Deutsches Ärzteblatt 1992: A-2301

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für die Beschwerden gefunden werden konnte und die nicht oder nur
ungenügend auf die durchführbaren
nichtmedikamentösen und medikamentösen Therapieversuche ansprechen. Eine ausgedehnte Abklärung
mit negativem Resultat führt bei
manchen Patienten dazu, daß sie die
Angst vor einer schwerwiegenden
Krankheit verlieren. Dies wirkt sich
oft günstig auf die Symptomatik aus.
Die genaue Aufklärung über die
(quoad vitam) Harmlosigkeit der
Störung ist deshalb wichtig. Bei anderen Patienten überwiegt allerdings
die Furcht, daß man ihre Beschwerden nicht mehr ernst nehmen könnte. Bei schweren oder gar invalidisierenden Beschwerden ist gelegentlich
eine kurze stationäre Beobachtung
nützlich. Dabei kann auch eine psychosomatische oder psychiatrische
Untersuchung durchgeführt werden.
Insbesondere bei therapieresistenten
Fällen sind auch „alternative" The-
rapieformen wie Akupunktur, Homöopathie oder autogenes Training
in Betracht zu ziehen.
Es ist jedoch immer zu bedenken, daß der Begriff „funktionelle
Dyspepsie" eine Ausschlußdiagnose
darstellt, die immer wieder in Frage
gestellt werden muß. Die kurzfristige
Wiederholung apparativer Untersuchungen (zum Beispiel Gastroskopie) eignet sich zum Ausschluß eines
relevanten organischen Leidens weniger gut als die wiederholte Suche
nach Alarmsymptomen und Alarmzeichen.
Dt. Ärztebl. 89 (1992) A 1 -2297-2301
[Heft 25/26]
Die Zahlen in Klammem beziehen sich auf
das Literaturverzeichnis im Sonderdruck,
anzufordem über die Verfasser.
Diagnostik und Therapie
des Harnsteinleidens
Zu dem Beitrag von
Prof. Dr. med. Winfried Vahlensieck
in Heft 42/1991
I
Die Harnsteinbildung
ist alkalisch bedingt
Den Artikel von Winfried Vahlensieck habe ich bis zu dem Untertitel „Therapie" mit Interesse gelesen.
Aber die von ihm empfohlene konservative Therapie (Diät und Medikamente) sowie die operativ-technischen Methoden zur Steinzertrümmerung erscheinen mir aus pathophysiologischer Sicht nicht überzeugend.
Die Bildung von Nierensteinen
ist schon ein erheblicher Eingriff in
unsere Homöostase und steht in einem Zusammenhang mit der gegen-
wärtigen Lage des gesamten vegetativen Systems der Betroffenen (1-3).
Anders ausgedrückt, es ist eine Dysregulation in dem Gleichgewicht des
gesamten adrenerg-cholinergen Systems, die mit einem endogenen,
exogenen oder chemischen (Genußmittel) Streß in Zusammenhang
steht. Dabei wirken alle Adrenergika
alkalisch und alle Cholinergika sauer. Nach dem gleichen Prinzip verhalten sich auch die Elektrolyte, die
Vitamine, die Phosphatasen, die
Neurotransmitter, die Interferone
und andere (siehe Tabelle in 1). So
wirken zum Beispiel Natrium und
Kalzium alkalisch und zugleich antagonistisch zur sauren Wirkung von
Kalium und Magnesium.
Deswegen kann auch allein irgendwelche Flüssigkeitszufuhr von
zwei bis drei Liter pro Tag nach Vahlensieck nicht eine Auflösung der
Harnsteine bewirken, wenn diese
Flüssigkeit nicht ausreichend Kalium, Magnesium und/oder andere
sauer wirkende Substanzen enthält.
Teilnehmer der Konsensuskonferenz
waren: Prof. Dr. Andre L. Blum, Lau-
sanne; PD Dr. Gereon Börsch, Essen;
Prof. Dr. Wolfgang F. Caspary, Frankfurt; Prof. Dr. Ludwig Demling, Schlüsselfeld-Thüngbach; PD Dr. Hans-Rudolf
Koelz, Zürich; Prof. Dr. Gerd Lux, Solingen; Dr. Andreas Klauser, München;
Prof. Dr. Stefan Müller-Lissner, München; Prof. Dr. Rudolf Ottenjann, München; Prof. Dr. Roland Rogos, Leipzig;
Prof. Dr. Wolfgang Rösch, Frankfurt;
Dr. Piero Scalfaro, Lausanne; Prof. Dr.
Martin Staritz, Mainz; Prof. Dr. Martin
Wienbeck, Augsburg.
Anschrift für die Verfasser:
Prof. Dr. med. Stefan Müller-Lissner
Medizinische Klinik
Klinikum Innenstadt
Ziemssenstraße 1
W-8000 München 2
PD Dr. med. Hans-Rudolf Koelz
Medizinische Klinik, Triemli Spital
Brimensdorferstraße 486
CH-8063 Züric
DISKUSSION
Nur so ist es möglich, das spezifische
Gewicht des Urins niedrig zu halten,
um eine Bildung von Harnsteinen zu
verhindern.
Aber auch die abgelagerte
Harnsäure in den Speicherorten des
Körpers kann nicht durch eine Alkalisierung aufgelöst werden, da die
Harnsäure selbst nur eine sehr
schwache Säure ist. Die Zitrusfruchtsäfte können zur Auflösung
beitragen, aber nicht, weil sie alkalisch wirken (wie Vahlensieck
schreibt), sondern sie besitzen nach
A. L. Flick (Wissenschaftliche Tabellen Geigy 1977, Seite 261) einen
ziemlich stark sauren pH von 3,5 bis
3,7. Über den pH von Nahrungsmitteln sind sich selbst Ernährungsforscher bis heute noch nicht einig, da
in dem gleichen Band von Geigy
(1977) über die Ernährung auf den
Seiten 239 bis 255 genau das Gegenteil zu lesen ist, daß Obst und Gemüse hasenüberschüssig seien.
Dt. Ärztebl. 89, Heft 25/26, 22. Juni 1992 (61) A1-2301
Es kann eine einzige Harnsäureuntersuchung oft nicht ausreichend sein, um den tatsächlichen
Harnsäurespiegel zu erfassen. Diese
Erfahrung habe ich in den Jahren
1984 bis 1986 bei 74 kranken Frauen
an dem psychiatrischen Landeskrankenhaus Wehnen bei Oldenburg gemacht. Bei einer zusätzlichen medikamentösen Therapie mit Cholinergika der 2. Generation (Ambenoniumchlorid oder Distigminbromid),
die wie das Mestinon® protrahiert
sauer wirken, habe ich folgendes beobachtet: Bei den wöchentlichen
Harnsäurekontrollen unter dieser
Therapie stiegen bei 12 Frauen in
den ersten ein bis acht Wochen die
Harnsäurewerte weiter um 0,8 bis
3,20 mg an. Erst dann reduzierte sich
der Harnsäurespiegel durchschnittlich auf 3,76 mg für die gesamte
Gruppe von 12 Frauen. Der Grund
dafür ist sehr wahrscheinlich die
Ausschwemmung der Harnsäure aus
den gespeicherten Orten.
Zuletzt möchte ich noch über eine zwanzigjährige Therapie bei einem Patienten von mir berichten.
Nach starken Nierenkoliken 1968
und 1971 hat er je einen Kalziumoxalatstein ausgeschieden. Seit 1972,
Schlußwort
Es ist Kollegen Ikonomoff absolut zuzustimmen, daß die Bildung von
Nierensteinen stets aus einer erheblichen Störung unserer Homöostase resultiert. Alle Details der immer multifaktoriellen Harnsteinpathogenese
sind in einem kurzen Artikel nicht
darzustellen, aber in der zitierten sowie weitergehenden Literatur umfassend nachzulesen. Dort ist auch dargestellt, daß die Harnsteinbildung
nicht immer „alkalisch bedingt" ist.
Wichtig ist im Hinblick auf die
bekanntermaßen oft stark variierenden Harnsäurewerte im Serum der
Hinweis von Herrn Ikonomoff auf
die Notwendigkeit wiederholter
Harnsäurekontrollen und die Beobachtung, daß Cholinergika der 2. Generation primär zu einem Anstieg
und sekundär zu einer Senkung der
Harnsäurewerte führen.
Interessant ist zweifellos auch
der Bericht über den Kalzium-OxaA1 2302
-
nach einem Gichtanfall bei einem
Harnsäurewert von 7,3 mg, litt er bis
heute an einer Hyperurikämie. Diese
Hyperurikämie verlief mit einem alkalischen Urin-pH von 7,5 bis 8,5.
Durch eine gezielte sauer wirkende
Ernährung, zusammen mit einem
Cholinergikum der 2. Generation,
Ambenoniumchlorid (Mytelase®), ist
es gelungen, seinen Urin-pH am Tage auf fünf bis sechs zu drosseln. Als
Folge dieser Therapie hatte er in den
letzten 20 Jahren keine Nierenkoliken mehr gehabt. Zugleich ist sein
Harnsäurespiegel seit vielen Jahren
um 5,6 mg geblieben.
Literatur:
1. Ikonomoff, S.: Die Rolle des vegetativen Systems bei der Therapie mit Interferonen. Der
Dt. Apotheker 43 (1991) 69-72
2. Witzgall, H.: Vegetatives System. In: Taschenbuch der medizinisch-klinischen Diagnostik. Hrsg. H. Frhr. von Kress. Verlag J. F.
Bergmann, München, 1966
3. Zondek, S. G.: Die Elektrolyte, ihre Bedeutung für Physiologie, Pathologie und Therapie. J. Springer, Berlin, 1927
Dr. med. Stojan Ikonomoff
Arzt für Neurologie und
Psychiatrie
Starenweg 7
W-2900 Oldenburg
latstein-Patienten. Wir würden heute in einer solchen Situation sehr
eingehend die Homöostase des Urins
kontrollieren und dann zweifellos
noch sicherer sagen können, warum
der Patient (erfreulicherweise) seit
20 Jahren rezidivfrei ist.
Alle unsere Therapie-Empfehlungen in diätetischer Hinsicht zielen auf die Optimierung der Homöostase ab, soweit das durch eine den
Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung entsprechende optimale Ernährung, insbesondere durch die Vermeidung des
Überkonsums an lithogenen Substanzen, zu erreichen ist. Unabhängig davon dient die Empfehlung einer ausreichenden Flüssigkeitszufuhr von zwei bis drei Liter pro Tag
der Harndilution (wirkungsvollste
Methode, das spezifische Gewicht
niedrig zu halten!) und damit der
Vermeidung einer Ubersättigung des
Urins beziehungsweise des Risikos
von Ausfällungen.
(62) Dt. Ärztebl. 89, Heft 25/26, 22. Juni 1992
Mit der Neutralisierung beziehungweise Alkalisierung des Urins,
die mit Zitrusfrüchten oder deren
Säften unbestritten möglich ist, wollen wir nicht im Körper abgelagerte
Harnsäure auflösen, sondern Harnsäuresteine im Harntrakt. Dies gelingt fast immer Auch die Ausfällung von Harnsäure im Urin ist durch
die Neutralisierung beziehungsweise
Alkalisierung des Urins zu vermeiden, so daß diese Diät-Empfehlung
bei Harnsäuresteinen oder durch
Harnsäureausfällung induzierter
Steinbildung als wichtigste Maßnahme zur Rezidivprophylaxe anzusehen ist.
Prof. Dr. med.
Winfried Vahlensieck
Direktor der Urologischen
Universitätsklinik
Sigmund-Freud-Straße 25
W-5300 Bonn 1
Nebenwirkungen
an der Haut durch
anabole Steroide
Zu dem Kurzbericht von
Dr. med. Tilo Freudenberger und
Mitarbeitern in Heft 47/1991
Irreversible
Stimmveränderung
Der Beitrag Freudenberger et
al. ist sehr zu begrüßen. Zu den nicht
dermatologischen Nebenwirkungen
gehört auch die unter Umständen
schon nach einer kurzen Behandlungszeit irreversible Mutation der
Stimme. Ich erinnere mich an eine
Patientin, die Sängerin werden wollte und deren Laufbahn durch ein
anabolikahaltiges Kombinationspräparat beendet wurde. Dies hatte forensische Konsequenzen.
'
Prof. Dr. med. Peter C. Scriba
Direktor der Medizinischen Klinik
Klinikum Innenstadt
der Universität München
Ziemssenstraße 1
W-8000 München 2
Die Verfasser haben auf ein Schlußwort verzichtet.
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