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29
Grundlagen der
Entwicklungsbeurteilung
Elisabeth Höwler
2.1
Entwicklung – 30
2.2
Determinanten der Entwicklung – 30
2.3
Abweichungen von der normalen Entwicklung – 31
2.3.1
2.3.2
Abnormität – 34
Beeinträchtigungen – 35
2.4
Klassifikation von Entwicklungsstörungen – 35
2.5
Psychische Störungen und Sprachverhalten – 35
2.6
Der Fall »Lisa« – 36
2.7
Worauf Therapeuten und Pädagogen achten sollten – 38
Literatur – 38
E. Höwler, Kinder- und Jugendpsychiatrie für Gesundheitsberufe, Erzieher und Pädagogen,
DOI 10.1007/978-3-662-48613-9_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016
2
2
30
Kapitel 2 • Grundlagen der Entwicklungsbeurteilung
2.1
Entwicklung
Unter Entwicklung (Ontogenese) im Kindes- und
Jugendalter ist sowohl die Reifung anatomischphysiologischer Funktionen als auch die seelischpsychische Reifung gemeint.
Der Begriff der Entwicklung impliziert den Verlauf entlang einer Zeitachse unter der Vorstellung
einer Funktionserweiterung oder, im negativen
Sinne, einer Funktionsverminderung. In letzterem
Falle wird in der Medizin meist von einem »Abbauprozess« gesprochen. Das setzt eine vorher stattgefundene Entwicklung voraus.
Der Begriff der Entwicklungsretardierung beinhaltet eine viel langsamere Entwicklung im Vergleich zur Altersgruppe, oder auch eine Stagnation
der Entwicklung, das entspricht dem Verharren auf
einer bestimmten Entwicklungsstufe.
zz Entwicklungsstufen
Die Entwicklungsstufen des Kindes- und Jugendalters werden wie folgt eingeteilt:
55 Neugeborenenperiode: 1.–4. Lebenswoche,
55 Säuglingsalter: bis zu 12 Lebensmonate,
55 Kleinkindalter: 2.–6. Lebensjahr,
55 Schulalter: 7. –12. Lebensjahr,
55 Adoleszenz: Zeitabschnitt vom Eintritt der
Pubertät bis zum Abschluss des Körperlängenwachstums.
Aufgrund von Determinanten können kindliche
Entwicklungsverläufe unterschiedliche Variabilität
aufweisen. Von daher ist es schwierig zu beurteilen,
ob ein pathologischer Verlauf vorliegt oder nicht.
Es muss zwischen verschiedenen Bezeichnungen differenziert werden:
55 Entwicklungsauffälligkeit: Prognose derzeitig
nicht möglich, es sind Verlaufskontrollen erforderlich.
55 Entwicklungsgefährdung: eindeutiger Hinweis auf eine Schädigung, mit ungünstiger
Prognose.
55 Entwicklungsretardierung: Abweichung vom
normalen Verlauf, durch Frühförderung aufholbar.
55 Entwicklungsstörungen: bleibende Schädigung mit drohender oder bereits vorliegender
Behinderung.
Bis in das Säuglingsalter erfolgt eine Beurteilung
der Entwicklung vorwiegend über die Motorik des
Kindes. Es werden Teilbereiche infolge Entwicklungstests, Screenings, Erfassung der Gefährdung
nach vorliegendem Risiko (Familienanamnese,
Befunde zur Eigenanamnese), Spieltests etc. beurteilt.
Erst mit einer umfassenden Diagnostik können
eine genaue Einschätzung des Entwicklungsstands
und eine sichere Diagnose von Sprach- oder Entwicklungsstörungen vorgenommen werden. Die
Durchführung sollte von einem Neuropädiater
vorgenommen werden.
2.2
Determinanten der Entwicklung
Die wichtigsten Erfahrungen, die dazu betragen,
dass ein junger Mensch sich seelisch gesund entwickelt bzw. seelisch stabil bleibt, sind die, welche
in liebevollen zwischenmenschlichen Beziehungen
erfahren werden, z. B. in der Kind-Eltern-Beziehung, oder später in partnerschaftlichen Liebesbeziehungen.
Von daher liegen die Wurzeln der meisten psychischen Störungen in der emotionalen Verletzung.
Jedes Kind und jeder junge Mensch hat das Bedürfnis, sich uneingeschränkt geliebt und wertvoll zu
fühlen. Es gibt Emotionen im Leben eines Menschen, z. B. Verzweiflung, Scham, Einsamkeit, Wut,
die sich in das Bewusstsein drängen und Angst
hervorrufen.
Die Angst ist ein Signal an das beschützende
Unterbewusstsein, schnell etwas zu unternehmen,
um diese unangenehmen Emotionen zurückzudrängen. In diesen Momenten schaltet sich das
Unterbewusstsein aktiv als kreativer Teil der Psyche
ein und ruft bestimmte Verhaltensweisen hervor,
welche der Betroffene selbst oder die soziale Umwelt als störend wahrnehmen kann. Das Bewusstsein lernt bereits im frühen Alter, die verwundete
Identität zu schützen.
Die Verhaltensweisen, die ein Individuum bei
Bedrängnis für sich auswählt, sind nicht konditionierte Reflexe, die auf dem Modell des biologischen Defizits basieren, sondern sind individuelle
bewusste Entscheidungen, die aus biografischen
Daseinsthemen (Höwler 2011) resultieren.
31
2.3 • Abweichungen von der normalen Entwicklung
Fühlt sich ein Kind z. B. in seinem Schamgefühl
verletzt, so wählt sein schützendes Unterbewusstsein
Händewaschen als Mittel aus, um sich wieder sauber
zu fühlen. Das Kind greift nach verletzenden Momenten dann immer wieder auf das Mittel zurück –
so wird das Mittel mit der Zeit zum Waschzwang.
Ein Jugendlicher, der in seiner Liebe zu einem
anderen Menschen verletzt worden ist, wählt Alkohol oder Drogen aus, um den tiefen emotionalen
Schmerz zu betäuben, und damit wieder ein gutes
Gefühl herzustellen. Ein anderer wählt vielleicht
Hass aus, um seine verlorene Würde zurückzugewinnen, und richtet diesen abgrundtiefen Hass
infolge Brutalität gegenüber anderen (hilflosen)
Mitmenschen oder durch Vandalismus gegenüber
Gegenständen: Autos, Wohnungseinrichtungen,
Schulgebäude etc.
Erforscht werden sollte heute, wie sich psychische Belastungen auf die Seele von Menschen auswirken. Manche Menschen werden krank, andere
halten den Belastungen stand. Regungen des Gehirns sind auf emotionale Beziehungen bezogen.
Eine Störung des Gehirns kann z. B. durch eine
Krise im zwischenmenschlichen Bereich ausgelöst
werden.
In der somatischen Medizin ist die Behandlung
auf einzelne Organe ausgerichtet, wie z. B. Herz,
Lunge, Niere. Im Gegensatz dazu wird in der Psychiatrie der ganze Mensch behandelt in seinem
Denken, Empfinden und Erleben. Um Kinder
und Jugendliche verstehen zu können, müssen sie
in verschiedenen Lebenssituationen und in ihrer
Ganzheitlichkeit (Zusammenhang, Seele, Körper,
soziales Umfeld) betrachtet werden. Dabei beeinflussen endogene, exogene und autogene Faktoren
die menschliche Entwicklung.
55 Nach Hobmair (2011) sind endogene Determinanten direkte Einflussfaktoren, denen der
Mensch von der Befruchtung der Eizelle bis zu
seinem Tod von innen her ausgesetzt ist.
55 Unter den exogenen Determinanten werden
alle direkten und indirekten Einflüsse verstanden, denen der Mensch von der Befruchtung
der Eizelle bis zu seinem Tode von außen her
ausgesetzt ist.
Sie können sich hemmend oder fördernd auf die
Entwicklung des Menschen auswirken.
2
Endogene Determinanten Von innen kommend,
angeboren, bzw. vorbestimmt, dazu zählen z. B.
Erbanlagen, d. h. Gene, Chromosomen. Diese steuern Programme der Entwicklung, welche zum Beispiel für die Sprachentwicklung (Muttersprache)
wichtig sind.
Exogene Determinanten Von außen kommend,
z. B. natürliche Umweltbedingungen (unbelebte und belebte Natur), wie Luft, Wasser, Boden,
Wohngegend, soziale Umwelt, wie Beziehungen in
denen der Mensch eingebunden ist, z. B. Familie,
Biografie, Schule, Ausbildung, Beruf, gesellschaftliche und kulturelle Umwelt, z. B. Medien, Sportvereine, Theater, politische Überzeugungen, ökonomische Umwelt (wirtschaftliche Bedingungen),
z. B. finanzielles Einkommen der Eltern, Angebot
an Konsumgütern.
Autogene Determinanten Der Begriff bedeutet
aus sich selbst heraus, dazu gehört die Selbststeuerung, die Persönlichkeit, das Neugierverhalten, die
motivationalen Kräfte (intrinsisch und extrinsisch).
Diese drei Faktoren prägen mehr oder weniger
den Menschen in seiner Entwicklung. d. h. lösen
Entwicklung aus und halten diese aufrecht.
2.3
Abweichungen von der
normalen Entwicklung
Psychiatrische Krankheitsbilder beinhalten eine
Menge Leid, sowohl für die betroffenen Kinder, als
auch für deren Eltern und weiteren Familienangehörigen. Nicht alles Leid ist aus Verhaltens- und
Stimmungsänderungen oder Abbau mentaler Kräfte entstanden. Manches Leid entsteht aus der Unwissenheit heraus, wie der bestmögliche Umgang
mit den psychisch kranken Kindern und Jugendlichen aussehen soll.
Die Haltung »wer zum Psychiater muss, ist
nicht normal« ist stigmatisierend, wie die ständige
Verwendung umgangssprachlicher Attribute wie
»verrückt«, »irre«, »Klapse«, »wahnsinnig« etc.
Der psychisch kranke Mensch in unserer Gesellschaft ist Stigmaträger, deren Andersartigkeit
nicht immer auf den ersten Blick erkennbar ist.
Den Begriff »Stigma« prägte Erving Goffmann.
32
Kapitel 2 • Grundlagen der Entwicklungsbeurteilung
. Tab. 2.1 Gegenüberstellung gesunde und krankhafte Entwicklung
2
Gesunde Entwicklung
Krankhafte Entwicklung
Gelegentliche Traurigkeit
Konflikte können, je nach Entwicklungsstand des
Kindes, allein gelöst werden
Häufige Niedergeschlagenheit
Aggressive Handlungen gegenüber Gleichaltrigen
In der Pubertät teilweise Verträumtheit und Unmotiviertheit in Bezug auf Leistungsanforderungen
Affektlabilität gegenüber Mitmenschen
Wunsch nach auffälligen Körperschmuck und Bekleidung, um sich von anderen abzugrenzen
Komplette Inaktivität
Zurückgezogenheit
Große Angst vor schulischen Leistungen
»» Ein Stigma ist ein körperliches Zeichen, das
dazu bestimmt war, etwas Ungewöhnliches
oder Schlechtes über den moralischen Zustand des Zeichenträgers zu offenbaren. Die
Zeichen wurden in den Körper geschnitten
oder gebrannt und taten öffentlich kund, dass
der Träger (…) eine gebranntmarkte, rituell für
unrein erklärte Person war, die gemieden werden sollte (Goffmann 2010).
Beispiele sind Blinde, Lahme, Krüppel, Aussätzige
mit Siechenmäntel, Schellen und Klappern, Geistesgestörte mit Kreuz-Tonsur, Juden mit gelben Flicken auf den Gewändern.
kHandlungsaufgaben
k
1. Wie weit kann eine Person von der Norm abweichen und trotzdem normal sein?
2. Wo liegen die Grenzen zum Krankheitswert?
3. Können psychisch Erkrankte anderen
Menschen gefährlich werden?
4. Wie lassen sich Fehltherapien vermeiden?
5. Auf welchen Wegen kann psychische Prävention bei Kindern und Jugendlichen erfolgen?
Zur Beantwortung obiger Fragen könnten folgende
Gedankenanstöße hilfreich sein:
zz Was ist in der Gesellschaft normal?
Ob das Verhalten und Erleben eines Kindes/Jugendlichen als krank angesehen wird, hängt immer
auch vom kulturellen Kontext ab. Es ist kulturell
begründet, ob ein Verhalten als pathogen bezeichnet werden kann: In Indien ist es z. B. verbreitet,
sich vor Geistern zu fürchten. Ein indisches Kind
wird deswegen nicht als wahnkrank bezeichnet.
In Papua-Neuguinea praktiziert das Volk der Fore
bis in die 1950er Jahre Kannibalismus, ohne, dass
diese Menschen als psychotisch diagnostiziert werden. Wenn eine Krankheit in einen gesellschaftlichen Kontext passt, gilt sie nicht als Krankheit
(. Tab. 2.1). Aber auch das gesellschaftliche Umfeld
kann psychisch gesunde Menschen zu schrecklichen Taten anleiten. Dies beweist das Milgram-Experiment von 1961: Menschen quälen auf dem Befehl von anderen Andere, selbst wenn ihr Gewissen
dagegen rebelliert, solange ihre soziale Umwelt das
brutale Verhalten richtig findet (Milgram 1997).
Es ist sehr schwierig die Grenze zu psychischen
Einbußen zu ziehen, die zu Beginn einer
psychischen Störung auftreten. Ein Kind oder
einen Jugendlichen vorschnell als psychisch krank
abzustempeln wäre ebenso verkehrt, wie eine behandlungsbedürftige Störung als »abnormal« zu
bezeichnen.
Zahlreiche Kinder und Jugendliche sind von
psychischen Krankheiten betroffen. Von Eltern
werden diese leicht übersehen. Zu den häufigsten Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen zählen
depressive Syndrome und reaktive Störungen wie
z. B. psychosomatische Krankheitsbilder, Ängste,
Neurosen und seit vergangenen Jahren zunehmend
auch Abhängigkeitserkrankungen.
zz Grenzen zum Krankheitswert
Psychosoziale, physikalische und ökonomische
Anforderungen aus der Umwelt sind insbesondere
dann gesundheitsgefährdend, wenn sie die Bewältigungskompetenzen der Kinder und Jugendlichen
mit ihren biologischen Disposition und ihrer psy-
33
2.3 • Abweichungen von der normalen Entwicklung
2
chischen und physischen Konstitution (Habitus)
überschreiten. Einzelne Kinder haben dabei sehr
verschiedene Kapazitäten zur Bewältigung, z. B.
ein intaktes Immunsystem, Coping und Resilienz.
Anforderungen an das Kind aus der Umwelt,
die es überfordert, mögen für ein anderes Kind eine
positive stimulierende Herausforderung darstellen.
Es kommt auf die Interaktion der Person mit
ihrer genetischen Disposition und den jeweiligen
Bedingungen des »So-geworden-Seins« mit der
konkreten sozialen Umwelt an.
Alkohol- oder Drogenproblemen oder mit Wahnvorstellungen. Die Betroffenen werden in der Öffentlichkeit aufgrund ihres Anders-Seins als unberechenbar wahrgenommen und sind deshalb
häufig Opfer von Gewalttaten.
Es gilt psychische Erkrankungen gleichberechtigt mit körperlichen Leiden zu behandeln.
Dazu ein Beispiel:
zz Verquere Sicht auf psychisch Erkrankte
»» Ich rauche jetzt genau seit 8 Monaten und
In der Psychiatrie sind rund 330 psychopathologische Symptome bekannt. Diese gelten nicht
pauschal als Kennzeichen des »Ver-rückt-seins«,
sondern differenzieren eine große Bandbreite seelischen Leidens.
Ebenso ist es fatal, psychisch kranke Menschen
pauschal als gefährlich einzustufen. Die Sicht auf
psychische Störungen in der Gesellschaft ist mit
Angst und Vorurteilen behaftet. Personen mit
Seelenleiden wie Halluzinationen, Depressionen,
Borderline-Persönlichkeitsstörungen,
Paranoia
weisen eher Selbstgefährdungen, d. h. suizidales
Verhalten auf. Bei Wahn und bei dissozialen Persönlichkeitsstörungen können fremdgefährdetes
Verhalten auftreten, d. h. die Gewaltbereitschaft
anderen gegenüber kann erhöht sein.
Das Verhalten von psychisch Erkrankten kann
für gesunde Außenstehende unbegreiflich sein.
Unheimlich kann es wirken, wenn ein Jugendlicher
mit Tourette-Syndrom in der Ladenpassage der
Innenstadt Beleidigungen heraus schreit oder ein
an Schizophrenie Erkrankter mit dem Messer in
der Hand durch den Stadtpark läuft, weil er meint,
sich gegen Dämonen verteidigen zu müssen.
Es spielt eine Rolle, was psychisch kranke Kinder
und Jugendliche fühlen und denken, was in ihren
Seelen vorgeht. Ob sie die Welt so wahrnehmen,
wie sie ist, oder ob sie unrealistische Bilder haben,
die sich nicht mit der Realität in Einklang bringen
lassen. Wenn die Realität aus starken zwanghaften
Denkmustern, aus nicht regulierbaren Emotionen,
Zwangshandlungen, Halluzinationen und Wahnvorstellungen besteht, sind sie offensichtlich krank.
Psychisch Kranke werden oftmals Opfer von
Gewalt. Ursache dessen ist das verminderte Gefahrenbewusstsein, besonders bei Personen mit
In der Praxis des Kinderpsychologen berichtet Tom,
ein 16-jähriger Junge dem Kinder- und Jugendpsychiater:
neun Tagen. Seit ungefähr drei Monaten merke
ich, dass ich abhängig bin. Es ist entsetzlich.
Ich habe Angst, schreckliche Angst. Ich lebe
nur noch von einer Pfeife bis zur nächsten.
Trips mit Crystal meths (Partydroge) schmeiße
ich etwa seit einem Monat. Ich komme nicht
mehr heraus aus diesem selbstgebauten
Gefängnis. Körperlich geht es mir ja noch
einigermaßen gut, seelisch jedoch bin ich am
Nullpunkt angelangt. Jemand, der nie in solch
einer Situation war, kann sich so etwas gar
nicht vorstellen. Ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen, und der Wille dazu fehlt mir
auch. Wenn mein Freund Florian nicht wäre,
hätte ich schon Schluss gemacht mit mir. Ich
habe ein Ultimatum an Florian gestellt, entweder Florian und ich hauen im Sommer ab oder,
wenn nicht, mache ich Schluss.
kHandlungsaufgabe
k
1. Definieren Sie die Begriffe »autogene und
exogene Determinanten« in Bezug auf die
Entwicklung des Menschen und geben Sie
jeweils zwei passende Beispiele für einen
Jugendlichen.
2. Analysieren Sie den Fall des 16-jährigen Tom
hinsichtlich aller Determinanten und ihrer
Wechselwirkungen.
kErwartungshorizont
k
zur Fallsituation
Antwort zu Frage 1
55 Definition autogene Determinanten
55 Unter den autogenen Determinanten werden alle Einflussfaktoren genannt, die von
34
2
Kapitel 2 • Grundlagen der Entwicklungsbeurteilung
sich selbst heraus oder von sich selbst entstehend sind.
55 Beispiele: Selbststeuerung, Wille, Persönlichkeit, Motivation.
55 Definition exogene Determinanten
55 Unter den exogenen Determinanten werden alle indirekten und direkten Einflüsse
verstanden, denen der Mensch von der
Befruchtung der Eizelle bis zu seinem Tode
von außen her ausgesetzt ist. Sie halten
die Entwicklung in Gang und können sich
hemmend auf die Entwicklung des Menschen auswirken.
55 Beispiele: soziale Umwelt z. B. Erziehungsstile der Eltern, ökonomische Umwelt, z. B.
Wohnverhältnisse, in denen der Jugendliche aufwächst, kulturelle Umwelt, z. B.
Wissen über Erziehung welche die Eltern
einbringen, natürliche Umwelt z. B. Aktivitätsgrad an Bewegung (Sport).
Antwort zu Frage 2
55 Exogener Faktor: instabiles Elternhaus
55 Es ist davon auszugehen, dass Tom in der
Kindheit ein ungünstiges soziales Umfeld hatte. Die Familie gab ihm nur wenig
Unterstützung, Schulkameraden und
Freunde in seiner Freizeit haben ihn beeinflusst, z. B. sein Freund Florian.
55 Dieser Faktor resultiert aus dem exogenen
Bereich. Aufgrund dieses Faktors greift der
Jugendliche zu Drogen.
55 Der Freund macht Tom Mut, trotz allen
Elends weiter zu leben. Dies kann als ein
exogener Faktor bezeichnet werden.
55 Endogener Faktor: gesunde Gene
55 Im Fall ist von einer angeborenen Behinderung keine Rede, sodass davon auszugehen
ist, dass der 16-Jährige biologisch gesund ist.
55 Autogener Faktor: dazu zählt Sensibilität, wenig Willenskraft, geringe Resilienz bzw. Motivation und eine Ich-Schwäche.
55 Der Jugendliche weiß nicht mehr was Wille
ist und kann nicht aufhören mit dem Drogenkonsum.
zz Schlussfolgerung
Es besteht zwischen allen Determinanten eine enge
Wechselbeziehung, d. h. die genetischen Faktoren,
die Umweltfaktoren sowie die autogenen Faktoren
z. B. die Selbststeuerung bestimmen den Aufbau
der Persönlichkeit des 16-jährigen Jugendlichen
und die Ausbildung von individuellen Persönlichkeitsmerkmalen.
2.3.1
Abnormität
Im Allgemeinen wird unter Norm ein Verhaltensstandard, eine Regel verstanden. Aus sozial-gesellschaftlicher Sicht handelt es sich um erwartete und
sanktionierte Verhaltensanweisungen. Normen in
unserer Gesellschaft dienen der umfassenden Regelung zwischenmenschlichen Verhaltens. Soziale
Beziehungen werden zunehmend einer rechtlichen
Normierung unterworfen. Die staatliche Normgebung im Sinne von Gesetzen, Verordnungen und
Satzungen ermöglicht einen höheren Grad an Fixierung und Berechenbarkeit sozialen Verhaltens.
Ferner dient sie der Orientierung für persönliches
Handeln und gilt als ideale Zielvorstellung. Normen geben dem Individuum Schutz, Sicherheit und
Geborgenheit.
zz Der Begriff »abnorm«
Er wird als unbestimmter Ausdruck für das Ungewohnte, subjektiv unangenehm Erlebte verwendet.
Er stellt jegliche Abweichung von den bestehenden
gesellschaftlich definierten Normen abweichendes Verhalten dar. Eine psychische Störung wird
als Normabweichung gesehen, da die Betroffenen
nicht in der Lage sind zum Teil oder umfassend
ihre Bedürfnisse und Lebensaktivitäten adäquat zu
erfüllen (materielle Abnormalität). Hierbei kann es
sich um Leistungsnormen handeln, um Kommunikationsnormen oder soziale Normen, die je nach
Art der Störung für den Betroffenen mehr oder weniger inkompatibel sein können.
Die Dynamik des Prozesses, welche Fragen
bezüglich der Entstehung, der Eskalation und
Minderung oder Beseitigung von Behinderung
beinhaltet, wird ferner geprägt durch die
Etikettierung (»Labelling«) der Betroffenen bezüglich ihrer jeweiligen Normabweichung, z. B. der
»Schizophrene«, der »Zwanghafte«. Dieser Vorgang geht einher mit einer defizitorientierten
Wahrnehmung derer Individualität und einer
entsprechenden Attribuierung. Eine solche Zu-
35
2.5 • Psychische Störungen und Sprachverhalten
schreibung beinhaltet oder erzeugt stets Wertungen,
Emotionen und Verhaltensweisen, welche Auswirkungen auf die Integration und Ausgrenzung
der betroffenen Kinder- und Jugendlichen haben.
2.3.2
Beeinträchtigungen
seelischen Zustand beruht. Regelwidrig ist
der Zustand, der von dem für das Lebensalter
typischen Zustand abweicht.
2.4
Bei einer psychischen Störung steht der Aspekt
Normabweichung im Vordergrund. Diese Normabweichung stellt die Weltgesundheitsorganisation
(WHO) differenziert auf drei Ebenen dar:
55 Schädigung (Impairment), z. B. organische Erkrankung, Unfall, chronische Erkrankung,
55 Behinderung (Disability): sie ist stets Folge
einer Schädigung und steht in keinem kausalen Zusammenhang mit dem Ereignis,
55 Benachteiligung: soziale Folgen einer Behinderung auf individueller (Erleiden), psychischer
(Erleben) und sozialer (passives erfahren)
Ebene.
Alle drei Begriffe werden in Relation zu einer Norm
definiert:
55 Schädigung: … jeglicher Verlust oder Abnormität in psychischer, physischer Hinsicht, oder
bezüglich der anatomischen Struktur oder
Funktion.
55 Behinderung: … jegliche Einschränkung oder
Mangel, eine Aktivität in der Art und Weise
auszuführen, wie sie von Menschen mit gleichem Altersstand normalerweise durchgeführt
wird.
55 Benachteiligung: … ein Nachteil, der die Erfüllung von normalen Rollenerwartungen für das
Individuum verhindert, abhängig von Alter,
Geschlecht, sozialen und kulturellen Faktoren.
In Deutschland wird zwischen behindert und
schwerbehindert unterschieden. Diese Kategorien
sind im bestehenden Schwerbehindertengesetz
(SchwbG) festgelegt, welches wie folgt normbezogen definiert:
»» Behinderung im Sinne dieses Gesetzes ist die
Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden
Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem
regelwidrigen körperlichen, geistigen oder
2
Klassifikation von Entwicklungsstörungen
Einteilung der Entwicklungsstörungen
nach ICD-10
A. Tiefgreifende und umschriebene Entwicklungsstörungen: autistische Störungen
(Aspergersyndrom, Kannersyndrom)
B. Umschriebene Entwicklungsstörungen
1. Lernstörungen: Lese-, Rechtschreibund Rechenstörung
2. Störungen der motorischen Fertigkeiten: Koordinationsstörung
3. Kommunikationsstörungen: expressive
Sprachstörung, phonologische Störung
(Artikulationsstörung)
Ausgeprägte Formen von Entwicklungsretardierung und Verhaltensstörungen seit frühester Kindheit vor dem Hintergrund negativer bis desolater
Sozialisationsbedingungen (z. B. fehlender Schulabschluss, ohne berufliche Ausbildung) kann dazu
führen, dass die Betroffenen sozial abweichende
Lebensverläufe aufweisen können: Suchtmittelmissbrauch, Eingehen von konflikthaften Partnerschaften, instabilen Beziehungen, problematisches
Finanzmanagement, Arbeitslosigkeit, strafrechtliche Auffälligkeiten.
2.5
Psychische Störungen und
Sprachverhalten
zz Die Bedeutung von Sprache im
Entwicklungsverlauf
Sprache bekommt im Zusammenleben mit anderen Mitmenschen eine große Bedeutung. Auf der
bio-psycho-sozialen Ebene wird durch die verzögerte Sprachentwicklung die gesamte Entwicklung
des Kindes beeinträchtigt.
36
Kapitel 2 • Grundlagen der Entwicklungsbeurteilung
. Tab. 2.2 Auswirkungen psychischer Störungen auf das Sprachverhalten (Beispiele)
2
Psychische Störung
Sprachverhalten
Autismus (frühkindlich), Kannersyndrom
Echolalie, restriktiver Wortschatz bis hin zum Mutismus
Abhängigkeit (stoffgebundene: Drogen,
Alkohol, Medikamente)
Lallen, optische Halluzination, Palilalie
Angst/Sozialphobie
Apsithyrie, Stottern, Globusgefühl, Dysphonie, elektiver Mutismus
Depression, unipolare
Aphonie, Apsithyrie, Globusgefühl, Dysphonie, wiederholtes Stocken
im Gesprächsverlauf
Depression, bipolar
Vielrederei, Wechsel von ausdrucksloser Modulation
Hyperkinetische Störung
Vielrederei, Poltern, Stammeln
Korsakow-Demenz (langjährige Alkoholabhängigkeit)
Konfabulation
Persönlichkeitsstörung (aggressive)
Brüllen, Schreien (mit aggressiver Wortwahl)
PTBS
Apsithyrie, totaler Mutismus (oft bei Kindern, aber nicht obligat)
Schizophrenie
akustische Halluzination, Apsithyrie, zerfahrenes Denken, Ideenflucht
Tourette-Syndrom
Echolalie, Echopraxie, Koprolalie
Biologische Ebene Ausbleiben der neuronalen
Vernetzung. Denken und Sprache bedingen sich
wechselseitig, von daher Intelligenzverminderung,
wenn das Kind eingeschult wird.
Psychische Ebene Sprache hat Ausdrucksfunktion, z. B. können Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse ausgedrückt werden. Dies bleibt bei Sprachverzögerungen aus. Das Kind erlebt Frustrationen,
Minderwertigkeit und entwickelt ein geringes
Selbstbild. Sprache hat des Weiteren Erinnerungsfunktion, ist somit ein elementarer Schlüssel für
biografisches Erzählen. Das Kind wird nur dürftig Erinnerungen im späteren Leben berichten
können.
Soziale Ebene Sprache hat unterschiedliche kom-
munikative und interaktive Funktionen, z. B.
55 Kommunikationsfunktion, z. B. Vermittlung,
Aufnahme und Austausch von Informationen.
Kinder müssen sich innerhalb ihres sozialen
Umfelds verständigen können. Falls dies nur
eingeschränkt möglich ist, besteht schnell Isolationsgefahr. Mit ausreichender Sprachkompetenz beschreibt das Kind Gegenstände und
Sachverhalte aus der Umwelt.
55 Mit der Appellfunktion wird das Verhalten
von Interaktionspartnern beeinflusst und
Handlungsanweisungen im Alltag gegeben.
55 Mit der Kulturtradierungsfunktion werden
kulturelle Lebensweisen den nachfolgenden
Generationen überliefert.
55 Die Gesellschaftsfunktion von Sprache entscheidet darüber, wie hoch der Anteil eines
Menschen am gesellschaftlichen Leben ist.
Psychische Störungen beeinflussen das Sprachverhalten (. Tab. 2.2).
2.6
Der Fall »Lisa«
Lisa ist 4 Jahre alt und besucht seit drei Wochen
eine Kindertagesstätte in einer ostdeutschen Großstadt.
Die Sprachentwicklung des Mädchens ist
gegenüber den anderen Kindern gleichen Alters
verzögert. Lisa kann ihre Wünsche nicht ausdrücken, sondern nur einzelne Wörter sprechen und
keine zusammenhängenden Sätze formulieren.
Allerdings ist sie in der Lage, Wörter, die die
Erzieher ihr vorsprechen, mühelos zu wiederholen.
2.6 • Der Fall »Lisa«
Sie grenzt sich von den anderen Kindern in
der Gruppe ab und spielt oft ohne die anderen. Die
Erzieher beobachten, dass sich Lisa häufig allein
Bilderbücher anschaut.
Lisa hat keine Geschwister und wächst ohne
den Vater bei der Mutter auf. Diese ist in sich gekehrt und beschäftigt sich wenig mit ihrem Kind.
Alle zwei Wochen verbringt Lisa das Wochenende bei ihren Großeltern, die sie sehr lieben. Sie
nehmen sich viel Zeit und spielen intensiv mit ihr.
Ihnen ist der geringe Wortschatz ihrer Enkeltochter
aufgefallen.
Die Mutter findet, dass mit Lisa alles in Ordnung sei. Sie ist seit ihrer abgebrochenen Schulausbildung arbeitssuchend. Die Familie lebt in einer
kleinen 2-Raum-Wohnung innerhalb eines Neubaugebiets. Lisa hatte bisher wenig Kontakt zu den
anderen Nachbarskindern. Häufig läuft der Fernseher, um Lisa zu »beruhigen«, wie die Mutter sagt.
kHandlungsaufgaben
k
1. Benennen Sie den Entwicklungsverlauf, der
bei Lisa vorliegt. Erläutern Sie die Umweltfaktoren, die zur verzögerten Sprachentwicklung
von Lisa beitragen.
2. Beurteilen Sie die Auswirkungen einer verzögerten Sprachentwicklung, z. B. im Falle von
Lisa, auf die Gesamtheit Mensch.
kErwartungshorizont
k
Antwort zu Frage 1
Sprachentwicklungsverlauf
Die Sprachentwicklung von Lisa ist verzögert;
sie befindet sich nicht auf dem altersgerechten
Entwicklungsstand, sondern mehr auf dem eines
ca. 2-jährigen Kindes. Es liegt eine Sprachentwicklungsretardierung vor.
Der aus der externen Umwelt resultierende Faktor der Erziehung bedingt die fehlende Förderung
bei der Sprachentwicklung. Die Mutter beschäftigt
sich nicht mit dem Kind, sondern es sitzt nicht nur
allein, sondern auch des Öfteren vor dem Fernsehgerät. Somit bleiben von Seiten der Mutter als
primäre Bezugsperson sprachförderliche Kontakte
aus, z. B. Ermutigung zum Sprechen, Vermittlung
von Erfolgserlebnissen, Ansporn geben, fehlende
sprachförderliche Umgebung, kein Einbezug von
37
2
Erzählen lassen von Erlebtem, Bilderbücher vorlesen, Lesespiele.
Erzählen zählt zur Basisqualifikation sprachlicher Kompetenz und hat einen hohen sozialen
Stellenwert. Es hilft Lisa dabei, sprachliche Ausdrucksformen zu lernen, Erfahrungen zu bewältigen und Isolation zu überwinden. Erzählen
beginnt in früher Kindheit, noch bevor das Kind
sprechen kann, und hat eine integrierte Funktion
und bietet eine Struktur, in die Wörter in narrativkohärente Handlungen eingebaut werden können,
die zu wichtigen Bausteinen im späteren Textproduzieren und -verstehen werden. Hinter den
ersten gesprochenen Wörtern stehen bildhafte
Erinnerungen, die die Form einer komplexen
Geschichte implizieren.
Das Wort »Mama« steht für Lisas Erinnerung,
wie es ist, ihr nahe zu sein oder von ihr getröstet zu
werden. Hinter dem Wort »Frisör« steht das aufregende Erlebnis, zu beobachten, wie einem Familienmitglied die Haare geschnitten wurden.
Erfolgsfaktor einer Sprachtherapie ist es, wenn
im Interaktions- und Kommunikationssituationen
mit feinfühligen Redeweisen eine Ko-Konstruktion
und Ko-Regulation glückt und emotionsgeladene
Geschichten vom Kind erzählt werden, einen
»Platz« erhalten.
Ein Kind kann sich in seiner Einzigartigkeit respektiert fühlen, ohne Ängste von sich und seinen
Erlebnissen erzählen, und die Sprache kann Bedeutung erlangen.
Damit die Sprachdefizite bei Lisa behoben
werden, wäre eine sofortige sonderpädagogische
Betreuung mit logopädischer Behandlung erforderlich.
zz Antwort zu Frage 2
Auswirkungen einer verzögerten Sprachentwicklung auf die Gesamtheit Mensch:
55 Biologische Ebene: Das Sprachzentrum, mit
Sitz auf der linken Gehirnseite (Broca-Areal,
Wernicke-Areal), benötigt während der Phase
der Sprachentwicklung Anregungen aus der
exogenen Umwelt, um synaptische neuronale
Vernetzungen auszubilden. Denken und Sprache bedingen sich wechselseitig, von daher
kann es bei ungenügenden Reizen zur verzögerten Sprachentwicklung kommen.
38
2
Kapitel 2 • Grundlagen der Entwicklungsbeurteilung
55 Psychische Ebene: Sprache hat Ausdrucksfunktion, um z. B. Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse gegenüber Mitmenschen auszudrücken. Infolge zunehmender Retardierung kann
es bei ungenügend sprachgeförderten Kindern
zu Frustrationen, Minderwertigkeit und einem
geringen Selbstbild kommen.
55 Soziale Ebene: Sprache bekommt im sozialen
Miteinander eine große Bedeutung. Interaktionen zwischen zwei oder mehreren Personen
gehen nicht immer reibungslos vonstatten.
Von daher besteht schnell Isolationsgefahr,
wenn Kinder nicht lernen Konflikte auf verbalen Weg zu lösen oder aber sie greifen zur Verständigung auf physische Gewalt zurück, um
sich durchsetzen zu können. Ein eingeschränkter Wortschatz kann sich nachteilig auf schulische oder berufliche Leistungen auswirken.
2.7
Worauf Therapeuten und
Pädagogen achten sollten
Eine bedeutsame Rolle spielt Resilienz im Schulalltag und in der Berufsausbildung. Gerade hier ist
die Gefahr sehr groß, dass Kinder und Jugendliche
durch ständige Überforderung in einen Teufelskreislauf von chronischem Dis-Stress und damit
verbundenen Gefahr in eine psychische Erkrankung zu geraten. Belastende Bedingungen können
auch Kinder und Jugendliche krank machen, die
von Natur aus Resilienz besitzen. Der angeborene
und erlernte Stressschutz kann unter Dauerdruck
versagen. Schulleiter und Ausbilder tragen die Verantwortung der Organisationen und sind gefragt,
für gesunde Lernbedingungen mit positiven Umweltfaktoren zu sorgen.
Falls das Kind oder der Jugendliche psychisch
erkrankt und stationär in eine Klinik aufgenommen wird, sollte sich im therapeutischen Team einheitlich eine bedürfnisgerechte Grundhaltung entwickeln. Diese benötigt Zeit auf allen Ebenen und
Rückhalt durch Vorgesetzte. Es sollte eine Kultur
des respektvollen Umgangs gepflegt werden, bei
dem das Kind/der Jugendliche lernt, trotzt seiner
psychischen Probleme und Einschränkungen ein
möglichst sich selbst verwirklichendes Leben zu
führen. Anleitung zur Selbsthilfe und Selbstverant-
wortlichkeit sind bedeutsame Bestandteile rehabilitativer Therapiekonzepte. Zu wünschen wäre eine
vertiefte authentische Reflexion über die Patientenbeziehung und ihre Möglichkeiten im therapeutischen, begleitenden und beratenden Kontext. Alle
Personengruppen, welche mit jungen Menschen
arbeiten bzw. diese versorgen, sind neben der Familie z. B. (Beratungs-)Lehrer, (Schul-)Psychologen,
(Schul-)Sozialarbeiter, Ausbilder, Kinder- und Jugendmediziner, Hausärzte, Betriebsärzte, Mitarbeiter im öffentlichen Gesundheitswesen und Mitarbeiter von (Asyl-)Beratungsstellen, Pfarrer, Apotheker, Polizisten und Rettungssanitäter. Diese sollten Ansprechpartner sein und Hilfestellungen, in
Form von weiterführenden Kontakten zu speziellen
Hilfsangeboten, geben. Dazu bedarf es Basiskompetenzen in der Früherkennung, d. h. Wissen zu
Symptomen, Ursachen und Therapiemöglichkeiten von psychischen Störungen. Früherkennungsinitiativen, Projekte zu Schulungen, Seminare und
Workshops (7 www.irrsinnig-menschlich.de).
Literatur
Goffmann E (2010) Stigma. Über Techniken der Bewältigung
beschädigter Identität. Suhrkam, Berlin
Gould P, Sullivan J (2015) Die inklusive Kindertageseinrichtung. Wege zum gemeinsamen Lernen. Modernes
Lernen, Dortmund
Hobmair H (2011) Pädagogik/Psychologie, Bd 1 und Bd 2.
Bildungsverlag EINS GmbH Köln
Höwler E (2011) Demenz und Biografie. Grundlagen und
Konsequenzen im Umgang mit herausforderndem Verhalten. Kohlhammer, Stuttgart
Milgram S (1997) Obedience to Authority. An Experimental
View. Harper, New York [Deutscher Titel: Das MilgramExperiment. Zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber
Autorität. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg]
http://www.springer.com/978-3-662-48612-2
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