hören von zu viel schlechter Musik.
Aber sie kann auch wieder freigelegt werden. Durch Übung und Selbstkultivierung, kann man
sie auch in sich selbst entdecken. Um alle Missverständnissen vorzubeugen: Bach hätte
vermutlich nicht gesagt, dass der Generalbass oder eine ihm ähnliche musikalische Struktur
nicht auch das Gewand von Pop- oder Jazzmusik oder ein anderes musikalisches
Kleidungsstück annehmen können. All das ist möglich. Aber es gibt auch unter der Popmusik
bessere und schlechtere – je nachdem, wie nahe sie der musikalischen Generalordnung der
Dinge kommt.
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Bach jedenfalls scheint dieser Ordnung – falls es sie gibt – sehr nahe gekommen sein. Und er
war gleichzeitig überzeugt davon, mit seiner Musik zugleich ein Lob Gottes zu spielen.
Und zwar deshalb, weil er diese Ordnung, an die er sich beständig anzunähern versuchte, als
gottgegeben vorstellte. Genau so wie Paulus und unser Psalmbeter es taten. Die Ordnung der
Dinge hat eben einen Grund: und das ist Gott unser Schöpfer.
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Aus diesem Grund – so sagen viele Bachdeuter – müsse auch die sogenannte weltliche Musik
Bachs letztlich als geistliche gehört werden. Denn auch seine weltlichen Kompositionen sind
der Versuch, sich an die göttliche Ordnung guter Musik anzunähern. Andere Deuter sehen es
selbstverständlich anders. Aber dieser Streit muss für uns heute gar nicht entschieden werden.
XI
Denn unsere Bachkantate (Kantate 147) ist ohnehin – das dürfte klar sein – geistliche Musik.
Eine Kantate, in der Jesus Christus im Mittelpunkt steht. Schauen Sie sich auf ihrem
Librettoblatt beispielhaft die Arie „Bereite Dir Jesu heute noch die Bahn“ an. Es heisst weiter:
„Beziehe die Höhle des Herzens der Seele. Und blicke mit Augen der Gnade mich an.“
Ein geradezu flehentliches Bitten darum, dass Jesus sich in irgendeiner Weise die Bahn in
unsere Herzen breche. Er soll also, das ist die Kernaussage, unser Personzentrum einnehmen.
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Wenn man das ernst nimmt, ist man zunächst vermutlich abgeschreckt. Denn wer von uns
will schon, dass jemand anderes sich einschleicht in unser Personzentrum. Gehirnwäsche
nennt man das üblicherweise und bringt mit diesem Gedanken vor allem allerlei Sekten in
Verbindung.
XIII
Ich komme gleich auf diesen Gedanken zurück, lassen Sie mich zuvor aber einen Sprung zu
unserem Predigttext machen:
In Christus – so heisst es dort im Kolosserbrief – wurde alles geschaffen...
alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen.
Alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen. Die Ordnung der Welt wird durch ihn
vorgegeben. Das ist die Kernaussage dieser Stelle. Oder anders gesagt: Welche Ordnung die
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Welt hat, so wie sie von Gott geschöpft und gemeint ist, das lässt sich vor allem ablesen an
dieser Person: Jesus Christus. So jedenfalls sieht es der Verfasser des Kolosserbriefs.
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Die Ordnung der Welt lässt sich an Jesus Christus anschauen. So sollte die Welt sein. Und das
bedeutet: Wir sollten so sein wie er. Wir sollten uns an ihn annähern, wie Bach versucht, sich
an die Ordnung guter Musik anzunähern.
XV
Gute Musik entrückt uns vom Alltag. Sie ist fähig dazu, uns zu rekreieren, wie Bach sagt –
die Seele zu erfrischen und neu zu machen. Und an diesem Punkt hat gute Musik eine
besondere Nähe zur Religion und auch zur christlichen Religion, in der es letztlich auch um
die Rekreation unserer Seele geht.
Um eine Neuwerdung des Menschen, oder anders und in den alten Worten theologischer
Sprache gesagt: Um Erlösung oder Befreiung von den Sünden und von der Verfehlung der
Ordnung der Dinge. Denn es ist so, dass der Mensch insgesamt nicht in Ordnung ist, sondern
es erst noch werden muss.
Und eine Orientierung an Jesus Christus kommt dabei keiner Gehirnwäsche gleich, sondern
einer Befreiung. Wenn das Evangelium anders ausgelegt wird als so, dass es die Menschen
befreit, dann ist es falsch verstanden.
Wo es aber so ausgelegt wird, dass der Mensch durch es befreit wird, da kommen wir der
Ordnung der Dinge einen Schritt näher. Und deshalb hat unsere Kantate Jesus Christus zu
ihrem Mittelpunkt. Alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen.
Amen
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