51 Wissen sonntagszeitung.ch | 29. Juni 2014 Meilensteine der Kometenforschung 1985 Im November fliegt der International Cometary Explorer der Nasa durch den Plasmaschweif des Kometen Giacobini-Zinner. 1986 Die Zwillings-Raumsonden Sakigake und Suisei aus Japan fliegen Anfang März am Kometen Halley vorbei. Wenig später folgen die sowjetischen Raumsonden Vega 1 und 2 sowie die europäische Raumsonde Giotto. 1994 Vom 17. bis 22. April macht die Nasa-Raumsonde Galileo Aufnahmen mehrerer Einschläge des Kometen Shoemaker-Levy 9 auf Jupiter. Auch das Hubble-Teleskop hält die Einschläge fest. 1996 Im März macht die Nasa-Raumsonde Near Shoemaker Aufnahmen des Kometen Hyakutake, der auch mit blossem Auge zu sehen war. 2001 Die US-Raumsonde Deep Space 1 fliegt am Kometen Borrelly vorbei. 2004 Die Sonde Stardust der Nasa fliegt am Kometen P/Wild 2 vorbei, gewinnt Staubproben und flüchtige Stoffe aus der Koma und bringt die Proben später zur Erde zurück. 2005 Die Raumsonde Deep Impact der Nasa fliegt am Kometen Tempel-1 vorbei, feuert ein Projektil auf den Kometenkern ab und untersucht den Einschlag. 2014 Die am 2. März 2004 gestartete Rosetta-Sonde der ESA kommt im August am Planeten 67P/TschurjumowGerasimenko an. Geplant ist die erste Landung auf einem Kometenkern. Joachim Laukenmann Rosettas Reise zum Ursprung des Lebens Wasserstoffwolke (ca. 10 Mio. km) SURINAM START Kourou FANZ.GUIANA Kaw n Io BRASILIEN ROSETTA 14 m Kometenkern (ca. 4 km) SÜDAMERIKA 9 Erd um l 4 8 Sonne 3 5 START 20. Januar 2014 Ende der Deep-SpaceHibernation. Die Systeme werden wieder aktiviert. 1 2 hn Die wissenschaftliche Fracht von Rosetta ROSINA DFMS Magnetisches Massenspektrometer mit hoher Massenauflösung. M ars GIADA Untersucht Anzahl, Masse und Geschwindigkeit von Staubkörnern in der Koma. MIDAS Rastersondenmikroskop. Bildet Feinstruktur von Staubteilchen ab. MIRO Mikrowellenspektrometer. Misst Ausgasungsraten diverser Gase. u fb au ml a 7 Bahn des Kometen 67P/ TschurjumowGerasimenko («Tschury») ROSINA COPS Zwei Druckmessröhren, die den Staubdruck des Gases messen. RPC ROSINA RTOF Massenspektrometer. Kann Teilchen über einen grossen Massenbereich detektieren. 1 März 2004 Start der Mission mit Ariane-Rakete 2 März 2005 Swingby 1 an Erde 3 Febr. 2007 Swingby 2 an Mars Nov. Swingby 3 an Erde 4 5 RPC 6 CONSERT Erkundet die innere Struktur des Kometenkerns. 2007 Sept. 2008 Passage (Flyby) des Asteroiden Steins Nov. 2009 Swingby 4 an Erde 8. Juni 2011 Rosetta wird in Tiefschlaf versetzt (Deep-SpaceHibernation) Juli 2010 Flyby am Asteroiden Lutetia 7 Mai 2014 Rendez-vous mit dem Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko 8 Nov. 2014 Rosetta setzt Philae ab und kreist ca. 1 Jahr lang um den Kometen. 9 Dez. 2015 Voraussichtliches Ende der Mission. VIRTIS Spektrometer. Macht Bilder vom Kometenkern. ALICE Ultraviolett-Spektrometer. Analysiert Edelgase in Koma und Schweif. f ei hw c s en Koma (ca. 1 Mio. km) Die Kometensonde soll die Geheimnisse unseres Sonnensystems lüften – mitverantwortlich ist eine Physikerin der Uni Bern COSIMA Massenspektrometer. Misst Häufigkeit von Elementen und Molekülen. Staubschweif Marais Kaw Cayenne 6 Eichung gelang mithilfe des künstlichen Kometen Casymir Landeroboter Philae PHILAE Landeroboter. Trägt 10 Experimente, darunter COSAC zur Analyse organsicher Substanzen. RPC Ionen- und Elektronendetektoren sowie ein Magnetometer. Messen physikalische Eigenschaften des Kometenkerns und der Koma. OSIRIS NAC/WAC: 2 Kameras zur Oberflächenanalyse und Suche nach Landeplatz für Philae. Blau: Instrumente unter Schweizer Federführung eine rund drei Meter lange Vakuumkammer. Wie ein echter Komet, der sich der Sonne nähert, kann Casymir diverse Gase verströmen, von denen man aus früheren Kometenmissionen weiss, dass sie bei Kometen auftreten. Neue Software von der Erde aus auf die Sonde übertragen Die Reise zum Kometen Tschury war nicht nur für die Raumsonde voller Manöver und Wendungen, sondern auch für Altwegg und ihr Team. Im Herbst 2004, ein halbes Jahr nach dem Start, gab es Probleme mit dem Massenspektrometer RTOF. «Es machte, was es wollte», sagt Altwegg. Im Frühling 2005 sank bei RTOF auch noch die Betriebsspannung. Statt 9 Ki- lovolt waren es nur noch deren 3. «Es war definitiv etwas kaputt.» Die Mannschaft am Boden versuchte, die Probleme im All mit dem Zwillingsgerät nachzustellen. «Das gelang erst 2007», sagt Altwegg. «Die Aussetzer von RTOF hatten mit dem Vakuum im All zu tun.» Offenbar gaste eine Substanz aus und schlug sich an anderer Stelle nieder, was zu Stromverlusten führte. «2009 hatten wir eine Idee, wie wir das Problem mithilfe der Software lösen könnten.» Alles wurde am Zwillingsinstrument nachgestellt und die modifizierte Software 2010 auf die Raumsonde übertragen. Es funktionierte. Nur musste das nun bei tieferer Spannung laufende RTOF nochmals neu geeicht Quelle: Esa Zu diesen Fragen können Kometen eine Antwort liefern, da sie zu den ältesten Objekten im Sonnensystem gehören. Zudem sind Kometen kosmische Tief kühltruhen, in denen Staub und flüchtige Substanzen wie Wasser und Kohlendioxid aus dem planetaren Urnebel konserviert sind. Daraus haben sich vor rund 4,6 Milliarden Jahren die Planeten gebildet. Wenn sich ein Komet auf seiner Bahn der wärmenden Sonne nähert, lösen sich Staub und Gas von der Oberfläche, und der doppelte Kometenschweif entsteht. Während der zehnjährigen Reise von Rosetta hatten die Forscher alle Hände voll zu tun, sagt Altwegg. Zunächst musste den drei Messinstrumenten von Rosina – den beiden Massenspektrometern DFMS und RTOF sowie dem Gasdrucksensor COPS – gesagt werden, was sie messen, wenn sie etwas messen. Sprich: Sie mussten geeicht werden. Rosina bestimmt mit diesen Instrumenten unter anderem die chemische Zusammensetzung der Koma. Diese Kometenhülle aus leicht flüchtigen Substanzen entsteht durch Wechselwirkung zwischen Sonnenwind und Komet. Da die echten Instrumente im All unterwegs waren, wurde die Eichung mithilfe von Zwillingsinstrumenten und mit einem künstlichen Kometen namens Casymir am Institut an der Uni Bern durchgeführt. Casymir ist Rosettas zehnjähriger Trip zum Kometen Tschury ahn fb au Kathrin Altwegg hat zwei leibliche Töchter. Und sie hat Rosina, ihr Adoptivkind, wenn man so will. Rosina (Rosetta Orbiter Spectrometer for Ion and Neutral Analysis) heisst ein Schlüsselexperiment auf der Kometensonde Rosetta, für das die Physikerin der Universität Bern hauptverantwortlich ist. Als Rosetta im März 2004 mitsamt Rosina von Kourou auf Französisch-Guayana in den Weltraum startete, war Altwegg «etwas melancholisch», wie sie sagt. Es war die Zeit, als ihre Kinder erwachsen wurden und das Haus verliessen. «Und jetzt verschwand auch noch Rosina, und ich wusste, ich sehe sie nie wieder. Ein dreifacher Verlust in kurzer Zeit. Eine geballte Packung.» Im August erreicht die rund 1,2 Milliarden Franken teure Raumsonde der Europäischen Weltraumbehörde (ESA) nach zehnjähriger Reise ihr Ziel: Rosetta nähert sich dem Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko («Tschury»), den die Sonde einige Monate lang umrunden und auf dem sie im November den Lander Philae absetzen wird – beides ein Novum in der Geschichte der Kometenforschung. Der Name der Mission ist Programm: So wie es mit dem Rosetta-Stein gelang, die ägyptischen Hieroglyphen zu entziffern, soll die Rosetta-Sonde die zentralen Geheimnisse um die Entstehung und Entwicklung des Sonnensystems lüften. Woher kommt das Material, aus dem sich die Planeten gebildet haben? Waren es Kometen, die Wasser zur Erde brachten? Lieferten Kometen gar die Bausteine des irdischen Lebens? Quelle: Esa werden. Die ganze Prozedur mit Casymir begann von vorne. Im Juni 2011 wurde Rosetta in eine Art Koma versetzt. Der Grund: Jenseits von Jupiter lieferten die beiden Sonnensegel nicht mehr genug Energie. «Die Raumfahrtingenieure haben fast geweint», sagt Altwegg. «Die wussten: Wenn sie jetzt den Schalter kippen und Rosetta in den Ruhemodus geht, ist nicht sicher, ob sie je wieder erwacht.» Und tatsächlich blieb das Aufwachsignal von Rosetta am 20. Januar 2014 zunächst aus. «Mir war klar», sagt Altwegg: «Sollte sich Rosetta nicht mehr melden, gehen 20 Jahre Forschungsarbeit den Bach runter.» Das Lebenszeichen traf mit 30 Minuten Verspätung ein. Der «Wacht Rosetta nicht mehr auf, gehen 20 Jahre Forschung den Bach runter» Kathrin Altwegg, Uni Bern Arbeitsspeicher war voll, und der Computer auf Rosetta musste neu hochfahren, was das verzögerte Aufwachen erklärte. Derzeit bremst Rosetta ab, um später in eine Umlauf bahn um den Kometen einzuschwenken. Ab August soll Rosetta den im Mittel vier Kilometer grossen Kometen Tschury rund acht Kilometer über dessen Oberf läche umrunden und genau kartieren, damit die Forscher einen geeigneten Landeplatz für Philae identifizieren können. Am 11. November ist es dann so weit: Der Lander löst sich vom Mutterschiff, setzt auf dem Kometen auf und krallt sich sofort mit Harpunen fest. «Das ist eine Hoch risikomission», sagt Alt- wegg. «Die Chancen stehen 50:50, dass das klappt.» Eines der wissenschaftlichen Ziele ist die Analyse des Kometenwassers. Das Verhältnis gewisser Wasserstoffisotope könnte zeigen, ob das irdische Wasser von Kometen stammt. Von der 1985 zum Kometen Halley gestarteten Raumsonde Giotto ist bekannt, dass auf Kometen organische Moleküle vorkommen. Möglicherweise finden sich dort sogar Aminosäuren, wichtige Bausteine für die Erbsubstanz DNS. «Wenn Kometen Aminosäuren auf die Erde gebracht haben, würde das erklären, weshalb das Leben auf der Erde so rasch entstanden ist», sagt Altwegg. Der Lander Philae hat sogar ein Instrument an Bord (Cosac), das die Drehrichtung (Chiralität) der Aminosäuren messen kann. Auf der Erde f inden sich fast ausschliesslich linksdrehende Aminosäuren. Die andere Drehrichtung wäre ebenso möglich und ist sogar gleich wahrscheinlich. «Wenn die Aminosäuren auf Kometen die gleiche Chiralität aufweisen wie auf der Erde, dann kommen die Bausteine irdischen Lebens wohl aus dem All.» Das Ende der Rosetta-Mission ist für Dezember 2015 vorgesehen. Und Ende 2015 wird Altwegg 64. «Ich gehe mit Rosina in Pension», sagt Altwegg. Zeitgleich mit ihrem Adoptivkind. SoZ Candrian; Quelle: Esa Komet Tschury: Vier Kilometer im Durchmesser und dunkler als Kohle Kometen sind von grossem wissenschaftlichem Interesse. Es sind poröse, unregelmässig geformte Brocken von einigen Hundert Metern bis einigen zehn Kilometern Durchmesser. Sie bestehen aus Staub, Eis und organischen Molekülen. Ihre Heimat sind die fernen Zonen des Sonnensystems, in erster Linie die Oortsche Wolke. Diese umgibt die Sonne in einem Abstand von 100 000 Astronomischen Einheiten – eine Astronomische Einheit (AE) entspricht dem mittleren Abstand der Erde zur Sonne. Ein weiteres, kleineres Kometenreservoir befindet sich jenseits der Neptunbahn (30 AE) bis zu einem Abstand von rund 50 AE (transneptunische Objekte). Da es dort draussen sehr kalt ist, sind im Eis der Kometen flüchtige Bestandteile aus dem frühen Sonnensystem konserviert. Das heisst: Kometen bergen die Urmaterie des Sonnensystems. Geringfügige Bahnstörungen können Kometen aus ihrer üblichen Umlaufbahn ablenken und ins Innere des Sonnensystems befördern. Durch die Schwerkraft des Jupiter hat sich auch die Bahnkurve des Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko in den letzten 200 Jahren stark verändert. Der sonnennächste Punkt seiner Umlaufbahn reduzierte sich von 4 AE auf heute 1,24 AE. Nun bewegt er sich auf einer elliptischen Bahn zwischen Jupiter und Erde um die Sonne. Sein mittlerer Durchmesser liegt bei rund vier Kilometern. In knapp 13 Stunden rotiert er einmal um die eigene Achse und umrundet die Sonne alle 6,45 Jahre. 67P/Tschurjumow-Gerasimenko ist dunkler als Kohle. Die Dichte seiner Oberfläche ist vergleichbar mit einem trockenen Schwamm. Kurz nach der Bildung des Sonnensystems wurden erheblich mehr Kometen als heute ins Innere des Sonnensystems gelenkt. Wahrscheinlich gelangten so Wasser und organische Moleküle – die Bausteine des Lebens – auf die Erde.